BRENNENDE SCHATTEN

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From the series: Dan Taylor #2
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Kapitel 6

Nachdem das Taxi am Bordstein angehalten hatte, beugte sich Dan nach vorn und drückte dem Fahrer einen Geldschein in die Hand.

»Behalten Sie das Wechselgeld«, sagte er und öffnete die Tür.

Dan hatte den Fahrer angewiesen, ein paar Häuserblocks von dem Hotel entfernt anzuhalten, in dem die Konferenz und am nächsten Abend die Gala-Veranstaltung stattfinden sollten. Denn er wollte sich zuerst in der Umgebung umsehen und ein Gefühl für die Gegebenheiten vor Ort bekommen, bevor er in das Chaos einer kompletten Sicherheitsüberwachung hineinmarschierte und sich dem Hauptverantwortlichen vorstellen musste.

Während er die Straße entlangging, wirbelten Nebelschleier über den Gehweg, Überbleibsel des nachmittäglichen Unwetters aus Regen und Schneegeriesel, das aber wenigstens den Smog aus der Stadtluft gewaschen hatte. Er schnüffelte, als ihm der schwache Gestank des Flusses in die Nase stieg.

Er warf einen letzten Blick auf die Gebäude, die um den Platz herumstanden, bevor er von der Bordsteinkante zurücktrat und auf die Sicherheitsabsperrung zuging.

Eine Gruppe von Demonstranten hatte sich ihren Weg bis an den Rand der provisorischen Absperrung erkämpft und hielt Plakate und handgemalte Schilder über die Abzäunung. Vage konnte er aus der Gruppe eine Art Sprechgesang hören. Als er näherkam, verstand er auch, was sie riefen.

»Befreit den Iran! Stoppt die Sanktionen!«

Er näherte sich einem der Sicherheitsbeamten im Anzug und hielt seinen Ausweis in die Höhe. Nachdem der Mann seine Legitimation überprüft hatte, steckte Dan die Karte wieder in die Tasche, blickte die Absperrung entlang und dann zurück zu dem Sicherheitsbeamten.

»Wer ist hier verantwortlich?«

Der Mann nickte über seine Schulter hinweg, achtete dabei aber darauf, seinen Kopfhörer im Ohr nicht zu verschieben. »Da drüben. Sein Name ist Mike Browning.«

Dan dankte ihm und duckte sich unter dem Sicherheitsseil hindurch, das zwischen zwei Metallpfosten gespannt war. Er ging geradewegs auf den Mann zu, zu dem ihn der Wachmann verwiesen hatte und der Dan gerade den Rücken zuwandte, weil er sich mit einem weiteren Sicherheitsbeamten unterhielt.

Er war genau wie die anderen in einen dunklen Anzug gekleidet, hatte breite Schultern und kurz geschorenes silbergraues Haar. Der Mann war etwas kleiner als Dan und stämmig, trotzdem wirkte er leichtfüßig. Er spürte, wie Dan sich ihm näherte und drehte sich um, als dieser auf einer Höhe mit ihm war.

Dan wartete nicht darauf, dass er angesprochen wurde, er streckte die Hand aus und sagte: »Dan Taylor … David Ludlow hat vorgeschlagen, dass ich Sie kontaktieren soll.«

Der Mann nahm die dargebotene Hand. Sein Händedruck war kräftig und er quetschte Dans Hand hart, dieser ignorierte das Spielchen und hielt dem Blick des Mannes stand, bis der antwortete.

»Browning.« Er deutete auf die Türen des Hotelkomplexes. »Lassen Sie uns dort reingehen, damit wir uns ungestört unterhalten können.«

Dan folgte dem anderen Mann, der auf dem roten Teppich voranging, den man bereits für die Gäste ausgerollt hatte, und anschließend durch die mit Mahagoni umrahmten Glastüren in die Lobby marschierte. Er fing die Tür auf, die Browning einfach in sein Gesicht zurückfallen ließ, und runzelte die Stirn.

Er folgte dem Mann durch die Lobby und durch einen dunkel gestrichenen, schmalen Korridor in ein kleines Büro. Als Browning den Raum betrat, schnipste er kurz mit den Fingern und wandte sich damit an die drei Wachmänner, die an einem Schreibtisch saßen und die Videoüberwachungsanlage des Hotels kontrollierten.

»Raus hier.«

Die Wachleute sprangen sofort auf und verließen schnell den Raum, der Letzte schloss sorgfältig die Tür hinter sich.

Dan schüttelte ungläubig den Kopf, als Browning eine Show daraus machte, im Büro herumzuspazieren, um scheinbar seine Gedanken zu sammeln, während die Monitore der Videoüberwachung weiter vor sich hin flimmerten.

Schließlich hörte Browning mit dem Herumlaufen auf, ging neben einem Schreibtisch in die Hocke und griff dort nach einer schwarzen Segeltuchtasche. Er öffnete den Reißverschluss und nahm einen Ohrhörer und ein Funkmikrofon heraus, dann drehte er sich zu Dan um und stieß ihm die Ausrüstung praktisch entgegen. »Bevor Sie auf irgendwelche dummen Gedanken kommen … Sie sind hier nur als Beobachter und das war’s dann auch schon. Ich habe hier das Sagen. Sie gehen morgen Abend nicht mal aufs Klo, ohne mich vorher zu fragen, ist das klar?«

»Klar«, antwortete Dan, als er den Hörer in seinem Ohr befestigte und vorsichtig auf das Mikrofon klopfte, um die Lautstärke zu testen. »Sonst noch was, oder kann ich jetzt gehen?«

Browning schnaubte. »Passen Sie gut auf, ich behalte Sie im Blick.« Er zeigte mit zwei Fingern auf seine Augen und anschließend auf Dan, der sich umdrehte, um den Raum zu verlassen.

»Ich möchte ja schließlich nicht riskieren, dass Sie von der Arbeit morgen Nacht Albträume bekommen«, sagte Browning und grinste höhnisch. »Obwohl London wohl etwas kultivierter als der Nahe Osten ist.«

Schnell drehte sich Dan wieder zu dem anderen Mann um und mit zwei großen Schritten war sein Gesicht direkt vor dem des Sicherheitschefs, während seine blauen Augen gefährlich blitzten. »Zumindest war ich dort, du Arschloch.«

Browning schob Dan von sich weg. »Verpiss dich. Vielleicht bist du hier, weil du gerade der aktuelle Favorit bist, aber halte dich bloß aus meiner Operation raus.«

Dan funkelte ihn wütend an und stürmte dann aus dem Büro, wobei er die Tür mit Kraft hinter sich zuschlug.

Einer der Wachmänner, die vor dem Rauswurf die Bildschirme kontrolliert hatten, lehnte im Flur an der gegenüberliegenden Wand und grinste Dan an.

»Ein ziemlicher Vollidiot, was?«

»Das ist sogar noch milde ausgedrückt«, antwortete Dan und ging zurück in die Lobby.

Er ignorierte die Hotelmitarbeiter, die um ihn herum durch die Räume eilten und fing mit der Erkundung des Gebäudes auf den unteren Ebenen an.

Er öffnete eine Tür, die mit einem Notausgangschild markiert war, ging schnell die Stufen hinunter, stieß eine andere Tür auf und befand sich nun in der Tiefgarage des Hotels.

Das Parkhaus erstreckte sich unter dem Hotel über zwei Ebenen. Dan schätzte, dass es bei voller Belegung mehr als einhundert Autos aufnehmen könnte. Als er jedoch quer über die leeren Parkbuchten ging, stellte er fest, dass Brownings Team alle Fahrzeuge aus der Tiefgarage entfernt hatte, um das Risiko potenzieller Bombenbedrohungen auszuschalten.

Dan lief auf die Eingangs- und Ausgangsschranken zu, wo er auf zwei Sicherheitskräfte stieß, die beide halb automatische Gewehre an ihre Brust drückten. Einer von ihnen beobachtete den Parkplatz, der andere überwachte die kleine Straße hinter dem Hotel. Er nickte ihnen grüßend zu, während er seinen Ausweis aufblitzen ließ und auf die Straße hinaustrat.

Mit zurückgelegtem Kopf überprüfte er die Gebäude gegenüber dem Hotel, während er in der Umgebung seine Runde machte. Dann griff er in die Tasche, zog ein kleines Notizbuch und einen Stift heraus und begann zu schreiben.

Hinter dem Hotel entdeckte er eine enge Gasse. Er blickte nach oben, sah den Lauf eines Gewehrs über dem Geländer hinausragen und hob grüßend die Hand. Die Geste wurde erwidert und er ging weiter die Gasse hinunter, wobei er seinen Kopf ständig hin und her drehte.

Nachdem er die Begehung des Außengeländes abgeschlossen hatte, verbrachte Dan die nächsten zwei Stunden damit, die Hotelküche, die Konferenzräume und sechs Etagen mit luxuriösen Zimmern zu überprüfen. Er stellte schnell fest, dass keines der Zimmer belegt war … womit eine weitere mögliche Bedrohung ausgeschlossen werden sollte.

Zufrieden mit dem Ergebnis seines Kontrollgangs kehrte er in das Erdgeschoss zurück und klopfte an die Tür des Videoüberwachungsraumes. Browning war nirgendwo zu sehen, und der Sicherheitsmann, der ihm die Tür öffnete, bot Dan an, sich auf einen der Ersatzstühle zu setzen, die an der Rückwand standen.

»Wie sind Sie vorangekommen?«, fragte der Wachmann.

»Nicht schlecht«, antwortete Dan. »Stört es Sie, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle, um mich auf morgen Abend vorzubereiten?«

»Nein, legen Sie ruhig los.«

»Haben Sie die Gebäudepläne für das Hotel und das angrenzende Gebäude?«

Der Sicherheitsbeamte stand auf, griff hinter die Überwachungsmonitore und zog eine große Papierrolle hervor. Er rollte sie auseinander und reichte die Pläne an Dan weiter, der sie vor sich auf den Boden legte und sich davor niederkniete. Er glättete die Kanten mit seinen Handflächen und strich dann mit den Händen über den Plan.

»Wie viele Sicherheitskräfte haben Sie nebenan?«, fragte er.

»Zwei an der Tür und zwei auf dem Dach«, antwortete der Wachmann. »Es ist ein privates Wohngebäude mit acht Wohnungen. Die Bewohner wurden dafür entschädigt, dass sie die nächsten achtundvierzig Stunden woanders parken müssen.«

»Gut. Ich würde dort gern auch noch zwei weitere Männer im Erdgeschoss sehen. Halten Sie die Garagentore geschlossen und lassen Sie die Männer regelmäßig zwischen der Garage und dem Keller patrouillieren.« Er klopfte auf den Plan. »Wir wollen doch nicht, dass irgendjemand von dort aus, ein Loch in die Tiefgarage bläst.«

Der Sicherheitsbeamte nickte. »Kein Problem.«

Dan runzelte die Stirn und zog den Gebäudeplan des Hotels noch näher zu sich. »Wie tief ist dieser Abwasserkanal?«

Der Wachmann kniete sich neben ihm nieder. »Nach Auskunft des Hotelmanagers wird der Kanal nicht mehr benutzt, er ist zwischen der Zufahrt zum Parkhaus und fünfzig Meter hinter dem Hotel an dieser Stelle blockiert worden.« Er stach mit dem Finger auf die Seite. »Bei der Renovierung des Hotels vor fünf Jahren haben Bauarbeiter den Kanal mit Steinen und Erde aufgefüllt.«

 

»Gibt es eine Gästeliste?«, fragte Dan, dann beugte er sich nach vorn und rollte den Plan wieder zusammen.

»Einen Augenblick bitte.« Der Wachmann drehte sich zu einem Tisch um, der komplett mit Papieren bedeckt war, und überreichte ihm kurz darauf ein Blatt.

»Danke. Was ist mit den Mitarbeitern?«

»Die Liste muss hier auch irgendwo sein.« Der Sicherheitsbeamte nahm Dan die Pläne ab, warf sie auf den Tisch und wühlte dann darauf herum, bis er das Gesuchte gefunden hatte. »Da ist sie ja.«

»Kann ich dieses Exemplar vielleicht behalten?«

»Natürlich.«

»Irgendwelche Veränderungen in letzter Minute?«

»Nein, wenn jemand zwischen jetzt und der Gala krank wird, hat der Hotelmanager eine eindeutige Anweisung, niemanden zu ersetzen.«

»Gut.« Dan faltete die Seiten zusammen und steckte sie in die Tasche, dann warf er einen Blick auf seine Notizen. »Ihr braucht außerdem mehr als nur einen Mann auf dem Dach«, erklärte er. »Die Notausgänge auf der Rückseite des Gebäudes sind für uns klasse, wenn die Kacke am Dampfen ist, können aber genauso gut für einen Angriff genutzt werden, nachdem sich jemand auf das Dach abgeseilt hat.«

Der Sicherheitsbeamte blickte über die Schulter zu seinem Kollegen und dann wieder zu Dan. »Das könnte leider ein Problem werden«, meinte er, »denn wir haben jetzt schon unsere maximale Kapazität erreicht. Ich weiß nicht, ob das Unternehmen uns noch mehr Personal zur Verfügung stellen kann.«

Dan klappte sein Notizbuch zu und drehte sich um, um den Raum zu verlassen. »Dann sollten wir alle hoffen, dass es morgen Abend keine Probleme gibt«, meinte er.

***

Nachdem er auf verschlungenen Wegen zum Safe-House zurückgekehrt war, die zwei U-Bahn-Stationen und eine Bushaltestelle, gefolgt von einer halben Meile Fußmarsch beinhalteten, schloss Dan die Haustür hinter sich und schaltete das Licht ein. Es flackerte einmal kurz und beleuchtete dann den langen engen Flur, der sich bis zum hinteren Teil des Hauses erstreckte.

Er ging direkt zur Hintertür, überprüfte dort die Türverriegelung und den dünnen Baumwollfaden, den er aus seinem Hemdsaum gezogen und zwischen Tür und Zarge befestigt hatte. Es war nicht schlecht, ein Frühwarnsystem zu haben, das nicht auf die zahlreichen elektronischen Geräte angewiesen war, die in dem Gebäude arbeiteten.

Zufrieden drehte er sich um und wollte gerade zur Vorderseite des Hauses zurückgehen, als er über sich das Klonk eines dumpfen Aufschlages auf dem Boden hörte.

Er zwang sich selbst zur Ruhe, stützte sich mit der Hand an der Wand ab, zog vorsichtig seine Schuhe aus und legte sie geräuschlos auf den Boden, dann holte er seine Waffe unter der Jacke hervor und entsicherte sie, während er den Flur entlang zum unteren Treppenabsatz schlich.

Die Treppe war zum Glück aus Marmor und in der Mitte mit einem dicken Teppich ausgelegt, sodass nur wenig Gefahr bestand, dass ihn eine knarrende Treppenstufe verraten würde. Dicht an die Wand gedrängt, näherte sich Dan der ersten Stufe und spähte vorsichtig nach oben, während er die Ohren spitzte. Vom Treppenabsatz im ersten Stock aus konnte er leise Stimmen hören. Er runzelte die Stirn, denn er konnte sich nicht daran erinnern, den Fernseher angelassen zu haben.

Er drückte sich eng an die Wand und begann, langsam und vorsichtig die geschwungene Treppe hinaufzusteigen, dabei hielt er seine Pistole mit beiden Händen vor sich und nach oben gerichtet. Während er hinaufstieg, suchte sein Blick die Treppe nach weiteren Anzeichen für einen Eindringling ab.

Klonk.

Dan erstarrte. Er versuchte seinen Herzschlag zu beruhigen, indem er langsam und tief durch die Nase atmete, dann zählte er bis zehn und setzte seinen Aufstieg fort.

Als er sich dem Treppenabsatz im ersten Stock näherte, ließ er sich in eine hockende Position sinken und kroch bis zum Absatz hinauf. Der Fernsehton war jetzt klarer zu verstehen.

Dan sah sich um und rief sich die örtlichen Gegebenheiten in Erinnerung. Er spähte in die Richtung der Schlafzimmer, die komplett im Dunkeln lagen. Dafür schimmerte aber Licht aus dem Wohnbereich, als Fernsehbilder die Decke und Wände des Raumes erhellten.

Er stand auf, ging lautlos über den Teppich und drückte seinen Rücken gegen die Wand, dann schlich er vorsichtig auf die Tür zum Wohnbereich zu. Er atmete langsam ein und aus und versuchte damit, seinen Puls zu beruhigen.

Plötzlich hörte er ein lautes Knarren, als sich jemand aus einem der schweren Polstersessel erhob.

Blitzschnell sah sich Dan im Flur um. Doch es gab keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Er machte einen Schritt nach hinten und brachte seine Waffe in Anschlag, als ein Schatten auf die offene Tür des Wohnbereichs fiel.

»Keine Bewegung!«, schrie Dan der Gestalt entgegen, die jetzt im Türrahmen auftauchte.

Der Mann ließ daraufhin die leere Bierdose in seiner Hand auf den Boden fallen und drehte sich langsam zu Dan um, während er gleichzeitig die Hände in die Höhe streckte.

»Jesus Christus, ich hab mir fast in die Hosen geschissen!« Mitch Frazer ließ die Hände wieder sinken und starrte Dan wütend an. »Was zur Hölle wolltest du denn damit erreichen … dass ich einen Herzinfarkt bekomme?«

Dan ließ die Waffe langsam sinken, wischte sich den Schweiß aus den Augen und starrte Mitch fassungslos an.

»Wie zur Hölle, bist du überhaupt hier reingekommen?«

Mitch beugte sich hinunter, um die Bierdose aufzuheben, die auf dem Teppich hin und her rollte. »Ich habe ein eigenes Passwort, du Idiot.«

Dan schüttelte den Kopf. Er lehnte sich gegen die Wand, um seine zitternden Beine zu beruhigen. »Jesus, das war echt knapp.«

»Wem sagst du das«, antwortete Mitch trocken. Er hielt die leere Bierdose in die Höhe und grinste. »Willst du auch ein Bier?«, fragte er.

Dan warf ihm einen Blick zu, rieb sich müde über das Gesicht und nickte.

»Ja. Verdammt noch mal, ja!«

Kapitel 7

Dan schaute hoch, als er und Mitch sich einigen viktorianischen Gebäuden näherten. Sein Blick wanderte über die roten Backsteingebäude, die von kunstvollen Gargoyles und hohen Schornsteinen gekrönt wurden.

»Fühlt sich an, als wäre ich wieder in Oxford«, murmelte er.

Mitch grinste ihn an. »Hauptsache, du ziehst hier keinen deiner Streiche von damals ab. Kann sein, dass sie uns dann nicht wieder rauslassen.«

David schaute die beiden über die Schulter hinweg an und runzelte die Stirn. »Vielleicht schafft ihr zwei es ja irgendwann einmal, erwachsen zu werden.« Er drehte sich wieder um und ging dann weiter den Kiesweg entlang.

Sie erreichten nun den äußersten Winkel des Gebäudekomplexes und hielten vor einer großen Doppelflügeltür an, deren verwitterte Eichenholzverkleidung seit Jahrzehnten den Elementen trotzte. David blieb stehen und drehte sich zu Dan um.

»Du solltest dir im Klaren darüber sein, dass wir beide, falls die Sache schiefgeht, mit einer Anklage und einer Gerichtsverhandlung rechnen müssen. Halte dich einfach an die Fakten, lass deine Emotionen außen vor, dann wird es wahrscheinlich gut für uns ausgehen.« Er drehte sich wieder zur Tür um und klopfte.

Dan bemerkte jetzt die Überwachungskameras über ihnen, die sich langsam von einer Seite zur anderen bewegten, und dabei die kleine Gruppe auf den Stufen erfassten. Wer auch immer vor den Überwachungsmonitoren saß, schien mit dem Gesehenen offenbar zufrieden zu sein, denn ein paar Augenblicke später klickte es und die Türflügel schwangen nach innen auf.

Ein Wachmann stand mit schussbereitem Gewehr direkt hinter der Tür und starrte sie finster an. »Die Sicherheitsausweise«, forderte er sie auf.

Die drei Männer übergaben ihm daraufhin die Ausweise und warteten, während ihre Dokumente überprüft wurden. Nach kurzer Zeit gab ihnen der Wachmann ihre Ausweise zurück, trat zur Seite und machte den Weg frei.

»Im gesamten Gebäude sind Kameras installiert«, informierte sie der Mann. »Also gehen Sie nicht in Bereiche, zu denen Sie keine Zutrittserlaubnis haben. Wir behalten Sie im Auge.«

David warf Dan und Mitch einen vielsagenden Blick zu. »Hier entlang«, sagte er, während er sich umdrehte und durch einen geräumigen Korridor auf eine breite Holztreppe zuging.

Die Treppe wand sich über den Korridor, durch den sie gerade gelaufen waren, und fächerte sich am Ende zu einem breiten Treppenabsatz auf. Oben angekommen wandte sich David nach links und ging mit großen Schritten durch einen Türbogen in das Innere des Gebäudes, ohne zu überprüfen, ob Dan und Mitch ihm folgten. Vor ihnen erstreckte sich jetzt ein langer Flur, der mit Holzpaneelen verkleidet war. Ihre Schritte wurden von einem purpurroten Teppich gedämpft, auf dem graue Lichtstreifen tanzten, die durch die hohen Fenster auf der linken Wand hereinfielen.

Als sie daran vorbeiliefen, warf Dan unwillkürlich einen Blick durch die Fenster auf den Gebäudekomplex unter ihnen. Vier Beamte hasteten dort gerade über den Innenhof, wobei sie mit einer Hand Unterlagen gegen die Brust pressten und mit der anderen verzweifelt versuchten, ihre Frisuren vor dem beißenden Wind zu schützen.

David blieb vor einer Tür mit Eichenholzvertäfelung stehen und drehte sich zu Dan und Mitch um.

»Anständig benehmen, okay?«

Dan nickte.

»Packen wir es an«, sagte Mitch leise und verzog das Gesicht, als er seine Krawatte richtete, »bevor mich dieses Ding hier noch endgültig erwürgt.«

David klopfte nun zweimal an die Tür. Sie hörten, dass sich jemand dahinter bewegte, dann schwang sie nach innen auf. Vor ihnen stand ein groß gewachsener Mann, der einen grauen Anzug und ein blaues Hemd mit farblich abgesetzter Krawatte trug. Er fuhr sich gedankenverloren durch sein hellbraunes Haar, das bereits von einigen grauen Strähnen durchzogen wurde und machte einen Schritt zur Seite, damit David eintreten konnte.

»Freut uns, dass Sie es geschafft haben«, meinte der Mann und ging in den Raum zurück.

David folgte ihm mit Dan und Mitch im Schlepptau.

Dan spürte, wie sein Herz kräftig in seiner Brust schlug. Er fühlte sich nur selten in der Gesellschaft anderer Menschen unwohl, aber es dämmerte ihm immer mehr, wie verzweifelt ihre derzeitige Situation war. Er zwang sich, seine Fäuste wieder zu öffnen und sich auf das Gespräch zu konzentrieren.

Der Mann ging zu einem Konferenztisch in der Mitte des Raumes hinüber, um den acht Stühle gruppiert waren. Zwei davon waren bereits besetzt. Am Kopfende standen bereits eine Tasse und eine Untertasse, was darauf hindeutete, dass der Premierminister seinen angestammten Platz schon vor der Ankunft von Davids Team eingenommen hatte.

Nachdem Mitch die Tür hinter sich geschlossen hatte, gingen die vier auf den Tisch zu. Der Mann, der ihnen die Tür geöffnet hatte, wies auf die freien Stühle und lud sie damit ein, sich der Gruppe anzuschließen.

Während sie es sich bequem machten, übernahm er die einleitenden Worte.

»Gentlemen, wir wissen zwar, wer Sie sind, aber lassen Sie mich Ihnen offiziell den Premierminister, Mr. Edward Hamilton, vorstellen. Der Mann auf seiner rechten Seite ist Vize-Admiral George Moore, zweiter Seelord bei der britischen Navy. Mein Name ist Hugh Porchester und ich bin als Vertreter des Verteidigungsministers hier«, beendete der Mann die Vorstellungsrunde.

Der Vize-Admiral stand als Erster auf und gab zuerst David und anschließend Dan und Mitch die Hand. Er war groß gewachsen, etwas über sechzig Jahre alt und seine Schultern waren so breit, dass es aussah, als ob er in seiner Jugend Rugbyspieler gewesen wäre.

Dan setzte sich, nachdem auch er dem Premierminister die Hand geschüttelt hatte, der seinen Blick ein paar Sekunden zu lang gefangen hielt, so als wolle er die Gedanken des Mannes vor sich ergründen.

Der Vertreter des Verteidigungsministeriums ignorierte die drei Männer die ganze Zeit über und beschäftigte sich stattdessen mit Unterlagen, die er vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte.

Der Premierminister wandte sich nun an ihn. »Hugh, was halten Sie davon, wenn Sie die Sitzung eröffnen?«

Der Mann nickte dem Premierminister höflich zu, beugte sich nach vorn und ließ eine lederne Aktenmappe aufschnappen. Er räusperte sich kurz und sah dann die drei Männer an, die ihm gegenübersaßen.

 

»Gentlemen«, fing er in einem hochtrabenden Tonfall an, »der Premierminister hat dieses Treffen einberufen, damit uns Mr. Ludlow dabei helfen kann, diverse … nun sagen wir einmal, Lücken in Bezug auf eine Bombenbedrohung für unsere Stadt zu füllen, die bereits einige Zeit her ist. Gleichzeitig ist die Frage zu klären, warum zwei Zivilisten, nämlich Sie, Mr. Taylor«, er warf Dan einen Blick zu, »und Sie, Mr. Frazer, an der Operation beteiligt gewesen sind.« Er starrte Mitch nun ebenfalls an, bevor er den Inhalt der Aktenmappe vor sich betrachtete und einige Fotos herausnahm, die er auf den Tisch warf.

Doch Dan ignorierte die Fotos.

Anschließend zog der Vertreter des Verteidigungsministers einen Ordner heran, öffnete ihn in der Mitte, faltete seine Hände über der entsprechenden Seite und warf Dan erneut einen Blick zu.

»Nun, Mr. Taylor«, fuhr Porchester fort. »Vielleicht können Sie uns ja darüber aufklären, wie sie es geschafft haben, in dieses ganze Durcheinander verwickelt zu werden.«

Dan räusperte sich und starrte den Mann eine Weile an, bevor er sagte: »Einer meiner Freunde wurde getötet. Seine Ex-Frau bat mich daraufhin, ihr bei den Ermittlungen zu helfen, weil die Polizei die Möglichkeit, ihr Mann könne ermordet worden sein, nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hatte. Für die Behörden sah es so aus, als wäre es ein ganz normaler Überfall gewesen, der schiefgelaufen ist. Wir folgten daraufhin der Spur seiner Forschungsunterlagen und stießen letzten Endes auf Mr. Ludlow.«

Porchester kommentierte Dans Ausführungen nicht, sondern blickte weiterhin auf die Unterlagen vor sich hinunter. Er blätterte einige Seiten um, bevor er sich räusperte und wieder zu Dan hochschaute.

»Hat man Sie gezwungen, für Mr. Ludlow zu arbeiten?«

»Nein.«

»Also waren Sie, ein Zivilist, erfreut darüber, sich selbst in Gefahr zu bringen, obwohl Ihnen die Konsequenzen Ihrer Handlungen nicht bekannt gewesen sein dürften?«, fragte Porchester.

»Es war das einzig Richtige, was ich tun konnte«, antwortete Dan. »Damals war ein Wahnsinniger mit einer Bombe unterwegs und niemand aus Ihrer Regierung schien auch nur einen Scheiß darauf zu geben. Tatsächlich meine ich mich sogar daran erinnern zu können, dass einer Ihrer Kollegen ihm geholfen hat.«

Porchester schaute hastig auf das Blatt vor sich hinunter. Er griff nach dem Wasserglas, das vor ihm stand, nahm einen kleinen Schluck und stellte das Glas wieder ab.

Dan wartete, während sein Herz wie wahnsinnig raste. Nicht etwa aus Angst, sondern aus purer Wut und Frustration, dass er und seine Mitstreiter auf diese Art und Weise befragt wurden. Er erwiderte Porchesters Blick, als dieser schließlich wieder von seinen Unterlagen aufsah.

»Was machen die Albträume?«

Dan zwinkerte. »Was?« Diese Frage hatte er nun wirklich nicht erwartet, was ihn ein paar Sekunden aus dem Konzept brachte. »Alles okay. Warum?«

»Nun«, antwortete Porchester und beugte sich in seinem Stuhl vor. »Weil wir auch den Umstand berücksichtigen müssen, dass diese Bombenentschärfung einer mental gestörten Person übertragen worden ist.«

Dan stand abrupt auf und stieß dabei seinen Stuhl nach hinten um. Er beugte sich dem anderen Mann weit über den Tisch entgegen, der daraufhin sichtlich in seinem Stuhl zusammenschrumpfte.

»Jetzt hören Sie mir mal ganz genau zu, Sie elender Bastard«, knurrte er fuchsteufelswild. »Ich habe diesem Land voller Stolz gedient und ich brauche bestimmt nicht jemanden wie Sie als Zweitgutachter, der mir erzählt, welche Auswirkungen meine Erlebnisse im Irak auf mich gehabt haben. Ich brauche Ihre Sympathie nicht, genauso wenig wie Ihre indirekten Anschuldigungen. Geben Sie mir gefälligst nicht die Schuld dafür, dass Sie die Möglichkeit verpasst haben, Ihren Namen in den Schlagzeilen zu lesen. Nur weil Sie mehr damit beschäftigt gewesen sind, sich den Arsch zu kratzen, anstatt sich darum zu kümmern, dass eine Bombe, die auf dem Weg zu uns war, von Ihrer Verwaltung übersehen wurde. Ich habe nur getan, was ich tun musste und ich würde es jederzeit wieder so machen.«

Dan wandte sich um, hob den Stuhl auf und stellte ihn wieder hin. Während er sich setzte, erhaschte er Davids Blick und verschränkte die Arme vor der Brust. Er starrte Porchester an, der so tat, als wäre er von Dans Ausbruch vollkommen unbeeindruckt, und sich mit seinen Dokumenten und Akten beschäftigte. Dan ließ seinen Blick nach unten wandern und stellte fest, dass die Hände des Mannes zitterten. Er grinste still in sich hinein, starrte Porchester aber weiterhin ungehalten an.

Der Premierminister hustete leise. »Gentlemen, wir sollten vielleicht eine kleine Pause einlegen.«

Zustimmendes Gemurmel erklang rund um den Tisch.

»Hervorragend. Dann kommen wir in fünfzehn Minuten wieder hier zusammen. Mr. Ludlow, könnte ich Sie noch kurz allein sprechen, bevor Sie gehen?«

Dan schob seinen Stuhl nach hinten und stand auf. Mitch griff nach seinem Arm, drängte ihn zur Tür hinaus und ließ Dan erst mitten auf dem Flur wieder los. Sie blieben vor einem der Fenster stehen, von dem aus man auf den Gebäudekomplex hinunterschauen konnte.

Mitch fuhr sich mit der Hand über die Augen.

»Das lief ja richtig gut.«

Dan schüttelte den Kopf, während er die Menschen unter sich dabei beobachtete, wie sie beschäftigt hin und her wuselten.

»Das hier ist ein Haufen Vollidioten«, meinte Mitch. »Anstatt dir und David dafür zu danken, dass ihr den Job so gut erledigt habt, wollen sie euch auch noch an den Karren fahren.«