Der todgeweihte Prinz

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Der todgeweihte Prinz
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Peter Klein

Der todgeweihte Prinz

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Karte

Widmung

Prolog

Präludium

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

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15

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18

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20

21

22

Epilog

Danksagung

Impressum neobooks

Karte


Widmung

Für alle Neu-Gierigen

Prolog

Der Dunkle genoss das Gefühl der Macht. Die kleine feindliche Armee hatte wie erwartet keine Chance gegen die Übermacht der verbündeten Truppen. Nur einige wenige Kämpfer hielten noch die Stellung, während man in der Ferne schon die ersten Bewohner der Stadt in Panik fliehen sah.

Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Außenstehende mochten ihn für grausam halten. Aber das war er nicht. Er hatte zwar Spaß an dem, was er tat, wie es ihn stets befriedigte, wenn einer seiner Pläne funktionierte und er seine Überlegenheit gegenüber Mitmenschen fühlen konnte. Doch man mochte auch sagen, er tue lediglich, was nötig sei. Es war schließlich wichtig, dass möglichst keiner entkam, auch nicht die Bewohner der Stadt. Die Truppen hatten entsprechende Anweisungen.

Doch was war das? Seine große Armee wurde aufgehalten. Die Stelle war strategisch gut gewählt, aber nur wenige wären so heldenhaft, sich einer derartigen Übermacht in den Weg zu stellen. Völlig sinnlos. Er trieb sein Pferd an. Er musste näher heran. Das durfte nicht gestattet werden. Zu viele Stadtbewohner würden fliehen können.

Ja, es war der Kerntrupp seiner Feinde. Der aus vielen Wunden blutende Prinz hätte wirklich besser fliehen sollen, dann hätte er vielleicht eine Chance zu überleben gehabt. Stattdessen stand er dort neben seinem Waffenmeister und tat so, als sei er ein Held. Der Waffenmeister war in eine Art Berserkerrausch verfallen, und seine lange Klinge wütete wie eine Sense blutig unter den Verbündeten, während der Prinz ihm mühsam den Rücken freihielt. Ein Berg von Leichen umgab sie.

Wie konnte es nur sein, dass sie von den vielen gegnerischen Waffen nicht getroffen wurden? Zweifelsohne war zumindest der Waffenmeister einer der besten Kämpfer des Reiches, doch gegen diese Übermacht hätten sie eigentlich nicht so lange bestehen können.

Der Dunkle beobachtete grimmig das ungleiche Gefecht. Da, und dort, unerklärliche Irritationen bei den Angreifern, kleine Verzögerungen beim Schwung der Waffe, etwas unkorrekter Stand, was war bloß die Ursache?

Aber natürlich, er hätte es sich denken können. Im Schatten hinter den beiden feindlichen Kämpfern konnte er jetzt eine längliche, hagere Figur erkennen. Der Hofmagus des Prinzen! Dieser Emporkömmling war ihm schon lange ein Dorn im Auge. Das würde lustig werden.

Er fokussierte seine ganze immense Kraft und formte ein dunkles, geistiges Schwert. Voller Energie schlug er zu. Doch der Hofmagus, dieser elende Nichtskönner, wagte es, ihm zu widerstehen, setzte ihm sein widerliches Talent entgegen. Aber natürlich war es hoffnungslos für ihn. Zu gering war seine Erfahrung im Kampf, seit zu kurzer Zeit war dieser erst Magier, als dass er mit seiner Macht hätte mithalten können. Er fand die Lücke in der Abwehr des anderen Verstandes und schlug erneut mit aller Kraft zu. Der Hofmagus ging zu Boden, wie er es verdient hatte.

Einen Moment lang schwankte der Dunkle wie benommen im Sattel. Dieses magische Duell hatte mehr Kraft erfordert, als er gedacht hätte. Doch dann richtete er seine Augen erneut auf das Gefecht. Der Prinz lag schon besiegt und wie tot am Boden, während der Waffenmeister, der verrückte Ritter, aus unzähligen kleineren und größeren Wunden blutend, immer noch wie wild focht. Dutzende musste er erschlagen haben, dieser Mann watete förmlich in Blut. Und in der Ferne flohen die erbärmlichen Stadtbewohner, versuchten ihr kümmerliches Leben zu retten, ein Leben, das zu leben er ihnen nicht gestattet hatte. Der Waffenmeister musste endlich sterben. Der Dunkle sammelte seine Kräfte und formte mühsam eine weitere geistige Waffe, aber es reichte nur noch für ein kleines dunkles Messer. Tiefe Verletzungen konnte er so nicht mehr bewirken, aber für eine Ablenkung würde es reichen. Hämisch wartete er auf den geeigneten Moment. Immer mehr seiner Truppen trafen ein, drängten förmlich nach vorne. Gut, dachte er, nur noch ein bisschen abwarten, er musste nur Geduld haben. Jetzt! Drei mutige Krieger wagten einen gemeinsamen Ausfall gegen den elenden Ritter. Dies war seine Chance! Der Dunkle stach mit seiner geistigen, kurzen Klinge energisch zu, und der Waffenmeister war sichtlich abgelenkt. Die drei feindlichen Schwerter trafen ihn zugleich, doch der Waffenmeister wirbelte noch einmal mit letzter Kraft herum. Unglaublich, wie hartnäckig dieser Kerl war. Die Köpfe der verbündeten Angreifer rollten zu Boden, so gewaltig war dieser letzte Streich des Waffenmeisters gewesen. Ihre Körper sanken zeitgleich nach unten, während – ja, was war denn das? Hinter dem taumelnden Waffenmeister hatte sich ein verborgener Eingang im Fels geöffnet, und darin stand der Hofmagus. Der Kerl war widerstandsfähiger, als gedacht. Der hätte doch eigentlich für den Rest seines Lebens wimmernd am Boden liegen müssen?

Angriff. Schneller Angriff. Der Waffenmeister kann sich doch nicht mehr wehren, die letzten Schläge haben ihm den Rest gegeben. Nein!!! Lasst sie nicht entkommen!!! Diese Tür darf sich nicht wieder schließen. Nein!!!!

Ach, egal. Sie sind beide derartig verletzt, dass sie mit Sicherheit sterben werden. Rasch, tötet die Stadtbewohner, tötet alle! Alles, was sie besitzen, soll euch gehören!

Der Prinz. Wo ist der Prinz? Er ist gewiss nicht durch die geheime Tür im Fels entkommen, das hätte ich gesehen. Er lag doch noch wie tot am Boden, als die beiden entkommen sind. Wo ist er jetzt? Verflucht! Bin ich denn von lauter Unfähigen umgeben? Wut! Wut! WUUUUUT!

Präludium

Er stand ruhig dort im beginnenden Tag, an exponierter Stelle, und der Wind blies ihm sanft ins Gesicht. Die Sonne wärmte noch nicht, aber sie tauchte die Welt bereits in Farben. Ein paar Nebelfetzen zogen hoch, wurden vertrieben wie die Nacht selbst, vertrieben von der strahlenden Sonne. Es würde ein guter Tag werden.

Für ihn hingegen war es vorbei. Es war nur ein Husten gewesen, zunehmend, und er hatte es auf das Rauchen zurückgeführt. Dann aber hatte der morgendliche Schleim sich blutig verfärbt. Die Ärzte hatten die Diagnose bestätigt: Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium, hieß es. Ungewöhnlich früh aufgetreten. «Wir können Ihnen eine Chemotherapie anbieten. Vielleicht auch eine Bestrahlung.»

Er wusste es besser. Es ließ sich ja alles nachlesen, es stand ja alles im Netz. Unheilbar! Vielleicht noch ein Jahr, aber unter ständigen medizinischen Maßnahmen. Sein Wohlstandsbäuchlein würde allmählich ausmergeln, und er würde immer schwächer werden, immer mehr dahinsiechen, bis schließlich ...

Das war nichts für ihn!

Er dachte an sein verkorkstes Leben.

 

Es fing schon in der Kindheit an. Seine Eltern hatten sich im Streit getrennt, und er hatte dazwischen gestanden. Bei einer Scheidung ging halt immer etwas kaputt. In diesem Fall war er der Puffer gewesen, der langsam zerbrochen war. Beide hatten danach neue Beziehungen gehabt, Beziehungen, in denen kein Platz für ihn war. So war er beim Aufwachsen mal bei dem einen, mal bei dem anderen gewesen, aber nie richtig glücklich. Machte er bei seiner Mutter etwas falsch, so hieß es: «Das hast du alles von deinem Vater.» War er bei seinem Vater, hieß es: «Du kommst viel zu sehr nach deiner Mutter.»

Und es gab keinen Ausgleich, es gab nichts, wo er richtig gut war. Er war stets ein durchschnittlicher Schüler gewesen, und auch im Sport hatte er niemals besondere Leistungen erbringen können. Überall mittelmäßig, nirgendwo besonders gut, und zu Hause immer Stress. Kein Wunder, dass die Versuchung zur Zigarette bei ihm besonders hoch war. Es war anfangs wie ein Geschenk gewesen, man rauchte, und eine Stresssituation wurde weniger schlimm, man konnte sich etwas entspannen. Er hatte immer gewusst, dass es ungesund war, doch was zählte das damals schon.

Außerdem war er überzeugt: Nicht nur das Rauchen war für den Krebs verantwortlich. Wie hieß es so schön: Körper und Seele sind eine Einheit.

Also kein Wunder, dass er Krebs hatte.

Sie hatte ihn verlassen. Seine große Liebe. Oder sollte er besser sagen: seine einzige große Liebe. Denn natürlich hatte er auch Frauen vor ihr gekannt. Doch keine war so wie sie. So spontan, so intuitiv, immer fröhlich und so intelligent. Ein Wunder, dass sie sich überhaupt in ihn verliebt hatte. Und jetzt hatte sie ihn verlassen.

Er hatte gemerkt, wie sie einander immer weniger zu sagen gehabt hatten, wie ihre Fröhlichkeit abnahm, wenn sie in seiner Nähe war. Wie es immer weniger wurde, wie ihre Beziehung zugrunde ging. Und hatte nichts dagegen getan, nichts dagegen tun können. Und dann kamen die Vorwürfe, immer diese Vorwürfe. Was konnte er schon dafür, dass er arbeitslos war. Hatte er sich nicht redlich bemüht? Aber einen Job für einen jungen, gerade erst fertigen Windanlagentechniker zu finden, war in Zeiten einer Wirtschaftskrise nicht so einfach. Er hatte unzählige Bewerbungen geschrieben, aber alle umsonst, er war noch nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Und in einem anderen Beruf zu arbeiten, konnte er sich schlicht nicht vorstellen. Dafür mochte er seinen Job zu sehr.

Als jetzt auch noch die Sache mit dem Lungenkrebs kam, war sie gegangen. Hatte gestern einfach einen Lieferwagen und mehrere Packer bestellt, hatte ihre Sachen aus der Wohnung räumen lassen und war ohne Abschied verschwunden.

Auf dem Tisch hatte ein Zettel gelegen: «Ich kann mit deiner Krankheit leben, aber nicht mit deiner Depression», hatte darauf gestanden.

Er blickte nach unten. Die wirklich wichtige Frage war, ob er so leben konnte. Ob er so leben wollte. Der Abgrund zu seinen Füßen war ein Ausweg. Ein verlockend leichter Ausweg. Ein kleiner Schritt nur, und er würde fallen, würde mit dem Wind fallen, den er stets gemocht hatte, und das Ende würde schnell sein. Er glaubte nicht, dass etwas danach kam, aber das war egal. Er hatte das Jetzt gründlich über.

Er schloss die Augen, um den Wind besser auf seiner Haut zu spüren.

Seltsam, er war doch noch gar nicht nach vorne geschritten, und hatte trotzdem schon das Gefühl zu fallen, immer weiter, endlos zu fallen ...

1

Nein, er war nicht tot, er war wirklich nicht tot! Es war eher die Unwirklichkeit des Träumens, dieser abrupte Wechsel der Realität, den er zu erkennen glaubte. Und Träumen, in seiner jetzigen Lage, das empfand er wirklich als absurd. Er hatte nur ganz selten Tagträume. Aber wie immer, er vermochte sich seine Träume nicht auszusuchen, und angesichts seiner jetzigen Lebenssituation konnte es auch nur ein mieser Traum werden.

Er neigte den Kopf nach unten und öffnete seine Augen. Na klar! Die eisige Kälte, die seinen gesamten Körper hochkroch, rührte von dem Metallboden her, auf dem er lag. Vielleicht sollte man besser sagen, auf dem er nackt lag. Es fing also schon an, ungemütlich zu werden. Und unrealistisch. Wo waren schließlich seine Klamotten abgeblieben?

Er richtete sich auf und lächelte grimmig. Wenn er im Traum starb, dann war das zwar stets unangenehm, doch wachte er anschließend immer sofort auf. Viele seiner Alpträume hatten auf diese Art geendet. Hatten stets schnell auf diese Art geendet, seit er den Zusammenhang erkannt hatte. Also, das war einfach. Es galt nur, die Umgebung gut zu untersuchen, um eine passende Möglichkeit zu entdecken.

Er stand in einer gusseisernen Konstruktion, die grob an einen Gitterkäfig erinnerte. Vorne war eine etwa mannsgroße Gittertür eingelassen. In dem ihn umgebenden Halbdunkel konnte er ansonsten kaum etwas erkennen. Die Luft roch schwül und modrig. Gelegentlich drangen Geräusche durch das Dunkel. Ein leises, metallisches Reiben klang zeitweilig auf, nur um abrupt wieder abzubrechen. Der verzerrte Widerhall ließ ihm kalte Schauer über den Rücken laufen.

Plötzlich sah er zwei rötlich glühende Punkte in einiger Entfernung leuchten, die langsam näher kamen. Ein riesiger Schatten zeichnete sich ab, der zu diesen beiden Punkten zu gehören schien. Das knirschende Geräusch wurde lauter. Es musste von diesem Schatten ausgehen. Aus den beiden glühenden Punkten wurden zwei große Augen, die Klavan zu mustern schienen.

«Perfekt!», tönte eine leise Stimme aus dem Hintergrund.

Von dem Schatten kam daraufhin ein fauchendes Geräusch. Kleinere Flammen zuckten dort auf und erhellten den Raum mit etwas Licht. Es schien sich um eine riesige Halle zu handeln. Das Licht der Flammen spiegelte sich am Boden sowie an den Wänden in vielen Facetten und fiel auf ein riesiges schwarzes Untier. An beiden Seiten hingen breite, augenscheinlich zusammengelegte Flügel herab. Alle vier Beine waren mit langen, scharfen Krallen besetzt. Die Flammen selbst jedoch schienen aus dem riesigen Maul des Wesens hervorzuquellen, was von einem gefährlich wirkenden Zischen und Fauchen begleitet wurde. Für einen Traum war der Anblick von einer derartig beängstigenden Faszination, dass er einige Momente wie paralysiert auf das Wesen starrte.

Dann jubilierte sein Verstand. Da war sie, seine Chance, den Traumtod zu sterben. Ein Drache. Wie abartig. Das würde mal eine komplett neue Variante von Traumtod werden. Hier in diesem Traum würde er nicht lange gefangen sein, und er begann, erste Pläne zu schmieden. Er musste dringend zurück in die Realität.

«Der Mann sieht richtig aus, Meister Drache. Aber kann er uns auch verstehen?»

Mit einer ruckartigen Bewegung warf er den Kopf zu Seite, um den Sprecher erkennen zu können. Es handelte sich um eine etwas abseits stehende Person in einem dunklen Umhang, dessen Kapuze das Gesicht in Schatten hüllte. Er bemühte sich, Einzelheiten zu erkennen. Aber bis auf die Tatsache, dass es sich wahrscheinlich um einen mittelgroßen Mann handelte, konnte er nichts Genaues feststellen.

In dem Zischen des Untiers formten sich einzelne Worte: «Richtig? Er gleicht ihm wie ein Ei dem anderen, wie man unter uns Drachen sagt.»

Der Drache gab ein gackerndes Fauchen von sich, das unschwer als eine Art Kichern zu erkennen war, und fuhr fort: «Ich habe wie vereinbart alles Wichtige übertragen, also Sprache, Namen und sogar das Zeichen auf seiner Hand, als ich ihn gegen die Leiche seines Zwillings austauschte. Obwohl das wirklich schwierig war. Ich habe meinen Teil der Abmachung eingehalten.»

«Wir werden sehen», antwortete der Kapuzenmann und drehte sich um. «Der Segen der Allmutter sei mit dir. Kannst du uns sagen, wie du heißt?»

Ja, wie hieß er? Was war eigentlich sein Name? Verwirrung. Er musste doch seinen Namen kennen. So ein merkwürdiger Traum. Er stockte nachdenklich. Überlegte. Dann kam aus den Tiefen seiner Gedanken ein Wort, ein Name, stieg empor an die Oberfläche. Ja. Das fühlte sich merkwürdig an. Aber irgendwie richtig. Ja, das war sein Name.

«Klavan», antwortete er. «Ich heiße Klavan!»

«Und wie ist dein wahrer Name?»

«Wahrer Name?» Klavan verstand nicht, was der Kapuzenmann von ihm wollte. «Was meinen Sie mit wahrem Namen?»

Der Drache grunzte zufrieden, und unter der Kapuze des Fremden meinte Klavan förmlich ein anerkennendes Lächeln zu sehen.

«Ausgezeichnete Arbeit, Meister Drache. Auch Stimme und Sprache sind perfekt», ließ sich der Kapuzenmann vernehmen. «Er wird seinen Zweck erfüllen?»

«Zweifelsohne», schnurrte der Drache, doch Klavan hatte dabei den Eindruck, dass der Drache möglicherweise etwas anderes meinte als der Kapuzenmann.

«Und sein Geist atmet wirklich flach?»

«Wie versprochen, ich habe es überprüft. In seiner Welt gibt es nur wenige mit tiefem Inneren Atem», grummelte der Drache.

Es wurde Zeit, diesen abartigen Traum zu beenden. Zeit, zurück in die Realität zu kommen. Ach ja. Er musste bloß irgendwie den Traumtod sterben. Nun, das war einfach. Was waren bloß die fiesesten Schimpfworte, die er kannte? Egal.

«Hey, Arschloch!», unterbrach Klavan kurz entschlossen den selbstzufriedenen Drachen. «Ich habe noch nie eine solch fehlgeratene Missgeburt gesehen. Du hässlicher Spatz wirst mir doch keinen Ärger machen?»

Der Drache zuckte zurück und sah ihn mit grimmigen Augen an, während der Kapuzenmann nach einer kurzen Pause deutlich beeindruckt bemerkte: «Er ähnelt ihm sogar auch charakterlich. Und die Aussprache ist perfekt ...»

«Er hat aber auch eine ähnlich kurze Lebenserwartung», zischte der Drache skeptisch, während der Ärger in seinen Augen nachließ. «Zumindest, wenn er so weitermacht. Wir sollten ...»

Doch Klavan war clever genug, um einen Elfmeter zu erkennen, wenn sich ihm einer bot. Er musste den Drachen nur noch ein bisschen reizen: «Vor dir zu groß geratenem Regenwurm habe ich keine Angst!», höhnte er. «Du aufgeblasenes Kuscheltier, du Furzgesicht, ich werde dir gleich deine Eier in den ...»

Etwas war falsch.

Es war heiß. Zu heiß!

Und es tat weh. Sogar sehr.

Der Drache hatte unvermittelt weißes Feuer gespuckt, hatte den vorderen Teil des Käfigs in lodernde Flammen gehüllt. Und es tat unerwartet weh.

In seinen Träumen gab es nicht viele Schmerzen. Dort regierten vielleicht Ängste, schlimme Ängste, aber nein, keine Schmerzen, wirklich niemals Schmerzen.

Klavan sah auf seine linke Hand, an der sich mehrere Blasen gebildet hatten. Alles war so verdammt real. Er sollte besser vorsichtig sein. Auf der anderen Seite… er war dem Tod sowieso nahe. Da konnte er genauso gut hier sterben. Was sollte es? Er hatte schließlich nichts zu verlieren.

«Wenn du nicht ruhig bist», hörte er den Drachen zischen, «also wenn du dich nicht sofort kultiviert benimmst, dann werde ich dich rösten. Schön langsam, damit es auch ordentlich schmerzt. Und dann bei lebendigem Leib verzehren, so dass der Braten stets frisch ist. Ärmchen für Ärmchen, Beinchen für Beinchen. Und dein Geschrei dabei wird meine Mahlzeit versüßen.»

Nun, das war tatsächlich eine Drohung. Klavan wollte zwar sterben, aber das hörte sich für seinen Geschmack nicht wie der optimale Weg an. Ganz egal, ob Traum oder nicht, die Schmerzen an der linken Hand reichten ihm vorerst. Das tat ihm zu weh.

«Vielleicht könnten wir uns auf einen direkten, sauberen Biss einigen?», fragte er vorsichtig. «Erst den Kopf abbeißen? Du könntest dann hinterher auch mit mir anstellen, was du möchtest, rösten oder nicht, blutig oder medium, das wäre mir dann egal.» Er hielt dem Drachen hoffnungsvoll den Kopf durch die Gitterstäbe hin.

«Ah, er ist gar nicht so töricht, Meister Drache. Er hat nur Todessehnsucht», warf der Kapuzenmann verstehend ein.

«Na ja», zischte der Drache beleidigt. «Ich halte meine Versprechen, auch wenn ich deine moralischen Bedenken diesbezüglich nicht teile. Du hattest ja eine enge Vorauswahl getroffen. Und wie vereinbart, habe ich dir von denen einen ausgesucht, der so oder so bald gestorben wäre, einen mit starker Todessehnsucht. Außerdem kann man Sterbewillige auch viel leichter herüberholen, sie sind viel schwächer. Immer noch extrem schwierig, hättest du mich dabei nicht unterstützt, hätte selbst ich das nicht hinbekommen. Aber das Ergebnis kann sich doch sehen lassen, oder?»

«Ich beschwere mich ja nicht! Jedoch sollte man ihm vielleicht seine Situation besser verständlich machen», erwiderte der Kapuzenmann betont sachlich und wandte sich an Klavan, der dem Dialog verwundert gefolgt war.

 

«Also, du Ausbund an Denkgeschwindigkeit, du bist jetzt in einer anderen Welt. Einer für dich fremden Welt. Dank der großzügigen Magie des Meisters Drache verstehst du zwar unsere Sprache, aber hier gibt es trotzdem eine Menge Dinge, die es in deiner Heimat offensichtlich nicht gibt. Höflichkeit, zum Beispiel. Und wenn man hier nicht höflich ist, hat das meistens üble Folgen. War das ausführlich und langsam genug erklärt? Hast du das verstanden?»

«Ja», nuschelte Klavan wenig begeistert. Wenn der Kapuzenheini recht hatte, war dies tatsächlich kein Traum. Aber das war scheißegal. Er würde schon eine Lösung für sein Problem finden. Er würde sein missratenes Leben beenden, aber ohne, wirklich ohne lange Schmerzen. Darauf hatte er nun echt keinen Bock. Das war doch wohl das Mindeste. Es war auch so schon alles mies genug.

«Und jetzt werde ich dir dein unglaubliches Glück erläutern. Du willst sterben? Kein Problem, dafür habe ich dich doch schließlich hierher holen und gegen den toten, alten Klavan tauschen lassen. In deiner Welt bist du schon gestorben, siehst du? Und hier wirst du morgen sterben, beim Fest, so dass jeder sehen kann, wie Klavan stirbt. Das hat mich eine ganze Kiste voll Gold gekostet, einen immensen Reichtum.»

Während der komische Typ eine kurze Pause einlegte, konnte Klavan die bedauernd zusammengezogenen Lippen unter seiner Kapuze erahnen. Zur gleichen Zeit fing der Drache an, vergnügt eine Melodie zu pfeifen, hörte aber auf einen Blick des Kapuzenmannes hin damit wieder auf.

Drachen, die Melodien pfeifen können? Klavan wurde erneut die Unwirklichkeit seiner Situation bewusst. Vielleicht war es doch nur ein Traum. So etwas Verrücktes musste einfach ein Traum sein, das war sein bescheuertes Unterbewusstes, das hier verrückt spielte, so musste es sein. Er würde sich doch nicht ins Bockshorn jagen lassen, oder?

Klavan ballte instinktiv die Hände zu Fäusten. Er erschrak. Die linke Hand schmerzte immer noch ganz ordentlich und völlig untraumhaft. Er würde wohl besser erst mal vorsichtig bleiben.

«Äh», meinte er zaghaft, «mit dem Sterben könnte ich mich ja prinzipiell anfreunden. Vielleicht haben wir da gemeinsame Interessen. Wie genau wird es denn passieren?»

Der Kapuzenmann schien unter seiner Hülle zu grinsen, zumindest soweit man das sehen konnte: «Siehst du. Wir haben wirklich das Gleiche im Sinn. Mach dir also keine Sorgen. Du bekommst morgen von mir noch genauere Instruktionen.»

«Jawohl», zischte der Drache gackernd. «Es wird auch viel angenehmer als der Tod, den ich dir bereitet hätte. Du kannst wirklich dankbar sein. Du wirst wahrscheinlich bloß erst an mehreren Stellen aufgeschlitzt, so dass anständig Blut fließt. Dann schlägt man dir die linke Hand ab. Wenn du Glück hast, geht das auch mit einem Schlag. Vermutlich wirst du da dann noch liegen gelassen, um langsam zu verbluten, während die Meute sich an deinen Schmerzen erfreut.»

«Ach, Meister Drache», ärgerte sich der Kapuzenmann. «Alles ist doch nur eine Frage der Organisation. Bei vernünftiger Planung wird schon der erste Schlag tödlich sein. Und es dient obendrein einem guten Zweck.»

Der Drache gluckste nur.

Das hörte sich aber nicht wirklich gut an, fand Klavan. Wahrscheinlich war es keine wirkliche Verbesserung gegenüber dem Angebot des Drachen. Sein Entschluss stand zwar nach wie vor fest, er wollte sterben. Doch einen schnellen, möglichst schmerzlosen Tod. Nicht so etwas. Noch nicht mal, falls das alles hier nur ein Traum sein sollte. Allerdings ein verdammt realistischer Traum, wie er sich leider zunehmend eingestehen musste.

Er sah den Kapuzenheini skeptisch an. Doch dieser zuckte nur mit den Schultern und murmelte etwas von «später mehr». Er drehte sich um und schritt rasch in den hinteren Teil der Höhle. Dort trat er auf ein kleines, sternförmiges Plateau. Auf dessen Boden begann sofort ein sechseckiger Stern in bläulicher Farbe zu blinken. Ein helles, gelbes Licht leuchtete kurz danach auf, und der Unbekannte war verschwunden.

Bei diesem märchenhaften Geschehen musste Klavan unwillkürlich laut lachen. Auch noch ein Teleporter. Wie in Raumschiff Enterprise. Es war also doch nur ein Traum.

Langsam fand er auch seine Erinnerung wieder. Er, ein erwachsener, moderner Mensch, versetzt in ein abstruses Märchen. Das konnte nicht sein, er musste wirklich träumen. Ein echter Alptraum. Aber er würde einfach die Augen schließen, und irgendwann würde er zwangsläufig aufwachen. Und dann würde er sich an diese idiotische Situation in diesem eisernen Käfig nicht mehr erinnern. Und auch nicht mehr an die schwachsinnigen Todesarten, die ihm hier in Aussicht gestellt wurden. Er wollte einen anständigen Tod, einen einmaligen Flug durch den Wind und dann ein rasches Ende. So hatte er es schließlich geplant. Dieser Traum wäre dann wirklich vergangen und vergessen. Er erinnerte sich schließlich fast nie an seine Träume. Er machte eine befreiende Handbewegung und lachte dabei laut auf.

Hups.

Oh je.

Es wurde plötzlich hell.

Und wenig später wieder heiß. Sehr heiß sogar.

Klavan sprang rasch in den hinteren Teil des Käfigs zurück. Trotzdem brannte seine gesamte linke Seite wie Feuer.

«Das wird dich lehren, über mich zu lachen», hörte er das ärgerliche Zischen des Drachen. «Schade, dass du noch gebraucht wirst. Aber noch so etwas, und ich werde dich rösten, so wahr ich hier stehe!»

Klavan blieb die Spucke weg. Der Drache hatte offensichtlich etwas komplett missverstanden, hatte gedacht, dass Klavan über ihn gelacht habe. Und Klavan hatte – wie immer in seinem Leben – das Nachsehen gehabt. Sein linker Arm, seine linke Schulter, sogar bis hin zum Bein war alles feuerrot geworden. Und brannte wie verrückt. Jetzt nur nicht bewegen, nur nicht den wütenden Drachen erneut reizen, dachte er, und kauerte sich schutzsuchend zusammen.

Der Drache sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an, und Klavan senkte schnell demütig den Blick. Rasch fällte er sein Urteil: Real, alles viel zu real. Und wie es schmerzt! Keine Versuche mehr. Vielleicht wache ich ja noch auf, aber das macht keinen Unterschied. Solange ich hier bin, ist das alles hier wirklich. Bittere Wirklichkeit. Was für ein Mist!

Klavan blieb einige Minuten, wie er war, jede Bewegung quälte ihn. Langsam ließ der Schmerz etwas nach, es blieb aber noch ein ordentliches Brennen übrig. Schließlich wurde es nicht mehr besser, und Klavan begann, sich erneut zu orientieren. Wenn das hier alles Wirklichkeit war, dann musste er die Situation neu einschätzen. Zumindest die Schmerzen waren äußerst real und ermahnten ihn ständig, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Vielleicht war es wirklich eine andere Welt, mit anderen Bewohnern und anderen Regeln. Vielleicht ...

Während Klavan so vor sich hinkauerte und nachdachte, hatte sich der Drache allmählich in Richtung Höhlenmitte entfernt und dort auf einer kleineren Erhöhung niedergelassen. Der geschuppte Kopf sank zwischen die mächtigen vorderen Pranken, die Augen blinzelten und schlossen sich schließlich ganz. Das Riesenreptil schien zu ruhen. Kurze Zeit später tönte ein rhythmisches Schnaufen durch die gesamte Höhle. Der Drache schnarchte, was das Zeug hielt. An ein eigenes Ausruhen war bei dem Lärm nicht mehr zu denken.

Klavan lehnte sich zurück. Er hatte also die Wahl, sich von dem Drachen langsam rösten zu lassen oder den unklaren schmerzhaften Tod zu erleiden, den der Kapuzenheini für ihn vorgesehen hatte. Beide Gedanken erzeugten bei ihm einen schalen Geschmack im Mund. Wenn er schon starb, dann nach seinen eigenen Regeln, einen sauberen Freitod. Er musste also versuchen zu fliehen. Er hatte ja auch wirklich nicht mehr viel zu verlieren.

Seine Augen hatten sich inzwischen an das ihn umgebende Halbdunkel gewöhnt, so dass er sein Gefängnis genauer mustern konnte. Der Gitterkäfig, in dem er sich befand, bestand aus massiven Eisenstangen, ohne Werkzeuge sicherlich kaum zu bezwingen. Und an der einzigen Tür befand sich ein dickes Vorhängeschloss, das zugesperrt aussah. Und als wenn das noch nicht genug wäre, hing der Käfig auch noch gut zwei Meter über dem Boden. Eine Flucht schien also ausgeschlossen. Der schale Geschmack in seinem Mund breitete sich in Richtung Magen aus. Es war zum Verzweifeln, eigentlich wie immer in letzter Zeit.

Klavan bewegte sich trotzdem zur Käfigtür hin, um diese genauer zu betrachten. Eigentlich war es ja aussichtslos, den Käfig weiter zu untersuchen. Aber er brauchte das Gefühl, es überhaupt versucht zu haben. Einfach nur sitzenbleiben, bis zum nächsten Tag, das wollte er denn auch nicht. Vielleicht hatte ja doch jemand zufällig vergessen, die Türe abzuschließen? Vielleicht hatte er ja ausnahmsweise mal Glück? Er würde sich das Schloss kurz näher anschauen, schließlich sah er sonst keine Gelegenheit zur Flucht.

Allerdings kam er nicht sehr weit, denn unter seinen nackten Füßen wurde es plötzlich so heiß, dass er entsetzt wieder in seine Ecke zurücksprang.

Ach ja, das Drachenfeuer. Der Käfig war aus Eisen, und einmal erhitztes Eisen blieb bekanntermaßen längere Zeit heiß. Der gesamte vordere Teil des Käfigs musste also noch knackeheiß sein, schließlich hatte der blöde Drache zweimal sein Feuer an den Käfig geblasen.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Ja, das musste er probieren. Wenn er nur ein Paar Schuhe hätte, dann könnte er auch dorthin ... Doch zu seinem Pech war er natürlich nackt hierher gekommen.

Aber möglicherweise ging es auch so. Er würde lieber alles riskieren, als in diesem Käfig zu bleiben, und seine linke Seite war ja sowieso schon verbrannt.

Klavan begann, erst auf seine Hände und dann auch auf seine Fußsohlen zu spucken, so dass diese möglichst dick benässt waren. Dann nahm er seinen gesamten Mut zusammen und rannte wie der Teufel in den vorderen Bereich. Dort, wo die Hitze noch am stärksten war, legte er die Hände an zwei benachbarte Gitterstäbe, ignorierte den aufkommenden Schmerz in seinen Händen und zog, so schnell und heftig er konnte. Rasch ließ Klavan wieder los und sprintete zurück in den hinteren Teil des Käfigs.