Read the book: «Perry Rhodan Neo Story 1: Die Frau im Mond»

NEO-Story 1
Die Frau im Mond
Eine PERRY RHODAN NEO-Erzählung
von Marc A. Herren
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Im Frühsommer 2036: Die Menschheit steht vor dem Abgrund – Kriege und Terror toben, die Umweltzerstörung hat alarmierende Ausmaße angenommen, es scheint kein Ausweg in Sicht.
Das glauben auch die Menschen an Bord der finnischen Mondstation, die sich bereits auf den Untergang der Menschheit einstellen vorbereiten. Unter ihnen ist der Raumfahrer Matti Mikkola, der ausgerechnet auf dem Mond eine unheimliche Begegnung hat: Er trifft auf »die Frau im Mond«.
Was er ebensowenig ahnen kann wie seine Kameraden: Während sie ums Überleben kämpfen, verändert der Flug des Astronauten Perry Rhodan das Leben aller Menschen auf der Erde …
»Die Frau im Mond« ist eine traurig-melancholische Science-Fiction-Geschichte, verfasst von dem PERRY RHODAN-Autor Marc A. Herren.
Prolog
Montag, 26. Mai 2036
Matti Mikkola blickte hoch zur Erde. Die blau-grün-braun-weiße Kugel schwebte über ihren Köpfen. Lautlos, beständig. Sie würde sich weiterdrehen, egal, was nun geschah. Egal, wie er sich entscheiden würde.
Er holte tief Luft.
1.
Fünf Tage zuvor
Matti ergriff mit einem leisen Seufzer das Kunststofftablett. Tagelang hatten die Essensdrucker nicht richtig funktioniert. Nun taten sie es wieder – offiziell zumindest. Was nun in den vier unterschiedlich geformten Mulden des Tabletts lag, hatte nicht viel gemeinsam mit dem Essen, wie er es kannte und schätzte.
Grüner Brei, wahrscheinlich Erbsen, orangefarbener Brei – etwa Karotten? –, gelbes Gelee und in der Mitte, als Pièce de Résistance, ein brauner, zerzauster Haufen, der offensichtlich das von Matti bestellte Steak darstellen sollte.
Hannu Tichainen aus der Technikercrew trat neben ihn, nahm sein Tablett entgegen und stieß einen Fluch aus.
Matti Mikkola nickte ihm verständnisvoll zu. »Fast wünscht man sich die Proteinriegel zurück.«
»Die konnte man zumindest mit einem Glas Wodka hinunterspülen«, gab Tichainen zurück und trottete zu dem Tisch, an dem die anderen Techniker saßen.
Matti sah sich um, entschied sich für einen leeren Vierertisch an der Panoramawand und setzte sich demonstrativ mit dem Rücken zu der vier Finger dicken Scheibe aus Panzerglas. Als Sicherheitsmann hatte er den Mond so oft gesehen, dass ihm schon übel wurde, wenn er nur an die staubige, zerklüftete Oberfläche dachte.
Widerwillig ergriff er den Löffel und schaufelte den grünen und orangen Brei in den Mund. Es schmeckte zumindest nicht so schlimm, wie es aussah.
Er seufzte.
Matti Mikkola hatte lange gebraucht, um es zuzugeben, aber die angespannte Situation zerrte an seinen Nerven.
Die immer heftigeren Wetterkapriolen auf der Erde, die immer wieder zu großflächigen Zerstörungen führten. Menschen auf der Flucht vor der Natur, auf der Suche nach Wohnraum, nach neuen Nahrungsquellen.
Terroristische Gruppierungen, die anscheinend keine Gelegenheit ausließen, um die Lage weiter zu destabilisieren. Seit Jahresbeginn waren nicht weniger als sieben zivile Flugzeuge in der Luft gesprengt worden. Bisher hatte sich niemand zu den Taten bekannt. Die Angst griff um sich, das Chaos wuchs.
Das führte zu noch komplizierteren diplomatischen Kontakten zwischen den Machtblöcken. Und dies zu einem Zeitpunkt, an dem der Menschheit eigentlich daran gelegen sein sollte, zusammenzustehen und nach globalen Lösungen zu suchen.
All diese Probleme hatten ihn dazu gebracht, auf dem Mond einen Neuanfang zu suchen.
War er schlicht zu naiv gewesen in der Hoffnung, vom Mond aus ein Zeichen zu setzen? Bereits die ersten Monate in der finnischen Mondstation Rauha hatten ihm gezeigt, dass die knapp 350.000 Kilometer zwischen der Erde und ihrem Mond nicht ausreichten, um die nationalen, kulturellen und religiösen Grenzen vergessen zu machen.
Es gab kaum übergreifende Forschungsprojekte. Dafür wurden die zugeteilten Abbaugebiete für Bodenschätze peinlich genau überwacht. Und wenn ein einzelner Schürfroboter in fremdem oder neutralem Territorium gesichtet wurde, konnte man davon ausgehen, dass nur Stunden später auf der Erde ein diplomatischer Mitarbeiter zu der jeweiligen Regierung zitiert oder eine Beschwerde bei der Mondbehörde der UN platziert wurde.
Nein, vom Mond aus waren die Probleme der Menschheit nicht zu lösen.
Aus Mattis Sicht bestand der einzige Vorteil des Lebens auf dem Mond darin, dass nicht mehr alles unmittelbar vor der eigenen Haustür geschah.
Wenn in den Podnachrichten von Überschwemmungen oder von aufflammenden Konflikten in den Krisengebieten die Rede war, so fanden sie weit, weit weg statt.
Es hatte etwas ungeheuerlich Tröstliches an sich, aus den transparenten Dachkuppeln auf den Erdball zu blicken und zu wissen, dass der Wahnsinn dort oben stattfand. Auf dieser wunderbar marmorierten Kugel, die sich auch dann noch majestätisch weiterdrehen würde, wenn sich die Menschheit endgültig ausgerottet hatte.
Das war gewesen, bevor die Probleme auf dem Mond begonnen hatten.
Zuerst war da dieses seltsame Beben gewesen, über dessen Ursache sich die Forscher seit Tagen stritten. Dann hatten plötzlich rätselhafte Technikprobleme um sich gegriffen. Zeitweilig waren die Ortungsanlagen ausgestiegen. Apparaturen wie der Essensdrucker waren unvermittelt ausgefallen.
Irgendetwas ging auf dem Mond vor. Irgendetwas, das gar nicht gut war.
Manche Wissenschaftler mutmaßten, dass ein von allen Überwachungssatelliten unbemerkter Himmelskörper auf dem Mond eingeschlagen war, andere gingen davon aus, dass die Probleme durch Cyberangriffe der Russen, Chinesen oder gar Inder ausgelöst worden waren.
Die anderen europäischen Stationen hatten die Probleme bestätigt. Das vorsichtige Nachfragen bei den nichteuropäischen Mondbasen hatte aber keine brauchbaren Ergebnisse geliefert. Matti hatte die Funkgespräche analysiert und war zum Schluss gekommen, dass auch bei diesen Forschungs- und Industriebasen Fehlfunktionen auftraten. Die nervösen, kurz angebundenen Antworten von der Armstrong Base und der Tereschkowka-Basis hatten Bände gesprochen. Selbst die Vyomanauten von der indischen Basis, zu denen sie größtenteils gute Verbindungen unterhielten, hatten offen argwöhnisch geklungen.
Matti Mikkola blickte finster auf sein Abendessen. Den Brei und das Gelee würde er sich noch geben. Den Rest würde die Verrückte erhalten.
Mit Verachtung löffelte er die Mulden leer. Dann blickte er sich um.
In der Kantine herrschte das übliche Schweigen. Finnen waren von Natur aus ruhig. Jedenfalls solange die Schichten andauerten und nicht eine Flasche Wodka oder Minttu die Gemüter erwärmte und Zungen lockerte.
Niemand beachtete ihn.
Der Sicherheitsmann zog eine Plastiktüte aus der Brusttasche seines Trainingsanzuges, ließ das Fleischstück hineingleiten und verschloss die Tüte sorgfältig. Dann stopfte er sie in den Overall, brachte das Tablett zur Rückgabestation und verließ die Kantine, ohne sich ein weiteres Mal umzusehen.
Der Mikropod an seinem Handgelenk zeigte den 21. Mai 2036 an. Es war kurz vor 19 Uhr. Seine letzte Schicht an diesem Mittwochabend würde um 22 Uhr beginnen und bis Mitternacht dauern.
Er hatte drei Stunden Zeit, um die verrückte Alte zu besuchen und ihr das Essen zu bringen.
Matti setzte seinen Status auf privat und machte sich auf den Weg.
Die von der finnischen Regierung betriebene Mondstation Rauha setzte sich aus fünf unterschiedlich großen Kuppelgebäuden und zwölf turmartigen Forschungskomplexen zusammen. Seit den drei Jahre zurückliegenden Budgetkürzungen war davon nicht einmal mehr die Hälfte in Betrieb. Turm-9 hatte man als Ersten eingemottet. In dessen Observatorium hatte er die verrückte Alte untergebracht. Dort würde sie ungestört ihre letzten Monate verbringen können. Bis sie endlich der gnädige Tod ereilen konnte, den er ihr durch seine Rettungsaktion verwehrt hatte.
In lockerem Laufschritt joggte Matti durch die Kuppeln eins und zwei, nickte den Frauen und Männern zu, die ihm entgegenkamen oder in ihre Routinetätigkeiten vertieft waren.
Der Sicherheitsmann hatte sich kurz nach seiner Ankunft in Rauha angewöhnt, neben den schweißtreibenden Trainingseinheiten im Fitnessraum jeden Abend eine halbe Stunde zu joggen. Trotz der überschweren Laufschuhe gestattete ihm die mindere Schwerkraft Schritte von mehreren Metern Weite.
Er erreichte das Schott zum Verbindungsgang, der zum stillgelegten Bereich führte. Sein Mikropod fiepte leise, und das Schott öffnete sich.
Leicht abgestandene, kühle Luft schlug ihm entgegen. Die rötliche Notbeleuchtung flackerte auf, und Matti setzte seinen Weg fort.
Er liebte diese einsamen Läufe durch die menschenleeren Gänge der Kuppeln drei bis fünf. Hier war er mit sich und seinen Gedanken allein.
Seine Vorgesetzte, Saana Salmalainen, hatte ihm die Zutrittsgenehmigung für diese Räume gegeben. Als Gegenleistung würde er nach seiner Joggingtour melden, dass im stillgelegten Bereich alles in Ordnung war.
Wie an jedem Abend.
Falls einer seiner Kollegen zufälligerweise eine der Überwachungskameras in Betrieb nahm, würde er den einsamen Läufer im Halbdunkeln sehen. Zu dem Zeitpunkt, an dem Matti Turm-9 betrat, würde automatisch eine der Videokonserven eingespielt, die er in den vergangenen Wochen angelegt hatte. Sie würde ihn zeigen, wie er das Observatorium betrat, sich in einen der Sessel legte, hinauf zu der Erde blickte, ein Buch las oder sich seinem Pod widmete.
Finnen mochten die Einsamkeit. Niemand würde sich fragen, weshalb Matti Mikkola nicht einen der normalen Freizeiträume aufsuchte oder die Abendstunden in seiner eigenen Kabine verbrachte.
Der Sicherheitsmann verschloss das Schott zum Turm-9 und stieg die gewundene Treppe zum Observatorium empor.
Bevor er die letzten zehn Stufen genommen hatte, hörte er die Alte.
»Hier ist niemand. Gar niemand!« Sie sprach Englisch, wie sie es seit ihrem Unfall immer tat.
Matti grinste. »Das ist gut so«, gab er in Englisch zurück. »Denn hier kommt dich auch niemand besuchen.«
Er öffnete die Tür.
Die Alte stand mit dem Rücken zu ihm. Den Kopf hatte sie in den Nacken gelegt, so blickte sie zur transparenten Kuppel empor, hinter der sich der blau-weiße Erdball abzeichnete. Ihr wirres, graues Haar hing wie ein zotteliger Bart über seine alte Arbeitskombination hinab, die für ihren klapprigen Körper um mindestens vier Nummern zu groß war.
»Hier ist niemand«, krächzte sie erneut.
Matti holte die Plastiktüte mit dem Steak hervor und öffnete sie. »Schade«, sagte er. »Dann habe ich das leckere Fleisch umsonst mitgebracht.«
Die Alte fuhr herum. »Fleisch?«, hauchte sie. »Du hast Fleisch?«
Er nickte. »Die Essensdrucker funktionieren wieder. Zumindest fast.«
»Ich habe seit Jahren kein Fleisch mehr gegessen. Du wolltest mich bestimmt verhungern lassen!«
»Na, na«, gab Matti zurück. »Es ist gerade mal eine Woche her, seit die Drucker ausgestiegen sind. Und davor habe ich fast jeden Abend ein Stück Fleisch oder Fisch zu dir geschmuggelt.«
Er blickte sich um. Die Alte hatte den Tag genutzt, um die Pflanzenkübel neu anzuordnen und weitere Fettstiftzeichnungen anzufertigen.
Trotz ihres verwirrten Zustandes war sie äußerst geschickt beim Zeichnen von irdischen Landschaften, Tieren und Menschen. Es war ihre Art, mit der Einsamkeit im Observatorium umzugehen. Das Zeichnen beruhigte die Alte, gab ihr eine Möglichkeit, sich mit ihrem Schicksal zu beschäftigen und sich damit abzufinden.
Sie bückte sich, zog einen fleckigen Teller zwischen einem Stapel Zeichnungen hervor und wischte ihn an der Kombination sauber.
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