"Alles nur,...weil ich dich liebe..."

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Kapitel 2.

Nena reißt mich aus meinen Gedanken. Ich höre wie die quietschenden Räder des Essenstransporters vor meinem Zimmer halten. Ich schaue nicht auf, höre nur wie sich das Schloss dreht und die Tür sich öffnet. Ich wusste, dass es Nena ist. Sie schlurft immer mit ihren Pantoffeln über den Linoleum Boden. „Ich bringe dir was zu essen, Molly“, sagt sie mit ihrer kleinen, zierlichen Mäusestimme. Nena ist nicht sonderlich groß, eins-fünfzig vielleicht, und sie ist Afroamerikanerin. Sie hat ihre schwarzen, lockigen Haare zu einem Dutt nach oben gesteckt. Jeden Tag trägt sie die gleiche dunkelblaue Hose und das dazu passende dunkelblaue Oberteil. An ihrem Gürtel sind lauter Schlüssel gebunden und zu ihrem Rücken hin hat sie ein Abwehrspray stecken. Sie ist höflich aber auch ängstlich, hab ich das Gefühl. Ich drehe mich um. Ohne eine Antwort zu verlangen, stellt sie das Tablett auf den kleinen Tisch an der Wand. Mhh Küchentisch…, läutet es durch meinen Kopf. Nena hebt den Wärmedeckel von meinem Teller und packt ihn auf ihr Wägelchen. „Hackbraten“ sagt sie wieder und wartete auf eine Reaktion von mir. „Danke, Nena“ sage ich. Mir fiel nichts Besseres ein und schließlich ist sie ja nett zu mir. Nena mustert mich, das tut sie immer. Ich weiß nicht so genau warum. Sie lässt ihre Blicke über mich schweifen und seufzt, dann dreht sie sich um und geht. Ich blicke zum Tisch. Ich habe keinen Hunger. Doch wenn ich nichts esse, stecken mir die Ärzte wieder diese elendigen Schläuche an. Das will ich nicht. Ich stehe auf und schiebe den Stuhl vom Fenster weg und an den Tisch wieder ran. Ich setze mich und schaue auf das Stück Fleisch mit Kartoffeln und Soße herunter. „Hackbraten“, hatte sie gesagt. Ich schaue über den Teller, dann sehe ich es. Sie haben mein Besteck gegen Plastik ausgetauscht, damit ich mir nicht mehr wehtun kann. Lächerlich. Sie machen es mir nicht gerade einfach. Ich wollte aus dem Fenster springen, doch dort sind Gitter vor angebracht. Jetzt die Plastikmesser-Aktion. Ich gebe es auf. Ich lege die Hand auf meinen Bauch und fange an mit mir selbst zu reden: „Hast du Hunger? Ja?“ Ein letzter Seufzer und ich überwinde mich selbst das Essen herunterzuwürgen. Gabel für Gabel. Als ich fertig bin, sehe ich umher. Ich habe ein kleines Zimmer, mit einem Bett, einem winzigen Schrank, einem Tisch und einem Stuhl. Das einzige was etwas Licht spendet, ist das Fenster. Eine Lampe gibt es hier nicht. Ich soll rechtzeitig schlafen, sagt der Arzt. So ein Blödsinn, als ob hier irgendjemand schlafen kann, wenn nachts die Verrückten anfangen zu schreien. Ich bin jetzt schon ein paar Wochen hier, denke ich und ich weigere mich strikt an die Regeln zu halten. Ich schlafe kaum, ich gehe nicht zu den Therapiestunden, die sie mir verschreiben, ich mache keinen Sport, ich rede nicht und ich lasse mich nicht waschen. Mittlerweile esse ich was, das ist aber auch das Einzige und das auch nur, weil mich die Schläuche so nerven, die sie mir sonst überall hin stecken wollen. Ich fühle mich wie ein Versuchskaninchen für schmutzige Experimente. Nur mein Problem ist: Langsam rieche ich auch so. Ich muss duschen. Nur ich will mich von keinem der Pfleger hier waschen lassen. Niemand soll mich anfassen. Ich bin kein Kleinkind mehr. Warum machen sich nur alle solche Sorgen um mich? Wenn ich weg wäre, hätten sie ein Maul weniger zu stopfen. Doch ich muss einsehen: Widerstand ist zwecklos. Also gehe ich hinüber zu meinem Bett an dem eine Fernbedienung angeschlossen ist. Es befinden sich nicht viele Knöpfe darauf und meines Erachtens ist auch nur einer wirklich wichtig. Der Alarmknopf. Der große Knopf in der Mitte, der die Pfleger und Ärzte manchmal anscheinend in den Wahnsinn treibt. Ich drücke ihn und setze mich geduldig aufs Bett und warte, bis es „Klick“ macht und das Schloss meiner Tür betätigt wird. Es dauert nicht lange. Ich hatte gehofft, dass Nena sich hinter dem Klick-Geräusch verbirgt doch leider Fehlanzeige. Es ist eine junge Frau. Ich kenne ihren Namen nicht. Sie scheint um die 20 zu sein, jünger als ich. Sie strahlt mich förmlich an und wie in einem Kaufhaus fragt sie mich: „Was kann ich für sie tun Ma´m?“ Ich funkle sie böse an. Man braucht eine Frau im mittleren Alter noch nicht „Ma´m“ nennen. Noch dazu, dass sie mir nichts verkaufen soll. „Ich will ein Bad“, sage ich mürrisch. Sofort verschwinden ihr Grinsen und ihre Freundlichkeit. Ohne eine Antwort zu erwarten stehe ich auf und gehe zu meinem Schrank. Ich suche alles, was ich benötige heraus. Shampoo, Handtuch, neue Kleidung und eine Zahnbürste. „Würden sie mir bitte folgen Ma´m?“ sagt die junge Blondine angespannt. Ich verdrehe die Augen und schnauze sie an: „Ich bin keine Oma, Weibstück! Ich kann das alleine! Sag mir nur wo das Bad ist!“ Ich hatte die Hoffnung, dass sie die Fassung verliert, doch sie bleibt kalt wie Eis. Sie scheint kurz zu überlegen, während ich versuche, an ihr vorbei zu kommen hinaus auf den Flur. Doch sie hält mich auf und drückt mich zurück ins Zimmer. „Das kann ich nicht tun, das verstößt gegen die Vorschriften.“, sagt sie zuckersüß. Wieder ein böser Blick von mir. Ich hole Luft, um die Kleine zusammen zu falten, doch dann steht Nena in der Tür. Sie blickt uns Beide an, dann greift sie ein: „Caroline, lass mich das machen. Geh du zu Zimmer 304.“ Caroline weicht die Farbe aus dem Gesicht und sie scheint wie angewurzelt dazustehen. Sie blickt mich noch einmal skeptisch an, dann geht sie wortlos. Nena sieht mich liebevoll an. Ich weiß nicht, warum aber irgendetwas mag ich an dieser Frau. Ich seufze. „Darf ich denn jetzt ins Bad?“ Nena nickt. Sie sagt nichts. Ich glaube sie versteht, dass ich eigentlich nichts Böses will, ich will meine Ruhe, das war eigentlich schon alles. Ich will kein Versuchskaninchen sein und keine Oma, weder ein Kleinkind noch eine Gefangene. Doch da war der Punkt. Genau das bin ich. Ich befinde mich in Kalifornien im San Quentin. Ein Gefängnis der Vereinigten Staaten.

Kapitel 3.

Ich stehe vor dem Haus. Ich sehe hinein und sehe, dass der Fernseher läuft. Ich will nicht hinein gehen, denke ich mir. Doch ich muss. Mit einer freien Hand schließe ich die Tür auf. Ich trage mühsam die schweren Einkäufe durch die Tür und laufe gleich in die Küche. Maik rührt sich auf dem Sofa kein Stück. Ich stelle die Tüten auf den Tisch und schaue ins Wohnzimmer. „Ich bin zu Hause, Liebling“, sage ich doch es kommt keine Antwort. Es ist komisch zwischen mir und meinem Mann geworden, gestehe ich mir selbst. Er ist fast nur noch unterwegs. Ein Wunder, das er jetzt zu Hause ist. Er arbeitet wirklich viel. Angeblich auch Nachtschichten. Damit die Büroarbeit nicht liegen bleibt, sagt er. Doch Geld kommt trotzdem nicht mehr rein. Ich glaube er macht sich an einer der dummen Puten seiner Kollegen zu schaffen. Ich bete, dass es nicht so ist. Ich liebe ihn immer noch. Doch ich habe das Gefühl er hat sich verändert. Sehr verändert. Er raucht jetzt und manchmal trinkt er etwas. Nicht viel, aber es reicht um ihn beschwipst zu sehen. Ich war in der Stadt und hatte ein Bewerbungsgespräch, danach war ich einkaufen. Es ist, wenn ich ehrlich bin, nicht so gut gelaufen. Ich wusste, dass das wieder ein Streitpunkt sein würde. Ich gebe mein Bestes, aber ich finde einfach keinen Job. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem die meisten Frauen Kinder zur Welt bringen und die Arbeitgeber sich dem Risiko nicht aussetzen wollen, dass sie sich dann wieder jemand Neues suchen müssen. Wahrscheinlich kann ich den Leuten fünfmal erzählen, dass ich nicht schwanger bin und versprechen, werde es in den nächsten Jahren nicht zu werden. Kinder waren nie ein Thema zwischen Maik und mir. Natürlich wünsche ich mir eins. Welche Frau würde das nicht in meinem Alter? Doch die Verhältnisse, in denen wir nun mal leben, sind derzeitig nicht die Richtigen für ein Kind. Ich räume die Einkäufe aus und bemerke, dass Maik hinter mir in der Tür steht. Ich kann ihn nicht ansehen. Es ist mir peinlich, ihm wieder berichten zu müssen den Job nicht bekommen zu haben. Ich bemühe mich ihm ein Lächeln zu schenken. „Hallo Schatz“, sage ich und wende den Blick schnellstmöglich wieder von ihm ab. Er steht mit verschränkten Armen im Türrahmen. Er weiß es, denk ich mir. So ein Mist. „Du hast den Job wieder nicht bekommen, stimmt´s?“ Ich sehe ihn immer noch nicht an. Ich kann es einfach nicht. Ich denke nach. Ich kann ihn jetzt nicht so enttäuschen. „Der Chef sagte zu mir, er sei sich noch nicht ganz sicher und dass er sich bei mir melden würde, sobald er sich entschieden habe“, sage ich in der Hoffnung, er bemerke meine Lüge nicht. Mir ist heiß. Bald sind die Einkäufe alle gut verstaut, dann muss ich ihn ansehen. Er kommt einen Schritt auf mich zu. „So so, das sagte er also. Bist du dir sicher? Ich habe mich vorhin mit Kath unterhalten.“ Ich bin nervös. Ich will doch nur das Beste für uns. Doch was soll ich ihm nur erzählen? „Ach, wirklich? Kath, die Frau von Josie.“ „dumme Pute“, schoss es mir durch den Kopf „Wie geht es ihr? Hat sie sich gut erholt? Sie war doch so stark erkältet“, versuche ich das Ruder herumzureißen, doch es ist zu spät. Ich drehe mich um und sehe in Maiks müde Augen. Sie sind voller Zorn. Ich sehe keinen Hauch von Liebe mehr darin. Er schüchtert mich ziemlich ein. Ich schaue auf den Boden. Er reißt mir mit einer Hand das Kinn hoch, ich muss ihn anschauen. „Ja, ihr geht es gut. Sie hat jetzt einen neuen Job.“ Das war es! Ich bin verloren. „Drüben im Dinner. Mir war so, als hättest du dort das Bewerbungsgespräch gehabt?“ Er zieht die Augenbraue nach oben. Er erwartet eine ehrliche Antwort. Ich kann verstehen, dass er sauer ist. Doch er muss mich auch irgendwie verstehen. Schließlich bin ich seine Frau. Ich will den Blick abwenden, doch er hält mich fest. Zu fest. An seinem Atem merke ich, dass er etwas getrunken hat und mehr als eine Zigarette geraucht hat. Mein Blick wandert hin und her und sucht nach einer passenden Antwort. Seine Wut scheint nicht zu verrauchen. Als ich meine Stimme wieder finde höre ich mich kläglich an: „E-es tut m-mir lei-d. Ich hab den Job nicht bekommen. I-Ich w-wollte dich d-doch nicht e-enttäuschen.“ Ich kämpfe mit den Tränen, die sich in meinen Augen sammeln. Was habe ich nur getan? Ich lüge meinen eigenen Mann an um selbst besser da zu stehen. Ich sehe, wie die Wut in seinen Augen weiter ansteigt. Sein Gesicht hat eine rötliche Farbe. Wenn er so weiter macht, platzt er gleich. Sein Griff wird noch ein Stück fester um meine Oberarme. Ich spüre mein Blut unter seiner Kraft pulsieren. Es tut weh doch ich sage nichts. Ich halte den Atem an und warte auf eine weitere Reaktion. Er atmet tief Luft ein und ich habe das Gefühl, dass er sich entspannt, doch Fehlanzeige. „Was fällt dir eigentlich ein? Ich gehe jeden Tag hart arbeiten, um für dich elendiges Drecksstück Geld heran zu schaffen und du schaffst es nicht einmal mir die Wahrheit zu sagen?“ Seine Finger graben sich in mein Fleisch. Die Tränen kann ich nun nicht mehr kontrollieren. Sie rollen mir über die Wange. Er schreit so laut, dass man es wahrscheinlich draußen ganz genau verstehen kann. So habe ich ihn noch nie erlebt. So energisch und aggressiv. Mir fehlen die Worte. Er drückt mich gegen die Küchentheke und rüttelt an mir herum, sodass sich mein Genick wie nach einem Schleudertrauma anfühlt. Mit einem Mal schleudert er mich herum und meine Beine geben nach. Ich sinke zu Boden und knalle mit dem Rücken auf den harten Küchenboden. Er schreit immer noch, doch das nehme ich kaum noch wahr. Ein lautes Fiepen durchdringt mein Gehörgang. Er gibt Beleidigungen von sich und brüllt immer lauter. Ich versuche mich zu fangen, um ihn zu beruhigen: „Maik, es tut mir leid. Bitte lass uns drüber reden.“ Ich weiß, dass das Geld bei uns knapp ist und ich verstehe seine Reaktion auf die Lüge, doch er macht mir Angst. Eine Heidenangst, wenn ich ehrlich bin. „Drüber reden? Du hast sie doch nicht mehr alle! Erst lügst du mich an und dann willst du drüber reden, damit du mir noch mehr Lügen servieren kannst?“ Er ist außer sich vor Wut. Er schlägt mit der blanken Faust gegen einen der Küchenstühle, der krachend neben mir zu Boden fällt. Ich erschrecke. Mein Blut gefriert. Adrenalin steigt in mir auf und ich schaffe es mich aufzuraffen. Ich ziehe mich mit vereinten Kräften an der Theke hoch und stehe nun genau vor dem tobenden Maik. Ich hole Luft. Die Zeit scheint still zu stehen. Ich sammle all meinen Mut und lege los: „Beruhige dich gefälligst! Was sollen denn die Nachbarn denken? Ich schäme mich dafür, Maik. Deswegen habe ich nichts von alldem gesagt. Du weißt ich gebe mir Mühe und du trittst es mit Füßen.“ Ich starre ihn an, gewappnet auf seine wütende Antwort. Doch dann passiert etwas anderes. So schnell alles passiert, kann ich gar nicht reagieren. Ich höre gerade so das Echo der schallenden Ohrfeige, die er mir mit aller Kraft gibt. Der Schmerz ist unerträglich. Meine Muskeln zucken. Meine Augen tränen. Meine trockene Lippe platzt an einer Stelle auf. Meine Kräfte und mein Mut sinken zu Boden. Ich lehne mich gegen die Theke, um nicht ebenfalls dort zu landen. „Jetzt hast du etwas wofür du dich schämen kannst! Geh mir aus den Augen!“, höre ich Maik brüllen, als er mit lauten Schritten die Küche verlässt. Ich halte meine Wange mit meinen zarten Fingern. Sie brennt. Es scheint gar nicht mehr aufhören zu wollen. Ich lasse mich an der Theke herunter gleiten und falle zu Boden. Meine Tränen sind jetzt nicht mehr aufzuhalten. Ich verstehe nicht, was gerade passiert ist. Mein Blut pulsiert immer noch durch meinen Körper. Ich höre irgendwo in der Ferne eine Tür knallen. Maik ist weg. Wohin auch immer. Stundenlang sitze ich da, die Hand auf meiner Wange und den Tränen, die mir über das Gesicht laufen. Mein Körper fühlt sich unglaublich schwer an. Maik hatte mich noch nie geschlagen. Es war das erste Mal seit meiner High-School, dass ich mich so allein gefühlt habe. Ich kauere mich auf dem Fußboden zusammen. Lege die Arme um meine angezogenen Knie und schaukle auf und ab. Stunden vergehen, doch meine Tränen versiegen nicht. Meine linke Gesichtshälfte schwillt an. Mein Auge tut weh und meine Wange steht in Flammen. Als es in der Küche immer dunkler wird, krieche ich über den Boden und ziehe mich am Tisch hinauf zurück auf meine Beine. Der Boden ist dreckig, wie mir auffällt. Mir schießt der banale Gedanke durch den Kopf, ihn zu schrubben. Was Besseres fällt mir nicht ein. Ich kämpfe mich hoch. Als ich endlich stehe, schaue ich umher. Keine Spur von Maik. Ich schleppe mich und meinen müden, verwirrten Körper ins Bad. Ich schalte das Licht an und blicke in den Spiegel. Ich schalte das Licht sofort wieder aus. Ich atme tief Luft ein und versuchte mich zu sammeln. Wieder krame ich allen Mut, den ich noch finden konnte zusammen und schalte das Licht doch wieder ein. Ich erschrecke und kann es kaum fassen. Meine linke Gesichtshälfte ist nicht nur dick. Sie glüht förmlich in allen Farben des Regenbogens. Mein Auge ist so geschwollen, dass ich nicht mehr alles richtig erkennen kann. Mein Make-up ist im ganzen Gesicht verteilt. Ich habe mir für das Bewerbungsgespräch richtig etwas einfallen lassen. Ich habe mich dezent mit Lidschatten, Mascara und Eyeliner geschminkt. Zufrieden hatte ich mich vor wenigen Stunden im Spiegel betrachtet und mein Werk als perfekt bezeichnet. Jetzt ist es nur noch ein einziges Desaster. Ich habe tiefe Ringe unter den Augen, noch dazu sind sie vom Mascara schwarz umrandet. Mein rosé-farbener Lidschatten ist verblasst und mischt sich nun zu den blau und grün Tönen meines unteren Auges. Rouge und Lippenstift sind auch nicht mehr zu erkennen. Meine Haare sind zerzaust und ähneln einem Vogelnest einer frisch brütenden Mutter. Meine Bluse ist voller Dreck und auch etwas Schminke hat sich darauf abgesetzt. Vorsichtig hebe ich meine Hand um meine Wange abzutasten. Ich zittere. Ich lege Zeige- und Mittelfinger auf mein Kinn und fahre ganz langsam über meine Wange nach oben. Ich zucke zusammen, als ich zu der geschwollenen, bunten Stelle komme. Trotzdem wandere ich weiter, ohne nachzugeben, bis zu meinem Auge. Es tut so weh. Wieder ringe ich mit den Tränen. Ich will nicht mehr weinen, das würde es nur noch schlimmer und schmerzhafter machen. Warum hatte Maik das getan? Was ist nur in ihn gefahren? Ist es der Alkohol oder der ganze Stress? Ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich hätte gleich die Wahrheit gesagt und das alles wäre anders ausgegangen. Maik würde mir nie etwas Böses wollen oder etwa doch? Ich verdränge den Gedanken. Mein Körper scheint sich zu beruhigen. Das Zittern lässt einigermaßen nach. Traurig starre ich die bemitleidenswerte Frau im Spiegel an. Ich drehe den Wasserhahn ein Stück auf und lasse mir die Hände voll Wasser laufen. Schön kalt, damit die Schwellung schnell zurückgeht. Ich gieße mir das Wasser ins Gesicht. Ich verziehe es, da die Schmerzen schlimmer als erwartet sind. Mit den Fingern wische ich unter meinen Augen lang um die Schminke zu entfernen. Vergebens. Ich wiederhole die Prozedur ein, zweimal, doch es bringt nichts. Wieder starre ich in den Spiegel. Keuchend stütze ich mich auf den Rand des Waschbeckens. Ich habe das Gefühl, die Fassung zu verlieren. Maik hat mich überrumpelt mit seiner mehr als aggressiven Reaktion. Meine Emotionen überschlagen sich. Ein letzter Blick in den Spiegel, dann trete ich einen Schritt zurück und öffne den obersten Knopf meiner Bluse, dann den Zweiten und den Dritten und so weiter, bis ich am unteren Rand angekommen bin. Ich habe abgenommen seit ein paar Monaten. Mit meinen als Frau stattlichen 1,74m wiege ich jetzt nur noch knappe 65Kilo. Langsam aber sicher zeichnen sich meine Rippenknochen unter meiner Schicht aus Haut und Fleisch ab. Ich seufze und ziehe die Bluse von meinen Schultern. Ich schiebe meinen Daumen in meinen Hosenbund und öffne den großen Knopf davor. Langsam ziehe ich meine dunkle Jeans bis zu den Knien hinunter, von dort aus rutscht sie von ganz alleine in Richtung Erdboden. Mit einem Schritt zur Seite steige ich aus der Hose heraus. Ich lasse meine Hände auf den Rücken gleiten um meinem BH zu öffnen, anschließend ziehe ich noch meinen Slip hinunter. Nun bin ich nackt. Ein letzter mürrischer Blick in den Spiegel, dann schleppe ich meinen Körper in die Dusche, schiebe die Duschtüren zu und schalte den Wasserstrahl an. Ich halte mein schmerzendes Gesicht vorsichtig in den milden Strahl, lasse den Kopf in den Nacken gleiten. Mit den Fingern streiche ich durch meine langen Haare. Ich wasche mir das Gesicht und meinen knochigen Körper. Anschließend meine strohigen Haare. Lustlos und langsam. Die Schmerzen betäuben meine Gedanken, vernebeln sie richtig. Ich spüle mir den Schaum vom Körper und aus meinen Haaren und hocke mich in die Ecke der Dusche. Das Wasser peitscht mir auf meinen kahlen Rücken und lässt mich und meine Traurigkeit allein zurück in der kleinen Dusche unseres Hauses.

 

Kapitel 4.

Stunden vergehen. Das Licht im Bad des San Quentin flackert. Das heiße Wasser wird langsam knapp. Nach und nach wird es kälter. Der Wassertank für Warmwasser scheint leer. Es ist bestimmt schon spät. Doch Nena scheint geduldig mit mir zu sein. Ich lasse alles Revue passieren. Mein letzter Gedanke ist der, als er mich aus der Dusche geholt hat. Er trug mich auf Händen ins Bett und bedeckte meinen nackten, nassen Körper mit Küssen. Meine Lippen bedeckte er zum Schluss mit einem leidenschaftlichen Beben, das sich in eine wilde und heiße Nacht verwandelte. An dem Abend hatte ich ihm verziehen. Er hatte es nicht so gemeint, sagte ich mir. Wie so oft auch noch danach. Ich gab mir die Schuld. In der Nacht trieben wir es hemmungslos in unserem Bett und am nächsten Morgen wuschen wir uns gegenseitig den Schweiß vom Körper und liebten uns noch einmal, bis er zur Arbeit musste. Als er den darauf folgenden Abend nach Hause kam, war alles ruhig. Ich hatte gedacht, das war es jetzt. Unser Streit war vorüber. Er hörte auf zu trinken und kam früher nach Hause. Es gab keine Gespräche mehr zwischen ihm und der dummen Pute. Ein paar Wochen später gelang es mir einen Job in einem kleinen Kiosk um die Ecke zu bekommen. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Doch wäre alles gut gegangen wäre ich jetzt nicht hier. Nackt in einer kleinen, kalten Gefängnisdusche, wo draußen eine Wärterin auf mich wartet, während ich hier drin hocke. Ich weiß nicht, warum Nena mir so viel Freiraum gibt. Doch es gefällt mir einen Moment für mich zu sein. Ich habe immer noch meine Arme um meinen Leib geschlungen und lasse mir das mittlerweile kalte Wasser über meinen Körper laufen. Bald muss ich zurück in die Zelle. Allein. Wie immer. Ich sauge tief Luft ein und entschließe mich dazu, Nena von ihrem Wachposten vor der Kabine zu erlösen. Auf allen Vieren krieche ich über den Boden und versuche aufzustehen. Beim dritten Versuch gelingt es mir. Ich drücke auf den Knopf, der das Wasser ausschaltet. Ich lasse meine Stirn gegen die kalten Fliesen an der Wand sinken und schließe für einen Moment die Augen. Mein überhitzter Kopf scheint sich zu erholen. Als ich die Augen wieder öffne, erscheint meine Welt sichtlich klarer. Ich bin im Hier und Jetzt zurück. Die dunklen Gedanken tief in meinem Hinterkopf vergraben und bereit mich wieder allein in meiner Zelle zu vergraben. Ich steige aus der Dusche und nehme mein Handtuch vom Haken. Ich schrubbe mir zuerst meinen Kopf und meinen Oberkörper trocken. Abwesend lasse ich den Blick über mein Spiegelbild in der Glastür der Dusche schweifen. Ich habe keine Haare mehr auf dem Kopf. Sie waren komplett kahl rasiert. Das haben die Ärzte vor einigen Wochen gemacht, kurz nachdem ich hier ankam. Ich hatte in den ersten Tagen versucht mir einzelne Haare heraus zu ziehen oder daran herum geknabbert. Kurz daraufhin haben sie mich rasiert, wie ein Scharf, das bereit ist seine schöne und volle Wolle abzugeben. Der Unterschied bei der Sache: Ich wollte es nicht und das habe ich sie auch kräftig spüren lassen. Einem Sicherheitsmann, der mich festhalten sollte, biss ich eine große Wunde in den Oberarm. Dem Arzt selbst trat ich zwischen seine Beine. Daraufhin sank er in die Knie und schrie seine Leute an, sie sollen mich fest binden. Das taten sie dann auch und ich musste es wohl oder übel über mich ergehen lassen. Der Rest meines Gesichtes sieht nicht viel besser aus. Mein eines Auge hat eine merkwürdige Farbe. Meine Pupille im inneren ist an einer Seite schwarz und den Rest füllt ein wunderschönes Blattgrün. Meine originale Augenfarbe. Auf dem Auge sehe ich nicht mehr alles so genau. Eine Hälfte meines Sichtfeldes ist schwarz. Meine Nase sieht eigentlich so aus wie immer, bis auf einen kleinen Huckel, der einen früheren Bruch zu erkennen gibt. Meine Lippen sind trocken und ziemlich bleich. Der Rest meines Körpers ähnelt eher einem Zombie oder einer schlecht gespielten Leiche aus einem Hollywood Blockbuster. Ich wiege mittlerweile nur noch 40 Kilo. Ein Fliegengewicht für jedermann. Von meinen üppigen Kurven aus High-School Zeiten ist keine Spur mehr zu sehen. Mein Busen hängt etwas schlaff herunter. Meine einzelnen Rippen sind zu erkennen. Kein Mann dieser Welt würde mich je so begehren, kommt es mir in den Sinn. Doch das braucht auch niemand, wenn ich Luft hole, sieht man ganz genau, wie sich mein Brustkorb hebt und wieder senkt. Ich wickle mir das Handtuch um meinen nassen Körper und trete vor die Kabine. Nena steht geduldig davor und sieht in dem davor liegenden Waschraum einfach nur hin und her. Ich bin ihr dankbar, dafür dass sie mich das alleine machen lässt und noch dazu vor Miss-mega-Blondie bewahrt hatte. Meine Sachen, die ich mit in den Waschraum genommen habe liegen auf einem Regal neben den vier Waschbecken. Ich greife nach meinem sauberen Slip und ziehe ihn über. Das Handtuch lasse ich einfach auf den Boden fallen. Nena sieht jeden Tag nackte Gefängnisinsassen und ehrlich gesagt ist es mir vor ihr auch nicht peinlich. Sie schaut mich nicht einmal an. Sie scheint mich nicht zu beachten. Ihr Blick ist jetzt etwas grimmig, vielleicht ist sie sauer, weil ich sie so lange hier drinnen gehalten habe. Aber es ist nun mal ihr Job. Ich entscheide mich gegen einen BH und ziehe einfach nur ein weißes Shirt über meinen Oberkörper. Mich überkommt das Bedürfnis etwas zu Nena zu sagen. Mich vielleicht sogar zu bedanken. Ich mustere sie von der Seite und versuche sie abzuschätzen. Ihre kleine Gestallt macht im ersten Moment einen nicht wirklich bedrohlichen Eindruck. Doch ich weiß, sie ist darauf trainiert mir, wenn ich eine falsche Bewegung mache, weh zu tun. Noch dazu, dass jetzt in ihrem Gürtel eine Glock steckt und sie im schlimmsten Fall sogar schießen könnte. „Danke, dass sie mich vor der Blondine bewahrt haben“, höre ich mich sagen. Nena schaut auf und sieht zu mir herüber. Sie scheint erst etwas verwirrt. Als sie kapiert, schieben sich ihre Mundwinkel ein Stück nach oben. „Die Kleine ist sowieso nicht ganz dicht. Sie ist noch neu. Frisch Fleisch.“ Ihre Stimme ist tiefer als sonst, viel kehliger. Sie scheint sich sicher zu fühlen mit ihrer Waffe und kommt mehr aus sich heraus. Anders, als, wenn sie mir nur das Essen serviert. Noch dazu sieht sie in ihrer dunkelblauen Uniform jetzt wie eine Respektsperson aus. Nena ist trotz allem anders als ihre Kollegen, zumindest zu mir. Irgendwie netter. Dabei hat sie nicht einmal einen Grund dazu. Mein Aufenthalt hier ist berechtigt. Sie sieht mich geduldig an und wartet darauf, dass ich meine Jogginghose anziehe und wir gehen können. „Sie scheinen ganz schön viel Geduld zu haben“, sage ich etwas ins Lächerliche gezogen. Sie mustert mich wieder durch ihre dunklen Augen. „Ich dachte mir, sie brauchen eine lange, heiße Dusche“, sagt sie mit einem Lächeln. Ich bin verwirrt. Warum tut sie das? Ich müsste schon längst auf meinem Zimmer sein. Meine Neugier lässt nicht locker und umklammert meinen Gedankengang. „Warum tun sie das? Sie sind so…nett zu mir. Ich hätte nach den Vorschriften nicht alleine duschen dürfen. Noch dazu müsste ich bestimmt schon seit einer Stunde auf meinem Zimmer sein.“ Ein etwas finsterer Blick erscheint auf ihrem Gesicht. Ich hätte nicht fragen sollen, wird mir klar. Ich erwarte trotzdem eine Antwort. Als ich eine Antwort zu hören bekomme ist sie jedoch sehr halbherzig: „Sie haben Recht. Das hätte ich nicht tun sollen, aber ich hatte das Gefühl es würde ihnen gut tun. Sie sind seitdem sie hier sind sehr durcheinander.“ Verwirrung macht sich breit und ich würde gerne weiter nachhaken. Als ich Luft hole um etwas zu sagen fällt sie mir ins Wort: „Belassen wir es dabei! Jetzt sollte ich sie aber zurück in ihre Zelle bringen.“ Sie nickt mir zu um mir zu verstehen zu geben, dass wir gehen sollten. Ich schaue zu Boden, nehme abwesend meine restlichen Klamotten und folge ihr. Sie legt mir nicht einmal Handschellen an. Braucht sie auch nicht. Ich habe keinen Grund Anstalten zu machen und abzuhauen. Außerhalb dieses Gebäudes befindet sich nichts, was mich reizen würde. Sie hält mir die Tür auf und läuft langsam neben mir her. Die Hände an ihren Gürtel gepresst um bereit zu sein, falls ich es mir doch anders überlege. Nena hat Recht. Ich bin wirklich sehr durcheinander. Aber das liegt nicht an meinen vier Wänden, der einsamen Zelle. Es ist die Außenwelt, die mir Angst bereitet, meine Albträume und meine Vergangenheit. Über meine Zukunft möchte ich im Moment noch nicht nachdenken. Warum auch? Eine Weile werde ich hier wohl meine Zeit verbringen. Mein Verstand klammert sich an die Angst und gemeinsam kauern sie in einer Ecke und schreien sich an. Das ist alles. Nena öffnet meine Zellentür. Draußen ist es dunkel. Genauso wie in meinem Zimmer, wie gesagt: kein Licht und so weiter. Das heißt, jetzt ist Schlafenszeit. Ich schmeiße meine Sachen aufs Bett und drehe mich noch einmal zur Tür um. „Ich würde gern verstehen, warum sie das getan haben.“ Ich fühle mich wie ein kleines Kind, das man bestraft, aber das Kind weiß nicht, wofür und genauso stehe ich auch da, in Jogginghose und weißem Shirt, das ich zwischen meinen Fingern hin und her knete. Dann drehe ich es mir mit der einen Hand um meinen Zeigefinger und lasse es wieder los, sobald es zu fest sitzt und mir in die Haut schneidet. Immer und immer wieder. Nena sieht mich an. Ich habe das Gefühl, dass sie traurig aussieht. Aber ich bilde mir das bestimmt nur ein. „Gute Nacht, Molly“, sagt sie und schließt die Tür mit einem lauten „Ruummss“. Dann höre ich noch wie der Schlüssel sich ins Schloss schlängelt, sich dreht und mich damit von der restlichen Welt abschneidet. Ihre Antwort ist deprimierend. Warum sollte irgendjemand zu einem Menschen mit Blut an den Fingern nett sein und ihn nicht behandeln wie einen räudigen Köter? So wie es eigentlich hier alle Wärter tun. Manchmal zurecht, manchmal nicht, wie ich es sehe. Wenn ich an meine Zimmernachbarn denke, dreht sich mir ebenfalls der Magen um. Links von mir sitzt ein Mann wegen sexuellem Missbrauch und anschließendem Mord. Er ist Alkoholiker und drogenabhängig und hatte eines Nachts wohl die falsche Mischung von Beidem. Er kam nach Hause schlug seine 15-jährige Tochter zu Brei, vögelte sie bis ihr Hören und Sehen verging und stach sie danach ab, weil er den Anblick dessen nicht ertragen konnten, was er getan hatte. Rechts von mir sitzt ein junger Mann, der zwar religiös erzogen worden ist, doch seine Berufung darin fand, seiner Ansicht nach „Gottes-Hasser“ aufzuspüren und ihnen die Gedärme zu entfernen und sie sich als Trophäe in den Kleiderschrank zu hängen. Nachts, wenn es dunkel wird höre ich von links das klägliche Weinen eines alten Mannes, der bereut, was er getan hat und von rechts das krankhafte, irrationale Lachen eines Jungen, der nicht mehr ganz bei Sinnen ist und wahrscheinlich nicht eine Minute lang versteht, warum er eigentlich hier ist. Zwei komplett verschiedene Arten von Insassen, die sich nur anhand ihrer Strafe ähneln. Der eine bereut, der andere nicht. Meist liege ich nachts wach und überlege mir, zu welchen von beiden Arten ich gehören will. Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Aber ich denke, ich bin verrückt. Genauso wie der durchgeknallte, gläubige Freak neben mir. Ich setze mich auf mein Bett, wieder die Arme fest um meinen Körper geschlungen. Ich sehe mich um. Bald wird es so dunkel sein, dass ich nichts mehr erkennen werde in meinem Zimmer. Draußen vor der Tür ist trotzdem noch ein ohrenbetäubender Lärm. Menschen schreien, weinen oder werden von ihren Wachen zurück in ihre Zimmer geschoben und ruhig gestellt. Heute Abend wird mich niemand mehr besuchen kommen. Auch nicht Nena. Ich beschließe, mich hinzulegen. Die Matratze ist steinhart und unbequem, doch es reicht um Ruhe zu finden. Ich decke mich zu und lege meinen Kopf auf das große Kissen. Mein Kopf ist schwer und pocht vor sich hin. Ich höre meinem Atem zu wie er leise auf und ab geht und meine Lunge empor und hinab steigt wie eine Leiter. Als ich die Geräusche von draußen ausblende, schaffe ich es in einen tiefen, unruhigen Schlaf zu fallen.