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Dalmatinische Reise

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Nun schreiten wir am Meer, das Wasser gluckst, der Abend schwebt mit schwarzen Schwingen. Ich denke still bei mir an unser Land, an unsere Leute. Wenn man sie reden hört, ist immer der andere schuld. Jeder will das Beste, aber an dem anderen fehlt's. Und jeder will zunächst den anderen ändern, das scheint ihm das Wichtigste; er kümmert sich um den anderen viel mehr als um sich selbst. Und wir haben auch eine merkwürdige Art von Egoismus im Land. Sonst will ein Egoist, daß es ihm so gut als möglich gehe. Hier nicht. Hier kommt es dem Menschen weniger darauf an, daß es ihm gut gehe, als darauf, daß es dem anderen schlecht gehe. Das nennt man den nationalen Kampf. Auch wollen sie nichts wagen. Sie wollen »sicher« gehen. Lieber ein sicheres Elend als ein ungewisses Glück. Und dann diese österreichische Todesangst vor jeder Veränderung, oben und unten. Nur im Gewohnten bleiben! Warten wir lieber noch ein bissel! Der psychische Apparat scheint schlecht geschmiert und knarrt, wenn er sich bewegen soll. Wenn man in Wien, um Licht und Luft zu kriegen, irgendein altes Haus fällen muß, weinen alle. Und so warten wir immer lieber noch ein bissel. – Man darf schließlich auch gegen die Regierung nicht ungerecht sein. Ihr ärgster Fehler ist, daß sie volkstümlich ist. Sie gleicht unserem Volke. Wir hätten eine nötig, die fremdartig wäre. Wir müßten einmal einen ungemütlichen Regenten haben.

Und dann irren durch dieses Land solche Querulanten wie ich, ruhelos, die voll Zorn sind, an ein starkes Österreich glauben und es suchen gehen, während der Abend mit seinen großen schwarzen Augen über das glucksende Wasser schaut.

4

Mein Schiff heißt Baron Gautsch, der Kapitän Zamara. Er sieht halb wie ein Verführer, halb wie ein Verschwörer und ganz wie ein Gebieter aus. Don Juan und Orsini und Tegetthoff, von jedem grad so viel, daß die Mischung alle Frauen beben macht, was ja zu seinen Obliegenheiten gehört. Der Rasse nach ein Spanier, die Eltern haben in Mailand gelebt, er spricht Italienisch, Kroatisch, Deutsch, Französisch und Englisch; alles zusammen gibt einen echten Österreicher, an dem man seine Freude hat. Gewandt, gelenk, geschwind, munter, herrisch und gutmütig. Und man fühlt, daß er gewiß bei sich noch ganz anders ist, als er sich gibt. So gut zusammengemischte Menschen haben immer einen doppelten Boden. – Ich beneide ihn um seine Geduld. Die Wiener haben nämlich die Gewohnheit, sich statt an den Kellner in allen Fällen an den Kapitän zu wenden. Erstens, weil es wienerisch ist, Fragen immer an den zu richten, den sie nichts angehen. Zweitens, weil der Wiener Ehrgeiz hat und sich sozial gehoben fühlt, wenn der Kommandant mit ihm spricht. Deshalb will der Wiener auch durchaus auf die Brücke. Es interessiert ihn weiter gar nicht. Aber er will etwas, was nicht jeder haben kann. Und womöglich etwas, was verboten ist. Man sollte verbieten, Steuern zu zahlen. Dann wäre der Wiener begeistert dafür.

Ein bildhübsches lustiges Mädel schießt auf dem Schiff herum. Ein junger Herr macht sich an sie. Sie ist zuerst ein bißchen verlegen. Aber der junge Herr hat die Gewohnheit, nach jedem Satz, den er sagt, zu krähen. Er sagt: Jetzt geht's gleich los und aufs hohe Meer hinaus! Dann verschluckt er seine Augen, die Wangen breiten sich grinsend aus und er kräht. Er sagt: Adieu, Triest, adieu! Und wieder ertrinken die Augen, die Wangen wogen und er kräht. Er sagt: Sind Fräulein schon einmal seekrank gewesen? Augen weg, Wangen auf und er kräht. Ich frage mich: Warum kräht er? Er hat aber recht. Denn bevor er noch zum viertenmal gekräht hat, ist ihm das Mädchen schon zugetan. Sie lacht vergnügt. Ich frage mich: Warum lacht sie? Sein Krähen und ihr Lachen müssen irgendwie geheimnisvoll zusammenhängen. Der Hahn in jungen Männern scheint dem Seelenohr junger Mädchen wohl zu klingen.

Ein geistlicher Herr sonnt sich. Groß, alt, schwer, und mit so einem knöchernen mühsamen faltigen Gesicht, das rundherum aus Schnupftabak zu bestehen scheint. Seine Stimme hat was Streichelndes, und sie spritzt einen gleichsam immer mit Weihwasser an. Er reist nach Lussin. Ein bißchen Ruhe und ein bißchen Sonne brauch ich, sagt er, die harten Bauernhände faltend. Ich kann mir lange nicht erklären, was mich so zu dem Alten zieht; er heimelt mich an. Bis mir einfällt, daß er ein bißchen dem Ozzelberger ähnlich sieht, dem Florianer, von dem wir im Linzer Gymnasium Griechisch lernten. Gern aber sprach er, in den Xenophon hinein, von der Sünde. Da hörten wir Buben mit Leidenschaft zu, das Griechische war weit weniger interessant. Zwar erfuhr man nie, was es eigentlich mit der Sünde war, aber er hatte eine solche Macht, drohende Worte schwer und schwarz wie wütende Wolken aufzuballen, daß einem davon höchst seltsam gruselte, den kalten Rücken hinab. Uns wurde kitzelnd bang, wie beim Klettern. Ihm muß auch ganz warm geworden sein, das sah man. Noch steht er mir in der Erinnerung da, die knollige, braun tropfende Nase witternd aufgespreizt, mit dem großen derben Finger drohend, das zerknitterte Gesicht in Angst und Zorn. Dann fiel die dicke Haut seiner runzligen Lider zu, so daß er gleichsam mit den Augen zu seufzen schien. Und nun krachten aus seinem bösen Mund mit den hängenden Lippen, die, wenn er sich ereiferte, kleine weiße Blasen hatten, Drohungen und Verwünschungen, gegen die Sünde, Wollust und Unzucht. Wir duckten uns, zogen den Atem ein und hörten zu, wie bei einem furchtbar schönen, unbegreiflichen Gewitter. Dann schwang er sein blaues fleckiges Tuch und jetzt ging es wieder zu den Verben auf μι zurück. Mein größter Eindruck war, als er uns einmal fluchend zurief: Unzucht krümmt die Rücken, hat Aristophanes gesagt! Das kam mir höchst merkwürdig vor, und seitdem sah ich mir auf der Gasse jeden an, ob er einen krummen Rücken hätte. Meine Eltern waren mit einem alten Hofrat gut, einem sehr freundlichen, schon etwas zittrigen und schiefen alten Herrn. Er ging gern mit uns spazieren. Kehrten wir dann heim und er empfahl sich an unserem Tor, wobei er vor Höflichkeit noch mehr zusammensank, so sah ich ihm nach und sagte stets: Unzucht krümmt die Rücken, Mama! Da wurde meine arme Mama manchmal sehr bös.

Seltsam ist es, so einem alten Herrn, wie diesem guten Pfarrer, klagen zuzuhören. Hart ist sein Leben und hat nichts als Mühsal. Und wenn man altert, hört auch die Hoffnung auf. Man weiß, es wird nicht mehr anders. Man weiß, Leben ist Leiden. So sagt er. Und hat doch offenbar nichts im Sinn, als nur sich dieses Leiden noch auf viele Jahre zu verlängern. Nur ein bißchen Ruhe und ein bißchen Sonne brauch ich halt, sagt er immer wieder. Wozu? Um die Mühsal wieder ein Stück weiter zu tragen, nur immer noch weiter.

Zwei Offiziere, von Prag nach Cattaro versetzt, ein deutschnationaler Gemeinderat aus Innsbruck mit seiner Tochter, ein altes Ehepaar, das nach Gravosa geht. Wir sind kein Dutzend auf dem großen Schiff. Die Fremden, heißt's, fürchten den Krieg. Sie fürchten wohl mehr die Wanzen der dalmatinischen Hotels.

Es ist kalt. Die Sonne taucht mit blassen Strahlen aus dem Dunst. Der Wind flattert in kleinen kurzen knatternden Stößen. Wir sind an Muggia, Capo d'Istria und Pirano vorbei, es erscheinen Parenzo und Rovigno. Wenn man so vorüberkommt, ist's wie ein ausgestorbenes Land. Die Städte sehen verlassen und verfallen aus, als hätte der Feind hier gehaust und alles zertreten. Schön sind die spitzen Türme, die den Heiligen der Stadt tragen, in Parenzo den heiligen Georg, in Rovigno die heilige Euphemia. Alles hat venezianisches Wesen. Hinten ragt der Monte Maggiore.

Und die großen gelben Segel der frechen Chioggioten! Überall schwärmen sie. Es macht ihnen Spaß, hart vor dem großen Dampfer zu kreuzen. Weiß klatscht das Wasser ins tanzende Boot. Lachend steht ein wilder brauner Kerl darin und singt. Grau schießt ein Torpedo durch die spritzende Flut, wie ein Aal. Hinter ihm fliegt in langen Tönen das Lied des lachenden Chioggioten her.

Nun sind wir im Kanal von Fasana. Brioni wird sichtbar, Kupelwiesers Reich. Da lacht mir das Herz.

Bis vor ein paar Jahren sagte man in Pola: Unser Fluch ist Brioni, da liegt dieser Herd der Malaria vor uns und verpestet alles! Beamte waren in Pola und Admiräle waren in Pola und Generäle waren in Pola, und alle sagten: Dieses verfluchte Brioni, mit der Malaria! Sagten es und taten nichts. Bis der Kupelwieser kam. Das ist nämlich noch unser einziges Glück in Österreich, daß doch von Zeit zu Zeit immer wieder ein Kupelwieser kommt. Schüler war auch so einer, der Direktor der Südbahn, der daneben mit der linken Hand den Semmering und das Ampezzo und Abbazia erschaffen hat. Und Christomanos ist auch einer, von ihm sind die Berghotels in Tirol. Das sind Menschen mit sehenden Augen. Sie sehen dem Boden an, was er will und kann. Sie sehen die Möglichkeiten. Und dann reden sie nicht viel, sondern es geschieht.

Ein Kupelwieser, der Leopold, war ein bekannter Wiener Maler in der Schubert-Zeit. Er hat die Mode der Nazarener mitgemacht und Kirchen ausgemalt; der Hof hat ihm in den dreißiger Jahren Bilder zu Klopstocks Messias aufgetragen. Das alles ist recht langweilig. Aber auf der Schubert-Ausstellung der Stadt Wien, 1897, waren Porträts von ihm zu sehen, da steht er auf einmal ganz anders da, mit treuen Augen und der ehrlichsten Hand. Die sind nun offenbar in der Familie geblieben, die treuen Augen und die ehrliche Hand. Der in Brioni hat sie auch. Er ist einer, der die Augen offen hat und Hand anlegt. Sein ganzes Leben ist Arbeit gewesen, als alter Mann hat er rasten wollen, das kann er aber nicht. Brioni war ein Sumpf, er kam, jetzt ist es ein Eiland in Blüten und Früchten. Anfangs hat's geheißen: Er ist ein Narr! Jetzt gedeiht Wein und Gemüse dort, Fremde drängen sich, die Insel wird reich. Da heißt's: Der versteht sein Geschäft! Nun sollte man meinen, daß, wer einmal so bewiesen hat, was er kann, fortan doch das Vertrauen der Menschen hätte. Nein. Er plant jetzt den Hafen von Medolino. Das ist im Südosten Istriens eine breite Bucht, die hat er aufgekauft. Und wieder heißt's: Er ist ein Narr! Er sagt: Pola kann nicht länger Kriegshafen und Handelshafen zugleich sein, beide wollen wachsen, und so würgt einer den anderen, also trennt sie doch, gleich um die Ecke habt ihr einen anderen Hafen, eben den von Medolino, macht ihn zum Handelshafen, den Kriegshafen laßt in Pola, dann können beide bis in den Himmel wachsen! Und er sagt noch: Wir brauchen einen Hafen für den dalmatinischen Verkehr, Triest ist zu weit, jetzt geht der nächste Weg über Fiume, also durch Ungarn, es ist unsinnig, daß Österreich keinen eigenen Weg nach seiner Provinz Dalmatien hat, drum nehmt Medolino! Mit denselben Gründen fordern die Abbazianer aber den Hafen von Preluka, knapp an der ungarischen Grenze. Statt nun zu sagen: Ihr habt beide recht, und ebenso den Hafen von Medolino wie den von Preluka zu bauen, weil der Mensch, wenn es Gott schon so gut mit ihm meint, sich dankbar zeigen soll, spielt man nach altem Brauch im Ministerium jetzt den einen gegen den anderen und redet sich bei diesem auf jenen aus, bis beide so verhetzt sein werden, daß am Ende jeder zufrieden sein wird, wenn nur der andere auch nichts hat. Dies ist das System der österreichischen Verwaltung. Man regiert dadurch, daß jeder seinen Gewinn im Schaden des Nachbarn sucht.

 

Wir sind in Pola. Indem wir langsam, an Riffen, Türmen, Schanzen, Stangen und den hohen Kriegsschiffen vorüber, einfahren, reißt der Wind die Wolken auf, die Sonne bricht aus, durch die Bogen der Arena blaut es. Mir ist es immer wieder ein Wunder, sie zu sehen. Der Römer hat stehen können; neben ihm ist jedes andere Volk zapplig. Und was er hinstellt, steht. Steht und läßt um sich die Zeiten laufen. Diese Arena und, weiter drüben, der Tempel des Augustus und, draußen, der Bogen, den Salvia Posthuma dem Tribunen Sergius, ihrem Gatten, für seinen illyrischen Sieg errichtet hat, dies alles steht da wie versteinerte Ewigkeit. Man kann sich gar nicht denken, daß es einmal nicht war. Und diese ganze schmutzige gelbe Stadt scheint daneben nur hingemalt, auf einer rissigen schwappenden Leinwand.

Nun wieder hinaus, am Kap Promontor vorüber auf den Scoglio Porer zu. Ein Leuchtturm ist da; und rund herum gerade noch so viel Platz, daß ein Mensch gemächlich schreiten kann. Da wohnt ein Wächter. Ob der einmal von Richard Strauß gehört hat? Wen der wählen mag? Ob der betet? Man hat mir erzählt, daß Julius Singer, der Vizepräsident des Lloyd, diesen einsamen Türmern zu Weihnachten Bücher schenkt. Ich fürchte nur, es werden nicht die richtigen sein. Ich möchte ihnen den Homer, Walt Whitman und Tolstoi schenken. Um jeden anderen wäre mir bang, auf solchem nackten Fels im Meer. Nur diese Dichter, die den Menschen ganz ins All auflösen, in Licht und Luft, in Sturm und Flut, könnten sich hier erwehren. Hier zu sitzen, mit sich allein, wie Thoreau in seiner Hütte saß! Ein Jahr lang, ganz entmenscht. Oder drei? Oder fünf? Wer weiß? Und still abzuwarten, was dann von einem noch übrig sein wird. Was dann in einem übrig bliebe, das wäre fester Grund. Darauf könnte man bauen. Doch solcher Mut setzt sich einem nur zwitschernd auf die Schulter, gleich aber ist er wieder fortgeflogen. Man ist mehr Bürger als Mensch.

Jetzt sind wir im argen Quarnero. Vor uns ist Cherso, kahl, steinig, grau. Dahinter läßt sich der Velebit ahnen. Die Sonne schlägt sich mit dem Regen. Jeden Augenblick verändert sich der Tag. Bald scheint's in den Bergen zu wettern, da wird es hell, aber schon schwärzt sich der Himmel wieder. Indem wir nun zwischen den Inseln passieren, zwischen Unie und Canidole mit dem sandigen Sansego durch, bricht sich vor uns das Licht am Horizont so, daß dort unten der Scoglio Asinello und die kleinen Riffe neben ihm über dem Wasser in der Luft zu schweben scheinen, wie von einer unsichtbaren Hand aus dem Wasser gehoben und in der Luft gehalten. Das Wasser ist von einem Grau, das in der Ferne fast lila wird; darauf liegt ein glitzerndes silbernes Band, darauf die Luft und darauf erst, über dem grauen Grund und über dem weißen Band, hängen in der aschigen Luft die kleinen Inseln, schwarzblaue Risse, ungeheuren, plötzlich im Fliegen erstarrten, aufgespießten Fischen gleich.

In Lussin regnet's. Und auf der Riva der schauerliche Lärm! Lärm ist in jedem Hafen; in Patras und im Piräus schreit man noch mehr. Es gibt aber einen kaiserlich-königlich österreichischen Lärm, einen unnützen Lärm, einen verdrossenen, faulen, mechanischen Lärm, der so zuwider ist, weil er nur das Maul aufmacht und kein Temperament hat. Es ist derselbe Lärm wie in Ischl im Hotel Kreuz, wenn zu Mittag hundert hungrige Wiener ächzende Kellner an den Frackschösseln packen. Wie mir Lussin überhaupt immer den Eindruck macht: Ischl oder Aussee, plötzlich an das Meer versetzt; und das stimmt nicht. Aber man braucht dann freilich nur ein paar Schritte weg ins Land zu gehen, auf windstillem Weg unter leuchtenden Zitronen gegen Lussingrande hin, oder nach Cigale, und die lächerliche Vision von Wiener Café zerstiebt. Pinien, Opuncien, Agaven, blauer Rosmarin, der dunkle Lorbeer, die roten Eriken, Palmen, Orangen, Oleander, Ceratonien mit den rostigen Trauben und die weidengrauen Ölbäume. Und überall das ewige Meer, mit den scheckigen Segeln auf den blauen Wellen in der weißen Sonne.

Jetzt wird's lustig. Ein paar junge Herren von der Kriegsmarine sind eingestiegen. Sie lachen, necken die Offiziere mit ihrer Angst vor der Seekrankheit und erzählen Abenteuer. Es gibt ein Seelatein, wie's ein Jägerlatein gibt. Diese jungen Burschen sind voll Lust und Kraft; man merkt's ihnen an, daß sie sich gut geführt fühlen. Sie sprechen Italienisch, ein bißchen Kroatisch und jenes Armeedeutsch, das ein sublimiertes Wienerisch ist. Und sie sind immer so vergnügt! Sie spüren, daß in ihren Schiffen Österreich ist. So wirkt ein einziger wirklicher Mensch, wie Tegetthoff war, einer, der den Glauben an sich hat, in seiner Welt noch bis ins zweite und dritte Glied nach.

Der eine von ihnen ist ein Knirps mit einem sehr großen, breiten, glatt ausrasierten Gesicht, das, mit den heftig fragenden Augen, etwas kindisch Verwundertes hat. Herrisch stapft er knieweit auf dem Schiff herum, die Hände in den Taschen, mit schiefem Maul, und weiß alles. Er kennt jedes Riff beim Namen und hat alle geschichtlichen Daten. Er gehört zu den Menschen mit ausgemachten Wahrheiten. Wie er so vorn am Bug steht, definitiv hingespreizt, und in den Regen schaut, gleichsam abwägend, ob er es denn noch weiter regnen lassen soll, hat er sicher das Gefühl, in eine Schlacht zu fahren. Trotzdem wirkt er nicht komisch, der insolente Zwerg, weil man ihm ansieht, daß er in einer wirklichen Gefahr gewiß ebenso wäre, nur wahrscheinlich ruhiger als jetzt, wo ihn seine Phantasie plagt. Ich kann die kriegerische Brunst solcher Knaben schon verstehen. Sie sind wie junge Mädchen, denen der Mann fehlt. Man müßte nur für sie Gefahren suchen, die der Menschheit nützen. So lange die Demokratie keine Verwendung für den Dampf der bürgerlichen Jugend hat, für ihre Lust an Abenteuern, Drangsalen und Verwegenheiten, für ihre Spannung nach Explosionen, wird sie den jungen Leuten langweilig sein. Daher in Frankreich die Banden der jeunesse royale. Es hilft nichts, zu sagen: Die Menschheit ist heute so weit, daß sie keine Helden mehr braucht! Es gibt aber noch immer Menschen, die das Bedürfnis haben, Helden zu sein. Wie es immer noch Menschen gibt, die das Bedürfnis haben, Schwärmer zu sein. Was sollen sie mit sich anfangen? Ihr habt kein Ventil für sie, so laufen sie euch weg, unter die Soldaten und zu den Pfaffen. Aber die wirkliche Demokratie wird Platz für jede Menschenart haben. Ich kann mir meinen kleinen maritimen Siegfried da, mit den ovalen Beinen, nun einmal im Bureaudienst nicht denken. – Er vergilt mir übrigens meine Sympathie keineswegs. Er ist artig, aber sichtlich auf der Hut mit mir. Lange Haare sind ihm nicht geheuer, und er hat gehört, daß ich nach Montenegro will; dies aber genügt jetzt hier, um ein Spion zu sein.

Inseln rechts und Inseln links. Hier Selve, Ulbo, Pago, dort Premuda, Skarda, Melada. Jetzt springt das dalmatinische Festland vor, wir sind im Kanal von Zara, den im Westen Sestrunj mit seinen Scoglien und die langgestreckte Insel Ugljan deckt.

Zara. Da sieht man zuerst nur eine lange weiße Wand. Nach und nach wird man gewahr, daß diese lange weiße Wand Häuser vorstellen soll. Es sind Bauten sozusagen sächlichen Geschlechtes. Man kann sich nicht denken, daß hier Männer oder Frauen und Menschen wohnen. Nein, Solneß, Heimstätten für Menschen können das nicht sein. Sie haben unseren ärarischen Stil. Wir haben ein Armeedeutsch und so haben wir auch einen ärarischen Stil. Sein Reiz besteht darin, daß er mit Stein den Anschein von Papier erweckt. Man glaubt zuerst: Das ist sicher nur eine Zeichnung! Merkwürdigerweise kann man aber in diese Zeichnung auch hineingehen und, wenn man es aushält, darin wohnen; schläft man ein, so wacht man in der Früh auf und hat einen Kopf aus Papiermaché, ich glaube sicher; es kann aber auch sein, daß diese Häuser in der Nacht, wenn das letzte Schiff fort ist, abgeräumt und sorgfältig zusammengeklappt und in ein Depot gelegt werden, wie Kulissen nach der Vorstellung, wenn es aus ist und finster wird. Das ist die berühmte Riva von Zara, der Stolz der österreichischen Verwaltung. Sie hat den Zweck, die alte Stadt Zara zu verstecken. Hinter ihr ist die alte Stadt Zara. Vor der alten Stadt ist eine österreichische Wand aufgestellt. Hinter der österreichischen Wand fängt der Orient an, unsere Zeit hört auf. So kann man sagen, daß diese Riva ihren Ruhm verdient, weil sie das Symbol unserer Verwaltung in Dalmatien ist. Diese besteht darin, das alte Land zu lassen, wie es ist, aber vorn eine österreichische Wand zu ziehen, damit man es nicht sieht. Und das genügt den Dalmatinern nun nicht, sondern sie verlangen, wirklich ein österreichisches Land zu werden. Das ist der Streit der österreichischen Verwaltung mit dem dalmatinischen Volk.

Ich habe ein sehr nettes Buch mit: Dalmatia, the land where East meets West by Maude M. Holbach. Die brave alte Engländerin, die es geschrieben hat, durchaus im frömmsten Glauben an unsere Behörden, reißt die Augen auf, wie sie hinter die weiße Wand in die alte Stadt Zara kommt, und ruft aus: This is no more Europe, no matter what the map may tell you! Und dann, wie sie die Morlaken auf dem Markt erblickt, mit den dunklen Gesichtern in weißen Tüchern, die rußigen Hände schwer beringt, die Füße in Opanken: At the first glance they seemed to me more like North American Indians than any European race! Ganz erschreckt staunt sie und kann es kaum begreifen, so fremd ist dieses Land!

Wir aber eignen es uns nicht an, sondern stellen eine weiße Wand auf, um es zu verdecken, und vor ihr spazieren die Beamten, und Militärmusik spielt.

Es gibt ein Zaratiner Museum, das in der alten Kirche San Donato untergebracht ist. Man hat in ihr eine Inschrift gefunden, die vermuten läßt, sie sei einst ein Tempel der Livia Augusta gewesen. Der wurde dann im 9. Jahrhundert umgebaut, um die Gebeine der heiligen Anastasia aufzunehmen, die der Bischof Donatus aus Byzanz mitbrachte, ein weltkluger Heiliger, der in den Händeln zwischen Karl dem Großen und dem Kaiser Nikephorus beiden zu dienen verstand. Vorrömisches, in Gräbern gefunden, illyrische Krüge, Leuchter und Münzen, Römisches, Inschriften und Schmuck, longobardisches Ornament und allerhand Mittelalter sind hier aufbewahrt und warten, bis einmal ein junger Archäologe kommen wird. Ich fand einst, nach Athen fahrend, Furtwängler auf dem Schiff. Er fragte mich: Warum gehen Euere jungen Leute nach Griechenland, während in Dalmatien noch alles zu tun bleibt? Ich antwortete: Man interessiert sich in Österreich mehr für Griechenland als für Dalmatien. Er sagte: Ach so!

Wir hätten jetzt in Wien einen, den jungen Doktor Hans Tietze. Das ist ein Schüler Wickhoffs und irgendeine Art von Genie. Er hat eine Topographie des politischen Bezirks Krems verfaßt, das schönste Buch, das in den letzten Jahren in Österreich erschienen ist; niemand kennt es. Hier wird Topographie zum erstenmal als Kunst betrieben. Dem müßte man sehr viel Geld geben und ihn auf drei Jahre nach Dalmatien schicken. Wir wüßten dann erst, was wir in Dalmatien haben.

Der Dom von Zara war zuerst eine Basilika. Davon ist nur eine einzige Säule noch übrig. Denn er wurde dann im 13. Jahrhundert völlig umgebaut, romanisch. Und später kam ein Erzbischof, der Valaresso hieß und ein Venezianer war. Darum gefiel ihm das Romanische nicht, er konnte seine Heimat nicht vergessen, mit dem Campanile, so ließ er einen solchen hier errichten. Ausgebaut wurde dieser erst in unserer Zeit, nach Skizzen Jacksons; ein Zeichen schöner Dankbarkeit, die man für sein gutes Buch über Dalmatien hat. (»Dalmatia, the Quarnero and Istria.« Das andere gute Buch über Dalmatien ist auch von einem Engländer: Adams »Ruins of Diocletian Palace at Spalato«. Dieses ist schon 1774 erschienen; jetzt wäre doch allmählich für ein österreichisches Zeit, also schickt schon den Tietze her!) Ein Zeichen schöner Dankbarkeit, gewiß, doch auch dieser ganz entkräfteten Zeit. Es wäre dem Valaresso nicht eingefallen, romanisch fortzubauen, sondern er hatte seinen eigenen Geschmack. Vergangenes auszudenken kann sich eine starke Gegenwart niemals bequemen, sondern sie setzt sich selbst her, ihrem eigenen Sinn gemäß, nach ihrer eigenen Art. Laßt uns Vergangenheiten in Museen ehren, leben aber wollen wir in unserem Eigentum! Auf dem Markt steht eine Säule hier, offenbar von einem römischen Tempel übrig. Ketten hängen daran, in der venezianischen Zeit wurden nämlich da die Verbrecher ausgestellt, es war der Pranger. Denn diese starke venezianische Zeit litt es nicht, daß irgend was Vergangenes unbenutzt in der Gegenwart herumstand.

 

Die Fassade des Doms ist übrigens unvergleichlich. Wie aus Sonnenschein gesponnen. Alles Gotische will immer über den Menschen hinaus, da fühlt er sich schon schuldig. Hier aber genießt er sich noch entzückt, und mit allen Werken loben seine Hände das Leben.

Sehr gern möchte ich von hier einmal landeinwärts, nach Zemunik, wo jetzt unter den armen Bauern in der Steinwüste Trappisten nisten. Wenn man nur ihren Namen hört, wird einem ganz unirdisch und weltstumm. Es sind aber tüchtige Landwirte, sie haben den modernen Betrieb eingeführt und nutzen die billige Menschenkraft aus. Und schließlich, ob es nun durch eine Berliner G. m. b. H. oder durch Karthäuser geschieht – wenn es nur geschieht, da es ja durch unsere Verwaltung doch nicht geschieht! Selbst von Mönchen kann man immerhin noch mehr Kultur erwarten, als unsere Verwaltung hat, und sie sind moderner.

Ich bleibe noch auf dem Deck, bis wir an Zaravecchia vorüber sind. Unsäglich traurig liegt es da. Ein Grab alter Herrlichkeiten. Einst hieß es Biograd, die weiße Stadt, und war unter kroatischen und ungarischen Königen groß. Nur Not und Schutt ist davon übrig. Und während ich im Dunkel stehe, muß ich denken: Wenn ich nun da geboren wäre und säße mit alten Büchern und läse von der versunkenen großen Zeit und hätte das Herz von den Taten meiner Ahnen voll und sähe mich dann um, auf die Not und auf den Schutt rings? Es ist noch ein Glück, daß die Leute hier nicht lesen und schreiben lernen. So wissen sie von ihrer Vergangenheit nichts. Scham und Zorn hätten ihnen sonst längst den Gehorsam ausgepeitscht. Wenn es aber einst doch geschieht, daß einige lesen lernen? Wenn ihnen einst ihre Vergangenheit erscheint? Wenn sie dann vergleichen, was sie waren und was sie sind, und die Frage steht in ihnen auf: Und jetzt, und jetzt, und jetzt?

Und plötzlich fällt mir ein: Wo sind die Deutschen? Wir haben doch Deutsche von der alten deutschen Art in Österreich. Wo bleiben sie? Deutsche Art war es von je, bedrängten Völkern beizustehen und kein Unrecht zu leiden, wo es sich auch zeige. In der ganzen Welt sind die Deutschen immer Krieger der Gerechtigkeit gewesen. So verlangt es unser Blut. Ich höre die deutsche Stimme der Väter in meinem Blut.

Aber die Nacht wird kalt, ich will lieber hinunter, zu den lustigen Offizieren.