Karl Barth

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Michael Weinrich

Karl Barth

Leben – Werk – Wirkung

Vandenhoeck & Ruprecht

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Karl Barth 1931; © Karl Barth-Archiv, Basel (Schweiz)

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

EPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

UTB-Band-Nr. 5093

ISBN 978-3-8463-5093-5

Inhalt

Vorwort

I.Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

1.Die Gottesfrage

2.Die Wiederentdeckung der Bibel

3.Die Bibel verstehen

4.Der Vorrang der Offenbarung

5.Das Problem der „natürlichen Theologie“

6.Dialektische Theologie

7.Der Horizont des einen Bundes

8.Die Menschlichkeit Gottes

9.Das Nichtige und die Sünde

10.Theologie der Freiheit

11.Dogmatik und Ethik

12.Ökumene und weltweite Solidarität

II. Karl Barths Lebensweg

1.Herkunft, Jugend und Studium

2.Der „rote Pfarrer von Safenwil“

3.„Gott ist uns ein Fremder geworden“

4.Professor in Göttingen, Münster und Bonn

5.Karl Barth im Kirchenkampf

6.Die Ökumene

7.Die Kirchliche Dogmatik

8.Der unbequeme Zeitgenosse

9.Auf dem Bruderholz

III. Barth lesen

1.Ambitionierte Bescheidenheit

2.Im Konflikt mit der natürlichen Theologie: Die mögliche Unmöglichkeit

3.Wahrheit und Methode

Exkurs: „Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!“

4.Theologia viatorum

5.Von der Schönheit und Gefährlichkeit der Theologie

IV.Theologische Perspektiven

1.Gott wird nur durch Gott erkannt: Der Weg theologischer Erkenntnis

1.1„Theologie des Wortes Gottes“

1.2„Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“

1.3Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik

1.3.1Der Ort der Theologie: Theologie als Funktion der Kirche

1.3.2Die Denkform der Theologie: Credo ut intelligam

1.3.3Die Aufgabe der Prolegomena

1.4Offenbarung

1.5Die dreifache Gestalt des Wortes Gottes

1.6Trinitarische Hermeneutik

1.7Zusammenfassende und zuspitzende Thesen

2.Offenbarung und Religion

2.1Religion im Licht der Offenbarung

2.1.1Der Christ als Bourgeois – Barths Religionskritik

2.1.2Die Rechtfertigung der Religion

2.2Zusammenfassende und zuspitzende Thesen

3.Erwählung und Bund

3.1Erwählung als Teil der Gotteslehre

3.2Erwählung als Summe des Evangeliums

3.3Die Erwählung Israels und der Kirche

3.3.1Die eine Gemeinde

3.3.2Die große ökumenische Frage

3.4Evangelium und Gebot – Dogmatik und Ethik

3.5Zusammenfassende und zuspitzende Thesen

4.Schöpfung und Bund

4.1Gott als Schöpfer

4.1.1Der sekundäre Charakter der Erkenntnis des Schöpfers

4.1.2Urgeschichte als reine Sage

4.2Schöpfung und Bund

4.2.1Die Schöpfung als Voraussetzung des Bundes

4.2.2Der Bund als Voraussetzung der Schöpfung

4.2.3Schöpfung als Wirklichkeit

4.3Das Geschöpf vor seinem Schöpfer

4.3.1Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis

 

4.3.2Die Gottebenbildlichkeit des Menschen

4.3.3Zeit und Ewigkeit

4.4Gottes Vorsorge für die Welt – die Lehre von Gottes Vorsehung

4.4.1Das Thema der providentia Dei

4.4.2Die drei Gestalten der Vorsorge Gottes

4.4.3Leben als Geschöpf

4.4.4Das Böse als das Nichtige, die Engel und die Dämonen

4.5Das Gebot der Freiheit

4.5.1Allgemeine und spezielle Ethik

4.5.2Freiheit für den Willen Gottes

4.6Zusammenfassende und zuspitzende Thesen

5.Versöhnung und Bund

5.1Die Mitte aller christlichen Erkenntnis – Die Erfüllung des Bundes

5.2Die Architektur der Versöhnungslehre

5.3Die Christologie

5.3.1Wahrer Gott – wahrer Mensch

5.3.2Die Selbsterniedrigung Gottes und die Erhöhung des Menschen

5.3.3Er sitzt zur Rechten Gottes

5.4Der Mensch der Sünde

5.4.1Hochmut und Fall

5.4.2Trägheit und Elend

5.4.3Lüge und Verdammnis

5.5Die Soteriologie

5.5.1Rechtfertigung

5.5.2Heiligung

5.5.3Berufung

5.6Der Heilige Geist – Die Grundlegung des christlichen Lebens

5.6.1Die Versammlung der Gemeinde

5.6.2Die Auferbauung der Gemeinde

5.6.3Die Sendung der Gemeinde

5.7Das Gebot des Versöhners – Taufe, Vaterunser und Abendmahl

5.8Zusammenfassende und zuspitzende Thesen

V.Aspekte der Wirkungsgeschichte

1.Ein Überblick

2.Die Krise und die Theologie

3.Die Königsherrschaft Jesu Christi

4.Gottes Heilsplan und die Unordnung der Welt

5.Glauben und Verstehen

6.Die Realisierung der Freiheit

7.Kirche und Israel

8.„Resident Aliens“ – Ansässige Fremdlinge

Ausgewählte Literatur

1.Publikationen von Karl Barth

2.Quellen

3.Weitere Literatur

4.Internetquellen

Namensregister

Vorwort

„In der Kirche gibt es keine Vergangenheit,

darum auch nicht in der Theologie.“1

Die letzten hundert Jahre der Theologiegeschichte lassen sich ohne eine eingehende Wahrnehmung von Karl Barth (1886–1968) nicht angemessen verstehen. Seit seinem Vortrag „Der Christ in der Gesellschaft“ 1919 in Tambach (Thüringen) zog er den Fokus der theologischen Aufmerksamkeit auf sich. Es hat keine fünf Jahre benötigt, bis Barth, der inzwischen auf einer Stiftungsprofessur außerordentlicher Professor in Göttingen geworden war, im Bereich von Theologie und Kirche so ziemlich in aller Munde war. Seitdem befindet sich der theologische Diskurs nicht nur in der systematischen Theologie, wenn nicht in einer direkten, so doch in einer indirekten Auseinandersetzung mit Karl Barth. Gewiss kann man sich gegen ihn stellen und ihm auf der ganzen Linie widersprechen, aber wenn man auf der Höhe der Zeit sein will, wird es kaum möglich sein, seine Theologie einfach zu ignorieren. Deshalb ist es in jedem Falle geboten, eine möglichst ausgewiesene Vorstellung von den Motiven und Anliegen dieser Theologie zu haben. Darum geht es in diesem Buch.

Zur Präsentation eines so umfänglichen und auch höchst unterschiedlich wahrgenommenen Werkes wie das von Barth können verschiedene Formen der Annäherung und Darstellung gewählt werden. Für das vorliegende Buch wurde ein Mittelweg zwischen elementaren Grundinformationen und gelehrter Gesamtdarstellung eingeschlagen. Letztere wäre verfrüht und für den Rahmen eines Studienbuches zu ambitioniert. Erstere bliebe andererseits hinter den Ansprüchen eines soliden Studienbuches zurück, weil sie nicht tatsächlich dazu in der Lage sein kann, der Vielschichtigkeit der Theologie Barths gerecht zu werden, die sie erst zu dem macht, was sie ist. Es gibt eine Form der Unterschreitung ihrer Komplexität, die zwangsläufig dazu führt, dass die Pointen dieser Theologie von der für sie charakteristischen Bewegung isoliert werden. Damit wird sie aber genau um das Moment gebracht, dem Barth in immer neuen Anläufen den nötigen Nachdruck zu verleihen versuchte, weil nur so über die überkommenen Gewohnheiten der Theologie hinauszukommen ist.

Das Regulativ seiner Theologie besteht vor allem in einer Verhältnisbestimmung der Theologin bzw. des Theologen zu der Besonderheit des sie interessierenden und engagierenden lebendigen Gegenstandes. An all den verschiedenen Orten, die von der Theologie in Betracht gezogen werden, ist diese Verhältnisbestimmung immer wieder neu und durchaus auch jeweils anders wahrzunehmen, wenn das, was Theologinnen und Theologen ihrer Profession nach zu sagen aufgefordert sind, in der angemessenen Verantwortlichkeit zur Sprache gebracht werden soll. Barth wollte seine Leserinnen und Leser entschieden weniger von den Resultaten seiner theologischen Einlassungen überzeugen als vielmehr von der bestimmten Gestalt einer theologischen Existenz, in der er zu seinen Gedanken gefunden hat und in der schließlich auch jede und jeder zu den je neu zu formulierenden theologischen Gedanken finden muss, die es je heute zu sagen gilt. Wenn man so will, geht es um die Einübung einer bestimmten Blickrichtung, die dann auch dazu befähigen soll, selbst zu entscheiden, ob und wie weit es möglich ist, Barth auch in seinen Resultaten zu folgen, oder ob eine überzeugendere Perspektive ins Auge zu fassen ist, die dann ebenso zur Diskussion gestellt werden kann, wie es Barth mit der seinigen getan hat. Barth wünscht sich grundsätzlich freie Leserinnen und Leser, die leidenschaftlich und engagiert Theologie treiben.

Es sind bei Barth stets mehrere Fäden, die miteinander verwoben werden und somit auch jeweils zusammen beachtet werden wollen. Zum Verständnis kommt es entscheidend darauf an, die damit verbundene spezifische Dynamik in den Blick zu bekommen. Erst wenn die Hintergründigkeit der vordergründigen Einfachheit seiner Theologie mit in den Blick kommt, kann damit gerechnet werden, dass es tatsächlich Barth ist, von dem da die Rede ist und eben nicht nur eine theologiegeschichtliche Schublade, in der wir lediglich ein neues Arrangement der ansonsten bekannten, weil üblichen Bestandteile der überkommenen Theologie wiederfinden. Möglicherweise besteht die Hauptschwierigkeit, Barth angemessen zu verstehen, darin, dass er weit verständlicher daherkommt, als er es tatsächlich ist. Das würde auch erklären, warum er immer wieder missverstanden und karikiert wird.

Und dies kann genauso gut zugleich auch anders herum gesagt werden: Barths Theologie erscheint so überaus hintergründig und kompliziert, weil das im Grunde einigermaßen Einfache, was seine Theologie ausmacht, nicht mehr recht in die neuzeitliche theologische Landschaft zu passen scheint, so dass es entweder als vorneuzeitlich oder sogar als naiv im Sinne von distanzlos unkritisch verstanden werden kann. Das im Grunde recht Einfache seiner Theologie, das aber eben in der Theologie in dieser Ausdrücklichkeit keineswegs eine allgemeine Selbstverständliche ist, besteht darin, dass sie von vornherein ein lebendiges Einverständnis mit dem christlichen Glaubensbekenntnis voraussetzt: Theologie gibt es allein um des Glaubens an Jesus Christus willen, und in der Theologie wird nach einem angemessenen Verstehen dieses Glaubens gefragt. Sie hat nicht die Aufgabe, diesen Glauben zu begründen, ihn anzubahnen, für ihn zu werben oder ihn zu verteidigen. Damit wäre sie heillos überfordert. Wohl aber soll sie sich auf die ihm eignende Erschließungskraft und die mit ihr verbundenen Verstehenshorizonte konzentrieren und dabei nach einem ebenso ausgewiesenen wie belastbaren Verstehen fragen, dass sich kritisch über den Glauben Rechenschaft abzulegen versucht. Als diese Rechenschaft ist Theologie von Belang für die Gemeinschaft der Glaubenden, d. h. für die christliche Gemeinde bzw. die Kirche. Indem theologisches Nachdenken von Belang sein muss und will, ist es auf Nachvollziehbarkeit hin angelegt, d. h. es hat einen benennbaren Entdeckungshorizont und vollzieht sich in einem argumentativ nachvollziehbaren Begründungshorizont. Das ist es, was die Theologie zur Wissenschaft macht, dass sie sich um ein begründetes und auf Nachvollziehbarkeit hin angelegtes Verstehen des christlichen Glaubens als ihres Gegenstandes bemüht. Die Besonderheit ihres Gegenstandes besteht allerdings darin, dass seine Relevanz nicht von dem Resultat seiner kritischen Überprüfung abhängt, sondern allem Verstehen immer schon vorausläuft. – Hier zeigt sich bereits, dass es bei Barth unversehens voraussetzungsvoll und verwickelt wird, selbst dann, wenn nur versucht wird, die im Grunde ganz einfache Grundvoraussetzung seiner Theologie zu benennen. Dabei kann nicht einmal wirklich ausgemacht werden, ob Barth uns diese Schwierigkeiten bereitet oder ob wir es nicht eher selbst sind, die sich so schwertun. Die weitere Vertiefung sei den späteren Ausführungen überlassen.

Schließlich sollte noch ein weiterer Aspekt bereits hier angedeutet werden. Genau genommen geht es in der Theologie nicht allein um den Denkbedarf der Gemeinde bzw. der Kirche, sondern um eine bedachte und sich neu vergewissernde Orientierung der fundamentalen Beziehung, in der sie sich immer schon befindet. Die biblisch-theologische Referenz für diese dynamisch lebendige Beziehungswirklichkeit ist für Barth der Bund, der, von Gott initiiert, den Raum bezeichnet, in dem der Mensch als Partner Gottes seine Freiheit leben kann. Gott erweist sich als der Gott, der unser Gott sein will, und der Mensch ist dazu konstituiert, gemeinschaftlich in Beziehung zu ihm zu leben. Damit kommen wir zu der entscheidenden erkenntnistheoretischen Voraussetzung seiner Theologie: Gott wird nur in der unserer Wahrnehmung vorauslaufenden und sie überhaupt erst ermöglichenden Beziehung zum Menschen erkannt, so wie sich auch der Mensch erst dann recht verstehen kann, wenn er von dieser Beziehung Gottes zu ihm aus betrachtet wird. In diesem Sinne ist die Theologie gerade nicht nur Gotteserkenntnis, sondern es ist der bereits von Gott erkannte und darin Gott erkennende Mensch, den die Theologie in den Blick nimmt, um sich je aktuelle Rechenschaft über das wahrzunehmende Verhältnis Gottes zum Menschen abzulegen. Es macht grundsätzlich keinen Sinn, Gott an und für sich betrachten zu wollen. Nach Barth vollzieht sich Theologie im Horizont der Aktualität des von Gott gestifteten Bundes, in dem zu leben die Bestimmung des Menschen ist, so dass es danach zu fragen gilt, was es mit diesem Bund auf sich hat. Indem für Barth dieses Beziehungsverhältnis des Bundes das eigentliche Drama ist, dem die Theologie zu folgen hat, wird der Bund zu der für Barth charakteristischen Dimension seiner Theologie, die sie in allen ihren Teilen durchzieht. Daher gibt es in diesem Buch auch kein besonderes Kapitel zum Bundesverständnis bei Barth, sondern die Verbindung zu dem fundamentalen Bundesverhältnis begleitet uns durch die ganze Darstellung hindurch.

 

Damit sind wir bei den Regieanweisungen. Barth ist kein theologischer Schnellimbiss für Sofortverwerter, ebenso wenig ein vielgängiges Gourmetmenu für ästhetisch sensibilisierte Häppchengenießer. Ohne eine gewisse Geduld und eine interessierte Neugier mit einem konzentrierten Stehvermögen werden sich die Einlassungen Barths nicht recht erschließen. In ermäßigter Form gilt das auch für dieses Studienbuch, das um der erforderlichen Differenziertheit willen seinen Leserinnen und Lesern immer wieder auch kompliziertere Zusammenhänge zumutet, die sich nur mit Substanzverlust vereinfachen ließen. Die Grundlinie sollte sich allerdings auch erschließen, wenn sich nicht jede Einzelheit auftut.

Auch wird man sich von vornherein von der Vorstellung verabschieden müssen, hier eine neutrale, gleichsam objektive Barthdarstellung präsentiert zu bekommen. Diese kann es ebenso wenig geben wie eine neutrale und objektive Darstellung Luthers oder Calvins. In jedem Fall kann es immer nur um einen möglichst gut ausgewiesenen Blickwinkel gehen, der grundsätzlich andere Blickwinkel nicht ausschließt. Zudem soll ausdrücklich darauf hinzuwiesen werden, dass auch im Blick auf Barth ebenso wie auf Luther und Calvin Vollständigkeit kein realistisches Ideal sein kann; das gilt ebenso für die Fülle des vorliegenden Werkes als auch den nicht mehr übersehbaren Umfang der Sekundärliteratur. Für beide Bereiche bleibt ein gewisses Maß an Zufälligkeit einzuräumen, das nicht auf mangelnde Umsicht, sondern allein auf die Endlichkeit der Ressourcen zurückzuführen ist, die für die Erarbeitung eines solchen Buches mobilisiert werden können.

Gelegentlich kommt es zu Wiederholungen, die vor allem der Intention geschuldet sind, die einzelnen Kapitel je für sich verständlich zu halten. So lässt es sich beispielsweise nicht vermeiden, dass es in der Betrachtung der Biographie Barths (vgl. Kap. II) Begebenheiten zu berichten gibt, die auch im Blick auf seine Wirkungsgeschichte (vgl. Kap. V) bedeutsam sind. In solchen Fällen waren um der Lesbarkeit des jeweiligen Kapitels willen Doppelungen in einem begrenzten Maße hinzunehmen, aber auch im Blick auf systematische Fundamentalentscheidungen Barths, die eben auch bei Barth selbst in unterschiedlichen Zusammenhängen erneut angesprochen werden.

Schließlich gilt es, einen ganz besonderen Dank auszusprechen an Brigitte Schroven und Hartmut Lenhard, die sich einigermaßen kurzfristig der entsagungsvollen Mühe unterzogen haben, das umfangreiche Manuskript durchzusehen. Aus ihrem größeren Abstand zu den Einlassungen in diesem Buch haben sich zahlreiche Anregungen ergeben, die teilweise auch über die nun vorliegende Fassung hinausgehen und weiterwirken werden. Ebenso danke ich für die bereits bewährte professionelle Zusammenarbeit mit dem Verlag, insbesondere Jörg Persch, Elisabeth Hernitscheck und Carla Schmidt. Gewidmet sei dies Buch meiner Frau, Rosemarie Weinrich, die schon seit langem, mit durchaus unterschiedlichen Anmutungen und teilweise mit geduldigen Entsagungen dem offenkundig unerschöpflichen Mysterium Karl Barth Asyl in unserem Leben gewährt.


Paderborn, Quasimodogeniti 2018Michael Weinrich

1Barth, Die Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 3.

I. Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter

Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass Karl Barth wohl der bedeutendste Theologe des 20. Jahrhunderts gewesen ist. Der Grund dafür liegt vor allem in seiner Neuentdeckung der besonderen Aufgabe der Theologie und der von ihm entschlossen vollzogenen kritischen Revision ihrer Tradition in ihrer ganzen Breite. Auch dort, wo Barths Impulse auf Skepsis oder auf unterschiedlich intensive Ablehnung stießen, nötigten sie dazu, die überkommenen theologischen Einsichten und die ihnen zugrunde liegenden methodischen und inhaltlichen Orientierungen kritisch zu sichten und erneut zu begründen. Indem Barth vor allem die liberale Theologie und den Kulturprotestantismus, die beide im 19. Jahrhundert bestimmend wurden, grundsätzlich in Frage stellte und zugleich sehr ambitionierte Anforderungen an eine den Bedingungen des 20. Jahrhunderts gerecht werdende Theologie stellte, war eine selbstverständliche Fortschreibung der herrschenden theologischen Konventionen nicht mehr möglich. Und so ist es vor allem seine Theologie gewesen, die den theologischen Kontroversen vor allem in der protestantischen Theologie direkt oder indirekt eine spezifische Prägung gegeben hat. Kein anderer theologischer Entwurf hat eine vergleichbar herausfordernde Beachtung gefunden.

Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts erweist sich Barths Theologie unter den sich rasant verändernden Umständen und Bedingungen in durchaus neuer Weise als ein keineswegs abgegoltener Entwurf mit teilweise überraschender Aktualität. Dabei hat ihre Wahrnehmung längst konfessionsübergreifenden Charakter gewonnen. Zunächst war es im 20. Jahrhundert die katholische Theologie, die ein bis in die Gegenwart anhaltendes Interesse an seiner Theologie zeigte. Heute kann festgestellt werden, dass sie sowohl in den dogmatischen als auch in den ethischen Auseinandersetzungen weltweit eine ökumenische Bedeutung erlangt hat, die nur sehr wenigen theologischen Entwürfen zuteilwird. Gewiss werden Barths Vorschläge sehr unterschiedlich wahrgenommen, aber es scheint sich eine Art Konsens über die von Barth angeregten theologischen Sensibilisierungen herauszubilden, der nicht zuletzt auf dem ökumenischen Potenzial seiner auf das Wort Gottes ausgerichteten biblisch orientierten Theologie basiert.

Eine ganz andere Frage bleibt, ob die Anliegen Barths immer in angemessener Weise wahrgenommen wurden. Häufig wurden seine Zuspitzungen in der Rezeption verharmlosenden Entschärfungen, teilweise entstellenden Akzentverschiebungen oder sogar eigenwilligen Verdrehungen unterworfen, und zwar nicht nur von denen, die sie skeptisch und ablehnend bewerteten. Das wohlwollende Missverständnis hat dem abweisenden durchaus nichts voraus. Die Auseinandersetzung darüber hält bis heute an. Bei theologischen Entwürfen eines solches Formats werden sie wohl auch so lange nicht an ein Ende kommen, solange ihnen noch eine orientierende Bedeutung zugetraut wird, durchaus vergleichbar mit der Diskussion so bedeutender Theologen wie Augustin, Thomas von Aquin, Martin Luther oder Johannes Calvin.

Historisch betrachtet hat Barth in eine Zeit hineingesprochen, in der es viele Anzeichen für eine erreichte Grenze bzw. eine einzugestehende fundamentale Krise gegeben hat. Sie betraf das aufklärerische Pathos der Neuzeit und das auf das menschliche Subjekt konzentrierte moralische Selbstbewusstsein des 19. Jahrhunderts, ebenso wie die Theologie, die sich nicht zuletzt in apologetischer Absicht diesem Selbstbewusstsein angepasst hat. Barth war nicht der erste, der diese Grenze im Grunde bereits überschritten sah, sondern er konnte sich u. a. auf Friedrich Nietzsche, Sören Kierkegaard, Franz Overbeck oder Fjodor Dostojewski berufen. Die Repräsentanten der Kirchen standen allerdings vornehmlich den staatstragenden gesellschaftlichen Kreisen nahe. Sie ließen sich in Deutschland beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs beinahe restlos von der nationalistischen allgemeinen Kriegsbegeisterung anstecken, was sich nicht nur in den Waffensegnungen einen demonstrativen Ausdruck verschaffte, sondern auch die Predigten dieser Zeit prägte.1 Barth stand einigermaßen allein da, als er den Ausbruch des Ersten Weltkriegs als das katastrophale Scheitern einer besinnungslos selbstbezogenen Politik und illusionären Kultur anprangerte. Vor allem aber sah er den vorgängigen Weg der Kirche und eben auch der Theologie an ein definitives Ende gekommen. Es war nicht weniger als Gott selbst, der ihnen in ihrem Betrieb verlorengegangen war, ohne dass es noch die Möglichkeit gab, ihn nun einfach wieder an seinen alten Platz zu stellen.

Erst als die Erschütterungen und Abgründe im weiteren Verlauf des Krieges allseits sichtbar wurden, kam es angesichts des bis dahin beispiellosen Gemetzels auf den Schlachtfeldern und des katastrophalen Ausgangs des Krieges zu einer allgemeinen Wahrnehmung dieser Krise. Das bisher weithin geltende geschichtsphilosophische Credo – der idealistische Optimismus einer sich permanent selbst vervollkommnenden Selbstverwirklichung des Menschen – war zumindest zwischenzeitlich bis in seine Wurzeln erschüttert. Damit war nun auch in der Theologie ein Boden dafür bereitet, die bisherigen Symbiosen und Koalitionen in Frage zu stellen. Beinahe alle für verlässlich gehaltenen Orientierungen gerieten ins Wanken, und die prinzipiell skeptisch gestimmte Frage, was in dem, was wir Wirklichkeit nennen, überhaupt noch Verlässlichkeit beanspruchen kann, wurde verbreitet gestellt – in der Philosophie ebenso wie in der Theologie, aber auch in der Literatur, im Theater, in der Musik und der Kunst. Der Ausgang des Ersten Weltkrieges evozierte beinahe überall ein tief empfundenes Krisenbewusstsein, das – auch wenn es sich im Laufe der Jahre erstaunlich bald wieder weitgehend verflüchtigte – für das Verständnis des 20. Jahrhunderts insgesamt zumindest als Narbe bedeutsam bleibt.

Unbeschadet von Barths besonderer Wahrnehmung dieser Krise bildete dieses epochale Krisenbewusstsein den allgemeinen Resonanzboden für seine theologischen Interventionen, sowohl für seine Diagnose und Zustandsbeschreibung der Katastrophe als auch für seine radikale theologische Deutung. Es war dieser Resonanzboden, der zunächst einen nicht unerheblichen Teil seines enormen Erfolgs ausmachte, und zugleich ist er auch einer der Gründe für die zahlreichen Missverständnisse und problematischen Aneignungen, denen seine Theologie von Anfang an ausgesetzt gewesen ist. Einerseits eignete diesem Resonanzboden eine ungewöhnliche Reichweite und andererseits war er von einer unbeschreiblichen Diffusität geprägt, die es zwar ermöglichte, dass er von recht unterschiedlichen Seiten aus betreten werden konnte, aber zugleich verhinderte, dass sich ein klares Profil der Krise identifizieren ließ. Barth hat später selbst diese Situation im Blick auf die verbreitete Wahrnehmung seiner Interventionen als durchaus ambivalent bewertet (vgl. Kap. V.2).

Barths eigener Zugang war von vornherein ein entschlossen theologischer, auch wenn für ihn stets die historischen Umstände, unter denen sich etwas ereignete, von großem Interesse waren. Als Theologe empfand er es beim Ausbruch des Krieges als einen Skandal, in welcher Weise da Gott in das blindwütige Treiben hineingezogen wurde, so als lasse er sich für jede Schandtat in Anspruch nehmen, um sich das jeweilige Ansinnen von ihm absegnen lassen. Es könne nicht sein, dass sich mit Gott alles rechtfertigen lasse. Wenn es sich bei Gott nicht nur um einen Spuk handeln soll, könne es dem Menschen nicht einfach freigestellt sein, wie von ihm zu reden ist und in welcher Weise er jeweils in dem konkreten Zeitgeschehen in den Blick genommen wird. Und so könne es der Theologie auch nicht freigestellt sein, von wo aus sie die Welt betrachtet und in welcher Weise die Beziehung Gottes zum Menschen angemessen zur Sprache gebracht wird. Wenn sie eine sinnvolle Unternehmung sein soll, muss es für die Theologie eine verbindliche Orientierung geben, an der sich ihre Gottesrede und dann eben auch ihre Wirklichkeitsbetrachtung messen lassen müssen. Es kann nicht einfach eine Frage ihres freien Ermessens sein, von wo aus sie sich in den Verlegenheiten, in die sich der Mensch durch die Krise versetzt sieht, eine Orientierung erhofft. Allein, es bleibt die Frage, wie sie sich darin vergewissern kann, dass sie in der richtigen Richtung nach Orientierung Ausschau hält?

Es gehört zu dem besonderen Charakter seiner Intervention, dass Barth, wenn es um Gott geht, dem Menschen die Möglichkeit bestreitet, von sich aus auch nur in die richtige Richtung blicken zu können. Gott ist kein Gegenstand, auf den die menschliche Erkenntnis früher oder später durch eigene Anstrengungen geführt werden könnte. Und so ist die Theologie alles andere als eine selbstverständliche oder auch nur naheliegende Möglichkeit des Menschen. Wenn schon sonst gilt, dass alle Orientierungen, die sich der Mensch selbst zu geben vermag, unablässig auch wieder in Zweifel gezogen werden, wie viel mehr hat dies in der Theologie zu gelten, deren Gegenstand ihr noch viel weniger zur Verfügung steht als alle anderen Gegenstände menschlicher Erkenntnis! Es ist gerade nicht so, dass da, wo die menschliche Erkenntnis unweigerlich an ihre Grenze stößt, nun Gott in die Bresche springt. Ganz im Gegenteil kommt mit Gott eine per se weit grundsätzlichere Infragestellung unserer Erkenntnis auf den Plan, die sich auch nicht durch die Theologie auffangen lässt. Die Krise, die Barth vor Augen hatte, bietet von sich aus keinen Ausgang an, den der Mensch nun einfach aufsuchen könnte (vgl. Kap. II.3).

Barth hat aber der Theologie nicht nur ihre Zeit bestritten, sondern auch ihren Ort, denn sie könne längst nicht mehr beanspruchen, von allgemeinem Interesse zu sein. Und je mehr sie diesem faktisch annullierten Anschein dennoch hinterherzulaufen versuche, umso mehr werde sie auch den Rest an Interesse verspielen, der ihr noch von der Seite zukommt, die sich noch der christlichen Tradition verbunden weiß. Ihr Ort ist nicht einfach der Areopag (Apg 17), der allgemeine Marktplatz der Weltanschauungen, auf dem sie vor einer diffusen Öffentlichkeit einem unbekannten Gott ein Gesicht zu geben versucht, sondern sie hat ihren Ort zunächst und eben auch prägend in der Kirche, die sich mit ihrem Bekenntnis auf den in der christlichen Tradition vorausgesetzten Gott beruft. Der besondere Denkbedarf der Theologie entsteht darin, dass es in der Kirche nicht beliebig sein kann, in welcher Weise sie von Gott spricht. Es ist nicht das allgemeine Gegenwartsbewusstsein, an das sich Barth wendet, sondern er bescheidet sich auf den besonderen Horizont, für den erklärtermaßen die Rede von Gott nach christlichem Verständnis von vornherein eine existenzielle Dimension hat. Das ist die Kirche, und es gilt, vor allem die Kirche selbst daran zu erinnern. Diese Konzentration auf die Kirche und ihre Verkündigung zeigt an, dass es Barth nicht um einen allgemein zu führenden Diskurs etwa über die Sinnhaftigkeit der Gottesfrage oder gar um eine Bekämpfung des Atheismus geht. Nebenbei gesagt war ihm der Atheismus zeitlebens in vieler Hinsicht deutlich weniger suspekt als die vorfindliche Theologie und die Kirche mit ihrem überaus nachlässigen, weil im Grunde unernsten Umgang mit der Wirklichkeit Gottes. Stattdessen hat Barth die in der Gemeinde bzw. der Kirche immer wieder neu zu stellende Frage nach den Bedingungen und Konsequenzen einer angemessenen Rede von Gott aufgeworfen, die seiner lebendigen Selbsterschließung und nicht nur unseren Phantasien und Wünschen gerecht wird.