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K-punk, oder das Glampunk-Art- Pop-Diskontinuum 166

\Gla’mour\, Subst. [Schott. glamour, glamer; vgl. Isl. gl[‘a]meggdr, jemand, der an Glaukom leidet (?); oder Isl. gl[=a]m-s?ni, Sehschwäche, Glamour; gl[=a]mr, Name des Mondes, auch der Name eines Geistes + s?ni Sicht, ähnlich d. engl. sehen. Mglw. auch Abwandlung des engl. grammarye.

1. Ein Zauber, der das Auge betrifft und dafür sorgt, dass Objekte anders wirken als sie sind.

2. Hexenwerk; Zauberei; ein Fluch – Tennyson.

3. Eine Art Schleier in der Luft, der dafür sorgt, dass Objekte anders wirken als sie sind.

4. Das künstliche Interesse an oder Verbindung mit einem Objekt, die es irreführend vergrößern oder glorifizieren.

Gabe des Glamour, Macht des Glamour, die Gabe oder die Macht, Glamour zu verleihen. Ersteres wird metaphorisch für eine den Frauen eigene Macht verwendet.

»Jede Frau hat den Instinkt, die Neigung, aus ihren Rei­zen Nutzen zu ziehen, und es hat viel für sich, sich ohne Liebe, ohne Genuß hinzugeben, man bleibt hübsch kaltblütig dabei und kann seinen Vorteil wahrnehmen.«

Leopold von Sacher-Masoch, Venus im Pelz167

Glam IST Punk; sowohl historisch als auch konzeptuell.

Wie Simon Reynolds gezeigt hat (vor inzwischen bestimmt einem Jahr), hat Glam die Entstehung von Punk überhaupt erst möglich gemacht.

Im Grunde brachte Glam den Pop wieder zur Arbeiterklasse zurück, die von der faulen Zotteligkeit der Hippies abgestoßen und zurückgewiesen war.

Trotz all der »androgynen« Inszenierungen war das Hippietum im Wesentlichen ein Phänomen der männlichen Mittelklasse. Es ging darum, dass Männer Ihrer Majes­tät, dem Ego huldigen und auf einen hedonischen Infantilismus regredieren können und dabei immer Frauen zur Hand haben, die ihnen dabei helfen. (Wenn ihr mir nicht glaubt – und ich bin da ganz ehrlich, ich bin alles andere als ein objektiver Kommentator, wenn es um Hippies geht –, dann lest Atwoods kühl-rationalistisches Buch Der lange Traum, dann seht ihr, wie »befreiend« das Ganze für die Frauen war.)

Thus even Zarathustra / Another time loser / could believe in you…/

( Dann könnte sogar Zarathustra / so ein anderer Loser / an Dich glauben…)

Der Glam der Siebziger gab den Nietzsche von Jenseits von Gut und Böse und Genealogie der Moral (jener Nietzsche, der Aristokratie, Nobilität und Beherrschung feierte) statt den jungen, dionysischen Nietzsche. Wie Simon schrieb:

»Glams neigte zum Klassischen statt dem Romantischen (durch die Verschiebung des Fokus auf das Visuelle statt das Musikalische, auf das Spektakel statt die Schwarmlogik von Lärm und Masse). Glam war anti-dionysisches, das Dionysische verstanden als etwas De­mokratisches, Vulgäres, Gleichmachendes, die Rang­unterschiede Abschaffendes. Glam geht es um Monumentalismus, es geht darum, sich selbst in eine Statue zu verwandeln, ein steinernes Idol.«168

Aber Glam fiel auch demselben genetischen Fehlschluss zum Opfer, der schon Nietzsches Denken auszeichnete. Während Nietzsche ohne Zweifel die abstumpfenden Effekte »egalitärer« Sklavenmoral in Jenseits von Gut und Böse und Genealogie der Moral und die Geisteskrankheit, die die westliche Kultur in einen Strudel der lebenshassenden Entintensivierung bis zum Tode geworfen hat, richtig erkannte, ging er in seinen Lobgesängen auf die sklavenhaltende, aristokratische Kultur doch fälschlicherweise davon aus, dass Nobilität durch soziale Herkunft garantiert sei.

Nobilität ist eine Frage der Werte; es ist eine ethische Haltung, also eine Art Verhalten. Und als solches steht es jedem, der den Willen und das Bedürfnis danach hat, zur Verfügung – selbst, wie man annehmen kann, der Bourgeoisie, auch wenn ihre Sozialisation sie dazu anhält, ihm zu widerstehen und es zu verachten. Mehr als jeder andere hat Nietzsche verstanden, dass die tiefsitzende Feindschaft der Bourgeoise gegenüber dem »Begriff der Über­legenheit« eine zutiefst ressentimentgeladene Psychopathologie zugrunde liegt.

Wenn Nietzsches Atheologie sagt: Wir müssen Gott werden, dann sagt der bürgerliche Säkularismus: Niemand ist größer als ich – nicht einmal Gott.

Jeder weiß, dass zwischen der Arbeiterklasse und der Aristokratie immer schon eine tiefe Affinität bestand. Von Grund auf ehrgeizig, ist der Arbeiterklasse der gleichmachende Impuls der bürgerlichen Kultur fremd – und natürlich führt das politisch zu Ambivalenzen, da es dem Ehrgeiz um Status und Autorität geht und er damit die bürgerliche Welt bestätigt und rechtfertigt. Nur wenn das Fluchtbedürfnis sich am proletarischen Kollektiv und einer gemeinsamen neuen Welt ausrichtet, ist es politisch positiv zu bewerten. Glam war eine Rückkehr zur Haltung der Mods, die das Hippietum der späten Sechziger beendet hatte. Wie so oft bei subkulturellen Gruppen, entstand auch der Begriff »Mod« aus einer Beleidigung, in diesem Fall durch die ewigen Feinde der Mods, die Rocker. Wie Jeff Nuttall schreibt, bedeutete »Mod« für die Rocker »Verweiblichung, Hochnäsigkeit, eine Imitation der Mittelklasse, ehrgeizige Selbstkultivierung, Snobismus und Heuchelei.«169

But no dilletante / or filigree fancy / beats the plastic you //

(Doch kein Dilettant / kein filigraner Phantast / übertrifft dein Plastik-Ich)

Die Mods der Siebziger waren etwas anderes als die so(ul)zialistisch daherkommende, Cappuccino-Schaum-Retro-Mythologisierung der Achtziger suggeriert. Es waren die Rocker, denen es um das »Authentische« und »Natürliche« ging: Ihre Rebellion posierte als Rousseau’­scher Widerstand gegen Zivilisation und Massenkultur. Die Mods wiederum affirmierten das Künstliche: Für sie, so Nuttall, »wurde Entfremdung zu einer Art bewussten Haltung«. Nobilität war ihnen nicht angeboren. Vielmehr war es etwas, das man erreichen musste und zwar durch gnadenlose Denaturalisierung des Körpers durch Dekoration und chemische Umwandlung.

Die Mods waren in jeder Hinsicht auf Speed und die afroamerikanische Musik, die sie verschlangen wie ihr Eis und ihren Kaffee, verwendeten sie mit derselben Hingabe und aus denselben Gründen: als Beschleuniger, als Intensivierung, eine künstliche Quelle der Ektase. Es ging um einen chemischen Rush ins JETZT und NICHT um einen zeitlosen Ausdruck von Stolz und Würde.

In der Begehren-Genuss-Struktur (ich finde übrigens inzwischen offiziell, dass man »Libido« statt »Begehren« sagen sollte) gibt es etwas Drittes, das verdeckt ist: Sinnlichkeit.

Die schlampigen, schlecht sitzenden Klamotten der Hippies, ihr ungepflegtes Äußeres und das abgedrehte, psychedelische, faschistische Gerede über Drogen brach­ten eine Verachtung der Sinnlichkeit zum Ausdruck, die charakteristisch für die westliche, herrschende Klasse ist (»Alter, es geht nur um deinen KOPF.«)

Als die Hippies aus ihrem trägen, hedonistischen Schlummer erwachten und die Macht ergriffen (was nur ein kleiner Schritt war), brachten sie den Hass auf die Sinnlichkeit mit. Brutal funktionalistischer Utilitarismus plus eine ästhetische Schlampigkeit und ein unerschütterliches Anspruchsdenken sind die Merkmale der bürgerlichen Empfindsamkeit (man denke an all die Läden in Stoke Newington, an denen zu lesen ist, dass sie »so gegen zehn« öffnen und man weiß sofort, mit was für einer Klasse man es zu tun hat).

Die Hippie-Power-Klasse wollte Macht ohne den Aufwand des Power Dressings.170 Natürlich haben die Mittelklasse-Hippie-»Feministen« auf ihrem Weg vom angeblichen Egalitarismus zur hochmütigen Abschätzigkeit nichts ausgelassen. Was ist die Abneigung gegenüber Kos­metik und guter Kleidung anderes als ein Angriff auf die Arbeiterklasse? Die bürgerlichen, so genannten »Feministen« glauben, dass ihr »freiheitliches«, neurotisch-promiskuitives Leben und die bei Carrie Bradshaw abgeschaute ewig-adoleszente Zweideutigkeit besser sind als das Leben der Arbeiterklasse, nämlich (früher einmal) jung zu heiraten und (heute) jung Kinder zu bekommen, wo aber doch klar ist, dass es sich lediglich um eine andere Art Falle handelt – und nicht unbedingt um eine bessere.

Inzwischen haben die bürgerlichen Philister den Glam zerstört und uns ihren bevorzugten ästhetischen Modus aufgezwängt: den Romantizismus. Diese zeitgenössische Ästhetik hat die Romantik in reinster Form verwirklicht. Die romantischen Dichter, Musiker und Maler des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts waren immer noch Sensualisten, während unseren Romantikern Sinnlichkeit bes­tenfalls als Nebensache gilt, als Ablenkung vom wich­tigen Projekt, der eigenen Subjektivität zum Ausdruck zu verhelfen.

Romantizismus ist die verkleidete Ontologie des Teenagers, die als ästhetische Kosmologie daherkommt. Die Teenager-Ontologie beruht auf der Überzeugung, dass, was wirklich wichtig ist, sich im Inneren abspielt: Es geht um das, was man fühlt, was man erlebt und welche Meinungen man hat. In diesem Sinne ist die schludrige, versoffene, kumpelhafte Tracy Emin eine der größten romantischen Künstlerinnen, die es jemals gab. Wie bei ihrem männlichen Pendent – den wahren Erben der Hippies – ist Emins verschlafene, bierselige, misstrauische, aggressive, lustfeindliche Attitüde vor allem ein Zeichen der Leere der eigenen Neigungen.

Was Emin, Hirst, Whiteread und wie auch immer dieser Idiot heißt, der das Haus seines Vaters in der Tate neu erbaut hat, verbindet, ist die Verachtung des Artifiziellen und der Kunst an sich. Sie beruht auf dem verzweifelten Wunsch, dem prä-Warhol’schen, prä-Duchamp’schen und prä-Kantianischen vollkommen ungeschmückten Realen zum Ausdruck zu verhelfen. Wie die gesamte Pomo-Romantik-Kultur, die sich nicht noch einmal verarschen lassen möchte, ist das, was sie am meisten fürchten, Glamour. Man muss sich daran erinnern, was Glamour eigentlich heißt: »Das künstliche Interesse an oder in Verbindung mit einem Objekt, die es irreführend vergrößern oder glorifizieren.«

Wir sollten unser Argument durch ein paar Analysen im Detail stärken.

Beweisstück 1: Das Cover von Roxy Musics For Your Pleasure, 1973.

Das Bild auf dem Cover ist ein Meisterinnenwerk der Ambivalenz.

Betrachten wir das Bild durch die Augen von Ian Penman, einem der besten Kenner von Roxy. (Wie mich zieht es Penman wahrscheinlich deswegen immer wieder zu Ferry, weil er einen ganz ähnlichen Weg von der Arbeiterklasse zur Aufnahme in die Oberschicht hinter sich hat).

(Ich entschuldige mich nicht dafür, Penmans Text »The Shattered Glass: Notes on Bryan Ferry« ausführlich zu zitieren, denn es wäre fast ein Verbrechen, dieses wunderbare Beispiel theoretischer Eleganz in den Seiten eines längst vergessenen Cultural-Studies-Sammelbandes verschimmeln zu lassen).171

»Vor dem Küstenstreifen, den wir auf For Your Pleasure sehen, in einem Hafen, steht das zweite von vielen neuen Models: Zunächst scheint es sich um den zweiten Auftritt der Ferry/Roxy-Figur zu handeln.«

Doch für das vollständige Bild müssen wir die Platte aufklappen, wo wir dann Ferry sehen…

Penman fährt fort:

»Ferry übernimmt die Rolle ihres Chauffeurs (ein auf dem Festland gefangener Fährmann: ein Zeichen der Zeit). Er steht da in amüsierter Erwartung und betrachtet seinen visuellen Witz – das Model führt ihre Katze aus: Das Model fügt sich mit ihrem schwarzen Panther zu einer kohärenten, fast schon räuberischen Allianz zusammen, die Augen und der Mund weisen in Richtung des Betrachters. Gebieterisch nimmt sie einen Atemzug, spielt den Blick zum Betrachter zurück, lässt ihr Seelentier herumschleichen und sich ausstrecken. Ferry bleibt im Bild, männlich lächelt er hinter ihrem Rücken, kunstvoll beschützt von der Faltung der Platte. Sein eigener Blick ist zugleich im Rahmen und außerhalb.«

(Zugleich im Rahmen und außerhalb: Dort ist es doch, wo wir dieser Tage immer stranden und uns verlieren –?«)

Cut.

»Sie ist ein Model; Mode, die in Abstraktion und exklusive Kodifizierung übergeht, die nicht wegen irgendeines Produkts existiert oder im Namen der Kunst; was ist das für ein Wesen? Sie erscheint, aber sie erscheint unter der Bedingung, dass sie ohne Eigenschaften ist. Wir können ihr keine Merkmale zuschreiben, außer einen bestimmten, imaginierten Glanz von Reichtum, von Reichtum als Fetisch, (Helmut) Newtons Gesetz. Sie ist das reine, beißende, blaue Nichts. (Für den coolen und traurigen post-Duchamp-Künstler gibt es Schönheit nur noch in der verkleideten Form von Scheren.)«

Nebenbei gesagt, weil das in eine andere Diskussion gehört: Bei Ferrys Liedern handelte es sich – zumindest zu jener Zeit – um alles andere als um »einfach schöne Songs«. In erster Linie waren es Fragen: auch Fragen danach, was einen guten Song ausmacht…

Ferrys Songs waren – damals – in dem Maße »Liebeslieder« wie es sich bei Magrittes »Die Beschaffenheit des Menschen« um die Darstellung einer Landschaft handelt. Wie bei Magritte kann Ferrys absolute Kälte und Distanzierung gar nicht anders, als unsere Aufmerksamkeit auf die zugrundeliegenden Maschinen zu lenken, die die Gefühle ermöglichen, von denen er singt.

Noch ein Cut, diesmal zum »Reich eines bestimmten, narzisstischen Erotizismus, in das nicht eingetreten werden darf, ohne seine heterosexuelle Empfindsamkeit infrage zu stellen«:

»Alle Frauen in seinen Liedern (ganz besonders bei ›Stranded‹ und den folgenden Klagegesängen – sind stimmlose Sirenen ohne Konsequenzen, obwohl sie die größte Macht auf den Künstler und seine Empfindungen ausüben (was bedeutet, dass sie aus der Existenz heraus verewigt wurden). Zeit und Raum sind sterilisiert (jene Laufzeiten der Mode), sie fallen natürlich mit der Figur der Frau zusammen. Die Frau als Figur oder Szene – ein Pin-up aus dem Krieg, Catwoman, Amazone, Sirene, Riefenstahl-Mädchen.«

»Obwohl sie die größte Macht auf den Künstler und seine Empfindungen ausüben…« Die größte Macht ... Ist er, der Künstler, Severin, der Protagonist aus Masochs Venus im Pelz? Oder Sarrasine, der unglückliche Heldentölpel aus Balzacs Novelle, der sich unwissentlich in einen Kastraten verliebt?

Denn weißt du, die Ironie liegt in folgendem: Sie ist überhaupt keine Frau (zumindest nicht ganz).

Amanda Lear, die für For Your Pleasure Modell gestanden hat, war transsexuell (obwohl sie das später bestritten hat, was es noch ein bisschen komplizierter macht). Noch dazu wurde die Operation für ihre Umwandlung vielleicht von niemand anderem bezahlt als von Salvador Dalí.

Wie dem auch sei, es ist eindeutig, dass Ferry den Grundton für jene siebziger Jahre angeschlagen hat, in denen der Mann sowohl glamourös als auch überhöht ist. Ferry selbst war ein wunderbar gestyltes, photogenes Objekt, fasziniert und verführt von einer kosmetischen Schönheit, mit der er in Berührung kommen möchte, die er aber zugleich in etwas Unveränderbares und Unberührbares verwandeln will. »Mother of Pearl« – ein Lied, das, wie Penman auf The Pill Box schreibt, den ganzen Lacan in ungefähr sieben Minuten presst – ist vielleicht am ehesten ein meta-melancholisches Manifest Ferrys, ein Meta-Liebeslied über die Unmöglichkeit – und Unwünschbarkeit –, das Ideale Objekt zu erreichen.

Diese Art der Melancholie ist nicht einfach »tragisch« (und selbst wenn, dann hätte sie nichts mit bürgerlicher Empfindsamkeit zu tun, da der bürgerliche Säkularismus immanent jeder Idee von Tragik entgegensteht, wie alle von Shakespeare über George Steiner (Der Tod der Tragödie) bis hin zu Nietzsche gezeigt haben.

Ferrys Empfindsamkeit ist allerdings definitiv maso­chis­tisch. (Anders als in den sechziger Jahren, da erinnerte das Grundgefühl, wie Nutall zeigt, eher an de Sade. Wenn man den Unterschied sehen möchte, dann vergleiche man den in den Sechzigern geborenen Lennon-Song »Jealous Guy« – der Sadist entschuldigt sich – mit Ferrys Coverversion – der Masochist genießt übermäßig seinen eigenen Schmerz.)

Die Perversität des Masochisten besteht darin, sich jedem ausschließlichen oder auch nur primären Fokus auf die Genitalität oder Sexualität zu verweigern, selbst Sexualität in jenem Sade’schen polymorphen Sinne, der eigentlich nur ein klein wenig pervers ist.

Die Sade’sche Imagination kommt an ihre Grenzen, wie sie sich der begrenzten Zahl an penetrierbaren Körperöffnung des Menschen gegenübersieht. Aber der Maso­chist – und Newton ist dahingehend ein Masochist durch und durch, ebenso wie Ballard – verteilt die Libido überall. Das Erotische findet sich in allen Teilen der Maschine, egal ob im Lebendigen – dem sanften Druck des Fleisches –, im Fell von Tieren – der Pelzmantel – oder dem Technischen. Masochismus ist Cybererotik, gerade weil er keinen Unterschied zwischen dem Belebten und dem Unbelebten anerkennt. Denn wenn man einer Geliebten durchs Haar streicht, berührt man dann nicht etwas Totes.

Wie ist Ferry dorthin gekommen, wie ist er in den frühen Siebzigern gestrandet? Als ein Künstler-Voyeur-Ku­ra­tor-Masochist?

Bekanntlich hat Ferry an der Universität Newcastle Malerei bei Richard Hamilton studiert, dem vermeintlichen Vater der englischen Pop Art. Ist es möglich, den Einfluss von Hamiltons Kunst auf die englische Kultur zu ermessen?

Einen Eindruck von seiner Wirkung gibt die Tatsache, dass in einer Channel-4-Dokumentation über den Künstler aus den frühen Neunzigern, Ballard Hamiltons »Just What Is It That Makes Today’s Homes so Different, so Appealing« (1956) als das kulturelle Ereignis erwähnt, das es ihm ermöglicht hat, Science-Fiction-Autor zu werden. Vielleicht wäre es besser zu sagen, dass Hamilton es möglich gemacht hat, dass Ballard über Science-Fiction hinausgehen und k-punk entdecken konnte.

1956 war natürlich das Jahr, als Elvis Presley seinen Durchbruch hatte. Auf seine ganz eigene Weise war Hamiltons Collage mindestens genauso wichtig wie Presley für den britischen Pop.

Ab den Fünfzigern waren Pop und Kunst immer ein Teil der britischen Kultur, anders als in Amerika. Nutall schreibt: »Die Studenten und die Mods beeinflussten sich gegenseitig ... Überall das Purple Heart. Schlaghosen in wilden Farben. Schuhe wurden mit Lack von Woolworth bemalt. Beide Geschlechter trugen Make-up und färbten sich die Haare … Die Luft in den Straßen knisterte von diesem neuen Delirium.«172

Die unreduzierbare Künstlichkeit des britischen Pop verhindert die romantizistische Naturalisierung, die Autoren wie Greil Marcus und Lester Bangs bezüglich des amerikanischen Rock gelungen ist. Es ist unmöglich, britischen Art-Pop auf eine Landschaft zurückzuführen.

Zumindest nicht auf eine natürliche Landschaft.

Hätte Art-Pop eine Landschaft, dann wäre sie so aggres­siv anti-naturalistisch wie sie Ferry in »Virginia Plain« collagiert hat (benannt nach einem seiner Bilder, das wiederum nach einer Tabaksorte benannt ist). Ist es eine innere Landschaft, die das geistige Auge erblickt? Vielleicht. Aber nur, wenn wir anerkennen – wozu uns Hamiltons Collagen und Ballards Romane nachdrücklich anhalten –, dass der inner-psychische »Raum« im 20. Jahrhundert vollkommen durchdrungen ist von dem, was Ballard die Medienlandschaft nennt.

Wenn ein britischer Popstar singt, dann spricht aus ihm nicht das »Land« (und was, wenn nicht das amerikanische Land ist es, das Marcus aus dem amerikanischen Rock heraushört, den er in Mystery Train mythologisiert?), sondern die Deterritorialisierung einer ursprünglich aus Amerika kommenden Konsumkultur. Daher das schreiend Groteske in Ferrys Gesangsstimme auf den frühen Platten von Roxy Music. (Und das anders geartete Groteske heutiger Popstars.)

Weil Penman am eigenen Leibe erfahren hat, was es heißt, seine Stimme verlieren zu müssen, um sprechen zu können (denn das ist es, was man tun muss, wenn man sich in der Arbeiterklasse bildet – oder gebildet wird), versteht er genau, wie wichtig die Frage des Dialekts für Ferrys Karriere war, also seinen Geordie-Dialektik173 zu ab­zulegen, aber dafür keinen amerikanischen Dialekt an­zunehmen.

Als Student spielte sich Ferrys Leben zwischen den Tagen im Kunstmilieu und den Nächten ab, in denen er als Sänger einer Soulband Cover-Songs spielte. Zwei Stimmen, zwei Leben. »Ich habe nichts gefunden, in dem ich ganz aufgehen konnte.«

Die frühen Alben von Roxy Music sind Ferrys Warhol-Frankenstein-mäßiger Versuch, einen Raum zu kreieren, in dem sein Tag- und sein Nacht-Ich ganz aufgehen könnten – und die Nähte sind, auf furchterregende, anziehende Weise, noch sichtbar. Diese Veröffentlichungen sind weniger Ausdruck einer kohärenten Subjektivität, sondern eine Art Entschichtung in actu, die spontane Herstellung einer konsistenten Pop-Art-Ebene, auf der er sich (nicht) zu Hause fühlen konnte.

So war also die Popmusik überraschenderweise mehr von Duchamp beeinflusst als von Bo Diddley. Die Methode, die Ferry bei seinen Soloalben anwandte, auf denen er Cover Songs spielte (und man muss sich vergegenwärtigen, dass solche Alben damals im Rock fast unbekannt waren), stammte explizit von Duchamp. Seine Versionen von Standards wie »Smoke Gets in Your Eyes« und »These Foolish Things« waren, so sagte er, Duchamp’sche »Readymades«: Gefundene Objekte, denen er seinen eigenen Stempel aufdrückte.

Ein Grund, warum der Sound der frühen Platten von Roxy Music so kühl war – vor allem im Vergleich mit der heißen Authentizität des amerikanischen Rock –, lag darin, dass es sich offensichtlich nicht um eine Aggregation von spontanen, kreativen Subjekten handelte, sondern um eine sorgsam ausgeführte Idee im Stile Du­champs. Roxy Music war eine Band, bei der jede Geste mikrologisch geplant war und die in ihren Alben ihrem Stylisten und Modedesigner Anthony Price dankten.

Die große Versuchung für Ferry war immer, mit der Rolle zu verschmelzen, also wirklich der Junggeselle im Traumhaus mit Liebeskummer zu werden und damit das zu erreichen, das Simon Reynolds als »die Phantasie« beschreibt,

»aus der niederen Welt der Produktion in ein höheres, souveränes Reich des ungebrochenen Ausdrucks und der sinnlichen Hingabe aufzusteigen, eine imaginäre und fiktive Idee von Aristokratie (eher wie Huysman statt wie echte Lords, die so banale Dinge tun müssen, wie Länder verwalten, Investitionen organisieren oder mit Waffen handeln).«

Die Versuchung bestand darin, jene Verhaltensmuster zu simulieren, die er bis dahin gleich einem Pastiche zitiert hatte.

Und hat Simon damit nicht recht? Geht es in den späten Alben Ferrys nicht die ganze Zeit um »die Desillusionierung, nachdem das aristokratische Leben in Reichtum erreicht wurde – Ferry war dazu verdammt, abgegessen durch Ausstellungseröffnungen, Modeshows und die nächste Party zu wandern (man denkt dabei an den alten Satz, dass es besser ist, zu reisen, als anzukommen)?«

Lassen wir Ferry dort zurück, gestrandet innerhalb des Rahmens.

Und Cut.

Das Jahr 1982. Das Compass Point Studio in Nassau.

Grace Jones großartige Aufnahme von Joy Divisions »She’s Lost Control«.

Masoch: »Eine Ohrfeige ist doch eigentlich mehr als zehn Vorlesungen, man begreift so schnell, besonders wenn es eine kleine volle Frauenhand ist, die uns belehrt.«

Kodwo Eshun: »Die 1982er Neuauflage von Joy Divisions ›She’s Lost Control‹ von der Maschinenfrau Grace Jones ist ein Update der mechanischen Braut aus den Fünfzigern. Die Kontrolle zu verlieren bedeutet für sie elektrische Epilepsie, eine vom Feedback ausgetrocknete Stimme. Für Jones verliert das Model die Kontrolle, wenn die Automatisierung zu scheitern beginnt und der Mensch das steife Grinsen einer Maschine annimmt. Das Model – als Mädchen, als Auto, als Synthesizer – verkörpert das Fließband der Generationen, die Überflüssigkeit, den dreijährigen Lebenszyklus.

Das Model ist die Blaupause für Nachkriegscyborg, die von dem militärisch-medizinischen Entertainmentskomplex modifizierte und mutierte Maschinenfrau. Daher ›Das Modell‹ von Kraftwerk, wo die Junggesellenmaschinen von der überlegenen Reproduktionsfähigkeit der Frau bedroht sind. ›Das Modell‹ ist ein Exzerpt aus den Reproduktionskriegen der Nachkriegszeit.«174

Jones ist das sublime Objekt, vor dem sich Brian Ferry niederwirft – und das sublime Objekt, das sich wehrt. Mit den Zähnen der Vagina Dentata.

Nimm dich vor der Frau-Tier-Maschine in Acht. Sie beißt.

Jones ist kein Cyborg, da sie überhaupt kein Organismus irgendeiner Art ist (und die Beschreibung »kybernetisch« ist sowieso redundant, da alle Organismen kybernetisch sind, wie alles, das arbeitet).

Sie ist eine neurobotische Femaschine.

Die mechanische Braut entblößt ihre Junggesellen.

Jones war selbst mal Model, aber als sie die Gelegenheit bekam, »sich zu entfalten«, begann sie, gnadenlos ihren eigenen Körper und ihr eigenes Image auszubeuten, viel mehr als es ein (männlicher) Fotograf gewagt hätte. »In einer aktuellen Umfrage in Men’s Health gaben Männer an, dass Grace Jones diejenige Frau ist, vor der sie am meisten Angst haben.« (Brian Chin).

Das Spiel wird zum Jäger.

In ihrer Anverwandlung an Duchamp übertrifft sie Ferry und (wieder)entdeckt »Love is the Drug« als gefundenes Objekt, das nun von der Femaschine absorbiert wird.

Jones versteht ihren Körper im Sinne Spinozas als Maschine, die affiziert werden und Affekte produzieren kann. Dieser Körper beschränkt sich nicht auf den Organismus; er wird durch Fotografien, Sound und Videos verbreitet – und keines dieser Medien konstituiert eine Repräsenta­tion eines originären, organischen Körpers. Sie sind viel­mehr einzigartige, expressive Komponenten von Jones’ Singularität.

Es ist die totale Immanenz.

Es gibt nicht Grace Jones, das Subjekt, das seine Subjektivität in Klang und Bild ausdrückt. Es gibt nur Jones, den abstrakten Hyperbody, die zerstückelte Scherenmaschine, die sich selbst immer wieder zerschneidet. Jones’ Körper ist auch dahingehend immanent, dass er, worauf Kodwo in More Brilliant than the Sun immer wieder hinweist, seine eigene Theorie entwirft.

Natürlich dient das nur zur Irreführung durch Reterritorialisierung, spätestens als Haraways Cyborg Manifest erscheint.

Wieder Cut.

London, 1982.

(Aus den frühen Tagen des Bloggers k-punk.)

Der Sexappeal des Anorganischen.

Paul Tickells Besprechung von Visages The Anvil, New Musical Express, 28. März:

»Ich dachte, ›Contort Yourself‹ sei genau die richtige Musik für Newtons Sado-Erotizismus – aber The Anvil kommt dem noch näher. Ihr wolltet moderne Tanzmusik – nun […], hier ist sie: die nächtlichen Bewegungen von Marionetten – Dummies – Puppen – Clowns – und imaginärer Zellolidwesen. Über allem liegt eine Spur des Todes – der Klang von fickenden Waren –, aber es ist ein Klang, der noch viel aufregender sein kann (›Der Sexappeal des Anorganischen‹ – Walter Benjamin) als die gesunden, lebensfrohen Kreaturen in Action.

Alles in allem sind Visage eine wirklich verführerische Krankheit – der Schädel unter der erfundenen Haut.«

Noch ein paar Auszüge von frühen k-punk-Beiträgen:

»Roxy vs. Visage: die Verschiebung vom Subjekt zum Objekt (und damit, folgt man Baudrillards Gedanken in Von der Verführung, vom Maskulinen zum Femininen). All dem Fem-Glam zum Trotz behält sich Ferry die männliche Rolle dessen vor, der schaut. Für Ferry ist der (männliche) Blick das Problem – wie sehr muss man schauen? Und wie lange? ›Then I look away / too much for one day. // Dann schaue ich weg / zuviel für einen Tag.‹ Angeschaut wird natürlich Strange. Er ist das weggeworfene Spielzeug in ›Mind of a Toy‹ (was für ein vielsagender Titel), das Objekt des Klatschs in den rührseligen Songs ›Look What They’ve Done‹ und ›Whispers‹ auf The Anvil. Ist das Model – das Model: die Anspannung – hier, das, was angesehen wird?

Könnte es sein, dass Gibson den Namen Neuromancer aus den Worten ›New Romantics‹175 gebildet hat? Wenn ja, dann legt Gibsons Transposition einen viel interessanteren und passenderen Namen für diese neu zusammengebauten Elektronauten nahe. (›Romantisch‹ schien mir immer unpassend für eine Kultur, die so hartnäckig desinteressiert ist an Tiefe, Emotion und Wahrheit.)

Die Abneigung gegenüber Visage beruht auf einem Vorurteil aus dem Rock: Sie spielten nicht live, sie waren ein Vehikel, eine Art Wäscheständer, der nicht singen konnte, sie waren die Rückkehr des Prog. Liegt darin nicht auch eine maskulinistische Agenda, in dieser impliziten Abwehr der ›Oberflächlichkeit‹ der Mode und der Clubkultur?

Visage haben alle Spuren des Rock aus ihrer Musik getilgt und inszenieren bewusst eine un-amerikanische Tradition. Thematisch und musikalisch evozieren Visage das dekadente Europa einer verführerischen, urbanen Entfremdung (siehe die an Mondrian erinnernden Bilder endloser Wolkenkratzer in ›Blocks on Blocks‹) und überbordenden Glamour (siehe den Namen und das Lied ›Visage‹; die französischen Zeilen in »Fade to Grey«), unterstrichen durch den Klang der Vocoder, Synthesizer und Billy Curries pseudoklassische Einlagen. Amerikanische Einflüsse wurden durch Europa um­geleitet/umgebaut: Moroder Disco, Morricone (siehe McGeochs Anspielung auf Spiel mir das Lied vom Tod in »Malpaso Man«, einem Tribut an den Spagetti Wes­tern und Clint). Das Kino war ungeheuer wichtig: Der Sound von Visage gehört zu dem, was man später ›virtuelle Soundtracks‹ nannte (Barry Adamson, einer der Gründer dieses Genres, war natürlich bei Visage). Die Stimmung war die des Desinteresses, nicht die robotische Funktionalität von Kraftwerk oder die schizophrene Entrückung von Foxx/Numan, sondern die euro-ästhetische ›Erschöpfung des Lebens‹, die nirgendwo besser zum Ausdruck kommt, als in dem an Interview mit einem Vampire erinnernden ›Damned Don’t Cry‹. Bei Visage spielten Maschinen eine andere Rolle als bei Kraftwerk, Numan oder Ultravox: Wie Yello schienen sie in einer Zukunftsvergangenheit der Spiegelhallen zu operieren, wo Synthesizer und elektronische Ins­trumente keine neue Erfindung, sondern selbstverständlich waren.