Das Steinerne Tor

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From the series: Das Steinerne Tor #1
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Das Steinerne Tor
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Das Buch

Die Autorin

Karte von Fenmar

Prolog

Glückliche Wendung

Wer zu tief ins Glas schaut ...!

Zuhause, wo dein Herz ist

Wo die Wurzeln der Vergangenheit ruhen

Der Widerspenstigen Zähmung

Bild Hold Fast

Das Steinerne Tor

Jagdbeginn

Von Wasser und Feen

Freund oder Feind

Gemeinsame Feinde

Flucht nach vorne

Master Hobaraks heilige Hallen

Das Karussell der Gefühle

Noch mehr Annäherungsversuche

Der Feind, den man kennt, ist besser ...

Liebe liegt im Auge des Betrachters

Glücklich die Braut, die im Mondlicht sich traut

Vorbereitungen

Die Henkersmahlzeit

Unter der Erde

Große Würmer und noch größere Wunder

Eine Frage der Herkunft

Mondschein

Amon Engwar, die kränkliche Stadt der Menschen

Eine alte Geschichte

Sklavenhändler

Ians Geschichte

Sklavenhändler 2

Ende gut - alles gut ... ?

Schottisch-Gälisch

Glossar

Für Schottland-Freunde

Mòran Taing!

Vorschau

Impressum

Impressum neobooks

Das Steinerne Tor
Band 1 : Die Rückkehr

Pia Guttenson

Pia Guttenson

Silvanerweg 17

74376 Gemmrigheim

Info@piaguttenson.de

Covergestaltung: Basil Wolfrhine

Illustrationen: Arts & More by Cori

Copyright © 2017 Pia Guttenson

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtschutzgesetzes ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig und strafbar. Handlung und Namen dieser Geschichte sind frei erfunden. Namensgleichheiten und andere Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und stellen keine Diffamierung oder Beschuldigung dar.

Kinder sind das schwächste Glied unserer Gesellschaft.

Zu klein, um sich zur Wehr zu setzen,

werden sie misshandelt, verhungern,

fallen Verbrechen zum Opfer oder reißen von Zuhause aus.

Unerkannt, ungesehen und ungehört.

Jede Stunde sterben unzählige Kinder-

oder sie verschwinden und kehren nie wieder zurück.

Das Buch

Schottland in heutiger Zeit.

Am Strand der Insel Skye wartet seit Jahren ein Steinernes Tor auf diese beiden Menschen: Isandora und Ian.Das Schicksal hat sie dazu bestimmt, die Welt Fenmar jenseits des Tores zu retten. Doch Isandora weiß nicht, dass sie aus Fenmar stammt – bis sie in ihre einstige Heimat zurückkehrt. Und der Schotte Ian MacLeod folgt ihr heimlich, nicht ahnend, dass er in eine Welt gelangt, die der seinen ähnelt und doch nicht gegensätzlicher sein könnte. Wesen wie Elfen, Elben, Zwerge und Einhörner bevölkern Fenmar, und befinden sich im Krieg gegen das albtraumhafte Volk der Moorguhls. Was tust du, wenn die Welt, wie du sie kennst, aus den Fugen gerät? Was ist, wenn du nicht die bist, für die du dich gehalten hast? Wie weit gehst du für das Leben deines Kindes und die Liebe deines Lebens? Trittst du durch das Steinerne Tor?«

Die Autorin

Pia Guttenson wurde 1974 in Backnang im Rems-Murr-Kreis geboren und wuchs in den Dörfern Hohnweiler und Unterweissach auf. In ihrer Schule, dem Bildungszentrum Weissach im Tal, sah man Pia Guttenson in jeder freien Minute in der Bibliothek.Bücher und Schreiben war ihre große Leidenschaft. Daher ist es eigentlich seltsam, dass Pia Guttenson eine Lehre zur Friseurin machte, gefolgt von einer Ausbildung im Einzelhandel. Jedoch hörte sie nie auf zu schreiben und bis heute liest sie noch immer pro Woche zwei Bücher. Die Romanschriftstellerin bekommt Anregungen für ihre Werke aus ihrem Umfeld.Inspiration erfährt die Autorin aber auch beim Nordic-Walking in den idyllischen Weinbergen der Umgebung, beim Tanzen oder beim Bogenschiessen. Pia Guttenson liebt die keltische Kultur und hat auf Reisen ihr Herz in Schottland verloren.So wird es den Leser nicht überraschen, dass Schottland und die schottische Kultur in allen ihren Büchern eine Rolle spielen. Ferner ist Pia Guttenson auf Messen, Lesungen und Veranstaltungen anhand ihrer Tartankleider gut zu erkennen.

Mehr zu Pia Guttenson unter: http://piaguttenson.de

Für Mama,

die mir die Liebe zu Bücher

in die Wiege gelegt hat

und mich zu demMenschen gemacht hat, der ich bin.

Ich liebe dich Mama

Tha gràdh mòr agam ort, Thomas

Karte von Fenmar

Prolog

Einst – als die Welt noch jung – Zeit und Raum nur unbedeutende Worte waren. Einst – als Hexen als weise Frauen verehrt, Menschen, Einhörner, Drachen, Elben, Elfen, Zwerge und das kleine Volk (Gnome, Goblins, Sternenstaub-Elfen) noch in friedlichem Miteinander lebten und die Steinernen Tore der Welt noch für jedermann offen waren.

Zu jener Zeit erschufen der Herr der Sterne und die Ältesten der Welt sieben Schwerter – „Sternenschwerter“ genannt – geschaffen aus Meteoreisen, geschliffen von Elbenhand im Feuer der großen Drachen. Sie sollten den Frieden zwischen den Völkern Fenmars bewahren und Gut und Böse im Gleichgewicht halten.

Silelen – das Schwert der Menschen, Alcarinque – das Schwert der Elben, Carnil – das Schwert der Elfen, Elemmire – das Schwert der Einhörner, Mahtan – das Schwert der Zwerge, Nenar – das Schwert der Drachen und Soronume das Schwert des kleinen Volkes.

Doch die Elben und Elfen waren hochmütig und maßlos in ihrer Herrschaft, denn jeder wollte alleine über alle Völker Fenmars herrschen. In ihrem Hochmut erhoben sie die Schwerter gegeneinander und die Waffen zerbarsten. Das Gleichgewicht Fenmars geriet ins Wanken.

In seinem Zorn erschuf der Herr der Sterne die Krük aus Elb und Elf mit deren Hochmut, dem Hass der Menschen und der Gewalt der Zwerge. Die Völker sollten sich einen, um den Frieden untereinander wiederherzustellen, denn nur gemeinsam war dieser Feind zu bezwingen. Doch dies schlug fehl und endete in einem gewaltigen Blutbad.

Zwietracht herrschte unter den Völkern und sie verrieten sich gegenseitig. Einige Drachen flohen durch das Tor in die Menschenwelt, sie wurden dort gejagt und getötet, denn die Menschen dort verstanden ihre Sprache nicht. Von den Menschen verraten, überlebten nur wenige der Drachen.

 

Mit herben Verlusten auf allen Seiten trieb ein kleiner Clan der Menschen unter dem Banner des Hauses up Devlay, zusammen mit Einhörnern, Zwergen und ein paar Elben und Elfen, mithilfe des kleinen Volkes die Krük in die Moore am Ifrinns Schlund – wo sie das Moor verschlang. Das Schwert der Zwerge und das Schwert des kleinen Volkes gingen für immer in dieser Schlacht verloren. Von Nenar – dem Schwert der Drachen – fehlt jede Spur. Die Steinernen Tore in die Welt der Menschen wurden für immer geschlossen.

Doch die Gefahr war längst nicht gebannt. Die vier Lords der Noctrum hatten sich erneut erhoben und das Haus des Clans up Devlay vernichtet - bis auf ein Kind, das Sternenkind genannt, dessen sie nicht habhaft wurden. Dieses Kind wurde durch die Kraft der Liebe ihrer Mutter und Magie durch das Steinerne Tor in die Welt der Menschen geschickt, denn eine alte Prophezeiung besagt, dass sie die Welt Fenmar retten wird, um das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse zu erneuern, da die Macht der Sternenschwerter nicht länger Fenmars Hoffnung ist.

Auf Dunvegan Castle, auf der Insel Skye, hütet der Clan MacLeod seit jeher ein altes Geheimnis. Die Legende des Clans besagt: Die Frau des Chiefs John MacLeod war eine Fee und sie hat die Fairy Flag mitgebracht. Der Fairy Flag und der Macht der Fee ist es angeblich zu verdanken, dass der Clan die Zeit der Kriege und Hungersnöte ohne große Verluste überstanden hat. Die Fee und das Steinerne Tor sind die Verbindung zwischen der Welt, wie wir sie kennen und der Welt Fenmar, welche sich hinter dem Steinernen Tor verbirgt.

Glückliche Wendung

Zu einem Selbstmord braucht es vor allem eines, nämlich eine große Portion Mut.

Also, wie – verdammt noch eins – war es nur soweit gekommen? Ich war durchgefroren, dessen war ich mir sicher, aber spüren … spüren konnte ich das schon lange nicht mehr.

Eigentlich war der Kilt Rock die Sehenswürdigkeit schlechthin auf der schottischen Insel Skye, sah man mal von Dunvegan Castle ab. Von hier oben hatte man eine spektakuläre Aussicht aufs Meer und die steile Küste. Die Landschaft war ein Traum, lockte mit ihren steilen Klippen und dem wogenden Farbenspiel aus dem Blau des Meeres, dem saftigen Grün der Küste und dem Grau bis Gelb der Klippen zu jeder Jahreszeit Scharen von Touristen an.

Ich hatte selbstverständlich gewartet, bis der Touristenstrom versiegt und ich alleine hier auf dem Kilt Rock zurückgeblieben war. Lange genug hatte ich warten müssen, bis auch der letzte Japaner seine Kamera wieder eingepackt hatte und gegangen war.

Ich lachte leise auf. Kein Tourist hatte sich nah an den Abgrund getraut oder über das Geländer. Tja, ich schon. Genauer gesagt, hingen meine Beine in die endlose Leere des Kilt Rock. Über mir kreischten die Möwen und unter mir klatschten die tosenden Wellen gegen den Felsen. Es wurde zunehmend nebeliger, nicht mehr lange und die Dämmerung würde einsetzen. Erfrieren! Das wäre doch auch noch eine Möglichkeit, schoss es mir durch mein total verwirrtes Hirn.

„Ha ha ha“, lachte ich laut vor mich hin.

Die salzige Luft kitzelte meine Nase, mein Hosenboden war durchnässt vom feuchten Grün, auf dem ich saß.

Touristin zu nah am Abgrund – Stopp – alkoholisiert mit Whisky – Stopp – stürzt sich vom Kilt Rock in den Tod – Stopp

Ich sah die Schlagzeile schon in der Zeitung vor mir. Zumindest würde es keine Fotos von mir geben, da meine Überreste mit großer Wahrscheinlichkeit nicht fotogen sein würden. Zerrissen, innerlich leer, die Augen gerötet vom vielen Heulen. Himmel! Wie war ich nur auf diese absurde Idee gekommen? Was sollte sich hier schon groß ändern? Aber vielleicht war dies ja alles nur ein Albtraum.

Ich kniff die Augen fest zu und zwickte mich in den Arm. „Aua, tut das weh!“, entfuhr es mir.

Also doch kein Traum. Ich ließ mich mit geschlossenen Augen rückwärts ins Gras fallen. Bruchstückweise kam meine Erinnerung zurück. Glasgow – die Menschenmenge beim Auschecken vom Flugzeug.

Das gestelzte „Willkommen zu Hause Mrs. Georgy!“, der perfekt gestylten Blondine an der Passkontrolle. Sie hatte mich mit ihrer ganzen Art an eine dieser Barbiepuppen erinnert und unter ihrem abschätzenden Blick kam ich mir mit meinen verwaschenen Jeans und den roten Chucks regelrecht schäbig vor. Ganz zu schweigen von der überteuerten Fahrt mit dem Taxi nach Shiel Bridge. Dann zum Autoverleih – einen knallroten Mini, genau so einen hatte ich bekommen.

Und dann? Die schmale Single Track Road inmitten der Highlands. Vorbei an einem romantischen Traum aus Lochs und Glens. Zu einer anderen Zeit hatte ich diese Strecke heiß und innig geliebt, ganze Filmrollen verschossen. Doch das war in einem anderen Leben, das war eine andere Isa. Das war, bevor Sam spurlos verschwand und er – obwohl ich Himmel und Hölle in Bewegung setzte – nicht mehr zu mir zurückkam.

Ach ja – Eilean Donan Castle stieg vor meinem geistigen Auge auf – das Aushängeschild der Highlands schlechthin. Die trutzige Burg markierte mir immer den Heimweg. Früher hatten Oli und ich stundenlang auf der Mauer am Ufer des Loch Duich gesessen, den Wechsel von Ebbe und Flut am Eilean Donan Castle beobachtet oder uns über die Touristen aus all den fremden Ländern amüsiert. Vom Eilean Donan Castle war es nicht weit bis zum Kyle of Lochalsh – dort legte die Autofähre nach Kyleakin ab. Ich fuhr an den majestätischen Five Sisters und jenem Castle vorbei und kam gerade rechtzeitig zur nächsten Fährenüberfahrt am Kyle of Lochalsh an.

Und dann wäre da noch Mrs. Pomfries Bed & Breakfast in Broadford. Rosa, rosa und nochmals rosa. Teppiche in ebendieser Farbe, die jegliches Geräusch schluckten. Blümchentapeten, passende Vorhänge, selbst die Bettwäsche mit gleichem Muster und wie könnte es anders sein? In Rosa.

„Kindchen, bei mir sind Sie in den besten Händen“, höre ich sie sagen. „Wo ist denn Ihr Gepäck? Soll ich Ihnen tragen helfen, Kindchen?“

Und ihr Blick erst – als ich ihr erklärte, dass ich nur meinen Rucksack und die kleine Tasche an Gepäck dabei hatte. Bei dem Gedanken an ihre gerümpfte Nase mit der schiefen Brille darauf, die sie aussehen ließ wie eine Eule, wurde mir ein bisschen warm ums Herz.

„Kindchen! Meine Freundin Kathy ist Friseurin mit eigenem Salon, sie bringt Ihre Haarfarbe im Handumdrehen wieder in Ordnung!“

Ich hätte schreien können vor Lachen, brachte es aber nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass meine Haare tatsächlich so feuerrot waren – eine Laune der Natur, nicht die eines schlechten Friseurs. Ich hasste meine Haare. Sie waren weder glatt noch lockig, und dann diese Farbe – feuerrot. Da half auch der beste Star-Figaro der Welt nicht. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, ihr mein Drachentattoo zu zeigen, das mir vom Rücken bis zur Mitte des Oberschenkels reichte. Vermutlich würde sie in Ohnmacht fallen.

Verflixt, Isandora Georgy! Was zum Henker tust Du hier?

Der Wind nahm wieder zu und zerrte an mir. Ob es sehr wehtun würde? Bei meinem letzten Versuch hatte ich mir die Pulsadern aufgeschnitten, was damit endete, dass meine Freundin Eve mich fand (es war kein schöner Anblick) und ich beim Psychologen landete.

„Sie müssen damit abschließen und – so hart es klingt – weiterleben! Sie können es schaffen. Sam ist tot. Wenn Sie sich umbringen, wird es nicht besser!“

Springen oder springen, das ist hier die Frage. Was tue ich?

„Samy, oh Samy …“, flüsterte ich leise vor mich hin.

Ein lautes Räuspern neben mir brachte mich dazu, die Augen zu öffnen.

„Ähm, Lady. Sie sind etwas zu nah am Abgrund. Falls Sie nicht vorhaben, zu springen … würden Sie bitte etwas zurückrutschen!“

Ich sah große feste Stiefel, abgewetzte Bluejeans, ein kariertes Holzfällerhemd und das besorgte Gesicht eines Riesen, der sich über mich beugte.

„Nein!“, krächzte meine Stimme. „Nein, ich bleibe, wo ich bin!“

Ich starrte in dieses markante Gesicht mit Augen im dunkelsten Braun, das ich je gesehen hatte und hielt den Atem an.

„Ts ts. Nur schade um den guten Tropfen!“, murmelte der Riese und deutete auf die Whiskyflasche neben mir im Gras. Schließlich ließ er sich geräuschvoll neben mir nieder. „Ian Tormod Robert MacLeod, zu Ihren Diensten, Lady. Sie wollen doch nicht wirklich …?“

Er blickte skeptisch und voller Abneigung in den Abgrund und wieder zu mir.

„Also, ich ... ich ... kann Ihnen doch egal sein!“, krächzte ich mit einer Stimme, die mir nicht zu gehören schien und meine Finger umklammerten die Whiskyflasche. „Oh, ich verstehe.“

Nein, der Ansicht war ich ganz und gar nicht, ich sprach es jedoch nicht aus.

Er nahm mir den Whisky meiner Lieblingsmarke Aberlour weg. Betrachtete den Rest in der Flasche und dann mich. Der Blick dieses MacLeods spiegelte Ungläubigkeit und – wie mir schien – Missbilligung wider.

„Was, verdammt?“, fuhr ich ihn an.

„Oh, hmm… nichts.“ Er schraubte den Deckel ab und nahm einen kräftigen Schluck, den er erst im Mund behielt und dann genüsslich schluckte. Seine Augen schienen mich doch tatsächlich zu verspotten. Er sagte nichts weiter, betrachtete mich nur versonnen und ließ seinen Blick dann über den schönen Ausblick schweifen. Verflixt, dieser elendige Kerl brachte mich langsam in Rage. Er saß da, als wäre es das Normalste der Welt, mit einer Selbstmord-Kandidatin am Abgrund zu sitzen und Whisky zu trinken. Himmel, konnte man sich noch nicht mal in Ruhe umbringen?

„Zum Henker, was?“, schrie ich, zumindest dachte ich das. Allerdings hörte es sich eher wie heiseres Gebrummel an.

Ich hatte mich zu schnell aufgesetzt und die Welt begann sich um mich zu drehen. Zur gleichen Zeit umfingen mich zwei starke Männerarme und zogen mich vom Abgrund weg. Ungefähr ab demselben Moment wurde mir schlecht, wirklich sehr, sehr schlecht, was damit endete, dass ich mich in nicht endenwollenden Kaskaden übergab. Noch immer spürte ich die starken Arme, die mich sanft, aber doch energisch festhielten.

Eine raue, beruhigende Stimme an meinem Ohr flüsterte: „Whisky genießt man und eine Lady betrinkt sich nicht mit Whisky. Schade um den guten Tropfen!“

„Sch…, keine Lady!“, lallte ich.

Den Riesen schien dies nicht im Geringsten zu stören. Er lachte leise und sagte: „Ge milis amfion, tha e searbh ri dhiol!“ Was so viel bedeutete wie: Der Wein ist süß, das Zahlen bitter.

Im hintersten Winkel meines Hirns erkannte ich, dass es sich um Gälisch handelte, brachte es aber nicht fertig, irgendetwas zu erwidern. Klar, genau genommen war ich ja auch völlig betrunken. Eine warnende Stimme in meinem Kopf schrie: Du bist vollkommen wehrlos, Idiotin! Vorsichtig hoben die Arme mich hoch und gähnende schwarze Leere umfing mich.

Sie war nicht gerade leicht. Trotzdem - oder gerade deshalb fühlte sie sich so gut an in seinen Armen. Er hatte tatsächlich gedacht, dass sie springen würde. Was für eine absurde Idee, ausgerechnet vom Kilt Rock, der Traumkulisse eines jeden Touristen, springen zu wollen.

Er schätzte sie auf Mitte 30. Das Auffälligste an ihr waren die langen feuerroten Haare. Sie hatte sie zu einem Zopf gebunden, der sich langsam auflöste und etliche Strähnen hingen ihr wirr ins Gesicht. Das Gesicht einer Fee … Daran erinnerte sie ihn.

„O Mann, so dumm siehst du gar nicht aus, Lady! Also, wie zum Teufel bist du auf so eine Idee gekommen?“, brummte Ian vor sich hin.

Er war besudelt mit ihrem Erbrochenen. Glücklicherweise wurde ihm selbst nicht so schnell übel. Tatsächlich hatte Colin, sein Freund, dasselbe schon weitaus öfter fertiggebracht.

Lachend schüttelte er den Kopf. Zuerst hatte er sie für eine von diesen unsäglich lästigen, aber leider notwendigen, Touristen gehalten. Doch dann, als er näher zu ihr gegangen war, da war ihre Verzweiflung so greifbar und ihre Verletzlichkeit so deutlich, dass er ihr einfach helfen musste. Was hätte er auch sonst tun sollen?

A Dhia, Weiber!

Nein, er hätte sie nicht springen lassen. Schließlich war es seine Aufgabe für Ordnung zu sorgen, auf dem Land seiner Vorfahren. Einem überaus schönen, wilden Land, wie er fand. Er kümmerte sich um entflohene Schafe, fing sie wieder ein, reparierte Zäune, schnitt Bäume und gab dem Personal von Dunvegan Castle Anweisungen, sollte der Chief, sein ältester Bruder, nicht da sein. Er war der Verwalter und er liebte diesen Job. Scheinbar war sein Aufgabengebiet seit heute jedoch gewachsen: Selbstmorde verhindern!

 

Sie lag schwer in seinen Armen, atmete aber regelmäßig, was ihn zumindest etwas beruhigte. Der Parkplatz, mit all seinen Schlaglöchern und matschigen Pfützen und mit ihm sein alter, verbeulter Range Rover kam endlich in Sicht. Neben seinem Wagen gab es nur noch einen knallroten Mini, sonst war weit und breit kein Auto mehr zu sehen. Das war einerseits gut, hieß es doch, dass die Touristen sich endlich auf dem Heimweg in ihre Hotels oder B & B’s befanden, andererseits sah er sich einem winzigen roten Mini gegenüber.

„Daingead. Eine Konservenbüchse, was kommt sonst noch?“, fluchte Ian.

Doch zumindest zahlte sich sein Training als Schwertkampfdouble in diversen Historien-Filmen endlich einmal aus. Schließlich brauchte man fast eine Stunde für den Weg zum Kilt Rock und das ohne zusätzlichen Ballast. Sie wog zwar ein wenig mehr als seine übliche Schutzausrüstung und die Waffen, trotzdem war er nur leicht ins Schwitzen geraten.

Vorsichtig wich er den Pfützen aus und legte sie behutsam in das einigermaßen schlammfreie Gras neben dem Mini. Dort durchsuchte er ihre Jacke und förderte einen Schlüsselbund zutage. Er schloss den Mini auf und fand im Handschuhfach auf Isandora Dorothea Georgy ausgestellte Papiere.

Eine Engländerin? Eine Sassanach, nein. Halt! Ian stutzte. Geboren in Sligachan Skye, stand da.

„Aha, eine schottische Lady. Wer hätte das gedacht!“ Ian drehte sich zu ihr um. Bleich und bewusstlos lag sie da. „Dann bringen wir dich mal heim, Mylady!“

Das ins Auto setzen war noch das Einfachste, zumindest was die Lady betraf. Er fand in ihrem Geldbeutel die Adresse von Mrs. Pomfries Bed & Breakfast und ein abgegriffenes Foto eines braunhaarigen Jungen. Unter etlichen derben Flüchen brauchte er fast zehn Minuten bis er seine 1,98 m in den Mini(Baujahr 1990) gefaltet hatte, und zwar so, dass es ihm noch möglich war, mit eingezogenem Genick, an die Pedale zu kommen, ohne sie komplett durchzudrücken. Wobei er sich weiß Gott wie viele blaue Flecken und eine Beule am Kopf zuzog.

Mrs. Pomfrie war jedoch das weitaus größere Problem. Eine ältere, streng katholische Dame, mit noch strengeren Ansichten. Ein richtiger Hausdrachen, dem es gar nicht gefallen würde, wenn ausgerechnet er eine offensichtlich betrunkene Frau ablieferte. Mit Sicherheit würde sie ihm alle möglichen Schandtaten unterstellen, die er nicht begangen hatte. Zumindest nicht mit dieser Frau.

Zugegeben: Er war kein Kostverächter. Frauen gefielen ihm. Sehr sogar. Aber nicht diese hier. Sein Findling entsprach genau dem Typ Frau, der einem Mann nichts als Ärger einbrachte. Und davon hatte er in der Vergangenheit mehr als genug gehabt.

Amadain! Hast wohl immer noch nichts dazugelernt!

Mit einem Seufzer brachte er den Mini vor Mrs. Pomfries Bed&Breakfast zum Stehen, schälte sich aus dem Gefährt und machte sich daran, seinen Fahrgast aus dem Wagen zu hieven.