Kommissar "Anders" & das Haus der weißen Katze

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Nichts, wie ins Haus!

Jerry sprang die Treppe hoch, steckte den Schlüssel ins Schloss und versuchte aufzusperren, doch die Tür ließ sich nicht öffnen! So eine Kacke, das war der falsche Schlüssel, der passte wohl nur zu seinem Zimmer! Wie ein Besessener hämmerte er nun mit der Faust gegen das alte Holz und blickte sich dabei ängstlich nach den schreienden Katzen um, die nun im großen Bogen vor der Treppe saßen und ihn geradezu lauernd anstarrten.

Endlich wurde die Haustür von innen aufgesperrt und geöffnet. Jerry drückte sich augenblicklich von außen dagegen und fiel beinahe in den Hausflur, als die Tür so unerwartet nachgab.

„Nicht so stürmisch!“, kommentierte Frau Baierl, seinen beinahe Fall und er taumelte an ihr vorbei.

„Die Katzen! So viele, des müssen Hundert sein!“, japste er entsetzt und sie lachte auf.

„Net ganz, höchstens fuchzig, oder a paar mehr“, meinte sie trocken und machte die Haustüre hinter sich zu. „Warum ham`s keinen Schlüssel mitgenommen?“

„Warum, haben Sie mir keinen gegeben?“, konterte Jerry und schnaufte erstmal durch. „Des is ja Wahnsinn, ich hab noch nie, so viele Katzen auf einmal, gesehen! Die waren überall und haben mir sogar den Rückweg versperrt!“

„A so a Schmarrn! Wieso, sollten die des tun? Vielleicht weil Sie so zum Fressen nett aussehen, ha? Ich dachte, Sie lieben Katzen?“, sagte sie mit einem mokanten Unterton und Jerry kniff kurz die Augen zusammen.

„Ja, aber net so viele! Des war unheimlich!“, erwiderte er und erschauderte unwillkürlich.

Seine neue Zimmerwirtin grinste sich eins und zuckte die Achseln. „Verstehen`s jetzt, warum ich keinen Mann brauch? Keiner, traut sich nachts, da her! Die Katzen, passen scho auf, auf mich!“, sagte sie und Jerry glaubte ihr aufs Wort. „Brauchen`s noch was?“

„Ja, a Flaschn Schnaps!“, antwortete Jerry spontan und sie lachte, was gar nicht so zynisch wie sonst immer bei ihr, klang. Eher sympathisch, sehr, sogar.

„An Schnaps, hab ich keinen, aber wenn`s a Glasel Wein möchten? Ich hab grad einen aufgemacht“, meinte sie und deutete den Flur entlang.

„Echt? Also, da würd ich nicht Nein sagen“, antwortete Jerry und folgte ihr in ein doch recht gemütliches Wohnzimmer.

Mehrere Kerzen waren angezündet und spendeten mit einer alten Stehlampe ein heimeliges Licht und in einem großen Kachelofen brannte und knisterte ein wärmendes Feuer. „Nett, haben Sie es hier“, raunte Jerry und öffnete seine Lederjacke.

„Sie können sich ruhig setzen, Herr Anders“, meinte sie nur und holte ein zweites Glas, aus einer Vitrine.

„Jerry!“

„Hm?“

„Sie können mich ruhig, Jerry nennen! Herr Anders, klingt so“, er zuckte die Schultern, „irgendwie mag ich meinen Nachnamen nicht so und ich fühle mich dann auch so alt, wenn mich jemand so nennt und irgendwie ist des doch auch so unpersönlich! Sie sind doch auch noch ziemlich jung, oder?“

„Oder?“ Wieder lachte sie herzlich. „Des klang aber nicht gerade überzeugt! Und nicht sehr schmeichelhaft!“

Prompt färbten sich seine Wangen rot, was ihn noch jungenhafter und geradezu unschuldig aussehen ließ. Verlegen ging er zuerst auf das Sofa zu, auf dem eine flauschige Decke lag, doch dann entschied er sich doch dafür auf dem Sessel Platz zu nehmen, der schräg gegenüberstand. Erst jetzt fiel ihm die weiße Katze auf, die es sich auf der weichen Decke gemütlich gemacht hatte und zusammengerollt, wie sie war, eher wie ein bauschiges Kissen wirkte.

Seine Gastgeberin kam zum Tisch, schenkte Rotwein ein und reichte ihm lächelnd das Glas, was ihr Gesicht für einen Moment wesentlich weicher und hübscher erscheinen ließ. Ja, hässlich war sie nicht, wirklich nicht.

Jerry lächelte zurück und nahm mit einem Nicken das Glas entgegen, woraufhin sie kurz seine gepflegte Hand musterte. „Danke!“

„Was haben Sie denn studiert?“, fragte sie und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen in die ihm nahegelegene Sofaecke.

„Ähm, Maschinenbau, wieso?“ Verdammt!

„Nur so, ich dachte nur, Ihre Hände, die sehen nicht gerade so aus, als ob Sie viel mit Maschinen herumhantieren würden!“, meinte sie und nippte an ihrem Glas.

„Ach? Echt?“

„Echt! Die sehen eher so aus, als ob sie nie wirklich was gearbeitet hätten, so zart und weich. Klavierspielerhände, hätte meine Mutter dazu gesagt! Und irgendwie, wirken Sie auf mich auch eher so, wie ein Musiker oder ein Kunstmaler“, antwortete sie und schien ihn genau zu beobachten.

Kacke!

Jerry schüttelte gelassen den Kopf und zog erstmal seine Jacke aus, weil ihm nun doch viel zu warm wurde, aber auch, um für einen Moment aus ihrem Blickfeld zu verschwinden. „Ich kann kein Klavier spielen, gar kein Instrument! In der Grundschule, da hams versucht, mir Blockflöte spielen beizubringen, aber des ging gar nicht! Total unmusikalisch, meinte meine Musiklehrerin“, erwiderte er und sie grinste breit. „Und? Was machen Sie so?“, fragte er interessiert.

„Was meinen`s jetzt? Beruflich?“, fragte sie zurück und er nickte. „Nix! Ich hab a paar Felder verkauft und die Landwirtschaftsmaschinen haben auch a gutes Geld gebracht und des reicht mir und den Katzen, für eine ganze Weile! Ich brauch net viel“, meinte sie und für einen Moment runzelte sie nachdenklich ihre sonst noch glatte Stirn. Sie trug ihr braunes, etwas mehr als schulterlanges Haar jetzt offen und das nahm ihrem Gesicht noch zusätzlich etwas von der Strenge.

Eigentlich, war sie recht hübsch und ihre Figur konnte sich auch sehen lassen, sofern man etwas davon erahnen konnte, denn sie trug nun eine etwas schlapprige Jogginghose und dazu einen weiten Strickpullover. Aber sie war definitiv schlank und ihr Hintern war durchaus wohlgeformt, wie Jerry vorhin festgestellt hatte, als er sie von hinten gesehen hatte. Sie könnte etwas aus sich machen, vielleicht mit ein wenig Makeup, ein bisschen Wimperntusche, leichtes Rouge auf den Wangen und etwas Lippenstift, sinnierte er vor sich hin.

„Warum schaun`s mich jetzt so an?“, fragte sie auch gleich.

„Entschuldigung!“, erwiderte Jerry schnell und blickte verlegen zu Boden. „Ähm, die Katz“, sagte er ablenkend und deutete mit dem Kopf darauf, „die ist aber schon ungewöhnlich groß.“

Wie auf sein Stichwort hin, hob der weiße Kater seinen Kopf, blinzelte kurz in seine Richtung, dann gähnte er herzhaft und rollte sich wieder zusammen.

„Des ist eine sibirische Waldkatze, die werden so groß“, antwortete sie und lächelte auf den flauschigen Kater hinab. „Der Simba wiegt ganze acht Kilo!“, sagte sie stolz.

Jerry nahm überrascht den Kopf zurück. „Wow, is des ein Brocken!“

„Jaaa“, nickte sie lachend in seine Richtung, hob ihr Glas und hielt es ihm entgegen. „Kathrin“, raunte sie dabei und er stieß lächelnd mit ihr an.

„Jerry, wie gesagt. Auf dein Wohl, Prost“, antwortete er und beide tranken einen Schluck, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.

„Jerry, was is des eigentlich für ein Name?“, wollte sie leicht spöttelnd wissen. „Bayrisch klingt der net.“

„Nein, gar nicht“, antwortete Jerry lachend. „Des kommt von Jerome, so hieß mein Großvater, mütterlicherseits. Des war ein Franzos, er war im Krieg hier, als Zwangsarbeiter und da hat er sich in meine Oma verliebt und nach dem Krieg, a paar Jahre später, stand er plötzlich vor ihrer Haustür und dann hams geheiratet. Des war ein richtiger Skandal, damals und sie sind dann nach München gegangen. Ich hab aber noch einen zweiten Vornamen, Sebastian, so hieß mein anderer Opa und des hat mein Vater wohl durchgesetzt. Er hat nicht viel, von seine Schwiegerleut gehalten, die Münchner Bagage, hat er sie immer nur genannt!“

„Ach, dann kommst wohl doch, aus München?“, fragte Kathrin, wie belanglos wirkend, doch ihm war der lauernde Unterton nicht entgangen.

Kacke!

„Nein! Meine Oma, lebte dort, am Hasenbergl, kennst des?“, fragte er schnell zurück und sie schüttelte den Kopf. „Des is nicht gerade eine der feineren Gegenden, von München! Aber damals war`s wohl noch nicht so schlimm dort und meine Großeltern hatten ja auch nicht viel Geld. Da waren`s wohl einfach nur froh, dass sie überhaupt eine Wohnung in München bekommen haben.“

„Aha“, machte sie nickend und sah ihn wieder forschend an. „Ich hab nur gedacht, wegen dem Münchner Autokennzeichen, des is doch dein Wagen, oder?“, setzte sie nach und er schluckte ertappt.

So eine Kacke, was sollte er nun antworten? „Ja, äh, des ist eigentlich des Auto, von meinem Opa gewesen, dem Franzos und mei Oma hat ihn mir geschenkt, weil ich mich a Zeitlang um sie gekümmert hab, in München! Da hab ich auch bei ihr gewohnt, am Hasenbergl“, stotterte er herum. „Sechzig Jahre, hat meine Oma da gelebt, ja, bis sie“, Jerry verzog betrübt sein Gesicht, „letztes Jahr, ist sie gestorben, mit achtundachtzig!“

„Ist doch ein schönes Alter“, meinte sie nur achselzuckend und trank ihr Glas leer.

 

„Ja, schon, aber ich hing sehr an ihr und irgendwie tut`s halt immer noch ein Bissel weh, wenn ich an sie denke“, sagte Jerry und leerte ebenfalls sein Glas. „Deshalb hab ich auch des Kennzeichen nicht ändern lassen, verstehst? A bissel aus Nostalgie, halt!“

Kathrin nickte leicht. „Magst noch?“, fragte sie und hob die Flasche an.

„Gern!“ Er wartete, bis sie die Gläser neu gefüllt hatte, dann lehnte er sich etwas vor. „Und du? Leben deine Großeltern noch?“

Kathrin schüttelte den Kopf. „Naa, die sind schon länger tot!“

„Und deine Eltern?“, fragte er interessiert. „Leben die hier, in der Nähe?“

Wieder schüttelte sie den Kopf. „Die sind bei einem Unfall gestorben!“

„Oh! Des tut mir leid, hast keine Geschwister?“

„Des muss dir nicht leidtun, des is scho zehn Jahre her!“, erwiderte sie und tat es wieder mit einem lässigen Schulterzucken ab. „Geschwister hab ich auch keine, aber des macht nix, ich komm sehr gut, alleine klar“, sagte sie noch und Jerry meinte, eine kleine Unsicherheit herauszuhören.

„Ich bin auch ein Einzelkind“, sagte er und lächelte sie an. „Und zu meinen Eltern, hab ich so gut wie keinen Kontakt mehr.“

„Und warum?“, hakte sie nun doch neugierig geworden, nach.

„Die wollten nicht, dass ich nach Hamburg gehe.“ Jerry drehte gedankenverloren sein Glas, bevor er sie wieder ansah. „Ich war ein bissel schwierig, als Kind, oder eher, als Jugendlicher! Ihnen hat mein Lebensstil nicht gepasst“, versuchte er es zu umschreiben. „Ich bin einfach abgehauen und mit sechzehn zu meiner Oma gezogen. Mit achtzehn, bin ich dann nach Hamburg gegangen, gleich, nach dem Abi.“

„Du hast Abitur gemacht?“, fragte sie beeindruckt. „Klar, sonst hättest ja nicht studieren können!“

„Deswegen nicht! Meine Oma, wollte es. Sie hat immer gesagt, Bub, du musst was aus dir machen, sonst landest später auch am Hasenbergl!“

Und genau da, bist gelandet!

Ihr Mund verzog sich zu einem feinen Lächeln. „Gute Oma! Siehst, man soll halt doch auf seine alten Leut hören“, meinte sie und beide lachten auf.

Es war seltsam, aber er musste sich eingestehen, dass es ihm irgendwie guttat, einmal so locker mit jemanden über sich zu reden und, dass sie ihm mehr und mehr, gefiel. Wie lange, hatte er nicht mehr einfach so, mit jemandem geplaudert, außer mit Niklas, halt.

Niklas!

Verdammt! Er musste vorsichtiger sein! Was machte er eigentlich hier? Sitzt da und quatschst hier blöd rum, schalt er sich selbst. Sieh lieber zu, dass du was über ihn herausfindest!

„Hast du eigentlich öfter Gäste, oder ladest du jeden gleich zu dir ins Wohnzimmer ein, an den du ein Zimmer vermietest?“, fiel er gleich mit der Tür ins Haus und bereute es auch sofort, denn ihre ganze Körperhaltung ging sofort auf Ablehnung. Malik würde dir jetzt eine vor den Latz knallen, du Depp!

„Nein, eigentlich mache ich das sonst nie“, antwortete Kathrin abweisend und rutschte ein Stück von ihm weg. Der Kater fühlte sich dadurch wohl gestört, hob den mächtigen Kopf und sah sie mokiert an. „Ist schon gut, Simba“, sagte sie zu ihm und seine Schwanzspitze zuckte einige Male, hin und her.

„Der mag dich wohl sehr, der wedelt sogar mit dem Schwanz, wenn du sprichst“, versuchte er erneut, sie abzulenken, doch sie setzte nur ein spöttisches Lächeln auf.

„Der Simba, mag keinen! Der wedelt nicht, mit dem Schwanz! Des machen nur Hunde, wenn sie sich freuen! Wenn des eine Katz macht, dann solltest du lieber vorsichtig sein, sonst kanns sein, dass du eine gewischt kriegst!“, erwiderte sie darauf und er hob erstaunt die Augenbrauen.

„Echt?“

„Echt! Wenn ich ihn jetzt anfassen würde, dann würde er sofort zuschlagen und mich kratzen, oder beißen! Oder beides!“, sagte Kathrin recht mürrisch.

„Wow! Des hab ich nicht gewusst, aber streicheln, kannst ihn schon, oder?“, fragte er ungläubig.

„Den Simba, darf niemand streicheln! Der lässt sich von niemandem anfassen, nur mei Schwester, hat des gedurft“, sagte sie plötzlich und schien es auch gleich zu bereuen, denn sie verengte augenblicklich ihre Augen, nahm ihr Glas und leerte es auf einen Zug. „Ich geh jetzt ins Bett! Weißt ja, wo dei Zimmer is! Und komm ja net, auf blöde Gedanken“, zischte sie zu ihm hin, stand einfach auf und begann die Kerzen zu löschen.

„Kathrin? Was ist denn? Entschuldige, des war nicht so gemeint, vorhin! Des tut mir leid, hörst?“, versuchte er noch zu retten, was zu retten war, doch sie marschierte eiskalt aus dem Wohnzimmer.

Scheiße gelaufen!

Er hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt! „Des is wohl nicht so gut gelaufen, hm? Jetzt ist dein Frauchen sauer, auf mich“, sagte Jerry zu dem Kater und der starrte ihn mit seinen eisblauen Augen an. „Was mach ich denn jetzt? Hast wohl der Lissy gehört, hm?“

Der Kater starrte ihn unverwandt an.

„Vermisst du sie? Weißt, ich vermisse auch jemanden“, fuhr er leise fort, „eigentlich gleich mehrere. Mei Oma, am meisten und Valerie, mit der konnte ich immer so viel lachen und den Niklas, vermiss ich auch!“ Und Romy…

Jerry nahm sein Glas, trank es aus und schenkte sich den Rest der Flasche ein. Der Kater erhob sich träge, machte ein paar Schritte auf ihn zu und sprang plötzlich mit einem Satz auf seinen Schoß.

Jerry lehnte sich vor Schreck zurück und war für einen Moment, wie erstarrt, während Simba kurz mit seinen Pfoten Jerrys angespannte Oberschenkel knetete und sich anschließend schnurrend zusammenrollte. „Äh, wow!“, stammelte Jerry und berührte ganz vorsichtig das seidenweiche Fell. „Du beißt mich jetzt aber nicht, oder?“, sagte er unsicher und der Kater schnurrte brummend. Jerrys Finger tauchten tiefer in das lange Fell des Tieres ein und schließlich bewegte er sie kraulend, im Nacken des Katers. „Du bist gar nicht so bös, hm?“, raunte er sanft und Simba quittierte es mit einem gurrenden Schnurren. Rrrr, rrr, rrr, kam es tief aus dessen Kehle und Jerry spürte sogar, wie es leicht in seinem Schoß vibrierte.

„Darf ich mein Glas austrinken?“, fragte er höflich und amüsiert und der Kater drehte sich auf die Seite. „Pass auf, sonst fällst noch runter“, meinte Jerry und stützte das große Tier mit seiner Hand ab. Mit der anderen fischte er nach seinem Weinglas und zog es mit zwei Fingern weiter zu sich heran, bis er es geradeso, greifen konnte. „Magst a a bissel? Hm?“, sagte er grinsend, weil Simba nun wieder aufgestanden war und mit seinem Kopf gegen das Glas stieß. Immer wieder rieb er seitlich seinen Prachtschädel an dem Glas und Jerry lachte auf. „Hey, du, pass auf, sonst verschütte ich noch was!“, sagte er zu ihm, die Katze hörte kurz auf und Jerry nutzte die Gelegenheit und trank rasch das Glas leer.

„So, was mach ma jetzt? Hm? Betti gehen?“, fragte er, stellte das Weinglas zurück auf den Tisch und hob den Kater an. „So“, raunte er, stand auf und setzte Simba zurück auf die Couch. „Schlaf gut, Tiger!“ Jerry lächelte noch einmal auf ihn herab, nahm seine Jacke, die er einfach auf den Boden gelegt hatte, drehte sich um und machte sich auf den Weg zum Flur, doch die Katze sprang sofort wieder herunter und lief ihm hinterher. Gerade als Jerry seine Zimmertüre hinter sich zu machen wollte, schlängelte sich der große Kater noch durch den Spalt und sah ihn leicht beleidigt an.

„Na sowas! Was willst du denn hier? Ich glaub kaum, dass des deinem Frauchen gefällt!“, sagte er noch, doch der Kater lief unbeeindruckt zum Bett und sprang darauf. „Des is meins!“, meinte Jerry und setzte sich auf die Bettkante. Durch das Fenster schien fahl das Mondlicht und er knipste die altmodische Nachttischlampe an. „Rutschst wenigstens, a bissel?“, fragte er belustigt und schob das schwere Tier ein wenig beiseite.

Kopfschüttelnd stand Jerry wieder auf und sah sich suchend um. Klar, seine Taschen waren ja noch im Wagen! Keine zehn Pferde würden ihn jetzt noch einmal da rausbringen! Dann lieber mit diesem verrückten Kater hier in der Unterhose die Nacht verbringen, als noch einmal der Meute da draußen zu begegnen, dachte er und begann sich auszuziehen. Er hängte seine Jeans, den Pullover und die Lederjacke über den einzigen Stuhl, der an der gegenüberliegenden Wand stand und hielt inne. Ah! Er wollte ja Malik noch anrufen, obwohl, zum Einkaufen war es jetzt definitiv zu spät, kein Blumengeschäft hätte jetzt noch geöffnet, höchstens am Bahnhof und Malik würde ihm sicher eins husten! Naja, dann eben doch, wenn er wieder zuhause war.

Wenigstens seine Nachricht könnte er sich ja noch anhören, beschloss Jerry und durchsuchte seine Jackentaschen. Nanu, wo war denn sein Handy? Mist, wahrscheinlich auch im Auto! Macht auch nichts, dann halt morgen, dachte er und legte sich in das alte Bauernmöbelbett.

*

Der Kater schlief tatsächlich ganz friedlich bei ihm im Bett und erst als Jerry mitten in der Nacht wach wurde, weil seine volle Blase sich meldete, sprang auch er herunter und trollte sich aus dem Zimmer. „Musst auch a mal, hm?“, sagte Jerry zu ihm und die Katze verschwand im Flur.

Nur das spärliche Licht aus seinem Zimmer erhellte den gespenstisch ruhigen Gang und Jerry schlich sich unbehaglich in das kleine Gästeklo. Erstmal Licht anmachen, dachte er und schloss fröstelnd die Tür hinter sich. Er war barfuß und nur mit Pants und T-Shirt bekleidet, war es doch recht frisch, in dem unbeheizten Raum.

Wo wohl Kathrin schlief? Sie war in die entgegengesetzte Richtung gegangen, überlegte er und wahrscheinlich befand sich ihr Schlafzimmer sogar ein Stockwerk über ihm. Ob sie wohl ihre Tür zugesperrt hatte? Immerhin lebte sie hier allein und mit einem Fremden im Haus, also er, würde es sicher machen, an ihrer Stelle. Nicht, dass er gefährlich war, nein, wirklich nicht! Aber es gab bestimmt Kerle, die das ausnützen würden! Niklas?

Nein, sicher nicht! Der ließ zwar echt nichts anbrennen und schon gar keine Gelegenheit aus, die ihm eine heiße Nacht bescherte, aber sich einfach in das Schlafzimmer einer Frau schleichen? Nein, das traute er ihm dann doch nicht zu!

Ob er im gleichen Zimmer wie er, geschlafen hatte? Aber Moment, der hatte ja ein richtiges Date, mit Lissy, oder vielmehr Kathrin, denn inzwischen war sich Jerry sicher, dass sie es gewesen sein musste, die sich mit dem Namen ihrer verstorbenen Schwester im Netz herumtrieb. Aber warum?

Und mit diesen Fotos!

Jerry schlurfte zurück in sein Zimmer und kuschelte sich schnell unter das warme Federbett. Brrr, wie es hier wohl im Winter war? Wahrscheinlich eiskalt…

Als er wieder aufwachte, war es taghell im Zimmer, naja, eher trübhell, denn die Sonne ließ sich an diesem Tag nicht blicken. Typisch erster November, dachte Jerry und quälte sich aus dem Bett. Er zog sich an und folgte dem langen Flur entlang, zurück ins Wohnzimmer. Hier roch es doch nach Kaffee, eindeutig. „Hallo? Kathrin?“, rief er.

„Ich bin hier!“, hörte er ihre Stimme und durchquerte den Raum. Aha, das Esszimmer!

„Guten Morgen“, sagte er freundlich und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Bist du noch sauer?“

„Wieso sollte ich?“, fragte sie leicht ablehnend zurück.

„Na, wegen gestern! Du bist einfach abgehauen! Also, wenn ich was Falsches gesagt habe, tut`s mir leid, ich hab das echt nicht so gemeint, war echt blöd, von mir“, meinte Jerry und sah sie mit einem Dackelblick von unten herauf, an.

„Das habt ihr echt drauf, hm?“, fragte sie spöttisch und er zog die Augenbrauen hoch.

„Was?“

„Na, diesen, Steine erweichenden Blick! Übt ihr schon von klein auf, bei Mami“, antwortete Kathrin und brachte ihn damit zum Lachen.

 

„Du hältst nicht viel, von Männern, hm?“

Sie zuckte nur mit den Achseln und musterte ihn kurz, allerdings ausgiebig und von Kopf bis Fuß. „Es gibt solche und solche, aber mehr, von den Arschlöchern“, antwortete sie und verschränkte ihre Arme.

„Boah! Es gibt auch, echt scheiße Frauen!“, konterte er und sie grinste ihn zynisch an. „Warum bist`n so gegen Männer?“

„Hab meine Gründe“, antwortete sie murmelnd und drehte ihm den Rücken zu. „Hast Glück, ich wollt gerade abräumen! Magst a Ei?“

„Nur, wenns keine Umstände macht“, erwiderte er dieses Mal recht spöttisch. „Darf ich mich setzen?“

„Sicher, ist doch für dich, des Gedeck! Kaffee is in der Kanne!“

Jerry lachte kopfschüttelnd und setzte sich an den Tisch. „Also echt, du bist auch nicht gerade ein Charmebolzen!“

„Muss ich auch nicht! Hab eh nicht im Sinn, mir einen von deiner Sorte aufzubürden“, stichelte sie weiter, sich wieder zu ihm umwendend und dieses Mal grinste sie auch.

Jerry zeigte ihr einen Daumenhoch und zog gleichzeitig eine zynische Grimasse. „Is des vergiftet?“

Kathrin lachte nun herzlich. „Dann hätt ich dir Schwammerl gemacht!“

„Wow, des wär` ein Traum! Rühreier mit Schwammerl, des hat mir mei Oma immer gemacht“, giftete Jerry verzückt zurück.

„Die dadsd bei mir nur einmal essen!“

Jerry lachte herzlich und wischte sich über die Augen. „O mei, und dann? Vergrabst mich dann im Garten?“

„Naa, der Inn fließt hier ganz in der Nähe und spätestens in Passau, ziehns dich wieder raus!“, entgegnete sie eiskalt.

„Wenn`sd so weiter machst, verlieb ich mich noch glatt, in dich“, erwiderte Jerry leichthin und schmierte kopfschüttelnd lachend, Butter auf seine Scheibe Brot.

„So einer wie du, doch nicht“, raunte Kathrin abfällig und verließ das Zimmer.

Jerry blickte ihr erschüttert hinterher und plötzlich war ihm der Appetit vergangen.

Scheiße! Scheiße! Scheiße!

Irgend so ein Scheißkerl, hatte ihre Schwester umgebracht, du Arschloch!

Er trank seinen Kaffee, mit Milch und drei Löffeln Zucker und zwang sich, wenigstens die eine Scheibe Brot aufzuessen. Danach räumte er das Geschirr auf ein bereitstehendes Tablett und marschierte damit in die Richtung, in der Kathrin verschwunden war.

Die Küche befand sich direkt neben dem Esszimmer und er kam langsam auf Kathrin zu geschlurft.

„Wohin?“, fragte er kleinlaut und sie drehte sich zu ihm um.

„Des hätt ich schon gemacht!“, sagte sie barsch und deutete auf die Arbeitsfläche. „Stells dahin!“

Ok, dachte er nur und stellte das Tablett auf den angewiesenen Platz.

„Wie hast des vorhin gemeint, mit dem, so einer wie du, doch nicht?“, wollte er doch noch wissen und sie sah ihn musternd an.

„Schau dich doch an, dann weißt es!“, antwortete sie schnippisch und Jerry hob erstaunt beide Augenbrauen.

„Wie meinst jetzt des wieder? Schau ich so scheiße aus?!“, fragte er nun leicht beleidigt und sie schüttelte fassungslos den Kopf.

„Jetzt hörst aber auf! Du weißt genau, was i mein! Oder hast keinen Spiegel, zuhaus!“

Jerry zuckte ahnungslos die Schultern.

„Sag a mal, willst mich verarschen? Du, mit deiner hübschen Visagen! Du schaust doch aus, wie einer aus der Fernsehwerbung, so einer, wie der, der sich immer mit dem Parfüm einsprüht und dann hauts die ganzen Weiber um, bei seinem Anblick!“, schnauzte Kathrin ihn regelrecht an.

Jetzt wusste er erstrecht nicht mehr, was sie meinte und so blinzelte er sie nur fragend an. „Ich hab keinen Fernseher“, antwortete er hilflos und sie starrte ihn ungläubig an. „Der hat irgendwann a mal den Geist aufgegeben und ich bin halt noch nicht dazu gekommen, mir einen neuen zu kaufen“, rechtfertigte er sich achselzuckend und Kathrin konnte nur noch den Kopf schütteln.

„Weißt was? Langsam kommst mir vor, wie einer vom anderen Stern“, sagte sie und begann das Tablett abzuräumen.

„Ich hab halt nicht viel Zeit und wenn ich a mal Frei hab, geh ich lieber ins Fitness Studio oder geh Laufen. Des brauch ich, als Ausgleich für meine Arbeit, da sitz ich eben viel“, versuchte Jerry sich zu erklären und Kathrin nickte skeptisch.

„Bei deiner Arbeit, in der technischen Entwicklung?“, wollte sie wissen.

„Ja, sicher, da sitz ich halt viel vorm Computer, mach Berechnungen und so.“

„Aha! Und, läufst viel?“ Kathrin lehnte sich mit dem Hintern gegen die Spüle und sah ihn mit vor der Brust verschränkten Armen, an.

„Ja, schon“, meinte er nickend. „Nach Feierabend, halt, meistens im Englischen Garten.“

„Im Englischen Garten, in Ingolstadt! Des hab i gar nicht gewusst, dass die da a an Englischen Garten ham“, sagte sie übertrieben staunend und er zuckte leicht zusammen.

Verdammt, wie konnte er bloß so bescheuert sein! Es war wohl an der Zeit, die Reißleine zu ziehen und abzuhauen, bevor er sich hier noch um Kopf und Kragen redete!

„Ja, einen kleinen, halt, des weiß halt kein Auswärtiger und der ist echt, klein, sehr klein, bloß ein paar Wegerl, sind des“, stammelte er und zeigte dabei mit Zeigefinger und Daumen, einen geringen Abstand an.

„Gä, verarsch mi doch net! Und die Isar, fließt da auch, ha?“

„Naa, die Donau, ja, des sind die Donauauen!“, rief er aus und deutete dabei wie einem Geistesblitz folgend, auf sie. „Wusstest du, dass die vielleicht bald ein Nationalpark werden sollen?“

Kathrin sah ihn an, als würde sie nicht ganz wissen, ob er das nun wirklich ernst meinte. „Wie hast jetzt du, des Abitur geschafft?“, fragte sie ungläubig und er nahm den Kopf zurück.

„Jetzt aber! Was soll des jetzt heißen? Hältst mich für dumm, oder was? Ich hab mich halt versprochen, vorhin! Mei, ist doch wurscht, wie der saublöde Park heißt! Ich geh jetzt duschen, du Kratzbürsten!“, knallte Jerry ihr noch eingeschnappt hin und zog stocksauer Leine.

Bloß gut, dass Malik das nicht miterlebt hatte! Der hätte ihm jetzt sicher wieder Vorhaltungen gemacht, von wegen, mangelndem Konversationsvermögens und so. Und, seiner Dummheit! Ja, Jerry musste zugeben, dass das eben wirklich blöd, von ihm gewesen war. Saublöd! Entweder, hielt Kathrin ihn jetzt echt für einen absoluten geistigen Tiefflieger, oder aber, und das traf wahrscheinlich eher zu, sie glaubte ihm kein Wort!

Wütend, auf alle Welt, aber am meisten, auf sich selbst, stapfte er nach draußen, holte seine Taschen aus dem Mustang und marschierte damit zurück in sein Zimmer. Wo war nur dieses Scheiß Handy? Er hatte den ganzen Wagen durchsucht und machte sich nun daran, die Reisetasche und den Rucksack zu entleeren. Nichts!

Hatte er es vielleicht bei Frau Mahler vergessen?

Naja, dann würde er eben später nochmal bei ihr vorbeifahren! Zeit, hatte er ja genügend, dachte er, schnappte sich seinen Kulturbeutel und ging duschen.

Nur mit einem Handtuch um die Hüfte, marschierte er wieder zurück ins Zimmer und blieb erschrocken stehen. Kathrin stand mitten im Raum und sah ihn musternd an. „Is was?!“, fuhr er sie an und erwiderte herausfordernd ihren Blick.

„Naa“, antwortete sie nur und sah zu Boden. „Ich wollt nur schon a mal des Bett machen, ich komm später wieder.“

Oha, die war ja echt durcheinander! „Ich bin gleich fertig!“, raunte Jerry und stapfte zum Schrank. Aus den Augenwinkeln konnte er gerade noch erkennen, wie sie sich, noch einen letzten heimlichen Blick auf ihn werfend, aus dem Zimmer stahl.

***

Die Wände waren zartrosa gestrichen und über dem hübschen, weißen Metallbett hing ein Florentiner Strohhut, mit weißen und verblichen-gelben Stoffblüten, rings um das Hutband. Auch der verspielt romantisch wirkende Kleiderschrank, war weiß, genau wie die restliche Einrichtung und alles deutete darauf hin, dass dies hier eindeutig ein Mädchenzimmer war. Eines sehr jungen Mädchens, im Teeniealter, schätzte Malik und trat beinahe verlegen, in den Raum.

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