Kolonie 85 – Staffel 1: Die Verschwörung

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Kolonie 85 – Staffel 1: Die Verschwörung
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Impressum

1 – Der Anschlag

2 – Atlantis

3 – Auf der Flucht

4 – Verborgene Investigation

5 – Eskalation

Über den Verlag in Farbe und Bunt

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Kolonie 85

Staffel 1: Die Verschwörung / Episode 1: Fluchtgefahr

Pia Fauerbach & Peter R. Krüger

Das Buch

2244 – der 12. März sollte der Tag des interstellaren Friedens werden, doch kurz vor der Konferenz, zu der sowohl die Erdregierungen, die Marsverwaltung und das diplomatische Corps der Union freier Planeten eingeladen waren, detonieren mehrere Sprengsätze und vernichten das Kongresszentrum in Genf.

Schnell wird ein Verdächtiger ausgemacht, doch steckt dieser wirklich hinter dem Anschlag?

„Kolonie 85: Episode 1: Fluchtgefahr“ ist die Fortsetzung des Debütromans "Kolonie 85: Der Aufbruch" und der Beginn einer vierteiligen Buchstaffel, die den Namen „Die Verschwörung“ trägt.

Webseite: http://www.kolonie85.de.

Das Autorenteam

Pia Fauerbach, Jahrgang 82 mit Steuerklasse 1 – ohne Kinderfreibetrag ist bereits seit Angang der 90er Jahre aktives Mitglied im phantastischen Fandom.

Alles begann im jungen Alter von sechs Jahren, als zum ersten Mal "Kampfstern Galactica" über die Mattscheibe flimmerte.

Aus literarischer Sicht kam Pia früh mit der „Avalon“-Reihe von Marion Zimmer Bradly in Berührung, gefolgt von Dan Brown (Illuminati), Christian Jacq (Ramses-Reihe) und Elizabeth Peters (Amelia Peabody-Reihe).

Seit nunmehr 2004 organisiert Pia mit einem hochmotivierten Team die alle zwei Jahre stattfindende Modellbauausstellung "SpaceDays" in Darmstadt. Die größte Modellbauausstellung Deutschlands, welche sich ausschließlich mit dem phantastischen Genre beschäftigt.

Im Verlag Farbe und Bunt hat Pia 2017 zunächst einen nicht sehr ernst zunehmenden Haustierratgeber über Katzen veröffentlicht: "AKAGB – Das Gesetzbuch des Allgemeinen Katzentiers".

Pia lebt und arbeitet im wunderschönen Südhessen und teilt sich Haus und Hof mit zwei Katern.

Webseite: http://www.pia-fauerbach.de

Science-Fiction übt schon seit jeher eine Faszination auf Peter R. Krüger aus. Dabei sind es jedoch vor allem die Menschen, die Ihn interessieren. Und genau das ist der Faktor, der für ihn in „Kolonie 85“ den wesentlichen Aspekt darstellt.

Mit seiner Partnerin und dem Familienhund lebt er in Brandenburg, unweit von Berlin.

Webseite: http://www.perok.berlin

Impressum

Originalausgabe | © 2020

Verlag in Farbe und Bunt

Am Bokholt 9 | 24251 Osdorf

www.ifub-verlag.de / www.ifubshop.com

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Veröffentlichung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Alle Rechte liegen beim Verlag.

Herausgeber: Björn Sülter

Lektorat & Korrektorat: Telma Vahey

Cover-Gestaltung & E-Book-Erstellung: E. M. Cedes

ISBN: 978-3-95936-240-5 (Ebook)

1 – Der Anschlag

Ihr, die Ihr unbedacht das Reich des Himmels ergründen wollt und die Saat der Blasphemie verbreitet, werdet nun den gerechten Zorn ernten.

Anonyme Nachricht an die World Space Administration

Verschlafen ging Alia ins Wohnzimmer ihres kleinen Hauses in Luxor. Es war früh am Morgen, im Kinderzimmer herrschte selige Stille. Fast hätte man eine Stecknadel fallen hören können.

Sie schaltete den Holoprojektor an, um sich die aktuellen Nachrichten anzusehen, während sie sich eine Tasse Kaffee nahm. Ein Ritual, das sie Tag für Tag wiederholte. Da sie jeden Tag bis spät in die Nacht arbeitete, hatte sie sonst keine Gelegenheit, in Ruhe zu erfahren, was in der Welt passierte. Obwohl sie nur wenig mit den Menschen zu schaffen hatte, blieb sie dennoch stets auf dem aktuellen Stand. Nach ihrer Rückkehr von Proxima Centauri b hatte sie das neu-ägyptische Militär verlassen und sich ihrem wahren Interesse zugewandt, der Altertumsforschung. Doch durch ihre intensiven Forschungen hatte sie oftmals keine Zeit, sich um andere Dinge zu kümmern, weswegen sie die kurzen morgendlichen Verschnaufpausen regelrecht genoss.

Nur nicht an diesem Morgen, dem 12.03.2244.

Kaum hatte sie den Holoprojektor angeschaltet, sah sie die angespannte Miene des Sprechers, dessen Vortrag sie aufmerksamer als üblich zuhören ließ.

»Genf, traditionell eine Stadt, in der seit jeher umfassende Verträge zur Sicherung des Friedens unterzeichnet werden«, erklärte der Mann und hatte dabei einen ernsteren Ausdruck im Gesicht, als sie es sonst von ihm gewohnt war. »Am Abend des 11.03.2244 ahnte noch Niemand, welche Katastrophe diese Stadt treffen sollte.

Es sollte ein großer Tag für die Menschheit werden. Die Territorialregierungen hatten vereinbart, ein offizielles Friedensabkommen mit den Vertretern der Interstellaren Union freier Planeten zu unterzeichnen, jenem Menschenbund, dessen Raumschiff seit etwa fünf Jahren in einer Umlaufbahn zur Erde kreiste. Die World Space Administration soll dabei als Vermittler zwischen den Parteien fungieren.«

Alia erinnerte sich, dass die Medien von diesem überaus wichtigen Treffen in Genf schon lange im Vorfeld berichtet hatten.

»Am gestrigen Abend, einen Tag vor der offiziellen Eröffnung der Konferenz, geschah das Undenkbare.« Alia war wie gebannt. Plötzlich sah sie auf dem Holoprojektor einen Live-Mitschnitt der Stadt Genf. Eine Drohne hatte ein großes Gebäude aus der Luft gefilmt. Der Nachrichtensprecher erzählte im Hintergrund irgendetwas von Sicherheitsvorkehrungen, während auf dem Schirm das Kongresszentrum zu sehen war, in dem die Konferenz stattfinden sollte. Alles wirkte ruhig und sogar ein wenig verträumt. Plötzlich erschütterte eine Explosion das Bild. Alia erschrak. Gleich darauf ereignete sich eine weitere Explosion und schließlich eine dritte. Das Kongresszentrum wurde fast vollständig zerstört, nur ein kleiner Teil wurde nicht von den Explosionen erfasst. Trümmer flogen durch die Luft und beschädigten Gebäude in der Nähe. Die Kameraperspektive wurde umgeschaltet, und nun sah man Passanten schreiend, panisch, verletzt durch das Bild laufen. Der Nachrichtensprecher redete weiter, im Hintergrund hörte man Sirenen, ein Grollen. Ein stark beschädigter Teil des Kongresszentrums war eingestürzt. Die Kameraperspektive wurde erneut geändert. Wieder eine Drohnenaufnahme. Rauchsäulen stiegen gen Himmel. Im Zentrum der Explosionen erkannte man, wie sich das Feuer durch die Trümmer fraß. Die Zerstörung hatte ein unglaubliches Ausmaß.

Alia wurde kreidebleich. Sie war mit der Politik der Territorialregierungen oftmals nicht einverstanden, hatte aber seit ihrer Rückkehr dazu nie Stellung in der Öffentlichkeit bezogen. Generell lebte sie mit ihrer Familie zurückgezogen, ging nie aus und verließ das Haus nur, wenn es ihre Arbeit oder ihre Kinder verlangten. Dennoch war sie zutiefst betroffen über das, was sie soeben gesehen hatte.

Die Hoffnung auf eine sichere Zukunft wurde durch eines der schlimmsten Attentate der letzten Jahrzehnte zerstört.

»Mama, was guckst du da?«

Alia schaltete sofort den Holoprojektor aus. Eine Reflexhandlung.

»Das ist ...« Ihr fehlten die Worte.

Fünf Jahre waren vergangen, seit die Mannschaft des ersten bemannten Raumflugs zum Sternensystem Alpha Centauri nach einer großen Katastrophe mit einem Raumschiff, mächtiger und schneller als alles, was die Menschen auf der Erde bislang gesehen hatten, von ihrer abenteuerlichen Reise zurückgekehrt waren. Mit einem fremden Schiff, bemannt mit Menschen, die nicht von der Erde stammten.

Angesichts dieser Ankunft hatte die Welt den Atem angehalten. Das Schiff, das nach Alpha Centauri geschickt worden war – die Voyager – war das modernste Raumschiff gewesen, das die Erde je gebaut hatte. Es hatte fünf Jahre gebraucht, um die Strecke zurückzulegen; dieses fremde Schiff hatte sie in nur sechs Monaten bewältigt. Es schien fast so, als würde die Zeit für einen langen Moment stehenbleiben. Selbst der Mars, seit Jahren eine besiedelte Kolonie der Erde, wagte damals nicht einmal, eine Kommunikationsverbindung aufzubauen, in der Befürchtung, dieses fremde Raumschiff könnte eine Invasionsvorhut darstellen.

 

Doch es kam anders.

Die Barrafranca, so der Name des Schiffes der Interstellaren Union freier Planeten, wurde zunächst als interplanetare Bedrohung angesehen. Erst ein Treffen zwischen der Union, der schiffbrüchigen Voyager-Crew und einer Abordnung der Erde änderte dies. Die Welt war aber in Unruhe geraten.

Es dauerte Jahre, bis die Bevölkerung von Mars und Erde verstanden hatte, dass keine Gefahr drohte. Sondereinheiten des Militärs waren jahrelang damit beschäftigt, die weltweiten Spannungen in den Griff zu bekommen. Es wäre ein Leichtes gewesen, mit militärischem Druck alle Anzeichen von Aufständen niederzuschlagen. Doch so wurden noch größere Ausschreitungen befürchtet. Daher entschied man mit einer entsprechenden Order, jeden entstehenden Konflikt unblutig zu beenden. Eine Herausforderung, die nicht überall auf Zustimmung stieß und nicht immer gelang.

Als sich die Situation nach jahrelangen Bemühungen wieder beruhigt hatte, hielten es die Verantwortlichen der großen Territorialregierungen für sinnvoll, ein Zeichen des Friedens zu setzen.

Doch dieser Plan, diese Hoffnung, schien mit drei riesigen Explosionen in Rauch aufzugehen und alle hehren Ziele unter dem Schutt des Kongresszentrums zu begraben.

Alia dachte darüber nach, dass sie ursprünglich die Stelle der Beraterin bei der WSA, der World Space Administration, hatte erhalten sollen, um bei jeglichen Verhandlungen mit den Vertretern der Interstellaren Union als eine Art Vermittlerin tätig zu sein. Sie hatte diese Aufgabe jedoch abgelehnt, weshalb man mit dem Angebot an Michael Barnetti herangetreten war.

»Mike«, flüsterte sie dann kaum hörbar. Höchstwahrscheinlich war er bei dieser Konferenz dabei gewesen.

»Mama, was ist denn?«

Alia sah ihr Kind an und versuchte zu lächeln. Doch eine Träne lief ihr über die linke Wange, ihre Augen röteten sich.

»Nichts, kleine Sonne«, log sie. »Ich bin ein bisschen müde«, fügte sie schnell hinzu und tat so, als müsste sie gähnen. Dabei fielen ihr einige lange Haarsträhnen ins Gesicht und verdeckten so eine weitere Träne. Ihre Tochter beäugte sie misstrauisch, doch die Erklärung schien für den Moment zu reichen.

»Du solltest nicht immer so lange arbeiten, Mama«, erklärte Rhia mit ernsthaftem Gesichtsausdruck.

»Und du solltest deiner Mutter keine allzu altklugen Ratschläge geben«, antwortete Alia zwar mit ernstem Tonfall, aber mit einem Lächeln. Das kurze Gespräch hatte ihr genug Zeit gegeben sich zu fangen. »Geh und weck deinen Bruder. Gleich gibts Frühstück. Und Zarah kommt sicher auch in ein paar Minuten.« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, ging Alia in Richtung Küche, und Rhia trollte sich zurück ins Kinderzimmer.

Alia begriff es nicht. Wer würde so etwas tun? Es hatten sich kaum Widerstände gegen die Unterzeichnung des Friedensvertrags abgezeichnet.

Wie in Trance schaltete Alia in der Küche den kleinen Holoprojektor wieder ein, während sie das Frühstück vorbereitete. Erneut erschien das ernste Gesicht des Reporters. Diesmal schien er direkt vom Ort des Geschehens zu berichten, denn Alia erkannte um ihn herum nur Trümmer und Ruinen, die teilweise noch qualmten.

»Hier sehen Sie die ganze Zerstörungskraft der drei Detonationen. Ersten Schätzungen zufolge muss mit mehreren hundert Toten und Verletzten gerechnet werden. Das PortCom-System ist überlastet. Wer zu den Opfern gehört oder hinter den Anschlägen steckt, ist zurzeit noch nicht bekannt. Die Eurasische Regierung hat den lokalen Ausnahmezustand verhängt.« Dann wechselte das Bild wieder zur Vogelperspektive. Der Teil des Konferenzzentrums, welcher nicht unmittelbar von den Explosionen betroffen war, war nunmehr vollends eingestürzt. Überall sah man Rettungstrupps im Einsatz, die immer wieder aufs Neue Menschen aus den Trümmern bargen. Alia vermochte aber nicht zu sagen, ob diese tot oder verletzt waren.

»Aaliyah! Aaliyah, bist du noch da?« Alia wurde durch das Rufen ihres Namens aus den Gedanken gerissen.

»Ja, ich bin in der Küche«, antwortete sie, wandte aber nicht ihren Blick vom Holoprojektor ab. Jetzt fiel ihr auf, dass es bereits sechs Uhr morgens war. Normalerweise verließ sie spätestens kurz nach fünf das Haus in Richtung Ausgrabungsstelle.

»Hast du die Nachrichten gesehen?« Nur einen Augenblick später stand eine ältere Frau in Alias Küche und schaute ebenfalls auf den Projektor.

Alia nickte und deutete auf den Holoprojektor, um ihre nächsten Worte zu unterstreichen. »Ich muss sofort nach Genf! Kannst du dich um Rhia und Ben kümmern?«

»Um was zu tun? Aaliyah, komm erst einmal zu dir! Du weißt doch gar nicht...« Die ältere Frau brach ab, als Rhia und Ben in die Küche stürmten.

» Zarah!«, riefen die beiden gleichzeitig und warfen sich in die Arme ihres Kindermädchens. »Backst du uns Pfannkuchen?«, sprudelte Rhia gleich los.

»Mama lässt sie immer anbrennen«, fügte Ben keck hinzu, was ihm allerdings einen Schienenbeintritt seiner Schwester einbrachte.

»Mach Mama nicht noch trauriger!«

»In Ordnung. Ihr bekommt Pfannkuchen, aber nur, wenn euer Zimmer aufgeräumt ist«, erklärte Zahra schnell. Die beiden Kinder nickten und rannten unter Jubelgeschrei in ihr Zimmer. »Und dann nicht das Anziehen vergessen«, rief sie ihnen noch nach.

»Der gleiche Trick hat bei dir und David auch meistens funktioniert«, fuhr sie an Alia gewandt fort. »Setz dich erst mal hin und trink eine Tasse Kaffee.«

Zarah reichte Alia eine Tasse, und beide schwiegen einen Moment, während im Hintergrund der Projektor weiterhin die neuesten Berichte vom Genfer Anschlag zeigte.

»Du glaubst, dass bei dem Attentat Freunde von dir verletzt wurden?«, tastete sich Zahra vorsichtig heran. Alia hatte nie viel über ihre Weltraumreise erzählt, was aber auch daran lag, dass sie bei ihrer Entlassung aus dem Militärdienst eine Geheimhaltungsklausel unterzeichnet hatte.

»Ja. Mit Sicherheit waren Berater und Wissenschaftler der WSA und viele Mitglieder der Union da. Aber du hast recht. Ich kann dort nicht helfen. Die brauchen keine Archäologin, mehr eine Forensikerin.«

»Jetzt mach dich nicht kleiner, als du bist. Du leistest wertvolle Arbeit bei der Erhaltung unserer Altertümer und hast zwei wundervolle Kinder. Und da ist es egal, ob du ein Colonel-Lieutenant bist oder nicht«, brüskierte sich die alte Frau emotionsgeladen.

»Du meinst sicher einen Lieutenant-Colonel.« Alia musste schmunzeln. Es war immer wieder erstaunlich, wie die zierliche Frau energisch ihre Meinung kundtat, aber nach all den Jahren in einem Militär-Haushalt die einzelnen Ränge trotzdem nicht auseinanderhalten konnte. Aber das war Alia egal. Zarah liebte die Kinder und kümmerte sich aufopferungsvoll um sie, wenn sie selbst bei der Arbeit war.

Doch schnell wurde sie von der Realität eingeholt. Die ersten Namen der Opfer wurden in einem Laufband eingeblendet.

Schon einen der ersten kannte Alia. Dr. Andrew Summers. Er war auf dem Mars einer der leitenden Wissenschaftler der WSA gewesen. Und er hatte in zwei Monaten Leandra Thuis heiraten wollen.

Alia schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Lee hatte ihr vor kurzer Zeit eine Einladung zur Hochzeit zukommen lassen, die sie aber abgelehnt hatte, obwohl sie sich für Lee freute. Ihr war nach ihrer Entlassung nahegelegt worden, den Kontakt mit den anderen früheren Crewmitgliedern zu meiden.

Die Navigatorin hatte es damals auf dem Schiff der Konföderierten am härtesten getroffen. Alia erinnerte sich, dass Lee selbst Monate nach den Erlebnissen oft geistig abwesend war oder unvermittelt in Tränen ausbrach. Weder Mike noch sie konnten ihr damals helfen, die Ereignisse zu verarbeiten.

Alia blickte wieder zum Holoprojektor, als sie sah, dass inzwischen der Vorsitzende der WSA ein Interview gab.

»Über den derzeitigen Aufenthaltsort von Michael Barnetti haben wir im Moment keine Kenntnis. Bis jetzt wissen wir nur, dass er nicht im Gebäude war«, erklärte der Vorsitzende. Man sah ihm an, wie sehr ihn diese Katastrophe erschütterte.

»Wollen Sie damit etwa andeuten, dass Barnetti etwas mit den Explosionen zu tun haben könnte?«, fragte der Reporter weiter.

»Ich deute gar nichts an. Das Interview ist beendet.« Alia sah fassungslos zu, wie der Vorsitzende sich von der Kamera entfernte. Dann wurde wieder das Gesamtbild der Zerstörung gezeigt.

»Das kann doch nicht ...« Alia fehlten die Worte. Offensichtlich verdächtigte man Mike, an den Anschlägen beteiligt zu sein. Obwohl sie Mike fast fünf Jahre nicht gesehen hatte, glaubte sie nicht, dass er sich derart verändert haben konnte. Sie erinnerte sich, dass er ihr kurz vor seiner Amtseinführung eine Nachricht hatte zukommen lassen, wo er im Notfall erreichbar war. Wie von der Tarantel gestochen sprang Alia auf und rannte in ihr Arbeitszimmer. Die fragenden Blicke von Zarah ignorierte sie. Hektisch begann sie zu suchen.

»Irgendwo muss es doch sein ...«, sagte sie zu sich selbst, als sie ihre Unterlagen durchwühlte. Damals hatte sie es für das Beste gehalten, den Kontakt mit Mike abzubrechen, und das nicht nur, weil man es ihr militärisch untersagt hatte.

»Endlich!« Alia hoffte, dass sie Mike unter den Kontaktdaten noch erreichte.

***

Mike konnte den Blick nicht von seinem Holoprojektor lösen, erst recht nicht, als die zweideutige Äußerung des WSA-Vorsitzenden über Mikes Aufenthalt ausgestrahlt wurde.

Er fragte sich, was den Vorsitzenden dazu bewegt haben mochte, eine solche Aussage zu treffen. Bislang hatte er den Eindruck gehabt, als hätten sie eine fast freundschaftliche Beziehung zueinander, und plötzlich beschuldigte er ihn inoffiziell, hinter diesem Attentat zu stecken. Dabei war es doch kein Geheimnis, dass er in seinem Apartment in Genf war. Die Einladung zur Teilnahme an der Konferenz hätte ihm ausreichend Zeit für ein entspanntes Frühstück gelassen … wenn nicht just in diesem Moment die schlimmste Katastrophe seines Lebens eingetreten wäre.

Er nahm das Klingeln zuerst kaum wahr, doch dann bemerkte er, dass jemand versuchte, ihn auf seinem privaten PortCom zu erreichen. Er kannte den Anrufer nicht, weswegen er einen Moment zögerte. Was, wenn es bereits die örtliche Polizei war?

Doch seine Neugier siegte. Die Polizei würde sich nicht lange ankündigen, sie würde ihn vermutlich gleich aufsuchen.

»Ja?«, sprach er dann in sein PortCom, nachdem er es sich hinter das Ohr geklemmt und die Verbindung angenommen hatte.

»Mike, bist du es?« Die Stimme klang vertraut. Er hatte sie ein paar Jahre lang nicht gehört, doch er erkannte sie.

»Alia? Warum rufst du an?« Er hätte sich für diese dümmliche Frage selbst ohrfeigen können. Natürlich rief sie wegen der Nachrichten an.

»Sag mir, dass es nicht wahr ist«, antwortete sie mit angespannter Stimme. Er hatte das Gefühl, als wäre sie kurz davor, in Tränen auszubrechen. Lebhaft erinnerte er sich daran, wie kühl und arrogant sich Alia stets gegeben hatte. So unnahbar und überlegen. Als sie vor ein paar Jahren aber mit Mühe das Zusammentreffen mit der Konföderation überlebt hatten und von der Interstellaren Union gerettet worden waren, zeigte sie ihm, dass auch in ihr ein Mensch mit Gefühlen steckte. Sie hatte einen ihrer Arme verloren, doch von den Ärzten der Union hatte sie ein Transplantat erhalten, das sich schließlich optisch nicht von ihrem echten Arm unterscheiden ließ.

»Ich habe nichts damit zu tun, Alia. Ich bin selbst schockiert darüber, was da passiert ist.«

»Aber warum wird dein Name ins Spiel gebracht?«

Er wunderte sich nicht, dass Alia keine Zeit damit verschwendete, über die vergangenen Jahre zu sprechen. Es gelang es ihr, die Zeit wegzuwischen, als hätten sich die beiden erst Tage zuvor das letzte Mal gesehen. Er war sich nicht sicher, aber machte sie ihm gerade einen Vorwurf? Das hätte ihr zumindest ähnlichgesehen, überlegte Mike kurz.

»Weißt du ...«, setzte er an, doch ein seltsames Geräusch an der Haustür ließ ihn innehalten. Machte sich da jemand am Schloss zu schaffen?

»Was ist?« Mike registrierte, dass Alias Stimme angespannt klang, doch er antwortete nicht. Ein flaues Gefühl in der Magengegend brachte ihn instinktiv dazu, seine Schuhe anzuziehen und die wichtigsten Sachen einzupacken. Jemand war vor der Wohnungstür, so viel stand fest. Und der- oder diejenige war offenbar damit beschäftigt, eben nicht zu klingeln, zu klopfen oder anderweitig Aufmerksamkeit zu erregen, sondern schien Mikes Tür von außen öffnen zu wollen.

 

»Hier ist jemand«, flüsterte er Alia nur einen Augenblick später zu, als er sich möglichst leise von der Haustür wegbewegte.

»Ist es die Polizei?«, fragte Alia. Wenn es die Polizei war, so überlegte er, dann würden sie vermutlich seine Wohnung umzingeln. Welche Chance hatte er, ihr zu entkommen? Aber etwas sagte ihm, dass es wohl nicht die Polizei war, und er teilte es Alia mit.

»Mach, dass du da wegkommst!«, hörte er noch Alias Stimme, kurz bevor seine Eingangstür mit einem lauten Knall aufsprang. Er blinzelte, und durch den Rauch erkannte er im Türrahmen zwei düstere Gestalten in langen dunklen Mänteln, die beide je eine automatische Handfeuerwaffe auf ihn richteten.

»Mitkommen!«, war das Einzige, was einer der beiden sagte, bevor Mike seine Überraschung abschüttelte und mit einem gewagten Hechtsprung aus ihrer direkten Schusslinie entwich.

Als Antwort darauf hörte er, wie ganze Schusssalven an ihm vorbeisausten und seine Einrichtung trafen. Holz splitterte, Glas zersprang. Diese Kerle waren offenbar bereit, ihn zu töten.

»Verdammter Mist!« Mike rappelte sich auf und rannte zum Fenster. Springen konnte er nicht – er wohnte im 12. Stock. Doch es gab einen Sims, der um das Haus herumführte. Er war nicht breit, doch Mike hoffte, dass er darauf entkommen konnte.

Rasch rannte er in sein Schlafzimmer, zog die Tür zu und schlug im nächsten Augenblick die Scheibe ein, um herauszuklettern. Erneut durchbohrten Schüsse sein Mobiliar. Einer der Männer trat die Tür zu Mikes Schlafzimmer ein und richtete sofort die Waffe auf ihn, doch Mike hatte sich bereits aus dem Fenster gehangelt und stand auf dem Sims.

Nur einen Moment lang blickte Mike nach unten.

»So ein verdammter Mist«, fluchte er. Alia war noch immer in der Leitung und hatte mitbekommen, dass Mike in Schwierigkeiten steckte.

»Was ist los?«, wollte sie wissen, doch Mike konnte nicht antworten. Eine Hand griff nach seinem linken Arm und zerrte an ihm. Mike sah auf die Hand, die ihn ergriff, und entdeckte kurz unterhalb des Handgelenks ein eingebranntes Zeichen, ein Kreis, der von einem Lilienkreuz überragt wird.

Ohne darüber nachzudenken, schwang sich Mike herum und trat dem Angreifer mit seinem rechten Bein gegen den Kopf. Der Mann ließ los, und Mike wäre fast gefallen, hätte er sich nicht schnell am Fensterrahmen festgehalten. Doch die Scherben zerschnitten ihm die Handfläche. Mike schrie auf.

Der erste Angreifer wankte und versperrte somit seinem Partner die Ziellinie auf Mike.

Jetzt hieß es, schnell zu handeln. Der Sims war keine gute Idee, entschied Mike und schwang sich trotz der verletzten Hand geschwind zurück. Der zweite Angreifer schob seinen Partner unsanft beiseite und versuchte, Mike ins Visier zu nehmen, doch Mike überraschte ihn mit einem eher ungewollten Angriff, als er den Halt verlor und gegen den Angreifer stolperte.

Ruckartig ging dieser in den Nahkampf über und rammte Mike die Faust in die Seite. Mike schrie erneut auf und konterte eher aus Reflex mit einem ungezielten Aufwärtshaken, der sein Ziel zwar knapp verfehlte, jedoch dafür sorgte, dass dem Gegner die Waffe aus der Hand fiel.

»Raus da, Mike. Verschwinde, so schnell du kannst.« Sein PortCom war noch immer an, und Alia hatte alles mit angehört. Verzweifelt nahm Mike eine Ladung Glasscherben in die Hand. Und obwohl sich die Scherben dadurch auch in die eigene Hand schnitten, schleuderte er sie seinen Angreifern entgegen. Der Erste, der Mike auf dem Sims gepackt hatte, bekam die volle Ladung ins Gesicht, während der Zweite nach seiner Waffe griff.

Ein Aufschrei war zu hören. Diesmal von dem Mann, dessen Gesicht nun mit Scherben gespickt war. Kugeln zischten erneut durch die Luft. Mike rannte los. Raus aus dem Schlafzimmer, durch seine Wohnung, hinaus auf den Flur. Der Fahrstuhl war keine Option für ihn. Also rannte er zum Treppenhaus.

»Was wollen die Kerle nur?«, fragte er sich, ohne daran zu denken, dass Alia noch immer in der Leitung war.

»Wo bist du jetzt?«

»Im Treppenhaus. Ich muss 12 Stockwerke schaffen, bevor die Kerle mich einholen.« Er rannte die Treppen mit großen Schritten hinunter, wobei er meist drei oder mehr Stufen auf einmal nahm. Schüsse hallten auf, was dazu beitrug, dass Mike nur noch schneller rannte.

»Hör mir zu, Mike«, befahl Alia nun in einem für sie typischen Militärton. »Hast du einen Gleiter?«

»Ja, aber dazu muss ich ins Parkhaus.«

»Wo ist das Problem?«

»Um dorthin zu kommen, muss ich einen langen geraden Gang entlangrennen, in dem die Kerle freies Schussfeld auf mich haben.«

»Verstehe«, antwortete Alia. Offenbar versuchte sie, ihm zu helfen, aus dieser Situation zu kommen.

Mike hatte das Gefühl, als würden die Schritte seiner Verfolger immer näherkommen.

»Gibt es eine Subway bei dir in der Nähe?«

»Eine U-Bahn? Ja. Aber da sind immer viele Leute unterwegs.« Er kam allmählich außer Atem. Noch drei Stockwerke, und er war unten. Die Verfolger blieben dicht auf seinen Fersen.

»Umso besser«, antwortete Alia. »Beeil dich. Renn dorthin und versuche die Typen abzuschütteln.«

Mike protestierte. »Aber was ist, wenn die drauflosschießen?«

»Mike, hier geht es um dein Leben. Tu verdammt das, was ich dir sage, und diskutiere nicht mit mir.«

Scheppernd flog die Tür des Treppenhauses beiseite, als Mike das Hochhaus verließ. Unbeirrt rannte er zur nächsten U-Bahn-Station. Seine Verfolger waren noch immer dicht hinter ihm. Der eine mit vorgehaltener Waffe, während der andere mit blutüberströmtem Gesicht Mühe hatte, Schritt zu halten. Immerhin hatte er einem der beiden ein Andenken verpasst, überlegte Mike mit einer gewissen Genugtuung.

Schüsse pfiffen durch die Luft. Bisher wurde kein Passant getroffen, doch Mike war sich nicht sicher, wie lange das so bleiben würde. Diese Kerle schreckten vor nichts zurück.

Er hetzte die Treppen zur U-Bahn herunter. Glücklicherweise stand gerade ein Zug da. Er drängelte sich durch die Passanten und schob sich in die Bahn. Hier unten hatte er keinen Schuss vernommen. Offenbar gab es doch etwas, wovor diese Mörder zurückschreckten. Vielleicht aber, so überlegte Mike, wollten sie nur nicht, dass sie ihn im entstehenden Chaos verloren, sollten sie in die Menge eines beengten Bahnhofs schießen.

Mike versuchte, Luft zu holen. Alia hatte stets irgendetwas gesagt, doch Mike hatte keine Luft mehr, um zu antworten. Er zügelte sein Tempo etwas, als er durch die Waggons lief, um wieder zu Atem zu kommen. Sein Blick wanderte nach hinten, und da sah er sie. Sie sprangen gerade noch in den Zug, als dieser das Signal zur Abfahrt gab.

Nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor sich die Türen schlossen, sprang Mike wieder heraus. Ein alter Trick, aber wirksam. Die Angreifer reagierten zu spät. Mühsam versuchte einer von ihnen, die Tür vor sich aufzudrücken, doch die Tür schloss sich zu schnell, und so fuhr der Zug mit den beiden Killern los, während Mike auf dem Bahnhof stand und sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

»Sie sind weg«, jubelte er schwer atmend, doch Alia versetzte ihm gleich wieder einen Dämpfer, als er ihr erzählte, wie er sie abschüttelte.

»Schon mal was von einer Notbremse gehört, Mike? Sieh zu, dass du da verschwindest, und trenne dich von deinem PortCom. Wahrscheinlich wirst du bereits getrackt.«

Mike musste ihr zustimmen. »Was waren das für Typen?«, fragte er, als er den Bahnhof verließ.

»Das finden wir heraus. Kontaktiere Tim, hörst du? Aber schmeiß dein PortCom weg. Wir werden uns treffen, Mike.«

»Gut, Alia. Ich glaub, ich kann Hilfe dringend gebrauchen.« Damit kappte er die Verbindung und warf sein PortCom in die nächste Mülltonne.

***

Alia hörte das statische Knacken, als Mike das Gespräch beendete. Sie brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu sortieren. Langsam ging sie an das große Panoramafenster ihres Arbeitszimmers und starrte hinaus auf das fließende Gewässer. Hier, abseits der Touristenmetropole, deutete nichts darauf hin, dass sich innerhalb der letzten paar Jahrtausende etwas geändert hatte. Auf der anderen Seite des Flussufers kam langsam die Sonne über den Bergen zum Vorschein, ein Zeichen dafür, dass Alia viel zu spät zur Arbeit kommen würde. Dennoch machte sie keinerlei Anstalten, aus dem Haus zu gehen, sondern blieb stattdessen vor dem Fenster stehen.

»Irgendetwas ist falsch«, sagte sie zu sich selbst und versuchte dann, die Informationen in Gedanken zu sortieren. Als Fakt stand das Attentat in Genf im Vordergrund, welches mehr als 8 Stunden zurücklag, sowie das Interview mit der merkwürdigen Aussage des Vorsitzenden. Doch warum hatten die Behörden Mike nicht früher aufgesucht, wenn man ihn verdächtigte, mit dem Anschlag etwas zu tun zu haben? Alia fand den Zeitpunkt der Aussage des WSA-Leiters verdächtig. Das Interview war in Genf live gesendet worden, und nur wenige Minuten später waren diese Berserker bei Mike aufgetaucht.

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