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Das höllische Automobil: Novellen

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Das höllische Automobil: Novellen
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Vita autoris

Otto Julius Bierbaum

Erblickte das Licht dieser Welt am 28. Juni 1865 zu Grünberg in Niederschlesien als der Sohn eines eingebornen Konditors und einer sächsischen Bergmannstochter. In der väterlichen Familie waren zwei Berufszweige erblich: Ein süßer: die Zuckerbäckerei, und ein saurer: die protestantische Theologie. Otto Julius hatte aber wohl einen besonders starken Gemütseinschlag von der mütterlichen Familie her (in der einmal, zur Zeit Napoleons, ein französischer Tambour eine Gastrolle gegeben haben soll) und so fand in ihm weder die süße noch die saure Familientradition ihre Fortsetzung. Doch blieb ihm Zeit seines Lebens von Abstammung wegen ein ausgesprochener Sinn für bessere Kuchen und Edelmetalle im Blute, ohne daß er ihn indessen immer befriedigen konnte. Dieses Unvermögen kommt aber eben daher, weil er, statt das Süße oder das Saure oder sonst was Ordentliches zu lernen, sich von Jugend auf dem Laster des Versemachens und Fabulierens hingegeben hat. Was hat er davon? – : Ein immer zweifelhaftes Budget und die Ungnade des Literaturaufsehers Bartels in Sulza bei Weimar – O, daß doch dieses gewiß gräßliche, aber leider nicht unverdiente Schicksal abschreckend auf alle unerfahrenen Jünglinge und Jungfrauen wirken möchte, die in dem Wahne leben, das Dichten sei eine einträgliche Beschäftigung und mache wohlgelitten bei ernsten Kunstwärtern und gelehrten Literaturbeaufsichtigern! In Wahrheit führt es, wenn man sich ihm nicht auf der Basis einer sehr anständigen Rente hingibt, direkt ins Versatzamt und erregt, wenn es nicht so vorsichtig ausgeübt wird, daß alles Vergnügen daran zum Teufel geht, nur Unwillen.

Dieser Unwillen steigert sich zur Empörung, wenn der Unbesonnene, der ihn hervorgerufen hat, statt sich durch weise Beschränkung auf ein bestimmtes Fach der Dichtkunst wenigstens zum Spezialisten auszubilden, auch noch einen Mangel an Charakter offenbart, indem er halt- und ziellos in allen Fächern der Poeterei herumfährt und, wie iste O. J. B., außer Gedichten jeder Art und Unart auch noch Novellen, Romane, Operntexte, Dramen, Balletts, Reisebeschreibungen, Märchen und allerhand Aufsätze über allerhand Menschen, Dinge und Ideen von sich gibt. Dies ist ein so grober Verstoß gegen das moderne Gesetz von der Teilung der Arbeit, daß man nicht energisch genug dagegen Front machen kann. Warum, so fragen wir mit Nachdruck, hat sich O. J. B. nicht damit begnügt, den ’Lustigen Ehemann‘ zu verfassen? Wie klar umrissen stünde dann sein Bild im Herzen der dankbaren Mitwelt, während es jetzt unruhig und fatal hin- und herzittert in den verschiedensten Kapiteln der Literaturkunde, vergleichbar den lebenden Photographien der American-Biograph-Gesellschaft, G. m. b. H., Berlin.

Daß er auch noch Zeitschriften gründete, mag ihm verziehen werden, weil sie (Pan und Insel) eingegangen sind, und weil es sich schließlich, Gott sei Lob und Dank, doch herausgestellt hat, daß die aufregenden Nachrichten über seine schmachvoll hohen Redaktionsgehälter nur die Phantasiegebilde einiger erfindungsreichen Köpfe waren. Auch seine längere Reise im Automobil hat ihren Stachel verloren, seitdem man weiß, daß sie nicht auf eigene Kosten unternommen worden ist.

Über seine Mitschuld am Überbrettl gehen die Meinungen auseinander. Einige Passagen im ”Stilpe“ belasten ihn zwar schwer, aber das Programm seines Trianon-Theaters (einmal und nicht wieder!) wird immer als besinnungslos rein lyrisches Entlastungsdokument angeführt werden können.

Sonst ist O. J. B. harmlos. Sein Körpergewicht (81·5 Kilo, die Kleider nicht mitgewogen), sowie seine untersetzte, deutlichen Fettansatzes nicht ermangelnde Statur, reihen ihn unter die Korpulenzen ein, die eher zum Phlegma, als zu kriegerischem Angriffe neigen. Doch scheint er es sich nicht abgewöhnen zu können, über gewisse Charaktereigentümlichkeiten erbost zu werden, als da sind: Neid, Lügenhaftigkeit, Tratsch- und Verleumdungssucht und aufgeblasener Dummstolz. (Woraus deutlich hervorgeht, daß man ihn mit Unrecht unter die Humoristen rechnet.) Durch Radfahren und elektrische Massage versucht er es übrigens, seine Taillenweite dem erwünschten Normalmaße anzunähern, wie er denn auch den Fettbildner Alkohol mit einer Konsequenz meidet, die ihm sonst nicht eigen ist. Lawn Tennis mußte er leider wegen Mangels an englischen Sprachkenntnissen aufgeben. Die Pflege des nationalen Skat hinwiederum ist ihm wegen eines mathematischen Defekts versagt.

Hunde, Katzen, Blumen; Horaz, Shakespeare, Goethe; Gluck, das ’wohltemperierte Klavier‘, Mozart; Dürer, Ludwig Richter, Chodowiecki; Büttenpapier, Seide und Ceylontee liebt er sehr. Schiller genießt er einstweilen lieber in der Form Dehmel. – Für die größten unter den modernen Dichtern gelten ihm Dostojewski, Nietzsche und Gottfried Keller. – Th. Th. Heine ist ihm lieber, als Max Klinger. – Ein rechtschaffenes Biedermeier-Kanapee zieht er ebensowohl einer sella curulis wie jeder streng modern konstruktiven Lösung des Sitzproblems vor. Van de Velde verehrt er aus scheuer Entfernung und mit aller gebotenen Vorsicht. Der wahrhaft aus modernem Bedürfnis und aus der klaren Tiefe der Zeitseele geborene Nachttopf scheint ihm einstweilen nur in ornamentalen Ansätzen von verdienstlichem Zielbewußtsein vorhanden zu sein. An ”Buchschmuck“ hat er sich für eine Weile sattgesehn, sowohl an dem botanischer, zoologischer und mineralogischer, wie an dem rein geometrischer Herkunft. Seine Sünden auf diesem Gebiete bereut er herzlich und hat sich dafür als freiwillige Buße die vollkommenste Enthaltsamkeit von allen Kopf-, Rand-, Zwischenleisten, Frontispicen, culs de campe &c. &c. auferlegt. Doch zweifelt er keineswegs daran, daß die Blütezeit des Jugendstiles noch eine hübsche Zeit andauern wird. – Was die moderne Musik angeht, so fühlt er keinen Beruf, sich an dem Gesellschaftsspiele der Auslosung des neuen Messias zu beteiligen. Er ist dazu musikwissenschaftlich nicht gebildet genug und muß zufrieden sein, daß es ihm beschieden ist, zuweilen moderne Musik zu hören, die ihm angenehm eingeht, ohne daß er zu sagen weiß warum. Im Grunde ist er wohl auch zu frivol dazu, was schon daraus hervorgeht, daß er nicht gerne eine Offenbachsche Operette versäumt.

Moderner Bücher liest er nicht gar viele, doch läßt er sich von Liliencron, Dehmel, Wedekind und Gerhard Ouckama Knoop keines entgehen. In alten Briefwechseln, Tagebüchern und Memoiren zu lesen ist ihm ein großes Vergnügen. Den größten Genuß auf diesem Gebiete bereiten ihm die Briefe und Tagebücher Friedrichs v. Gentz, den er überdies für einen der besten Prosaisten in deutscher Sprache hält.

Seine Kenntnis der Weltvorgänge bezieht er aus den ”Münchner Neuesten Nachrichten“ und dem ”Simplizissimus“. Zu einem Abonnement auf die ”Woche“ hat er sich noch nicht entschließen können, doch läßt er sich eigens zu dem Zwecke allwöchentlich einmal die Haare kräuseln, um bei seinem Friseur den Anschauungsunterricht zu genießen, den dieses vorzügliche Organ der Volksaufklärung gewährt. Übrigens photographiert er, wie jeder Kunst- und Naturfreund, selbst und hat es darin zu einer Vollkommenheit gebracht, die ihm außer seiner Frau niemand bestreitet.

Religiös ist er Eklektiker. Vom Judentum hat er die Psalmen, vom Protestantismus eine ziemliche Anzahl Gesangbuchslieder, vom Katholizismus die Instrumentalmusik und verschiedene Bestandteile der sakralen Garderobe, vom Buddhismus die schöne Pose des Sitzens auf einer Lotosblüte, vom Konfuzianismus das Prinzip der großen Wurstigkeit, vom Taoismus die höchst angenehme Mystik ahnungsvoller Wortverknüpfungen in seine Privatkirche übernommen, deren Hauptlehre übrigens lautet: ’Halte dir alles Gesindel vom Leibe, denn es hindert dich, in deinen Himmel zu kommen!‘

Wollte man ihn nach seiner politischen Meinung fragen, so würde man ihn in Verlegenheit setzen. Es kommt das vielleicht daher, weil er keine Leitartikel liest und Bismarck tot ist.

Exlibris und Ansichtspostkarten sammelt er nicht; dafür alte Vorsatzpapiere, Gläser und Fayencen; Autogramme gibt er nur in schwachen Momenten ab; jungen Damen und Herren zu sagen, ob sie Talent zur lyrischen Poesie haben, erklärt er sich für inkompetent.

Vorbestraft wegen Körperverletzung in idealer Konkurrenz mit einer Übertretung ortspolizeilicher Vorschriften über das Halten von großen Hunden.

Das höllische Automobil

Ein Märchenfür sämtliche Alters- und Rangklassen nach einer Idee Alf Bachmanns

Der Riese Rumbo konnte die Menschen nicht leiden, weil sie neben ihm so lächerlich klein erschienen, aber doch klüger waren als er, und weil es ihm, wegen seiner unmäßigen Größe und Ungeschlachtheit, nicht möglich war, mit ihnen zusammen zu wohnen, – was er doch von wegen Kartenspiel und anderer Lustbarkeiten, die man nicht allein besorgen kann, ganz gerne gemocht hätte. Wie hätte er aber mit jemandem Skat spielen oder sonst etwas Vertrauliches treiben sollen, da er so groß war, daß er selbst die größten Häuser der benachbarten Residenzstadt nicht einmal zu Leibstühlen benützen konnte, weil sie dazu zu niedrig gewesen wären?

Daraus könnt ihr euch wohl ungefähr ein Bild machen, wie über alle Maßstäbe und Begriffe ausgedehnt dieser Kerl war.

Mein Onkel, der doch auch ein Mann von gutem Gardemaße und überdies Pfarrer, also gewöhnt war, seinen Blick immer aufs Höchste zu richten hat mir mehr als einmal beteuert, daß Rumbo alle seine Begriffe von Länge und Breite übertroffen habe. Übrigens ist es dieser mein Onkel, der mir diese Geschichte erzählt hat, was zu bemerken ich nicht zu ermangeln will, weil man sonst denken könnte, sie hätte keine Moral. Die Wahrheit ist, daß sie mehr Moral hat, als selbst der aufmerksamste Zuhörer beim ersten Male merken kann. Man muß sie sich also ein paarmal erzählen lassen. Es verlohnt sich.

 

Ich selbst habe sie sehr oft gehört, nämlich immer, wenn mein Onkel meinen Vater zu besuchen kam, um, wie er sagte, ”nach dem Rechten zu sehen.“ Es scheint aber, daß das Rechte sich bei uns im Keller aufhielt. Denn dorthin begaben sich bei solcher Gelegenheit die beiden Brüder sogleich, wenn der ältere beim jüngeren zu Besuch angekommen war. – Dies nebenbei und ohne eigentliche Beziehung zu Rumbo.

Der war also nach der Überlieferung meines Onkels ein übergewaltiger Geselle. – Ich wünschte sehr, seine Größe in Metern angeben zu können, aber in dieser Hinsicht hat es mein Onkel an Exaktheit fehlen lassen. Statt einfach zu sagen: so und soviel Meter oder meinetwegen bayerische Ruten war er lang, liebte er es, die Ausdehnung des Riesen durch Vergleiche oder Bilder anzudeuten, wobei es mir nicht entging, daß dabei nicht immer das gleiche herauskam. Machte ich ihn darauf aufmerksam, so pflegte er zu sagen: ”Mein lieber Junge, bei ganz großen Gegenständen irrt sich selbst die Bibel. Für das, was das gewohnte Maß maßlos überschreitet, haben wir Menschen nicht einmal die Fähigkeit, in Bildern ordentliche Maßstäbe zu finden. Kehre dich nicht daran, wenn ich dir einmal sage: Rumbos Beine waren so dick und lang wie die Türme der Frauenkirche zu München, und ein andermal: Rumbos Nasenlöcher waren so breit und lang wie der Tunnel durch den St. Gotthard. Das stimmt freilich nicht; aber aufs Stimmen kommts auch nicht an, wo sichs um Riesen handelt. Sei froh, zu wissen, und laß es dir genügen, daß Rumbo auf alle Fälle erstaunlich groß war; – wenn du Lust hast, seiner Größe noch ein paar Kilometer hinzuzusetzen, so tu dir keinen Zwang an. Meinetwegen kannst du ihn dir auch ein bißchen kleiner vorstellen, wenn er dir dadurch näher kommt, aber, versteht sich, immer noch so riesig, daß du dich selber darüber wundern mußt. – Darauf kommt es an.“

Ich empfehle euch, es auch so zu halten.

Da Rumbo nicht unter Menschen wohnen konnte, lebte er ständig auf dem Lande, und zwar in der Nähe der Stadt Knödelimkraut, die sich einer sehr waldigen Umgebung erfreut. Dort war aber auch wirklich ein Mordstrum von einem Walde, der für ihn paßte, als wenn er ihm angemessen worden wäre. Tannen wuchsen darin, so dick, daß ein Mensch, der um eine hätte herumgehen wollen, dazu eine gute Stunde gebraucht haben würde. (Wirklich wahr!) Er hätte aber gar nicht drum herumgehen können, weil die Wurzeln dieser Bäume wie Gebirge über die Erde hervorstanden, und weil das Moos, das auf ihnen wuchs, selber wieder so hoch und dicht war, wie das Gebüsch in einem gewöhnlichen Walde.

Für Rumbo aber war der Wald eben darum gerade recht; und er verließ ihn nur einmal in der Woche, nämlich am Sonnabend, wo er sich seine Mahlzeit holen mußte. Denn er aß nur einmal in der Woche, am Sonntag. Das kam daher, weil für ihn eine Woche so viel war, wie für uns ein Tag. (Inwiefern? – das wußte sogar mein Onkel nicht zu erklären, dem doch selbst in der Offenbarung Johannis keine Zeile dunkel war. – Ihr tut also gut, euch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was zu unterlassen übrigens auch anderen Problemen gegenüber ratsam erscheint, da ein Kopf, auch wenn er hohl ist, nicht eigentlich die Bestimmung hat, zerbrochen zu werden. Und eure Köpfe, meine Lieben, sind überdies nicht hohl, – wie würdet ihr sonst meine Zuhörer sein?)

In der Hauptsache bestand seine Mahlzeit aus Gemüse. Birkenbäume waren für ihn Spargel, Eichenbäume Spinat, aus jungen Tannen machte er sich Sauerampferbrei. Kuchen und andere süße Speisen konnte er sich nicht verschaffen, außer wenn er gerade einmal bei einem Bienenzüchter vorbeikam. Da fraß er dann gleich sämtliche Bienenstöcke mit dem Honig, aber auch mit den Bienen auf, und wenn ihn die Bienen im Munde und im Magen stachen, sagte er: ”Ei, das prickelt recht angenehm.“ Sonst bestand seine Nachspeise immer aus einem Menschen, und er meinte, das Menschenblut sei süßer als aller Honig; nur schade, daß man nicht viel davon vertragen könne, weil es dusselig mache. Soviel von seiner Speisekarte.

Da Rumbo dumm war, war er auch faul, und so kam es, daß er meistens der Länge lang auf dem Boden lag und schlief.

Wie er nun einmal so da lümmelte, fühlte er ein Jucken in seiner Nase und mußte niesen; – hatzi! flog ein Mensch aus seinem Nasenloch und mitten auf die ganz mit zottigen Haaren bedeckte Brust.

”Hahaha!“ lachte der Mensch; ”da bin ich aber mal schön weich gefallen.“

”Was! Du lachst noch?“ brüllte Rumbo, ”dich werde ich übermorgen fressen.“

”Mich?“ rief der Mensch, – ”dazu bist du ja viel zu dumm. Ehe du mich ergreifst, bin ich schon ganz wo anders.“

Und richtig, wie Rumbo nach ihm fassen wollte, saß der Mensch schon in seinem linken Ohre und schrie hinein: ”Du großer Esel!“

Rumbo begriff, daß das eine Majestätsbeleidigung war und wollte ihn sich mit seinem kleinen Finger (Klein! – Du lieber Gott! Er hatte die Ausdehnung von Frau Klara Ziegler!) aus dem Ohre trillern, aber da war der Mensch schon lange weg. Und wo saß er? Im Winkel des linken Auges und kitzelte den Riesen.

”Geh weg!“ schrie Rumbo, ”das kann ich nicht leiden.“ (Es war ihm, wie wenn uns eine Mück ins Auge gekommen ist.)

Der Mensch aber sagte: ”Nicht eher, als bis du mir versprichst, mich in Ruhe zu lassen.“

”Ja doch, ja doch,“ brüllte der Riese, ”mach nur, daß du aus meinem Auge 'rauskommst. Das ist zu widerwärtig.“

”Siehst du wohl?“ sagte der Mensch, ”was Kleines kann auch unangenehm werden“, und er setzte sich auf eine Warze, die sich wie ein mit Gras bewachsener Hügel, über und über mit Haaren bedeckt, auf des Riesen Nasenspitze erhob.

”Das ist ein angenehmer Aussichtspunkt,“ sagte er, wie er dort saß, indem er vergnüglich mit den Beinen baumelte und sich eine Zigarre anzündete. ”Ich habe zwei Seen vor mir, die von Tannen umgeben sind, und dahinter ist ein Gebirge mit vielen Schluchten, und hoch oben ein Wald von roten Bäumen. Diese Landschaft verdient einen Stern im Bädeker; ich werde hier ein Aktienhotel gründen.“

”Na ja: Meine Augen, meine Stirne und mein roter Haarschopf,“ sagte der Riese geschmeichelt; ”aber was ist dir denn eingefallen, daß du in meine Nase gekrochen bist? Dort zieht es doch?!“

”Eben darum, es ist infam heiß heute und ich dachte es mir gleich, daß in diesem Blasebalgfang ein guter Wind ginge“, antwortete der Mensch.

”Ja, hast du denn keine Furcht?“

”Vor wem denn?“

”Na, vor mir!“

”Vor dir? Dazu bist du mir zu dumm.“

Da merkte der Riese, daß dieser Mensch, wenn nicht gar ein Genie, so doch ganz gewiß ein brauchbares Talent war, und er sprach:

”Du gefällst mir, Mensch, du kannst als Gehilfe bei mir eintreten. Wie heißt du denn?“

”Frechdachs,“ antwortete der Mensch.

”Das ist ein schöner und passender Name für einen Menschen von dieser Begabung,“ meinte der Riese; ”also, willst du?“

”Meinetwegen,“ sagte Frechdachs, ”wenn es nur was Ordentliches zu tun gibt und nicht so gewöhnliche Hantierungen wie in der Stadt. Dort haben sie nichts mit mir anfangen können und wollten mich deshalb ins Gefängnis sperren. Ich bin aber ausgerissen.“

”Na, dann paßt du ja famos zu mir, Frechdachs!“ sagte Rumbo. ”Du sollst dich nicht zu beklagen haben. Bei mir gibt's nur solche Sachen zu tun, die in der Stadt verboten sind.“

”Das kann ich mir denken,“ sagte Frechdachs, ”denn du selber würdest in der Stadt verboten werden, wenn sie dich verbieten könnten. – Aber sag mal, wozu brauchst du denn einen Gehilfen, du großer Schuft und Schlagtot? Ein Kerl, wie du, braucht ja bloß irgendwo hinzufallen, und gleich liegt rechts und links von ihm, was er braucht.“

”Das verstehst du nicht,“ sagte Rumbo. ”Ich bin zu groß. Erstens werd' ich zu schnell bemerkt; dann sind meine Bewegungen zu langsam; und schließlich kann ich so kleines Zeug, wie ihr Menschen seid, nicht gut anfassen. Entweder zerquetsche ich so eine Made, oder sie rutscht mir durch eine Fingergelenksfalte weg. Ich sage dir: ich müßte verhungern, wenn ich mich von euch Marschiermücken nähren müßte. Zum Glück brauche ich das zweibeinige Milbenvolk nur als eine Art süßer Verdauungspillen. Aber dazu seid ihr Zappelgemüse mir unbedingt nötig. Und deshalb ist es mir sehr angenehm, einen Menschen als Gehilfen zu haben, denn niemand kann einen Menschen besser fangen, als ein Mensch. Im Grunde könnt ihr ja auch nichts, als das. – Ich habe darum von jeher und immer Menschen als Gehilfen gehabt, aber leider, leider waren es regelmäßig unvorsichtige Burschen, die allzubald auf irgendeine Weise bei mir zugrunde gingen. Der eine fiel mir ins Ohr und brach das Genick auf meinem Trommelfell; der andere verlief sich im Dickicht meiner Haare und verhungerte; ein dritter ertrank in einem Schweißtropfen von mir; ein vierter, der Korpsstudent gewesen war und sich das Trinken nicht abgewöhnen konnte, hielt in der Betrunkenheit, als ich einmal gähnte, meinen Mund für einen Weinkeller, lief hinein und erstickte, wie ich den Mund zugemacht hatte, in einem hohlen Zahn; – und so weiter, und so weiter. Du siehst also, daß du gut aufpassen mußt.“

”Mir passiert so was nicht; verlaß dich darauf,“ meinte Frechdachs; ”ich bin daran gewöhnt, aufzupassen, wie ein Luchs, denn ich gehöre zu den Vogelfreien, die auch unter Menschen immer auf der Hut sein müssen. Bloß die Käfigmenschen, die Mastgimpelnaturen, die den Freßkober stets bei sich am Halse tragen, dürfen es sich erlauben, ohne besondere Aufmerksamkeit ihrem Tagwerke nachzugehen. Wir, die wir nicht so tugendhaft und stäte sind, sondern immer tapfer und resolut auf Taten ausziehen, für die man früher geadelt wurde, jetzt aber ins Kittchen gesperrt wird – wir müssen immer die Ohren steif und die Augen offen halten. Meinetwegen kannst du also ganz ruhig sein. – Aber: Was krieg' ich denn als Lohn?“

”Was? Lohn willst du auch noch?“ brüllte Rumbo, der in seinem Souveränitätsgefühle beleidigt war. ”Sei froh, daß ich dich nicht zum Nachtisch einnehme. Nein, mein Lieber, Lohn gibt's nicht. Höchstens einen Titel. Wie willst du lieber heißen: General oder Hofmarschall?“

”Gar nichts will ich heißen,“ sagte Frechdachs; ”Lohn will ich haben.“

”Also, wie viel denn?“ fragte Rumbo.

”Kein Geld,“ antwortete Frechdachs, ”das kann ich mir stehlen; du sollst mich zu einem Riesen machen, wie du selber einer bist.“

”Das kann ich nicht,“ sagte Rumbo.

”Doch kannst du's,“ erwiderte Frechdachs, ”mach keine Flausen; ich bin nicht so dumm, wie du aussiehst, und weiß ganz gut, daß du's kannst. Aber du willst nicht, weil du Angst hast, daß ich dich dann totschlage, du Feigling.“

”Na, also gut, Frechdachs,“ sagte Rumbo, dem bei so viel Intelligenz angst und bange wurde, ”ich mache dich zu einem Riesen, aber erst, wenn du mir hundert Menschen gebracht hast.“ (’Nach dem Neunundneunzigsten freß ich ihn auf,‘ dachte er sich.)

”Abgemacht,“ sagte Frechdachs. ”Und was soll ich zuerst tun?“

”Hm, ja, warte mal,“ überlegte der Riese eine Weile; ”da ist drüben in der Wassermühle der junge Müller Bartel Klippklapp, der ist weiß wie sein Mehl vor lauter Fett und muß allerliebst nach Korn schmecken. Den hol mir! Aber er ist schlau, weißt du. Du mußt es klug anstellen.“

”Wenn's weiter nichts ist,“ sagte Frechdachs, rief seinen Rappen, der in der Nähe weidete, schwang sich in den Sattel und ritt davon.

Schon nach fünf Stunden kam er wieder und schleppte den jungen Müller an einem Stricke erwürgt hinter sich her.

”Sieh mal an!“ lachte der Riese, ”da hast du ja den Bartel Klippklapp, der so schlau war. Bist wohl noch schlauer gewesen?“

Frechdachs antwortete: ”Dazu hat nicht viel gehört. Der dumme Kerl stand gerade in seinem Garten und las Raupen vom Kohl. ’Du, Bartel,‘ rief ich, ’was machst du denn da?‘ ’Raupen lesen,‘ sagte Bartel. ’Was machst du denn mit den Raupen,‘ fragte ich. – ’Was soll ich denn damit machen?‘ antwortete er; ’tot machen tu' ich sie; sie fressen mir sonst meinen Kohl.‘ – ’Na, höre mal,‘ sagte ich, ’das ist aber lieblos; die armen Tierchen wollen doch auch leben.‘ – ’Bist du so ein Esel,‘ erwiderte Bartel, ’daß du dir deinen Kohl von Raupen fressen läßt?‘ – ’Nein,‘ sagte ich, ’ich habe gar keinen Kohl, aber Hunger. Gib mir einen Kohlkopf, Bartel.‘ – ’Hast du Geld?‘ fragte der Müller. – ’Nein,‘ sagte ich, ’du sollst mir ihn schenken.‘ – ’Du kannst meine Rückseite bewundern,‘ rief er da, lachte und drehte sich um. – ’Wart,‘ dachte ich, ’alter Geizkragen, für meinen Meister Rumbo sollst du auch bald eine Raupe sein,‘ warf ihm die Schlinge meines Strickes um den Hals, zog sie fest an, und ritt hui, hussa, hop, galopp mit dem Anhängsel davon. Da hast du den Mehlwurm!“

Der Riese war sehr zufrieden mit dieser Leistung und lobte seinen Gehilfen, fand aber, daß der Müller zu mehlig schmeckte. – ”Bring mir was Pikanteres das nächstemal,“ befahl er.

 

Frechdachs machte sich auf und überlegte: ’Wen soll ich bringen? Pikant, das ist leicht gesagt, aber wo gibt es heutzutage Menschen von pikantem Geschmack, die noch genießbar sind? Wenn ich den Doktor Schwalbendreck erwischte, dem vor Brotneid das Blut sauer geworden ist und der infolge seiner krankhaften Begierde, üble Gerüchte zu verbreiten, einen netten kleinen Herzkrebs von zweifellos schwefligem Geschmacke acquiriert hat, so wäre das ja am Ende ein gefundenes Fressen für meinen Herrn und Meister, der überdies, so viel ich weiß, noch keinen Dramatiker gegessen hat, aber erstens wird es schwer sein, dieses Herren habhaft zu werden, der sehr vorsichtig geworden ist, seitdem ihm jemand von ferne eine Pistole gezeigt hat, und dann fürchte ich, daß er schließlich zu penetrant schmeckt. Vergiften darf ich meinen verehrten Giganten doch auch nicht gleich. Sonst brauchte ich ihm ja nur ein Gänseweißsauer von verleumderischen Klatschbasen zu servieren, deren ich einige in der Stadt Knödelimkraut recht gut kenne… Halt! Wie wärs mit dem dicken Literaten, der früher Pastor war!? In ihm vereinigt sich ein Restchen pfäffischer Heimtücke mit journalistischer Giftdrüsenhypertrophie, – eine angenehme Mischung, sollte ich meinen… Aber diese Art Leute sind schwer zu fassen. Es gibt keinen Strick, aus dem sie sich nicht zu winden vermöchten. Ich spare ihn mir für ein andermal auf!‘ – So ritt Frechdachs in ziemlicher Verlegenheit durch Flur und Auen. Da begegnete ihm in seiner Kutsche der Doktor Rasso Schneidebein, der zu einer armen alten Frau gerufen worden war.

”He, Herr Doktor, Herr Doktor!“ rief Frechdachs, ”bitte, kommen Sie doch gleich zu meinem Meister, der sich übergessen und Bauchkneipen hat, und geben Sie ihm was ein.“