Kommissar "Anders" & das Haus der weißen Katze

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Natürlich bot Frau Mahler ihm sogleich ein Abendessen an, doch Jerry lehnte höflich dankend ab, unter dem Vorwand noch etwas spazieren gehen zu wollen und schickte sich an, so schnell wie möglich aus ihrer Reichweite zu kommen. Etwa eine halbe Stunde Fußmarsch von hier, sollte eine kleine Ortschaft liegen, hatte sie ihm noch erzählt, mit einem Gasthof und sogar einer sehr hübschen, wirklich sehenswerten und sehr alten barocken Kirche. Gut, die konnte er sich getrost schenken, aber ein Wirtshaus war ihm nur allzu recht. Bloß weg, von dieser Ratschkathl!

Das kleine Dorf lag malerisch zwischen einem Hügel und dem kleinen Wäldchen, das Jerry umrundet hatte und er blieb erst einmal stehen, um den idyllischen Anblick zu genießen. Ob er ein Foto machen sollte? Warum nicht, schließlich war er ja auch nur einer von diesen stressgeplagten Touris und er konnte so wenigstens Malik ein wenig ärgern! Jerry schoss mehrere Fotos von der heimeligen Gegend und schickte sie umgehend an seinen Partner. Darunter schrieb er: `Bin wandern, hier ist es herrlich, schad`, dass du nicht da bist! Liebe Grüße, aus dem schönen Niederbayern´.

Mit einem zynischen Grinsen steckte er sein Handy wieder in die Jackentasche und marschierte den Hügel hinab. Er strebte gezielt den doch überraschend großen Landgasthof an, trat ein und suchte sich ein nettes Plätzchen, in einer Nische. Als die Kellnerin an seinen Tisch kam, begrüßte er sie freundlich, nahm die Speisekarte entgegen und bestellte sich erstmal ein Weißbier.

Mmmh, Schweinebraten in Dunkelbiersoße, dazu Knödel und Krautsalat, genau sein Ding! Und das bestellte er sich auch, doch musste er danach feststellen, dass die wenigen Gäste und auch der Wirt weit weniger redefreudiger waren, als seine Hauswirtin. Hier hieß es Feingefühl zu wahren und so bestellte er sich nach dem Essen noch ein Weizen und versuchte die Kellnerin, die etwas aufgeschlossener wirkte, in ein lockeres Gespräch zu verwickeln.

„Sie kennen sich doch sicher hier aus, also ich suche einen abgelegenen Bauernhof, sicher ein älterer, der von einer Lissy Baierl geführt wird. Die soll auch Fremdenzimmer vermieten, haben Sie vielleicht schon mal was von der gehört?“, setzte er schließlich alles auf eine Karte und die doch recht hübsche Kellnerin überlegte.

„Naa, tut mir leid, aber der Name sagt mir nix! Aber ich kann ja mal nachfragen, vielleicht woaß ja in der Küche jemand was, darüber. Warum wollen`s des denn wissen?“, fragte sie neugierig zurück und Jerry lächelte sie an.

„Des is mei Cousine, des hab ich auch erst kürzlich erfahren, bei einer Testament Eröffnung, ja mei, da dacht ich mir halt, suchst sie mal und lernst sie kennen“, log er gekonnt und schenkte ihr erneut ein verführerisches Lächeln. Die Kellnerin lächelte prompt zurück, nickte ihm zu und schien ein wenig beschwingter, den Weg zur Küche zurückzulegen.

Jerry beobachtete, wie sie zuerst mit dem Wirt sprach, der daraufhin an den einzigen noch mit fünf anderen Männern besetzten Tisch trat und leise mit ihnen zu tuscheln begann. Dabei begegneten ihm immer wieder deren argwöhnische Blicke und er nickte ihnen lächelnd zu.

Prompt stand einer von denen auf und kam direkt auf ihn zu. Beinahe drohend baute der Mann sich vor seinem Tisch auf und sah auf ihn herab. Er war etwa um die vierzig, trug einen Bart und gab mit seiner abgewetzten Lederhose, Trachtenhemd und Kniestrümpfen nebst Haferlschuhen, den perfekten Paradebayern ab.

„Warum wuist`n des wissen?“, fragte er in seinem rauen Dialekt und sehr unfreundlichem Tonfall.

„Grüß Gott, erstmal. Ich suche eine gewisse Lissy Baierl, die hier in der Gegend leben soll, sie ist eine entfernte Verwandte von mir, kennen Sie sie vielleicht?“, erwiderte Jerry freundlich.

„Naa! Und wenn, dann geht’s di nix an!“, antwortete der Typ, machte noch eine drohend-nickende Kopfbewegung in Jerrys Richtung, drehte sich um und stampfte davon.

Jerry nahm verblüfft den Kopf zurück und sah dem Mann mit hochgezogenen Augenbrauen nach, wie der noch kurz mit dem Wirt ein paar Worte wechselte und gleich darauf das Gasthaus verließ.

Der Wirt nahm der Kellnerin, die gerade auf Jerry zugehen wollte, das Weißbier ab und steuerte seinen Tisch an. „Da, Ihr Bier und dann müssen`s gehen, wir machen zu!“, brummte er abweisend, knallte das Glas vor Jerry auf die Tischplatte und marschierte wieder zurück hinter den Tresen.

Wow! Wenn die alle so freundlich hier mit den Touris umgingen, na dann, Prost! Dachte Jerry fassungslos, hob sein Glas an und hielt es kurz provozierend zuprostend in die Richtung der verbliebenen vier anderen Gäste. Zwei von ihnen blickten sofort von ihm weg, einer starrte ihn mit verengten Augen an und der vierte, grinste spöttisch nickend zurück.

Also entweder wussten die irgendetwas über Lissy oder diese Kerle waren einfach nur extrem fremdenfeindlich! Aber warum? Nein, eher ersteres! Die kannten sie, definitiv!

Gerade als er zum zweiten Mal an seinem Weizen nippte, kam die Kellnerin wieder zu ihm und präsentierte Jerry unaufgefordert die Rechnung. „Bitte, entschuldigen Sie des, was da grad war“, sagte sie leise und höchst betreten und man konnte ihr deutlich ansehen, wie unangenehm ihr der Vorfall war. „Ich weiß a net, was in meinen Chef und in den Franz gefahren ist. Wir san sonst net so, zu Fremden, des müssen`s mir glauben!“

Jerry nickte ihr freundlich lächelnd zu. „Schon gut, des glaub ich Ihnen! Aber wissen`s denn wirklich nichts, über die Lissy?“

„Nein, wirklich nicht, aber ich bin ja auch net direkt von hier! Ich helf nur immer mal wieder hier aus, wissen`s, a bisserl was dazu verdienen, in den Semesterferien und so. Ich komm eigentlich aus Passau! Bitte, wenn`s jetzt zahlen möchten?“, erwiderte die Kellnerin verlegen.

„Ja, sicher“, antwortete Jerry, zog seine Brieftasche hervor und beglich die Rechnung. Er trank noch in aller Ruhe sein Glas aus, erhob sich dann und spazierte seelenruhig am Tisch der vier Männer vorbei. „Auf Wiederschauen!“, flötete er ihnen übertrieben freundlich zu und die Kerle nickten grimmig.

Die würden ihn nicht so schnell loswerden, nahm Jerry sich beim Verlassen der Wirtschaft vor und schlenderte die Straße entlang. Es war bereits dunkel geworden und aus dem Augenwinkel nahm er gerade noch den Schatten wahr, der schnell hinter einer Hausecke verschwand.

Kacke!

Alarmiert blieb Jerry stehen und spähte in die Dunkelheit. „Hey! Ich hab dich gesehen! Brauchst dich nicht zu verstecken!“, rief er so selbstbewusst wie möglich klingend, doch sein Herz raste, vor Schreck.

Der Schatten trat hervor und Jerry erkannte in ihm diesen fünften Typen, diesen angeblichen Franz und der stolzierte nun auch gleich direkt auf ihn zu.

„Und? Willst was, von mir?“, raunte Jerry herausfordernd und machte einen Schritt vorwärts.

Der Mann blieb augenblicklich stehen. „Naa, i wui dir nur sagn, dass du hier unerwünscht bist! Du bist a Schnüffler, des hab i sofort erkannt!“, zischte er abfällig.

„So ein Schmarrn! Ich such nur nach meiner Cousine, der Lissy Baierl, mehr nicht“, erwiderte Jerry und der Kerl lachte spöttisch auf.

„Die Lissy hat koan Cousin, hat sie noch nie gehabt und jetzt schleich di!“, antwortete Franz höhnisch, stieß Jerry noch grob vor die Brust, so dass dieser ein Wenig zurückwankte und marschierte an ihm vorbei.

Also doch! Er hatte es geahnt, die wussten, wer sie war! Aber wieso verhielten die sich so merkwürdig? Das würde er schon noch herausbekommen, gleich morgen, würde er seine Ermittlungen fortsetzen.

Die Gegend kam ihm nun in der Finsternis keineswegs mehr heimelig vor und er wünschte sich sehnlichst seinen Mustang herbei. Wie konnte er so blöd gewesen sein und zu Fuß gehen? Oh Mann, jetzt musste er auch noch an diesem Waldstück vorbei und das bei dieser Dunkelheit! Jerry atmete tief durch und stapfte entschlossen den Feldweg wieder nach oben, doch schon beim bloßen Anblick der ersten knorrigen Bäume, rutschte ihm fast das Herz in die Hose. Da war doch wieder ein Schatten gewesen, oder? Heilige Scheiße, lauerte ihm nun echt der nächste von denen auf?

Jerry blieb erneut stehen, holte sein Handy hervor und schaltete die Taschenlampe ein. So ein Witz, des reicht ja keine fünf Meter! Dachte er schluckend und richtete dennoch den Lichtstrahl auf die Bäume. Da bewegte sich doch was!

„Hallo?“, rief er etwas krächzend und räusperte sich. „Is da wer? Das ist nicht mehr lustig, hören Sie?“, rief er schon etwas energischer, doch nichts rührte sich.

Was sollte er jetzt machen, zurückgehen? Nein, auf keinen Fall! Mensch Malik! Da braucht man dich mal und du? Ging es in seinem Kopf herum und plötzlich kreischte irgendetwas direkt vor ihm. So laut und unheimlich klingend, dass es Jerry sämtliche Haare aufstellte!

Er zuckte erschrocken zusammen und schlug sich die linke Hand vor die Brust. Was war das denn gewesen, zum Teufel? Irgendetwas lauerte dort auf ihn und gerade als er im Begriff war umzudrehen und schnellstens Reißaus zu nehmen, stieß sich der Schatten von einem Ast ab und flog nochmals mit einem schaurigen Schrei davon.

 

Eine Eule! Wahrscheinlich ein Uhu, oder so, erkannte Jerry erleichtert und schnaufte kopfschüttelnd durch. Und was für ein riesen Vieh! Wow, er hatte noch nie einen von diesen großen Greifvögeln in freier Natur gesehen und dann auch noch so nahe!

Jetzt aber nichts wie weg hier! Wer weiß, was da noch so kreucht und fleucht, vielleicht gab es hier sogar Wölfe? Waren da nicht immer wieder Berichte in den Nachrichten gewesen, über immer mehr Sichtungen von denen, hier in Deutschland in der letzten Zeit?

Jerry beschleunigte augenblicklich seinen Gang und schließlich legte er den letzten Teil des Weges im schnellen Laufschritt zurück. Puh, geschafft, dachte er gerade, als er in die Hofeinfahrt einbog und wie angewurzelt stehenblieb, als er das diabolisch leuchtende Augenpaar vor sich sah.

Da war er, der Wolf! Tatsächlich, ein riesiger, ausgewachsener Wolf, stand da und fixierte ihn, wie die Schlange die Maus. Aus, die Maus, durchfuhr es ihn und er schrie vor Schreck und sehr unmännlich, laut auf.

Das Vieh sprang augenblich auf ihn zu, rannte direkt auf Jerry zu und, bellte! Laut und angsteinflößend bellte der große Hund ihn an, bis ihn die Kette stoppte, keine zwei Meter von ihm entfernt.

Ein Licht ging über der Haustüre an und Frau Mahler trat heraus. „Pfui, Rex, aus!“, rief sie energisch und der Hund knurrte nur noch einmal kurz. „Mei, Herr Anders, des tut mir jetzt aber leid! Sans erschrocken, gä! Des is bloß der Rex, der tut eigentlich niemanden was, ham`s koa Angst! Des hätt i Ihnen noch sagen sollen, aber wissen`s hier draußen, da braucht ma scho an großen Hund“, meinte sie gelassen und Jerry starrte sie an.

Ein Hund! Was war er nur für ein Waschlappen! Nur ein Schäferhund, also beruhige dich wieder, ermahnte er sich selbst und schlich sich zum Hauseingang. Wieder knurrte der Mistköter in seine Richtung und Jerry sprang in den rettenden Flur.

„Jetzt sans aber blass geworden, mei, des wollt ich wirklich net“, sagte Frau Mahler hinter ihm und schloss die Tür.

„Frau Mahler, haben`s vielleicht einen Schnaps, für mich?“, fragte Jerry und schluckte erst einmal.

„A Schnapserl? Ja freilich! Kommen`s nur mit“, lachte seine Hauswirtin und ging beschwingt voran.

„Sie wissen gar nicht, wie ich mich gerade erschrocken hab“, raunte Jerry und kippte den Obstler weg wie nichts, als er mit ihr in der Küche saß. „Da war eine Eule, riesig, direkt vor mir und dann noch Ihr Hund! Des bin ich einfach net gewöhnt, des war einfach zu viel Natur, auf einmal“, sagte er und hielt ihr sein Glas hin.

Frau Mahler schenkte ihm lachend nach. „Ja mei, bei uns hier draußen auf dem Land, da gibt’s die halt noch, des war sicher ein Uhu! Und Fledermais, ham ma a! Haben`s keine gesehen?“

„Fledermäuse?“, krächzte Jerry schockiert. Nein, Gott sei Dank nicht! Bloß keine Fledermäuse, dachte Jerry mit Grauen und leerte sein Glas mit einem Schluck.

„Und, ham`s was Guats zu essen bekommen?“, fragte sie gutgelaunt und Jerry nickte, schon wesentlich beruhigter.

„Ja, des Essen war schon gut, aber die Leut, also verstehen`s mich nicht falsch, die waren nicht gerade freundlich, zu mir.“

Nun nahm Frau Mahler ihren Kopf verdutzt zurück. „Wos? Des gibt’s doch net! Der Xaver ist doch immer recht freundlich, zu den Gästen! Des kann i gar net glauben“, meinte sie ungläubig.

„Ich weiß auch nicht, also, vielleicht lag es ja auch an mir“, erwiderte Jerry und zierte sich ein wenig.

„Gä! Schmarrn! Des glaub i net! Sie san doch so a netter, junger Mann“, sagte die Pensionswirtin daraufhin und schenkte nach.

Jerry atmete tief durch und drehte nachdenklich das kleine Schnapsglas in seiner Hand. „Ja zuerst war er das auch, also, wenn Sie den Wirt damit meinen. Aber dann, hab ich die Kellnerin nach jemandem gefragt und des haben die in der Wirtschaft nicht so gut aufgenommen“, versuchte er sich zu erklären und sah sie direkt dabei an. „Frau Mahler, kennen Sie vielleicht eine Lissy Baierl?“

Frau Mahler zuckte kurz zurück, als sie den Namen hörte, stand sofort auf, holte sich selbst ein Glas und schenkte es randvoll. Sie setzte sich, kippte den Schnaps auf Ex weg und schnaufte tief durch. „Ich sag Ihnen jetzt was, des is ein gut gemeinter Rat, fragen`s lieber niemanden mehr, nach ihr!“

„Dann kennen Sie sie!“, sagte Jerry fast erleichtert klingend, doch sie schüttelte plötzlich ziemlich abweisend ihren Kopf und erhob sich wieder.

„Es ist scho recht spät, ich muss Sie jetzt alleine lassen, hab noch viel zu tun“, murmelte Frau Mahler ablehnend und Jerry griff schnell nach ihrer Hand.

„Bitte, Frau Mahler, ich seh doch an Ihrer Reaktion, dass Sie den Namen kennen“, sagte er bittend.

Frau Mahler blickte kurz zu Boden. „Ja, i kenn den Namen, aber mehr kann i Ihnen net sagen! Des war eine sehr unschöne Sache, damals, mit der Annelies und i kann Ihnen nur noch a mal raten, fragen`s nicht weiter! Die Vergangenheit, soll ma ruhen lassen!“

Jerry ließ ihre Hand nicht los und stand ebenfalls auf. „Frau Mahler, ich, also ich hab Ihnen nicht ganz die Wahrheit gesagt. Ich bin nicht zum Wandern hier“, raunte er entschuldigend und sah ihr mit einem treuen Hundeblick in die Augen. „Ich suche jemanden, einen guten Freund, vielleicht mein einziger Freund, Niklas Brunner, heißt er und er ist seit über einer Woche spurlos verschwunden. Das einzige, was ich weiß, ist, dass er sich mit einer Lissy Baierl treffen wollte, hier, in der Gegend! Bitte, Frau Mahler, wenn Sie was wissen, dann helfen`s mir, ihn zu finden“, bat er und sie holte tief Luft.

„Des kann i net, tut ma leid, aber i weiß nix, über Ihren Freund! Der Name sagt mir nix und jetzt muss i ins Bett! Gute Nacht, Herr Anders“, murmelte sie unbehaglich, entzog ihm ihre Hand und ließ ihn einfach stehen.

*

Es war zum Haare raufen! Jerry wanderte ruhelos in seinem Zimmer auf und ab, nahm dann sein Handy und wählte Maliks Nummer an.

„Ja, servus Jerry, schön, dass du dich mal meldest! Geht’s dir gut? Schöne Bilder, hast mir da geschickt“, legte Malik gleich los.

„Malik! Ja, servus! Jetzt hör mir mal zu“, rief Jerry ihn unterbrechend, „ich bin da auf einer heißen Spur! Wegen meinem Freund und dieser Lissy! Anscheinend, bin ich in der richtigen Ortschaft gelandet, zumindest kennen die hier diese Lissy! Hörst du?“

„Ja, sicher, hör ich dich! Und?“

„Die sind hier alle ganz komisch geworden, richtig abweisend und unfreundlich, als ich nach ihr gefragt hab, sag ich dir! Die wissen was, über sie! Aber keiner will mir was sagen!“

„Vielleicht warst nicht freundlich genug? Du bist immer viel zu direkt und unfreundlich, des sag ich dir immer wieder“, antwortete Malik belehrend.

„So ein Schmarrn! Ich bin nicht unfreundlich gewesen, gar nicht!“, meinte Jerry aufgebracht und Malik lachte schnaubend auf.

„Also wenn`sd wie immer warst, schon! Du gehst immer wie ein Dampfhammer drauf los! Du musst a mal ein bisschen feinfühliger werden, besonders bei den Einheimischen! Auf dem Land muss ma anders vorgehen“, belehrte ihn Malik schon wieder und Jerry war kurz davor, zu platzen.

Warum war er bloß so blöd gewesen, ihn anzurufen! „Jetzt halt a mal die Klappe!“, rief er in sein Handy, „ich möchte nur, dass du was überprüfst! Machst du des, für mich?“

„Also weißt, du bist echt unmöglich! Kein Wunder, dass keiner mit dir redet“, moserte Malik mokiert.

„Ja oder Nein?!“, wollte Jerry genervt wissen.

„Ja, freilich, also was?“, murmelte Malik angesäuert und Jerry musste sich nun wirklich zusammenreißen.

„Irgendetwas, ist wohl mit dieser Lissy mal gewesen und ich möchte dich bitten, zu recherchieren, ob da vielleicht irgendwas über sie gemeldet ist! Schau bitte mal nach und überprüfe eine Anneliese Baierl, ja?“

„Ok, wenn`s dich glücklich macht“, raunte Malik noch, bevor sie ihr Gespräch beendeten.

Jetzt konnte Jerry nur hoffen, dass Malik endlich mal seinen Arsch hochbekam und wirklich seiner Bitte nachging, denn etwas anderes blieb ihm im Moment nicht übrig. Hier, würde er wohl kaum weiterkommen mit seinen Nachforschungen und das bekam er auch gleich am nächsten Morgen zu spüren. Frau Mahler ließ sich nämlich nicht bei ihm blicken und ging ihm wohl augenscheinlich aus dem Weg. Sein Frühstück stand schon bereit und außer ihm befand sich nur noch ein älteres Ehepaar, zwei Touristen aus Norddeutschland, im Frühstücksraum.

Was sollte er jetzt tun? Die einzige, die ihm weiterhelfen konnte, war seine Pensionswirtin und so musste er wohl oder übel erneut versuchen, mit ihr ins Gespräch zu kommen! Nur wie? Sollte er ihr die Wahrheit sagen? Oder erst mal so tun, als ob nichts gewesen wäre? Er musste wohl seinen ganzen Charme bei ihr einsetzen und in den sauren Apfel beißen! Hatte sie ihn nicht darum gebeten, sie in seinem Mustang mitzunehmen?

Jerry verzehrte grübelnd sein Frühstück, stand dann auf und ging hinüber in die angrenzende Küche. Lässig lehnte er sich gegen den Türstock und klopfte an die geöffnete Tür.

Frau Mahler stand mit dem Rücken zu ihm an der Spüle und werkelte an irgendetwas herum, doch als sie sein leises Klopfen hörte, drehte sie sich zu ihm um und sah ihn misstrauisch an.

„Guten Morgen, Frau Mahler“, begrüßte er sie honigsüß und setzte ein schüchternes Lächeln auf.

„Morgen!“, brummte sie zurück und drehte ihm wieder den Rücken zu.

„Frau Mahler, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie irgendwie gestern beleidigt haben sollte“, fing er vorsichtig an, stieß sich ab und kam näher.

„Brauchen`s noch was?“, fragte Frau Mahler ungewohnt abweisend, während Jerry sich neben sie stellte und sich mit dem Hintern gegen die Anrichte lehnte.

Mit gesenktem Blick schüttelte er seinen Kopf. „Nein, danke, das Frühstück war sehr gut. Frau Mahler, ich hab mir gedacht, also wenn`s ein bisserl Zeit haben, dann könnten wir eine kleine Spritztour machen, mit meinem Mustang. Wollen`s mitfahren?“, fragte er liebenswürdig.

„Naa, i hab koa Zeit!“, antwortete Frau Mahler barsch, bückte sich und holte ein Sieb aus einem der Unterschränke.

„Frau Mahler, bitte, sans doch wieder nett zu mir. Ich weiß ja nicht mal, warum Sie bös auf mich sind“, schnurrte Jerry einschmeichelnd. „Schaun`s, der Niklas ist halt mein bester Freund, wir kennen uns schon seit unserer Schulzeit und er ist wirklich, mein einziger Freund. Daten Sie nicht versuchen, herauszufinden, wenn ihre beste Freundin verschwinden würde, wo sie geblieben ist?“

„Gä, einer wie Sie, hat doch an Haufen Freind!“, raunte sie, ohne aufzublicken und Jerry schüttelte leicht den Kopf.

„Des wird Sie vielleicht wundern, aber es ist so“, antwortete er leise. „Ich hab sonst niemanden, ich bin a bissel schwierig, verstehn`s? Ich kann nicht so gut, mit anderen umgehen und mein Arbeitskollege sagt mir auch immer, dass ich unmöglich bin. Der mag mich auch nicht.“

Frau Mahler sah ihn schief an. „Wirklich? Und warum?“

Jerry zuckte hilflos die Schultern. „Ich weiß auch nicht, hat wohl mit meiner Vergangenheit zu tun, da ist a mal was passiert, des war sehr schlimm für mich“, raunte er mit belegter Stimme und nun hatte er ihre ganze Aufmerksamkeit. „Ich hab damals in Hamburg gelebt und war noch sehr jung. Da ist ein sehr lieber Mensch, der mir sehr am Herzen lag, ermordet worden“, flüsterte er jetzt fast nur noch und musste erstmal tief Luft holen. „Danach hat sich alles für mich geändert, mein ganzes Leben“, sagte er zu ihr und lächelte zart. „Ich bin dann zur Polizei gegangen, weil der Mord nie aufgeklärt wurde. Ich dachte, dass ich irgendetwas tun müsste, irgendwas! Niemand, hat das verstanden und alle haben auf mich eingeredet, dass ich den Verstand verloren hätte und verrückt wäre und so. Ich hab dann den Kontakt abgebrochen, zu meinen damaligen Freunden und Kollegen, bin zurück nach Bayern gegangen und hab mich bei der Kriminalpolizei beworben. Ich wollte nur, dass des nie wieder geschieht, dass nie wieder, jemand einfach so aus meinem Leben verschwindet, ohne dass einer was dagegen unternimmt und jetzt ist es mir wieder passiert. Ich muss wissen, was mit Niklas geschehen ist, verstehen`s mich? Und meine einzige Spur, ist diese Lissy Baierl aus Niederbayern, mit der er sich vor seinem Verschwinden verabredet hatte“, sagte Jerry entschlossen.

 

Frau Mahler drehte den Wasserhahn ab und trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. „Jetzt hören`s mir mal zu, des tut mir sehr leid, aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen! Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass des net stimmen kann, weil die Annelies scho lange tot ist! Tot und begraben, ist sie und liegt am Friedhof draußen! Und niemand, wird Ihnen hier mehr dazu sagen, glauben`s mir!“

Jerry sah sie verwirrt an. „Sind Sie sich da ganz sicher? Anneliese Baierl, Lissy? War die blond und recht hübsch und a bissel freizügig?“

Frau Mahler lachte kurz auf und nickte. „Ja, des war`s! Freizügig! Mei, die war a richtige kloane Schlampen, des sag i Ihnen! Die hat de Kerl` den Kopf verdreht, an jedem! Bis sie`s dann gefunden ham, erschlagen hat`s einer, aber mehr kann ich Ihnen wirklich net sagen“, antwortete sie zynisch.

Jerry konnte nur erschüttert seinen Kopf schütteln. „Aber wenn sie tot ist, wer hat dann mit Niklas in Kontakt gestanden? Irgendwer, muss sich ja dann als sie ausgegeben haben“, sagte er nachdenklich. „Vielen Dank, Frau Mahler, dass Sie so ehrlich zu mir waren, Sie haben mir wirklich sehr weiter geholfen! Wissen Sie vielleicht, wo die Anneliese gewohnt hat?“

„Na, bei ihrer Schwester, der Kathrin! Drüben, auf der anderen Seite, vom Dorf“, antwortete Frau Mahler mit einem Kopfnicken, Richtung Fenster.

„Danke! Hat die einen Hof?“, fragte Jerry und sie nickte kurz.

„Den ham`s von ihre Eltern geerbt, die san bei einem Unfall ums Leben gekommen, des is scho zehn Jahre her, mindestens! Die Annelies war da noch nicht a mal volljährig und die arme Kathrin hat ihre liebe Müh mit der gehabt, des sag ich Ihnen! Des Luder! Die hat nur die Mannsbilder im Kopf gehabt und die Kathrin hat alles alleine machen müssen! So fleißig, war sie, aber seit ihre Schwester tot ist, da ist sie ganz anders geworden! Sie lebt nur noch für sich alleine, auf dem Hof und der verfällt immer mehr! Sie und ihre Katzen!“, antwortete Frau Mahler. „Wissen`s, die Kathrin hat des einfach net verkraftet, erst den Tod der Eltern und dann noch des mit der Annelies, des war halt zu viel, für des arme Madel! Jetzt lebt`s nur noch, für ihre Katzen. Sie holt die ganzen Streuner von der Straßn und füttert sie durch. Mei, so a Tragödie!“

„Danke, nochmals“, sagte Jerry und drückte lächelnd ihre Hand.

„Und, was machen`s jetzt?“, fragte sie.

„Jetzt, werde ich zu ihr fahren“, antwortete Jerry entschlossen.

„Sie sagen aber net, dass Sie des von mir haben! Niemandem! Hören`s!“, sagte sie beschwörend und Jerry nickte.

„Naa, ich sag ihr gar nichts, darauf gebe ich Ihnen mein Wort“, erwiderte er und schenkte ihr nochmals ein dankbares Lächeln.

***

„Also“, sagte Mirko, der IT-Spezialist zu Malik, „ich konnte das Kennwort knacken und hab mir mal die Daten angeschaut! Nichts Außergewöhnliches, dieser Niklas war wohl ein Weinhändler, nur der übliche Schriftverkehr mit Weinerzeugern, meistens aus Franken, aber auch ein paar Mails nach und aus Frankreich und Italien. Außerdem hab ich noch ein paar gewöhnliche Pornos drauf gefunden, nichts Abartiges oder so, alles im grünen Bereich. Ach ja, der war in einigen Flirtline Seiten unterwegs und zuletzt hatte er Kontakt mit einer Lissy, echt scharf, die Kleine, und hat wohl auch ein Date mit der klargemacht.“

„Ok, das ist doch schon mal was“, antwortete Malik nickend. „Kann ich den mitnehmen?“, fragte er und deutete auf Niklas` Laptop. „Ich würd gern selbst noch a bisserl was durchsehen!“

„Freilich!“, antwortete Mirko und schob ihm den Rechner entgegen. „Das Passwort lautet `Best Friends, 1907´, letzteres ist der Geburtstag von diesem Brunner! Neunzehnter Juli, war naheliegend, die meisten nehmen ihre Geburtsdaten, aber wer der `Best Friend´ ist, weiß ich nicht“, meinte er lachend.

„Kann mir denken, wer des ist“, murmelte Malik leicht säuerlich, nahm den Laptop an sich und schlurfte zurück in sein Büro. Zuerst durchsuchte er noch einmal den Schriftverkehr mit Lissy, dann klappte er den Rechner zu und fuhr seinen eigenen hoch.

Kurzerhand gab er den Namen Anneliese Baierl, Passau, ein und lehnte sich mit einem überraschten Pfiff zurück, als er die Daten zugeschickt bekam. „Ja, da schau her!“, murmelte er in seinen kurzen Vollbart.

„Ermordet aufgefunden, mehrmals vergewaltigt und anschließend erwürgt, stumpfe Kopfverletzung, Leiche wurde von einem Angler am Innufer gefunden, Mord unaufgeklärt“, las er nuschelnd vor, „ja verreck!“

Er nahm sofort sein Handy und rief bei Jerry an, doch es meldete sich nur die Mailbox. „Ich bin`s! Ja, wo steckst denn wieder?! Du, Jerry, diese Anneliese Baierl ist tot, schon seit drei Jahren! Also wenn des die gleiche ist, die du suchst, dann hat sich dein Kumpel wohl mit einem Geist verabredet! Meldest dich bitte, bei mir, ja? Bis bald, dann“, sprach er darauf und lehnte sich durchschnaufend zurück.

Was war das denn? Wenn diese Lissy tot war, wer chattete dann mit ihrem Namen munter auf dieser Flirtline herum? Mit einem Mal wurde ihm gleichzeitig heiß und kalt, wie immer, wenn er dieses seltsame Ziehen in den Eingeweiden verspürte, dass er jedes Mal bekam, sobald sich sein Spürsinn meldete. Hier stimmte etwas nicht und zwar ganz und gar nicht! Jerry hatte also doch recht gehabt! Immer mehr machte sich dieses untrügliche Gefühl in ihm breit und er war sich nun mehr als sicher, dass er endlich handeln musste.

Einem Impuls folgend, gab er noch Jerome Anders in seinen Computer ein und wartete gespannt, doch außer einigen Strafzetteln und sogar einem dreimonatigen Führerscheinentzug wegen zu schnellfahren fand er nichts weiter. Was hatte er erwartet? Geboren am 6. Januar, in Ingolstadt, las er und rechnete nach. Jerry war gerademal sechsundzwanzig, in gut zwei Monaten würde er siebenundzwanzig werden, dieses Datum würde er sich auf alle Fälle merken und dieses Mal würde Jerry ihm bestimmt nicht davonkommen! Ha, er freute sich jetzt schon auf dessen belämmertes Gesicht, wenn er ihn mit einer Geburtstagsfete hier im Büro überraschen würde. Warum machte der eigentlich so ein Geheimnis, um sein Privatleben? Ob er mal nachsehen sollte? Jerry war ja nicht da… Nein, das ging dann doch zu weit, oder? Er könnte ja mal bei ihm vorbeifahren und ein wenig recherchieren, immerhin waren sie ja jetzt an einem `Fall´ dran, oder?

Malik fuhr das Gerät herunter, stand auf und nahm seinen Mantel. Wäre doch gelacht, wenn er nichts über seinen Partner herausfinden würde! Und was hatte es mit dieser ominösen Cousine auf sich? Romy… So hübsch, so rotes Haar…

Gerade als er sich an Jerrys Wohnungstür zu schaffen machte, kam ein ziemlich verwahrlost aussehender Typ die Treppe heraufgeschlurft und blieb stehen. „Bei dem gibt’s nix su holen“, murmelte er leicht lallend und Malik fuhr erschrocken zusammen.

„Äh, des ist jetzt nicht so, wie es aussieht“, sagte er schnell und hielt augenblicklich die Luft an, weil der Kerl einen äußerst unangenehmen Geruch um sich herum verbreitete. „Kriminalpolizei!“, raunte er und hätte sich am liebsten die Nase zugehalten. Mann, wann hatte der Kerl zuletzt geduscht?

„A,so! Der is auch Polizist“, meinte der andere und hielt sich am Geländer fest. „Is was, mit dem?“