Ein philosophischer Streifzug durch die Jahrtausende

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Ein philosophischer Streifzug durch die Jahrtausende
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Markus Orians

Ein philosophischer Streifzug durch die Jahrtausende

Alternativen zu unserem jetzigen Gesellschaftssystem

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

1Entwicklung unseres Bewusstseins

2Philosophie in Indien und China

3Griechenland

4Die Philosophie des christlichen Mittelalters

5Neuzeit: Wiedergeburt der Antike im Humanismus

6Die Philosophie der neuen, der bürgerlichen Zeit

7Die Philosophie des 20. Jahrhundert

8Philosophie im 21. Jahrhundert

Impressum neobooks

Kapitel 1

Einleitung:

Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770- 1831) begann die „wahre“ Philosophie erst im antiken Griechenland, also vor etwa 2500 Jahren. Für den zeitgenössischen Philosophen Andre´Comte- Sponville heißt Philosophie „denken“. Denken, Nachdenken über die Welt und das gesamte Sein. Die Philosophin Annegret Stopczyk hat in ihrem Buch „Nein danke, ich denke selber“ philosophieren ganzheitlich und umfassender beschrieben. Philosophieren entspricht bei ihr der Fähigkeit „eines eigenständigen Denkens, Fühlens, Erlebens und Han-delns.“ Philosophieren ist bei ihr nichts Abstraktes, sondern sehr konkret mit dem Erleben in dieser Welt verbunden. Niemand soll sich von anderen vorschreiben lassen, „ was und wie man denken soll.“ Man sollte sich auch nicht durch die großen Denker der Menschheit, die scheinbar schon alles perfekt durchdacht haben, entmutigen lassen. Sie glaubt auch, dass es gerade die großen Vorbilder sind, die unser eigenes Denkvermögen eher blockieren. Das Gefühl bekommt bei ihr auch deshalb einen besonderen Stellenwert, weil sie Denken vom Gefühl nicht trennt. In dieser Auseinandersetzung geht es um den alten Erkenntnisstreit zwischen Ratio und Gefühl. Worauf sollen ethische Handlungen gründen? Was ist bei un-seren Handlungen ausschlaggebender? Das Vernünftige oder das Emotionale? Dank neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die ich vor allem im Schlusskapitel eingehen werde, sind meines Erachtens bei unseren Entscheidungen unsere Emotionen bedeutungs-voller als unser rationales Denken.

In unserer Kultur lernen wir nicht ausreichend auf unsere Gefühle zu achten und sie ernst zu nehmen. Als Kind wird uns immer wieder im Konflikt mit Erwachsenen unterstellt, dass unsere Gefühle „falsch“ sind, dass wir anders fühlen sollen. Daher werden unsere Empfin-dungen und Gefühle kaum gemerkt und oft verdrängt. Auch deshalb fällt es uns des öfteren schwer unsere Gefühle klar zu benennen. Häufig müssen wir lange um die richtigen Worte ringen und haben doch genauso häufig das Empfinden, dass wir nicht die Begriffe gefunden haben, die unserem jetzigen Gefühl wirklich entsprechen. Eine Empfindung des Körpers sagt uns nach C. G. Jung, dass da etwas ist, das Denken sagt uns, was es ist und die Gefühle bewerten das Empfundene in: das gefällt oder das gefällt nicht. Gefühle begleiten jedes Denken und Handeln und sind für unser Verhalten vor allem in Krisensituationen viel bedeutsamer und entscheidender, als wir dies in der Regel wahrhaben wollen. Immer wie-der versuche ich daher diese Behauptung zu begründen.

Philos heißt im Griechischen Freund- oder Freundschaft und Sophia bedeutet Weisheit. Ein Philosoph ist demnach ein „Freund“ der Weisheit. Die Weisheit ist nicht nur im Deutschen sondern auch im Russischen und Hebräischem weiblich. Dem Männlichen wird der Verstand und der Geist zugeordnet, dem Weiblichen der Leib und die Gefühle. Die Überbetonung des Verstandes, der Ratio hat uns nicht nur in die Krisen zu Beginn des 21. Jahrhunderts geführt. Die Gefühle und das weibliche Empfindungsbewusstsein können uns vielleicht aus diesem Schlamassel wieder herausführen.

Eine philosophische Idee, oder ein philosophisches Konzept sollte demnach ein Gedan-kengebäude sein, in dem die Weisheit zu Hause ist. Es bleibt aber ein Konzept und ist nicht die „absolute“ Wahrheit, wie dies immer wieder im Gegensatz zu religiösen Schriften, z. B. Beim Koran oder der christlichen Offenbarung der Fall ist.

Aber was soll ich tun? Dies ist eine der grundlegenden Fragen in der Philosophie. Sie ist eine moralische- und eine politische Frage und steht bei mir im Mittelpunkt dieses Buches.

Das selbstständige, unabhängige, undogmatische Denken, zu dem die Philosophie auffor-dert, ist eine Fähigkeit, ein Potential, das fast alle Menschen mitbringen, aber viele in sich noch schlummern lassen. Wenn sie oder er diese Kräfte nicht erwecken, verschleudern sie eine grundsätzliche menschliche Fähigkeit. Eine Fähigkeit, die das Leben zumindest inte-ressanter aber auch bewusster gestalten lässt. Man wird selbstbewusster, und kann selbst-bestimmter sein Leben in eine größere Fülle führen.

Menschen, die das Nachdenken anderen oder Ideologien überlassen, machen sich leichter abhängig von den Wenigen, die immer mehr durch dieses System zumindest materiell pro-fitieren und die ihre Interessen mit Hilfe der vierten Macht der Medien, vor allem der Boulevardpresse, so darstellen können, als wären dies auch die Interessen der Mehrheit des Volkes. Wenn Politiker erzählen, dass unser Wohlstand von einem ständigen Wachstum abhängig ist und deshalb jeder unentwegt konsumieren muss, auch wenn man gar kein Bedürfnis hat, dann wird man gefordert darüber nachzudenken, was das für ein System ist, indem ich ein guter Bürger bin, wenn ich mir Güter anschaffe, um der Güter und des Profits einiger weniger Willen. Was ist das für ein System, eine Ideologie, eine Philosophie, die mich auffordert Energien zu verschleudern, Rohstoffe auszubeuten und die Klimaerwärmung zu unterstützen? Wohin führt uns eine gesellschaftliche Ideologie, in der nicht ernsthaft über die Zukunft der kommenden Generationen nachgedacht wird? Wohin führt mich eine Ökonomie, in der es immer seltener um eine Bedarfsdeckung, als vielmehr um eine künst-liche Bedarfsweckung geht?

Wenn ich wissen will, was ich tun soll, wenn ich wählen will, muss ich Konzepte und Philosophien in ihren Grundaussagen kennen. Jedes philosophische Gedankengebäude hat einen eigenen Horizont. Da der Horizont immer auch eine Grenze darstellt, heißt dies, dass jede Philosophie auch eine geistige Grenze hat. Daher scheint es mir notwendig, in knapper Form, das Wissen und die Weisheiten, die geistigen Horizonte, die die Menschen im Laufe der Jahrtausende entwickelt haben, aufzuzeigen und zusammenzufassen. Beginnend, ganz von vorn im archaischen Zeitalter weil uns das Denken, diese Ideen, die Rituale immer noch mitprägen. Bevor wir zur Philosophie in Indien und China vor mehr als 3000 Jahren kommen, gehe ich auch noch auf das magische Zeitalter ein. Dem folgend die mythische Zeit in Griechenland, über die antike Zeit, das Mittelalter, die Renaissance, bis in die heutige Zeit. Zeigen wie die Philosophien nach der „Wahrheit“ suchen und doch alle in einem Denk- oder Erfahrungsrahmen begrenzt sind und die vermeintlich neu gedachten und entwickelten Ge-dankengebäude, auf die davor entstandenen aufbauen. Auch zeigen, wie Ideen abhängig von Kultur, Kunst, Politik und dem Zeitgeist sind. Darstellen, was für Menschen das sind, die diese Denkgebäude entworfen haben. Aufzeigen worauf letztendlich unsere Religionen un-ser Denken, unser Wissen, unsere Verhaltensweisen unsere heutigen Ideologien zurück-greifen und gründen.

Worauf gründen unsere theistischen Religionen? Welches Denken bestimmt uns unbewusst noch heute? Ist dies wirklich mein Denken? Um den Antworten dieser Fragen näher zu kommen, ist es mir auch wichtig, die Entwicklung unseres Bewusstseins, unserer Bewusst-seinsebenen darzustellen. Woher kommt z.B. unser magisches Denken? Wie kommt es, dass der Harry Potter-Zyklus, die Geschichte eines Zauberlehrlings nicht nur Millionen Jugend-liche, sondern genauso Erwachsene auf der ganzen Welt begeistert? Wie kommt es, dass wir uns so weit außerhalb der Natur wähnen, dass Konzernlenker und Brooker die Natur nur noch unter dem Horizont des Geldes mit „Geldaugen“ sehen und sie deshalb derartig skru-pellos ausbeuten und zerstören können? Wie kommt es, dass ein geringer Teil der Menschheit, die Mehrheit der Menschen manipulieren und abhängig machen kann? Wie kommt es, dass die Gier nach Geld, so von uns Besitz nehmen kann?

Wie sie schon jetzt erkennen können, werde ich auf diesem „Streifzug“ immer wieder zu unserem Gesellschaftssystem auch kritisch Stellung nehmen. Philosophische Konzepte hin-terfragen, inwieweit sie uns zu mehr Gerechtigkeit, Gleichheit, Verantwortung und zu einem friedvolleren Umgang miteinander führen können. Wir brauchen die Tugenden als eine Art „Kompass“, um ein sinnvolles, verantwortetes Leben führen zu können. Ohne diesen Kom-pass ist man in dieser marktkonformen Demokratie in großer Gefahr, Ziele anzusteuern, in denen die Gier, der Machtmissbrauch, der Egoismus die Tugenden dominieren.

 

Wenn wir die technische Entwicklung der letzten Jahrhunderte betrachten dann können wir dank unserer Ratio eine kaum fassbare Entwicklung in den letzten Jahrhunderten wahrneh-men. Wenn jemand in meiner Jugendzeit die Funktionsmöglichkeiten eines I-Pad erklärt und behauptet hätte, dass dies 50 Jahre später ein Medium für die Mehrheit der Menschen in Deutschland wäre, man hätte ihn für ver- rückt erklärt. Nur wenig mehr als 100 Jahre nach den ersten Flugversuchen landen Menschen auf dem Mond. Kaum fassbar!

Wenn wir im krassen Gegensatz dazu unsere geistige, ethische Entwicklung betrachten? Können wir mit Sicherheit behaupten, dass wir uns hier überhaupt in den letzten Jahrhun-derten weiterentwickelt haben? Welche Auswirkungen diese Polarität der unterschiedlichen Entwicklung bedeutet, können wir an der Klimaerwärmung, Ausbeutung der Rohstoffe, am perversen Finanzwesen, an der globalen sozialen Ungerechtigkeit erkennen.

Was will ich mit diesem Buch erreichen?

  Wenn wir immer deutlicher erkennen müssen, dass uns das weltweit verbreitete System des Kapitalismus keine Gerechtigkeit und Gleichheit bringen und den Menschen und die Natur zerstört, indem es die Menschheit in wenige Reiche und viele Arme spaltet und die Natur ausbeutet ohne die Zukunft kommender Gene-rationen zu berücksichtigen, dann müssen wir uns doch auch fragen lassen, warum wir in einem solchen System leben wollen und ob wir in einem solchen System leben wollen?

  Wenn ich mir die Frage stelle, in welcher Gesellschaft ich leben will, dann muss ich auch Wissen über eventuell andere und gerechtere Systeme haben.

  In alten und uralten philosophischen Systemen können wir andere Werte finden, die vielleicht eine sinnvolle Alternative zeigen. Die uns in eine gerechtere Welt führen können.

  Mit diesem Nachschlagewerk möchte ich auch Menschen erreichen, die sich sonst wenig für Philosophie interessieren. Deshalb werde ich das übliche Dickicht der typischen Philosophensprache, so durchlässig wie möglich gestalten und deshalb alle speziellen Begriffe aus dem Text heraus erklären.

  Deutlich machen, dass kein Philosoph ganz allein seine „Weisheiten“ und Ideen nur aus sich selbst heraus geschaffen hat. Jeder Philosoph steht mit seiner Lehre auf den Schultern vieler Vorgänger. So können wir Hegels Dialektik sowohl in der indischen als auch in der chinesischen Philosophie erkennen. Oder Schopenhauers Konzept über den Willen aus der buddhistischen Philosophie herauslesen. Selbst Kants „Kategorischen Imperativ“ finden wir schon bei Lao-Tse. Alle drei Philosophen kannten die Texte, die vor mehr als 2000 Jahren geschrieben wurden.

  Immer wieder halte ich es auch für notwendig nicht nur die zum Teil großartigen Ideen der Philosophen herauszustellen, sondern auch ihre Verletzlichkeit, ihre Moral oder ihre Einsamkeit zu beschreiben.

Die Grundlage dieses Buches bilden einige philosophische Klassiker: Von Christoph Helferich „ Geschichte der Philosophie, von Hans Joachim Störig „ Kleine Weltgeschichte der Philoso-phie, von Wilhelm Weischedel „ Die philosophische Hintertreppe“ und von Edmund Jacoby „50 Klassiker“.

Das erste und letzte Kapitel befindet sich ähnlicher Form auch in „ Horizonte öffnen“.

1Entwicklung unseres Bewusstseins

1.1Drei grundsätzliche Fragen

Es ist anzunehmen, dass die Menschen schon immer die drei Fragen beantwortet haben wollten:

  Wer sind wir?

  woher kommen wir?

  wohin gehen wir?

Wie weit sind wir mit unserem heutigen Wissen bisher bei den Antworten zu diesen Fragen gekommen? Wir haben vier Bewusstseinsbereiche im Laufe der Evolution entwickelt. Zuerst das Archaische, dann das Magische, dem folgend das Mythische und bis jetzt zuletzt das Rationale. Die meisten Menschen schätzen vor allem die Entwicklung des rationalen Be-wusstseins, denn sie hat uns mit der Entwicklung der Wissenschaften diesen materiellen Reichtum beschert. Außerdem gehen sie davon aus, dass es mit Abstand der wichtigste Bewusstseinsbereich ist. Die meisten Philosophen in den letzten 2500 Jahren haben dies ähnlich gesehen und die Vernunft über die Gefühle gesetzt. Zumeist ganz von den Gefühlen und der Intuition abgetrennt. Die theistischen Religionen haben sogar Gefühle, die sich vor allem im magischen und mythischen Bewusstseinsbereich entwickelt haben, für das See-lenheil als schädlich, sogar als teuflisch bezeichnet.

Der letzte gemeinsame Vorfahre von Menschen und Schimpansen lebte vor mehr als 7 Mil-lionen Jahren. Gut drei Millionen Jahre später ging der Vormensch auf zwei Beinen. „Lucy“, ein 3,2 Millionen altes Skelett ist hier die berühmteste Vertreterin davon. Schimpansen haben in jeder Zelle 99 % unserer Gene. Und jeder Mensch, gleichgültig, wo er lebt hat 99,9 % aller Gene von uns. Wir sollen immerhin 100 Billionen von ihnen haben.

Wir sind wahrscheinlich etwa vor 4 Milliarden Jahren aus einer Zelle aus dem Meer ent-standen. Alles Lebende was es gab und heute gibt, könnte von dieser einen Zelle abstam-men. Deswegen haben selbst Pilze 30 % unserer Gene. Daher kommt es, dass man unser heutiges Dasein, „jede einzelne Situation“ nur verstehen kann, weil zuvor jede einzelne Situation genauso geschah. Vom schlimmsten Erdbeben, über Meteoriteneinschläge, zum größten Vulkanausbruch, bis zum leisesten Windhauch und dem berühmten Sack Reis der in China irgendwann umgefallen sein soll. Nur so lässt sich jede einzelne Situation, der ich heute begegnen werde, erklären. Wenn der Sack Reis in China nicht umgefallen wäre, würde ich heute andere Situationen erleben. Alles wäre dann anders geworden, denn alles hängt miteinander zusammen. Alles ist wirklich voneinander abhängig, ist ein Ganzes. Deshalb kann man Situationen auch nicht wirklich verstehen, geschweige denn vorhersagen. Ist dann alles was geschieht reiner Zufall? So einfach ist das Weltgeschehen und die Erfahrungen meines eigenen Lebens auch wiederum nicht, weil ich selbst eine große Freiheit habe, wie ich mich entscheide und deshalb immer auch ein anderer werden kann. Alles lebt unter einem Horizont und trotzdem hat jeder einen einmaligen (auf die Zeit bezogen) und einen einzigartigen (auf den Ort bezogen) Horizont, den er erweitern aber auch verkleinern kann.

Der Homo erectus tauchte vor fast 2 Millionen Jahren auf. Der moderne Mensch, der Homo sapiens ging aus diesem hervor. In der Schule vor 50 Jahren lernte ich, dass sich der Mensch etwa vor einer Million Jahre entwickelte. Dies ist ein Beispiel, dass unser Wissen immer nur vorläufig ist. Weil das rationale Denken nicht in der Lage ist, die Vernetzung in der Natur zu erfassen und noch viel weniger die unendlichen Wechselwirkungen zwischen ihnen, haben die Forscher eine Methode entwickelt, die von einem oder mehreren Teilen auf das Ganze schließen lassen. Für Rationalisten (ratio-die Vernunft) lässt sich die Welt vollständig verste-hen, wenn alle ihre kleinsten Teile entschlüsselt sind. Der Reduktionismus (Vereinfachung) versteht das gesamte Sein wie ein riesiges Uhrwerk, bei dem man nur jedes Rädchen und Teilchen kennen muss, um das ganze Uhrwerk, das heißt das gesamte Sein zu verstehen. In einem Uhrwerk hat jede Wirkung eine Ursache. Und wer die Ursache kennt, kann damit auch die Wirkung steuern. Und die erste Ursache oder der Schöpfer ist für die einen, dann Gott und für die anderen die Natur, die schon immer da war und immer da sein wird. Obwohl wir unbestreitbar technisch und mittlerweile elektronisch und digital Fähigkeiten entwickelt haben, die noch vor 100 Jahren kaum vorstellbar waren und wir mittlerweile nur etwas mehr als 10 Jahre brauchen, um unser Wissen zu verdoppeln, können wir die drei Fragen nicht beantworten. Die seriöse Wissenschaft weiß, dass ihr Wissen immer nur vorläufig und nicht sicher oder absolut ist. Und Immanuel Kant, der vor mehr als 200 Jahren lebte, hat ein für alle Mal bewiesen, dass bei diesen Fragen, die Vernunft zu ihrem Ende gekommen ist. Niemand kann beweisen, dass es einen Gott gibt, genauso wie niemand beweisen kann, dass es keinen Gott gibt. Diese Fragen, sozusagen den letzten Sinn, betreffen den Glauben aber nicht das Wissen.

1.2Das archaische Bewusstsein

Diese Epoche liegt in der Frühzeit des Menschen, in einer Zeit ohne schriftliche Überlieferung. Ihre Anfänge verlieren sich in so weiter Ferne, in der noch nicht einmal eine differenzierte Sprache entstanden war. Aus dieser Epoche gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Man kann nur vorsichtige Schlüsse ziehen. Bei der Art und Weise, wie der Homo erectus vor ca. 500 000 Jahren Knochen arrangierte, kann man religiöses Erleben vermuten. Jean Gebser, der Kulturphilosoph, der dieser Epoche den Namen gab, abgeleitet vom griechischen „arche´“, was so viel wie Ursprung heißt, sieht in der archaischen Struktur einen Zustand des Denkens, Fühlens und Wahrnehmens, der im Laufe der langen Geis-tesgeschichte keineswegs verschwunden ist, sondern allen späteren Bewusstseins-zuständen zu Grunde liegt. Der chinesische Weise Dsuang Dsi, der etwa im 3. Jahrhundert v. Chr. lebte glaubt, dass die Menschen damals weder Zeit noch Raum wahrnahmen. Was nicht in ihrem Bewusstsein war, schien auch nicht in ihrer Welt zu sein. Ihr Bewusstsein war noch nicht erwacht und um sich von ihrer Umwelt nicht zu trennen, waren sie „eins“ mit der Welt. Sie lebten in Einheit mit allem, was sie umgab. Man kann davon ausgehen, dass es für sie kein „Außen“, kein Objekt, kein anderes gab. Ein alter chinesischer Begriff „T´sing“, schreibt der Kulturforscher Joachim Faulstich, hat bei ihnen die Bedeutung, dass Himmel und Erde noch nicht voneinander getrennt sind.

1.3Das magische Bewusstsein

Mit dem Heraufdämmern der nächsten Epoche des Bewusstseins, dem magischen Zeitalter, sagt Dsuang Tsi, haben die Menschen ihre „Einfachheit“ verloren, den Verlust des sicheren Wissens und der vollständigen Verbundenheit mit der Welt. Indem sie lernten einfache Werkzeuge herzustellen, ist eine Distanz, ein Außen entstanden, in das sie eingreifen konnten. Durch diese Regungen und Entwicklungen des Geistes entstand aber auch eine Unsicherheit. Man fühlte sich nicht mehr behütet und geborgen und wollte auch wieder in den ursprünglichen „Einheitszustand“ zurück.

Es ist eine Zeit, in der die Familiengruppe, der Stamm und das überschaubare Jagdgebiet eine Einheit bilden, in der auch alle Pflanzen und Tiere untrennbar noch miteinander verbunden sind. Die Stämme hatten vielleicht eine Art Gruppenseele, in der sich deren Mitglieder kaum als Einzelwesen sahen. Alle arbeiteten für alle und Besitz und Herrschaft auf Grund von der Geburt, wie z. B. Im Mittelalter, gab es noch nicht. Das, was außerhalb dieses Rahmens war, war das „Andere“. In dieser Zeit müssen die magischen Handlungen entstanden sein, die wir von den Schamanen kennen.

Beim Schamanismus handelt es sich um die nachweislich älteste religiöse Form des Denkens. Seit der Entdeckung der Höhlenkunst von Chauvet im Tal der Ardeche in Frankreich kann man dies relativ sicher nachweisen. Eine Kunst, die vor ca. 30 000 Jahren entstand. Im Oktober 2011 hat man durch Funde festgestellt, dass die Menschen schon vor 100 000 Jahren Farben herstellten konnten. Statuen und auch Zeichnungen zeigen kaum einen Mund. Die Sprache spielte wohl noch nicht die-se dominante Rolle wie bei uns. Um die Außenwelt vor allem bei der Jagd zu verändern, brauchte man eine Magie, einen Zauber, um die größere Kraft und Schnelligkeit der Tiere auszugleichen, um eine Chance zu haben, sie zu besiegen. Das Denken kreiste um die Gegenwart, um das Ritual, um die magische Handlung.

Dafür waren die Schamanen zuständig. Schamanen sind auch religiöse Heiler, die sich mit Hilfe von Ekstasetechniken, in einen veränderten Zustand bringen, um in eine Welt zu reisen, die man im Wachzustand nicht erreichen kann. In dieser „Anderswelt“ suchen sie nach positiven Kräften, Geistern oder auch Bildern, die ihnen sagen und helfen, wie man einen Kranken heilen kann. Ähnlich ist es, wenn sie einen Rat in einer wichtigen Angelegenheit brauchen. Sie können auch mit Hilfe von Gesängen mit ihren Ahnen Kontakt aufnehmen und mit ihnen sprechen. Bevor sie aber in diese Welt gelangen, müssen sie Hindernisse über-winden und auch negative Geister als Unterstützer gewinnen oder sie besiegen. Deshalb werden die Schamanen von ihren „Krafttieren“ und guten Geistern unterstützt. Sie sind Mittler zwischen dieser und der „Anderswelt“. Druiden bei den Kelten und Germanen wurden von den Göttern auserwählt und mussten viele Jahre bei einem Meister in die Lehre gehen, bevor sie selbst dieses oft wichtigste Amt in alten Kulturen ausführen durften. Von Caesar wissen wir, dass die Druiden auch Lehrer und Richter waren.

 

Magische Handlungen sind Handlungen, die weder von der Vernunft noch von der Naturwissenschaft nachzuvollziehen sind. Der Handelnde selbst geht davon aus durch über-natürliche Kräfte „Wunder“ zu vollbringen. Der Magier oder der Schamane greift durch Ri-tuale in die Wirklichkeit in nicht rationalem, nachzuvollziehendem Maße ein. Die Interpre-tation des Religionspsychologen Mircea Eliade für den Schamanen lautet: „der außer sich ist.“ Ein Mensch, der die körperlichen Fesseln sprengt und in eine andere Landschaft reist. Er reist in die Welt, in der die herkömmlichen Naturgesetze aufgehoben sind. Dazu braucht er die Imagination, die Vorstellungskraft durch die innere Bilder entstehen. Auf diese Weise hat er gelernt Einfluss auf die Natur zu nehmen. Er war überzeugt, indem er den Kontakt zu der Anderswelt herstellt, die guten Geister so beeinflussen zu können, dass sie ihm helfen, die Jagd oder eine Heilung positiv zu gestalten.

Zauberer, Medizinmänner oder Schamanen findet man in vielen früheren Kulturen: In Sibirien, die Aborigines in Australien, bei den Eskimos, den Indianern, in Südamerika. Huilt-krantz sagt über den Schamanismus: „Der Schamanismus bildet ein religiöses Glaubens-system, das auf religiöser Erfahrung und sakralen Mythen sowie auf Riten beruht. Letztere finden ihren Ausdruck durch kulturspezifische, schamanistische Techniken, unter denen Trance oder Ekstase eine hervortretende Rolle spielen.“ Das Ritual, bei dem oft der ganze Stamm teilnimmt, ist bis ins kleinste Detail vorbestimmt. Allein dadurch entstehen Kräfte, die es im Alltag so nicht gibt. Man reinigt sich vorher in einer Schwitzhütte, die Zeit ist bestimmt, der Ort ist besonders hergerichtet, durch das Feuer entsteht eine besondere At-mosphäre und nicht nur der Schamane auch alle Beteiligten sind besonders geschmückt. Gesänge, Tänze, bewusstseinsverändernde Getränke, Zaubersprüche, Beschwörungen, oft auch der Rauch einer Pfeife durch besondere Blätter und Fetische wie besondere Knochen oder Steine können zu diesem Ritual gehören. Schon die äußeren Umstände führen alle Teilnehmenden in eine andere Welt. Diese besonderen Umstände lassen eine Atmosphäre entstehen, der sich niemand entziehen kann und allein dadurch und im Zusammenhang mit den inneren Bildern und positiven Imaginationen entstehen ungewöhnliche und außeror-dentliche Gefühle und Kräfte, die sich auch auf den Körper auswirken. Ein Kranker kann durch diese Kräfte gesunden, wie wir dies aus vielen solcher Behandlungen wissen. Neuropsychologen können diese Kräfte heute bestätigen, weil durch sie das Immunsystem verbessert und die Selbstheilungskräfte, der Glaube an die Macht dieser Zeremonie, ungewöhnlich aktiviert werden. Wir kennen diese Kräfte in schwächerer Form beim Place-boeffekt, wo allein der Glaube und nicht das „Medikament“ heilt. In den letzten Jahren zunehmend hat man die Kräfte der Rituale und der Imaginationen bei Krebserkrankungen und chronischen Krankheiten wiederentdeckt.

In praktisch allen modernen Religionen finden wir heute noch zahlreiche schamanische und magisch interpretierbare Reste. Z. B. Als Mittler in die „Anderswelt“ - bei den Juden waren dies die Propheten, die „Gott“ als Mittler zwischen ihm und den Menschen auserwählt hat: Moses, Ezechiel, Jesus... Der Exorzismus, der in der katholischen Kirche durch Papst Benedikt XVI eine Renaissance erfährt. Der Exorzist, (Priester) treibt die bösen Dämonen oder gar den Teufel persönlich aus. Wunder von denen in der Bibel immer wieder die Rede ist. Z.B. die Wiedererweckung des Lazerus, oder die Verwandlung von Wasser in Wein. Auch die Himmelfahrt sowohl bei Jesus, Maria und auch Mohammed. Die Schutzgeister finden wir in Form von Schutzengeln wieder. Die Heiligen- und Reliquienverehrung war früher der Fetischismus bei den Schamanen. Auch die Verwandlung von Wein in das Blut von Christus entspricht einem magischen Zauberspruch. Die rituelle Reinheit bei den Muslimen, früher waren es die Schwitzhütten. Die uralten Initiationsriten finden wir in der Kommunion und Konfirmation wieder. Und die Gesänge und der Weihrauch alles hat einen heidnischen Ursprung, der viele tausend Jahre zurückliegt.

Auch in der Naturwissenschaft finden sich heute noch dieses Wissen und diese Weisheiten. Der Kulturwissenschaftler Joachim Faulstisch berichtet von Hospitälern im Regenwald in Peru, wo die Schulmedizin nur dann Erfolge hat, wenn sie bereit ist mit dem zuständigen Schamanen zusammen zu arbeiten. Die Patienten hören auf den Medizinmann und der Medizinmann hat, wie sie immer wieder feststellen die Macht Patienten zu heilen. Erst als die Schulmedizin dafür bereit war, haben sie sich mit Erfolg etablieren können. Die Wissenschaft kann zwar die Wirkung der Akupunktur nicht erklären, die Heilerfolge sind aber nicht zu übersehen und deshalb wird sie mittlerweile auch von Schulmedizinern angewen-det. Man hat wissenschaftlich nachweisen können, dass positive Imaginationen, (innere Bil-der) die Heilungschancen verbessern. Besonders bei Krankheiten, bei denen die Schul-medizin ihre Grenzen erfährt, wie bei Krebs, chronischen Krankheiten und Traumata, können Imaginationen und damit verbundene Rituale die Heilung unterstützen. Im Sport wurde dies noch vor 20 Jahren zumindest belächelt, heute gehört die Versenkung in innere Bilder, in der der Lauf vorweggenommen wird zur Ausbildung und Vorbereitung für den Wettkampf.

Fast alle Kinder durchlaufen eine magische Phase, wenn sie mit Puppen oder Figuren spielen, mit ihnen reden, ihnen Kräfte verleihen, ihnen Essen geben. Wie wichtig kann dieses Spiel bei Kindern sein, die sich in ihrer Entwicklung zwangsläufig nicht immer verstanden fühlen. Wenigstens ihr Held oder die Fee hört zu und kann die Welt nach ihrem Sinne verwandeln.

In unserer ausgeprägten rationalen Welt ist die Magie, meistens leicht verdeckt, in vielen Situationen noch zu erkennen. Beim Würfelspiel hauchen wir, wenn wir eine 6 brauchen den Würfel 3mal an, Menschen klopfen 3mal auf Holz, um auszudrücken, dass sie bisher Glück hatten, wer hat nicht schon mal ein 4-blättriges Kleeblatt gesucht, mit Blumen - er liebt mich, er liebt mich nicht- gespielt. Fußballer achten darauf, dass sie mit dem rechten Fuß zuerst den Rasen betreten und wenn man mit dem roten Pullover einmal Glück hatte, zieht man ihn immer wieder an, wenn das Glück einem besonders wichtig ist. In Konstanz hatten die Bauern, alle tief katholisch, über der Tür des Stalles, indem ihre wichtigsten Tiere lebten, ein Hufeisen angebracht.

Gerald Hüther, der Neuropsychologe geht noch einen Schritt weiter indem er sagt, dass Imaginationen, die inneren Bilder, unsere Wahrnehmung in der Welt grundsätzlich bestim-men, sowohl individuell als auch kollektiv. Nicht nur ist jeder einzelne Mensch von diesen Mustern bestimmt, sondern auch Gruppen, die einer gemeinsamen Idee folgen, bis hin zu Nationen. Was wir im Sprachgebrauch als „Nationalcharakter“ bezeichnen, ist eine Sammlung innerer Bilder, die der ganzen Nation gemeinsam ist und damit ihre Wahr-nehmung der Wirklichkeit steuert. Wir müssen nur, bedingt durch unsere unterschiedliche Geschichte, das Selbstbewusstsein bei den Amerikanern im Unterschied zu uns Deutschen anschauen. Wir sehen nicht die Banane, die vor uns liegt, sondern die Banane im Inneren, ein Bild das wir mit Banane verbinden. Ebenfalls innere Bilder filtern unsere Eindrücke, die unser Gehirn erreichen. Sie sind ein Ordnungsfaktor und Zensor zugleich. Was keine Entsprechung im Inneren hat, wird als irreal, als Sinnestäuschung wahrgenommen. Wenn der Verstand sagt, das gibt es nicht, dann sehe ich es auch nicht. Oder Menschen, die damit aufwachsen, dass es Geister gibt, sehen die Geister. Einer dem das fremd ist, sieht sie nicht. Tief, sehr tief und nachhaltig ist in uns das magische Bewusstsein noch am Wirken. (Der erste Teil ist auch in „Horizonte öffnen“ zu finden.)