Abgebrannt

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Abgebrannt

Kriminalroman von Peter M. Gnas

Peter M. Gnas ist 1955 in Bremen geboren und hat dort Kunst studiert. Seit Jahrzehnten arbeitet er selbstständig als Grafik-Designer und Texter in Stuttgart. Kreativität in Wort und Bild tragen ihn durch sein gesamtes Leben. Neben der zielgerichteten schöpferischen Tätigkeit im Marketing arbeitet er frei künstlerisch in Wort und Bild.

Impressum

Deutsche Erstveröffentlichung

© 2016 by Peter M. Gnas

Herstellung und Verlag: Peter M. Gnas

Umschlaggestaltung: Die Zeitgenossen GmbH, Stuttgart

Umschlagfotos: solovyova (depositphotos)

und lucianmilasan (depositphotos)

Fit

Lars Weber war ein Börsenhändler bei der hiesigen Genossenschaftlichen Zentralbank. Er saß von morgens bis abends spät an einem Schreibtisch vor drei Monitoren und telefonierte pausenlos. Nur zur Mittagszeit gönnte er sich eine kurze Pause, in der er ein Essen hinunterschlang. Meistens hatte er zehn Minuten später vergessen, was er gerade zu sich genommen hatte.

Weber war vierunddreißig. Wenn er am Abend nach zehn oder zwölf Stunden die Bank verließ, war er voll von Adrenalin. Noch vor zehn Monaten war er übergewichtig und litt unter Rückenschmerzen. An einem Samstagabend lümmelte er vor dem Fernseher und döste bei einer Show langsam weg. Er erwachte, als er ein fürchterliches Ziehen in der Brust spürte. Er riss die Augen auf, stöhnte und fluchte und quälte sich aus dem Sessel.

Mit beiden Händen drückte er sich gegen die Brust. Er hatte Panik. Sollte das jetzt sein Ende sein? Davor hatte er immer Angst gehabt, dass der Stress ihn in ein frühes Grab bringt. War das ein Herzinfarkt?

Ihm fiel der Abend ein, an dem sein Vater im Bett lag und vor Schmerzen klagte.

„Mach das Fenster auf“, hatte seine Mutter gerufen.

Weber hatte erstarrt am Fußende des Bettes gestanden und seinen Vater entsetzt beobachtet. Er hatte seinen Vater geliebt. Er hatte Angst verspürt, er könne ihn verlieren.

„Lars!“

Er kam wie aus einer Trance. Er hatte seine Mutter mit leerem Blick angesehen.

„Das Fenster auf! Mach!“

‚Das Fenster auf‘, dachte er.

Gebeugt vom Schmerz war er zum Balkon gegangen und hatte die schwere Schiebetür geöffnet. Draußen war es kalt, auf dem Balkon hatte der erste Schnee gelegen. Er war barfuß nach draußen getreten und hatte die eisige Luft so tief eingeatmet, wie es der Schmerz in seiner Brust zuließ.

Er hatte die bissige Kälte an seinen Füßen gespürt und die ebenso kalte Luft auf dem Weg zu seinen Lungen. Aber es ging ihm etwas besser. Schwer atmend blickte er über die beleuchteten Straßen. Was sollte er tun? Einen Arzt anrufen?

Er würde wahrscheinlich ins Krankenhaus gebracht werden und könnte am Montag nicht in die Bank. Es waren turbulente Tage, es würde ihm viel Provision entgehen. Er war ein guter Händler mit einem ausgeprägten Instinkt für den richtigen Augenblick. Den Augenblick des Kaufens, des Verkaufens und des Abwartens. Nein er konnte unmöglich ins Krankenhaus gehen.

Er musste trotzdem etwas für seine Gesundheit tun. Er saß zu viel am Schreibtisch und bewegte sich in seiner knappen Freizeit zu wenig. Er würde wieder anfangen zu laufen. Er würde jetzt anfangen! Entschlossen trat er in die Wohnung, zog sich warm an und ging hinaus in die Kälte. Er wollte zunächst ein wenig spazieren gehen. Am nächsten Morgen würde er joggen. Zunächst nur ein kleines Stück und am nächsten Tag etwas weiter. Er hatte das früher schon getan. Trotzdem er jeden Morgen lange Strecken gelaufen war, ging er wacher ins Büro gegangen als jetzt.

Der stählerne Ring um seine Brust hatte ihn in Panik versetzt. Er hatte den spontanen Plan tatsächlich in die Tat umgesetzt. Seit dem Abend, der nun bereits viele Monate zurücklag, lief er jeden Morgen. Am Anfang nur etwas mehr als einen Kilometer, nach und nach waren es dann jeden Morgen zehn Kilometer geworden. Er hatte immer früher aufstehen müssen, um sein Pensum zu schaffen. Er hatte es genossen, die kalte Luft zu spüren, er hatte das Laufen im aufkommenden Frühjahr in sich aufgesogen, die kühlen Regengüsse, den Wind, den Sturm und das sich verfärbende Laub im herannahenden Herbst.

Heute war der dritte Oktober, der Tag der Einheit. Trotzdem war er zur selben Zeit aufgestanden wie an einem Arbeitstag. Er war wie jeden Morgen um fünf Uhr über die Felder von Oberneuland gelaufen, einem der besseren Stadtteile Bremens. Es war morgens bereits wieder dunkel. Er hatte am Oberarm eine LED-Lampe, damit er im Dunkeln besser gesehen werden konnte.

Nach seiner Runde übers freie Feld lief er wieder in bebautes Gebiet. Am Anfang war er nur bis dort gejoggt und den Rest nach Hause gegangen. Jetzt, mit steigender Fitness lief er bis zur Haustür.

Am Ende der Straße nach dem Feld war ein Firmengebäude mit einem größeren Parkplatz. Weber nahm einen leichten Brandgeruch wahr, je näher er dem Parkplatz kam. Er kniff die Augen zusammen und versuchte das im Dunkeln liegende Firmengebäude zu sehen. Es war alles ruhig, nichts deutete auf einen Brand hin.

Er verlangsamte seinen Schritt und ging an dem Gebäude vorbei. Der Brandgeruch war nun stärker. Es war jedoch nirgendwo ein Feuer zu sehen.

Weber trat auf den Parkplatz. Er streifte das Gummiband mit der Lampe vom Arm und leuchtete den Platz ab. Der Geruch wurde intensiver. Weiter hinten, halb vom Gebäude verdeckt, tauchte ein Auto im spärlichen Lichtkegel auf. Er näherte sich vorsichtig. Ein Dreier BMW.

Weber machte einen Bogen um das Fahrzeug. Es sah nicht aus, als hätte es gebrannt. Er hielt den Wagen im Lichtschein. Die Fahrertür stand weit offen.

Er spürte Unbehagen aufsteigen. Etwas war nicht normal. Jetzt ging er langsam auf den BMW zu. Er leuchtete ins Wageninnere. Der Fahrersitz schien gebrannt zu haben. Was war hier geschehen. Er drehte sich um und leuchtete das Umfeld ab. Am Rand des Lichtscheins sah er etwas am Boden liegen. War das ein Mensch?

Je näher er kam, desto deutlicher roch es verschmort. Er blieb stehen. Er überlegte, was ihn dort im Dunkeln erwarten würde. Sollte er sich das antun? Würden ihn dort Bilder erwarten, die er nie mehr im Leben vergessen könnte? Weber schloss einen Moment die Augen und trat schließlich entschlossen auf das Bündel zu.

Als sein Blick auf das fiel, was vor kurzem noch ein menschliches Gesicht war, fuhr ihm der Schreck in den Magen. Instinktiv griff er sich an den Bauch. Er wich zurück. Im Augenwinkel nahm er weitere Gegenstände am Boden wahr. Es waren zwei Boxen – oder waren es Kanister?

Weber wollte es nicht wissen. Er öffnete den Reißverschluss seiner Jacke und zog sein Mobiltelefon heraus. Zügig ging er in Richtung der Straßenlaternen und wollte die Nummer des Notrufs wählen. Er zögerte. Wie hieß diese Straße? Er sah zu dem Firmengebäude. Stelzer Großhandel – das würde der Polizei wahrscheinlich genügen. Er wählte.

Nach fünf Minuten erschien ein Polizeiauto mit Blaulicht aber ohne Martinshorn. Weber stellte sich auf die Fahrbahnmitte und schwenkte seine Lampe.

Brandgeruch

Kriminalhauptkommissarin Sabrina Hamm erschien eine halbe Stunde später. Sie hatte Dienst, kam aber von zu Hause. Sie ging zu den beiden Polizeibeamten, die zuerst vor Ort waren. Rund um die Szene war ein Sichtschutz aufgestellt worden.

„Wissen wir schon etwas Näheres“, fragte sie.

„Nur das, was man sieht“, antwortete der Uniformierte, „männliche Person, hat sich vermutlich mit Benzin übergossen und im Wagen angezündet. Dann hat er wohl gemerkt, dass er einen Fehler gemacht hat und sich am Boden gewälzt. Er hat versucht die Flammen zu ersticken, was wegen des vielen Benzins nicht möglich war.“

„Suizid?“

„Kommt immer wieder vor.“

„Suizid durch Selbstverbrennung?“

Der Beamte zuckte mit den Schultern.

„Autsch“, sagte Sabrina Hamm.

„Kann aber natürlich auch ganz anders gewesen sein.“

„Mord?“

Wieder zuckte er mit den Schultern.

„Haben Sie den Toten gefunden?“

„Nein, ein Jogger.“

„Ist der noch hier?“

„Nein. Ich habe seine Personalien aufgenommen und ihn nach Hause gehen lassen. Er war durchs Laufen sehr verschwitzt und hatte gefroren. Ich habe ihm eine Kälteschutzfolie gegeben und ihn gebeten zu Hause zu warten, bis Sie kommen.“

„Super“, sagte sie. Sie nahm den Zettel mit der Adresse, machte mit dem Smartphone ein Foto davon und gab ihn dem Uniformierten zurück.

„Jetzt gehe ich zuerst mal gucken.“

Sie ging langsam um die stark verbrannte Leiche herum. Ein Mann. Oder das, was von ihm übrig geblieben war. Der Gerichtsmediziner Dr. Jakob Renz kniete neben dem Körper und zog einen Plastikbeutel über eine Hand der Leiche.

„Glauben Sie, dass Sie noch verwertbare Spuren unter den Nägeln finden?“, fragte Sie.

„Nein“, antwortete Renz trocken und erhob sich.

Er war ein sportlicher Mann von etwas mehr als sechzig Jahren.

„Guten Morgen, Frau Hamm“, sagte er, „da ist wahrscheinlich nichts mehr zu finden. Das mit den Tüten ist ein Reflex. Besser etwas vergeblich tun, als es zu übersehen.“

„Der uniformierte Kollege meinte, dass es Suizid war.“

Renz schwieg so lange, dass sie von dem Toten aufblickte und ihn ansah.

Er stieß die Luft aus: „Tja, ist natürlich möglich ...“

„Sie haben Zweifel?“

„Das hat nichts zu bedeuten“, antwortete er mit einer abwehrenden Handbewegung, „ich habe immer Zweifel.“

 

Er machte ein paar Schritte auf einen der Kanister zu. Sabrina Hamm folgte ihm.

„Wissen Sie, ich war am Anfang meiner Berufstätigkeit erstaunt, wie viele Männer sich mit einer Selbstverbrennung ums Leben bringen.“

„Männer?“, fragte sie.

„Es sind meistens Männer, die Suizid begehen – sicherlich zwei Drittel. Unter den Selbstverbrennern ist mir noch nie eine Frau untergekommen.“

Er sah sie an.

„Männer sind aggressiv bei der Wahl ihres Todes. Gegen sich selbst und ein letztes Mal gegen die, die ihnen nahestanden. Sie wollen, dass man sich schuldig fühlt.“

Wieder sah er sie einen Moment an.

„Wenn Sie meine Meinung interessiert – ich finde so etwas zum Kotzen.“

„Können Sie das rauskriegen, ob es Suizid war?“

„Sie sind nicht davon überzeugt?“, fragte er.

„Ich bin neutral“, antwortete sie und hob die Hände, wie zur Abwehr.

„Ich habe mir das hier alles angesehen, bevor Sie da waren“, sagte er, „meines Erachtens hat er, als er bereits brannte, zunächst im Auto gesessen. Das kommt nicht so selten vor. Und dann hat er wahrscheinlich gemerkt, dass es wehtut. Er wird aus dem Auto gestiegen sein und hat versucht, sich durch Wälzen am Boden zu löschen.“

Während er die Szene beschrieb, deutete er auf verschiedene Stellen am Boden, an denen man Spuren von Ruß und Asche liegen sah.

„Es war zu viel Benzin im Spiel.“

Er deutete auf die beiden am Boden liegenden großen Kanister.

„Zwanzig Liter.“

„Ich frage mich, ob es ins Bild passt, dass die Kanister drei und vier Meter vom Auto entfernt liegen“, überlegte sie laut.

Renz nickte: „Das war auch mein erster Gedanke.“

Sabrina Hamm ging einige Schritte auf das Auto zu und blieb neben der geöffneten Fahrertür stehen.

„Auf diesem Sitz hat etwas gebrannt“, sagte sie mehr zu sich selbst und drehte sich zu der verkohlten Leiche.

„Wahrscheinlich war es unser Freund hier.“

Sie wandte sich an Renz: „Übergießt man sich dort mit zwanzig Liter Benzin, um sich anschließend im Auto anzuzünden?“

Der Mediziner sah sie wortlos an und legte den Kopf leicht schräg.

„Wenn ich mich so umbringen möchte, dann zünde ich mich doch dort an, wo das Benzin an mir hinunterläuft. Dann ist der Effekt doch viel größer. Hätte er das im Auto getan, wäre der Wagen völlig ausgebrannt.“

Sie sah erneut auf den Fahrersitz.

„Der Sitz hat ein wenig geschmort. Ein bisschen Ruß hier und dort. Hier drin hat es auf jeden Fall gebrannt.“

Sie drehte sich erneut zu Renz: „Nein, er hat sich hier draußen übergossen.“

„Er? Sich?“, fragte Renz.

„Ich bleibe zunächst mal bei diesem Gedankengang. Er hat sich draußen übergossen und dann ins Auto gesetzt und angezündet.“

Sie verschränkte die Arme und legte den Zeigefinger über die Lippen, so als hätte sie sich selbst zum Schweigen verurteilt.

„Er muss seinen Schritt schnell bereut haben. Von Schmerzen gepeinigt hatte er sich aus dem Auto rollen lassen und versucht das Feuer zu löschen.“

Renz wartete einen Augenblick.

„Oder er war bewusstlos, wurde draußen mit Benzin übergossen und dann ins Auto gesetzt und angesteckt. Von den Schmerzen ist er zu sich gekommen und hat sich aus dem Auto rollen lassen“, sagte er.

„Können wir das anhand der Spuren belegen?“

In der Zwischenzeit waren zwei Kollegen der Spurensicherung in weißen Overalls eingetroffen. Sabrina Hamm hob die Hand und bedeutete Ihnen, einen Augenblick zu warten.

Renz schritt den kleinen Ort des Geschehens schweigend ab. Er blieb neben ihr stehen.

„Ich sage es mal so: Ich finde das alles hier nicht stimmig für einen Suizid. Die Kollegen der Spurensicherung müssen alles dreimal angucken und bewerten und sie müssen sich im Umfeld des Parkplatzes sehr genau umsehen.“

„Okay“, sagte sie an die Kollegen der Spurensicherung gewandt, „ihr habt es gehört, ihr sollt noch genauer sein, als ihr ohnehin immer seid. Es soll aussehen wie ein Selbstmord, der Doktor und ich, sind davon nicht überzeugt.“

Weber

Sabrina Hamm machte sich auf den Weg zur Wohnadresse des Toten, vorher wollte sie aber noch bei dem Zeugen vorbeifahren. Der musste ja in der Nähe wohnen.

„Guten Morgen, mein Name ist Sabrina Hamm, Erste Kriminalhauptkommissarin. Herr Weber?

Er trat einen Schritt beiseite und lud sie mit einer Handbewegung zum Nähertreten ein.

„Wie geht's Ihnen?“

Weber lächelte gequält und zog die Schultern hoch.

„Wir arbeiten nach solchen schockierenden Vorfällen mit Krisenhelfern zusammen. Die können Ihnen helfen, das Geschehen zu verarbeiten. Soll ich mich mit dem Dienst in Verbindung setzen?“

„Ich warte mal ab, wie es mir nach unserem Gespräch geht.“

„Trinken Sie einen Kaffee mit?“

„Gern.“

„Haben Sie schon gefrühstückt?“

„Nein, das war heute Morgen sehr überstürzt.“

„Dann stelle ich Ihnen einen Teller hin.“

„Da sag' ich danke.“

„Wollen Sie mir mal erzählen, was sie wahrgenommen haben? Ich stelle Ihnen anschließend dann noch ein paar Fragen, wenn es nötig ist.“

Weber schilderte, dass er täglich laufe, meistens dieselbe Strecke wie an diesem Tag. Er habe, als er vom Feld in die Straße lief gleich einen leichten Brandgeruch wahrgenommen. Er sei vom Laufen in ein schnelles Gehen übergegangen und habe sich umgesehen, ob irgendwo Feuer zu sehen war. Je näher er dem Parkplatz gekommen sei, desto stärker war der Brandgeruch. Er sei davon ausgegangen, dass es irgendwo in dem Gebäude brennen könnte, es war jedoch nichts zu sehen gewesen. Es sei noch dunkel gewesen, er hätte ein Feuer sehen müssen.

Schließlich sei er auf den Parkplatz gegangen und dem Geruch gefolgt. Er habe seine Lampe vom Arm gezogen und in die Dunkelheit geleuchtet. Irgendwann fiel das Auto mit der offenen Tür in den Lichtschein. Da habe er Herzklopfen bekommen. Als er schließlich den verbrannten Körper als solchen erkannt hatte, habe er den Parkplatz schnell verlassen und sei auch nicht mehr zurückgegangen. Er habe den Notruf gewählt und auf die Polizei gewartet.

Sabrina Hamm nickte: „Ist Ihnen im Umfeld irgendwas aufgefallen, das Ihnen ungewöhnlich erschien? Abgesehen davon, dass die ganze Situation ungewöhnlich war.“

„Nachdem ich die Polizei angerufen hatte, habe ich versucht zu erkennen, ob sich in dem Gebäude etwas regte oder in einem der anderen Häuser. Keine Bewegung, kein Mensch, kein Auto – nichts. Das Einzige, das mich beschäftigte, was waren das für Kästen, die in der Nähe des Toten lagen.“

„Die Kanister?“

„Ich hatte sie nicht als solche erkannt. Ich bin aber irgendwann drauf gekommen, dass es Kanister sein mussten. Es hatte leicht nach Benzin gerochen.“

Sabrina Hamm wartete, ob er fortfahren würde.

„Es hatte aus dem Auto verbrannt gerochen, der Körper lag etwas entfernt vom Auto und noch weiter entfernt, lagen die Kanister. Eigentlich zu weit entfernt, als dass sie aus dem Wagen heraus dorthin geworfen worden wären.“

„Was schließen Sie daraus?“

„Zunächst hatte ich überlegt, ob da jemand versucht hatte, sein Auto anzustecken – ein Versicherungsbetrug oder sowas. Und ob dabei etwas schiefgelaufen war.“

„Und?“

„Ich hatte versucht durchzuspielen, wie es in der Folge zu dem tragischen Tod gekommen war. Ich habe das dann verworfen und an Selbstmord gedacht. Da das Auto gebrannt hatte, musste das Benzin im Auto ausgekippt worden sein. Der Mann war dann vielleicht brennend ausgestiegen und gestorben. Aber wie schon gesagt, die Kanister lagen zu weit vom Wagen entfernt.“

„Der BMW war kaum verbrannt“, entgegnete Sabrina Hamm.

Weber sah sie verwundert an.

„Wäre das Benzin im Auto ausgegossen worden, wäre es verbrannt. Das war aber nicht der Fall.“

„Aha. Dann hatte er sich außerhalb des Wagens übergossen. Oder? Das erklärt dann, warum die Kanister weit entfernt lagen. Ich hatte nämlich schon an Schlimmeres gedacht ...“

„Nämlich?“

„Ich hatte daran gedacht, dass jemand, die Person im Auto übergossen und angezündet hat.“

„Also Mord?", fragte sie.

„Oder ein Versuch die Leiche und die Spuren zu beseitigen“, stellte er fest.

„Interessant“, sagte sie nachdenklich.

„Aber daran haben Sie sicher auch schon gedacht.“

„Ehrlich gesagt, nein. Sie sind ein guter Analytiker“, sagte sie, „was machen Sie beruflich?“

„Genau genommen bin ich Analytiker. Ich arbeite bei einer Bank als Börsenhändler.“

„Damit scheint man ja gutes Geld zu verdienen“, sagte sie, während sie in einer Bewegung des Armes über die Wohnung wies.“

„Ich kann nicht klagen. Allerdings ist der Preis sehr hoch. Vor einem halben Jahr hatte ich erhebliche gesundheitliche Probleme. Das war übrigens der Grund, weswegen ich das Laufen begonnen hatte.“

„Das hat sich ja gelohnt“, sagte sie anerkennend, „Sie sehen sehr gesund und sportlich aus.“

„Vielen Dank“, antwortete er lächelnd, „das Kompliment kann ich nur zurückgeben.“

Auch sie lächelte. Er sah sie einen Moment zu lange an. Er fand sie bezaubernd. Gleichzeitig spürte er, wie wenig Privatleben er hatte. Und ihm wurde bewusst, wie sehr er eine feste Beziehung vermisste. Er hatte immer wieder mal kurze Affären, die kaum über ein sexuelles Abenteuer hinausgingen. Er senkte den Blick und versuchte den Gedankengang abzuschütteln.

„Da kann ich mich ja glücklich schätzen, der Polizei einen Impuls gegeben zu haben.“

„Wenn ich sie richtig verstehe, gehen Sie von einem Verbrechen aus. Haben Sie dafür Hinweise auf dem Parkplatz wahrgenommen?“

Weber pustete die Backen auf und stieß die Luft aus: „Hinweise ...?“

Er dachte nach: „Ich habe Ihnen das ja schon gesagt. Wer übergießt sich schon selbst mit Benzin und zündet sich an? Das tun doch nur verfolgte buddhistische Mönche in Nepal.“

„Das ist so wohl nicht ganz richtig. Laut unserem Gerichtsmediziner kommt es öfter mal vor.“

„Ehrlich? Das ist ja grauenvoll.“

Er schüttelte den Kopf: „Trotzdem – wenn das Auto wenig gebrannt hat, hätte er sich außerhalb übergießen müssen. Sonst wäre der Wagen ja ausgebrannt. Aber wer übergießt sich dann sechs Meter vom Auto entfernt mit Benzin, setzt sich dann hinein und steckt sich an. Das ergibt doch keinen Sinn. Das meiste Benzin wäre dann ja auf den Parkplatz gelaufen.“

„Dasselbe hatte ich auch gedacht“, sagte sie, „auch bei mir ist es aber bisher nur eine Schlussfolgerung.“

„Wobei ich die Schlussfolgerung schon fast zwingend finde – unabhängig davon, ob ein Täter davon ausging, ob der Verbrannte noch lebte oder nicht.“

„Sie haben recht. Trotzdem warte ich die Ergebnisse der Spurensicherung ab.“

„Wenn Sie keine Streichhölzer und kein Feuerzeug finden, kann es kein Selbstmord gewesen sein.“

„Schon wieder haarscharf gedacht. Vielleicht hole ich Sie in mein Team“, sagte sie und lächelte.

„Ihr Team? Das heißt Sie sind die Chefin?“, sagte er und verzog anerkennend die Mundwinkel.

„Ja, ja ... Immer diese Vorurteile“, antwortete Sie mit ironischem Unterton.

Erschrocken hob er die Hände zu einer abwehrenden Geste: „Oh Gott, nein – Sie haben vollkommen recht. Ich bitte um Entschuldigung. Ich bin den ganzen Tag nur von Männern umgeben. Selbstverständlich traue ich Ihnen zu, dass Sie der Boss sind.“

Sie lachte freundlich: „Nachdem wir das nun auch klargestellt haben, kann ich mich verabschieden. Jetzt komme ich aber noch mal auf meine Frage von vorhin zurück, soll ich einen Krisenhelfer anrufen?“

Das hatte er schon vergessen. Er dachte kurz nach.

„Nein, ich glaube, ich komme klar. Ich habe ja nun ein wenig darüber gesprochen. Ich verabrede mich nachher mit einem Freund auf ein Bier, dem erzähle ich das auch noch und dann wird es schon gehen.“

Sabrina Hamm reichte ihm eine Karte: „Falls Ihnen doch noch etwas einfällt, rufen Sie mich an. Und wenn ich noch eine Frage habe, melde ich mich.“

Sie reichten sich die Hand. Sie verließ die Wohnung. Er warte an der Tür, bis sie an der Treppe verschwand. Er schloss die Tür und schlenderte zum Balkon. Er stellte sich direkt ans Geländer und sah ihr zu, wie sie das Auto aufschloss. Als sie zu ihm hochsah, winkte er ihr zu. Sie erwiderte die Geste mit einem kurzen Heben des Kopfes und einem Lächeln. Dann stieg sie ein und fuhr davon.

 

Weber blieb noch einen Moment stehen und betrachtete die Visitenkarte. Er führte sie an die Nase und sog den Geruch ein. Leider roch sie nach der Farbe der Druckerei. So etwas gab es wahrscheinlich nur im Film. Er ging in die Wohnung, legte die Karte auf die Kommode, dorthin, wo er alles legte, an das er denken musste.

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