Der Gelbe Kaiser

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Stattdessen könnte eine vollkommene Stille einen oder alle Krieger einwickeln, tiefe Nacht könnte sich in ihrem Inneren ausbreiten – alles, einfach alles ist möglich. Die bösen Geister, dringen über die Augen in eure Seelen ein – und dann seid ihr verloren.

Wer die Augen öffnet und einen der Höllenbewohner erblickt, den führt der böse Geist dorthin fort, wo kein Wesen der Welt ihm entkommen könnte. Was auch immer passiert, so lange die Krieger die Augen verschlossen halten, so lange befinden sie sich nur in geringer Gefahr.“

„Hast du schon einmal einen solchen bösen Geist gesehen, Magier?“, will Hoggo wissen.

„Nein, ich habe noch niemals die Pforten der Hölle geöffnet, weil ich sie nicht verschließen kann. Heute aber ist jemand da, der diese Aufgabe übernimmt.“

„Hm“, murmelt Hoggo, „ich habe schon verstanden, warum du den Kristall nur einmal gegen deine Feinde einsetzen kannst. Wer ist es, der sich freiwillig in diese Höllenwelt begeben will – Es kann jedenfalls kein Lebewesen sein, wie wir beide es sind. Ist es etwa auch ein Dämon oder etwa eine Gottheit, Magier? Warum aber ...“

„Es spielt für euch Darr keine Rolle, wer oder was die Pforten der Hölle von innen verschließt. Du würdest es doch nicht verstehen“, unterbricht der Magier Hoggo's Redefluss.

„Mokk wird seine Augen nicht schließen wollen, Magier.“

„Ich zwinge niemanden, die Augen zu schließen, Hoggo. Jeder der Krieger kann sich entscheiden, seine Augen nicht zu schließen – aber jeder von ihnen soll vor der Gefahr gewarnt sein.“

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Als die Nacht am dunkelsten ist, ist alles vorbereitet, um die Göttin des Silbernen Mondes auf unerklärliche Weise mit dem Kristall zu vereinigen, der nur noch schwach leuchtend aus großer Höhe ein düsteres Zwielicht in die Steppe wirft.

Einmal noch lässt der Magier die kleine Sonne hell aufleuchten, bevor er wieder seinen Arm mit der geöffneten Hand himmelwärts streckt, um den zur Sonne gewordenen Kristall endgültig wieder in seine Hand sinken zu lassen.

Während die Darr noch fürchten in der Sonne zu verbrennen, wenn diese die Erde erreicht, rast die Sonnenkugel schnell kleiner und dunkler werdend erdwärts und kommt in der offenen Hand des Magiers endlich zur Ruhe.

„Hoggo, die Krieger sollen sich jetzt auf den Boden setzen und die Augen geschlossen halten, was auch immer sie nötigt, die Augen zu öffnen. Sie können die Augen gefahrlos wieder öffnen, wenn ich sie dazu auffordere.“

„Was ist mit deinen Augen, Magier. Wirst du sie ebenfalls schließen?“

„Nein. Meine Augen bleiben offen. Als Magier kann ich mich gut gegen böse Geister und Dämonen wehren. Ich werde jetzt die “Weiße“ herbeirufen und dann die Pforten, die in das Innere des Kristalls führen, öffnen. Glaube mir, Hoggo, ich bin selbst unsagbar neugierig auf das, was sich meinen Augen darbieten wird und genauso fürchte ich es auch.“

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„Alles tot, alles verwüstet, niemand mehr übrig von den fröhlichen Menschen, die hier zu Hause waren, wo jetzt nur ausgebrannte Ruinen wie stumme Zeugen aus besseren Zeiten dem endgültigen Verfall entgegendämmern“, murmelt der Kommandant verbittert vor sich hin.

„Die Vision, die ich im Tempel hatte, ist auf grausame Weise Wirklichkeit geworden. Ich glaubte, die Gefahr käme aus der Steppe, von den wilden Reitervölkern. Ich glaubte, der Gefahr entgegenzureiten und als es Zeit war zu sterben, da war ich nicht zu Hause. Aber ich werde euch nicht noch einmal enttäuschen – euch, die ihr jetzt nur noch als Geister der Toten hier herumirrt. Ich sorge dafür, dass ihr Körperlosen Frieden finden könnt.“

Drei Tage und drei Nächte verbringt der Kommandant bei den Überresten des gepfählten Huang-tse, hält stille Zwiesprache mit dem Toten, vollzieht die Totenzeremonien für die Gepfählten, soweit der Mangel an Kultgegenständen es zulässt.

Am Morgen des vierten Tages nach seiner Rückkehr nach Pan-po, beschließt der Kommandant, das Dorf zu verlassen.

„Ich brauche eine kleine Armee“, überlegt er, „jeder Krieger von mir selbst ausgesucht und ausgebildet. Ich brauche nur wenige hundert Krieger, aus denen ich eine mobile Armee von perfekt ausgebildeten Soldaten formen werde. Diese kleine Armee wird leichtfüßig wie die Wölfe und schnell wie die Raubvögel und unsichtbar wie der Wind in der Steppe überall zuschlagen. Gegenwehr wird unmöglich sein.“

Die Gedanken des Kommandanten werden durch das Geräusch herangaloppierender Pferde unterbrochen. Eine Gruppe von Kriegern sieht der Kommandant auf sich zureiten – und doch greift seine Hand weder nach dem Schwert noch nach dem Bogen.

„Entweder“, murmelt er still vor sich hin, „bin ich vor Trauer verrückt geworden oder die Geister der Toten reiten jetzt durch die Steppe. Diese Krieger sollte ich kennen. Verdammt, es sind Krieger aus dem Dorf!“

Die kleine Gruppe der Krieger reitet in schnellster Gangart auf den Kommandanten zu, dessen Augen vor Begeisterung für einen kleinen Augenblick vor Freude hell aufleuchten.

„Kommandant, Shang-ti sei gedankt, dass wir dich wenigstens lebend und frei hier antreffen.“

„Auch ich will unserem Gott nicht länger zürnen. Hat er doch wenigstens zehn meiner Krieger aus unserem Dorf überleben lassen. Wo wart ihr, als im Dorf der Tod sein Maul aufgerissen und Väter und Söhne, Mütter und Töchter, Brüder und Schwestern und alle unsere tapferen Krieger verschlungen hat? Gibt es noch weitere Überlebende?“

„Ja, Kommandant. Fünfzig Krieger mit ihren Mädchen oder Frauen haben den Zorn der Götter überlebt. Das hast du dem klugen Yao zu verdanken. Als die ersten Kundschafter des Kaisers vor den Toren von Pan-po erschienen und als klar wurde, dass der Kaiser ein großes Heer von Kriegern gegen uns ausgesandt hat, da wusste Yao sofort, dass dies das Ende von Pan-po und seinen Kriegern und Bewohnern sein würde. Er befahl uns, solange der Feind uns noch nicht eingekreist hatte, das Dorf zu verlassen, um in einem sicheren Versteck, das Ende der erwarteten Kämpfe abzuwarten. Er hat uns strengstens untersagt, vor dem Frühjahr hier im Dorf wieder zu erscheinen.“

„Dann habt ihr euch in den Höhlen versteckt, wo wir unsere Nahrungsmittelvorräte und Waffen für den Notfall deponiert haben?“

„Ja, Kommandant. Wir waren mit Yao's Befehl natürlich nicht einverstanden. Jeder von uns, auch die Frauen und Mädchen, wollte lieber sterben, als wie Feiglinge die Zeit des Krieges in der Sicherheit eines Verstecks zu verbringen.“

„Das war außergewöhnlich klug von Yao und ihr musstet seinem Befehl gehorchen!“

„Kommandant, hätte Yao nicht so klug zu uns geredet, ich glaube, keiner von uns hätte seinem Befehl Folge leisten können.“

„Was hat er denn gesagt?“

„Er sagte, Kommandant, dass es nicht so wichtig sei, wer sterben wird und ob unser schönes Dorf niedergebrannt wird, wenn nur genügend junge Krieger und Mädchen übrig bleiben, um Pan-po aus seinen Trümmern neu entstehen zu lassen und es wieder von neuem mit Leben zu erfüllen.“

„Yao, mein lieber Freund Yao. Ich bin dir so dankbar für deine kluge und weise Voraussicht“, flüstert der Kommandant unhörbar für die Ohren der vor ihm auf ihren Pferden sitzenden Krieger.

„Im gleichen Atemzug danke ich dir, wie ich auch unserem Gott Shang-ti dafür danke, dass nicht durch meine Schuld Pan-po und alle seine Bewohner für alle Zeiten aus der Welt, aus unserem Teil der Steppe verschwunden sind.“

„Wie geht es nun weiter Kommandant?“, wollen die jungen Krieger wissen. „Wir wollen gerne sterben, wenn wir dabei Vergeltung am Kaiser üben können.“

„Seit ich euch habe“, lächelt der Kommandant, „ist alles viel leichter für mich geworden. Überall in der Steppe trifft man marodierende Soldaten des Kaisers, meistens schlecht versorgte Krieger, die sich unerlaubt aus der Armee des Kaisers entfernt haben. Wir werden sie jagen, einfangen, die besten von ihnen auswählen und mit ihnen eine kleine, aber ausgesprochen schlagkräftige Armee aufbauen.“

„Sie sollen gute Schwertkämpfer und Bogenschützen sein, diese Krieger des Kaisers, Kommandant.“

„Sie werden gute Krieger sein, meine Freunde, wenn ich sie ausgebildet habe. Auch ihr werdet von mir erst noch zu perfekten Kriegern ausgebildet. Das gilt auch für eure Mädchen. Am Ende der Ausbildung kämpft jeder von euch, Krieger oder Kriegerin, mit der Kriegslanze der Darr ebenso gut, wie die Darr und mit Schwert und Bogen werdet ihr es mit den besten Kriegern des Kaisers aufnehmen können. Ihr werdet lernen, im Umgang mit dem Feind hinterlistig und heimtückisch zu denken und zu handeln und nur gegen eure Freunde ehrlich und aufopferungsvoll und treu zu sein. Denn nur wer selbst hinterlistig und heimtückisch zu denken gelernt hat, kann Hinterlist und Heimtücke des Feindes erkennen und gegebenenfalls auch entgehen. Ihr werdet lernen, wie leicht es ist, ohne Waffe dem Feind großen Schaden zuzufügen, nur durch Lügen und Betrügen, durch Heimtücke und Hinterlist.

Ihr werdet lernen, jedes Mittel zu wollen, dass euch zum Ziel führt. Mitleid werdet ihr nur noch für eure Freunde und eure Pferde verspüren und niemals werdet ihr jemandem so trauen, wie ihr lernen werdet, eurem Kommandanten zu trauen. Ihr werdet lernen, selbständig zu denken und zu handeln, wenn ihr im Feindesland auf euch allein gestellt seid. Und mit der gleichen Leichtigkeit, mit der ihr lebt, werdet ihr auch lernen zu sterben, wenn es nötig wird …“

_

Das Frühjahr weicht dem heißen Sommer und als auch diese Jahreszeit beginnt, dem Herbst zu weichen, beginnt die Jagd auf die marodierenden Krieger des Kaisers erste Früchte zu tragen. Unermüdlich trainiert der Kommandant die von ihm sorgfältig ausgewählten Krieger, die er gefangen hat. Er formt, er lobt und tadelt. Gibt den Kriegern des Kaisers, was der ihnen vorenthalten hat, gibt ihnen Anerkennung und Ehrgefühl, schenkt ihnen Vertrauen und empfängt Vertrauen. Macht Feinde zu Freunden, zu Kameraden, in deren Nähe kein Mädchen sich vor Gewalt und Schande fürchten muss, lehrt die Krieger Wahrheit und Ehre, aber auch Heimtücke und Hinterlist, Lug und Betrug als erlaubte Mittel im Krieg gegen den übermächtigen Feind…

 

Als der Sommer sich seinem Ende zuneigt, befiehlt der Kommandant über eine zweihundert Krieger und Kriegerinnen zählende Kriegerelite, die längst begonnen hat, unter den über den Huang-ho vorgeschobenen militärischen Vorposten des Kaisers Unruhe zu stiften.

„Ihr seid die Tod bringende Lanzenspitze einer Armee“, wendet sich der Kommandant an seine Krieger, „der nur noch der lange, schwere Schaft fehlt. Es gibt weder im Himmel noch hier unten bei uns Sterblichen bessere oder klügere Krieger als euch. Ich bin zwar euer Kommandant und ihr sollt meinen Befehlen gehorsam Folge leisten – in jeder anderen Hinsicht aber bin ich einer wie ihr, bin einer von euch.“

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Weder dem Kommandanten noch den vielen anderen Bewohnern in dem Teil der Steppe, den der Huang-ho von drei Seiten im Westen im Norden und im Osten begrenzt, ist das Licht der magischen Sonne entgangen, das noch weit über die Grenzen hinaus, die der Lauf des Gelben Flusses zieht, dunkle Nacht in hellen Tag verwandelt hat.

„Verdammt“, murmelt der Kommandant, „die Visionen erfüllen sich eine nach der anderen …“

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„Mein lieber Wu“, flüstert der Magier, „die Achtbeinigen sind weg – und mit ihnen sind auch die Darr verschwunden. Es scheint überhaupt alles verschwunden zu sein. Wohin, bei allen Göttern, ist die Steppe verschwunden, die Sonne, das Licht, der blaue Himmel mit seinen weißen Wolken? Ist dies nicht alles unbegreiflich, mein Freund, ist es nicht zum Fürchten? Ach, du bist auch verschwunden und ich bin als einziger in der Leere zurückgeblieben, in die eben noch die Erde, die Steppe, meine Heimat, Himmel, Wolken und mein Wu eingebettet waren. Wo soll ich suchen, scheine ja selbst in Leere eingehüllt zu sein. Das ist die Rache der Gottheit.“

„Hast du dies alles nicht schon einmal erlebt, diese Gespräche mit dir selbst, die unerreichbare Ferne von Dingen, die doch direkt vor dir zu sein scheinen, die nicht groß und nicht klein sind und die Unbeschreibbarkeit des Ortes und der Dinge in ihm?“

„Ja, das kommt mir bekannt vor und ist doch irgendwie anders. Ich habe den Verstand verloren.“

„Ja, falls du jemals Verstand besessen hast.“

„Vielleicht bin ich auch nur in einer Umgebung, die für die Hände des Verstands nicht zu ergreifen sind. Ja, dann wäre nicht ich verrückt, meine Umgebung ist verrückt.“

„So, wie es aussieht, bist du in gar keiner Umgebung.“

„Aber ich kann doch nicht im Nichts sein. Ich wäre dann doch selbst ein Nichts. Ich denke und ich bin mir doch meiner selbst bewusst als Huang, der Enkel des Huang-tse, als Denkender, also habe ich auch Existenz – also bin ich auch irgendwo, bin nicht im Nichts ...“

„Vielleicht schläfst und träumst du nur, werde wach und alles ist vielleicht vorbei!“

„Hm, und wenn ich es wäre, der verschwunden ist, während alles, was ich für verschwunden hielt, sich noch an dem Platz befindet, den ihm die Weisheit der Götter und der Natur bestimmt hat …?“

„Beende den sinnlosen Versuch, etwas verstehen zu wollen, was für Menschen zu verstehen nicht gedacht ist.“

„Sicher bin ich wieder auf dem Dunklen Planeten – war vielleicht noch gar nicht weg von ihm und habe möglicherweise nur geträumt, fort vom Dunklen Planeten gewesen zu sein. Verdammt, die Wirklichkeit hat keinen Henkel und die Welt der Träume und des Wahnsinns hat auch keinen Griff, an dem sie zu ergreifen wäre …“

„Wie aber kannst du diesem Wahnsinn entfliehen? Hier scheint es keinen Ausgang zu geben.“

„Es gab doch einen Eingang, den nehme ich als Ausgang.“

„Nein, nein, das funktioniert nicht. Du hast es anderen doch selbst unzählige Male erklärt, dass die Höllenwelt von innen keinen Ausgang hat, während sich der Eingang in einer gänzlich anderen Welt, in deiner Welt, befindet. Es gibt kein Zurück.“

„Die innere Welt des Kristalls wäre demnach nicht die Innenwelt des Dunklen Planeten, dem ich entkommen konnte.“

„Gegen was wolltest du hier, wo und was immer ‚hier’ auch sein mag, deine mentale Zerstörungskraft einsetzen! Was ist es, das hier zerstört werden könnte. Versuch es doch!“

Ratlosigkeit und die Furcht einflößende, unbegreifbare Umgebung, beginnen das Denken und Handeln des Magiers zunehmend zu bestimmen. Wie gern würde er jetzt den immer unerträglicher werdenden Zustand mit einem zielgerichteten Einsatz seiner Zerstörungskraft beenden, sich einen Ausweg aus der puren Ausweglosigkeit erzwingen.

Der Magier fragt nicht mehr nach Vernunft. Er lässt die vor seinem inneren Auge rotierende Klinge aufs Geratewohl sich selbst Weg und Ziel suchen, wo es keine Ziele und Wege gibt.

Unvermittelt beginnt sich alles Sein um den Magier herum noch einmal zu verändern. Wenn es ein Nichts, eine absolute Leere im Irgendwo des Sternenmeers gibt, dann ist dieses Irgendwo dort, wohin es den Magier unversehens verschlägt. Dorthin, wo ihn der Anblick der Gleichzeitigkeit aller Ereignisse der Welt der Räumlichkeit und Zeitlichkeit vom äußersten Ende der Vergangenheit bis zum letzten Augenblick der Zukunft erwartet und erschreckt. Hatte er nicht Ähnliches schon einmal erlebt – im Sonnenboot?

Ja, damals war er tot und heute ist er gefangen.

Gefangen in einer Welt ohne Wandel und Handlungsmöglichkeit – gefangen in einem Sein, das den allmächtigen Gottheiten allein angemessen und vorbehalten ist. Dem Magier ist es unmöglich, sich ohne die Hilfe einer mächtigen Gottheit zu befreien ...

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„Magier, ich muss dich unbedingt etwas fragen“, wendet sich He an den Magier und Ho und Ha fallen ihr lachend gleichzeitig ins Wort. „Ja, sie zerplatzt sonst vor lauter Neugierde.“

Seit die kleine Gruppe von Reitern vor einigen Tagen das Lager der Darr verlassen und sich auf den langen Weg in die Heimat des Magiers gemacht hat, reitet der Magier auf seinem Pferd schweigend neben seinen neuen Gefährten her, spricht nur, wenn es die Höflichkeit geboten erscheinen lässt.

„Nun, He, ich möchte nicht, dass du vor Neugier wie eine reife Melone, die auf den Boden fällt, zerplatzt“, antwortet der Magier mit leisem Lächeln im Gesicht, das die jungenhafte Frische verloren zu haben scheint.

„Jeder der Krieger, mit dem ich gesprochen habe, hat in dem kurzen Augenblick, in dem du die Achtbeinigen in deinem Kristall hast verschwinden lassen, etwas sehr Merkwürdiges in der Art eines nächtlichen Traumes erlebt – und jeder hatte den gleichen Traum. Willst du wissen, welchen Traum sie hatten?“

„Nein!“

„Hast du auch geträumt, Magier?“

„Ich weiß es nicht, He“, antwortet der Magier wahrheitsgemäß. Sein treuer Freund Wu hatte ihn nicht für den kleinsten Augenblick aus den Augen gelassen in der Zeit, als er das Eingangstor zur Innenwelt aufgestoßen zu haben glaubte und doch war außer dem schlagartigen Verschwinden der Achtbeinigen im unfehlbaren Gedächtnis seines Wolfs nicht der geringste Hinweis enthalten, der auf Ungewöhnliches hingedeutet hätte.

„Was weißt du nicht?“

„Die Wirklichkeit hat keine Henkel, meine ich, und Träume haben keinen Griff …“

„Hm“, antwortet He verwirrt und „Hm“, schallt es einfallslos von den Schwestern zurück.

„Hast du die Antwort gehört, Bruder? Ich glaube, der ist total verrückt geworden! Wie kann denn ein Traum einen Griff haben und wozu …?“

„Er ist rätselhaft“, antwortet der Sohn des Mokk, „aber wäre er nicht rätselhaft, dann wäre er auch kein Magier. Vielleicht wollte er dir nur das mitteilen.“

„Als Bogenschütze wäre er mir wesentlich lieber. Welches Mädchen versteht schon einen Magier…!“

„Ich glaube fast, du magst ihn, den Bogenschützen, der sich weigert ein Krieger zu sein.“

„Unsinn, du Blödmann, ich habe nur Mitleid mit ihm!“

„Du hast dir heute Morgen dein Haar gekämmt und geflochten und wenn du ihn heimlich anschaust, dann funkeln deine Augen … vor Mitleid natürlich!“, lacht der Bruder fröhlich und freut sich über die Röte, die für einen Moment über das Gesicht der Schwester huscht.

„He“, neckt der Sohn des Mokk die Schwester, „nach unseren Vorstellungen ist der Magier sogar ein reicher Mann mit all den Pferden und Waffen, die er im Kampf gegen die Krieger des Kaisers erbeutet hat.“

„Ja, Bruder, ich wollt, ich hätte eines der Schwerter und einen der wunderbaren Kriegsbögen, von denen der schlechteste viel besser ist, als der beste Bogen, den ein Darr je besessen hat …“

„Ja, es müssen herausragende Krieger gewesen sein, die so edle Waffen besessen haben.“

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Ein ereignisloser Tag folgt dem anderen. Die Schweigsamkeit des Magiers scheint ansteckend zu wirken und als die kleine Gruppe von Reitern so viele Tage wie drei Hände Finger haben unterwegs ist, sind auch Ho und Ha endgültig verstummt.

Die Sonne steht kurz vor dem Höhepunkt ihres gebogenen Himmelswegs, als der laute Schrei eines Adlers hoch über den Köpfen der Reiter die vor sich hin Träumenden aus ihren Gedanken und Träumereien reißt. Der Magier streckt einen Arm aus und der Raubvogel fällt im Sturzflug hinunter. Neugierig beobachten die Gefährten, wie der Raubvogel sein Gesicht dem des Magiers nähert, als hätte er ihm Wichtiges zu flüstern.

„Hat dein geflügelter Freund dir Neuigkeiten mitgeteilt?“, fragt He neugierig und auch die anderen

Gefährten können ihre Neugierde kaum beherrschen.

„Nein“, antwortet der Magier kurz und lenkt sein Pferd aus der ursprünglichen Richtung einem neuen Ziel entgegen.

„Und warum änderst du gegen unsere ursprüngliche Absicht die Richtung, die in deine Heimat führt, die wir wohl nie erreichen werden, wenn wir der neuen Richtung folgen?“

„Jede Antwort auf ein Rätsel, meine liebe He, ist die Mutter für zehn neue Rätsel.“

„Werden wir auf Feinde treffen, Huang?“, lässt He nicht locker.

„Schon möglich.“

„Du weißt, ich bin gänzlich unbewaffnet, Huang. Da fühlt sich kein Krieger wohl in seiner Haut.“

„Was für Waffen hättest du gern, He?“

„Wäre es unehrenhaft, Huang, wenn ich mir ein Schwert und einen Kriegsbogen mit Köcher und Pfeilen aus deiner Beute wünsche?“

„Ich habe nichts dagegen einzuwenden, He. Aber deine Augen schweifen in die falsche Richtung. Die Waffen des Anführers der kaiserlichen Delegation, die wir so überaus freundlich willkommen geheißen haben, sind für meinen Freund Yao bestimmt. Jeder Bogen und jedes Schwert aus der Beute, die von unseren Lastpferden hinter uns her getragen werden, ist von außergewöhnlicher Qualität. Der Waffenschmied dieser Schwerter ist den Waffenschmieden in meiner Heimat so überlegen, wie die Götter den Menschen. Die Waffen auf dem ersten unserer Lastpferde sind für meine Freunde in der Heimat bestimmt, ansonsten überlasse ich dir die Auswahl. Ich sehe auch, dass der Sohn des Mokk noch kein Schwert besitzt. Wenn er will, dann soll er sich ebenfalls ein Schwert und einen Bogen aussuchen.“

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