Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?

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A.2.4.2 Aktuelle Sprachsituation



Heute ist das Aostatal als Regione Autonoma Valle d’Aosta/Région Autonome Vallée d’Aoste eine der fünf autonomen Regionen Italiens, zusammen mit Trentino-Alto Adige/Südtirol, Friuli-Venezia Giulia und den beiden Inseln Sizilien und Sardinien. Mit Ausnahme von Sizilien anerkennen alle autonomen Regionen Italiens lokale Sprachen auf regionaler Ebene in verschiedener Form, zusätzlich zum Italienischen. Als Hauptgrund für die Autonomie des Aostatals wird oft die offizielle Zweisprachigkeit genannt:



Die Autonome Region Aosta-Tal ist seit 1948 aufgrund der offiziellen Zweisprachigkeit Italienisch-Französisch eine der fünf italienischen Regionen mit Sonderstatus. (Jablonka 1997: 1)



Die Autonomie wird durch den

Statuto speciale per la Valle d’Aosta

 (Legge costituzionale 1948, n. 4) geregelt (vgl. A.2.4.1 für die Hintergründe der Entstehung des Statuts). Neben Französisch als dem Italienischen gleichberechtigte Sprache erhält auch Deutsch in den Gemeinden des Lystals (vgl. dazu z.B. Zürrer 2009) einen anerkannten Status in der als ‹Statuto d’Autonomia› bekannten regionalen Verfassung (Art. 38 resp. 40bis). Keinen offiziellen Status erhält das in der gesprochenen Sprache durchaus bis heute verwendete (vgl. z.B. Jablonka 1997; Puolato 2006; Natale 2017) Frankoprovenzalische, das meist als ‹Patois› bezeichnet wird.



Die Sprachpolitik wird in den Artikeln 38 bis 40 des Statuts festgelegt, die wir in voller Länge wiedergeben:





ARTICOLO 38





Nella Valle d’Aosta la lingua francese è parificata a quella italiana.



Gli atti pubblici possono essere redatti nell’una o nell’altra lingua, eccettuati i provvedimenti dell’autorità giudiziaria, i quali sono redatti in lingua italiana.



Le amministrazioni statali assumono in servizio nella Valle possibilmente funzionari originari della Regione o che conoscano la lingua francese.





ARTICOLO 39





Nelle scuole di ogni ordine e grado, dipendenti dalla Regione, all’insegnamento della lingua francese è dedicato un numero di ore settimanali pari a quello della lingua italiana.



L’insegnamento di alcune materie può essere impartito in lingua francese.





ARTICOLO 40





L’insegnamento delle varie materie è disciplinato dalle norme e dai programmi in vigore nello Stato, con gli opportuni adattamenti alle necessità locali.



Tali adattamenti, nonché le materie che possono essere insegnate in lingua francese, sono approvati e resi esecutivi, sentite Commissioni miste composte di rappresentanti del Ministero della pubblica istruzione, di rappresentanti del Consiglio della Valle e di rappresentanti degli insegnanti.





ARTICOLO 40-BIS





Le popolazioni di lingua tedesca dei comuni della Valle del Lys individuati con legge regionale

hanno diritto alla salvaguardia delle proprie caratteristiche e tradizioni linguistiche e culturali.



Alle popolazioni di cui al primo comma è garantito l’insegnamento della lingua tedesca nelle scuole attraverso gli opportuni adattamenti alle necessità locali.





Nota all’art. 40-bis.





28

Articolo inserito dall’articolo 2 della legge costituzionale 23 settembre 1993, n. 2.





Nota al primo comma dell’art. 40-bis.





29

Si veda la legge regionale 19 agosto 1998, n. 47 (

B.U.

25 agosto 1998, n. 36).1



(Statuto VdA, Art. 38-40bis)



Die offizielle Gleichberechtigung der italienischen und französischen Sprache gilt für sämtliche Gemeinden des Aostatals (ein Territorialitätsprinzip wie im Fall der Schweiz, vgl. A.2.0, existiert also lediglich für das Deutsche in den Gemeinden des Lystals), sie wird aber einzig in der Gemeindeverfassung der Stadt Aosta explizit wiederholt. Diese gibt sich dadurch offiziell den Status einer zweisprachigen Stadt:





Art. 2







Parificazione linguistica





2. Nel Comune di Aosta la lingua francese è parificata a quella italiana ai sensi dello Statuto speciale per la Valle d’Aosta. La parità di uso delle due lingue nell’attività quotidiana del Comune va garantita nel rispetto delle scelte individuali di ogni cittadino. Gli atti pubblici possono essere redatti nell’una o nell’altra lingua ai sensi dell’art. 38 della legge costituzionale n. 4 del 26.02.1948 di approvazione dello Statuto speciale della Valle d’Aosta. I documenti espressamente dichiarati fondamentali dal Consiglio Comunale sono redatti in forma bilingue.2



(Statuto CdA, Art. 2)



Die gesetzliche Grundlage scheint also soweit klar zu sein: Sowohl Region als auch Stadt sind offiziell zweisprachig und anerkennen Französisch und Italienisch auf gleicher Stufe. Allerdings steht diese Grundlage in Widerspruch sowohl zur tatsächlichen Regionalpolitik als auch – in deutlich stärkerem Masse – zum Sprachgebrauch der Einwohnerinnen und Einwohner. Zwar werden offizielle Dokumente zuweilen in zweisprachiger Version erstellt, oft liegt aber lediglich eine italienische vor und im täglichen Geschäft wird von Behörden meist auf das Italienische zurückgegriffen. In A.2.4.1 haben wir mit Bauer (1999) bereits eine deutliche Zunahme der Verwendung des Italienischen im 20. Jahrhundert festgestellt. Die rigide Sprachpolitik des Faschismus und die Einwanderung italienischsprachiger Bevölkerungsteile aus anderen Regionen Italiens im Zuge der Industrialisierung sind wohl Hauptgründe. Hinzu kommt, dass auch vor dieser Epoche das Französische vornehmlich als Schriftsprache diente, während im gesprochenen Sprachgebrauch Frankoprovenzalisch vorherrschte. Jablonka hält allerdings fest, dass das Frankoprovenzalische von der valdostanischen Bevölkerung selbst oftmals dem Französischen zugeordnet wird:



Die überwältigende Mehrheit der interviewten Sprecher gab zur Antwort, dass es sich nach ihrer Auffassung beim Frankoprovenzalischen (=

patois valdôtain

) um einen «französischen Dialekt» handele . (Jablonka 1997: 17)



Wie in vielen Fällen, beispielsweise auch in Freiburg (vgl. A.2.1.1) oder Biel (vgl. A.2.3.1), in denen Entwicklungen der gesellschaftlichen Zusammensetzung in Städten stärker stattfinden als in ländlichen Gebieten, hat die Italianisierung in der Hauptstadt Aosta am frühesten und am stärksten stattgefunden.



In Bezug auf die Französischkompetenzen und die Verwendung des Französischen kommen verschiedene Untersuchungen zu verschiedenen Zeitpunkten (Jablonka 1997, Puolato 2006, Natale 2017) zum Schluss, dass die meisten Valdostanerinnen und Valdostaner nicht über erstsprachliche Kompetenzen verfügen und Französisch kaum spontan nutzen3. Jablonka drückt es besonders deutlich aus:



Das Französische im Aosta-Tal existiert nicht, es sein denn als Mythos. Dass das Französische dort überhaupt noch eine gesellschaftliche Funktion besitzt, verdankt es eben diesem mythischen Gehalt – präziser: Die gesellschaftliche Funktion besteht in der

mythischen

 Funktion insofern, als der Gebrauch des Französischen eine spezifische Gruppenkohäsion schafft und infolgedessen Identität stiftet. (Jablonka 1997: 13)





Ein als funktionelle Sprache aufzufassendes Regionalfranzösisch existiert jedoch im Aosta-Tal nicht, da es sich um eine mythisierte Fremdsprache handelt, die nur unter äusserst spezifizierungsbedürftigen Umständen

okkasionell

 gebraucht wird . (Jablonka 1997: 115)





Spontan finden im Alltag in der Regel nur das Frankoprovenzalische und das Italienische Verwendung, während die soziale Metasprachfunktion des Französischen darin besteht, dass es

keine

 Funktion in der Alltagskommunikation besitzt und als schulisch forciert vermittelte Fremdsprache einen ideologischen Zement für die Kohäsion der valdostanischen Ethnie auf einer reflektiert politischen Solidaritätsebene herstellt; die emotive Nähesprachenfunktion, die für den Dialekt charakteristisch ist, geht dem Französischen dagegen ab. (Jablonka 1997: 225; vgl. auch Jablonka 1997 Kap. 6.7, 252-253)





Die

gesellschaftliche

 Funktion des Französischen, die ihm im Aosta-Tal in dieser spezifischen Form von keiner anderen Sprache abgenommen werden kann, ist die mythische. (Jablonka 1997: 303)



Aber auch die Zahlen aus den Untersuchungen von Puolato 2006 (175-178) scheinen einen spärlichen Gebrauch sowie eingeschränkte Kompetenzen des Französischen zu bestätigen.



Dennoch hält die Regionalregierung am Status des Französischen und an den entsprechenden Anforderungen für Angestellte der regionalen Verwaltung (Art. 38 Statuto VdA) fest und im Widerspruch zu Sprachgebrauch und vorhandenen Kompetenzen scheint das Französische bei grossen Teilen der valdostanischen Bevölkerung aktuell ein grosses Ansehen zu geniessen – bei gleichzeitigem Bewusstsein der eingeschränkten Kompetenzen (vgl. Natale 2017).



Nicht zu unterschätzen ist sicherlich auch der Einfluss des ausländischen Tourismus, der in den letzten Jahren eher zugenommen hat und zu einem grossen Teil aus näher und weiter gelegenen französischsprachigen Nachbargebieten (Savoyen respektive Frankreich, Wallis respektive Romandie) stammt4, wodurch das Französische als nützliche Fremdsprache wiederum an Gewicht zu gewinnen vermag.



Was die beiden offiziellen Sprachen des Aostatals betrifft, steht Folgendes fest: Italienisch ist die klar in allen Bereichen dominierende Sprache, Französisch kommt eine identitätsstiftende (oder, wie Jablonka (1997) es ausdrückt, «mythische») Funktion zu. Unbestritten ist aber auch, dass die französische Sprache – trotz fehlender Spontaneität und eingeschränkter Kompetenz – durchaus aktiv verwendet wird, allerdings nur in einigen wenigen Situationen, zu denen wohl auch die Kommunikation mit französischsprachigen Personen von ausserhalb des Aostatals zu zählen wäre, die in den erwähnten Untersuchungen nur wenig zur Sprache kommt.

 





A.2.5 Luxemburg (Grossherzogtum und Stadt)

A.2.5.1 Sprachgeschichtlicher Überblick



Dieser knappe historische Abriss soll die Entstehung der heutigen Mehrsprachigkeitssituation im Grossherzogtum Luxemburg und in seiner Hauptstadt vorstellen, auf die wir in A.2.5.2 ausführlicher eingehen werden.



Schon bevor Luxemburg 963 erstmals schriftlich als Name eines Gebietes genannt wird, finden auf dem betreffenden Territorium Ereignisse statt, die für die sprachliche Situation von Bedeutung sein werden. Bevor das Gebiet 53 v.Chr. von den Römern erobert und bis ins 5. Jahrhundert Teil des römischen Reichs wird, ist es durch die keltisch-germanischen Treverer besiedelt. Gemäss Hoffmann 1979 ist bereits früh eine Triglossiesituation gegeben, wenn auch nicht mit denjenigen Sprachen und Besonderheiten, welche später vorherrschen werden:



Hier ist schon ein halbes Jahrtausend, bevor Luxemburg im Jahre 963 territorialgeschichtlich in das Blickfeld der Geschichte tritt, die für diesen Raum typische triglossische Sprachsituation gegeben, die sich im Laufe der Jahrhunderte nicht mehr verändern wird. Obschon das Keltische in demselben Masse schwindet, wie das Germanische zunimmt, leben drei Sprachen in einem Raum nebeneinander. Das Lateinische ist Verwaltungssprache. Als vulgärlateinische Volkssprache ist sie das Umgangsidiom der römischen Verwaltungsbeamten und latinisierten einheimischen Oberschicht. Die älteste Sprachschicht bildet das vom Volk zäh bewahrte Keltische, die jüngste das Germanische . (Hoffmann 1979: 23)



In der Zeit der Herrschaft der Grafen von Luxemburg nach 963 (Vgl. Pauly 2011: 26-34) wird das Französische 1239 zur Sprache der Urkunden, obwohl die Bevölkerung nicht in erster Linie französischsprachig ist:



Dass das Französische die Luxemburger Amtssprache wurde, als in den europäischen Kanzleien die Nationalsprachen an die Stelle des Latein traten, erklärt sich weniger aus der Sprachensituation der Grafschaft, als daraus, dass zu dieser Zeit das französischsprachige und westlich orientierte Haus Namür herrschte. (Hoffmann 1979: 26)



Ein weiteres sprachgeschichtlich bedeutendes Datum in der Luxemburger Geschichte ist 1340, als das Gebiet administrativ in ein französischsprachiges ‹Quartier wallon› und ein deutschsprachiges ‹Quartier allemand› aufgeteilt wird. Wir können also zu dieser Zeit noch von einer territorialen Zweisprachigkeit Luxemburgs (zumindest auf administrativer Ebene) sprechen. Diese wird mit einigen Unterbrüchen weitgehend auch dann noch Bestand haben, als das Territorium Luxemburgs während Jahrhunderten unter mehr oder weniger rasch wechselnder fremder Herrschaft steht: 1443 bis 1506 burgundisch, 1506 bis 1684 spanisch, 1684 bis 1697 französisch, danach bis 1714 erneut spanisch, 1714 bis 1795 österreichisch (vgl. Hoffmann 1979: 4). Die als Herzoge von Luxemburg regierenden jeweiligen Herrscher sprechen dem Gebiet grösstenteils eine weitgehend unabhängige Verwaltung zu. 1795 bis 1814 gehört Luxemburg schliesslich als Teil des ‹Département des Forêts› zum nachrevolutionären Frankreich. Dies bringt eine deutliche politische Stärkung der französischen Sprache mit sich, wie beispielsweise Ziegler 2011 anhand von amtlichen Bekanntmachungen aufzeigt (vgl. auch A.2.3.1 für die entsprechende Epoche in Biel). Für einen Überblick über die Geschichte Luxemburgs vor dem Wiener Kongress verweisen wir auf Pauly 2011 (52-66).



Entscheidend sind schliesslich einmal mehr die Beschlüsse des Wiener Kongresses von 1815, durch die Luxemburg als Grossherzogtum und offiziell unabhängiger Staat unter niederländische Verwaltung gelangt, wobei der regierende König Wilhelm I von Oranien das Gebiet aber dennoch als niederländische Provinz verwaltet, bevor es schliesslich erst 1839 in den heutigen Staatsgrenzen definitiv unabhängig wird.



Gemäss Hoffmann (1979: 31) betrachtet Wilhelm I das Gebiet als Teil der Niederlande (obwohl Teil des deutschen Bundes) und bekämpft daher dessen Beziehungen zu Deutschland und damit die deutsche Sprache.



Dies hat gemäss Ziegler konkrete Auswirkungen auf die Sprachpolitik:



Dieser komplizierte Status wirkt sich sprachenpolitisch in zweierlei Hinsicht aus: zum einen dahingehend, dass Niederländisch als Schulfach in den Grundschulen eingeführt wird; zum anderen dahingehend, dass Deutsch – zugunsten des Französischen – in zwei Domänen zurückgedrängt wird: als Schulfach an den Gymnasien und in seiner Verwendung als Amtssprache. (Ziegler 2011: 177)



Als 1830 die belgische Revolution ausbricht, soll die Sprachpolitik wiederum zu Gunsten des Deutschen geändert worden sein, um der Sympathie der Luxemburger Bevölkerung zu Belgien entgegenzutreten (vgl. Hoffmann 1979: 31). Ziegler findet in ihrer Untersuchung allerdings keine Belege für einen solchen Wechsel der Sprachpolitik in der betreffenden Zeit (2011: 185). Die tatsächliche Situation des Sprachgebrauchs der Regierung und vor allem der Bevölkerung zu dieser Zeit ist unklar:



Abgesehen von der Frage, welchen Stellenwert die Verwendung einer Sprache als Regierungssprache bezogen auf den kommunikativen Haushalt einer Sprachgemeinschaft hat, stellt sich die noch dringlichere Frage, wie sich die Sprachpraxis im 19. Jahrhundert tatsächlich gestaltet. Denn dies ist bisher weder für die Ebene der Regierungssprache noch für die Ebene der Amtssprache untersucht worden. (Ziegler 2011: 178)



Gemäss Fehlen (2013: 39) umfasst zu dieser Zeit der «moderne luxemburgische Staat zunächst zwei Sprachgemeinschaften», d.h. eine Deutsch- und eine Französischsprachige (Luxemburgisch gilt damals noch als Dialekt des Deutschen). Erst mit der Unabhängigkeit von 1839 und den damit einhergehenden Gebietsverlusten verliert das Grossherzogtum die französische Sprachgemeinschaft:



1839 kann als das wichtigste Datum der Luxemburger Geschichte angesehen werden, nicht nur weil der Staat seither in seinen augenblicklichen Grenzen besteht, sondern weil erst jene Grenzziehung eine sprachliche Einheit geschaffen hat, die die weitere soziolinguistische und sprachenpolitische Entwicklung entscheidend beeinflussen sollte. (Fehlen 2013: 41)



Auch nach 1839 sind die niederländischen Könige in Personalunion Grossherzoge von Luxemburg, geben dem Gebiet aber eine demokratische Verfassung und faktische Unabhängigkeit. Erst als Wilhelm II 1890 stirbt, erhält das Gebiet eine eigene Herrscherdynastie, die Dynastie Oranien-Nassau, die bis heute die Luxemburger Grossherzoge stellt. Dies ist ein weiterer Schritt hin zum Unabhängigkeitsbewusstsein der Luxemburger Bevölkerung. Denn es gab, wie Hoffmann festhält, in Luxemburg «bereits einen Staat, als es noch kein Nationalgefühl gab» (Hoffmann 1979: 7).



So entwickeln sich denn auch das luxemburgische Nationalgefühl und der luxemburgische Patriotismus aus der Gegenstellung heraus. Indem die Luxemburger begreifen lernen, was sie nicht sein wollen, gelangen sie zu einem nationalen Selbstverständnis und beginnen zu verstehen, was sie sind und was sie sein wollen. Die Abgrenzung geschieht in erster Linie nach Deutschland hin . Dies verhindert aber nicht, dass es auch antibelgische und antifranzösische Tendenzen gibt, die allerdings weniger stark ausgeprägt sind. (Hoffmann 1979: 8)



Gemäss Ziegler stellt die sprachliche Situation im Luxemburg des 19. Jahrhunderts eine mediale Diglossie dar:



Für die Stadt Luxemburg bedeutet das, dass die Mehrheit der Bevölkerung im Medium der Mündlichkeit einen westmoselfränkischen Dialekt verwendet, Bürgertum und Adel dagegen (intendiertes) Hochdeutsch und Französisch favorisieren. Im Medium der Schriftlichkeit wird domänenspezifisch zwischen Deutsch und Französisch gewählt. (Ziegler 2011: 184)



Vor diesem Hintergrund wird das Luxemburgische als vorherrschende Sprache des mündlichen Sprachgebrauchs nach und nach zum Symbol eines neuen Nationalverständnisses. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist auch die Zeit der Anfänge und raschen Verbreitung der Literatur auf Luxemburgisch. Von 1912 stammt das Schulgesetz, in dem Luxemburgisch «als Unterrichtsgegenstand definiert, nicht jedoch als eigenes Fach eingeführt» (Timm 2014: 21) wird. Eine Orthografie des Luxemburgischen existiert zu dieser Zeit noch nicht.



Während dem ersten Weltkrieg stellt sich die Bevölkerung des offiziell neutralen Luxemburg auf die französische Seite. Die damalige Grossherzogin Marie-Adelheid allerdings steht Deutschland nahe, was dazu führt, dass sie 1919 abdanken und die Herrschaft ihrer Schwester Charlotte überlassen muss, die im Zweiten Weltkrieg zu einer wichtigen Identifikationsfigur der Luxemburger Bevölkerung werden sollte.



Auch wenn die Unabhängigkeit von 1839 mit erheblichen Gebietsverlusten verbunden war, wird sie von der Regierung im Jahr 1939 zum Anlass genommen, mittels einer überschwänglichen Jubiläumsfeier einen Luxemburger Nationalismus zu propagieren, der gezielt zur Ablehnung des nationalsozialistischen Deutschland beitragen soll. Diese Ablehnung ist tatsächlich deutlich und wird mitunter auch der Wirkung dieser Feierlichkeiten zugeschrieben (vgl. Hoffmann 1979: 11; Pauly 2011: 93). Noch vor dem Zweiten Weltkrieg werden Kompetenzen des Luxemb