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Norman Dark

Haus des Horrors

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Prolog

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Impressum neobooks

Vorwort

Denn wo Gespenster Platz genommen,

Ist auch der Philosoph willkommen.

Damit man seiner Kunst und Gunst sich freue,

Erschafft er gleich ein Dutzend neue.

Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Faust. Der Tragödie zweyter Theil

Dieser Roman ist während der Corona-Pandemie entstanden, doch dieses Thema fließt nicht in die Handlung ein. Ein Mystery-Roman sollte meiner Meinung nach nur so viel Realität beinhalten wie unbedingt notwendig, denn gerade das Surreale macht ihn so spannend. Einigen Lesern wird meine Entscheidung nicht gefallen, aber man kann es nicht jedem recht machen. Dennoch hoffe ich, dass wir alle die Krise mehr oder minder heil überstehen und bald wieder „normale“ Verhältnisse einkehren werden. Besonders was die Kleinkunstszene betrifft, die es besonders hart getroffen hat. In diesem Sinne: Bleiben Sie bitte gesund!

Norman Dark

im Juli 2021

Prolog

Faye Norris und Dexter Rodriguez ließen den Wagen stehen. Der Fußweg betrug nur wenige Minuten, und so recht konnten sie ihr Glück noch nicht glauben, das wohl berüchtigste Spukhaus in New Orleans untersuchen zu dürfen. Denn seit Jahren verweigerten die Eigentümer jeglichen Zutritt. Falls sie wider Erwarten doch vorgelassen würden, könnten sie immer noch ihr Equipment nachholen oder einfach den Wagen, in dem alles verstaut war.

»Wir haben doch einen Termin. Also, warum nehmen wir nicht gleich alles mit? Ich gehe davon aus, dass man zu seinem Wort steht«, beschwerte sich Faye.

»Du weißt doch, wie diese reichen Leute sind«, entgegnete Dexter. »Sie wechseln mitunter ihre Meinung wie die Handtücher.«

»Wenigstens hast du nicht Unterwäsche gesagt, sonst bekäme ich die Bilder wieder nicht aus dem Kopf. Das mit dem Besuchsverbot war nicht immer so. Das Haus hat eine lange Geschichte. Es war schon ein Heim für Männer, Musikschule oder einfach Wohnhaus. Aber angeblich soll es niemand lange darin ausgehalten haben.«

»Du meinst, wie der Schauspieler Nicolas Cage? Es gibt keinen Beweis, dass er es jemals bewohnt hat. Und wenn du von der langen Historie des Hauses sprichst, meinst du die Zeit nach dem Brand und dem Wiederaufbau, ja? Denn so, wie es da steht, handelt es sich nicht mehr um das Original.«

»Ich weiß, aber scheinbar sind die Geister geblieben oder zurückgekehrt. Noch vor etwa zehn Jahren hat man Zimmer zur Übernachtung vermietet. Für Hartgesottene oder Gruselfans. Gut bekommen soll es keinem sein. Doch Realität und Legende sind oft schwer zu unterscheiden. Aber wem sage ich das?«

»Eben, was haben wir nicht schon alles in diesen Häusern erlebt. Da standen mir manchmal buchstäblich die Haare zu Berge. Vor ein paar Jahren hätte ich mir noch nicht vorstellen können, einmal als Ghost Hunter zu arbeiten.«

»Bereust du es, dass ich dich damals dazu überredet habe?«

»Das habe ich nicht gesagt. Es ist schon ein besonderer Kick, dass man nie weiß, was einen erwartet.«

»Ein bisschen Schiss habe ich schon, wenn ich ehrlich bin«, meinte Faye. »Und das will bei mir schon etwas heißen. Aber mit so viel Horror, wie sich dort abgespielt hat, bekommt man es selten zu tun.«

Auch ohne auf die Hausnummer zu achten, wussten sie bald, dass sie angekommen waren. Denn wie üblich hatten sich bereits Scharen von Schaulustigen eingefunden. Nicht umsonst war das Haus einer der Höhepunkte verschiedener „Geister-Touren“ diverser Anbieter. Doch stets war die Enttäuschung groß, wenn es hieß, eine Innenbesichtigung sei leider nicht möglich.

»Aber haben hier damals nicht die Dreharbeiten für die Serie „American Horror Story“ stattgefunden?«, wollte eine Teilnehmerin wissen.

»Ohne Ihnen den Spaß verderben zu wollen, aber nein. Die Innenaufnahmen für das LaLaurie Haus sind im Hermann-Grima Haus entstanden, das sich wie das Monteleone Hotel hier im französischen Viertel befindet und für seine freundlichen, südländischen Geistern bekannt ist. Sie verbreiten oft Rosen- und Lavendelduft und zünden das Feuer im Kamin an, heißt es. Wir werden nachher noch einen Blick darauf werfen. Es ist zwar ein Museum, aber um diese Uhrzeit leider schon geschlossen. Interessierte sollten es also auf ihre To-do-Liste setzen.« Die Ausführungen des Touristenführers waren freundlich und ohne Häme.

»Komm, lass uns noch einen Moment warten, bis sich alle verzogen haben«, sagte Faye. »Nicht dass es noch einen Aufstand gibt, weil wir hineindürfen und sie nicht.«

Wenig später klopfte Dexter immer wieder an die Tür, doch es wurde ihnen nicht geöffnet. Als sie nach oben blickten, sahen sie auf dem Balkon eine blasse Dame in einem altmodischen Gewand und mit strengem Gesichtausdruck.

»Bitte, was wünschen Sie?«, rief sie herunter.

»Ich bin Faye Norris und das ist mein Kollege Dexter Rodriguez. Wir haben einen Termin.«

»Bei mir bestimmt nicht. Ich empfange keine Besucher.«

»Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«

»Die Eigentümerin. Mein Mann hat das Haus für uns gebaut. Ich heiße Delphine LaLaurie. Und jetzt machen Sie, dass Sie fortkommen!«

Kapitel 1

1833

Joseph und Molly Clark bewirtschafteten das Absinthe House. Nicht zu verwechseln mit dem Old Absinthe House, das sich nur wenige Straßen entfernt befand. Jedes der beiden Gasthäuser beanspruchte für sich den Titel „Ältestes Gasthaus der Stadt“, doch es gab noch andere, deren Häuser schon länger standen und erst später in Bars umgewandelt wurden. An diesem Tag ließen sich nur wenige Gäste wie der Stammgast Louis blicken, aus gutem Grund.

»Die Geschäfte laufen wohl nicht besonders gut«, meinte Louis, »und wenn ich mir euer Schlüsselbord ansehe, fällt mir auf, dass die meisten Fremdenzimmer frei sind.«

»Warum wohl, du Klugscheißer?«, sagte Molly böse. »Weil das Gelbfieber die Stadt fest im Griff hat. Fremden wird von offizieller Stelle geraten, sich fernzuhalten. Es wird gemunkelt, dass diese Drecksmücken und Fliegen verantwortlich für die Seuche sind.«

»Ach ja? Mir können diese Viecher nichts anhaben.«

»Weil sie befürchten, eine Alkoholvergiftung zu kriegen«, konterte Molly.

»Hallo, hallo, ohne uns könntet ihr den Laden bald dicht machen.«

»Weiß ich doch. War auch nur ein Joke. Eine andere Erklärung könnte sein, dass dein Vater ein Farbiger war. Bei denen soll der Krankheitsverlauf viel milder sein.«

Plötzlich stürmte ein Mann in die Bar, der eindeutig kreolischer Abstammung war.

»Hi, Molly, Jo«, sagte er atemlos. »Ihr erratet nie, was ich gerade beobachtet habe.«

»Nun mach‘s nicht so spannend, Henri. Du erstickst doch gleich an den Neuigkeiten«, zog ihn Molly auf.

»Bitte, ich kann es auch für mich behalten. Dann lest ihr es morgen in der Zeitung.«

»Nein, das kannst du eben nicht. Also, red‘ schon!«

»In der Royal Street, Ecke Governor Nicholls, gab es einen großen Menschenauflauf. Madame LaLaurie hat eine Sklavin über das Dach gejagt, die dann schließlich vor Angst in die Tiefe gesprungen ist.«

»Und, ist sie tot?«, fragte Joseph.

»Ja, was denkst du denn? So einen Sturz aus dieser Höhe überlebt keiner. Die Nachbarn haben beobachtet, dass der Leichnam in den Innenhof verbracht wurde. Dort wird man ihn wahrscheinlich unter einer Zypresse begraben.«

»Die war mir noch nie ganz geheuer, diese Madame«, meinte Molly. »Das feine Getue kann nicht über die kalt und grausam blickenden Augen hinwegtäuschen.«

»Was du immer redest«, sagte Louis. »Wer weiß, was dieses Sklavenmädchen angestellt hat.«

»Na, was schon? Sie wird Madame beim Kämmen zu sehr an den Haaren gezogen haben. Und dass diese Delphine zu unmenschlichen Strafen neigt, darüber wird schon lange getuschelt. Bin mal gespannt, ob man sie so einfach davonkommen lässt.«

»Das glaube ich nicht«, meinte Henri. Ein Gesetz in New Orleans verbietet die grausame Behandlung von Sklaven, wie ihr wisst. Das Amt wird die anderen beschlagnahmen und meistbietend versteigern lassen. Madame LaLaurie, wird allerdings das Recht an dieser Auktion verweigert.«

»Und wenn schon, das durchtriebene Weib wird Mittel und Wege finden, die Sklaven zurückzubekommen. Zum Beispiel indem sie ihre Familie und Freunde mitsteigern lässt, die ihr anschließend die Sklaven unter Stillschweigen zurückgeben.«

»Da könntest du Recht haben. Wir sollten das Haus im Auge behalten«, sagte Joseph. »Die feinen Pinkel sollen nicht glauben, dass sie sich alles erlauben können.«

»Ach, so liebe ich dich, mein Dickerchen«, rief Molly aus. »In solchen Momenten weiß ich immer, warum ich dich geheiratet habe. Aber was können wir schon ausrichten?«

»Nanu, Sie sind schon wieder da?«, fragte die freundliche Ebby Coleman, die zusammen mit ihrer Freundin, Kathy Edison, das Gästehaus führte. »Konnten Sie nichts ausrichten?«

»Es scheint, man hat uns an der Nase herumgeführt«, sagte Faye. »Ich habe schon versucht, den Eigentümer anzurufen, doch da meldet sich nur die Mailbox.«

»Dann fangen Sie doch bei uns im Haus an. Gäste berichten immer wieder von irgendwelchen Spukerscheinungen. Und Kathy meint, sie hätte auch schon etwas gesehen. Ich leider bisher nicht. Aber, nein. Eigentlich bin ich ganz froh, weil ich ziemlich ängstlich bin.«

»War das Haus schon im Besitz Ihrer Familie zu Zeiten von Madame LaLaurie?«

»Nein, damals soll es eine Bar mit Fremdenzimmern gewesen sein und einem gewissen Joseph Clark und seiner Frau Molly gehört haben. Später hat es dann der erfolgreichsten mulattischen Geschäftsfrau der Stadt, Lulu White, gehört. Die führte hier ein Bordell und war berüchtigt durch ihre Vorliebe für Diamanten und ihre Vorstrafen. Als dann 1897 das Rotlichtviertel Storyville eingerichtet wurde, um die Prostitution in der Hafenstadt besser kontrollieren zu können, zog sie dorthin um und eröffnete die luxuriöse „Mahogany Hall“, ausgestattet mit einem Spiegelsaal, einer Tanzfläche, auf der die Prostituierten erotische Tänze darboten, und 15 beheizten Schlafzimmern mit Bad. Alle Prostituierten waren in sogenannte Bluebooks, Journale, die am Bahnhof und anderen zentralen Orten der Stadt auslagen, aufgelistet, nach Namen und Hautfarbe geordnet. Besonders begehrt waren Mulattinnen

Storyville umfasste bald 38 Häuserblocks und bot Sex für jeden Geldbeutel. In den Freudenhäusern gab es Haus-Pianisten, die man Bordellprofessoren nannte, und die für die musikalische Unterhaltung der Gäste sorgten. Doch nur weiße Freier fanden dort Einlass. Afroamerikaner durften lediglich als Musiker hinein.

Louis Armstrong ist dort aufgewachsen. An einem Ort, von dem viele sagen, er sei die Geburtsstätte des Jazz. Die Musiker konnten dort Sachen ausprobieren, die auf dem normalen Markt gar möglich gewesen wären. Das Publikum in den Bordellen war sehr viel großzügiger und aufnahmebereiter. Doch es war auch die Zeit des Tiefpunkts der Rassenbeziehungen. Es gab mehr Lynchmorde als zu anderer Zeit. Die Kriminalität war vielen ein Dorn im Auge. Nachdem bei Schießereien vier Soldaten ums Leben gekommen waren, verfügten das Verteidigungs- und das Marineministerium gegen den Willen des Bürgermeisters, dass es bei Marinestützpunkten in einem Umkreis von fünf Meilen keine Bordelle mehr geben durfte. Im November 1917 wurde Storyville geschlossen. Die Freudenhäuser verschwanden und mit ihnen auch die Musiker. Die meisten von ihnen wanderten nach New York und Chicago ab.«

»Gibt es das Haus, in dem sich die „Mahogany Hall“ befand noch?«, fragte Dexter.

»Nein, die wurde in den 40er-Jahren abgerissen und durch Sozialwohnungen ersetzt. Heute erinnert so gut wie nichts mehr an die 20-jährige Geschichte des berüchtigten Rotlichtviertels im Mississippi-Delta, dem Louis Armstrong und Billy Holiday in dem Arthur-Lubin-Film „New Orleans“ ein Denkmal gesetzt haben.«

»Sie kommt schon wieder ins Schwärmen«, sagte Kathy. »Sie müssen wissen, Ebby hat früher als Touristenführerin gearbeitet, bevor wir das Haus hier übernommen haben.«

»Und was genau ist hier vorgefallen?«, hakte Faye nach.

»In Zimmer fünf wird mitunter eine männliche Leiche in bizarrer Aufmachung im Bett liegend gesehen«, sagte Ebby. »In seinem Brustkorb steckt ein Messer, oder Kathy?«

»Ja, ich habe es gesehen, als unser Gast, Mrs. Smith, schreiend herausgerannt kam.«

»Dann hätten Sie uns lieber dieses Zimmer geben sollen«, meinte Dexter.

»Das geht leider nicht, weil es im Moment vermietet ist. Aber vielleicht hat das Ehepaar einen Albtraum oder sieht auch etwas. Dann können Sie noch umziehen.«

»Gut darauf kommen wir gerne zurück. Und was gibt es sonst noch zu berichten?«

»Im Keller hört man immer wieder hinter einer Mauer Kratzgeräusche und Wehklagen. Kathy und ich haben es schon öfter vernommen. Schaurig, sage ich Ihnen. Deshalb meiden wir beide den Keller auch so gut es geht.«

»Wir werden uns auch darum kümmern«, sagte Faye.

Kapitel 2

1896

Kitty – ob sie wirklich so hieß oder sich nur so nannte, wusste nur Lulu, die Chefin des Etablissements – war noch sehr jung und unerfahren. Von Lulu persönlich eingewiesen, war sie auf einem guten Weg, hieß es. Doch besondere Vorlieben der Kunden waren ihr noch relativ fremd. Ihre Arbeit verrichtete sie in Zimmer 5.

Der seriös aussehende ältere Mann im Businessoutfit hielt eine besondere Überraschung bereit. Als er seinen feinen Anzug auszog, kam darunter Damenwäsche zum Vorschein. Das sah so grotesk aus, dass Kitty sich mit Mühe das Lachen verkneifen musste. Doch das sollte ihr alsbald vergehen.

»Nun mach nicht so große Kuhaugen«, sagte der Mann. »So etwas wirst du noch öfter sehen.« Er holte sein schlaffes Glied aus dem Schlitz des Damenslips und drückte Kittys Kopf herunter. »Wundere dich nicht, dass er noch nicht erigiert ist. Das kommt, sobald du ihn mit dem Kussmündchen verwöhnst.«

»Uh, der riecht so komisch. Ich kann das nicht«, sagte Kitty.

»Oh doch, du kannst. Denn dafür wirst du bezahlt. Ich habe ihn eine Woche nicht gewaschen, und du wirst ihn mit deiner geilen Zunge säubern.«

»Nein, das ist eklig.«

Ehe sie sich versah, griff der Mann sie an den Haaren und versetzte ihr einen Faustschlag, sodass sie quer übers Bett flog.

»Na, willst du noch mehr? Oder bist du jetzt vernünftig?«

Kitty holte blitzschnell einen kleinen Dolch aus der Nachttischschublade, den sie für Notfälle dort deponiert hatte, und hielt ihn abwehrend vor die Brust.

»Ach, du willst spielen, du kleine Unschuld. Das kannst du haben. Aber pass auf, dass ich dich nicht aufschlitze.«

Als er sich auf sie stürzte, stach Kitty aus einem Reflex heraus zu. Sie traf ihn mitten ins Herz, sodass er leblos über ihr zusammensackte. Das Mädchen wandte sich unter ihm hervor, zog ihren Morgenmantel an und suchte ihr Heil in der Flucht.

»Madame, es ist etwas Schreckliches passiert«, sagte sie kurz darauf im Büro von Lulu White. »Der Freier hat gedroht, mich aufzuschlitzen, und ich bin ihm zuvor gekommen.«

Lulu antwortete nicht, sondern zog Kitty wortlos hinter sich her. Im Zimmer sah sie sich die Bescherung an. Kitty weinte jetzt heftig.

»Hör auf zu plärren! Das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Zu keinem ein Wort, hörst du? George wird sich darum kümmern und ihn fortschaffen. Aber das bleibt ein Einzelfall. Hast du mich verstanden?«

Kitty nickte heftig.

»Ihr sollt die Kunden verwöhnen und sie nicht umbringen. Wenn das noch mal vorkommt, muss ich dich leider wegschicken. Dann bist du nicht tragbar.«

»Ich wollte das nicht. Aber es war so eine Art Notwehr.«

»Ja, ich will es gar nicht so genau wissen. Aber denk dran, was ich dir gesagt habe.«

Am nächsten Morgen erhielt Faye überraschend einen Anruf des momentanen Besitzers des LaLaurie Hauses.

»Hallo, ich habe gestern auf Sie gewartet. Haben Sie es sich überlegt und wollen den Auftrag nicht annehmen?«

»Keineswegs. Wir waren da, wurden aber von einer Lady in einem altmodischen Gewand fortgeschickt. Sie hat ernsthaft behauptet, Delphine LaLaurie zu sein.«

»Ich kann mir denken, wer das war. Ich habe dem Verwalter gekündigt wegen verschiedener Unstimmigkeiten. Er besitzt noch einen Schlüssel für das Haus, und seine Frau einen Humor, der mehr als gewöhnungsbedürftig ist.«

»Aber Sie hätten uns doch hören müssen. Wir haben mehrmals laut geklopft. Und wenn diese Leute noch immer bei Ihnen ein und ausgehen, dürfte Ihnen das doch nicht entgangen sein. Falls Sie es sich überlegt haben, können Sie das offen zugeben. Wir haben schon einen neuen Auftrag bekommen.«

»Nein, nein. Es tut mir leid. Ich war im Innenhof und habe nichts gehört. Mir ist es aber wichtig, dass Sie die Untersuchung durchführen, damit meine Familie und ich sicher sein können, gefahrlos in dem Haus leben zu können. Bitte kommen Sie noch einmal vorbei. Ich werde Sie auch auf der Straße erwarten. Allerdings bin ich die nächsten drei Tage geschäftlich unterwegs. Könnten Sie danach …?«

»Kein Problem. Wie gesagt, wir haben ohnehin noch zu tun.«

»Gut, dann bis in vier Tagen! Ich freue mich.

Faye legte auf und grinste Dexter an. »Er meint, es war die Frau des Verwalters oder Hausmeisters. Wenn du mich fragst, ziemlich unwahrscheinlich. Die müsste schon über einen Kostümfundus verfügen und ziemlich geschickt im Frisieren sein.«

»Glaubst du, es war die echte Madame?«

»Warum nicht? Ich fand sie ziemlich überzeugend.«

Am Frühstückstisch teilte Faye Ebby die Neuigkeit mit.

»Das ist ja wunderbar. In der Zeit sind Sie natürlich unser Gast.«

»Danke, sehr großzügig, aber Sie können es von der Rechnung abziehen. Was gibt es sonst noch über das Haus zu berichten?«

»Im Musikzimmer erklingt nachts oft Klaviermusik«, flüsterte Ebby, damit die anderen Gäste sie nicht hörten. »Obwohl der Flügel abgeschlossen ist.«

»Ja, das haben wir auch schon vernommen«, sagte Mrs. Cunningham, die gute Ohren hatte. »Nicht wahr, Edward, du hast es auch gehört?«

Der Gatte brummte zustimmend.

»Nicht dass es uns stört. Die Musik ist ja sehr leise und angenehm melodiös.«

»Da hat wieder jemand vergessen, das Radio auszuschalten«, sagte Ebby entschuldigend.

»Na, macht ja nichts. Bei der Gelegenheit: Hätten Sie noch ein anderes Zimmer frei? Wir fühlen uns nicht so recht wohl in der 5.«

»Ja, natürlich. Ich kann Ihnen die 9 geben. Nach dem Breakfast können Sie gleich umziehen.«

»Danke, das machen wir.«

»Da haben wir aber Glück«, flüsterte Faye. »Dann können wir die 5 gleich mit untersuchen.«

»Na, Gott sei Dank hast du nicht vorgeschlagen, die Zimmer zu tauschen«, raunte Dexter. »Ich bin nicht scharf darauf, neben einer Leiche aufzuwachen.«

»Musst du ja nicht. Dann werde ich die Nacht dort verbringen, derweil du im Keller dein Lager aufschlägst.«

»Ich könnte auch im Musikzimmer schlafen, und den Keller machen wir dann am nächsten Tag zusammen.«

»Gut, wenn du ein Hasenfuß bist, bin ich einverstanden.«

»Ich denke, in der Vergangenheit habe ich dich oft genug vom Gegenteil überzeugt.«

»Ich weiß, aber ich ziehe dich gelegentlich gerne einmal auf. Das musst du doch schon gemerkt haben.«

»Habe ich. Ob ich mich daran gewöhnen werde, ist eine andere Sache.«

»Ooch, willst du auf den Arm?«

1833

Selenka, die Köchin von Delphine LaLaurie, nutzte die vielleicht letzte Gelegenheit, sich frei bewegen zu können, denn ihre Herrin hatte angedroht, sie künftig im Haus festzuhalten.

Der Kongo-Platz im hinteren Teil des Französischen Viertels, einst Wildnis und Sumpfland, war am Sonntag nach dem Ende der Messe ein beliebter Treffpunkt für freie Farbige und Sklaven, die aufgrund der Vorschriften des Code Noir für den Rest des Tages frei hatten. Dort konnten sie Waren kaufen oder tauschen und Familienmitglieder, die an andere Sklavenbesitzer verkauft worden waren, besuchen. Es wurde gefeiert mit Liedern, Musik, Tanz und Ritualen, bis in die Nacht hinein.

Selenka suchte eine ganz bestimmte Person und fragte deshalb Besucher.

»Können Sie mir sagen, wo ich Marie Laveau finde?«

»Ja, das ist die Frau im weißen Kleid mit dem Turban, der wie eine Krone gebunden ist, denn man nennt sie de Königin des Voodoo. Ihr Markenzeichen ist eine über ihren Schultern drapierte Boa Konstriktor.«

Schon von Weitem sah Selenka Marie ihre zahlreichen wohlhabenden Kunden begrüßen, um sie von den heiligen Ritualen zu überzeugen. Der Preis war ein Ticket für Konsultationen, die von spiritueller Heilung und pflanzlichen Heilmitteln bis hin zum Wahrsagen reichten. Marie Leveau betrieb Voodoo als ein Geschäft. Doch sie war auch dafür bekannt, wirklich mitfühlend zu sein, denn sie besuchte oft die Krankenhäuser der Stadt, um den Armen und Kranken mit ihren Heilmitteln und Gebeten zu helfen.

Selenka wartete geduldig, bis Marie eine Pause machte und die Lobeshymnen der Versammelten, die laut "Königin Marie! Königin Marie!" riefen, etwas abebbten.

»Entschuldigen Sie, bitte. Ich kann Sie leider nicht bezahlen, möchte aber dennoch um Hilfe bitten.«

»Was hast du denn auf dem Herzen?«

Selenka zögerte einen Moment.

»Na, worum geht es denn?«

»Mir macht die Schlange etwas Angst …«

»Ach, das ist Zombi, nach der Schlangendame Li Grand Zombi benannt. Die tut niemandem etwas zuleide.«

»Ich gehöre Madame LaLaurie. Vielleicht haben Sie schon von ihr gehört?«

»Oh ja, das habe ich. Die feine Dame wollte mich nicht einmal ins Haus lassen und hat mich an der Tür abgefertigt, als ich ihr meine Dienste angeboten habe. Sie meinte, ihre eigene Friseurin zu haben und auf meine Heilkünste nicht angewiesen zu sein. Außerdem hätten Hexen in ihr Haus keinen Zutritt. Eine Frechheit!«

»Sie hat angedroht, mich an den Herd zu ketten. Und es verschwinden immer wieder Sklaven auf ihrem Dachboden. Von dort hört man zuweilen unmenschliche Schmerzensschreie. Können sie nicht etwas gegen sie unternehmen? Ich meine, als Voodoo-Königin …«

»Du denkst, ich bräuchte nur eine Puppe zu basteln und ihr mit einer Nadel ins Herz zu stechen? Du musste nicht alles glauben, was du über mich hörst. Ich betreibe keine schwarze Magie, sondern bin helfend und heilend tätig.«

»Deshalb bitte ich Sie ja um Hilfe.«

»Du stellst dir das zu einfach vor. Ich habe keinen Einfluss oder Macht über diese Leute. Aber ich werde das mit Anderen besprechen. Vielleicht gibt es einen Weg der Madame Einhalt zu gebieten.«

»Ich danke Ihnen. Gott hab Sie selig!«

»Dich auch, meine Liebe.«

Selenka machte sich voller Zuversicht auf den Rückweg, doch ihre Hoffnungen sollten nicht erfüllt werden. Vorerst jedenfalls nicht.

Dexter Rodriguez suchte seine Kollegen in deren gemeinsamen Zimmer auf.

»Es gibt eine Planänderung, Jungs«, meinte er. »Wir können erst in vier Tagen in das LaLaurie Haus.«

»Und was machen wir so lange?«, fragte Moe Brown, der farbige Kameramann. »Uns die Eier schaukeln, oder was?«

»Wir könnten doch ein wenig New Orleans erkunden«, meinte Randy Perez, der Tontechniker.

»Das könnt ihr am Tage machen, wenn ihr ausgepennt habt. Die nächsten Nächte werden wir hier vor Ort arbeiten. Diese Pension hat nämlich auch so ihre dunklen Seiten.«

»Was, und dann wohnen wir hier?«, rief Moe entsetzt aus.

»Dir wird schon keiner an deinen schwarzen Arsch wollen«, sagte Dexter. »Bisher sind wir doch immer heil davongekommen.«

»Reine Glückssache, wenn du mich fragst. Aber gegen das LaLaurie Haus dürfte das hier ein Kinderspiel sein. Ich bewundere dich, dass du dich überhaupt darauf einlässt, Moe. Die Bude war für Schwarze ein äußerst gefährliches Pflaster.«

»Jetzt hör auf, ihm Angst zu machen, Randy«, sagte Dexter. »Das war vor fast zwei Jahrhunderten. Wenn Moe abspringt, kannst du Kamera und Ton gemeinsam machen.«

»Eben, dann brauchst du vier Hände«, pflichtete ihm Moe bei. »Außerdem bin ich kein Sklave. Die Zeiten sind Gott sei Dank Geschichte.«

»Warum teilst du dir eigentlich immer mit Faye ein Zimmer?«, fragte Randy. »Läuft da was zwischen euch?«

»Nein, wir sind wie Bruder und Schwester und haben jeweils einen anderen Typ.«

»Ach, du stehst wohl nicht auf Brünett, sondern auf vollbusige Blondinen? Und Faye mag wohl mehr die typisch amerikanischen Beachboys und keine abgewrackten Kerle mit mexikanischen Wurzeln?«

»Wenn du sonst keine Sorgen hast … Also, haltet euch morgen bereit. Wir werden jeweils eine Kamera in Zimmer 5, im Musikzimmer und im Keller aufstellen. Das Risiko tragen übrigens wir. Faye und ich werden wechselweise dort übernachten, während ihr schon an der Matratze horcht.«

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