Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit

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From the series: Der Onyxpalast #4
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Ich sollte mich von ihm fernhalten. Cyma wurde plötzlich auf eine Weise kalt, die nichts mit der Séance zu tun hatte. Sie murmelte etwas Dämliches, als Myers sich entschuldigte, um wegzugehen und Mrs. Wexford dazu zu überreden, es noch einmal zu probieren. Nach einem Moment, als sie wie gelähmt dort stand, wo die Manifestation gewesen war, schlüpfte sie zur Tür hinaus und bat den Hausdiener, ihr eine Mietkutsche zu holen.

Sie war beinahe von Nadrett befreit. Nicht einmal für Frederic William Henry Myers würde sie sich wieder in diese Falle begeben.

WHITE LION STREET, ISLINGTON
11. April 1884

Eliza glättete die Corsage ihres geliehenen Kleides mit nervösen Händen. »Geliehen« war wohl das falsche Wort. Ann Wick wusste nicht, dass sie es genommen hatte. Aber der Lohn, den sie bisher gespart hatte, reichte nicht, um ein respektables Kleid zu kaufen – etwas, das sie nicht sofort als Hausmädchen von jemandem verraten würde –, und so hatte sie dieses heimlich von einem Haken im Zimmer, das sie teilten, genommen und sich umgezogen, sobald sie aus der Cromwell Road weg war. Es war kein Stehlen, nicht, wenn sie vorhatte, es zurückzubringen.

So verkleidet hatte sie vor, zu einem Treffen der Londoner Feengesellschaft zu gehen.

Das war das Beste, was ihr einfiel. Zwei Wochen Arbeit für die Kitterings hatten sie nicht weiter gebracht als jene wenigen verstohlenen Minuten, als sie Miss Kitterings Sachen durchsucht hatte. Sie hatte nichts über Feen entdeckt und keine weitere Gelegenheit gehabt, mit der Tochter zu sprechen. Also war sie einen Monat später wieder genau dort, wo sie schon einmal gewesen war – aber diesmal besser vorbereitet.

Sie hätte es nie gewagt, ihr Gesicht bei dem Treffen zu zeigen, außer dass sie wusste, dass Louisa Kittering nicht anwesend sein würde. Mrs. Kittering hatte beschlossen, an jenem Abend eine Dinnerparty zu veranstalten, an der der ehrenwerte Mr. Twisleton-Wykeham-Fiennes teilnehmen würde. Der Streit zwischen Mutter und Tochter war zwei Stockwerke in jede Richtung zu hören gewesen, und als Miss Kittering verloren hatte, war Eliza prompt mit der Neuigkeit zu Mrs. Fowler gegangen, dass ihre Mutter schwer krank sei. Das hatte einen zweiten Streit ausgelöst, der beinahe so wild wie der erste gewesen war, denn weil die Herrin diese Dinnerparty plante, brauchte die Haushälterin jeden verfügbaren Bediensteten. Aber Eliza war weitaus sturer als Miss Kittering und war allgemein eine so gute Arbeitskraft gewesen, dass Mrs. Fowler nicht darauf erpicht war, sie zu feuern, und Eliza hatte geschworen, sie würde kündigen, wenn man sie nicht gehen ließ.

Eine Drohung, die funktionierte, weil sie sehr nahe daran kam, diese auch so zu meinen. Louisa Kittering war überhaupt nicht sehr entscheidend, außer als Verbindung zu ihrer Freundin, derjenigen, die sie beim vorherigen Treffen der Gesellschaft gesehen hatte. Während Elizas Zeit im Kittering-Haushalt hatte sie jene Frau jedoch nicht wiedergesehen oder auch nur ihren Namen erfahren. Es war es wert, ihre Stellung in der Cromwell Road zu riskieren, um nach Islington zu kommen, wo sie eine größere Chance hatte, mit der Frau in Kontakt zu treten.

Elizas Optimismus war ausreichend gewesen, dass sie für ein Omnibusticket nach Islington hinaus bezahlt hatte, statt die Strecke zu laufen. Sie sah sogar respektabel genug aus, dass ein Gentleman seinen Sitzplatz im Bus aufgab, damit sie nicht die Leiter zur Holzbank oben hinaufklettern musste. Eingequetscht zwischen einer Mutter mit drei quengelnden Kindern und einem Sekretär, der es schaffte, den ganzen Aufruhr zu verschlafen, fühlte sie sich sehr selbstzufrieden … bis sie zur High Street in Islington kam.

Wo sie schon die letzten fünf Minuten gestanden hatte, die White Lion Street hinunter auf die unschuldige Fassade von Nr. 9 starrte und versuchte und daran scheiterte, sich durchzuringen, an die Tür zu klopfen.

Das Problem war, dass sie immer noch nicht wusste, was sie drinnen erwarten sollte. Wie viele Leute würden dort sein und von welcher Sorte? Ihr Geschick im Lügen ging so weit, dass sie vorgeben konnte, Engländerin zu sein, aber sie hatte sich nie als etwas anderes ausgegeben als die Frau aus der Arbeiterklasse, die sie war. Sie wusste nicht, wie sie eine Hausfrau oder eine belesene Blaustrumpf-Frau sein sollte – wären da drin überhaupt Frauen? Ja, dort mussten welche sein. Letztes Mal waren Miss Kittering und ihre unbekannte Freundin da gewesen. Aber sie hatte nicht die geringste Ahnung, was bei einem solchen Treffen ablaufen würde, ob man Bücher oder Gedichte diskutieren würde …

Oder persönliche Begegnungen mit Feen.

Sie hörte eine Kirchenglocke die Stunde schlagen. Sieben Uhr. Die Zeit war gekommen, um entweder hineinzugehen oder sich einzugestehen, dass sie ein Feigling war.

Um Owens willen durfte sie kein Feigling sein. Eliza straffte ihre Schultern, marschierte die White Lion Street hinunter und rüttelte am Türklopfer.

Die Tür öffnete sich beinahe sofort. Keine Hausdiener hier, und Eliza erkannte am Erscheinungsbild des Dienstmädchens die Anzeichen, die besagten, dass sie sich hastig für den Türöffnerdienst präsentabel gemacht hatte und zurück an die schmutzigere Arbeit gehen würde, sobald das Treffen begonnen hätte. Was Eliza etwas entspannter machte. Jegliche Familie, die sich irgendwie einen Hausdiener leisten konnte, um an die Tür zu gehen, hatte einen. Das bedeutete, dass die Leute hier nicht so weit über ihr standen, wie sie befürchtet hatte.

Das Hausmädchen fragte sie: »Ja bitte?«

Sie war so in Gedanken verloren gewesen, dass sie gar nichts gesagt hatte. »Oh! Ich bin … äh … Elizabeth Baker. Ich bin für das Treffen hier.«

»Ja, natürlich. Sie fangen gerade an. Wenn Sie mir folgen?«

Eliza trat in dem schmalen Korridor beiseite, sodass das Dienstmädchen die Tür schließen konnte, dann folgte sie ihr die Treppe hinauf. Ich bin zu spät. Ich hätte es wissen müssen. Niemand ist hineingegangen, während ich dastand wie eine unentschlossene Idiotin.

Das Haus war alt und ein wenig schäbig, das Linoleum stellenweise zerkratzt, das Treppengeländer von zahllosen Händen deutlich abgewetzt. Stimmen drangen gedämpft durch eine Tür im ersten Stock und verstummten, als das Dienstmädchen klopfte. Sie wartete, bis sie eine Antwort hörte, dann öffnete sie die Tür. Warmes Gaslicht strömte heraus, und Eliza bekam ihren ersten richtigen Blick auf die Mitglieder der Londoner Feengesellschaft.

Es waren nur sieben da, aber das war eine ausreichende Menge für den kleinen Salon, und die meisten Sitzgelegenheiten waren besetzt. Die Gentlemen – drei von ihnen – standen auf, als sie eintrat, und Eliza knickste, ehe ihr bewusst war, dass dies sie wie eine Bedienstete wirken ließ. »Es tut mir leid. Ich weiß, dass ich verspätet bin – ist das hier die Feengesellschaft?«

Sie richtete sich auf und stellte fest, dass sie Louisa Kittering anstarrte.

Die junge Frau saß auf einem Stuhl bei den Fenstern und wirkte wie ein Muster an entsetzter Überraschung. Eliza befürchtete, dass sie denselben Gesichtsausdruck hatte, aber ihre Monate an Lügen waren eine gute Übung gewesen. Als sie ihren Blick weg zwang, sah sie nur milde Neugier in den Gesichtern der anderen, und niemand schaute sie beide an, als würde er eine Erklärung erwarten.

Der Rest war ein Trio Gentlemen, ein Paar Frauen mittleren Alters, die ganz offensichtlich Schwestern waren, und eine ältere Frau am offenen Kamin, die Eliza antwortete. »Ja, kommen Sie herein – das ist kein Problem. Wir waren noch zu sehr ins Plaudern vertieft, um so etwas wie eine Tagesordnung anzugehen. Wie heißen Sie, Kind?«

Zweifel lähmten ihre Zunge für einen Augenblick. Miss Kittering würde erwarten, dass sie White sagte. Das Dienstmädchen hatte bereits Baker gehört. Du wirst wegen Miss Kittering sowieso etwas unternehmen müssen. Schaffe keine Verbindung zur Cromwell Road.»Elizabeth Baker«, sagte sie und zwang sich, den Blick zum Gesicht der Frau zu heben. Es war ein freundliches Gesicht, vom vielen Lächeln faltig – ganz anders als Mrs. Kittering oder Mrs. Fowler, deren angsteinflößende Mienen es ihr sehr gründlich angewöhnt hatten, ihren Blick gesenkt zu halten.

»Willkommen, Mrs. Baker – oder ist es Miss? Miss Baker. Ich bin Mrs. Chase, und das ist mein Haus. Bisher bin ich de facto Präsidentin unserer kleinen Gesellschaft, obwohl wir noch nicht so weit gekommen sind, Regeln oder irgendeine Art offizieller Führung zu etablieren. Wir sind hier ziemlich unförmlich, verstehen Sie.«

Eliza war für diese Unförmlichkeit zutiefst dankbar. Sie hatte bereits genug Panik. Mrs. Chase stellte sie den drei Gentlemen – Mr. Myers, Mr. Graff und einem Schotten namens Macgregor – vor, dann Miss Kittering und den Schwestern, einem Paar alter Jungfern namens Goodemeade. »Bitte, setzen Sie sich«, sagte die Frau, nachdem alle Begrüßungen erledigt waren.

Die Möbel waren auf eine Weise zusammengewürfelt, wie es keine elegante Frau je erlaubt hätte, eine Mischung aus schweren neuen Stühlen mit dicken Polstern und älteren, schmaleren Modellen. Mr. Myers gab einen von Ersteren für Eliza auf, was sie erschreckte. Sie war mehr daran gewöhnt, dass Gentlemen sie ignorierten oder schmutzige Andeutungen machten. Sie setzte sich darauf und versuchte, nicht am Rock von Ann Wicks Kleid herumzufummeln. Mrs. Chase fragte: »Sie haben Interesse an Feen?«

»Oh ja«, antwortete Eliza. Sie warf einen Blick um sich, als sie dies sagte, teilweise, um herauszufinden, ob die anderen ihren leidenschaftlichen Tonfall als Enthusiasmus auffassten, aber hauptsächlich, um zu sehen, was Louisa Kittering gerade tat. Das Gesicht der jungen Frau war wie versteinert. Es wirkte aber nicht wie Zorn oder die arrogante Verärgerung eines Mädchens, das sein Hausmädchen bei einer Lüge erwischt hatte. Es wirkte eher wie Verwirrung und Panik.

 

Dann kam das Verständnis, und Eliza musste sich bemühen, nicht zu lachen. Ich bin nicht diejenige, die ertappt worden ist – sie ist es!

Mrs. Kittering hatte ihrer Tochter wegen der Dinnerparty verboten, heute Abend auszugehen. In diesem Punkt war sie völlig unflexibel. Daraus folgte, dass Miss Kittering sich aus dem Haus geschlichen haben musste. Ihr angeblicher Plan für den Abend war es gewesen, mit einer Freundin eine Theateraufführung zu besuchen … doch Elizas Anwesenheit ließ es wirken, als hätte man die Wahrheit entdeckt. In welchem Fall sie sich fragen musste, wo ihre Mutter war und warum Eliza sie noch nicht am Ohr gepackt hatte, um sie nach Hause zu zerren.

Lass sie für eine Weile daran kauen. Ein Plan nahm in Elizas Kopf Form an, aber der konnte erst in die Tat umgesetzt werden, wenn das Treffen beendet war.

Was sie zu ihrem ursprünglichen Grund zu kommen zurückbrachte. Sie war enttäuscht, dass sie die andere Frau, Miss Kitterings Freundin, nicht sah, die behauptet hatte, dass sie mehr über Feen wüsste als die anderen hier. Trotzdem, vielleicht gäbe es etwas Wertvolles zu erfahren.

Mrs. Chase hatte weitergesprochen, Worte, die Eliza nur halb gehört hatte. Etwas darüber, dass eine große Vielzahl an Interessen anwesend sei. »Mr. Graff, Sie hatten angedeutet, dass Sie gerne über … Anthropologie, ja … sprechen wollten?«

Er stand bei ihren Worten auf und steckte die Daumen in seine Westentaschen. »Ja, Anthropologie. Ladys und Gentlemen – ich bin kürzlich von meiner Missionsarbeit in Afrika zurückgekehrt und interessiere mich daraus resultierend ziemlich für den Aberglauben primitiver Völker. Wie einige von Ihnen vielleicht wissen, nimmt dieser oft die Form von Animismus, Totemismus und ähnlichen Glaubensrichtungen an. Tja, die Kerle, mit denen ich zu tun hatte, waren voll von solchen Dingen, haben ständig über Löwenmänner und was auch immer geredet, und mir ist aufgefallen, dass das, was sie beschrieben haben, nicht so anders als unsere eigenen englischen Feen war. Primitiver natürlich – eine Reflexion ihrer eigenen geringeren Entwicklung – aber die Verwandtschaft ist zu sehen.

Wenn man derartige Orte besucht … das ist, als würde man in unsere eigene, weniger zivilisierte Vergangenheit blicken. Und so habe ich angefangen, mich zu fragen, ob der Feenglaube, den wir hier haben, nicht vielleicht ein Relikt ähnlicher Praktiken damals in den heidnischen Tagen ist.«

Eliza mochte ihn nicht im Geringsten. Er sah niemanden an, als er sprach, sondern richtete einen Blick über ihre Köpfe, was den Effekt hatte, seine Nase in einem arroganten Winkel zu heben. Sie mochte ihn noch weniger, als er ein Beispiel wählte, um sein Argument zu illustrieren. »Zum Beispiel die Legenden – sehr häufig im Norden von England, aber auch andernorts zu finden – von übernatürlichen schwarzen Hunden. Wir wissen, dass der Hund von antiken keltischen Völkern verehrt wurde. Denken Sie an Cú Chulainn, den Hund von Culann. Hätte es nicht vielleicht in Nordengland einen Hundekult geben können? Vielleicht einen Begräbniskult in Anbetracht dessen, dass solche Hirngespinste mit dem Tod assoziiert werden, oder vielleicht waren sie Krieger, die sich als Hunde verkleideten, ehe sie in die Schlacht zogen. Dann könnten wir die Legenden wohl ganz einfach als Volkserinnerungen erklären, die ein schwaches, verzerrtes Echo vergangener Wahrheiten erhalten.«

Ihr einziger Trost, als sie jene Worte hörte, war es, dass auch sonst niemand im Raum besonders beeindruckt wirkte. Eine der Goodemeade-Schwestern machte beim Wort verzerrt ein leises, entrüstetes Geräusch. Die andere legte ihr beruhigend eine Hand aufs Knie.

Es gab niemanden, der Eliza beruhigte. »Was ist mit Leuten, die jene schwarzen Hunde gesehen haben?«, fragte sie.

Sein Schnauzbart verbarg sein herablassendes Lächeln nicht. »Was haben sie gesehen? Übernatürliche Kreaturen? Oder einfach den schwarzpelzigen Mischling von irgendeinem Nachbarn, der sie nachts auf einer einsamen Straße erschreckt hat?«

»Wenn ich bitten darf«, sagte Macgregor. Die angewöhnte Unterwürfigkeit ließ Eliza zögern, weil sie vergaß, dass sie hier ein Recht zu sprechen hatte, und zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Stimme wiederfand, hatte der Schotte bereits angefangen, seine eigene Theorie darzulegen. »Ich stimme zu, dass wir für Erklärungen in die Vergangenheit blicken müssen – aber nicht auf Aberglauben. Als gebildeter Mann, Mr. Graff, müssen Sie natürlich mit Darwins Evolutionstheorie vertraut sein …«

Als er begann, in jenem Schema einen Platz für Feen zu erläutern, lehnte Eliza sich angeekelt zurück. Wenn diese Leute an Evolution glaubten, hatte es keinen Sinn, ihre Zeit damit zu verschwenden, ihnen zuzuhören. Kein Wunder, dass diese andere Frau Miss Kittering beiseitegenommen hat. Die junge Frau beobachtete all dies mit herablassender Belustigung, während Mrs. Chase einen Blick mit den Goodemeade-Schwestern tauschte, die den Kopf schüttelten. Eliza wünschte, sie könnte das Treffen verlassen, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Mr. Myers räusperte sich schließlich und unterbrach die immer hitzigere Diskussion zwischen Graff und Macgregor. »Gentlemen, Sie debattieren hier Theorien ohne Beweise. Wäre es nicht produktiver, uns zu fragen, welche Beweise wir für Feen haben?«

Graffs verärgertes Ausatmen rüttelte an den Enden seines Schnauzbarts. »Welche Beweise existieren Ihrer Meinung nach?«

»Menschen, die sie gesehen haben«, sagte Eliza wieder. Dann zögerte sie. Jetzt war der Moment, um ihre eigene Geschichte zu erzählen …

Aber was würde das bringen? Graff würde ihr nicht zuhören. Das konnte sie sagen, nur indem sie ihn ansah. Ihr Verdacht wurde bestätigt, als Myers sagte: »Spezialisten für Folklore sammeln solche Geschichten schon eine Weile. Tatsächlich behaupten einige, Feen gesehen zu haben, besonders in Irland …«

»Irland! Pah!« Graff winkte dies mit einer verächtlichen Geste ab. »Abergläubische Bauern, der ganze Haufen, und wahrscheinlich dazu auch noch betrunken.«

Myers spannte sich an und warf ihm einen sehr kühlen Blick zu. »Als Gelehrter, Sir, sollte ich erst die Beweise ansehen, die sie präsentieren, statt die Nationalität derer, die etwas präsentieren.«

Zumindest er würde vielleicht zuhören, wenn Eliza sprach. Aber nach dem, was Myers sagte, als er seinen Streit mit Graff und Macgregor fortsetzte, war es klar, dass er selbst keine persönliche Erfahrung mit Feen hatte. Er konnte ihr nicht helfen. Als Eliza einen Blick hinüber zur schweigenden Miss Kittering warf, sah sie ein Spiegelbild ihres eigenen Frusts. Natürlich. Sie ist wahrscheinlich in der Hoffnung hergekommen, ihre Freundin zu treffen. Jetzt ist sie fort und hat ihrer Mutter nicht gehorcht – und ist erwischt worden –, und alles, was sie dafür vorzuweisen hat, ist ein dummer Streit zwischen Männern, die den Klang ihrer eigenen Stimme lieben.

Mrs. Chase schaffte es schließlich, sie zu einer Art Waffenstillstand zu bringen, als offensichtlich wurde, dass keiner der Männer die anderen überzeugen würde. Leider wandte sie dann Eliza ihre Aufmerksamkeit zu. »Also, Miss Baker. Wir haben bereits von Mr. Graff gehört, der der andere Neuling unter uns ist, aber Sie waren recht ruhig. Erzählen Sie uns, worin besteht Ihr Interesse an Feen?«

Ich will wissen, wie man einen fängt und ihm den Hals bricht. Eliza zwang ein vages Lächeln auf ihr Gesicht, das den Zorn darunter überdeckte. »Ach«, sagte sie. »Ich habe die Geschichten immer sehr interessant gefunden – besonders die irischen«, fügte sie als Stichelei gegen Graff an. Er schnaubte.

Mrs. Chase aber erstrahlte. »Wirklich? Dann haben Sie sicher die Werke von Lady Wilde gelesen?« Eliza war gezwungen, den Kopf zu schütteln. »Oh, aber das müssen Sie – sie ist eine ziemlich berühmte Dichterin, wirklich, unter dem Namen ›Speranza‹, und sie hat Artikel veröffentlicht, die auf der Forschung ihres verstorbenen Gatten basieren. Hier, ich sollte einen dahaben …«

Eine der Goodemeade-Schwestern stand anstelle der alten Frau auf und fand ihn, und sie verbrachten den Rest der Zeit damit, Mrs. Chase beim Vorlesen zuzuhören. Nur Mr. Myers schien jedoch besonders aufzupassen, und so kam das Treffen zu einem unglücklichen Ende.

Eliza stand prompt von ihrem Stuhl auf, weil sie vorhatte, direkt zu Miss Kittering hinüberzugehen. Sie kümmerte sich nicht länger darum, ob irgendjemand vermutete, dass sie einander bereits kannten. Ehe sie allerdings einen Schritt machen konnte, erschienen die Goodemeades vor ihr. »Wir hatten keine Gelegenheit, Sie vor dem Treffen richtig willkommen zu heißen, aber wir wollten sagen, dass wir sehr froh sind, dass Sie gekommen sind. Haben Sie die Werbung gesehen, die wir in der Zeitung platziert hatten? Oder hat eine Freundin Ihnen von unserer Gesellschaft erzählt?«

»Die Zeitung«, sagte Eliza geistesabwesend. Miss Kittering sprach gerade mit Mr. Myers, aber sie konnte nicht hören, was die junge Frau sagte.

»Siehst du?«, sagte Miss Goodemeade zu ihrer Schwester. »Ich habe dir gesagt, dass das die richtige Art von Blicken erwischt! Na ja, ein wenig zumindest. Ich fürchte, wir haben ein paar angezogen, auf die wir verzichten könnten.« Letzteres sagte sie in einem leiseren Ton, der ohne Schwierigkeiten unter dem Streit, den Graff und Macgregor wieder aufgenommen hatten, verborgen blieb.

»Aber wir sind sehr froh, Sie zu haben«, sagte ihre Schwester. Die beiden Frauen waren beinahe unmöglich zu unterscheiden: beide klein, beide mit honigfarbenem Haar und honigfarbenen Augen, in Kleidern aus bunt bedruckter Baumwolle. Nur die Rosen auf einem und die Gänseblümchen auf dem anderen bewahrten sie davor, identisch zu sein. Leider hatte Eliza ihre Vornamen vergessen. »Tatsächlich sollten wir Sie einladen, sich uns in einem anderen Treffen anzuschließen – einem wirklich privateren Zirkel aus Freunden, der …«

Eliza riskierte einen Blick hinüber zu Miss Kittering und Mr. Myers, nur um festzustellen, dass Mrs. Chase den Mann zu einem privaten Gespräch beiseitegenommen hatte und sich die Salontür gerade hinter Miss Kittering schloss.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Wenn sie noch irgendetwas aus dem Chaos dieses Abends retten wollte – und ihn davor bewahren, noch schlimmer zu werden –, konnte sie die junge Frau nicht ohne sie weggehen lassen!

»Es tut mir leid«, sagte sie, indem sie Miss Goodemeade das Wort abschnitt. »Ich fürchte, ich muss gehen.«

»Ach, das müssen Sie nicht«, sagte die Gänseblümchen-Goodemeade-Schwester und versuchte, nach ihrer Hand zu greifen.

Eliza wich zurück, stammelte eine halb kohärente Entschuldigung und scherte sich nicht mehr darum, dass sie die Aufmerksamkeit der Leute erregte. »Kommen Sie zumindest nächsten Monat wieder …«, sagte die Rosen-Goodemeade-Schwester.

»Ja, natürlich«, log Eliza. Alles, um davonzukommen, ohne unentschuldbar unhöflich zu sein. Warum kümmert mich das überhaupt? Ich habe keinen Grund, diese Leute wiederzusehen. Aber sie wollte die Gefühle der Schwestern nicht verletzen, wenn sie es offensichtlich gut meinten. »Es tut mir sehr leid … ich bin schon zu lange geblieben … auf Wiedersehen.« Sie stürzte sich ins Treppenhaus hinaus.

Und trotz ihrer Hast stellten sich jene Worte als prophetisch heraus. Als sie nach unten gelangte, war Miss Kittering fort und das Dienstmädchen nirgends zu sehen. Eliza rannte auf die Straße hinaus, doch es nützte nichts. Das Gaslicht zeigte ihr eine Vielzahl an Leuten und Fahrzeugen, aber nicht ihre Beute. »Dummes Mädchen«, murmelte Eliza. »Du hättest versuchen sollen, mit mir zu reden, mich zum Lügen zu bestechen …« Stattdessen war sie geflohen. Nach Hause? Wenn nicht dorthin, dann hatte Eliza nicht die geringste Ahnung, wohin sie gefahren wäre. Also musste sie in die Cromwell Road.

Wenn sie sich beeilte, würde sie es vielleicht sogar schaffen, Miss Kittering davon abzuhalten, noch etwas Dummes zu tun. Das Angel Inn war gleich um die Ecke, einige Türen weiter, und davor standen Mietkutschen. Eliza fluchte über die Ausgaben und den Optimismus, der sie vorher Geld für den Omnibus hatte verschwenden lassen, heuerte einen Fahrer an und versuchte, Miss Kittering auf dem Heimweg einzuholen.

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