Zen in der Kunst des Coachings

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Zen in der Kunst des Coachings
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Die Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«

Die Bücher der petrolfarbenen Reihe Beratung, Coaching, Supervision haben etwas gemeinsam: Sie beschreiben das weite Feld des »Counselling«. Sie fokussieren zwar unterschiedliche Kontexte – lebensweltliche wie arbeitsweltliche –, deren Trennung uns aber z. B. bei dem Begriff »Work-Life-Balance« schon irritieren muss. Es gibt gemeinsame Haltungen, Prinzipien und Grundlagen, Theorien und Modelle, ähnliche Interventionen und Methoden – und eben unterschiedliche Kontexte, Aufträge und Ziele. Der Sinn dieser Reihe besteht darin, innovative bis irritierende Schriften zu veröffentlichen: neue oder vertiefende Modelle von – teils internationalen – erfahrenen Autoren, aber auch von Erstautoren.

In den Kontexten von Beratung, Coaching und auch Supervision hat sich der systemische Ansatz inzwischen durchgesetzt. Drei Viertel der Weiterbildungen haben eine systemische Orientierung. Zum Dogma darf der Ansatz nicht werden. Die Reihe verfolgt deshalb eine systemisch-integrative Profilierung von Beratung, Coaching und Supervision: Humanistische Grundhaltungen (z. B. eine klare Werte-, Gefühls- und Beziehungsorientierung), analytisch-tiefenpsychologisches Verstehen (das z. B. der Bedeutung unserer Kindheit sowie der Bewusstheit von Übertragungen und Gegenübertragungen im Hier und Jetzt Rechnung trägt) wie auch die »dritte Welle« des verhaltenstherapeutischen Konzeptes (mit Stichworten wie Achtsamkeit, Akzeptanz, Metakognition und Schemata) sollen in den systemischen Ansatz integriert werden.

Wenn Counselling in der Gesellschaft etabliert werden soll, bedarf es dreierlei: der Emanzipierung von Therapie(-Schulen), der Beschreibung von konkreten Kompetenzen der Profession und der Erarbeitung von Qualitätsstandards. Psychosoziale Beratung muss in das Gesundheits- und Bildungssystem integriert werden. Vom Arbeitgeber finanziertes Coaching muss ebenso wie Team- und Fallsupervisionen zum Arbeitnehmerrecht werden (wie Urlaub und Krankengeld). Das ist die Vision – und die politische Seite dieser Reihe.

Wie Counselling die Zufriedenheit vergrößern kann, das steht in diesen Büchern; das heißt, die Bücher werden praxistauglich und praxisrelevant sein. Im Sinne der systemischen Grundhaltung des Nicht-Wissens bzw. des Nicht-Besserwissens sind sie nur zum Teil »Beratungsratgeber«. Sie sind hilfreich für die Selbstreflexion, und sie helfen Beratern, Coachs und Supervisoren dabei, hilfreich zu sein. Und nicht zuletzt laden sie alle Counsellors zum Dialog und zum Experimentieren ein.

Dr. Dirk Rohr

Herausgeber der Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«

Michael Rautenberg

Zen in der Kunst des Coachings

Mit einem Vorwort von Wolfgang Looss und

Illustrationen von Marie Hübner

2020


Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Beratung, Coaching, Supervision«

hrsg. von Dirk Rohr

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlagmotiv: Nimy Wang

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Illustrationen: Marie Hübner

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2020

ISBN 978-3-8497-0354-7 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8246-7 (ePUB)

© 2020 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

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Tel. + 49 6221 6438 - 0 · Fax + 49 6221 6438 - 22

info@carl-auer.de

Inhalt

Vorwort

Vorbemerkung

1Einführung

Wie peinlich! – Schopenhauer als Retter aus der Not

Es begann vor 30 Jahren

Coaching macht (nicht immer) Spaß

»Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt«

Vorschau: Beratermut ist Demut

2Der innere Zusammenhang zwischen Zen und Systemtheorie

Zen ist praktisches Haltungstraining

Unsere Haltung macht den Unterschied

VUCA makes the world go round

Autopoiesis des Bewusstseins

Die Ich-Identität als Sackgasse der persönlichen Entwicklung

Stell dir vor: Du bist authentisch, und keiner merkt es

Das Entscheiden des Entscheiders: Manager sind Metaphysiker

Lösungen sind da, wenn sich etwas gelöst hat

Dahinter steckt eine strategische Haltung

Lass bloß los!

Unmittelbarkeit: Sisyphus, der Bergarbeiter im Jetzt

Das Absurde und das Jetzt

Tugend der Gedankenlosigkeit

Ruhe des Geistes

Des Beobachters Verantwortung

Die radikale Subjektivität allen Erkennens

Einheit und Differenz

3Beziehung und Dialog

Das grundlegend Dialogische in der Beziehungsgestaltung spielt sich zwischen Polaritäten ab

Nähe und Distanz

Augenblick und Dauer

Verschiedenheit und Gleichheit

 

Befriedigung und Versagen

Stimulierung und Stabilisierung

Der Dialog und das dialogische Prinzip

Der systemisch-konstruktivistische Charakter des dialogischen Prinzips

4Zwischenfazit: No guru, no method, no teacher

5Eine etwas andere Coachingwelt

Kultivierungshilfe leisten

Das Bewusstsein als Wahrgeber unseres Seins anerkennen

Autotelisch praktizieren

Berührungsqualität zulassen und »Zwischen« entfalten

Achtsamkeit üben und präsent werden

Den historischen Moment in der Präsenz ergreifen

Spiel ermöglichen, in Bewegung kommen und Beweglichkeit steigern

Lateral schauen

Der Stille Raum geben

Der Situation ihren Willen lassen

Dem Klienten einen gelegentlichen Stockschlag versetzen

Die Lösung sich ergeben lassen

Sprache bewusst und sorgsam gestalten

Schrittfolge des Vorgehens im »Zen-Coaching«

1. Schritt: Sich sammeln und logopsychosomatische Balance herstellen

2. Schritt: Den Klienten zu sich kommen lassen und Augenhöhe herstellen

3. Schritt: Tiefenkontakt herstellen und in den Dialog kommen

4. Schritt: Mit allen Sinnen breitbandig wahrnehmen und Lateralität praktizieren

5. Schritt: Der Situation ihren Willen und Interventionen geschehen lassen

6. Schritt: Wirkungen überprüfen und verankern

7. Schritt: Ausstieg und Abschied

Jetzt ist Schluss!

Literatur

Über den Autor

Vorwort

Es gibt wohl kaum ein deutlicheres Anzeichen für den fortgeschrittenen Reifegrad eines Handlungsfeldes oder Wissensgebietes als das Erscheinen von Büchern wie das vorliegende. Wenn Fachautoren sich in ihrer eigenen Praxis so weit entwickelt haben, dass Sie konzeptionelle Grenzen leichtfüßig überwinden, unangestrengt und elegant Metaperspektiven auf das professionelle Handeln entwickeln und damit im besten Sinne integrierend wirken, dann wissen wir: Die mit der Arbeitsform »Coaching« verbundene Innovation von einst ist längst im Praxisalltag angekommen. Und ungeachtet aller Einmaligkeit jedes Beratungsfalles: Wir haben als reflektierende Praktiker inzwischen in unseren Konzepten auch einige handwerkliche Routinen, sie ermöglichen die Weitergabe von ersten Kompetenzen und erleichtern den beraterischen Alltag. Und auch die Phase bausteinhaften Proklamierens immer neuer methodischer Varianten und Werkzeuge in der beraterischen Fachliteratur geht langsam dem Ende entgegen, jetzt offenbar auch im Arbeitsfeld Coaching. Die professionelle Praxis ist nicht nur erwachsen, sondern zeigt Anzeichen von Reife, sonst könnte ein solches Buch nicht geschrieben worden sein.

Dass ein Buch mit diesem Titel und ohne jedes esoterische G’schmäckle erscheint, das lässt doch hoffen: Nun können wir uns als arrivierte professional community qualitativ neuen Fragen unseres Handelns zuwenden. Fragen, die sich viel stärker um das Kontextuelle und die Rahmung drehen, weniger um lehrbare Praktiken des Intervenierens. Damit ist neue Relevanz in Sicht, der professionelle Blick wird deutlich ausgeweitet. So viel grundlegend Operatives ist inzwischen erarbeitet und vielfältig dargestellt, jetzt geht es eher um das Einordnen, Vergleichen, Abstimmen, um die Suche nach Entsprechungen und Kontrasten. Die Flughöhe unserer Beobachtung nimmt zu, wir sehen das Gelände und nicht mehr die Grashalme der Wiese. »Endlich!«, könnte man ausrufen.

Dabei dürfte dieses Buch bei Anfängern im Arbeitsfeld Coaching durchaus ambivalente Reaktionen hervorrufen, also seien sie schon mal etwas gewarnt: Hier schreibt ein Könner seines Faches. Es werden spielerisch und im schnellen Wechsel verschiedene Ebenen beraterischen Vorgehens angesprochen, der Verfasser jongliert gekonnt mit diversen konzeptionellen Zugängen und methodischen Mustern. Es wird also durchaus auch einiges vorausgesetzt, man lasse sich durch die illustrativen Beispiele und Fallvignetten nicht täuschen, inhaltlich wird hier Vollkornkost gereicht. Solche Opulenz muss nicht verschrecken. Wer sich selbst als professionell jung und lernend versteht, sich aber hinreichend intensiv für dieses faszinierende Arbeitsfeld mit dem – etwas unglücklichen – Namen »Coaching« interessiert, wird gerne und gelassen akzeptieren, bei der Lektüre gelegentlich auch überfordert zu sein. Nur Mut, den Ulysses von James Joyce liest man ja auch nicht mal eben so durch. Und vielleicht macht es Sinn, erst mal mit Einführungsliteratur einzusteigen, sie ist reichlich und erprobt vorhanden.

Wer hingegen schon einigermaßen in unserem beraterischen Zirkus zu Hause ist, wer seinen Luhmann und Buber etwas kennt, von Aurobindo und Pirsig schon mal was gehört hat, der wird beim Lesen sicherlich Freude haben. Spaß an gedanklichen Abenteuern beim Tanz durch Psychologie, Philosophie, Literatur und Transzendenz sei unterstellt. Auf erfahrene Praktikerinnen warten allerlei Aha-Erfahrungen, beglückende Einsichten im Sinne »einer Sicht« auf Verstreutes, auch wohl ein wiedererkennendes Lächeln bei den kleinen Fallgeschichten. Und am Ende keimt beim Lesen sogar die Hoffnung, dass aus all den Mühen beim ungewohnten Querschnittsblick irgendwann sogar eine handlungsleitende Theorie der Beratung hervorgehen könnte.

Selbstredend wünsche ich dem Buch eine breite Rezeption auch und gerade bei den arrivierten Praktikern unserer Professionswelt. Und dass es andere zu ähnlichen originellen Gesamtschauen ermutigen möge, damit unser fachlicher Diskurs wieder etwas saftiger wird. Die Ereignisse entlang der Corona-Krise zeigen, dass wir künftig substanzreiche Orientierungsproduktion werden betreiben müssen.

Wolfgang Looss Darmstadt, im März 2020

Vorbemerkung

Kennen Sie den Film Twelve Angry Men (dt.: Die zwölf Geschworenen) von Sidney Lumet? Falls nicht, bitte anschauen! Es ist ein brillantes, äußerst lehrreiches Kammerspiel aus dem Schwarz-Weiß-Kino der 1950er-Jahre. Der Plot ist schnell erzählt. Am Ende eines Gerichtsverfahrens versammeln sich die Geschworenen, um über Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu befinden. Die Jury besteht aus zwölf weißen Männern, die sich in den besten Jahren befinden. Der Angeklagte ist ein junger Puerto Ricaner und wird beschuldigt, seinen Vater mit einem Messer erstochen zu haben. Ein Schuldspruch müsste einstimmig erfolgen, denn im Falle eines Schuldspruchs droht dem Delinquenten der elektrische Stuhl. Der Film handelt fast ausschließlich von der nun beginnenden Verhandlung der Geschworenen. Kaum haben alle Geschworenen ihren Platz eingenommen, wird ohne große Beratung deutlich, dass sie sich einig zu sein scheinen. Und schon schlägt der Vorsitzende vor abzustimmen. Die schlichte Dramaturgie der Stimmzettelauszählung ist der erste Höhepunkt der Geschichte. Das Ergebnis lautet elf zu eins für »schuldig«. Und nun entwickelt sich eine Kommunikation unter den Jurymitgliedern, die allen Gruppendynamikern das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Der kollektive Druck führt schließlich dazu, dass der Abweichler sich outet und das Argument ins Feld führt, begründete Zweifel zu haben. Nun kann der Zuschauer beobachten, was es bedeutet, Zivilcourage zu praktizieren. Die Rolle des tapferen Zweiflers wird von Henry Fonda nach allen Regeln der Schauspielkunst ausgefüllt. Er drängt sich nicht in den Vordergrund und trägt seine Gedanken ruhig, ja beinahe demütig vor, indem er sie nicht im Gestus des Wissenden formuliert. Nach und nach gelingt es ihm, weitere Geschworene dazu zu bewegen, den Fall und seine Umstände zu explorieren. Eher Introvertierte trauen sich, eigene Gedanken zu artikulieren. Nun bekommen auch Ideen ihren Anwalt, die weitere Zweifel an der Schuld des Angeklagten entstehen lassen und vorher nicht kommuniziert wurden. Der Zuschauer erlebt, wie auch »Hardliner« immer weicher in ihrer Einschätzung werden. Es entsteht eine Atmosphäre, in der schließlich Selbstreflexion und Selbstoffenbarungen der Geschworenen deutlich machen, mit welchen Vorurteilen oder sonstigen Verständigungs-»Killern« sie ursprünglich in die Beratung gegangen waren.

Gruppendynamik und Tiefenpsychologie erzeugen die Spannung der Geschichte, aber es ist etwas anderes, das die subtile Bewegung der Geschworenenkommunikation in ein zunehmend konstruktives Miteinander bewirkt. Dieses Element tritt immer dann in Erscheinung, wenn in der Interaktion eine echte Zuwendung stattfindet, wenn davon ausgegangen wird, dass der andere recht haben könnte, wenn respektvoll auf Augenhöhe kommuniziert wird, wenn exploriert statt geurteilt wird, wenn aufmerksam zugehört wird, wenn Vorurteile ihren Tatsachenstatus verlieren und wenn selbstreflexive Selbstoffenbarungen in Erscheinung treten. Dies sind lauter Verhaltensweisen, die einen dialogischen Charakter haben. Sie haben in Twelve Angry Men bewirkt, dass aus einer regelrecht gewaltvollen Kommunikation ein Miteinander entstehen konnte, in welchem immer mehr so etwas wie ein Dialog stattfinden konnte. Eine Gruppe von weißen Männern, die in ihrer Rolle als Geschworene zusammengekommen waren, gehen am Ende des Films als Menschen auseinander, die sich nähergekommen sind, deren Bewusstsein sich verändert hat und die alle eine neue Perspektive auf ihr Leben gewonnen haben. Dadurch, dass die Geschworenen einen dialogischen Weg eingeschlagen haben, hat sich, fast nebenbei, mit dem Freispruch des jungen Puerto Ricaners ein gerechtes Urteil ergeben.

Mit Zen in der Kunst des Coachings erfülle ich mir den seit einigen Jahren gehegten Wunsch, dem reichen Spektrum an Möglichkeiten, wie man Coaching auffasst und mit welcher Haltung man die Profession des Beraters ausübt, eine Facette ganz eigenen Charakters hinzuzufügen. Das Besondere an dieser Facette entsteht dadurch, dass ich die dialogische Philosophie mit der Systemtheorie neuerer Ausprägung und damit auch mit der Erkenntnistheorie des Konstruktivismus gedanklich zusammenführe und das Ganze zur Philosophie des Zen in Beziehung setze. Damit entsteht ein Ansatz, der nicht in erster Linie psychologisch bzw. psychotherapeutisch begründet ist. Denn das kann man wohl guten Gewissens über die etablierten Coachingkonzepte im Großen und Ganzen sagen: Sie wurzeln, sicher aus gutem Grund, in bewährten psychotherapeutischen Schulen.1 Tiefenpsychologische Ansätze haben zum Beispiel die Arbeit mit Glaubenssätzen inspiriert oder, durch C. G. Jungs Archetypenforschung, die Entwicklung von Persönlichkeitsmodellen und entsprechenden Verfahren, die im Coaching sehr beliebt sind, gefördert. Aus den humanistischen Psychotherapieformen stammen Modelle, wie zum Beispiel die lange Zeit sehr populäre Transaktionsanalyse oder Begleittechniken wie Rapport, Pacing und Leading. Die systemische Psychologie hat dafür gesorgt, dass zeitgemäße Kommunikations- und Erkenntnistheorien sich immer mehr durchsetzen konnten und darüber hinaus dem Coaching zahllose, inzwischen zum Allgemeingut gehörende Interventionen beschert, wie zum Beispiel das zirkuläre Fragen, die Appreciative Inquiry oder die Wunderfrage. Verhaltenspsychologische Ausrichtungen haben das Coaching sehr grundsätzlich mit ihrer pragmatischen Lösungsorientierung durch Klientenverhalten beeinflusst.

 

Konsequent zu Ende gedacht, mündet unser hier vertretener Ansatz in das Abenteuer des Loslassens um einer neuen Qualität des Sicheinlassens willen. Dabei geht es vor allem auch um das Loslassen von Tools und Konzepten zugunsten einer Haltung, die vom Geist des Zen und des Dialogs geprägt ist.2 Damit sollen die bestehenden und bewährten Coachingkonzepte nicht hinterfragt oder gar ersetzt werden. Die hier zusammengefassten Anregungen sind als – hoffentlich interessante – Ergänzung für die Praxis des Coachings im Besonderen, gegebenenfalls auch der Beratung allgemein, zu verstehen. Möglicherweise werden erfahrenere Coachs und Berater eher in der Lage sein, diese Anregungen zu nutzen. Wer über keine substanziellen Coachingerfahrungen verfügt, könnte sich in dem frei improvisierenden Wesen dieses Ansatzes unter Umständen leicht verloren fühlen. Die mir vorschwebenden Möglichkeiten lassen sich in jede seriöse Coachingpraxis integrieren und stehen ihr nicht entgegen. Sie sollen zum Ausprobieren einladen und Freude machen.

Unser Ansatz soll auch ein Ausdruck der Ehrlichkeit uns selbst gegenüber und in der Ausübung unseres Berufes sein. Die moderne Kommunikationstheorie gehört inzwischen zum Standard und damit auch die Erkenntnis, dass gelingende Kommunikation ganz und gar nicht trivial ist. Wie konsequent sind wir denn, diese Erkenntnis auch in unsere Praxis zu übertragen? Wie gut gelingt es uns, im Alltag nicht den verführerischen Mustern des konventionellen Sender-Empfänger-Modells mit seiner Metapher des Informationstransports zu folgen? Wenn wir es als Executive Coachs mit Managern zu tun haben, deren Betätigungs- und Wirkungsfeld eine Organisation ist, stellt sich die Frage nach unserem eigenen Organisationsverständnis. Was unterstellen wir denn in unserer Beratungsarbeit hinsichtlich Konstruktionslogik sowie Wirk- und Funktionsweisen von Organisationen? Es gibt zahlreiche mehr oder weniger plausible Organisationstheorien. Mit welcher oder welchen Theorien arbeiten wir, wenn wir als »Systemiker«, und das ist inzwischen auch Standard, den Kontext des Klienten in das Beratungsgeschehen einbeziehen? Wenn ich diese und andere Fragen aufrichtig beantworte, kommen viele sehr interessante Aspekte zum Vorschein. Besonders auffällig ist die Einsicht, dass unsere Möglichkeiten, beraterisch wirksam zu werden und Erfolge zu erzielen, zunächst einmal ziemlich begrenzt sind. Diese Einsicht nötigt mir Demut ab, eine Haltung, die ich nach vielem Nachdenken jedem Berater und Coach nur wärmstens empfehlen kann.

Im ersten, einführenden Teil des Buches gebe ich zunächst einen Überblick über einige der Quellen, aus denen ich seit vielen Jahren schöpfe und die deshalb eine wesentliche Grundlage für die Entstehung des vorliegenden Ansatzes bilden. In ihm widme ich mich dieser besonderen beratenden Form, die wir »Coaching« nennen. Vor allem liegt mir am Herzen, ihren von Ungewissheit geprägten Charakter aufzuzeigen. Denn daraus leitet sich für mich die bereits erwähnte Demutshaltung ab, die meiner Meinung nach eine beraterische Primärtugend sein sollte. Der zweite Teil dient der Darstellung der Zusammenhänge zwischen Zen und Systemtheorie. Aspekte wie die prinzipielle Nichtkontrollierbarkeit von Umwelt, das Zurückgeworfenwerden auf unser Selbst, die Unmöglichkeit der direkten Einwirkung auf andere, die Bedeutung der Unmittelbarkeit und des Jetzt, die Bedeutung von Unvoreingenommenheit und Verantwortung werden im Kontext des Beratungsgeschehens beleuchtet. Damit möchte ich deutlich machen, dass Systemtheorie und Konstruktivismus sehr gut mit der Philosophie des Zen vereinbar sind und dass wir als Berater aus dem Zen Haltung, Kraft und Inspiration gewinnen können. Im dritten Teil widme ich mich der vertieften Betrachtung von Beziehungsgestaltung und Dialog, weil sie einen Schwerpunkt für Haltung und Handeln des Beraters im Geiste des vorliegenden Ansatzes bilden. Mit einer konzentrierten Betrachtung zehn wesentlicher Konsequenzen aus den bisherigen Überlegungen schließe ich diesen Teil des Buches zusammenfassend ab. Im vierten Teil geht es dann um konkrete Ableitungen und Hinweise für die tägliche Coachingpraxis. Und abschließend biete ich einige Überlegungen an, die über das Feld der Beratung hinausgehen.

Das Buch enthält zahlreiche Fallbeispiele, die nicht dazu dienen sollen, meine beraterischen Heldengeschichten zu verbreiten. Vielmehr möchte ich mit ihnen einzelne Aspekte eines Coachings im Geiste des Dialogs und des Zen illustrieren und damit den Theorie-Praxis-Bezug veranschaulichen. Teilweise handelt es sich um Zufälle und teilweise sogar um Misserfolge. Aber allen Beispielen ist gemeinsam, dass ich aus ihnen lernen konnte und dass sie kleine Mosaiksteine im Gesamtbild des hier dargelegten Ansatzes sind. Ich hoffe, dass sie auch die tiefe, innere Freude vermitteln, die unser Beruf als Berater und Coach für uns bereithält.3

1Einen gut strukturierten Überblick über die psychologischen und psychotherapeutischen Denkschulen, die das Coaching beeinflusst haben, bietet Drath (2012).

2Dirk Rohr kommt in seiner Beratungsforschung auch zu dem Schluss, »nicht eine Methode zu entwickeln und zu beschreiben, sondern ein Menschenbild, eine Philosophie und eine grundlegende Einstellung« (Rohr 2016, S. 69).

3Um der besseren Lesbarkeit willen wird in diesem Buch nur eine Form des grammatischen Geschlechts verwendet, diesenfalls (naheliegenderweise) die männliche. Aber es sind immer die weibliche Form und gegebenenfalls noch diverse Formen mitgemeint.