Lendenfeuer

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Ihre Blicke messen sich, krallen sich fest jeder im Andern, suchen in der glänzenden Iris nach dem, was sie einst geliebt hatten. Doch das Feuer ist erloschen aus ihren Augen – bei ihr der Resignation gewichen und bei ihm der ausdruckslosen Kälte. Adrian kommt es vor, als starrten sie sich schon seit Stunden an, unfähig sich zu lösen aus dem Sog gemeinsamer Erinnerung. Doch jetzt wendet Denise sich ab, dem Ausgang zu, und Adrian erkennt, dass dies Treffen ihrer Augen, ihr gegenseitiges Erkennen und die Sturzflut der Gefühle nur eine Sekunde war. Sie tritt hinaus auf den Platz und in die engen Straßen, in deren Schatten sich die Kühle senkt. Den wiegenden Schritt der Tänzin hat sie noch nicht verloren. Er geht neben ihr her, begierig mehr zu wissen über sie, endlich zu erfahren, warum sie ihn verlassen hatte vor dreissig Jahren, ihn allein gelassen mit den Qualen unerfüllter Liebe und ob sie wenigstens das Glück, von dem sie gemeinsam geträumt in ihren lustvollen Nächten, gefunden habe. Obwohl, gesteht er sich ein, sie nicht aussieht wie eine Frau, deren Leben Erfüllung fand. Und wie er so neben ihr geht, nimmt er überrascht zur Kenntnis, dass die Begierde in ihm wächst, mit ihr zu schlafen. Es ist nicht ihr verwelkender Körper, der ihn anzieht, es ist ein aus dem Dunkel auftauchendes Verlangen nach ihrer Seele, die er in der Vereinigung wieder zu finden hofft.

"Komm, lass uns Essen gehen! Ich lade Dich ein. Ich nehem an, Du kennst ein hübsches Lokal, wo wir ungestört sind, denn ich brenne darauf, zu erfahren, wie es Dir ergangen ist in all den Jahren!"

Denise bleibt stehen und schaut ihn an.

"Du willst wirklich wissen, wie es mir ergangen ist?"

Der bittere Ton, in dem sie diese Frage stellt, überrascht ihn. Sie erscheint ihm nicht ungewöhnlich, seine Frage, eher selbstverständlich.

"Aber sicher! Wir hatten doch eine schöne Zeit zusammen. Für mich ist es, als ob ein Film gerissen wäre, den ich jetzt zusammenfügen möchte."

Denise lächelt nicht, obwohl er ein Lächeln der Zustimmung, des Einverständnisses erwartet hat. Ein Lächeln, das hätte besagen können – jetzt nach dem sich unsere Wege wieder kreuzen, legen wir die Karten auf den Tisch, um zu prüfen, wer die besseren gezogen hat.

"Dann komm zu mir! Ich lade Dich ein. Dann siehst Du, wie es mir ergangen ist!"

Es stellt sich heraus, dass sie kein Auto hat, hinter dem er hätte herfahren können, dass dies auch gar nicht nötig ist, weil sie eine Wohnung hat, mitten in der Altstadt. Adrian von Reusser stellt sich dabei eine Wohnung vor aus der Gründerzeit, mit hohen Decken und Fenstern, Parkettböden in den weiten Räumen und einem breiten Treppenhaus in das farbiges Licht durch die bemalten Fenster fällt. Eine Wohnung nicht unähnlich der seinen, bevor er sie aufgegeben hatte und in die Villa etwas ausserhalb der Stadt gezogen war. Denise führt ihn durch die Lange Straße, an Mc Donald vorbei und an Läden für Kunden mit viel Geld und mit wenig Zeit, biegt rechts ab in die steile, gepflasterte Hirschenstra?e. Sie steigen an einer Buchbinderei vorbei, einem Goldschmiedatelier und einer Boutique für ausgefallene Wünsche. Es ist still in der Gasse. Sie gehen und schweigen und Adrian von Reusser schaut sich um nach den Jugenstilhäusern und kann keine finden. Es sind kleine Rokokohäuser, pitoresk und verbaut, mit Rissen in den Fassaden und Eternitdächern aus der Nachkriegszeit. Vor einer Tür aus Stahlblech bleibt Denise stehen, sucht nach ihrem Schlüssel, öffnet endlich und geht voraus, in das enge Treppenhaus mit den abgetretenen Stufen. Vom Keller her riecht es nach Schimmel und Feuchtigkeit. Und Moder.

Adrian von Reusser ist unangenehm betroffen, als ihm klar wird, dass er in eine einfache Dachwohnung geführt wird. Schon wieder. Wie damals. Und er fragt sich, wie das möglich sei, ein Leben lang zu wirken, als Frau, als Tänzerin , nach Ruhm zu streben nach Wohlstand und Liebe vielleicht um dann endlich doch wieder so zu enden, wie man begonnen hat – mittellos und einsam. An diesem Ende jedoch ohne Illusionen. Er schaut ihr zu, wie sie die Wohnungstür öffnet und ihn hereinbittet, ihre Tasche auf eine kleine Kommode legt. Er schaut sich um, rasch und unauffällig und er weiss in diesem Augenblick, dass sie ihre Seele umsonst geopfert und ihren Körper umsonst geschunden hat.

"Nimm Platz", sagt sie und deutet dabei auf die Sitzgruppe mit einem Sofa und zwei Sesseln, überzogen mit buntem Stoff, und einem Schaukelstuhl, auf dem ein heruntergerutschtes Schaffell liegt. Der Raum wirkt behaglich. Aber an den Wänden hängen Batiktücher und einige angegilbte Kunstdrucke statt Bilder in Rahmen. Alles wirkt spontan, prunklos und handgemacht, geprägt von einer weiblichen Hand, und Adrian wundert sich, wo der Mann geblieben sein mag, um dessentwillen sie ihn verlassen hatte. Manuskripte liegen auf dem Boden herum und gestapelte Bücher neben den Regalen aus Holz – do it your self – ein voller Aschenbecher und einige nicht gespülte Gläser auf der Anrichte. Adrian setzt sich, schlägt die Beine übereinander um Lässigkeit vorzutäuschen und und fühlt sich doch unbehaglich dabei – fühlt sich zurückversetzt in eine Zeit und eine Welt, von der er bis zu diesem Augenblick glaubte, sie weit hinter sich gelassen zu haben, die ihm fremd geworden ist, und über deren Reize er heute nur noch lächeln kann. Jetzt, da er zurückblickt auf ihren gemeinsamen Start, findet er ganz entschieden, dass er den richtigen Weg gewählt hat.

Sie schweigen noch immer. Er aus Beklommenheit und sie, weil sie sich fragt, wie sie dazu komme, diesen fremd gewordenen Mann in ihre Wohnung einzuladen, wo sie doch genau weiss, wie es enden wird, ob ihr Verlangen nach Zärtlichkeit denn schon so stark geworden sei, dass sie sich einlasse mit jemand, der durch nichts legitimiert ist als durch eine dreissig Jahre zurückliegende Liebe und dessen Ausstrahlung sie ängstig und dessen Anzug und Schuhe und Hemd und Krawatte für all das steht, was sie so abgrundtief verachtet. Denise bringt zwei Gläser, kleine, mit kunstvoll geschliffenem Glas und rosenumrankten Stielen aus Silber und stellt sie, zusammen mit einer Flasche Cointreau auf das Tischchen zwischen ihnen. Adrain von Reusser staunt – solche Gläser hat er bei ihr nicht erwartet, die hätten eher bei ihm stehen können – und er staunt über den Cointreau und über ihre Art, ihm dieses, wie er es in seinen Gedanken nennt, Weibergesöff, anzubieten, ohne ihn zu fragen, wonach denn seine Gelüste stünden. Die Idee, dass sie vielleicht nichts anderes mehr im HHH ause hat das sie ihm anzubieten wagt, denn Tee und Kaffee sind wohl kaum die richtigen Getränke für einen Aperitif, diese Idee liegt jenseits seiner Erfahrungen. Jetzt, nachdem sie in ihrem Vorratsschrank noch ein Säckchen mit gerösteten Erdnüssen aus Georgia gefunden, auf einen Unterteller geleert und mitgebracht hat, setzt sie sich ihm gegenüber, zündet sich eine Zigarette an aus einem Päckchen, das sie aus der tiefen Tasche ihres weiten Rockes holte, rückt das Kissen zurecht hinter ihrem Rücken, das ihr Halt geben soll und bläst den Rauch genussvoll gegen die niedrige Decke über ihnen. Endlich setzt er zu der Frage an, auf die sie wartet, seit sich ihre Augen in der Buchhandlung begegnet sind, und auf deren Antwort er ein Recht zu haben glaubt.

"Wir haben uns doch geliebt damals, Denise. Warum hast Du mich sitzen lassen"

- sorgfälltig wägt er die Worte, um ihr nicht zu zeigen, wie sehr er damals gelitten hat, dass er aber nicht der Mann ist, der, auch nach dreissig Jahren nicht, einfach zur Tagesordnung übergehen kann, nach allem was geschen ist –

"abgelegt, wie einen alten Hut, mich alleingelassen in einer Flut von Gefühlen, mit denen es nicht leicht war fertig zu werden. Ich habe nie verstanden, bis zum heutigen Tag nicht, wie Du mir das hast antun können!"

"Geliebt? – Antun können? – Was sind das für Worte, Adrian? Ich habe Dich nicht geliebt. Nie. Aber ich war verliebt in Dich, in Deinen jungen Körper, stark und vital, in Deine feurigen Phantasien und Deine Verwegenheit. Aber Liebe? Nein. Liebe war es nicht. Ein Leben gemeinsam mit Dir habe ich mir nie vorstellen können. Dazu warst Du doch zu oberflächlich, zu unstet und – vor allem – zu egoistisch. Und darum auch habe ich Dich verlassen. Ich habe Dich nicht weggeschmissen wie einen alten Hut, ich habe mich wehren müssen vor Deinen Ansprüchen und vor Deiner Interesselosigkeit mir gegenüber für alles, was ausserhalb des Bettes geschah!"

Adrian von Reusser spürt, wie sein Solarplexus sich zusammenzieht, wie das Adrinalin die die Adern schiesst und seine Nackenmuskeln sich spannen.

"Interesselosigkeit?" –

Seine Stimme ist lauter als er beabsichtigt und seine Empörung tiefer als er es gewohnt ist.

"Wie kannst Du soetwas sagen? Ich habe nur für Dich gelebt und es verging keine Stunde am Tag, in der ich nicht an Dich gedacht hätte! Und unsere Nächte?! – Habe ich mich nicht immer darum bemüht, dass auch Du auf Deine Kosten kamst? Du hast immer gesagt, ich sei ein wundervoller Liebehaber!"

"Ja, das habe ich Adrian".

Ihre Stimme ist leise und ausdruckslos und der englishe Akzent ist stärker geworden, in den letzten Minuten.

"Aber ich habe Dir auch gesagt, dass Du rücksichtslos bist. Du hast meine Rückenschmerzen nie zur Kenntnis genommen. Und wenn, dann hast Du darüber gelacht und gesagt ich solle mir ein neues Bett kaufen! Und als das Tanzen mir zur Qual wurde und ich oft weinte, morgens, wenn Du noch schliefst, aus Angst vor den Schmerzen des kommenden Tages, und Du es dann doch bemerktest hin und wieder sagtest Du – ich solle mich entspannen, mich nicht so gehen lassen. Es sei so unenglisch! Du hast mir kein Wort geglaubt, in all den Wochen, mich nie ernst genommen! Und das, Adrian, hat mir mehr weh getan als die Schmerzen in der Wirbelsäule. Darum habe ich Dich verlassen. Nicht weil Du kein guter Liebhaber gewesen wärst. "

 

Sie trank ihr Glas mit einem Schluck leer und füllte nach.

Adrian versucht ruhig zu bleiben, das leichte Zittern in seiner Stimme, hervorgerufen aus einer Mischung von Beleidigtsein und gekränkter Männlichkeit, nimmt das Glas, erhebt es mit süffisantem Lächeln gegen Denis – auf uns – denkt er, betrachtet wie sich das letzte Tageslicht in der dunkelbraunen Flüssigkeit im Glas brechen und sagt:

"Dann hattest Du mich die ganze Zeit belogen. Eigenartig. Du hast gesagt, dass Du mich liebst. Hast es gekeucht, geflüstert, gestöhnt, gewimmert und ich habe es Dir geglaubt!"

"Was weiss ein Mädchen, eine junge Frau, vom Unterschied zwischen Liebe und Verliebtsein! Ja, ich habe Dir gesagt, dass ich Dich liebe. Aber ich wußte es nicht besser! Was Liebe ist, habe ich erst erfahren, als ich Oskar Zimmermann näher kennenlernte, Du weisst schon, den Bassisten."

„Du hast mich schon während unserer Zeit mit dem Bassiten betrogen?! Du gütiger Himmel, wo hast Du denn die Zeit hergenommen?"

"Nein Adrian, ich habe Dich nicht betrogen! Dazu hättest Du mir gar keine Gelegenheit gelassen, auch wenn ich gewollt hätte!" Denise drückt den Rest ihrer Zigarette in einem Aschenbecher mit handbemalten Blümchen aus und nimmt den nächsten Schluck, während Adrian das Glas noch immer in der Hand hält und es sanft schwenkt ohne daraus zu trinken.

"Aber getroffen haben wir uns dann und wann, im Konversationszimmer, in Pausen während den Proben, oder in der Kantine bei Vorstellungen. Das hast Du nie erfahren. Mit ihm konnte man so wunderbar reden. Er hat zugehört und er hat verstanden! Ja, Adrian. Während Du mit mir schlafen wolltest, hat er mir zugehört, Mitleid empfunden und sich bei der Direktion dafür eingesetzt, dass ich aus dem Vertrag entlassen wurde. Ich habe mich bei ihm versteckt die letzten Tage vor unserer Abreise. Vor Dir und Deinen Ansprüchen. Und weil ich nicht nach England zurück wollte und an Tanzen nicht mehr zu denken war, bin ich mit ihm gezogen."

"Warum hast Du mir das alles nicht gesagt? Ich hätte Dich auf Händen getragen, hätte Dir ein Leben bieten können, wovon die meisten Mädchen nur träumen!"

"Ich habe es Dir gesagt! Aber Du hast mir nicht geglaubt! Du hast mir keineWahl gelassen! Darum bin ich mit ihm gezogen. Während der Sommermonate spielte er hier in Baden Baden. Im Kurorchester. Und ob Du es glaubst oder nicht, ich habe bis zu dem Tag, an dem wir hier unsere gemeinsame kleine Wohnung bezogen, nicht ein einziges Mal mit ihm geschlafen. Er hat den Menschen in mir gesucht und nicht die Frau. Er war soetwas wie ein Vater zu mir. Aber als wir dann miteinander geschlafen haben – ich habe ihn verführt, mit Deinem Negligé – war es wunderbar. So ganz anders als mit Dir. Dich habe ich ertragen – ihn habe ich nicht mehr missen wollen. Da war kein Kampf. Da war kein Besitzen müssen, keine Angst vor dem Versagen. Da war nur Zärtlichkeit. Ein sanftes hineingleiten in die Extase. Die Zeit ist dann still gestanden und die Liebe fassbar geworden in Form von einem grenzelosen Vertrauen."

Adrian setzt das Glas an und trinkt die klebrige Süsse mit geschlossenen Augen. Ihn schaudert und was er sagt, klingt höhnisch.

"Du scheinst Dir ja einen Engel angelacht zu haben. Einen weichen, schwammigen, profillosen Engel mit einem goldigen Schwanz!"

"Er war nicht profilos. Er war stark. Er war so stark, dass er es nach aussen hin nicht zeigen musste. Und er war die Güte in Person."

"Dann scheinst Du Dein Glück ja gefunden zu haben, nach dem die ganze Welt jagt und rennt!"

"Oh ja, wir waren glücklich. Wir ergänzten uns auf wunderbare Weise. Er war so lebensfremd, aber er war da, als ich nach der Rückenoperation aufwachte aus der Narkose, und ich war seine Fee. Obwohl der Traum vom Tanzen ausgeträumt war, und ich nicht wusste, was ich tun sollte, war ich glücklich in diesen Tagen, weil er keine Angst aufkommen liess und soviel Zuversicht ausstrahlte!"

Wieder giesst sie nach, will auch ihm einschenken, doch er hält die Hand über das Glas.

"Warum eigentlich sprichst Du immer in der Vergangenheit von ihm?"

"Er bekam ein Angebot vom Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks. So hatte sich Eines zum Andern gefügt. Oskar hatte nie den Ehrgeiz Karriere zu machen, er hatte nur den Ehrgeiz, ein guter Musiker zu sein. Kubilik hatte ihn gehört in der Sinfonie von Ditterdorf und ihn zu einem zu einem Vorspielen eingeladen. Und so ist er hingefahren, nach München, und er wußte, dass er mit dem Herzen spielen musste, wenn er wollte, dass die andern im zuhören und Oskar hatte ein grosses Herz aber leider auch ein krankes. Er starb ungefähr eine Woche nachdem ihm der Vertrag aus München zugestellt worden war, an einem Stromschlag, als er unsere Ständerlampe zu reparieren versuchte."

Denise steht auf mit ausdrucklosem Gesicht und vermeidet es, Adrian in die Augen zu blicken.

"Ich werde uns jetzt etwas zu Essen machen", sagt sie und schlängelt sich zwischen dem Tischchen, dem Sessel und den Staplen von Büchern am Boden vorbei zur Küchennische.

"Hast Du Kinder?"

fragt Andrian sie in ihren Rücken hinein.

"Nein", sagt Denise, ohne sich umzudrehen, "der Arzt meinte, ich sei zu eng gebaut – ich könne ein Kinder nur mit einem Kaiserschnitt- zur Welt bringen. Das aber wollte ich nicht. Dann, als ich doch ein Kind wollte, und wir beschlossen zu heiraten – in München – da war es spät."

Ihre Stimme ist leise geworden und jetzt, da sie anfängt mit Töpfen zu hantieren und Geschirr, kann er sie kaum mehr verstehen.

"Kann ich Dir etwas helfen?"

fragt er, mehr als Anstand als aus Überzeugung, denn hätte sie ja gesagt, er hätte eine erschreckend hilflose Figur abgegeben. Er steht auf, tritt hinter sie, hebt ihren Pferdeschwanz hoch und haucht ihr einen Kuss auf den Nacken.

"Du?!"

Sie lacht kurz auf, das erste Mal seit sie zusammen sind, über soviel heuchlerische Selbstverleumdung.

"Du siehst nicht aus wie ein Mann der in der Küche hilft!"

Adrian sehnt sich nach Stärkerem zu trinken, geht an ihr vorbei, zurück ins Wohnzimmer und lässt seinen Blick über die Regale schweifen auf der Suche nach einem Kästchen oder Schränkchen, das eine Bar hätte sein können. Doch er findet nichts dergleichen. Er findet nur Bücher mit einem dicken Staubfilm bedeckt, Schachteln mit Räucherstäbchen, Kerzen und Dosen, wahllos durcheinander gestapelt, Körbe mit Wollknäueln und Stricksachen, angefangen aber nie zu Ende gebracht, eine angerissene Stange Zigaretten aber keine Flaschen, keine grossen jedenfalls, dafür umso mehr kleine, leere, halbgeleerte und noch nicht angebrauchte, gefüllt mit Klosterfrauen Melissengeist und, wie ihm erst jetzt auffällt, keine Fotografien, nicht an den Wänden, nicht in Stehrahmen – nichts das an die Vergangnenheit erinnert. Er macht das halb geöffnete Fenster ganz auf, setzt sich auf das Fensterbrett und schaut hinüber zu Denise, betrachtet ihre Figur, die sich über die Anrichte beugt, versucht sich an die Details ihrer langen Beine unter dem Rock zu erinnern und an ihre Brüste hinter der Bluse, die ihn damals durch ihre Mädchenhaftigkeit schon so erregt hatten, und er schaut auf ihre schlanken Hände, dünn und von Adern durchwirkt, die das Gemüse rüsten und die Zwiebeln schneiden. Gemüse denkt er, warum kriege ich Gemüse, wenn ich von Crevettencoctail und kalter Suppe träume?

"Was machst Du eigentlich? Ich meine, wovon lebst Du? Hier, in Baden Baden. Was, um Gotteswillen, macht man in Baden Baden?"

Von der Straße her steigt der Lärm feierabendlicher Geschäftigkeit zu ihnen herauf und bricht sich an den nahen Fassaden der gegenüberstehenden Häuser.

"Ich bin Souffleuse", sagt Denise, ohne die Arbeit zu unterbrechen, "und ich bin froh, dass mir das geblieben ist, at least".

"Nichts mehr mit Tanzen?"

"Tanzen? Stop speaking about dancing! I can`t stand it!"

Sie schiebt die Auflaufform mit dem Gemüsegratin in das Backrohr und schlägt die Ofentür zu, dass das Geschirr auf der Anrichte klirrt. Die Hände an der Schürze trockenreibend, kommt sie auf ihn zu, stellt sich neben ihn ans Fenster und schaut hinaus, sehnsüchtig, wie eine Gefangene hinter unsichtbaren Gitterstäben.

"I tried. I tried hard – oh, sorry, ich tanzte beim Fernsehballett – zwei Monate lang. Aber es ging nicht. Mein Körper machte nicht mehr mit."

Er dreht sich hin zu ihr und schliesst sie in seine Arme. Aber es ist nicht sein Bedürnis sie zu trösten, auch nicht ein Verlangen nach Zärtlichkeit, es ist die günstige Gelegenheit des Spielers, sein Spiel zu beginnen. Sie lässt es mit sich geschehen. Sie ist nicht einmal überrascht das er das tut, aber überrrascht, dass sie sich nicht wehrt, und dass sie sich geborgen fühlt in der Wärme seiner Fitnesscenter gestärkten Arme. Sie ist sogar stolz in ihrer weiblichen Seele, dass er sie noch immer zu begehren scheint. Seine Finger gleiten ihrer Wirbelsäule entlang. Sie weiss was kommen wird. Sie hat in ihrem Leben mit nur zwei Männern geschlafen. Doch sie hat gelernt, dass Männer nie der Zärtlichkeit wegen zärtlich sind. Sanft aber bestimmt entwindet sie sich seinen Armen, wirft ihm einen kurzen Blick zu, entschuldigend fast, und geht an ihm vorbei, zurück in die Küche. Auf dem benachbarten Dachgiebel jubiliert eine Amsel in den Abend. Denise atmet einmal tief und erleichtert durch. Die Vorstellung, dass er sie jetzt ausziehen könnte, während im Ofen der Gratin bruzzelt, sich auf sie legen könnte, so schnell und lieblos zwischen Aperitif und Hauptgang, ist ihr zuwider und der Gedanke, dass sein Schweif in ihre ausgetrocknete Spalte dringen könnte, drängend und fordernd, macht ihr Angst. Alles ist schon so lange her und ihre Liebe verschüttet vom Sand zerbrochener Hoffnung.

Adrian von Reusser setzt sich auf einen der Stühle am kleinen Tisch vor dem Sofa, dem einzigen Tisch in diesem einzigen Raum, schlägt die Beine übereinader, im Bewusstsein, dass der Abend noch lange dauern und dass er die Katze und sie die Maus sein wird und blättert in einem Bildband über Harlekine im Laufe der Jahrhunderte, den er vom Boden hochgehoben hat. Denise schneidet Brot und legt Teller hin und Besteck und, zu Andrians grosser Überraschung, Weingläser und eine Flasche Kaiserstuhler Riesling die sie, was weiss er woher gezaubert hat, und den er nicht mag, weil er nicht teuer genug ist und nicht aus Frankreich stammt.

Während sie nach dem Essen den Kaffee trinken, den Denise in schwarzen Moccatässchen zusammen mit schon etwas trockenen Keksen aus einer Blechdose serviert hat, schägt Adrian vor ins Casino zu gehen. Sie habe nichts anzuziehen, entgegnet Denise und im Übrigen spiele sie nicht. Aber auf einen Spaziergang habe sie Lust, an so einem schönen Juniabend, und sie könnten ein Eis essen, draussen, irgendwo unter Leuten.

"Eis essen?!"

Adrian schaut sie ungläubig an.

"Wofür hälst Du mich? Führe mich in eine Bar und ich bin Dein Mann! Ich habe in Baden Baden nicht angehalten um unter Bäumen zu wandeln und Eis zu lutschen! "

"Sondern?"

"Um mein Glück im Spiel zufinden – oder"

Adrian erhebt sich aus seinem Stuhl, geht langsam auf das Sofa zu, auf dem Denise Platz genommen hat, ohne sie aus den Augen zu lassen, bleibt, sie überlegen musternd, hinter ihr stehen und lächelt auf sie herab.

"Oder?"

fragt sie und lächelt zurück.

"In der Liebe", sagt er, beugt sich vornüber, presst seinen Mund auf den ihren, plötzlich und unerwartet, fährt mit den Händen in den sommerlichen Ausschnitt ihrer Bluse und greift ihre Brüste, sucht mit kreisenden Fingern die Nippel.

"Don`t Adrian! Leave me alone!"

japst sie, sich windend und Befreiung suchend. Der oberste Knopf reisst auf, eröffnet ihm den Blick auf ihr weisses Fleisch. Das Blut in seinem Körper zieht sich aus Kopf und Herz zurück und schiesst in seine Lenden. Er lässt ab von ihrem Mund, küsst ihr den Hals, die Augen, fährt mit der Zunge in ihr Ohr, haucht heisse Luft hinein und Worte die sie nicht versteht, reist ihr die Bluse jetzt in Fetzten, streift den Stoff von ihren Schultern, sie wehrt sich, strampelt mit den Beinen, er hebt sie hoch mit seinem linken Arm über ihren Brüsten, sie ist so zierlich und so leicht, öffnet mit der Rechten den Knoten über ihrer Taille und der Rock gleitet, durch ihr Strampeln nur schwach gebremst zu Boden und auch der Slip den er zerreist, mit einem einzigen festen Griff, öffnet seine Hose, stemmt ihr Beine über die Sofalehne, lässt ihren Oberkörper nach rückwärtsfallen, wie ein Mädchen seine Puppe in der Hüfte knicken lässt, hört nicht ihr tonloses Jammern, sieht nicht ihre panisch geöffnet Augen die ins Leere starren, sieht nur die Brüste, die beim Aufprall munter hüpfen und das rosa Fleisch ihrer Vulva das ihm entgegenklafft und die Kaffeesahne in die er seine Finger taucht um sie zu netzten, spürt nicht ihr Herz, das Aussetzt für Sekunden aus Pein und Scham, spürt nur sein Verlangen und ihre Enge als er in sie einbricht wie ein Meissel in den Stein, ahnt nicht, dass ihr schwarz vor Augen wird vom Blut dass in dieser Stellung in ihren Torso wallt, er ahnt nur, dass es schnell vorüber geht und vielleicht auch, ganz tief innen, dass er sie büssen lässt, weil sie ihn leiden liess, vor dreissig Jahren, und für das Alleinsein mit dem Erfolg, seinem Geld und den schlaflosen Nächten, und er stösst zu, immer schneller, immer heftiger, Wut vereinigt sich mit Lust und Schmerz mit Triumph und er spritzt sie voll und lässt nicht ab und reisst sie hoch und geilt sich auf von neuem an dem willenslosen Körper und die Welt verschwimmt und schreit und versinkt in bodenlose Leere. Endlich lässt er ab, zieht seinen geröteten noch tropfenden Schwanz aus ihr und lässt sie rückwärts auf das Sofa gleiten, fährt sich mit dem Stoff ihrer zerfetzten Bluse zwischen seine Beine und wischt sich trocken, betrachtet ihre Nackheit wie eine Trophäe, und bemerkt wie Blut und Sperma aus ihrer Spalte fliessen, zieht seine Hose hoch, die Krawatte zurecht und die zum Essen abgelegte Jacke an und denkt dabei Ich hätte sie doch in ein Hotel führen sollen. Dort wäre wenigstens das Bett anständig breit gewesen. Denise liegt noch immer da, mit geschlossenen Augen und bewegungslos, den linken Arm zur Seite ausgestreckt, den rechten angewinkelt, den linken Busen halb verdeckend und die roten Flecke, die Beine geöffnet als warte sie auf ihn. Adrian entnimmt seinem Seidenfutter einen Kamm, fährt sich damit durch das schweissnasse Haar, steckt den Kamm wieder ein und stösst dabei an seine Brieftasche. Da fällt ihm ein, dass Denise als Souffleuse wohl nicht viel verdient, und dass sie Auslagen hatte, heut Abend, Gemüse, Brot und Wein. Vom Kaffee und den Keksen ganz zu schweigen. Er nimmt einen Check und seinen Füllfederhalter und setzt ein: Euro 500.- und: an Überbringer und Ort und Datum und legt das Stück Papier auf den Tisch, zwischen die Kaffeetassen und die Keksdose. Dann geht er hinaus und zieht die Tür hinter sich ins Schloss. Eine leichte Brise weht von den Höhen und umspielt seine Stirn als er aus auf die Straße tritt und es ist dunkel geworden im Tal des Rheins als die Scheinwerfer seines Jaguars den Weg nach Süden suchen.