Soziologische Kommunikationstheorien

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Soziologische Kommunikationstheorien
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Prof. Dr. Rainer Schützeichel lehrt an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.

Rainer Schützeichel

Soziologische Kommunikationstheorien

2., überarbeitete Auflage

UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/Lucius · München

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter

www.utb-shop.de.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2004

2. Auflage 2015

© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Einbandmotiv: © Diego Schtutman/Shutterstock.com

Lektorat: Marit Borcherding, München

Satz: Claudia Wild, Konstanz

UVK Verlagsgesellschaft mbH

Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz

Tel.: 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98

www.uvk.de

UTB-Band Nr. 2623

ISBN 978-3-8252-4469-9 (Print)

ISBN 978-3-8463-4469-9 (EPUB)

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Neuauflage

Einleitung


1Soziologie der Kommunikation
1.1Alltagskonzepte
1.2Kommunikationstheoretische Modelle
1.3Ausdruck und Eindruck
1.4Ergon und Energeia
1.5Kommunikation als Semiose
1.6Sprache und Sprechen
1.7Sprache als Organon
1.8Funktionen von Kommunikation
1.9Syntax, Semantik und Pragmatik
1.10Hermeneutik und Kommunikation
1.11Sprachsoziologie und Soziolinguistik
1.12Zwischenbilanz
2Pragmatismus und symbolische Interaktion
2.1Die soziologische Entdeckung der Kommunikation
2.2Der ›social act‹
2.3Gesten, Symbole und Bedeutung
2.4Mind
2.5I, Me and Self
2.6Symbolischer Interaktionismus
2.7Zwischenbilanz
3Exkurs 1: Meinen und. Sagen
4Sozialphänomenologische Fundierungen
4.1Phänomenologische Protosoziologie
4.2Subjektivität und Intersubjektivität
4.3Intersubjektivität und Fremdverstehen
4.4Intersubjektivität und Sprache
4.5Typisierungen und Idealisierungen
4.6Appräsentationen
4.7Lebenswelt, Sprache und Kommunikation
4.8Kommunikative Gattungen
4.9Zwischenbilanz
5Exkurs 2: Kommunikative Reflexivität und Verstehen
6Ethnomethodologie und Konversationsanalyse
6.1Accountability
6.2Präsuppositionen
6.3Accounts
6.4Indexikalität
6.5Organisation der Konversation
6.6Turn takings
6.7Adjacency pairs
6.8Multimodalität der Interaktion
6.9Zwischenbilanz
7Exkurs 3: Sprechakttheorie
8Die kommunikative Rationalität der Kommunikation
8.1Handlungen und soziale Ordnungen
8.2Sprechakte und Geltungsansprüche
8.3Kommunikative Rationalität
8.4Kommunikative Rationalität und Diskurs
8.5Pragmatische Bedeutungstheorie
8.6Universalpragmatik und soziologische Handlungstheorie
8.7Handlungen
8.8Zwischenbilanz
9Die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation
9.1Theoretische Ausgangsfrage
9.2Sinn, Beobachtung und Kommunikation
9.3Komponenten der Kommunikation
9.4Kommunikation und Handlung
9.5Soziale Systeme, psychische Systeme und Personen
9.6Doppelte Kontingenz
9.7Die Selektivität der Kommunikation
9.8Zwischenbilanz
10Exkurs 4: Kommunikation, Regeln und Sprachspiele
11Die Ökonomie des sprachlichen Tauschs
11.1Habitus, Feld, Kapital
11.2Kritik der intellektualistischen Kommunikationstheorien
11.3Strukturale Sprachsoziologie
11.4Symbolische Macht
11.5Zwischenbilanz
12.Cultural Studies
12.1Encoding and Decoding
12.2Lesarten von Kommunikation
12.3Zwischenbilanz
13.Zum Abschluss: Soziologie der Kommunikation

Abbildungsverzeichnis

 

Literatur

Vorwort zur Neuauflage

Der Verfasser konnte erst nach langer Zeit dem Wunsch des Verlages nach einer Überarbeitung der Erstauflage dieses einführenden Lehrbuchs in soziologische Kommunikationstheorien nachkommen. Dies war zum einen dem überbordenden und dem mit engen Fristen operierenden Tagesgeschäft an der Universität und innerhalb der ›scientific community‹ geschuldet, welches nur bei einer gewissen Rigidität einen kleinen Raum für langfristige Vorhaben lässt. Mehr noch spielte zum anderen die Ratlosigkeit des Verfassers darüber eine Rolle, wie man einen komplexen Sachverhalt und sowohl horizontal wie vertikal stark verästelte Theorien in die Form einer für die neuen Studiengänge tauglichen Form gießen und dabei gleichzeitig der Bitte des Verlags nach einer deutlichen Verschlankung des Textes entsprechen kann. Denn schon die Erstauflage sparte manche Theorietradition aus und vernachlässigte zentrale Gegenstandsbereiche wie etwa die Medienforschung.

Nun hat sich der Verfasser entschlossen, diesen Grenzziehungen mittels einer kombinierten Strategie zu begegnen. Auf der einen Seite wird in dieser überarbeiteten Neuauflage die schon in der Erstauflage verfolgte Konzentration auf eine leitende Fragestellung noch entschiedener verfolgt und das Profil als Einführung gestärkt. Dabei rückt die analytische Perspektive in den Vordergrund, die sich damit befasst, wie von bedeutsamen soziologischen Theorien Kommunikationsprozesse konzipiert und analysiert werden. Danach richtet sich die Auswahl der vorgestellten Theorien und Themen. Zwar sind manche Kapitel der Erstauflage gekürzt oder gar gestrichen worden, mit der Kommunikationstheorie von Stuart Hall wird jedoch nunmehr eine wichtige theoretische Strömung aufgenommen. Alle weiteren kommunikationstheoretisch und soziologisch wichtigen Fragen finden ihre Antwort in einem weiteren Band. Das vorliegende Buch wird also hoffentlich in nicht allzu weiter Ferne um einen Band ergänzt, der sich in systematischer Weise mit strukturellen und historischen Formen von Kommunikation befassen wird. Ein kleiner Ausblick auf diese Themen findet sich im abschließenden Kapitel.

Bielefeld, im Juli 2015

Rainer Schützeichel

Einleitung

Es gibt kein soziales oder gesellschaftliches Leben ohne Kommunikation. Kommunikation ist ein, wenn nicht der zentrale Akt, durch welchen sich die Gesellschaft produziert und reproduziert. Entsprechend ist auch für die Wissenschaft der Gesellschaft die Analyse von Kommunikation von zentraler Bedeutung. Daraus resultiert eine Vielzahl von soziologischen Theorien, die sich mit der Analyse von Kommunikation und kommunikativen Prozessen befassen und dabei unterschiedlichste analytische Perspektiven und Fragestellungen voraussetzen.

Das vorliegende Buch richtet sich an Studentinnen und Studenten, die sich einführend mit soziologischen Kommunikationstheorien befassen. Deshalb verhandelt es nur einige ausgesuchte Theorien und Themen, die zudem auch nicht in der ihnen eigenen Tiefe und der Breite ausgelotet werden. Es bleibt also nicht aus, dass man den einen oder anderen theoretischen Ansatz hier vermissen wird.

Was diese Einführung bietet, ist die Analyse der verschiedenen Theorien unter einer spezifischen Fragestellung: Wie erklären sie das Prozessieren von Kommunikation? Wie beschreiben sie Kommunikationsprozesse? Wir befassen uns also mit einer abstrakten Fragestellung, die gerade auch für die soziologische Theoriebildung von Interesse ist. Wie ist überhaupt Kommunikation möglich? Diese relativ abstrakte Fragestellung wird aus folgendem Grunde gewählt: Die Einführung ist aus Vorlesungen und Seminaren an verschiedenen Universitäten hervorgegangen. Hier hat sich gezeigt, dass es für viele Studentinnen und Studenten in den ersten Semestern ihres Studiums schwierig ist, einen guten Einstieg in die spezifischen Fragestellungen der Soziologie zu finden. Man kann versuchen, einen Sachverhalt deskriptiv gut zu beschreiben, also zu klären, was eigentlich der Fall ist. Man kann auch die Frage stellen, wie ein Sachverhalt zu erklären ist. All das sind wichtige soziologische Techniken. Um aber eine spezifisch wissenschaftliche Haltung zu den Dingen zu finden, ist vielleicht kein Weg geeigneter als derjenige, Vertrautes in Unvertrautes oder Evidentes in Problematisches zu überführen. Unsere Alltagsintuitionen müssen auf Abstand gebracht werden. Wir alle kommunizieren tagtäglich in vielfacher Weise. Kommunikation ist uns allen also überaus vertraut. Dass wir kommunizieren können, ist ein selbstverständlicher, evidenter Sachverhalt. Was aber sind die strukturellen oder funktionalen Bedingungen dafür, dass wir kommunizieren können? Diese analytische Verfremdung oder Problematisierung eines Sachverhalts ist überaus wichtig, um richtige Fragen stellen und adäquate Forschungen betreiben zu können, aber sie ist auch aus didaktischen Gründen geeignet, um in die Soziologie im Allgemeinen und die Kommunikationstheorie im Besonderen einzuführen.

Aus diesem Grunde werden in dieser Einführung solche theoretischen Ansätze behandelt, die uns verschiedene Vorschläge und Antworten darüber unterbreiten können, wie Kommunikation möglich ist. Und die verschiedenen Ansätze werden daraufhin verglichen, welche Aussagen sie bezüglich dieser Frage machen, welche Bezugsprobleme von Kommunikation sie identifizieren und welche Antworten sie geben. Andere Theorien wie auch andere Forschungsfragen können hier nicht analysiert werden. Dies gilt beispielsweise für die soziologische Medienforschung im engeren Sinne, also für die Kommunikation, die früher als Massenkommunikation bezeichnet wurde und heute unter Einschluss der digitalen Kommunikation in den Zuständigkeitsbereich der Mediensoziologie fällt. Dies gilt auch für eine intensivere Analyse der primären Kommunikationsmedien wie Sprache, Bild oder akustische Medien. Auch diese Thematik lässt sich hier nur andeuten.

Zum Schluss dieser Einleitung stellen wir noch die Familie Schmidt vor. Herr und Frau Schmidt sind diejenigen Kommunikationspartner, auf die wir in unseren Darstellungen immer wieder zurückkommen, um bestimmte exemplarische Situationen oder Fälle zu analysieren.

1 Soziologie der Kommunikation

Die moderne Gesellschaft wird als eine Mediengesellschaft, Kommunikationsgesellschaft oder Informationsgesellschaft bezeichnet. Die Bedeutung der Massenmedien wächst stetig, die Alltagswelt wird immer stärker von den Massenmedien durchdrungen. Diese wirken nicht nur in die Tiefe, sondern auch globalisierend in die Breite und können selbst – man denke an die Paralyse der realsozialistischen Länder – riesige Reiche ins Wanken bringen. Die durchdringende Mediatisierung und Kolonialisierung unseres Alltagslebens durch die neue Kommunikationsform Internet ist offensichtlich – mit noch nicht absehbaren Folgen. Und bei zwischenmenschlichen Problemen wird uns von sämtlichen Experten empfohlen, man solle doch miteinander reden. Für alle von uns spielen die Möglichkeiten, kompetent an den gesellschaftlichen Kommunikationsformen teilzuhaben, eine immer größere Rolle. Wir sind von den ersten Schuljahren an mehr oder weniger dazu gezwungen, uns in fremden Sprachen zu üben und sie zu erlernen. Bilingualität wird allmählich zum Ausbildungsstandard in vielen Berufen. Die kommunikative Kompetenz, die richtige kommunikative Dramaturgie und Inszenierung stellen einen enorm wichtigen Selektionsfaktor für unsere Karrieren dar. Dies bezieht sich nicht nur auf unsere sprachlichen Potenziale, sondern auch auf die Fähigkeit, in anderen Zeichen- und Kommunikationssystemen eine, wie man heutzutage sagt, adäquate Performanz zu bieten. Man denke beispielsweise an Zugehörigkeit zu Gruppen und zu Lebensstilen, die wir durch unseren Körper, unser Outfit und insbesondere durch unsere Kleidermoden kommunizieren. Wir reden und hören, schreiben und lesen, sehen fern oder lassen uns musikalisch in einer erstaunlichen Permanenz berieseln – wann eigentlich kommunizieren wir in unserem alltäglichen Leben nicht?

 

Diese oberflächlichen Indizien mögen genügen, um auf die enorme Relevanz von Kommunikation für das Leben in modernen Gesellschaften hinzuweisen. In dieser Hinsicht ist Kommunikation in all ihren verschiedenen Formungen und Differenzierungen ein zentrales Objekt der soziologischen Forschung über die Bedingungen und Strukturen der modernen Gesellschaft. Kommunikation nimmt dabei durchaus ambivalente Züge an. Die Veränderungen der Kommunikationsformen werden einerseits für den radikalen Wandel verantwortlich gemacht, dem sich die moderne Gesellschaft ausgesetzt sieht, sie werden andererseits aber auch gerade als Lösung für das von ihr hervorgerufene Problem angesehen – nur in und durch Kommunikation und nicht mehr in festen, allseits akzeptierten Werten, Normen oder uniformen Kulturen scheinen sich moderne Gesellschaften in einer fragilen Weise integrieren zu können.

Zum anderen tritt aber Kommunikation in all ihren Formen und Ausprägungen nicht nur als ein zu erforschender Sachverhalt in den Blickpunkt der Soziologie, sondern mehr und mehr auch als ein zentraler Leitbegriff der soziologischen Theoriebildungen. Manche Wissenschaftler sprechen schon seit Längerem von einem ›communicative turn‹ (vgl. Knoblauch / Luckmann 2000, Knoblauch 2000) in der Soziologie. Sie denken beispielsweise an die Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas, an die soziologische Systemtheorie von Luhmann und selbstverständlich auch an ihren eigenen sozialphänomenologischen Ansatz. Diese Ansätze rücken Kommunikation in den Mittelpunkt ihrer Theoriebildung. Die Soziologie ist bekanntlich sehr reich an Kontroversen über Theoriebildungen, über ihre Erkenntnisziele und ihre Grundbegriffe. Und so ist der communicative turn vorläufig der letzte in einer längeren Reihe von turns, die sie in den letzten Jahren ereilt haben, angefangen von einem ›linguistic turn‹ in den 1980er-Jahren über den ›cultural turn‹ in den 1990er-Jahren. Es mag dahingestellt sein, ob man wirklich von einer kommunikativen Wende sprechen kann. Mit guten Gründen ließe sich argumentieren, dass ›Kommunikation‹ der Sache nach schon immer im Zentrum der Soziologie gestanden hat. Aber man darf vermuten, dass die postulierte kommunikative Wende in keinem zufälligen Zusammenhang mit den Veränderungen der Gesellschaft steht. Sowohl als Objekt wie als zentraler Begriff soziologischer Theorien genießt ›Kommunikation‹ also eine erhöhte Aufmerksamkeit.

Kommunikation ist natürlich auch Gegenstand anderer Wissenschaften. Eine Disziplin, die Publizistik oder Kommunikationswissenschaft, manchmal auch Medienwissenschaft genannt, hat insbesondere die Massenmedien wie Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen zu ihrem Thema. Von besonderer Relevanz ist natürlich die Linguistik, insbesondere die Soziolinguistik. Diese weist eine hohe Affinität zur Soziologie der Sprache auf, wobei die Übergänge zwischen beiden Disziplinen durchaus fließend sind. Beide befassen sich mit den sozialen Bedingungen und sozialen Konsequenzen sprachlichen Verhaltens und sprachlicher Kompetenzen. Eine enge Beziehung besteht auch zu der Lehre von den Zeichen, der Semiologie oder der Semiotik, die im vorletzten Jahrhundert als moderne Wissenschaft gleich zweimal begründet wurde – von dem Philosophen und Logiker Charles Sanders Peirce und von Ferdinand de Saussure als dem Ahnherrn der modernen Linguistik. Auch die Geschichtswissenschaften werden in Gestalt einer Mediengeschichte mehr und mehr auf die Bedingungen und die Folgen der verschiedenen Formen menschlicher Kommunikation für die Analyse historischer Verläufe und Entwicklungen aufmerksam (vgl. Faßler / Halbach 1998, Schanze 2001). Medien werden in den letzten Jahren zum Kristallisationskern eines neuen wissenschaftlichen Trends, der den Titel ›Kulturwissenschaft‹ trägt. Zu dieser können insbesondere geisteswissenschaftliche Disziplinen wie die verschiedenen Philologien, Kunst- und speziellen Kulturwissenschaften gerechnet werden. Die Psychologie befasst sich mit den psychischen Voraussetzungen für die Teilnahme an und den psychischen Folgen von Kommunikation. In den Erziehungswissenschaften werden neue pädagogischer Felder erfunden und erforscht, beispielsweise die Medienpädagogik oder neue Bildungstechnologien. Und schließlich ist die Philosophie, insbesondere die Sprach- und neuerdings auch die Medienphilosophie (vgl. Hartmann 2000), als eine wichtige Nachbardisziplin zu nennen.

In der Soziologie ist die Analyse von Kommunikation auf eine Vielzahl von verschiedenen Subdisziplinen aufgeteilt. Zu diesen gehört beispielsweise die Sprachsoziologie (vgl. Cicourel 1978, Schütze 1975), die sich mit den verschiedenen Sprachformen in ihren kommunikativen Verwendungsweisen, mit dem Verhältnis von Sprache, Wissen und Kultur oder der sprachlichen Kompetenz von Sprechern befasst. In dem Gebiet der sozialen Semiotik finden sich Soziologie und die Wissenschaft von den Zeichen, die Semiologie oder Semiotik, zusammen, um die verschiedenen Zeichensysteme in ihren sozialen Kontexten zu untersuchen. Eine weitere Sparte stellt die mikrosoziologische Analyse von Interaktionen dar. Sie befasst sich mit der mündlichen Kommunikation in so genannten Face-to-Face-Beziehungen. Die bedeutendste und bekannteste Interaktionssoziologie liegt in dem Werk von Erving Goffman (vgl. Goffman 1971) vor. Als Kommunikationssoziologie wird in der Soziologie häufig die Subdisziplin bezeichnet, die sich mit den sogenannten Massenmedien befasst. Sie untersucht die Produktions- und Rezeptionsweisen von Verbreitungsmedien wie Fernsehen, Zeitschriften und Zeitungen. Mit den neuen, sogenannten digitalisierten Kommunikationsmedien wie dem Internet beschäftigt sich zudem die sogenannte Techniksoziologie wie auch allgemein die Kultursoziologie.

Daneben gibt es zahlreiche andere Einzelforschungen und Einzeldiskurse, die sich mit spezifischen Themen auseinandersetzen. So interessiert sich einer der berühmtesten Soziologen, Georg Simmel, beispielsweise für den Brief, das Schreiben von Briefen und sozialen Konsequenzen, die damit verbunden sind, dass Menschen einander Briefe schreiben (vgl. Simmel (1908 / 1992: 429–433). Andere Soziologen befassen sich mit Gesellschaften, in denen es keine oder Schrift gab. Diese so genannten oralen Kulturen mussten ihr soziales Leben und ihren kognitiven Haushalt völlig anders strukturieren und organisieren als Schriftkulturen oder gar Gesellschaften wie unsere heutige Gesellschaft, die auf digitale Techniken zurückgreifen können. Wiederum andere Forschungsfelder untersuchen beispielsweise Kommunikationsweisen in spezifischen sozialen Systemen, beispielsweise in Organisationen und Familien. Und wenn man einen weiten Kommunikationsbegriff verwendet, dann können auch solche Disziplinen wie die Soziologie der Wirtschaft oder der Politik als spezifische Kommunikationssoziologien begriffen werden, denn sie richten ihr Augenmerk auf besondere Kommunikationsmedien wie Geld oder Macht.

Die Untersuchung von spezifischen sozialen Kommunikationsformen ist also in der Soziologie auf zahlreiche Disziplinen, Diskurse und Einzelforschungen verteilt. Neben diesen spezifischen Forschungsfeldern gibt es noch eine weitere Richtung, die man mitunter als ›Theoretische Soziologie‹ oder als ›Soziologische Theorie‹ bezeichnet. Ihr Erkenntnisinteresse besteht darin, allgemeine Grundlagen der Soziologie zu entwickeln. Sie stellt also keine Subdisziplin der Soziologie dar, sondern versucht eher, der Soziologie und der soziologischen Forschung ein Fundament in Gestalt von allgemeinen Kategorien, Begriffen, Leithypothesen, Erklärungsmodellen etc. zu geben. Auch die Soziologische Theorie ist keineswegs durch eine besondere theoretische Homogenität gekennzeichnet. Im Gegenteil, jede(r), die (der) einmal einen auch nur oberflächlichen Blick in ein soziologisches Buch geworfen hat, wird feststellen, dass es die soziologische Theorie nicht gibt. Jenseits des institutionell-universitären Zusammenhangs lassen sich nicht nur viele verschiedene Forschungsrichtungen, sondern auch viele verschiedene theoretische Orientierungen und theoretische Programme identifizieren. So führen beispielsweise Einführungen in die Theoriegeschichte der Soziologie kataraktartig verschiedenste Bezeichnungen, Benennungen, Thesen, Hypothesen, Methoden und Begriffe an, so dass man mit Recht nach ihrem Zusammenhang und vielleicht sogar nach ihrer Einheit fragen kann. Und es wäre in diesem Zusammenhang einmal interessant, der Frage nachzugehen, wie die Soziologen eigentlich untereinander kommunizieren und welchen Anforderungen sie dabei genügen müssen, wenn sich ein solches, nicht nur auf den ersten Blick verwirrendes Bild ergibt. Nun unterscheidet sich die Soziologie dabei nicht von der Mehrzahl der anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Von daher ist diese theoretische Unübersichtlichkeit den einen ein Zeichen für die Innovativität und Kreativität dieser Disziplin, den anderen ein Indiz für ihren vorwissenschaftlichen Zustand.

Den verschiedenen soziologischen Theorien ist weniger ein bestimmtes Forschungsobjekt gemeinsam, sondern eher eine Leitfrage: Wie ist soziale Ordnung möglich? Sie lässt sich je nach Geschmack und Erkenntnisinteresse auch anders formulieren: Wie kann man soziale Beziehungen, soziale Gebilde, Institutionen, Gesellschaften oder allgemein soziale Ordnungen erklären? Oder auch: Wie ist soziales Handeln möglich, wenn denn soziales Handeln eine Orientierung an anderen Handelnden voraussetzt? Wie können Menschen ihre Handlungen koordinieren und wie können sie kooperieren? Oder in Bezug auf Kommunikation formuliert: Wie ist überhaupt Kommunikation möglich?

Dazu gehören solche Fragen wie: Wie geschieht eigentlich Kommunikation? Wie kommt Kommunikation zustande? Woraus baut sie sich auf? Wann liegt Kommunikation zwischen Menschen vor? Ist schon jede Wechselwirkung zwischen Menschen eine Kommunikation? Was unterscheidet etwa ein zufälliges Zusammenprallen zwischen Menschen auf dem Gehsteig von einem Gespräch zwischen ihnen? Welche Formen von Kommunikation kann man unterscheiden? Wie unterscheidet sich beispielsweise das Klatschgespräch im Hausflur von dem Jubel der Fussballfans beim Fallen eines Tores, das Lesen eines Buches von dem Kauf eines Buches? Handelt es sich immer um Kommunikationen? Wie stellt man das fest? Und aus welchen Komponenten besteht Kommunikation? Gibt es Komponenten, die für alle verschiedenen Kommunikationsformen maßgeblich sind?

Diese Fragen unterscheiden das Erkenntnisinteresse der Soziologie von demjenigen anderer wissenschaftlicher Disziplinen, die ebenfalls mit Kommunikation befasst sind. In dieser Einführung analysieren wir solche theoretischen Positionen, die in besonders signifikanter Weise zur Beantwortung dieser Frage ›Wie ist Kommunikation möglich?‹ beitragen können. Von daher versteht sich diese Einführung nicht nur als ein Beitrag zur Soziologie der Kommunikation, sondern auch als Einführung in soziologische Theorien oder gar in die allgemeine soziologische Theoriebildung überhaupt. Sie befasst sich mit solchen Theorien, die nicht nur an dieser oder jener spezifischen Kommunikationsform interessiert sind, sondern allgemein an der strukturellen Matrix von Kommunikation und die von daher auch für die allgemeine Theorie ein hohes Potenzial besitzen. Es geht also in dieser Einführung auch darum, den schon erwähnten communicative turn in der Soziologie ein wenig weiter zu treiben, weil nach Überzeugung des Verfassers ›Kommunikation‹ in der Soziologie dasjenige Basiskonzept darstellt, welches die höchste integrative Kraft aufweist und solche konkurrierenden Basiskonzepte wie ›Handlung‹, ›Wissen‹, ›Kultur‹ oder neuerdings ›Medien‹ nochmals zu fundieren vermag.

Wenn man sich mit Kommunikation und Kommunikationstheorien befasst, so steht man vor einem schwierigen Problem, denn es gibt eine Phalanx unterschiedlicher Theorien, die Kommunikation sehr unterschiedlich konzeptualisieren. Im Jahre 1977 konnte Klaus Merten (vgl. Merten 1977) allein im soziologierelevanten Kontext 160 verschiedene Definitionen von Kommunikation identifizieren. Und die Zahl dürfte in der Zwischenzeit sicherlich nicht abgenommen haben. Dies liegt unter anderem daran, dass ›Kommunikation‹ wie auch ›Information‹ oder ›Sprache‹ keine Begriffe im normalen Sinne sind, obwohl sie häufig als solche behandelt werden. Sie beziehen sich nicht auf anschauliche, konkret fassbare, abgrenzbare Dinge, wie dies etwa ›Buch‹, ›Haus‹ oder ›Baum‹ tun. Sie sind unanschaulich, weil sie nicht einen sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand untersuchen, sondern Gegenstände im übertragenen Sinne: Sie beziehen sich auf Formen des Handelns und der Praxis. Sie sind nicht Produkte menschlicher Praxis wie etwa Häuser oder Bücher, sondern Formen, in denen sich die menschliche Praxis vollzieht. Entsprechend schwierig ist ihre Konzeptualisierung. So lässt sich auch der Umstand erklären, dass es recht zahlreiche Vorstellungen und Theorien über Kommunikation gibt.

In diesem Kapitel müssen wir uns mit gewissen Begrifflichkeiten und Problemstellungen vertraut machen. Dazu werden wir zunächst unsere Alltagsauffassung von Kommunikation beleuchten und anschließend auf renommierte wissenschaftliche Kommunikationsvorstellungen und deren theoretische Einrahmungen zu sprechen kommen.

1.1 Alltagskonzepte

Im Alltagsleben ist eine spezifische Vorstellung über Kommunikation in besonderem Maße virulent (vgl. Fiehler 1990): Kommunikation wird häufig in Analogie zu dem Transport von Gütern aufgefasst, wie man an solchen Redewendungen wie ›Man kann seinen Worten entnehmen, dass…‹, ›In diesem Buch steht …‹ oder ›Die Fernsehsendung hat den Inhalt …‹ erkennen kann. Man spricht von der ›Conduit Metapher‹ der Kommunikation. Kennzeichnend für diese Auffassung sind folgende Punkte:

»(1) language functions like a conduit, transferring thoughts bodily from one person to another; (2) in writing and speaking, people insert their thoughts or feelings in the words; (3) words accomplish the transfer by containing the thoughts or feelings and conveying them to others; and (4) in listening or reading, people extract the thoughts and feelings once again from the words.« (Reddy 1979: 290)

Das Modell suggeriert, dass sich im Geist des Sprechers etwas befindet, was er mitteilen möchte. Er verpackt es in einen sprachlichen Ausdruck und benutzt seine Sprechorgane, um es auszudrücken. Ein Hörer nimmt es durch seine Ohren auf und packt den transportierten Inhalt aus der sprachlichen Hülle aus. Wenn das Einpacken und das Auspacken richtig vollzogen werden, kann der Hörer verstehen, was der Sprecher meinte. Der Kommunikationsprozess ist zu seinem Ende gekommen. Die Kommunikationsbedingungen, die von der Conduit-Metapher unterstellt und suggeriert werden, sind folgende (Johnson / Lakoff 1982: 9, zit. nach Fiehler 1990: 105):

»(1) The participants are equally competent speakers of the same dialect of the same language, and individual signification is insignificant. (2) Relevant to the subject matter and the context, the participants share


(a)the same cultural assumptions,
(b)the same relevant knowledge of the world,
(c)the same relevant background assumptions about the context of the utterance,
(d)the same understanding of what the conversation is about, and
(e)the same relevant conceptual metaphors and folk theories.«

Aber auch andere Metaphern leiten unsere Auffassung von Kommunikation (vgl. Krippendorff 1994). Mit der Conduit-Vorstellung eng verbunden ist die Vorstellung von einer durch Kommunikation verursachten Kausalität oder durch Kommunikation zu erreichenden Kontrolle. ›Deine Worte machen mich glücklich‹, ›Gewaltdarstellungen im Fernsehen erhöhen das Gewaltpotenzial bei Jugendlichem, ›Der Wetterbericht veranlasste mich, den Regenschirm zu Hause zu lassen‹ – all dies sind Redewendungen, mit denen wir gewisse Kausalitäten postulieren und qua Kommunikation eine Kontrolle über die Empfänger suggerieren. Damit steht eine andere alltägliche und auch wissenschaftliche Leitvorstellung im Zusammenhang. Wir gehen davon aus, dass sich durch Kommunikationen Gemeinsamkeiten herstellen lassen. Es werden eher die integrierenden als die desintegrierenden Funktionen oder Effekte von Kommunikation betont. Diese Tendenz verstärkte sich, als im 19. Jahrhundert mit dem enormen Aufschwung im Bereich der technischen Medien die Metapher von der Kommunikation als einem Kanal oder einem Fluss aufkam. Kommunikation muss kanalisiert, in die richtigen Bahnen gelenkt, vor Überbeanspruchung geschützt und in ihren Kapazitäten berechnet werden.

Es soll nun keinesfalls angedeutet werden, dass diese alltagstheoretischen Metaphern und Konzepte in einem trivialen Sinne falsch sind. Ist es nicht vielmehr so, dass wir uns in unseren Kommunikationen an unseren Leitvorstellungen orientieren und wir damit unsere eigene Wirklichkeit erzeugen? Ist es nicht so, dass wir, wenn wir Kommunikation etwa als kausal wirkendes Kontrollorgan begreifen, uns entsprechend verhalten, dies auch von unseren Kommunikationspartnern verlangen und somit in einer Art Selffulfilling Prophecy unseren Konzepten zur ihrer Realität verhelfen? Andererseits kann man nicht erwarten, dass unsere alltagsweltlichen Vorstellungen dem sozialen Phänomen der Kommunikation gerecht werden. Aber dies gilt auch für die in der Wissenschaft diskutierten Konzeptionen. Sie sind ebenfalls Metaphern und Leitbilder, die manche Perspektive auf die Gegenstands- oder Erfahrungsebene freigeben, andere wiederum versperren. Von daher ist es die stete Aufgabe der Soziologie, ihr analytisches Begriffsschema zu überprüfen und sich die Annahmen, die in dieses Schema einfließen, zu vergegenwärtigen.