Read the book: «Der Fehler im System»
Peter R. Krüger
Sternenlicht 4
Der Fehler im System
Saphir im Stahl
Bereits erschienen:
Horst Hoffmann - Insel im Nichts
Johannes Anders - Rücksturz nach Tyros
Johannes Anders - Storm
Peter R. Krüger - Der Fehler im System
Joachim Stahl - Parsifal
In Vorbereitung:
Erik Schreiber - Wanderer
Sternenlicht 4
e-book 093
Erste Auflage 01.04.2021
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
Titelbild: Thomas Budach
Lektorat: Joachim Stahl
Vertrieb: neobooks
Inhaltsverzeichnis
Teil 1
01 Notruf an alle Schiffe . . . . . . . . . . . 8
02 Captain Logan . . . . . . . . . . . . . . . . 19
03 Reparaturarbeiten . . . . . . . . . . . . . . 26
04 Angst um die CHARGER . . . . . . . 34
05 Der Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
06 Alle auf Position . . . . . . . . . . . . . . . 51
07 Angriff der Raumpiraten . . . . . . . . 60
08 Fluchtmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . 69
09 Das Wrack auf dem Mond . . . . . . . 82
10 Der Schmelztiegel . . . . . . . . . . . . . . 95
11 Abwarten und einsammeln … . . . . . 110
12 … und dann zurück nach Hause . . . 117
Teil 2
13 Der Silberschweif-Nebel . . . . . . . . . 124
14 Nachtaktiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
15 Seltsame Signale . . . . . . . . . . . . . . . 140
16 Das Rätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
1 Notruf an alle Schiffe
„Notruf an alle Schiffe in der Nähe von M-46, wir werden angegriffen. Ich wiederhole, wir werden angegriffen. Piraten nähern sich unserem Kurs. Hier spricht der Erzfrachter ALBATROS III. Wir benötigend dringend Hilfe. Notruf an alle Schiffe!“
Durch die Leere des Weltraums flog ein einsames Raumschiff der Orion-Klasse. Der Kurs des Schiffs führte nahe am Asteroiden M-46 vorbei, doch war das eigentliche Ziel ein ganz anderes. Commander P.M. Walt Kargon sah seine Mannschaft grimmig an, nachdem sie den Notruf empfangen hatten. Er wusste, dass kein anderes Schiff in Reichweite war, um der ALBATROS III zur Hilfe eilen zu können. Sie alle waren erschöpft von ihrer letzten Mission, der Heimweg rief und versprach, sich von den Strapazen erholen zu können.
„Walt, wir müssen auf den Notruf reagieren“, vernahm er seinen Kommunikationsoffizier Carl Ruyther, der ihn fragend ansah.
Er wusste, dass Ruyther Recht hatte. Walt Kargon stützte sich einen Moment an der Aufhängung für die holografische Astroscheibe ab, dann fasste er einen Entschluss. Hier waren Menschenleben in Gefahr. Die Heimkehr musste warten.
„Öffne einen Kanal, Carl“, befahl er schließlich.
Der Kommunikationsoffizier war darauf vorbereitet und antwortete umgehend mit einem leichten Lächeln im Gesicht: „Ist offen!“
Kargon schob sein markantes Kinn hervor und hielt kurz inne. Seine Mannschaft war schon einige Monate im Raum. Sie hatten gerade ihre letzte Mission abgeschlossen und sollten nun zu ihrer Basis SIGMA 3 zurückkehren, um Oberst Hauser einen persönlichen Bericht zu geben. Unter anderem auch, weil sie wichtige Informationen gesammelt hatten, die als streng geheim eingestuft wurden und somit nicht via Astrokommunikation übermittelt werden durften. Doch für ihn war klar, die Besatzung der ALBATROS III hatte Vorrang.
„Hier spricht Commander P.M. Walt Kargon an Bord der JAGELLOVSK, hören Sie mich?“
„Dem Himmel sei Dank, ja, wir hören Sie, Commander. Hier spricht Captain Logan, an Bord der ALBATROS III. Können Sie uns helfen?“ Die Stimme knarzte aus dem Bordlautsprecher, im Hintergrund waren Geräusche zu hören, die darauf schließen ließen, dass die ALBATROS III bereits beschossen wurde. Es gab keine visuelle Übertragung. „Die Angreifer sind noch nicht so nahe, dass sie uns mit ihren Angriffen ernsthaft schaden können, aber das wird sich sicher bald ändern. Mit ihrem Beschuss wollen sie uns dazu zwingen, das Schiff anzuhalten, damit sie es entern können. Aber mit Ihrer Hilfe haben wir vielleicht eine Chance, Commander. Bitte, helfen Sie uns!“
„Halten Sie noch ein wenig durch, Captain Logan. Wir sind auf dem Weg.“ Die Verbindung wurde von Ruyther beendet, als Kargon auch schon seine Befehle an die Mannschaft in gewohnt militärischer Kürze herausposaunte.
„Liane, Kurs berechnen und vollen Schub geben. Die ALBATROS III hat nur wenig Zeit. Fayola“, er benutzte das Bordsprechgerät, woraufhin sich die eben Angesprochene umgehend auf einem Bildschirm zeigte, „sieh zu, dass unsere Maschinen volle Leistung bringen!“ Er wandte sich dem Armierungsoffizier zu: „Heiz die Lichtwerferbatterien an, Junior, gleich gibt es was für dich zu tun. Und ihr, Gella, James und Bilmen, haltet euch in Bereitschaft. Es kann gleich heiß werden.“
Alle drei bestätigten und Walt wusste, dass seine Mannschaft bereit war, es mit diesen Weltraumpiraten aufzunehmen.
Er nahm auf seinem Kommandostuhl Platz, als die JAGELLOVSK mit voller Geschwindigkeit in Richtung M-46 raste.
Was ihn und seine Mannschaft dort erwartete, wusste er nicht genau. Ein Pirat, so viel war klar. Die Berichte des SSD enthielten regelmäßig Informationen darüber, dass die Erzfrachterrouten gelegentlich überfallen wurden. Normalerweise kümmerten sich aber andere Einheiten der Sternenlicht Vereinigung darum. Dass er nun mit der JAGELLOVSK, einem SSD Kreuzer der Orion-Klasse, auf Piratenjagd gehen würde, war einzig dem Umstand geschuldet, dass die Menschen der ALBATROS III ansonsten dem Tode überlassen worden wären.
Hätte seine Mannschaft nicht bereits eine kräftezehrende Mission hinter sich gehabt, wäre er weniger zögerlich gewesen, denn er wusste genau, was er ihnen allen bereits abverlangt hatte. Eine Geheimmission auf GJ 3021 b hatte zur Folge, dass sie alle an ihre Grenzen gehen mussten. Am schlimmsten traf es dabei seine Sicherheitsoffizierin Gella Hailey, die trotz ihres Nahkampftrainings eine schwere Stichverletzung nicht abwehren konnte. Glücklicherweise hatte Bordarzt Doktor Smith ganze Arbeit geleistet und die Wunde bestens versorgt. Etwas Ruhe hätte ihr dennoch gutgetan und dieser Piratenüberfall passte nun so gar nicht zu ihrer verordneten Erholungsphase.
Professor Bilmen Okan, Wissenschaftsoffizier an Bord der JAGELLOVSK lag ihm bereits die ganze Zeit in den Ohren, dass er sich auf dieser Mission überflüssig fühlte. Der Piratenüberfall hatte die Lage nicht verbessert und Walt war sich sicher, dass der Professor bei nächster Gelegenheit mit erhobenen Zeigefinger vor ihm stehen und seine strengen, buschigen Augenbrauen zu einem geraden Stich über seine durchdringenden Augen ziehen würde, um sich erneut über die Situation zu beklagen.
Ganz anders war da seine Bordingenieurin Fayola Sisay, die gerne erwähnte, dass ihre Vorfahren eine lange Tradition ehemals afrikanischer Kultur pflegte. Walt hatte sich die ersten Male vorgestellt, sie würde irgendwelche Beschwörungen oder rituelle Tänze damit meinen, doch zeigte sich, dass die Traditionen eher auf Mechanik und Ingenieurskunst zurückzuführen waren. Fayola hatte sich jedenfalls noch nie beklagt, dass sie sich an Bord überflüssig vorkam. Nun, er selbst sorgte mit einigen waghalsigen Manövern ja auch dafür, dass sie auf der JAGELLOVSK ausreichend zu tun bekam.
Die leichtsinnigen Manöver musste dann auch oft seine Astrogatorin Liane Chryss berechnen und ausführen. Chryss war Klassenbeste auf der Akademie und noch vor Beendigung ihrer Ausbildung vom Sternenlicht Sicherheitsdienst abgeworben worden. Er war froh darüber, dass er die ruhige, 36-Jährige an Bord hatte. Sie schien das Weltall wie ihre eigene Westentasche zu kennen.
Sein Kommunikationsoffizier Carl Ruyther war mithin das älteste Besatzungsmitglied, was aber eher von Vorteil war. Der 52-Jährige mit dem faltigen Gesicht und dem hellen, schütteren Haar war stets aufgeschlossen und besaß eine wohltuend positive Ausstrahlung, von der sich die meisten an Bord auch gerne anstecken ließen. Seinen eigenen Aussagen zufolge, war er der erste Ruyther an Bord eines Schiffs der Orion-Klasse, doch ließ er Walt und die Anderen im Unklaren darüber, ob er auch tatsächlich der erste Raumfahrer in seiner Familie war. Abgesehen von den Kolonisten.
Letzter im Bunde war sein Armierungsoffizier Poul Artos, der von der gesamten Mannschaft eigentlich nur „Junior“ genannt wurde. Einerseits deshalb, weil Commander Kargon als Freund der Familie Artos die Rolle eines väterlichen Freundes übernahm, andererseits war Poul aber auch der Jüngste an Bord der JAGELLOVSK. Außerdem hatten beide zufällig auch den gleichen Vornamen – Poul – den Walt aber nie wirklich nutzte. Nur wenige Monate trennten Junior von Fayola Sisal, womit sie ihn gelegentlich aufzog. Insgeheim schmunzelte Walt über diese kleinen Frotzeleien.
Er nutzte den Moment, den ihm der Flug zum M-46 bot, um seine Gedanken zu ordnen. Trotzdem sie sich alle eine Ruhepause verdient hatten, wusste er, dass er sich uneingeschränkt auf seine Mannschaft verlassen konnte.
„Wir kommen an“, riss ihn Chryss aus seinen Gedanken. Es war so weit. Die ALBATROS III wartete auf Ihre Hilfe.
„Gut, dann macht euch mal bereit. Position der ALBATROS?“
„Direkt vor uns, Walt. Und der Pirat folgt ihr dichtauf.“ Chryss pausierte kurz. Walt sah sie fragend an.
„Er schießt, Walt.“
„Gefechtsstationen“, blaffte er daraufhin, während er sich an der Aufhängung der holografischen Astroscheibe festhielt, „alles bereitmachen. Der Tanz geht los. Setz uns zwischen die ALBATROS und diesem Piraten, Liane.“
Mit hoher Geschwindigkeit raste die JAGELLOVSK an der ALBATROS III vorbei, die gerade in diesem Moment einen weiteren Treffer aus den Lichtwerferbatterien des Piratenschiffs einstecken musste. Geschickt manövrierte Liane Chryss den schweren Raumkreuzer nun in eine Position, in der der Pirat keine freie Schussbahn mehr zum Erzfrachter mehr hatte.
„Dann mal los. Junior, feuer den Halunken ein paar Warnschüsse vor den Bug, vielleicht lassen die dann von der ALBATROS ab.“
„Wird gemacht, Walt.“ Die Stimme des Armierungsoffiziers ließ erkennen, dass er sich darauf zu freuen schien, ein paar Piraten das Fürchten zu lehren. „Werferbatterien eins und drei abgefeuert.“
Walt beobachtete die Energiestrahlen. Beide verfehlten ihr Ziel nur knapp. Das sollte als Warnung ausreichen.
„Öffne mal einen Kanal, Carl. Ich will den Taugenichtsen noch eine Chance geben.“
„Verstanden. Kanal ist offen, Walt.“
„Hier spricht der Schnelle Raumkreuzer JAGELLOVSK“, Walt überlegte kurz, ob er sich als Commander des Sternenlicht Sicherheitsdienstes zu erkennen geben sollte, entschied sich dann aber dagegen. „An das Piratenschiff. Brechen Sie ihren Angriff ab. Noch haben sie die Chance, heil aus der Sache herauszukommen. Nutzen Sie die Gelegenheit, mit einem blauen Auge davon zu kommen, bevor wir uns dazu gezwungen sehen, unsere Lichtwerferbatterien gezielt auf Ihr Schiff abzufeuern.“ Mit einer Handbewegung signalisierte er Ruyther, die Übertragung zu beenden, den Kanal aber für eine Antwort offen zu halten.
„Wenn die nicht total verblödet sind, dann ergreifen die jetzt die Flucht.“ Walt war sich sicher, dass die Präsenz eines Kreuzers der Orion-Klasse ausrechend Eindruck auf die Piraten ausüben sollte und machte es sich daraufhin in seinem Kommandosessel bequem. Doch nur einen Wimpernschlag später meldete Astrogatorin Liane Chryss etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte.
„Walt, die haben was vor.“
Sofort sprang er wieder auf und heftete seinen Blick an die Astroscheibe. „Drehen sie bei?“
„Ich weiß nicht. Das Manöver kommt mir seltsam vor. Als ob sie einem Beschuss ausweichen würden. Aber wir schießen doch gar nicht.“
„Vielleicht die ALBATROS?“, warf Ruyther ein.
„Nein, auf keinen Fall“, widersprach Walt. „Die Erzfrachter sind unbewaffnet. Haltet euch bereit, sie können ...“
„Sie feuern“, unterbrach Chryss ihn aufgeregt.
„Festhalten!“
Doch der Befehl kam zu spät. Die JAGEL-LOVSK wurde durchgeschüttelt, als zwei Salven der Piraten das Schiff direkt trafen. Funken stoben durch die Räume, als die Energieüberladung sich einen Weg durch das Schiff bahnte. Ein ängstlicher Aufschrei war über die Bordsprechanlage zu hören, der jedoch im Chaos der Energieentladung nicht genau auszumachen war.
Nur mit Mühe konnten sich Walt, Liane und Carl auf ihren Gefechtspositionen in der Kommandozentrale auf den Beinen halten. Wie es bei den restlichen Besatzungsmitgliedern aussah, wusste der Commander nicht.
„Schadensmeldung! Jemand verletzt?“, brüllte er durch die Bordsprechanlage, wartete jedoch die Rückmeldungen nicht ab. „Junior, Feuer erwidern! Liane, Abfangkurs, wir müssen die ALBATROS schützen.“
Langsamer als sonst bewegte sich die JAGELLOVSK schwerfällig, um zwischen der ALBA-TROS und den Piraten zu bleiben. Die Lichtwerferbatterien gaben einen Feuerstoß ab, der jedoch nur die Hülle des Piratenschiffs leicht versengte. Während Walt zufrieden auf der Astroscheibe beobachtete, wie der Pirat nun doch abdrehte, kamen die Rückmeldungen der Besatzung. Bis auf Fayola, die sich eine leichte Verbrennung durch eine Energieüberspannung zuzog, waren alle anderen wohlauf.
„Verfolgung aufnehmen, bevor uns der Halunke entwischt. Kurs setzen, Antrieb auf volle Kraft. Los jetzt!“
Als sich die JAGELLOVSK nicht rührte warf Walt einen fragenden Blick in die Runde. „Was ist denn los? Leute kommt, der entwischt uns doch.“
„Keine Chance“, meldete daraufhin die Bordingenieurin. Als Walt auf den Monitor sah, entdeckte er bereits Doktor Smith bei ihr, der sich um ihre Brandwunden kümmerte. „Die Überspannung hat den Antrieb lahmgelegt. Wir können uns nur noch Schneckentempo bewegen.“ Die Augen der dunkelhäutigen Frau stachen weiß hervor, so als wollten Sie Walt dazu ermahnen, den Antrieb nicht noch mehr zu strapazieren.
Er besann sich. „Geht es dir gut, Fayola?“
Sie nickte. „Der Doktor leistet gute Arbeit. Ich bin in Kürze wieder einsatzfähig. Aber der Antrieb hat ordentlich was abbekommen.“
„Wie schlimm ist es? Können wir den Schaden reparieren?“
Sie sah vom Bildschirm weg, offenbar um ein paar Anzeigen zu überprüfen. „Der Energiekonverter muss neu kalibriert werden und ein paar Sicherungen sind durchgeknallt. Nichts, was ich nicht beheben kann. Aber das wird eine Weile dauern, fürchte ich.“
Walt war erleichtert. Es hätte auch schlimmer kommen können. „Ich schicke dir Junior runter, damit er dir unter die Arme greift. Seht zu, dass ihr den Antrieb schnellstens wieder in Gang bringt.
Hast du verstanden, Junior?“
„Verstanden Walt. Bin unterwegs.“
Walt ließ sich wieder in seinen Kommandosessel sinken. Immerhin hatten sie die Piraten verjagt und die ALBATROS III gerettet. Die Schlappe im Gefecht nagte dennoch an ihm.
2 Captain Logan
„Ich danke Ihnen für die Hilfe, Commander Kargon. Ohne die JAGELLOVSK hätten wir ganz schön alt ausgesehen.“ Das Gesicht von Captain Logan, welches auf dem Monitor zu sehen war, wurde von Sorgenfalten geprägt. Kein Wunder, dachte Kargon, nachdem die Piraten ihn fast zerschossen hatten.
„Unsere Mannschaft ist glücklich, geholfen zu haben. Aber sagen Sie, Captain, was genau wollten die Piraten denn eigentlich? Ihr Erz oder Sie als Geiseln?“
Logan prustete. „Uns als Geiseln? Na, das wäre ja noch schöner. Nein, Commander, die waren ganz sicher auf unser Erz aus. Das dürfte für die viel wertvoller sein, als mit uns ein lumpiges Lösegeld einzufordern. Der Konzern lässt sich auf solche Spiele nicht ein. Jedenfalls nicht bei kleinen Frachterbesatzungen, wie wir es sind.“ Walt glaubte, einen Funken Verbitterung in Logans Stimme zu hören.
„Aber wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen, dann muss doch auch die Minengesellschaft handeln“, warf er ein.
„Ja, vielleicht.“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung verdeutlichte Logan, dass er hierzu zwar anscheinend eine andere Meinung hatte, über diesen Punkt jedoch nicht weiter reden wollte. „Vor ein paar Monaten wurde ein vollautomatischer Versuchsfrachter, die ENDEAVOUR, auf die Reise geschickt. Die Roboter der Gamma-9 Serie sollten uns über kurz oder lang ablösen, doch das Schiff kam nie an. Offenbar waren sie das erste Opfer der Piraten. Was mich aber irritiert hat, war, dass die Ganoven nicht einmal Forderungen gestellt haben. Es kam nur eine kurze automatische Kontaktaufnahme mit dem Hinweis, dass wir uns sofort zu ergeben haben. Sonst nichts.“
Walt runzelte die Stirn und sah dann nacheinander Liane und Carl an, die jedoch auch nur mit den Schultern zucken konnten.
„Sonst nichts?“, frage er schließlich und beugte sich in seinem Kommandosessel vor. „Haben Sie zufällig eine Aufzeichnung gemacht?“
„Aber natürlich. Die Burschen kamen mir gleich so komisch vor, als sie sich wie aus dem Nichts näherten.“
„Dann sind Sie doch bitte so freundlich und lassen uns die Aufzeichnung mal hören, Captain.“
„Natürlich“, Logan nickte zur Seite. Ganz sicher gab er seinem Kommunikationsoffizier damit eine vorher abgesprochene Bestätigung, denn kurz darauf ertönte an Bord der JAGELLOVSK eine laute, blecherne Elektronenstimme: „ACHTUNG, ALBATROS DREI! STOPPEN SIE IHRE MASCHINEN UND ÜBERGEBEN SIE IHR SCHIFF OHNE WIDERSTAND. DIES IST DIE ERSTE UND LETZTE WARNUNG.“
Mit seiner rechten Hand strich sich Walt Kargon über sein markantes Kinn, als er seine Gedanken laut aussprach: „Die sind ganz schön clever. Das ist die automatische Navigationskontrolleinheit. So lässt sich kein Stimmenmuster vergleichen.“
Logan nickte bestätigend. „Das haben wir uns auch gedacht und den Nachbrenner gezündet. Wir wollten nichts wie weg. Doch die Kerle sind uns gefolgt. Na, ganz klar, dass die uns schnell eingeholt haben und dann das Feuer eröffneten.
Mit so einem alten Frachter kann man keine waghalsigen Ausweichmanöver machen. Aber ein wenig haben wir versucht, Haken zu schlagen.“ Er lachte, als hätte er sich eben selbst einen Witz erzählt. „Was man mit so einer Mühle eben Haken schlagen nennen kann. Aber immerhin hat uns das etwas Zeit verschafft.“
„Ja, zum Glück. Sonst hätten wir vermutlich nur noch einen Haufen Staub von euch auflesen können.“
„Carl! Lass das“, zischte Walt seinen Kommunikationsoffizier an.
Der verzog jedoch seine Miene. „Na, ist doch wahr. Fayola hat mir gerade gemeldet, dass die Halunken unseren Antrieb beschädigt haben. Der Schuss hat gesessen.“
„Ja, aber wir haben auch kein Erz an Bord, welches sich die Piraten unter den Nagel reißen wollen.“ An den Captain der ALBATROS III gewandt, fuhr Walt fort, „Allerdings ist da etwas Wahres dran. Die Piraten haben gezielt unseren Antrieb erwischt, um fliehen zu können. Da hätten sie doch genauso gut den Antrieb der ALBATROS III zerschmelzen können, um leichter an die Beute zu gelangen. Warum haben die das nicht gemacht, sondern euch nur ein paar Streifschüsse verpasst?“
„Ach“, winkte Logan ab, „die werden uns doch gescannt haben. Da wird ihnen unser alter YF-300 Antrieb aufgefallen sein. Wenn die den zerschmolzen hätten, wäre vermutlich der ganze Rumpf abgerissen worden. Die Dinger haben einen ziemlich anfälligen Konverter. Wenn der überladen wird, dann reagiert der ziemlich übel.“
„Tatsächlich? Die YF-300 sollten doch eigentlich längst ausgetauscht werden.“
„Tauschen Sie den Antrieb mal aus, wenn Sie Lichtjahre von irgendeiner Werft entfernt sind und nur durch diese gottverlassene Leere schippern.“
Walt setzte ein gewinnendes Lächeln auf. Es war besser, den Captain nicht zu verstimmen. „Wo wir gerade von Antrieben reden, Captain. Unsere Ingenieurin hat den Schaden unseres Antriebs jetzt untersucht und fragt an, ob die ALBATROS III nicht mit ein paar Ersatzteilen aushelfen kann.“
„Na ja, ein bisschen was haben wir natürlich da. Was wird denn benötigt?“, Logans Stimme klang mit einem Mal weniger entspannt. Verständlich, wie Walt fand. Im tiefen Weltraum gab niemand gerne Ersatzteile ab, die er eventuell selbst brauchen konnte.
„Moment, ich schicke Ihnen die Liste rüber.“ Jetzt war es Walt, der seinem Kommunikationsoffizier zunickte, woraufhin Carl Ruyther die Auflistung an die ALBATROS III übermittelte.
Es dauerte nur einen Moment, bis Captain Logan die Auflistung kontrollieren konnte. „Ja, also das sieht so aus, als könnten wir euch hier behilflich sein. Allerdings haben wir nur einen der alten Beta 3 Stabilisatoren im Lager. Der wird euren defekten Beta 5 nicht ausreichend ersetzen können.“
„Ist schon in Ordnung, Captain. Unserer Ingenieurin wird da schon etwas einfallen. Können wir uns die Sachen abholen?“
Logan verzog wieder das Gesicht. „Ja, sicher, aber wir müssen wieder Fahrt aufnehmen, damit wir die Lieferung nicht zu spät nach Tyros bringen. Die Strecke von K-85 ist normalerweise schon knapp genug bemessen, der Überfall macht die Sache nicht besser. Aber wenn wir jetzt eine noch größere Verspätung haben, werden uns die Prämien gestrichen. Ich hoffe, Sie nehmen uns das nicht übel. Wir werden langsam Fahrt aufnehmen, damit Sie mit einer PHÖNIX übersetzen und die Sachen abholen können. Das ist das Mindeste, was wir für Ihre Hilfe tun können.“
„Ja, natürlich, Captain. Ich werde Fayola Sisay mit Gella Hailey zu Ihnen schicken. Aber sagen Sie, ist Ihre Minengesellschaft da nicht kulanter, was Schäden wegen Piratenüberfällen angeht?“
Wieder prustete der Captain. „Die Minengesellschaft selbst vielleicht, aber die kümmert sich ja nur darum, dass die Erze abgebaut und verfrachtet werden. Den Rest übernimmt der Konzern. Und TreX verwaltet eben nicht nur die Minengesellschaft, sondern auch die Versicherung und all das.“
„TreX ist der Transport Export Konzern?“
„Ja, richtig“, bestätigte Logan die Frage. „Eigentlich zahlen die am besten. Aber es darf halt nichts schief gehen. Ich glaube, die hohen Herren in der Chefetage haben andere Dinge im Kopf als die Sicherheit der Frachter. Na, hoffen wir, dass der Spuk durch Ihr beherztes Eingreifen ein Ende gefunden hat. Sonst sehe ich für Captain Blendar und seine CHARGER schwarz.“
Walt horchte auf. „Die CHARGER?“
„Ja, die kommt ungefähr in einer Woche hier vorbei. Bis dahin hat der Konzern bestimmt noch keine Maßnahmen ergriffen.“
Walt erkannte sofort die Situation. Nur eine Woche. Ein Lichtspruch hätte zwar die CHARGER warnen können, allerdings bestand auch das Risiko, dass die Piraten den Lichtspruch abfangen könnten. Eine Kurskorrektur der CHARGER hätte also das Problem nur verlagert, es aber nicht behoben. Zumal davon auszugehen war, dass die Piraten beim nächsten Überfall aggressiver vorgehen würden. Schließlich hatte die JAGELLOVSK deren Beutezug verhindert. „Wir werden sehen, ob wir für Captain Blendar etwas unternehmen können. Jetzt schicken wir erst mal eine Phönix für die Ersatzteile los. Gella, seid ihr bereit?“
„Ja, Walt. Ich werde Fayola sicher hin- und wieder zurückbringen.“
„Dann startet. Und Ihnen, Captain Logan, wünsche ich einen ruhigen Weiterflug.“
„Vielen Dank noch mal für die Hilfe, Commander. Es tut mir leid, dass wir in Zeitdruck sind.“
Wieder setzte Walt ein gewinnbringendes Lächeln auf. „Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Wir werden schon zurechtkommen. Immerhin können Sie uns mit ein paar Ersatzteilen aushelfen.“
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