Read the book: «Geh's noch Gott?»

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BRUDER PAULUS TERWITTE

Geht’s noch,
Gott?

Antworten auf

große Fragen


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© 2021 Bonifatius GmbH Druck | Buch | Verlag, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden, denn es ist urheberrechtlich geschützt.

Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München, werkstattmuenchen.com

Umschlagfoto: Janis Farhat / Lamalo Consulting GmbH

Satz: Bonifatius GmbH, Paderborn

Lektorat: Nadine Weihe, www.lektorat-weihe.de

ISBN 978-3-89710-911-7

eISBN 978-3-89710-971-1

Weitere Informationen zum Verlag:

www.bonifatius-verlag.de

Inhalt

I. VON DER SUCHE NACH DEM SINN

Was ist im Leben wirklich wichtig?

Flutkatastrophen, Waldbrände, Vulkanausbrüche, Erdbeben, … Geht’s noch, Gott? Oder ist das alles unsere eigene Schuld?

Was ist das Geheimnis eines erfüllten Lebens?

Was ist Glück?

Wie definierst du Erfolg?

Wird unser Leben vom Schicksal bestimmt?

Was kann ich als Einzelner tun, damit sich die Welt zum Besseren entwickelt?

Hat das Leben mehr zu bieten? Warum habe ich immer das Gefühl, dass mir etwas fehlt?

II. HERAUSFORDERUNGEN DES LEBENS ANNEHMEN | MEISTERN | BEGEGNEN

Wie gehe ich damit um, dass nicht nur mein eigenes Leben begrenzt ist, sondern auch meine Möglichkeiten?

Wie kann ich meine Angst besiegen?

Ich traue mir vieles nicht zu. kann ich mich selbst motivieren?

Ich glaube, ich halte das alles nicht mehr aus, mein Leben hat keinen Sinn mehr. Was soll ich tun?

Hätte ich doch damals … Was hilft mir, mir selbst zu vergeben?

Wie finde ich das Abenteuer in meinem Leben?

Musst du heute leben, um in Ruhe sterben zu können?

Ich will sterben, darf aber nicht. Wie stehst du zum Thema Sterbehilfe?

Ich muss bald sterben. Wie gehe ich damit um?

III. GLAUBE MAL GANZ PERSÖNLICH

Ist es wirklich von Bedeutung, was ich glaube?

Hat Gott für jeden Menschen einen Plan?

Gott liebt uns und möchte nur das Beste für uns. Warum ist das so schwer zu glauben?

Wie gehst du mit Zweifeln um

Wann hat dich Gott zum letzten Mal enttäuscht?

Wann hast du zum letzten Mal gesündigt?

Du glaubst an Gott. Glaubst du auch an den Teufel?

Wie werde ich im Glauben demütiger?

IV. MENSCH UND MITEINANDER

Wie kann ich meine Beziehung wiederbeleben?

Meine Beziehung steckt in einer tiefen Krise. Wie macht man richtig Schluss?

Was zeichnet Freundschaft aus?

Gibt es so etwas wie eine Seelenverwandtschaft?

Wie verzeihe ich richtig?

Wie kann ich Menschen lieben, die mir auf die Nerven gehen?

Wo sind die Grenzen der Toleranz?

Ich finde keinen Zugang mehr zu meinem Kind. Was kann ich tun?

V. DER GLAUBE UND DAS BODENPERSONAL

Wohin führt mich die Frage nach Gott oder den Göttern?

Wer ist Jesus?

Ist der Papst wirklich unfehlbar?

Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Was macht ihr falsch?

Was ist deine Botschaft für Atheisten?

Einleitung

Glauben weckt Fragen. Das wundert viele, denn manche halten so einen Ordensbruder wie mich für einen überzeugten Christen, den nichts von seinen Meinungen und Einsichten abbringen kann. Aber weit gefehlt! Der wirklich glaubende Mensch ist tief verwurzelt in Gott und kann deswegen offen sein für alles, was in der Welt geschieht. Wer ein starkes Fundament hat, braucht nicht starrköpfig fundamentalistisch zu sein. Wer ein starkes Fundament hat, fühlt sich sicher und wird aufmerksam für das, was um ihn herum geschieht. Und er gerät dadurch ins Zweifeln.

Der Zweifel ist eine gute Schwester des Glaubens, denn niemand ist sich wirklich immer seines Glaubens sicher – so wie keiner sich auch seiner Liebe sicher sein kann. Sie wird immer neu herausgefordert. Ein Gespräch, das man mit jemand anderem geführt hat, wirft ein neues Licht auf die eigene religiöse Entscheidung. Eine Erfahrung, die man in einer Gruppe gemacht hat, lässt einen den eigenen Lebenspartner oder die eigene Lebenspartnerin in einem neuen Licht erscheinen. Es kommen Zweifel auf: Habe ich richtig gewählt? Habe ich die richtige Einstellung? Höre ich eigentlich richtig hin? Bin ich der richtige Mensch für diesen Menschen? – Selbstzweifel, Zweifel über den anderen, Zweifel über Gott, Zweifel über das Leben gehören mit zu einem lebendigen Dasein in dieser Welt.

Ich möchte Sie mit diesem Buch gerne einladen, dass Sie mir mit Ihren Fragen und Ihren Überlegungen begegnen. Jedes Wort habe ich in eine konkrete Situation hineingesprochen, das gesprochene Wort ist die Grundlage der Texte, die Sie hier finden. Fühlen Sie sich einen Moment von mir begleitet, angestoßen … vielleicht auch manchmal sogar angestachelt oder auch aufgestachelt.

Ich freue mich, wenn Sie mir schreiben (www.bruderpaulus.de) und mir Ihre Gedanken mitteilen, denn ich warte darauf, dass Menschen in lebendiger Begegnung mir den Horizont eröffnen. Ich fühle mich getragen von Gott, aber manchmal frage ich mich auch, wie er mich wohl trägt, wohin er mich wohl trägt und warum das eine Situation sein soll, in der er mich noch tragen kann.

Dieses Buch ist entstanden aus einer Podcast-Reihe, in der ich mich Fragen des Alltags gestellt habe. Fragen über Gott und die Welt. Vielleicht tauchen Sie mit mir gemeinsam in die Antworten ein.

Ihnen viel Spaß beim Lesen und bei den Begegnungen mit Gott. Es gibt so viele Begegnungen mit Gott wie es Menschen gibt – also: Auch für Sie ist eine individuelle Begegnung dabei!

Bruder Paulus Terwitte

I.

Was ist im Leben wirklich wichtig?

Wirklich wichtig ist, dass ich Zeiten der Stille pflege. Das ist für mich der erste Punkt. Es scheint mir in einer hektischen Zeit das Allerwichtigste zu sein, dass jeder Mensch für sich Zeiten der Unterbrechung einplant. Der Ehemann braucht halt eine Stunde in der Woche, in der er wirklich mal alleine spazieren geht und mal zu sich kommt und zu Gott und sich findet. Genauso die Ehefrau, der Jugendliche. Am Tag braucht es solche Zeiten der Stille, in der ich aus dem Takt gerate. Wenn man so will auch gerne in Unordnung – also nicht in der Ordnung der Kalender, in der Ordnung der einlaufenden E-Mails, die ich beantworten muss. Es ist wichtig, dass ich aus dieser Maschinenwelt, aus dieser elektronisch gesteuerten Welt aussteige, den Aus-Knopf finde. Die Stille ist der Anfang des Staunens, und die Stille macht demütig. Darum gehört zu den allerwichtigsten Dingen im Leben die Stille.

Zu einer Ehe gehören Zeiten, in denen Mann und Frau still miteinander auf einer Parkbank sitzen und sich gegenseitig genießen. Zum Gebet gehört die Stille. Man gehe in ein Museum. Das ist heute auch schon fast eine Seltenheit, dass es da wirklich still ist. Vor einem Bild zu sitzen und sich ansprechen zu lassen und zu merken: Die Stille kann auch unheimlich werden, weil sie so viel in einem weckt. Die Kirchenväter sprechen von den „Affen, die im Kopf herumspringen“, wenn es still wird. Plötzlich wird man ganz aufgeregt. Und manchmal scheint mir die Aufregung in der Welt eine Folge davon zu sein. Die Aufregung in der Welt scheint mir manchmal gemacht zu sein, damit ich die innere Erregung, die in der Stille passiert, nicht aushalten muss. Nichts ist schöner als die Stille, weil man intensiver fühlt, intensiver denkt, intensiver traurig ist, intensiver glücklich ist. Es geht um „Verweilen können“, so ein altes deutsches Wort. Verweilen können. „Augenblick, verweile doch, du bist so schön“, sagte schon Goethe. Dieses Verweilen bei sich, beim anderen, bei Gott. Gar nichts denken, gar nichts tun müssen. Meditieren, so sagen manche, sei das. Ja, ist es auch. Still sein können, ist das Allerwichtigste im Leben. Den Aus-Knopf finden. Jetzt das Buch mal hinlegen und einfach mal still sein. Ich weiß nicht, wann du das letzte Mal einem Vogel zugeschaut hast, wenn er einen Wurm sucht, oder wann du einer Blume zugeschaut hast, wie sie blüht, oder einer Spinne, wie sie ein Netz webt. Still sein – eines der größten Abenteuer im Leben.

Ein zweiter Punkt hängt wohl sogar mit dem ersten zusammen, denn aus der Stille heraus wird die Wahrheit geboren. Das zweite Wichtige im Leben ist die Wahrheit, oder ich sage mal Wahrhaftigkeit. In einer Schauspiel-/Instagram-/Facebook-/Twitter-/TikTok-und-sonstwie-Welt, in der die Menschen ständig eine Show von sich machen und sich so zeigen, wie sie denken, dass andere sie sehen sollen, frage ich mich immer mehr: Wissen diese Menschen eigentlich noch, wer sie wahrhaftig sind? Und wer traut sich noch, sich dem anderen wahrhaftig zu zeigen? Vor lauter Angst, verlassen zu werden oder dass die Freunde enttäuscht sind, die Eltern, der Lehrer oder man selbst von sich, ist diese Schauspielerei derart ausgefeilt worden, dass wir unbedingt diesen zweiten Wert brauchen: die Wahrhaftigkeit. Mal sich zu trauen, einmal am Tag zu sagen: „Nein, ich kann nicht.“ Hört sich leicht an, aber es ist so schwer auszusprechen. „Kann ich nicht“ oder „Das ist mir jetzt zu viel, im Moment will ich mich damit nicht beschäftigen“. Oder einfach zu sagen: „Nein, danke für die Anfrage, aber ich glaube nicht, dass ich mit Ihnen zurechtkomme.“ Mal ganz wahrhaftig sein. Das ist das Gefährlichste im Leben, das Schwierigste, weil alle sich drumherum drücken, und dann wird daraus eine endlose Wurst und man hat so viele offene Enden im Leben. Ein wahres Wort zur rechten Zeit ist schon wichtig. Wahrhaftig zu sein und nicht etwas Falsches leben zu wollen, scheint mir ein ganz wichtiger Punkt zu sein.

Das Dritte ist ein Freund oder eine Freundin – denn man braucht ja für die Wahrhaftigkeit auch einen Helfer. Und damit meine ich nicht Partner oder Partnerin. Einen Freund, eine Freundin. Ein Freund ist der Kenner meines Herzens, und wenn ich beim Freund bin, ihn nach drei Jahren besuche, dann ist es nach einer Minute schon so, als wären wir gar nicht auseinander gewesen. Ein Freund ist jemand, der meinem Herzen eine Zuflucht gibt, ohne dass ich da anklopfen muss. Ein Freund ist jemand, bei dem ich mich hinsetzen kann, und ich muss mich nicht erklären. Ein Freund ist jemand, der mich zu Worten hinführt, die ich sonst nie ausspreche. Ein Freund ist jemand, von dem ich nichts will und der auch nichts von mir will. Ich würde einen Freund nie um Geld anpumpen. Nie. Ich würde auch nicht zu ihm hingehen und sagen: „Ich brauche ein Bett, ich habe kein Obdach mehr.“ Ich würde als Obdachloser zu ihm kommen und dann wieder weggehen. Ein Freund ist jemand, der mir in allen Situationen meines Lebens sagt, dass ich ihm nicht zu viel bin. Und da hat man als Mensch eigentlich nur einen oder zwei Freunde. Vielleicht drei. Und die hat man sich auch nicht ausgesucht, die sind einem passiert. Man kann nicht sagen: „Ich will jetzt einen Freund haben!“ Sondern der wird einem ins Leben gestellt. Und bitte nicht übersehen: Es gibt auch Leute, die lassen Freundschaften plötzlich auslaufen. Denn Freundschaften werden nicht beendet, die schleifen sich aus. Die brauchen schon Pflege! Lege doch gleich mal eben das Buch hin und ruf einen Freund an, das wär’ doch mal was!

Wir haben jetzt die Stille, die Wahrhaftigkeit und den Freund – das Vierte ist Gemeinschaft. Ein Mensch braucht Eingebundensein. Wir können ohne Eingebundensein nicht leben. Tritt zum Beispiel in einen Verein ein. Das ist in unserer Gesellschaft sehr unbeliebt geworden, denn wir sind ja Projektmenschen geworden. Ein Jahr machen wir mal da mit und ein Jahr da – aber in einen Verein eintreten ist so uncool wie nur was. Mitglied in einer Partei werden – das ist noch schrecklicher! Aber wie sollen wir sonst die Welt voranbringen, wenn wir sie nicht miteinander voranbringen? Wenn wir uns nur noch auf der Autobahn oder nur noch im Supermarkt treffen? Das ist ja keine Gemeinschaft. Das Viertwichtigste im Leben ist tatsächlich Gemeinschaft. Und die muss gepflegt werden, am besten möglichst lokal und möglichst real.

Da kann man ja mal mit der Hausgemeinschaft anfangen. Man kann in einem Haus mit acht Mietparteien leben, die einem alle gestohlen bleiben können. Kann man machen. Man kann sich aber auch jeden Samstagnachmittag um drei für zwei Stunden vor die Haustür setzen und ein Buch lesen und dann mal gucken, was passiert. Wer da alles ins Haus reingeht und wieder raus, da kann man Guten Tag sagen … Und wenn man das viermal hintereinander gemacht hat, dann kennt man den einen schon und erlebt: Der beißt ja gar nicht. Und wenn ich jetzt noch einen Tipp geben darf – man darf sich auch mal ein bisschen künstlich bedürftig machen und oben klingeln und sagen: „Oh, bei mir ist leider das Salz ausgegangen, könnte ich mal Salz von Ihnen haben?“ Oder man kann mal runtergehen, ein Ei holen und sagen: „Sie können auch gerne von mir mal was holen.“ Langsam kommt man dann miteinander ins Gespräch, bis man gemeinsam mal im Frühjahr grillt und man auch dann vielleicht die Konflikte löst, die unweigerlich auftreten, weil die Musik zu laut und die Müllecke zu schmutzig ist. Dann kommt man ins Gespräch. Ohne Gemeinschaft können wir nicht leben. Such dir einen Verein, eine Partei oder was auch immer. Engagiere dich für andere.

Und das Fünftwichtigste im Leben ist Sterben. Seneca sagt: „Ein Leben lang musst du Leben lernen und das wird dich vielleicht noch mehr wundern: Ein Leben lang musst du Sterben lernen.“ Abschied zu nehmen. Der Blick auf die eigene Festplatte genügt ja schon, um zu sehen, was sich da alles ansammelt. Wir tun uns schwer mit dem Löschen. Genauso ist das mit Schubladen, und genauso ist das mit Kellern und Dachböden: Es sammelt sich Zeug und sammelt sich Zeug – wir nehmen zu wenig Abschied. Sterben zu können und Abschied zu nehmen auch von Lebensphasen gehört mit zu den allerwichtigsten Sachen.

Ich sehe hier in der Großstadt manchmal diese Junggesellenabschiede. Dann sehe ich 35-jährige Frauen mit ihren Freundinnen durch die Straßen ziehen und denke: „Die haben sie nicht mehr alle!“ Wie Leute kindisch einfach an dem Alten festhalten und einfach nicht zu dem stehen, was gerade geworden ist, und keinen Schritt nach vorne machen. Weil sie sich nicht vom Vergangenen lösen können. Ob das nun Eltern sind, die schon acht Jahre in einem viel zu großen Haus wohnen, wo die Kinder schon zehn Jahre ausgezogen sind, und die Eltern können sich nicht von diesem Haus lösen. Statt in eine Dreizimmerwohnung zu ziehen, lebt man immer noch im Haus mit Garten, man hat schon bald keine Kraft mehr, das ganze Haus zu putzen, man macht’s aber trotzdem.

Sterben lernen heißt, dass ich maßvoll werde und auf diese Weise auch leichter leben kann. Viele Menschen sind deswegen so unbeweglich auch im Denken geworden, weil sie alles Mögliche mit sich herumschleppen an Erinnerungen und was alles wichtig gewesen ist. Sterben lernen heißt, dass ich bereit bin zu sagen: „Das war jetzt wichtig, aber ich möchte mich etwas Neuem zuwenden und will etwas Neues ausprobieren.“ Abschiede müssen gelebt werden. Auch aus der Gemeinschaft, von der ich gesprochen habe. Man muss nicht ewig in solchen Gemeinschaften sein, man darf auch da Abschiede leben und sagen: „Das war für mich eine wichtige Phase, lieber Kegelklub, aber jetzt gehe ich.“ Man darf auch etwas enden lassen, und das halte ich für eine sehr, sehr große Kunst. Sterben zu lernen, diese Ars moriendi, wie die Kirchenväter sagen, die Kunst des Sterbens heißt, dass ich bereit bin, loszulassen zur rechten Zeit und mich nicht für Gott halte, bei dem alles ewig ist.

Die Stille ist der Anfang des Staunens, und die Stille macht demütig.

Darum gehört zu den allerwichtigsten Dingen im Leben die Stille.

Flutkatastrophen, Waldbrände, Vulkanausbrüche, Erdbeben, … Geht’s noch, Gott? Oder ist das alles unsere eigene Schuld?

Offensichtlich sind die Katastrophen, die die Menschheit über Jahrhunderte und Jahrtausende erlebt hat, kein Grund gewesen, dass der Glaube an Gott aufgegeben wurde. Ganz im Gegenteil, der ist meistens noch geschärft worden. Weil Menschen in dem Abhängigsein von der Natur und dem Abhängigsein von der Zeit, in der man lebt, in den kleinen und großen Katastrophen des Lebens erkennen, dass sie selber sich nicht gemacht haben. Das ist natürlich eine furchtbare Demütigung für uns Menschen, wenn wir merken: Wir sind nicht die Schöpfer der Welt. Wir haben sie nicht gemacht. Diese Erkenntnis in Demut, dass wir uns nicht in der Hand haben, führt Menschen dazu, dass sie sich dann einfach sagen: Wer hat uns denn diese Welt in die Hand gegeben? Daraus können dann Fragen und Klagen werden: Warum hast du sie uns so in die Hand gegeben? Warum fügt sie uns so viel Leid zu? Alles überfordert uns, und warum überforderst du uns? Das sind berechtigte Klage-Fragen, die oft genug gestellt worden sind und die auch immer wieder gestellt werden. Dahinter steckt nicht die Vorstellung, Gott könnte da oben auf seinen Knopf drücken und sagen: „Die Flut ist jetzt mal zu Ende“ oder „Es gibt jetzt einfach keine Klimakatastrophe mehr, ich mach das jetzt alles ganz harmonisch“, sondern hinter dem Klagen steckt eigentlich: „Mach du uns klug, mit dieser Welt gut umzugehen.“ Soll heißen: Beten will klüger machen, und Beten will den Egoismus vermeiden. Und dass wir uns in unserem Leben auf das Unverfügbare einstellen müssen, ist eine Lebensherausforderung.

Wenn ich mal an die kleinen Katastrophen erinnern darf, die so passiert sind: Ich habe mir nicht ausgesucht, wer mein Vater und meine Mutter sind. Ich nicht. Und ich habe mir auch nicht ausgesucht, in welchem Land ich geboren werde. Ich muss das Unverfügbare, das, was ich nicht verfügen kann, annehmen lernen und darin auch reifen lernen. Und darum sind auch die Katastrophen, die in dieser Welt da sind und die uns jetzt vor Augen sind, die uns alles nehmen, einfach nur schrecklich. Das darf man ja gar nicht kleinreden. Am Ende muss man aber sagen, dass die ganze Welt voller Katastrophen ist und dass offensichtlich das „Stirb-und-Werde“ ein Grundgesetz in dieser Welt ist. Dass es uns so schrecklich vorkommt, liegt vielleicht daran, dass wir als Menschen so eine Art Gottesgen in uns haben nach dem Motto: Eigentlich müssten wir aber doch ewig leben. Eigentlich müssten wir allmächtig sein, eigentlich müssten wir alles bewältigen können. Aber wir sehen ja, wohin eine Hybris des Menschen führt, der glaubt, er könne alles selber machen und er müsse alles selber machen. Der soll sich auch alles leisten.

Von daher ist die Klage über die Katastrophen, die wir in dieser Welt hatten und die wir haben, eine berechtigte Frage, aber am Ende gibt es darauf nur eine demütige Antwort, nämlich: „Gott, ich, nehme all das zum Anlass, dass ich mich dir ganz neu anvertrauen will. Und dann wirst du mich einen Weg führen, den ich mir nicht ausgesucht habe, aber ich werde auch dann und dort einen Weg finden.“

Die Frage „Wo ist eigentlich Gott, wenn mir etwas genommen wird?“ ist berechtigt, ja. Ich bin Seelsorger, ich habe sie oft genug gehört. Und gleichzeitig versuche ich diese Frage immer umzubiegen. Sich nicht zu fokussieren auf diese Fragen: Warum ist das passiert? Bin ich schuldig gewesen? Woher kommt das? Kann ich vielleicht etwas entdecken? Nein, die Frage „Warum?“ ist eigentlich die Frage „Wozu?“, also woraufhin soll mich das öffnen, was jetzt da gerade passiert? Wofür soll ich aufgeschlossen werden? Und Leben heißt eben nicht, festzuhalten und zu sagen: Ich behalte alles, so wie es ist. Sondern Leben bedeutet eben vor allen Dingen auch loszulassen und dann einen neuen Schritt zu gehen.

Dass Gott zuständig gemacht wird für die Zustände, die wir haben, dass Gott zuständig gemacht wird dafür, dass alles so bleibt, wie es ist, ist ja auch eine merkwürdige Vorstellung. Denn wenn alles so bleiben würde, wie es ist, gäbe es überhaupt keine Entwicklung. Und dass Wandlung Schmerz bedeutet, kann eine Mutter bestätigen, die ein Kind zur Welt bringt. Dass Wandlung Schmerz bedeutet, können Eltern feststellen, wenn ihr Kind aus dem Haus auszieht. Dass Wandlung Schmerz bedeutet, das wissen alle Menschen, die ihre Arbeit verloren haben und neu anfangen müssen. Es gilt, das zu bejahen und zu lernen, dass es Wandlungen gibt. Oder wie der Beter sagt: „Ich nehme alles an aus Gottes Hand.“ In einem anderen Gebet heißt es: „Gott legt mir nie ein so schweres Kreuz auf, dass ich es nicht tragen könnte.“ Ein solches Grundvertrauen, ein solches Glaubensvertrauen gehört mit zum Grundbestand des spirituellen Lernens.

Wut zu haben, ist völlig normal: „Mensch, dass mir das jetzt passiert!“ oder „Gott, warum lässt du das zu?“ In diesem ersten Trennungsschmerz muss ich das sagen, und ich weiß, dass es sich irgendwann wandeln wird zu einem Akt der Hingabe.

„Ich nehme mich täglich an, Gott, aus deiner Hand, und wie es auch verfügt ist in meinem Leben – nennen wir das Schicksal oder wie auch immer –, ich nehme es an und versuche, mit deiner Kraft daraus etwas Neues zu kreieren.“

Leben heißt eben nicht, festzuhalten und zu sagen: Ich behalte alles, so wie es ist.

Sondern Leben bedeutet vor allen Dingen auch loszulassen und dann einen neuen Schritt zu gehen.