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Matthias Eckert

Das sagt aber

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

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Impressum neobooks

Vorwort

In „The Monkey Wrench Gang“ heißt es in etwa: Mein Name ist Hayduke. Ich bin Hippie und andersrum. Meine Mutter bescheißt die Fürsorge und ohne Männer wie euch müsste ich arbeiten um was zu fressen zu haben. So lese ich nur schmutzige Bücher, verkauf Drogen und treibs mit kleinen Mädchen. Ich war Sergeant bei den Green Berets und kann jedem Schwanzlutscher hier den Arsch aufreißen.

Ich war nicht bei den Green Berets, die Schwanzlutscher unter euch sollten trotzdem aufpassen.

1

Der 29. Mai 2009 war für die Jahreszeit viel zu kalt. Es war neblig-trüb und immer wieder gab es kurze Schauer bei denen der Nieselregen vom kalten Wind vor sich hergetrieben wurde. Weshalb sich, vor allem da der 29. ein Freitag war und es am Wochenende keinen Deut besser werden sollte, viele wortreich über das schlechte Wetter beklagten.

Aber ich schweife vom Thema ab. Außerdem erzähle ich, oder eigentlich schreibe ich ja, die Unwahrheit. Um es deutlicher zu sagen, ich habe Sie gerade angelogen. Was, da dieses Buch eine wahre Begebenheit erzählt, überhaupt nicht meine Absicht ist. Es wird nicht, wie es gern umschrieben wird, auf einer wahren Begebenheit basieren. Worunter oft zu verstehen ist, auf einer Bodenplatte Realität steht ein Wolkenkratzer Fantasie. Vermutlich ist, sobald angefangen wurde die Realität durch fiktive Teile interessanter, spannender oder sonst etwas zu machen, die Versuchung es zu wiederholen meist einfach zu groß. Weshalb dann immer wieder Dinge dazu erfunden und letztlich nur Halbwahrheiten erzählt werden. Die nun einmal nicht die Wahrheit, sondern Fiktion, Lüge oder Täuschung, und wahrscheinlich genau deshalb so beliebt sind. Denn Lügen, Täuschungen und Fiktionen sind oft viel angenehmer als die Wahrheit. Allerdings haben sie einen entscheidenden Nachteil, sie sind nicht wahr. Um niemanden zu täuschen werde nicht einmal Nebenhandlungen dazu erfinden. Hier ist auch der Wolkenkratzer, oder besser die Bretterbude, auf der Bodenplatte Realität. Einzig die Namen der Beteiligten werden, bis auf meinen, geändert.

Wenn Sie das Buch nun gleich wieder weglegen wollen, weil Sie Sich in Ihrer kostbaren Zeit nicht mit Tatsachen, Wahrheit und Realität beschäftigen wollen ist das nachvollziehbar. Tatsachen, Wahrheit und Realität sind nun einmal oft unangenehm und obendrein langweilig. Trotzdem bitte ich Sie diese Entscheidung zu überdenken. Denn selbst wenn das Buch eine wahre Begebenheit erzählt wimmelt es darin von Lügen. Sie sind Teil von ihm weil sie tatsächlich erzählt, aufgeschrieben und weiterverbreitet wurden. Weshalb sie als Grundlage der hier beschriebenen Ereignisse, die ohne Lügen und Halbwahrheiten gar nicht denkbar sind, für ausreichend Unterhaltung sorgen sollten. Zusätzlich haben sich viele der am Geschehen Beteiligten, inklusive mir, wiederholt ausgesprochen ungeschickt, um nicht zu sagen dumm, angestellt. Da fast alle die mich kennen der Meinung sind, ich sei recht gut darin dummes Zeug zu erzählen, irgendwas muss man ja können, und Sie sich nebenbei einen Einblick verschaffen können was einige Bundesbeamte in ihrer Arbeitszeit so treiben, bin ich zuversichtlich, dass Sie das Lesen des Buches nicht bereuen werden. Auf jeden Fall verspreche ich mit dem Buch keine Lügen in die Welt zu setzen. Habe ich gar nicht nötig. Das haben schließlich schon andere für mich übernommen.

Jetzt mache ich aber erst einmal weiter wobei ich mich selbst unterbrochen habe. Nämlich vom Thema abzuschweifen und vom Wetter zu erzählen. Der 29. Mai 2009 war überhaupt nicht zu kalt. Er war auch nicht neblig, verregnet oder trüb. Zumindest nicht in Stuttgart, wo ich an jenem 29. Mai Spätschicht beim örtlichen Bundespolizeirevier (BPOLR S) hatte. Das BPOLR S lag im damals noch existierenden, dafür weitgehend unbekannten, Nordflügel des Hauptbahnhofs Stuttgart. Aus welchem dank des Bahnprojekts Stuttgart 21 im Folgejahr der nicht mehr existierende, dafür kurzzeitig bekanntere, ehemalige Nordflügel des Hauptbahnhofs wurde. Die Spätschicht ging regulär von 13:00 bis 21:00 Uhr und verlief anfangs völlig normal. Wobei unter anfangs die ersten zehn Minuten zu verstehen sind. In diesen erfolgte die übliche Einweisung zu Schichtbeginn, es wurden Streifen eingeteilt und gegebenenfalls von der Inspektions-, Direktions- oder sonst einer Leitung vorgegebene, wohlüberlegte und der inneren Sicherheit dienende, Schwerpunkte der bundespolizeilichen Aufgabenwahrnehmung verkündet. Was, als Gruppenleiter, meine Aufgabe war. Ob es tatsächlich solche Vorgaben anzusprechen gab weiß ich nicht mehr und ist für das weitere Geschehen belanglos.

Unmittelbar nach der Diensteinweisung beorderte mich der anwesende Dienstgruppenleiter, Polizeihauptkommissar (PHK) Kauf, in sein Büro. Dort teilte er mit, dass ich um 14:00 Uhr einen Gesprächstermin beim Inspektionsleiter habe. Hintergrund sei meine Versetzung in den Ermittlungsdienst. Das würde er mir freundlicherweise jetzt schon mitteilen, damit ich mich auf das Gespräch vorbereiten könne. Welche Versetzung in den Ermittlungsdienst? Weder hatte ich um eine solche gebeten, noch war mir je mitgeteilt worden sie würde in Erwägung gezogen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich bei PHK Kauf damals gar nicht für die zeitige Ankündigung bedankt habe. Schließlich hätte er mich betäuben und unmittelbar zum Gespräch wieder aufwecken können. Aber so etwas hatte jemand wie er nicht nötig. Zudem entspräche es in keinster Weise dem, im Leitbild der Bundespolizei festgeschriebenen, offenem und fairem Umgang miteinander.

Das Gespräch selbst fand in der Bundespolizeiinspektion Stuttgart (BPOLI S), der übergeordnete Dienststelle des BPOLR S, die örtlich getrennt auf dem Gelände eines ehemaligen amerikanischen Militärkrankenhauses in Stuttgart Bad-Cannstatt residierte, statt. Außer dem Inspektionsleiter, Polizeioberrat (POR) Fahle, dem bereits erwähnten PHK Kauf und mir war noch ein Vertreter des Personalrats, Polizeikommissar (PK) Stumm, anwesend.

PK Stumm kannte ich flüchtig von meiner Zeit bei der Bundespolizeiinspektion Ulm, meiner ersten Dienststelle nach Ausbildungsende 2006. Nachdem, aufgrund der Umstrukturierung der Bundespolizei, die Inspektion Ulm zum Revier der Inspektion Stuttgart herabgestuft wurde wechselte ich im April 2008 zum BPOLR S.

Hauptgrund waren die Aussagen von Kollegen bezüglich ihrer weiteren beruflichen Pläne. Sowie meine Naivität zu glauben, die Kollegen würden meinen was sie sagen. Die Herabstufung von der Inspektion zum Revier war in Ulm mit einem deutlichem Personalabbau im gehobenen Dienst, dem ich als PK angehörte, verbunden. Was fast alle nun von einem Wechsel des Dienstorts bedrohten Beamten zu der Aussage verleitete, dies keinesfalls in Kauf nehmen und lieber auf mögliche Beförderungen als auf Zeit mit der Familie verzichten oder umziehen zu wollen. Da ich mich weder nach sozialen Kriterien noch nach Eignung, Leistung und Befähigung, welche bei der Bundespolizei meist am Dienstgrad gemessen wurde, bei der Bewerbung um eine Stelle gegen irgendeinen von ihnen durchgesetzt hätte, erklärte ich mich bereit freiwillig nach Stuttgart zu gehen. Aus heutiger Sicht ein selten dämlicher Einfall. Zudem völlig überflüssig, eine ganze Reihe besagter Kollegen zogen letztlich eine Beförderungen in der Ferne der Nähe zu Frau und Kindern vor. Was sie vermutlich nicht für sich, sondern für Frau und Kinder taten.

PK Stumm nahm an dem Gespräch teil um meine Interessen zu vertreten. Behauptete zumindest POR Fahle. Um gleich darauf klar zu machen, er würde auch gegen meinen Willen auf dessen Anwesenheit bestehen. Schön wenn sich der Vorgesetzte so um einen sorgt.

Kurz darauf teilte er mit, er werde beantragen mich zum Ablauf meiner Probezeit am 14. Juni 2009 zu entlassen oder zumindest eine Verlängerung meiner Probezeit erwirken. PHK Kauf habe ihn nämlich vor einigen Tagen auf eine Reihe von Problemen mit mir aufmerksam gemacht. Eine Nachfrage bei EPHK Heil, dem ehemaligen stellvertretender Leiter der Bundespolizeiinspektion Ulm, habe ihn dann zur Erkenntnis gebracht, ich sei dumm und faul und deshalb in der Bundespolizei fehl am Platz. Eine Argumentation die mich bis heute verwundert. Zwar will ich nicht abstreiten dumm und faul zu sein. Warum ich, oder irgendjemand sonst, deshalb für die Bundespolizei ungeeignet sein soll erschließt sich mir aber immer noch nicht. Was allerdings auch an meiner Dummheit liegen kann.

Als hochrangiger und verdienter Bundespolizist konnte POR Fahle seine Einschätzung natürlich begründen. Und zwar mit mehreren Vorfällen, bei denen ich jeweils etwas gemacht oder gesagt hätte das meinen Mangel an Intelligenz, Fleiß und Empathie beweisen würde. Wenn Sie jetzt auf eine ausführliche Schilderung meiner Schandtaten hoffen muss ich sie enttäuschen. Schon weil ich mich nur ungefähr an sie erinnern kann. Statt dessen werde ich im Verlauf des Buches einzelne Anschuldigungen, die sich aus irgendeinem Grund von den übrigen abheben, ansprechen. Außerdem waren die an jenem 29. Mai gemachten Vorwürfe nicht so wichtig. Im folgenden Streit zwischen mir und dem Dienstherrn ging es fast nur um zwei Vorfälle. Von denen einer, der vermeintlich schwerwiegendere, damals nicht erwähnt wurde.

Die andere wurde von POR Fahle als „negatives Ereignis mit einer gewichtigen Person“ bezeichnet. Dass ich in Anbetracht dieser präzisen Schilderung zuerst keine Ahnung hatte wovon er sprach und es auch mitteilte, bestätigte meinen Mangel an Intelligenz. Glücklicherweise lies er sich dazu herab den Sachverhalt zu präzisieren. Demnach hatte ich eine vor der BPOLI Ulm befindliche Frau, aufgrund ihrer Körperfülle, gegenüber ihrer Mutter übel beleidigt. Woraufhin die Mutter die Fassung verlor und meine Kollegen sie nur mit großer Mühe von einer Beschwerde oder gar Anzeige gegen mich abbringen konnten. Damit werden Sie sich bis auf weiteres begnügen müssen. Mir selbst wurde der Vorwurf ebenfalls nicht weiter erläutert.

Was insofern nicht nötig war, als dass ich zu wissen glaubte auf was er sich bezog. Ich räumte daher ein eine etwas ungeschickte Äußerung getätigt, bestritt jedoch die Tochter beleidigt zu haben. Auch habe sich die Mutter damals keineswegs an meiner Aussage gestört, verlor schon gar nicht die Fassung und hatte nie die Absicht sich zu beschweren. Solch ein plumper Versuch mich aus der Verantwortung zu stehlen konnte POR Fahle natürlich nicht beeindrucken. Schließlich stand meine Wahrnehmung damit im Gegensatz zu der mehrerer Kollegen. Womit die Beweisaufnahme beendet war. Wer die Kollegen waren oder mit welchem Wortlaut ich die Frau beleidigt hätte erfuhr ich nicht.

So oder ähnlich lief das ganze Gespräch. Versuche die Anschuldigungen zu entkräften wurden durch brillante Rhetorik, wie sie wohl dem höherem Dienst der Bundespolizei vorbehalten ist, zurückgewiesen. Rhetorik die einem einfachen ungebildeten Menschen wie mir die Sprache verschlägt und in Ehrfurcht erstarren lässt. Rhetorik mit Sätzen voller Weisheit und erlesenem Vokabular. Sätze wie: „Das sagt aber ein Hauptkommissar“. Wie konnte ein einfacher PK wagen die Darstellungen eines Hauptkommissars zu bestreiten. Allein das war eigentlich Grund genug mich zu entlassen. Weshalb sich POR Fahle nun um so sicherer gewesen sein dürfte. Zumindest waren, durch die Erwähnung des Dienstgrades, die Fronten geklärt. Das Gespräch hatte nur Alibifunktion und das Ergebnis stand schon fest. Selbst mir als begriffsstutzigem Beamten hätte damit klar sein müssen, dass es für mich nichts zu holen gab. Was es scheinbar nicht war. Sonst hätte ich einfach die Klappe gehalten.

Sinn hätten meine Ausreden vielleicht gehabt, wenn sie gar nicht an POR Fahle sondern an PK Stumm gerichtet waren. Um so zumindest den Vertreter des Personalrats auf meine Seite zu ziehen. Ob so ein Unterfangen erfolgversprechend war ist eine andere Frage. Weder PK Stumm als Person noch der Personalrat als Ganzes hatten den Ruf die Interessen der von ihnen vertretenen Beschäftigten sonderlich interessiert zu vertreten. Zwar hatte ich selbst, schon mangels Gelegenheit, keine entsprechenden Erfahrungen gemacht. PK Stumms Verhalten während des Gesprächs, in dem er mit Ausnahme zur Begrüßung nicht ein Wort sagte, war jedoch nicht geeignet den Ruf zu widerlegen.

Wahrscheinlich habe ich überhaupt nicht nachgedacht, sondern war einfach ich selbst. Und wenn jemand Streit sucht, mit mir kann er ihn haben. Sollte POR Fahle also geplant haben mich einfach runter zu putzen wurde er enttäuscht. Ich habe seinen mühsam gewonnen und wasserdicht bewiesenen Erkenntnissen weiterhin widersprochen. Was zwar nutzlos war, geschadet hat es aus dem selben Grund, er hatte eh schon entschieden, aber auch nicht. Vielleicht konnte ich ihn so zumindest etwas ärgern. Irgendwas muss man ja können.

Zum Abschluss teilte POR Fahle daher mit, er habe leider keine andere Wahl als bei der Bundespolizeidirektion Stuttgart meine Nichtanstellung, man könnte auch sagen meine Entlassung, zu beantragen. Bis dahin würde ich, da die Dienstgruppe vor mir geschützt werden müsse, im Ermittlungsdienst der BPOLI Stuttgart eingesetzt. Es kann also niemand sagen PHK Kauf hätte mich falsch informiert. Er hatte halt vergessen ein unbedeutendes Detail zu erwähnen. Kann ja mal passieren.

Damit war das Gespräch beendet, zumindest für mich. Denn während ich vor POK Fahles Büro geschickt wurde blieben er, PHK Kauf und PK Stumm im Raum. Vermutlich unterhielten sie sich wie der Dienstplan während des Cannstatter Wasens so mitarbeiterfreundlich wie möglich gestaltet werden konnte. Nach vier, fünf Minuten gesellte sich PK Stumm zu mir vor die Tür, nahm sich meiner an und wollte wissen was ich jetzt vorhabe. Auf die Antwort, mir möglicherweise einen anderen Beruf zu suchen, riet er, ich solle versuchen um jeden Preis bei der BPOL zu bleiben. Schließlich sei die Wirtschaftslage ausgesprochen unsicher und da habe die Sicherheit des Beamtenverhältnisses einen kaum zu überschätzenden Wert. Zudem sicherte er mir die Unterstützung des Personalrats zu. Gerade habe er sich schon für mich eingesetzt und POR Fahle gesagt, im Streifendienst würde nun einmal eine andere Ausdrucksweise herrschen als die Leitung sich das vorstelle und gern hätte. Eine paar deutliche Worte dürften da nicht überbewertet werden. War es in meiner Abwesenheit etwa doch nicht um den Dienstplan zum Cannstatter Wasen gegangen?

Jedenfalls hatte POK Stumm damit wahrscheinlich wieder meine Streitlust geweckt. Ich wollte ihm erst einmal klar machen, dass sich nicht einer der mir vorgeworfenen Sachverhalte tatsächlich so abgespielt hatte. Was schon im Ansatz scheiterte, da er sich zur nahegelegenen S-Bahnhaltestelle Nürnberger Straße aufmachte. Schließlich fuhr im Hauptbahnhof gegen zehn nach vier ein ICE Richtung Ulm und wer möchte schon wegen so einer Lapalie verspätet ins Wochenende kommen. Kurz darauf kam PHK Kauf aus dem Büro und wir fuhren zum Hauptbahnhof Stuttgart zurück. Wobei wir kurz, vor der S-Bahnhaltestelle, PK Stumm aufsammelten und mitnahmen.

Das Gespräch hatte ungefähr eineinhalb Stunden bis 15:30 Uhr gedauert. Bedingt durch die folgenden Unterredungen dürften wir gegen 15:40 Uhr von der Inspektion losgefahren sein. Da ich an die Fahrt und die herrschenden Verkehrsverhältnisse keine Erinnerung habe drängt sich mir jetzt eine Frage auf. Hat es PK Stumm auf den ICE nach Ulm geschafft? So unglaublich es klingt, bisher kam mir dieses Problem noch gar nicht in den Sinn. Was zweifellos meiner mangelnden Intelligenz und Empathie geschuldet ist. Daher möchte ich mich bei PK Stumm für die fehlende Nachfrage diesbezüglich, und wenn er den ICE verpasst haben sollte hierfür ebenfalls, in aller Form entschuldigen. Hätte ich doch meine Klappe gehalten und das Gespräch nicht unnötig in die Länge gezogen.

Zurück im BPOLR Stuttgart wurde zunächst der Ablauf meines Wechsels in den Ermittlungsdienst geklärt. Ich entschied die Spätschicht regulär zu Ende zu bringen und den Rest des Umlaufs, also die Frühsicht am 30. Mai sowie die Nachtschicht vom 30. auf den 31. Mai ausfallen zu lassen. Meine Wahl lies PHK Kauf triumphierend feststellen, das habe er sich schon gedacht. Wirklich eine beeindruckende Leistung. Schließlich hätte jeder andere darauf bestanden den kompletten Umlauf mit PHK Kauf genießen zu dürfen. Das war schließlich viel besser als ein freies Wochenende.

Als nächstes informierte ich die Dienstgruppe über das Gespräch und meinen Weggang in den Ermittlungsdienst. Natürlich lies es sich PHK Kauf nicht nehmen dabei anwesend zu sein. Was meine Möglichkeit zu freien Meinungsäußerung doch etwas einschränkte. Aber freie Meinungsäußerung wird sowieso maßlos überschätzt.

Außerdem brachte seine Anwesenheit auch eine Erkenntnis. Als ich PK Stumms Einlassung, er hätte mich verteidigt, erwähnte, wurde das von PHK Kauf sofort bestritten. Was zum Schluss führt, ich litt, wie schon von POR Fahle festgestellt, unter einen völlig verqueren Wahrnehmung. Gut, theoretisch konnte es auch bedeuten, dass einer der beiden log. Allerdings war das bei einem Polizeihauptkommissar, wie mir erst kurz zuvor erklärt worden war, völlig unmöglich. Bliebe PK Stumm. Der, schon da von POR Fahle zum vorhergehenden Gespräch eingeladen wurde, logischerweise ebenfalls über jeden Zweifel erhaben war.

Die Dienstgruppe selbst reagierte überrascht. Protest äußerten in Gegenwart von PHK Kauf jedoch nur zwei Beamte. Alle anderen bekundeten ihren Unmut lediglich im weiteren Verlauf der Spätschicht unter vier oder sechs Augen. Alle sicherten zu mit der Sache nichts zu tun zu haben. Ich ging jedoch davon aus, dass ein oder zwei von ihnen gegen mich intrigiert hatten. Ansonsten ging die Schicht ganz normal zu Ende.

2

Aufgrund eines Feiertags musste ich erst am Dienstag dem 02. Juni im Ermittlungsdienst, der wie die Inspektion selbst in der Martha-Schmidtmann-Straße 17, kurz MS17, untergebracht war, aufkreuzen. Nachdem dessen Leiterin, PHKin List, gegen 08:00 Uhr erschien folgte die übliche Begrüßung. PHKin List gab an bis letzte Woche nie etwas von mir gehört zu haben. Das mag ungewöhnlich anmuten, aufgrund der räumlichen Trennung zwischen Ermittlungsdienst und BPOLR S, sowie großteils unterschiedlicher Dienstzeiten, war es aber gut möglich. Zudem war sie erst vor einigen Wochen aus der Elternzeit zurückgekehrt. Ich selbst kannte bis dahin nur ihren Namen und hatte sie noch nie gesehen. Lediglich mit ihrem Stellvertreter hatte ich ein- oder zweimal telefoniert. PHKin List teilte mit ich würde im Bereich Sachbeschädigungen eingesetzt. Dort bestünde dringender Personalbedarf und der zuständige Polizeihauptmeister (PHM) Rund hätte erst vor einigen Tagen um Verstärkung gebeten. Da ich PHM Rund bereits kannte kam mir dies durchaus entgegen. Trotzdem war mir der Wechsel in den Ermittlungsdienst erst gar nicht recht. Ungeachtet der damit verbundenen Nacht- und Wochenendarbeit zog ich den Streifendienst, sowohl aufgrund er Arbeitszeiten als auch der Tätigkeit, vor. Zusätzlich war es nicht üblich, dass ein noch recht junger Streifenbeamter derart kurzfristig in den Ermittlungsdienst wechselte. Mein plötzliches Auftauchen dort schuf also gute Voraussetzungen für wilde Spekulationen. Um dem vorzubeugen erzählte ich einfach jedem den es interessierte oder interessieren konnte, also so ziemlich jedem, warum ich im Ermittlungsdienst war. Nämlich weil ich am 29. Mai zu POR Fahle bestellt worden war und der mir mitgeteilt hatte, Sie wissen schon. Dabei habe ich es wahrscheinlich auch ein paar Leuten erzählt die es nicht im geringsten interessierte. Aber darauf konnte ich in der Situation keine Rücksicht nehmen.

Ansonsten lies es sich im Ermittlungsdienst ganz gut leben. PHM Rund und ich waren zusammen in einem Büro. Von denen immer zwei über einen gemeinsamen Vorraum verfügten, welcher wiederum durch eine Tür vom Flur getrennt war und Zugang zu einem zwischen den Büros liegenden Badezimmer mit Dusche, WC und Waschbecken bot. Diese Anordnung hatte, neben der guten sanitären Ausstattung und dem kurzen Weg auf die Schüssel, den Vorteil einer gewissen Vorwarnzeit. Ungebetener Besuch wurde bereits wahrgenommen wenn er die Tür zum Vorraum öffnete. Um die Vorwarnzeit weiter zu erhöhen konnte die Tür zum Vorraum durch Kartons mit sichergestellten Spraydosen blockiert werden. Es kamen nämlich immer wieder Kollegen auf die Idee, bei der Aufnahme von Graffitistraftaten am Tatort gefundene Spraydosen als Beweismittel sicher zu stellen. Vor der Untersuchung auf Fingerabdrücke wurden sie dann in unserem Büro zwischengelagert. Weshalb es, zwecks eindeutiger Benennung, ab sofort als Dosencontainer bezeichnet wird.

Da zudem PHM Rund ein sehr umgänglicher Mensch war hatte ich gute Voraussetzungen mich dem etwas getrübten Verhältnis zum Dienstherrn, beziehungsweise dessen Vertreter in Person von POR Fahle, zu widmen. Selbstverständlich beseelt von der Absicht selbiges wieder gerade zu rücken. Dafür schien es mir am geeignetsten erst einmal nichts zu tun. POR Fahles Absichten waren bekannt und ich würde sie nicht ändern können. Sollte er doch loslegen. Meine Gelassenheit lag nicht zuletzt an den zeitlichen Umständen. POR Fahle wollte mich nach Ablauf der Probezeit nicht, wie es der Normalfall war, anstellen sondern entlassen. Die für mich gültige beamtenrechtliche Situation sah, nach Abschluss der Ausbildung, eine zweieinhalbjährige Probezeit vor. Auf welche die sogenannte Anstellung und, mit Abschluss des 27. Lebensjahres, die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit folgte. Um zu verdeutlichen, dass sich ein Beamter in der Probezeit befand wurde die Amtsbezeichnung durch den Zusatz „zur Anstellung“, gemeinhin mit „z.A.“ abgekürzt, ergänzt. Sollte ich mich daher bisher einmal als Polizeikommissar bezeichnet haben, was ich habe, möchte ich mich, vor allem bei POR Fahle und PHK Kauf, in aller Form für diese Anmaßung entschuldigen. Ich war natürlich nur PK z.A.. Die Anstellung lag nicht im Ermessen der BPOLI S sondern der übergeordneten Bundespolizeidirektion Stuttgart (BPOLD S). Hierbei stützte sich die BPOLD S in erster Linie auf die Einschätzung der direkten Vorgesetzten des Betroffenen. In meinem Fall also PHK Kauf und POR Fahle. Was ihnen eigentlich gute Voraussetzungen bot meine Anstellung zu verhindern. Jedoch waren es bis zum Ablauf meiner Probezeit am 14. Juni keine zwei Wochen mehr und die Mühlen der Bürokratie mahlen in der Regel recht langsam.

Im BPOLR S war ein Kollege der mit mir die Ausbildung abgeschlossen hatte und dessen Probezeit daher ebenfalls am 14. Juni ablief. Irgendwann im Mai hatte er erzählt, den stellvertretenden Leiter der BPOLI S, EPHK Steller, gefragt zu haben, wie es mit unseren Anstellungen aussähe. Woraufhin er die Antwort erhielt, alles liefe ganz normal. Die Urkunden lägen schon in der BPOLI S bereit und würden uns, je nach persönlicher Präferenz, im großen oder kleinen Rahmen ausgehändigt.

Grund für die Anfrage des Kollegen waren vermutlich Sorgen ob er, da ihn während der Probezeit eine längere Erkrankung geplagt hatte, ohne weiteres angestellt würde. Da ich mir über die Anstellung überhaupt keine Gedanken gemacht wusste ich die Mitteilung des Kollegen zunächst nicht weiter zu schätzen. Bis zum 29. Mai. Als ich ihretwegen zum Schluss kam, die Entscheidung mich zu entlassen habe POR Fahle wahrscheinlich kurzfristig getroffen. Er müsste nun die BPOLD S bis zum 14. Juni von meiner, wie es in der Sprache der BPOL hieß, mangelnden Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung überzeugen. Damit die meine Anstellung noch Absage. In Anbetracht dessen was ich bisher von POR Fahles fachlichen Leistungen wusste schien es mir fraglich ob er damit erfolgreich sein würde. Bei der BPOL wurden öfters Dinge aus der Taufe gehoben und dann direkt zum Friedhof gebracht. Bis dahin würde ich mir die Zeit im Ermittlungsdienst vertreiben.

Das Warten dauerte bis zum 08. Juni, als ich gegen Mittag eine Email von POR Fahle erhielt. An die ein Word-Dokument mit dem Protokoll, beziehungsweise dem was er als solches bezeichnete, des Gesprächs vom 29. Mai angehängt war. Welches, so stand es zumindest in der Email, ich überprüfen und mit möglichem Ergänzungs- oder Änderungsbedarf zurückschicken sollte. Das Protokoll war eine großzügige Zusammenfassung des Gesprächs. Wobei PHK Kauf, der es laut der Kopfzeile auf Grundlage von Stichwörtern gefertigt hatte, vor allem mit meinen Ausreden war. Indem er sie großzügig gekürzt hatte. Allerdings fehlte auch eine meiner Missetaten. PHK Kauf hatte beklagt, ich hätte mich während einer Spätschicht zu einem Flug mit einem Polizeihubschrauber eingeteilt und mich dadurch meiner Verantwortung als Gruppenleiter entzogen.

Zu der Zeit gab es, vor allem in den Sommermonaten, regelmäßig Hubschrauberflüge der Bundespolizei Fliegerstaffel über dem Zuständigkeitsbereich des BPOLR S. An denen in der Regel zwei Beamte des BPOLR teilnehmen sollten, um so ihre Kenntnisse über den eigenen Zuständigkeitsbereich und insbesondere über Verlauf und Zugangsmöglichkeiten von Bahnstrecken zu erweitern. Leider war die Sinnhaftigkeit der Flüge einigen Beamten, vor allem Ignoranten aus dem Streifendienst, nicht ersichtlich. Einige behaupteten in ihrer Bösartigkeit sogar, der Zweck der Streckenkunde sei vorgeschoben, damit der Bundesrechnungshof nicht auf die Idee komme, die Fliegerstaffel würde vor allem zum eigenen Zeitvertreib fliegen.

In der Tat hatte ich am 14. Mai an einem solchen Flug teilgenommen. Allerdings war der Flug zwischen dem Sachbereich Einsatz der BPOLI S und der Fliegerstaffel vereinbart worden und ich hatte davon erst zu Beginn der Spätschicht erfahren. Die Wahl fiel auf PHM Tiede und meinen geschätzten Stellvertreter, PK Bönner. Dummerweise hatte letzterer seinen Dienstbeginn, nach Rücksprache mit PHK Kauf und ohne mich zu informieren, auf 14:00 Uhr verlegt. Was, da der Flug um 13:45 Uhr starten sollte, zu spät war. Nachdem ich bei der Schichteinweisung vergeblich nach einem oder einer Freiwilligen für den Flug gefragt hatte flog ich, zusammen mit PHM Tiede, mit. Nach dem Flug war ich spätestens um 16:12 Uhr zurück im BPOLR S. Trotzdem schien meine Abwesenheit für PHK Kauf unerträglich lang und einschneidend gewesen zu sein. War alles nur ein tragisches Missverständnis? Wähnte PHK Kauf meine Abwesenheit möglicherweise als Versuch ihm aus dem Weg zu gehen? Was ihn, mangels Selbstbewusstsein, derart verletzte, dass er einfach keine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit mit mir sah und deshalb die Entlassung anregte?

Dass ihn tatsächlich der Hubschrauberflug dazu bewegte bei POR Fahle vorstellig zu werden ist unwahrscheinlich. Obwohl dafür sprechen würde, dass es das Aktuellste war was mir zur Last gelegt wurde. Vermutlich hielt PHK Kauf den Flug nicht einmal für verwerflich. Zumindest nicht nachdem er etwas nachgedacht hatte. Weshalb er ihn ihm Protokoll nicht erwähnte. Vorgehalten hatte er ihn mir am 29. Mai trotzdem. Wusste er nicht recht was er sagen sollte? Das hätte andere dazu veranlasst die Klappe zu halten. Aber als vorbildlicher Dienstgruppenleiter wollte er seinen Inspektionsleiter wahrscheinlich unbedingt unterstützen und was besseres fiel ihm nicht ein. Mit Formulierung und Versand meiner Ergänzungswünsche ließ ich mir bis zum 15. Juni Zeit. POR Fahle hatte es schließlich auch nicht sonderlich eilig gehabt. Gemäß dem Verlauf der Email hatte er das Protokoll schon am 02. Juni von PHK Kauf bekommen.

Übrigens begegnete ich PHK Kauf, anlässlich der Hochzeit eines Kollegen am 13. Juni, noch einmal persönlich. Da die Hochzeitsgesellschaft groß genug war um sich aus dem Weg zu gehen und nicht über Hubschrauber sprechen zu müssen stellte dies an für sich kein Problem dar. Sich aus dem Weg zu gehen schien jedoch überhaupt nicht in PHK Kaufs Sinn. Vielmehr tat er geradezu überrascht als ich keinen gesteigerten Wert auf seine Gesellschaft legte. Es ist ja auch ein Zeichen von Professionalität und sozialer Kompetenz, die mir bekanntlich fehlte, wenn trotz kleiner Differenzen ein freundlicher Umgang und eine fruchtbare Zusammenarbeit möglich sind. In der Beziehung konnte wie ich viel von ihm lernen.

Im Sinne einer solchen fruchtbaren Zusammenarbeit kontaktierte er mich am 18. Juni und gab vor, weder er noch POR Fahle könnten sich erinnern, mir die Teilnahme an dem Hubschrauberflug vorgeworfen zu haben. Hatte ich mir da also, wie schon bei PK Stumms vermeintlicher Fürsprache zu meinen Gunsten, etwas zusammen fantasiert? Es wäre schon das zweite Mal innerhalb von zwei Wochen gewesen und hätte erhebliche Zweifel an meiner geistigen Gesundheit gerechtfertigt. Da sollte ich besser vorsichtig sein. Sonst würde POR Fahle mich noch, mit Hinweis auf diese offensichtlichen Unzulänglichkeiten, ärztlich untersuchen lassen. Wobei meine Dienstunfähigkeit aufgrund von Wahnvorstellungen festgestellt und er mich so los würde. Ganz ohne Ärger mit lästigen Gesprächsprotokollen. Andererseits war ihm das vermutlich nicht stilvoll genug. Als verdienter Bundespolizist hatte er es nicht nötig auf irgendwelche Ärzte zurückzugreifen. Die ihm am Ende noch die Ehre, mich aus der Bundespolizei entfernt zu haben, streitig machen würden.