Homo sapiens movere ~ gebunden

Text
From the series: gebunden #1
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Wah, mich fröstelte. Ging diese blöde Heizung wieder nicht? Es wunderte mich nicht, dass ich meine Hand an der Heizung nicht verbrannte. Ich sollte einen Fachmann anrufen. Verflixt, das hatte ich schon vor zwei Wochen tun wollen! Irgendwann würde ich mir doch diese Wärmewände einbauen lassen. Zusätzlich zu einer Fußbodenheizung. Wenn es nicht so viel Lärm machen würde und mein Heim währenddessen nicht zu einer Baustelle umfunktionierte – ganz zu schweigen von dem vielen Dreck – würde ich mir das nicht schon seit drei Jahren vornehmen.

Zähne knirschend stand ich auf, griff mir das Telefon und blätterte durch das Menü. Ah, da stand was von Installateuren. Ich suchte, bis ich die Spezialisten für Wärmeanlagen fand, drückte auf bestätigen und wartete auf die Verbindung. Kurz dudelte im Hintergrund eine nervige Musik. Dann führte mich eine monotone Bandansage durch ein weiteres Menü, bis ich endlich jemanden am Hörer hatte. Na bitte, geht doch. Bevor der gute Mann oder die gute Frau hereinschneite, sah ich zu, dass ich die Pläne außer Sichtweite räumte.

Die waren nur für meine Augen bestimmt.

Keine zwei Stunden später saß ich wieder vor dem Plan, kam aber einfach nicht weiter. Ich lehnte mich auf der Couch zurück und verschränkte die Arme hinter meinem Kopf. Woran könnte der alte Devereaux nicht gedacht haben? So wie der Lageplan aussah, hatte er sämtliche Eventualitäten im Auge behalten. Glatt würde ich ihn für paranoid halten; wenn er nicht schon tot wäre. Denn das meiste seiner Millionen hatte er sicher nicht in einer Socke versteckt, sondern lagerte gut behütet in einer der Banken. Ich fand einfach kein Schlupfloch. Aber verdammt nochmal, es musste eins geben!

Ich rieb mir meine Schläfen, legte die Füße auf den Tisch und rief mir jede Einzelheit ins Gedächtnis. Es gab nur einen Haupteingang, keine Nebeneingänge. Das Haus selbst hatte zwar einen Eingang für die Angestellten, aber da es innerhalb der Mauer stand, war das zweitrangig. Auch die Hunde machten mir Sorgen. Anders als Gestaltwandler dürften die selbst mit dem Zeug von Wiesel auf die eine oder andere Art reagieren. Was wiederum den Hundeführern sagen würde, dass etwas nicht stimmte.

Das war kniffliger, als ich gedacht hatte.

Ich besaß zwar nicht nur eine angeborene Fähigkeit, aber eine meiner anderen Begabungen beinhaltete gewisse Nachteile, die ich bei einem Einbruch nicht gebrauchen konnte. Nachdenklich trommelte ich mit den Fingern auf meine Oberschenkel und nippte an meinem kalt gewordenen Kaffee. Der Lösung kam ich keine Spur näher. Verflucht noch mal! In dem was ich tat, war ich die Beste. Abgesehen davon, dass mich selbst jemand beklaut hatte und ich keine Ahnung hatte, wo ich nach der vermaledeiten Statue suchen sollte. Nicht mal den Ansatz einer Ahnung! Würde mir Alan damit nicht im Nacken sitzen, würde ich es auf sich beruhen lassen. So wichtig war sie mir nicht. Selbst wenn sie noch so viel Kohle eingebracht hätte.

Ich seufzte schwer, als mir einfiel, dass ich Wiesel hatte fragen wollen. Herrje, ich wurde alt. Das Vergessen ist nur das erste ernstzunehmende Anzeichen.

In meinem Kopf war ich festgefahren. Ich kam keinen Schritt weiter. Also entschied ich mich für ein wenig Entspannung. Ein heißes Bad und ein Glas Rotwein würden Wunder wirken. Und wenn nicht?

Morgen war schließlich auch noch ein Tag. Wiesel hatte mir keinen Termin gegeben, also konnte ich mir so viel Zeit lassen, wie ich wollte. Dumm war nur, dass ich sicher keine anderen Informationen von ihm bekäme, solange sein Auftrag nicht erledigt war. Und ich brauchte Informationen über diese blöde Statue, von der ich mir wünschte, ich hätte sie niemals in die Finger bekommen.

Das Bad entspannte mich tatsächlich.

Ich war so entspannt, dass ich in meinem Fernsehsessel vor meinem riesigen Flachbildschirm mit Blueray, HD, xyz und sämtlichem anderen Trallala einschlief.

Allerdings nicht lange. Als erstes fiel mir die Fernbedienung aus der Hand und fast im gleichen Moment klingelte es an der Tür. Aus dem Tiefschlaf gerissen zu werden, ist absolut nicht empfehlenswert.

Wirklich nicht!

Normalerweise zeigte ich bei solch reflexartigem Aufwachen die Reaktion eines toten Neandertalers. Heute nicht.

Ich war so durch den Wind, dass ich völlig vergaß, dass ich mich nach dem Bad in meinen Bademantel gewickelt und im Sessel die Decke um mich geschlungen hatte, so dass es mich jetzt der Länge nach auf den Fußboden legte. Meine Ellenbogen, die ich instinktiv an mich gezogen hatte, damit die Decke nicht runterrutscht – ja, ich weiß, ich hätte sie loslassen sollen – vibrierten ebenso schmerzlich wie mein Kiefer. Ich war mir sogar sicher, dass meine Zähne einen Cancan tanzten.

Vorsichtig befühlte ich mein Kinn, aber das war noch dran.

Erneut klingelte es; diesmal länger. „Ich komm ja schon.“, brummte ich, obwohl ich wusste, dass der Klingler es nicht hörte. Fluchend biss ich die Zähne zusammen. Mein Kopf war ein einziges Summen. Ich wickelte mich aus der Decke, die sich regelrecht um meine Beine geknotet hatte und lief – mein Kinn festhaltend – zur Tür, die ich ungehalten aufriss. Wenn das ein Zeitungsvertreter wäre ...

„Du?“ Wow, also heute musste mein Glückstag sein! Erst der Plan, der mir nicht weiterhalf und der, wie mir gerade klar wurde, sehr offen auf meinem Tisch lag. Dann das Dilemma mit der Decke und jetzt auch noch Alan. Das Universum musste mich wirklich hassen.

„Lässt du mich nicht rein?“ Vor hatte ich das nicht, aber er drängte sich an mir vorbei nach drinnen. „Zieh dir was an, ich muss mit dir reden!“, befahl er barsch, obwohl er in meinem Haus war. Ha, der konnte mich mal kreuzweise!

„Ich bin angezogen. Wenn du mit mir reden willst, mach es so kurz wie möglich und dann verschwinde. Oder lenkt dich mein Anblick so ab?“ Alan sah mich ernst an. „Ablenken? Du hast eine zu hohe Meinung von dir.“ Von mir aus. Nonchalant zuckte ich mit den Schultern. Wieso schloss er seine Augen und schnüffelte? „Fichtennadel.“, sagte ich. „Was?“

„Es riecht nach Fichtennadel.“ Ich badete zu gern mit dem grünen Zeug. „Nein. Hund.“ Öhm… was? „In meiner Wohnung gibt es keine Hunde.“ Na ja, abgesehen von ihm. Auch wenn Gestaltwandler mehr Wolf als Hund waren, machte das für mich keinen Unterschied. Ich mochte weder das eine noch das andere. „Das mag sein. Aber es riecht danach. Mit welchem Rudel verkehrst du noch?“ Moment mal, das ging ihn gar nichts an. Auch wenn ich mir keiner Schuld bewusst war. Vielleicht der Heizungsmensch?

Heizungsgestaltwandler klang irgendwie ... dämlich.

„Die Frage muss ich dir nicht beantworten. Das ist mein Haus und es geht dich einen feuchten Kehricht an.“

„Falsch. Du gehörst zu meinem Rudel. Wenn du dich mit einem anderen triffst, geht mich das sehr wohl etwas an!“

„Woher zum Kuckuck soll ich wissen, wann mir einer wie du gegenüber steht? Ihr könntet euch ja Halsbänder umschnallen, damit Menschen euch erkennen.“ Die Aussage schien ihn nicht zu befriedigen. „Meine Güte, ich hatte jemanden wegen der Heizung hier. Ich frage doch nicht, zu welchem Rudel der gehört. Oder ob überhaupt!“ Es wäre mir ohnehin piepegal. Solange derjenige meine Heizung baute. „Welche Heizung?“ War der paranoid? Seufzend wies ich ihn zur Wohnstube, sah aber zu, dass ich zuerst dort ankam und den Plan wenigstens zusammenfalten konnte. Während er mit geschlossenen Augen und zurückgelegtem Kopf schnupperte, versteckte ich den Plan unauffällig. Was wäre besser geeignet als die Decke, die noch immer auf dem Fußboden lag? Ich legte sie sorgfältig zusammen, schob den Plan in die Mitte und platzierte sie auf meinem Fernsehsessel.

Tadaa, Gefahr beseitigt.

Alan spazierte aus meiner Wohnstube, ging in die Küche, ins Bad, in mein Arbeitszimmer und schließlich sogar in mein Schlafzimmer. „Gehst du bei Leuten immer ohne deren Einverständnis durchs Haus?“ Statt meine Frage zu beantworten, stellte er selbst eine. „Du lässt den Monteur in jedes Zimmer. Sogar hier rein?“ Da er mit dem Finger auf mein Zimmer deutete, wusste ich nicht, ob er den Raum oder das Bett meinte. Aber welches davon auch immer, ich verstand es nicht. „Nein, er war nur in der Wohnstube.“

„Mit wem warst du dann im Bett?“ Also da hörte der Spaß aber auf! „Hör mir mal zu Mister Ich-weiß-alles-besser-weil-ich-eine-Supernase-habe, du irrst dich! Außerdem geht dich das überhaupt nichts an. Noch weniger als nichts! Wir tun nur so, als ob wir ein Paar sind. Vor anderen. Nicht, wenn wir allein sind.“ Er drehte sich so schnell zu mir um, dass ich erschrocken rückwärts taumelte. Sein Gesicht war eine einzige Kriegserklärung.

„Es interessiert mich nicht, welchen und wie viele Kerle du vögelst. Aber wenn du mit einem anderen Gestaltwandler ins Bett gehst, werde ich das nicht tolerieren!“ Gut, dass er mir das sagte. Hieß das, mein letzter Kerl war ein Gestaltwandler? Hätte ich das bemerken müssen? Nein, stopp. Warum dachte ich überhaupt darüber nach? Aber im gleichen Moment wurde ich etwas blass. „Wie lange kannst du einen Geruch riechen?“ Er neigte den Kopf schief und musterte mich, als hätte ich eine wirklich dumme Frage gestellt. „Ungefähr eine Woche. Wenn er stark genug ist.“ Eine Woche?

Mir wurde etwas mulmig. Zitternd lehnte ich mich gegen die Wand, wobei ich große Mühe hatte, meine Übelkeit in Zaum zu halten. „Es war nur Laura hier, meine Mitbewohnerin. Bevor du fragst, sie ist ein Mensch.“ Alan schüttelte den Kopf. „Außer ihr war noch jemand hier. Und dieser jemand war in allen Zimmern hier unten. Ich wette mit dir, er war auch oben. Kann sie hier gewesen sein, als du nicht da warst?“ Ich nickte. „Aber bestimmt nicht mit einem von euch! Sie hat panische Angst vor euch. Und vor Vampiren.“ Darum war ich auch dermaßen irritiert gewesen, dass sie Binghams Agentur aufgesucht hatte.

 

„Dann bist du hier nicht sicher. Du bist meine Alpha. Du ziehst zu mir. Am besten schon gestern!“ Hoppla, war ich das, die so hysterisch kicherte? „Ich habe gerade… gehört… dass ich zu dir ziehen soll… ist das nicht… ein Brüller…?“, quetschte ich lachend und immer wieder nach Luft schnappend zwischen meinen Lippen hervor. „Schön, dass du das lustig findest. Jetzt zieh dich an und pack ein paar Sachen. Du kommst mit.“ Meine Augenbrauen schnellten nach oben. Ich war mir sicher, hätte ich keinen Haaransatz, wären sie direkt an die Decke gesprungen.

„Warum? Wenn du meinst, ich bin hier nicht sicher, kann ich auch in ein Hotel ziehen.“ Widerwillig verschränkte ich die Arme vor der Brust, aber Alan blieb hart. „Ein Hotel, hm? Was meinst du, steht dann in der Presse? Und Bingham? Bist du so dumm oder siehst du nur so aus?“ Überheblicher Armleuchter, blöder! Einer von uns beiden würde entweder durchdrehen oder es nicht überleben. Ich hatte die schwache Vorahnung, dass ich dieser jemand wäre.

„Dann tauche ich auf der Straße unter. Da findet mich niemand!“ Noch nicht mal du! „Wie ich vermutet habe. Schalte endlich den Kopf ein! Der hat nämlich eine Funktion.“

„Ja. Im Gegensatz zu deinem, der nur zur Dekoration dient!“

Ich dachte nämlich sehr wohl. Wenn ich bei Alan wäre, konnte ich den Job nicht durchführen. Und wenn ich ihn nicht durchführen konnte, stand ich mit leeren Händen vor Wiesel. Nichts mit Informationen zur Statue. Außerdem durfte Alan den Plan nicht finden. Wer garantierte mir denn, dass der bei ihm irgendwo sicher wäre? Vor Alan! Ich würde nicht bei ihm einziehen.

Unter gar keinen Umständen!

Bei Chris zu wohnen war ein Fehler. Aber das würde ich nie zugeben. Chris war… eben Chris. Er vögelte alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war und dabei beschränkte er sich nicht aufs Bett. Normalerweise brauchte ich nicht viel Licht, um deutlich sehen zu können. Doch morgens brachte ich meine Augen nicht notwendigerweise zur gleichen Überzeugung wie meinen Kopf. Also war ich in den letzten Tagen über mindestens vier Frauen gestolpert. Wortwörtlich.

Die anderen hatten immerhin auf der Couch gelegen oder irgendwo, wo man sie vorher sah. Sogar über Chris war ich einmal drüber gefallen. Er hatte es nicht bemerkt; die Frau in seinen Armen auch nicht. Ich wusste nicht, ob sie von irgendwelchen Drogen, Alkohol oder vom Sex dermaßen erledigt waren, dass sie nichts mehr mitbekamen.

Man, ich wusste, dass Chris chaotisch war.

Aber das überstieg selbst meine Vorstellungskraft.

Um ehrlich zu sein, war ich froh, dass Alan mich heute sehen wollte. Dass er mich nur per Handy erreichen konnte, ärgerte ihn maßlos. Aber ich hatte nicht vor ihm zu sagen, wo ich mich aufhielt. Es wäre mir nämlich peinlich, wenn er hier hereinplatzen würde. Nicht, dass er mich mit Chris bei irgendwelchen Intimitäten in flagranti erwischen würde. Dafür waren wir nicht geeignet. Chris war wie ein Onkel für mich.

Ein chaotischer, verrückter Onkel.

Mit einem Hang zur Selbstübertreibung.

Er würde sich glatt als gut aussehend, muskulös, zielsicher und dynamisch beschreiben. Bei gut aussehend ging unsere Meinung ein wenig auseinander. Mit seinem schütteren blonden Haar zählte er nicht zu den Männern, bei denen ich ins Schwärmen geriet. Früher war er sicher einmal muskulös gewesen, inzwischen war er… stämmig. Und zielsicher und dynamisch war er nur, wenn es um Frauen ging, was mich – Gott sei Dank – nicht einschloss. „Sammy? Gehst du aus?“ Chris torkelte mit zerzaustem Haar und nur mit Boxershorts bekleidet aus der Küche. „Ja. Ich weiß nicht, wann ich zurück bin. Könnte spät werden.“ Er gähnte und nickte langsam. „Du weißt, wo der Schlüssel ist.“ Schlurfend machte er sich auf dem Weg ins Bad, obwohl es schon vier Uhr nachmittags war.

Oder erst.

Je nachdem, aus welchem Blickwinkel man das Ganze betrachtete.

Ich rief ihm hinterher, er solle mich nicht zu toll vermissen, was er mit einem heiseren Lachen quittierte. Ich lief durch den kleinen Vorsaal, schloss die Tür hinter mir, eilte die Treppen hinunter und war froh, als ich endlich im Freien stand. Es regnete zwar nicht, aber es war saukalt. Mitte Oktober und es roch nach Schnee.

Seufzend griff ich nach dem Helm, stülpte ihn über den Kopf, nahm die Handschuhe aus meinem Rucksack, den ich gleich darauf auf meinem Rücken platzierte, zog sie an, schwang mich auf den kalten Ledersitz und hoffte, dass mir mein Hintern nicht einfror.

Wirklich, ich war dämlich. Ich hatte schließlich eine Bikermontur. Aber die trug ich nur selten. Viel lieber steckte ich in Jeans, einem bequemen Shirt, meiner Lederjacke und natürlich meinen Bikerstiefeln. Die waren der Coolnessfaktor schlechthin.

Alan erwartete mich.

Dachte ich zumindest. Stattdessen öffnete mir Sven und nahm mich sofort mit seinem unablässigen Quasseln in Beschlag. Irgendjemand sollte ihm den Mund zukleben. Wie hielt Alan diesen Mann nur aus? Nicht, dass Alan mir deswegen leidtat. Ganz sicher nicht!

Nach einem gefühlten Jahrhundert, auch wenn es vielleicht nur eine halbe Stunde war, wurde ich sauer. Sven redete ohne Unterbrechung und von dem werten Herrn Garu nirgends eine Spur. Wenn er mich nur her zitiert hatte, um zu sehen, ob ich seinem Befehl folgte, konnte er sich was anhören. Irgendwie glaubte ich Sven nicht, dass Alan eine unvorhergesehene Besprechung hatte.

Selbst wenn Sven das glaubte.

Plötzlich fing mein Hintern an zu vibrieren, kurz bevor meine Gesäßtasche einen uralten Song von jemandem intonierte, den man früher den King genannt hatte. Ich liebte dieses Lied! Egal, was andere von mir dachten.

Erfreut über diese Ablenkung fischte ich es heraus und nahm, mich bei Sven entschuldigend, das Gespräch entgegen. Ich schwöre bei allem, was mir heilig war: Hätte ich einen roten Stift und einen Kalender zur Hand gehabt, hätte ich das heutige Datum mit drei Kreuzen markiert.

Dicken, fetten, blinkenden Kreuzen!

Wiesel benutzte tatsächlich ein Telefon, um mich anzurufen. Es geschahen noch Zeichen und Wunder. Noch besser war allerdings die Neuigkeit, die er mir überbrachte. Ich hätte ihn küssen können. Na ja… eher doch nicht. „Danke dir, jetzt wird die Sache ein Klacks.“, beendete ich das Gespräch und klappte mein Handy zu. Jetzt war mir sogar egal, dass Sven augenblicklich wieder auftauchte und seine Erzählungen fortsetzte. Ich grinste wie ein Kleinkind, dem man uneingeschränkten Zugang zur Spiel- und Süßwarenabteilung gewährte. Am liebsten hätte ich ein lautes ‚Juhu‘ durch Alans Haus geschmettert. Das würde gewiss gigantisch nachhallen. Da ich aber nicht bereit war, meine Hochstimmung erklären zu müssen, ließ ich es bleiben. Mit diesen neuen, unbezahlbaren Informationen könnte ich Wiesels Job morgen Abend durchziehen und anschließend Fragen nach der Statue stellen.

Immerhin lief mir bei der die Zeit davon.

Sven räusperte sich und verstummte, als Alan aus einem der unteren Zimmer trat. Sein Haar war zerzaust, sein Hemd zerknittert und er noch dabei es in seine Hose zu stopfen. Gelangweilt sah er zu mir, wobei etwas in seinen Augen aufblitzte, dass ich nicht zu definieren vermochte. Hinter ihm schwebte eine schmale Gestalt aus der Tür, die ihren kurzen Rock zurechtrückte. Aha, die Art von Besprechung also.

Hätte ich mir auch denken können.

Sollte ich das dumme, naive Frauchen spielen oder die eifersüchtige Freundin. Ich entschied mich für dumm und naiv; immerhin hatte ich sie nicht in flagranti erwischt. Als die Frau mich in der Halle stehen sah, schaute sie erst unsicher zu mir, dann zu Alan, bevor sich auf ihrem Gesicht ein diebisches Grinsen ausbreitete. Huch? Wie sollte ich denn das interpretieren?

„Ruf mich an, wenn du noch was brauchst.“, verabschiedete sich Alan von ihr, bevor er ihr die Hand in den Rücken legte und sie zur Tür brachte. Dann endlich wandt er sich mir zu. „Ich habe nicht viel Zeit.“, erklärte er in einem barschen Ton, der augenblicklich meine Wut zurückbrachte. „Ich auch nicht. Du wolltest mich sehen!“ Ohne auf meinen Einwurf einzugehen, packte er mich am Oberarm und zerrte mich an dem verblüfften Sven vorbei in den kleinen Salon – wobei klein eher relativ war.

Bevor er mit einem lauten Knall die Tür hinter sich schloss, rief er Sven zu, dass dieser gehen könnte. Wem wollte er eigentlich etwas vormachen? Wusste Sven denn nicht Bescheid? Ich runzelte die Stirn. Nein, das Risiko würde Alan kaum eingehen wollen.

Ich setzte mich ohne zu fragen auf die Couch, schlug die Beine übereinander und wartete, dass er mir sagte, was immer er auch zu sagen hatte. „Morgen Mittag gehen wir essen. Ins Fiorino. Ich nehme an, du hast keine geeignete Kleidung?“ Was genau verstand er unter geeignet? Vielleicht sollte er das definieren. „Woher soll ich das wissen? Ich war noch nie in dem Laden.“ Alan schnaufte, als wäre das ein unverzeihliches Argument. „Natürlich nicht.“ Ja, reib mir nur unter die Nase, dass ich nicht zu den oberen Zehntausend gehöre. Als ob mich das interessieren würde. Ich posaunte meinen Kontostand nun einmal nicht derart ungeniert in die Öffentlichkeit, wie es gewisse andere Personen machten.

Wortlos öffnete er eine Kommode, nahm eine kleine Tasche mit einem einschlägigen Logo darauf heraus und warf sie mir zu. „Das wirst du tragen. Und…“, er kam näher, „… du wirst dieses Parfum nicht mehr tragen. Benutz gefälligst das, was du mit mir gekauft hast.“ Dachte er, er konnte mich herum kommandieren? „Nein. Ich bin nicht dein Eigentum. Du kannst mir nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.“

„Doch! Vorübergehend kann ich das.“

„Sagt wer?“

„Ich bin dein Alpha. Du hast genau das zu tun, was ich dir sage.“ Ich schnaubte protestierend. „Weißt du, es kommt mir so vor, als hättest du mich diesen dämlichen Vertrag nur unterschreiben lassen, damit du mich schikanieren kannst.“

„Und du scheinst dir nicht darüber im Klaren zu sein, welche Ehre das für dich ist.“

Ehre? Wollte er mich eigentlich verarschen? „Die kannst du dir sonst wohin stecken!“, zischte ich wütend. Es kam mir so vor, als hätte er ein Patent darin, mich ständig auf die Palme zu bringen. „Sei vorsichtig, was du sagst.“, drohte er finster. „Sonst was?“

„Werde ich dir Manieren beibringen.“ Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Auch nicht meinen Kommentar. Denn wenn einer von uns beiden keine Manieren besaß, dann war doch wohl er das.

Ich hatte es noch gar nicht richtig ausgesprochen, da lag ich mit dem Gesicht voran auf dem Boden; er hockte auf mir. Hoffentlich wurde das nicht zur Gewohnheit. „Ich sollte dich daran erinnern, zu wem du gehörst!“, fauchte er, bevor er an meiner Jacke und meinem Shirt riss. Mein Nacken lag somit frei, und ohne Vorwarnung biss er zu.

Es ging alles so schnell, dass ich mich nicht wehren konnte. Ich hasste ihn dafür. Noch mehr hasste ich das Kribbeln, was sich in mir ausbreitete. Das war mir ebenso schleierhaft wie seine Erektion, die an meinem Hintern klopfte. Machte es ihn an, mich zu unterwerfen oder war er einfach nur dauergeil? Ich war wie betäubt… bewegungsunfähig. Als er ein letztes Mal seinen Biss verstärkte, glaubte ich, etwas knacken zu hören. Meinen Nacken? Mein Rückgrat? Meine Handgelenke? Der Gedanke, dass er sich einen Zahn ausgebissen haben könnte, war tröstlicher.

Vermutlich aber auch reines Wunschdenken.

Er löste sich von meinem Nacken. Aber er stand nicht auf, sondern drehte mich auf den Rücken, wogegen ich nichts unternehmen konnte. Ohne Gegenwehr drängte er meine Beine auseinander und legte sich dazwischen. Meine Handgelenke hielt er mit einer Hand fest umklammert, mit der anderen öffnete er meine Jacke sowie die wenigen Knöpfe meines Shirts, so dass mein Dekolleté frei lag. Ich fühlte mich wie eine Gummipuppe. Warum er mich weiterhin festhielt, war mir ein Rätsel. Ich konnte mich gar nicht bewegen. Alan senkte seinen Kopf auf meinen Hals. Ich spürte, wie seine Zunge darüber glitt. Seine Lippen, die länger verweilten. Zähne.

Knabberte er an mir?

Sein Mund wanderte weiter, während er mit der Hand den Ausschnitt des Shirts nach unten schob, damit er freien Zugang hatte. Immer wieder fühlte ich seine Zunge, seine Lippen, seine Zähne, die bis zu meinem Brustansatz vordrangen, während er seine Hüfte so eng an mich presste, dass ich mir nicht sicher war, ob er dort festwachsen würde. In meinem Inneren rang die Panik gegen eine verstörende Leidenschaft, die ich mir nicht erklären konnte. Und dann war es vorbei.

 

Alan stand über mir und fixierte mich wie ein Raubtier auf Beutezug. Unwillkürlich jagte mir eine Gänsehaut über den Körper, während ich mühsam wieder auf die Beine kam, unbeholfen meine Klamotten richtete und mich auf die Couch plumpsen ließ. Ich sagte nichts, obwohl mir ein paar passende, unschöne Worte auf der Zunge lagen.

Aber dafür hätte ich einen Teil – wenn auch nur einen winzigen – meines bibbernden Körpers bewegen müssen. Nach dem Akt mich auf die Couch zu hieven, fehlte mir dafür die Kraft. Er grinste eisig. „Jetzt weißt du es wieder. Wenn du in der Lage bist zu laufen, verschwinde. Und sei morgen pünktlich. Ich erwarte dich um elf.“ Damit drehte er sich um und ließ mich allein.

Verdammt!

Verdammt, verdammt, verdammt!

Fassungslos sah ich auf das Kleid in meiner Hand und dann auf mein Spiegelbild. Dieser Mann hatte mich markiert! Im wahrsten Sinne des Wortes. Mein gesamter Hals abwärts bis zum Brustansatz war mit dunkelroten Knutschflecken übersät, die ich mit dem Kleid nie und nimmer würde verstecken können. Das Ding hatte Spaghettiträger! Außerdem reichte es mir nicht mal bis zu den Knien. Sollte ich erfrieren? Ich würde aussehen wie ein halbfertiger Nachthimmel auf Eisbeinen. Ein Hauch von Nichts in Schwarz.

Halb durchsichtig und glitzernd, sobald Licht darauf fiel.

Einfach – ich holte angespannt Luft – umwerfend.

Was machte ich nur mit den Flecken? Mein Abdeckpuder würde nicht helfen. Ich müsste in dem Zeug baden, damit die Dinger auch nur ansatzweise verdeckt wären. Ich seufzte Augen rollend. Wieso erfand niemand etwas gegen solche Peinlichkeiten? Vielleicht würde Zahnpasta helfen. Irgendwo hatte ich das mal gelesen. Einen Versuch war es wert, obwohl es ziemlich eklig war. Ich verbrauchte eine ganze Tube davon, zog mein Pyjamaoberteil darüber und ging ins Bett.

Ich blöde Kuh hätte sofort danach schauen sollen.

Stattdessen hatte ich mir nochmal Devereaux’ Grundstücksriss angesehen. Das Hineinkommen war jetzt, nachdem Wiesel mir die guten Neuigkeiten durchgegeben hatte, das reinste Kinderspiel. Natürlich hatte ich mir – gleich nach dem Verlassen von Mister Knutschfleck-Desasters Haus – das Anwesen auch vor Ort betrachtet, obwohl Wiesels Recherchen sehr präzise waren. Ich wusste, wie ich morgen reinkäme, wann, was ich holen konnte, wo ich es fand und wie ich wieder rauskäme.

Ein Klacks.

Sofern ich das Mittagessen mit Alan überlebte.

Ich war schon kurz vor sieben aus dem Bett gekrochen. Nicht, weil ich munter war, sondern weil mich die eingetrocknete Zahnpaste auf Hals und Dekolleté in den Wahnsinn trieb. Ich hatte geduscht, mich angezogen, mir Kaffee gemacht. Laura angerufen, sie eine halbe Stunde lang von der Arbeit abgehalten und es mir dann vor dem Fernseher bequem gemacht. Inzwischen war es kurz nach zehn, ich war nicht sonderlich guter Laune und weiß Gott hundemüde. Trotzdem schleppte ich mich zurück in mein Zimmerchen und zog mich um. An allem war nur Alan schuld.

Dieser… eingebildete… Lackaffe!

Ich zählte die Tage, bis ich ihn endlich los wäre. Zumindest als meinen nicht ganz freiwilligen Partner. Ein größeres Problem stellte meine ebenso unfreiwillige Rudelzugehörigkeit dar. Aber da ich bis jetzt nichts dafür hatte tun müssen, wäre es vielleicht gar nicht so schlimm. Abgesehen davon dass ich Alan als Alpha zu akzeptieren hatte.

Rein theoretisch!

Unglücklich sah ich in den Spiegel. Ein Anblick zum Heulen. Das Kleid passte. Wie angegossen. Ich sah darin sogar sexy aus. Abgesehen von allem, was oberhalb des Kleides lag. Und damit meinte ich nicht mein Gesicht. Das Abdeckpuder, was ich aus dem hintersten Winkel des Spiegelschranks gekramt hatte, war ein Reinfall. Wenigstens fand ich ein Tuch, was ich mir um die Schulter drapieren konnte. Somit war wenigstens ein Teil der Abscheulichkeit nicht mehr zu sehen. Rasch schlüpfte ich in meinen Wollmantel, zog die Pumps an, die Alan ebenfalls besorgt hatte und schaute zum wiederholten Mal aus dem Fenster. Da auch heute das Wetter einen Vorgeschmack auf den Winter lieferte, hatte ich mir für halb elf ein Taxi bestellt.

Es war halb.

Aber weit und breit kein Taxi in Sicht.

Endlich, zehn Minuten später, kam das gelbe Fahrzeug in Sichtweite. Ein letztes Mal flitzte ich ins Bad, spritzte mir noch ein wenig mehr des Parfums, dass ich eigentlich nicht tragen sollte, auf und eilte nach draußen. Chris hatte ich einen Zettel hingelegt, obwohl ich nicht glaubte, dass es ihn interessierte, wann ich heimkam oder ob ich überhaupt ausging.

Ich hatte nicht erwartet, dass es dem Taxi verboten sein könnte auf Alans Anwesen zu fahren. Aber es war so. Tja, also musste ich bis vor die Tür laufen.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir alles abfror.

Wenigstens sahen mich die beiden Wachmänner mitleidig an. Durch deren gemurmelte Entschuldigung wurde mir nicht wärmer, aber sie konnten sich schließlich auch nicht gegen die Anweisungen ihres Chefs durchsetzen. Ich war froh, dass Sven mich bereits an der Tür erwartete. „Samantha, um Gottes Willen, Sie sind ja halb erfroren!“ Pflichtbewusst wie Sven nun mal war, holte er mir eine Decke, die er um meine Schultern hängte, nachdem er mir aus dem Mantel geholfen hatte. „Alan erwartet Sie bereits.“ Mit einem Nicken wies er auf eine Tür, die sich in diesem Moment öffnete. Alan winkte mich zu sich. Missbilligend betrachtete er die Decke, bevor er Kopf schüttelnd seufzte und etwas murmelte, dass wir Menschen zu empfindlich seien.

Pah! Der hatte gut reden.

Er saß in einem warmen Zimmer, mit langen Hosen, langärmeligen Hemd, einer Weste und einem Sakko. Er konnte sich wirklich nicht beklagen.

Seine Nasenflügel blähten sich und er funkelte mich – wieder mal – wütend an. Würde ich darüber eine Strichliste führen, wäre meine Hand schon nach zwei Stunden taub und ein ganzer Schreibblock aufgebraucht. In einem zuckersüßen Tonfall teilte er mir mit, dass ich mich seinen Anweisungen widersetzte. Mit einem Lächeln, was sämtliche Alarmglocken in mir schrillen ließ, nahm er das Telefon, drehte sich mit dem Rücken zu mir und führte ein sehr kurzes Gespräch. Vermutlich in Italienisch. Aber was wusste ich schon.

So wie er aufgelegt hatte, drehte er sich wieder zu mir, legte den Kopf schief, verschränkte seine Arme und trommelte mit den Fingern auf seinen Bizeps. „Was soll ich nur mit dir tun, hm? Ich sage dir, benutz das Parfum nicht und du trägst es trotzdem.“ Er schien die Ruhe selbst zu sein. Aber meine Alarmglocken bimmelten sich nicht umsonst halb zu Tode.

„Ach Mist, das hab ich ganz vergessen.“, log ich hoffentlich überzeugend. „Vergessen?“ Ich nickte schnell, weil ihn das zu besänftigen schien. „Nun, das nächste Mal wirst du es nicht vergessen, nicht wahr?“ Na aber sicher doch! „Ja.“, murmelte ich. Mit seiner rauchig, samtigen Stimme fuhr er fort. „Nimm die Decke weg.“ Das tat ich, denn hier war es wirklich angenehm warm. „Warum trägst du dieses Tuch? Nimm es ab.“ Ich riss entsetzt meine Augen auf; kam seinem Befehl jedoch nach.

Hätte ich geahnt, was er vorhatte, wäre ich aus dem Zimmer gestürmt. Aber ich ignorierte meine innere Stimme. „Sehr schön. Und nun das Kleid.“

„Wie bitte?“

„Das Kleid. Zieh es aus.“

„Ich denke nicht dran. Bist du bescheuert?“ Er grinste, kam auf mich zu, umfasste meine Taille und warf mich über seine Schulter. „Wie du willst.“ Ich zappelte und kreischte, wofür ich mir einen deftigen Klaps auf den Po einfing. „Autsch! Lass mich runter, du Halbaffe!“, brüllte ich, was mir einen weiteren Schlag einbrachte.

Das würde er mir büßen.

Ich krallte meine Nägel in seinen Hintern, woraufhin er knurrte. Allerdings ließ er sich dadurch überhaupt nicht von seinem Vorhaben abbringen. Wenig später stand ich wieder auf meinen Füßen.

You have finished the free preview. Would you like to read more?