Outback Todesriff

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Outback Todesriff
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Manuela Martini

Outback Todesriff

Zwei Shane O'Connor Krimis

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

TODESRIFF

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

 

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Impressum neobooks

Impressum

M. Martini

OUTBACK

TODESRIFF

Zwei Shane O`Connor – Krimis

Texte: © Copyright by

Manuela Martini

Autor.manuelamartini@googlemail.com

www.manuelamartini.de

Alle Rechte vorbehalten.

Tag der Veröffentlichung: 11.11.2011

Cover unter Verwendung eines Fotos von depositphoto

Prolog

Die Erde ist rot und heiß. Stachelgrasbüsche sprießen hin und wieder aus dem Boden, den die Sonne seit Jahrtausenden mürbe macht, dass er einreißt wie alte Haut. Risse wie nie genähte Narben, gezackt und tief und rot. Wind streift darüber, treibt luftige Ballons aus Dornen vor sich her. Solange, bis sie hängen bleiben an toten Eukalyptusästen. Hinten durch die Ebene rinnt ein Bach – und in der Hitze flimmert eine staubige Straße.

Dort, wo Bach und Straße unvermeidlich aufeinander treffen, hat man eine dürftige Holzbrücke gebaut, gleich hinter der Brücke am Straßenrand parkt ein grüner Lieferwagen, Fahrertür geöffnet, Motor brummt.

Ein Mann lehnt an der Kühlerhaube und hält sich die Ohren zu, weiter unten aus dem Gebüsch am Bach gellt ein spitzer Schrei, der sofort erstickt. Dann folgt stoßartiges Keuchen. Hinter dem dürren Eukalyptusstrauch hat ein stämmiger Mann ein Mädchen unter sich. Auf ihrem dünnen Kleidchen sind bunte Blumen gedruckt, bunt wie eine Sommerwiese.

Seine weiße Hand ist so groß wie ihr schwarzes Gesicht, quetscht ihre Kiefer zusammen, presst ihre Nase, als solle sie zerbrechen, krallt die Finger in ihre Augen und Ohren wie in eine reife Frucht. Stößt zu, rasend wie wildgewordenes Vieh, reißt plötzlich die glasigen Augen auf, und brüllt, wird steif wie ein Brett. Nur das Plätschern des Bachs und krächzende Laute der Vögel.

Er nimmt seine schlaff gewordene Hand von ihrem Gesicht, steht auf, zieht die speckige Hose wieder über seine weißen Schenkel und schnallt den Gürtel zu. Mit dem staubigen Stiefel tritt er dem Mädchen in die Seite, wie er es bei verendenden Tieren macht, um zu prüfen, ob sie noch leben. Das Mädchen krümmt sich, und er wischt mit dem Ärmel über sein verschwitztes Gesicht, schlendert zum Wagen zurück. Der Mann, der an der Kühlerhaube lehnte, ist schon eingestiegen, sieht dem anderen nicht mehr in die Augen. Der klettert hinters Steuer, schlägt die Tür zu, löst die Handbremse, legt den ersten Gang ein und gibt Gas. Der Lieferwagen wird kleiner.

Das Mädchen kriecht in den Bach über die glitschigen Stein, streckt die Hand aus und bekommt eine Scherbe des Wasserkruges zu fassen. Das Kleid mit der bunten Blumenwiese ist jetzt zerrissen. In der roten Ebene ist es wieder still.

Kapitel 1

Keith Duff

Noch immer war es Keith Duff kotzübel. Er saß an der Theke des Pub Coocooloora und bestellte seine vierte Rum-Coke. Was für ein verdammter Tag!

Wie jeden Morgen hatte um 6.40 Uhr seine Armbanduhr gepiepst. Er war aus dem oberen Etagenbett des Wohnwagens gekrochen, den er mit John Flunders schon seit drei Wochen teilte, die Zeit, die sie als Roadworker im Outback arbeiteten.

Am Vortag waren sie nach Coocooloora gekommen, in einen Ort mit zweihundert Einwohnern, einem Pub, einer Tankstelle, einem Videoshop, einem Motel, und einem Lebensmittelladen. Noch einen Monat lief sein Vertrag, dann wollte er sehen, ob er weitermachen oder sich endlich um sein Leben mit Cindy kümmern würde. Vor einem halben Jahr hatte er ihr schon die Hochzeit versprochen. Er fuhr sich durchs Haar, spritzte sich Wasser ins Gesicht und zog seine Arbeitskleider an, dunkelgrüne Shorts, Hemd, dicke Socken und staubige Boots. Bevor er die Tür öffnete, stülpte er seinen abgegriffenen Hut über.

„Wieder so ein verdammter Tag!“, sagte er zu John, schaute in den wolkenlosen Himmel, und lachte. Sie tranken Kaffee und brieten ein paar Eier mit Speck. Um sieben Uhr zwanzig schaltete Keith Duff den Presslufthammer an und begann entlang einer mit Kreide auf die Teerfläche eines Parkplatzes gezeichneten Linie ein sechs Meter langes und einen Meter breites Rechteck aufzubrechen. Nachdem er mit dieser Arbeit fertig war, kletterte John Flunders in den Bagger und hob die Grube aus.

Keith Duff sah ihm zu – bis er etwas Seltsames, Bräunliches, Ledriges bemerkte. Er machte John Flunders ein Zeichen, für einen Moment aufzuhören und bückte sich. Scheiße ... wenn ihn nicht alles täuschte, war dieses bräunliche, lederartige Ding eine verdammte menschliche Hand.

Shane

Detective Sergeant Shane O’Connor starrte auf die zwischen ihm und dem Gerichtsmediziner liegende Masse aus bleichen Knochen, an denen stellenweise Reste von Fleisch klebten, faserig und trocken wie das einer zu lang gegrillten Ente. Der Gestank von verwesendem Fleisch und Chemikalien würgte ihn. Ihm saß noch die letzte Nacht in den Knochen. Als er am Morgen aufgewacht war, das Hirn von zu viel Whisky benebelt, hatte er gehofft, geträumt zu haben, doch seine aufgeplatzte Lippe bewies ihm, dass er sich tatsächlich geprügelt hatte.

Er warf einen Blick auf den Schädel, den Howard auf den Nebentisch gelegt hatte. Anstelle der Augen gähnten schwarze Höhlen, Nase und Wangenknochen waren seltsam deformiert, Maden hatten Löcher in die pergamentene Haut gefressen. Die üppigen, lockigen Haare um ihr winziges Gesicht sahen verstaubt aus. Aber die Zähne waren weiß und vollständig wie das Modell beim Zahnarzt.

Shane schluckte gegen die Übelkeit an, blickte auf, sah in Dr. Howards kleine Brillengläser, und konnte in seinen Augen weder Trauer noch Ekel noch Grauen erkennen.

„Sauber abgetrennt vom Rumpf.“ Howard deutete auf die scharfen Schnittkanten der Sehnen, die wie ausgedörrte Lederriemen vom hinteren Teil des Schädels herabhingen. Shane spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf sackte.

„Wir können froh sein, dass er sie diesmal vergraben hat, sonst wäre nicht so viel übrig. Wieder enthauptet, mit Axt oder Beil, soweit ich das in dem Zustand noch erkennen kann. Möglicherweise vor der Enthauptung auch gefesselt, wegen der Stellung der Beine. Der Stich im Bauch ebenfalls wie immer“, sagte Howard und sah auf. „Und was die 64.000 Dollar-Frage angeht: Die kann ich im Moment nicht beantworten, aber ich nehme an, dass wie in den übrigen Fällen kein Verkehr stattgefunden hat.“ Howard zog sein Latexhandschuhe aus. „Strengt euch bloß an, dass ihr den Kerl endlich fasst!“

Shane atmete auf als er durch die Tür des John Tonge-Centers auf die Straße trat. Es war Punkt acht und schon heiß. Bei der nächsten Obduktion wäre Jack mal wieder dran. Immer drückte er sich! Von wegen empfindlicher Magen! Aber Cola und Bier konnte er literweise in sich reinschütten! Shane hatte schlechte Laune. Da draußen lief ein Verrückter rum und hielt sie zum Narren. Und das nahm er persönlich.

Das war jetzt bereits die vierte derartig zugerichtete Leiche, die innerhalb von sechs Jahren in einem Gebiet von fast 6000 Quadratkilometern in Queensland gefunden worden war.

Die Opfer waren Frauen, die jüngste achtunddreißig, die älteste achtundvierzig. Der Mörder zwang sie offensichtlich, sich auszuziehen, dann fesselte er sie, knebelte sie mit einem Kleidungsstück, ließ sie niederknien und den Kopf auf einen Baumstumpf legen und enthauptete sie dann mit einer Axt oder einem Beil. Dann nahm er ihnen Hand- und Fußfesseln wieder ab, stieß ihnen ein Messer in den Bauch und schleifte den Körper hinter ein Gebüsch oder warf ihn in eine Grube oder Schlucht, irgendwo in einem abgelegenen Gebiet. Den Kopf und die Kleider stopfte er in eine Plastiktüte und vergrub sie zwanzig bis fünfzig Meter entfernt.

Nachdem seit einem halben Jahr keine Leiche mehr aufgefunden worden war, hatte die Homicide Squad vor zwei Tagen von Detective Greg Sutton aus Roma am Warrego Highway, vierhundert Kilometer westlich von Brisbane, einen Anruf erhalten: Dingofallensteller hatten unter dem steilen Abbruch eines Creekufers einen nackten toten Körper ohne Kopf gefunden. Unerwarteter Regen musste den vergrabenen Körper freigespült haben. Während die örtliche Polizei sofort den Fundort absperrte, machten sich noch am selben Tag die Detectives Flinders und Ross aus Brisbane auf den Weg, das Auto beladen mit Computern und Equipment, das sie für ihre Ermittlungen brauchen würden. Sie quartierten sich in einem ehemaligen und leerstehenden Büro eines Pumpenherstellers in Roma ein, und begannen, Personen zu befragen und Daten zu sammeln.

Schon am nächsten Tag, also gestern, spürte der Hund von Detective Sutton den abgetrennten Schädel auf. Er war hundert Meter vom Fundort des Körpers entfernt und nicht mehr als einen halben Meter tief im weichen Sand des ausgetrockneten Creeks vergraben, verpackt in eine weiße Plastiktüte ohne Aufschrift, zwischen den Kiefern einen hellblauen Slip. Die übrigen Kleider, ein hellblauer BH, ein violettes T-Shirt, ein schwarzer Minirock und schwarze, abgestoßene Pumps steckten ebenfalls in der Tüte. Weder Ausweis noch Führerschein, noch Portemonnaie hatte der Mörder zurückgelassen.

Bis jetzt war die Tote eine Unbekannte, ermordet vor etwa einem halben Jahr. Das Missing Persons Bureau durchforstete seine Datenbank. Wahrscheinlich konnte man bald die Identität der Toten klären. Am Vorabend waren die Überreste in Brisbane eingetroffen – und heute Morgen lagen sie auf Howards Tisch.

Noch immer in Gedanken bei dem grausigen Anblick fädelte er sich in den stockenden Verkehr ein und versuchte das Bild der massakrierten Frau zu vergessen. Manchmal schreckte ihn ein Alptraum auf: Er wurde an einen Tatort gerufen, und vor ihm lag eine Frau, die er kannte. In einem solchen Moment war ihm danach, Kim anzurufen, doch dann wusste er nicht, was er ihr sagen sollte, und ließ es sein. Kim ...

Es war purer Zufall, dass er vor drei - oder waren es vier? –Wochen Kim begegnet war, bei Woolworth vor der Eiscreme-Truhe. „Wie geht es Pamela?“, hatte er gefragt. Sie quälte aus ihrem blassen Lotusblumengesicht ein Lächeln hervor. Ihre Mutter stammt aus Taiwan.

„Gut. Sie will zur Polizei“, und dabei sah sie ihn vorwurfsvoll an. Als könnte er etwas dafür! Aber so war sie schon immer.

„Zur Polizei?“, sagte er, „dann muss ich ja doch einen guten Eindruck bei ihr hinterlassen haben!“ Er grinste unbeholfen. Ihr Blick glitt von ihm zu den Tiefkühlgerichten und wieder zurück. Sie kennt ja diese Sprüche, fiel ihm ein. „Ich hoffe, sie sieht dir immer noch ähnlicher als mir“, spaßte er weiter und war irgendwie erleichtert, als sie endlich den Einkaufswagen losließ, an den sie sich die ganze Zeit geklammert hatte. Sie knipste ihre Handtasche auf, zog ein Foto aus dem Portemonnaie. Er betrachtete das lächelnde, dunkelhaarige Mädchen mit der hellen Haut und den Mandelaugen.

„Sie hat die letzten Schul-Tennismeisterschaften gewonnen.“

„Warum wird sie nicht Tennislehrerin?“, fragte er. Er wollte etwas Lustiges sagen, anstatt zu fragen, warum sie ihm das nicht selbst gesagt hatte. Aber Kim steckte das Fotos zurück und schloss die Handtasche.

„Ich muss jetzt los“, meinte sie, und er sah ihr nach, wie sie sich wieder an den Einkaufswagen klammerte, hinter den Süßigkeiten verschwand, eilig, ohne sich noch einmal umzudrehen. Wie lange will sie ihn noch büßen lassen?

An der Kasse merkte er, dass er fast alles vergessen hatte, was er hatte einkaufen wollen.

 

Er war inzwischen in der Roma Street angekommen und steuerte den weißen Toyota Corolla in die Tiefgarage des Police Headquarters. In der Eingangshalle musste er sich durch lange Schlangen junger Menschen zwängen. Er befürchtete eine Demonstration, sah aber dann im Vorbeigehen das Schild: Bewerbungen hier. Ihr wollt alle Cop werden?, dachte er. Wisst ihr, dass Cops eine weit unter dem Durchschnitt liegende Lebenserwartung, Alkohol- oder Drogenprobleme und gescheiterte Ehen haben? Einer aus der Schlange lächelte ihn an. Mann, Junge, such dir was anderes, so lange du noch kannst, wollte er sagen, aber er zuckte nur die Schultern. Dann nickte er dem Pförtner zu, grüßte den Sicherheitsbeamten, hielt seine Erkennungsmarke an die elektronische Schranke und fuhr mit dem Aufzug hinauf.

Jack schluckte hastig einen Bissen Sandwich herunter, als hätte Shane ihn bei etwas Verbotenem erwischt.

„Ich mach dir keine Diätvorschriften, Jack“, sagte Shane, „ich bin nicht Ann.“ Jack stöhnte und klopfte sich auf den Bauch. Er war ein bulliger Kerl mit raspelkurzem Haar, kräftigem Kiefer und schlechten Manieren, der aber seine Frau Ann in den Himmel hob.

„Wie soll ich bis Weinachten zehn Kilo abnehmen, he?“ Er stopfte den Rest Sandwich in den Mund und deutete auf Shanes aufgeplatzte Lippe.

„War wohl ne scharfe Nummer, was?“

Shane ließ sich hinter seinen Schreibtisch auf den Drehstuhl fallen. „Oder ist wieder mal dein südländisches Blut hochgekocht?“, fügte Jack grinsend hinzu und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

„Halt die Klappe, Jack!“, brummte er übelgelaunt. An die letzte Nacht wollte er nicht auch noch erinnert werden. Und an seine Mutter auch nicht unbedingt. Seit sie diesen neuen Typen hatte, war sie völlig abgehoben. Will hier und Will dort – und sein Vater war nur noch der alte Ex-Bulle, der jetzt völlig den Verstand verloren hatte und seit Jahren an einem Buch über Wale schrieb.

„Und, was sagt Howard?“, holte ihn Jack wieder zurück. Shane stöhnte. „Er war’s wohl wieder.“ Und dann unterrichtete er ihn über die neuen Fakten.

Jack stand auf und ging breitbeinig zur Pinnwand, an die sie die Fotos der Opfer und die wichtigsten Informationen und Ortsangaben gesteckt hatten. Eine grausige Collage, dachte Shane.

„Wir haben gerade einen Hinweis von Kathy aus dem Missing Persons Bureau bekommen“, sagte Jack und steckte eine weitere rote Nadel auf die Landkarte. „Scheint, als hätten wir eine weitere Leiche identifiziert: Eine gewisse Jennifer Miller, zweiundvierzig, wurde von ihren Eltern vor einem halben Jahr als vermisst gemeldet.“ Er drehte sich zu Shane um: „Und jetzt pass auf: Sie beschrieben ihre Kleider folgendermaßen: Violettes T-Shirt, schwarzer Rock.“ Er steckte das Foto einer Frau mit Sommersprossen und rotem, üppigen Haar zu den Fotos der anderen Opfer auf die Landkarte Queenslands.

„Wann, sagt Howard, ist sie ermordet worden?“, fragte Jack.

„Vor einem halben Jahr vielleicht“, antwortete Shane. Jack trat zwei Schritte zurück. „Also, ein Gebiet von etwa tausend Quadratkilometern. In diesem Umkreis muss der Täter irgendwo wohnen oder arbeiten.“ Er strich sich über seinen rasierten Schädel und verzog das Gesicht. „Mein Gott, hier sind acht Leute damit beschäftigt, und wir kommen einfach nicht weiter! Und Al verliert langsam die Geduld. Hättest ihn gestern mal erleben sollen!“ Er verdrehte die Augen. „Die Presse heizt ihm ganz schön ein.“ Shane brummte, seine Kopfschmerzen wurden nicht besser und seine Lippe riss bei jedem Wort wieder auf.

„He, Shane! Aufwachen!“, sagte Jack und stemmte die kräftigen Arme in die Seiten, „ erinnerst du dich an den Fall Hancock? Vier ganze Jahre haben wir gebraucht, um den Kerl zu fassen! Aber, wir haben’s geschafft!“

Shane winkte ab. Er konnte sich nur allzu gut an den Fall erinnern. Der Fall Hancock hatte ihm die Beförderung gebracht. Kim war unendlich stolz auf ihn gewesen, und er hatte endlich das Gefühl gehabt, etwas erreicht zu haben In den darauffolgenden Monaten arbeitete er noch härter, weil er seiner Beförderung gerecht werden und beweisen wollte, dass er sie verdient hatte. Sein Privatleben reduzierte sich auf ein paar Stunden Schlaf, ein hastiges Frühstück und einen flüchtigen Kuss. Seine Tochter bekam er kaum noch zu Gesicht. Entweder schlief sie noch, wenn er zur Arbeit musste, oder sie schlief schon, wenn er irgendwann nachts nach Hause kam, erschöpft und mit Bildern ermordeter Menschen vor Augen und Lügen der Verbrecher im Ohr. Oft schreckte er nachts auf und trank dann ein paar Bier - später härtere Sachen, und Kim reichte schließlich die Scheidung ein. Okay, da waren auch ein paar Frauengeschichten ... Jedenfalls ... nachdem sie mit Pamela an der einen Hand und mit einem Koffer in der anderen, eines Morgens das Apartment verlassen, hatte, trank er noch mehr und fing mit Pferdewetten an.

Schließlich hatte er sich gesagt, dass es so nicht weitergehen konnte, versuchte, weniger zu wetten, weniger zu trinken und sich auf seine Karriere zu konzentrieren. Was ihm alles nicht allzu gut gelang.

„Hallo Al!“, sagte Jack und Shane sah zur Tür. „Hallo Jungs!“ Al Marlowe, das auch noch, dachte Shane. Al, Koordinator in der Homicide Squad, ein ungeschlachter Mann, dessen schiefe, grobe Nase, seine Vergangenheit als Ringer glaubwürdig machte, stand in der Tür. Wie immer war sein Hemd zu eng und seine Hose zu kurz – als müsste er immer noch die Sachen eines älteren Bruders auftragen.

„Shane, wie siehst du denn aus?“, sagte Al und verzog das Gesicht. „Reden wir von was anderem, Al!“, wehrte Shane ab. Nein, die Geschichte wollte er jetzt wirklich nicht erzählen.

„Ich hab dich für die Leitung der Teams bei diesen verdammten Serienmorden vorgeschlagen“, fuhr Al fort und schob das Kinn vor, was ihn noch brutaler aussehen ließ. Shane nickte. Vielleicht ging’s mit seiner Karriere weiter bergauf.

„Jack, du bist sein Stellvertreter.“

„Ist recht“, murmelte Jack und nahm das läutende Telefon ab. „Für dich“, er reichte Shane den Hörer. „Der Commissioner“, sagte er noch mit einem bedeutungsvollen Augenrollen.

„Shane, kommen Sie mal rüber!“, bellte der und es klang nicht gut.

Der Commissioner hielt ihm die Tages-Zeitung vors Gesicht. Die Schlagzeile war nicht zu übersehen:

Serienkiller-Detective in Schlägerei verwickelt

Und darunter war sein Bild. Scheiße, dachte er, wieso war da auch noch ein Fotograf gewesen? Der Commissioner, ein drahtiger, stets sorgfältig gekleideter und frisierter Mann in den Fünfzigern, drehte die Zeitung um und las:

„Kein Wunder, dass es keinen Fortschritt im Frauenserienkiller-Fall gibt. Einer der maßgeblich an den Ermittlungen beteiligter Detective ist ein brutaler Schläger und Trinker.“ Er sah Shane über den Rand seiner Lesebrille hinweg an. „Wollen Sie auch das Bild sehen? Damit keine Zweifel aufkommen, ist Ihr Name abgedruckt.“

Shane stöhnte.

„Und, haben Sie etwas dazu zu sagen?“

Shane warf einen Blick auf das Foto. Ein wütend dreinschauender Typ mit graumeliertem, lockigen Haar – und immerhin einer schmalen geraden Nase, hatte einen entsetzt blickenden gut angezogenen Herren am Kragen gepackt und presste ihn gegen eine Mauer.

„Sie werden verstehen, O’Connor, dass in unserer momentanen Situation alle erwarten, dass wir diesen Serienkiller-Fall endlich lösen. Das verstehen Sie doch, oder?“ Ich bin nicht blöd, wollte Shane sagen, aber er nickte, sonst würde diese ganze Geschichte hier noch länger dauern.

„Also“, der Commissioner räusperte sich und lehnte sich zurück. „Wir haben eine neue Leiche. Wieder ohne Kopf. Aber keine Frau. Diesmal ist es ein Mann. Gefunden in“, er nahm ein Papier vom Schreibtisch und hielt es näher an seine Augen, „Coocooloora. Noch nie gehört. Ist neunhundert Kilometer von hier entfernt.“ Er ließ das Papier sinken und lächelte. „Da haben wir Sie weit genug aus dem Schussfeld.“

Shane war erst mal sprachlos, dann sagte er: „Warum schicken Sie nicht Jack? Marlowe hat mich gerade zum Teamleiter ernannt – Sie wollen sich doch nicht im Ernst von diesen ... diesen Zeitungsfritzen in Ihre Ermittlungen reinreden lassen! Und das, was da passiert ist, das hat überhaupt nichts mit ...“

„O’Connor, Ihre Maschine fliegt in drei Stunden.“ Er lächelte wieder sein Saubermannlächeln und Shane stand auf. Arschloch, wollte er sagen, aber das brachte er dann noch nicht.

„Kann diese verdammte Aircondition nicht ein einziges Mal weder zu kalt noch zu warm sein?“, brüllte Shane los, zurück im Büro. „Ich frag dich, ist das zu viel verlangt? Wenn man hier zehn Stunden am Tag, fünf Tage die Woche schuftet? He, Jack, sag’s mir! Ist das zu viel verlangt?“

„Shane, ein Sandwich, ich hab noch eins übrig.“ Jack schwenkte eine Tüte vor seiner Nase.

„Steck dir dein verdammtes Sandwich sonst wohin, häng es dir meinetwegen um den Hals.“

„Shane, wen du Probleme hast, du weißt, mit mir kannst du reden, ich bin dein Freund.“ Unter normalen Umständen hätte Shane über sein gespieltes Therapeutengefasel gelacht. Stattdessen knurrte er:

„Coocoolorra – schon mal gehört? Ich schick dir ´ne Postkarte, soll einen schönen Campingplatz dort geben, reaktionäreViehtreiber und hässliche Frauen. “

Jack sah ihn erstaunt an. „He, die schicken dich dahin? Warum übernimmt das nicht Ross, der ist doch schon da?“

„Weil sie verdammte Arschlöcher sind, darum.“ Shane warf die Tür hinter sich zu. Er hätte jetzt ein Whisky vertragen können.

Andy

Andy starrte durch die Windschutzscheibe, an der gelbes Fliegenblut klebte. Seit Stunden verschluckte die Motorhaube das bis zum Horizont gespannte graue Teerband. Kein Hügel, kein Baum wuchs aus dem Land empor. Nur Gras. Knöchelhoch, kniehoch, hüfthoch. Ohne Straße wäre man verloren. Hin und wieder tauchten ein paar magere Rinder auf, braune Brocken im Grasland. Emus reckten die hässlichen Hälse, begannen dann zu traben. Ihre Körper wippten wie buschige Federboas, wenn sie mit dem Auto um die Wette liefen, dabei blitzschnell Haken schlugen und ins Auto zu rennen drohten.

Auf verkohlten Baumstämmen hockten dunkle Raubvögel und warteten auf tote oder lebendige Beute, rosafarbene Federn überfahrener Papageien mit Blut auf den Teer geleimt, wehten mit ihrem Spitzen im Wind. Am Straßenrand Reste von auf Motorhauben geschleuderter Kängurus - graue Fellhüllen und herausgerissenes Gedärm, gelblich schimmernd und schwarz von Fliegen.

Aber auf dem Himmel klebten weiße Wolken wie Marshmallows auf einer blauen Tischdecke.

Seit zwei Stunden kauerte Andy auf dem Beifahrersitz von Scottys Lieferwagen, rumpelte mit ihm in Richtung Coocooloora. Vor zwei Monaten war er siebzehn geworden. „Sieht er nicht aus wie der kleine Mozart“, hatte Mary Sheller ausgerufen, wenn Andy als Kind in ihren Laden in Quilpie gekommen war, um einen Schraubenzieher, einen Eimer oder Seife zu kaufen. „Woher will die alte Schlampe wissen, wie Mozart aussieht?“, hatte sein Vater gemeint, ein kräftiger, bärtiger Deutscher. So war er eben, sein Vater. Er selbst kam mehr nach seiner Mutter, einer zarten, hellhäutigen und nicht sehr großen Frau, deren Vorfahren vor hundert oder mehr Jahren von Schottland nach Australien gekommen waren.

Nie konnten sie sich der Sonne aussetzen. Ihre Haut verbrannte, ihre hellblauen Augen mussten sie durch breitkrempige Hüte schützen, und dort, wo die Hemden endeten, am Hals, im Nacken, an den Händen und im Gesicht, bildete sich ein Teppich hellbrauner Sommersprossen. Auch das Haar hatte Andy von ihr. Rote, dicke Locken, die er bis zum Kinn trug.

Manchmal träumte er vom wolkigen Norden Europas, von dunkelgrünen Wiesen und grauem Meer, kalter Luft und Menschen, die so aussahen wie er.

Aus dem Radio dudelte Countrymusik, schmalzige Stimmen, die von einsamen Nächten am Lagerfeuer sangen und von der einzigen Frau, die sie wollten, aber niemals bekamen. Scotty sang mit, traf nie den Ton und kannte nur die Refrains. Scotty war wohl um die fünfzig, schätzte Andy. Er war gedrungen und rundlich, hatte eine zu große Brille und zu dünne Beine – und schrecklich gute Laune.

„Wenn du schon achtzehn bist, Kleiner, nehm’ ich dich bis Peter Hills Laden mit“, hatte Scotty am Morgen in Quilpie gesagt, und dass er für Miller’s Bakery Backwaren auslieferte. Hill’s Laden in Coocooloora sei seine letzte Station. Coocooloora läge zweihundert Kilometer von Quilpie entfernt, am Rand des Mitchell Highways. Nach Lambina, wo man tonnenweise Opal aus der Erde holte, waren es fünfzehnhundert Kilometer weiter.

Doch Andy stieg ein, obwohl er ihn „Kleiner“ genannt hatte. Er wollte so schnell wie möglich aus Quilpie fort. Er kramte aus dem Rucksack auf den Knien eine Packung Zigaretten, er wollte nicht unhöflich sein und fragte: „auch eine?“

Scotty lachte. „Jungchen, in deinem Alter hab ich auch gedacht, nichts kann mich umhauen, hab gequalmt wie die Gangster im Fernsehen, und dann ist mein Vater gestorben. Frontalzusammenstoß auf dem Pacific Highway. Von da an hab ich nie wieder eine Zigarette angerührt - und keinen Alkohol.“

„Warum?“ Andy sah keinen Zusammenhang.

„Weil ich in dem Moment kapiert hab, dass man das Leben nicht wie ein Stück Scheiße behandeln soll!“

Andy steckte die Zigarette weg. Nur jetzt nicht irgendwelche Lebensweisheiten! Warum glaubten die Alten immer, sie müssten einem sagen, wo’s langgeht?

„Ich fahre nachher wieder nach Quilpie zurück, falls du es dir anders überlegst ...“ Scotty blickte durch seine Brillengläser zu Andy herüber. Der ist wie mein Vater, dachte Andy, starrte weiter durch die Windschutzscheibe, sagte: „Nein, ich werde es mir bestimmt nicht nochmal überlegen.“

Die Straße war breit genug für ein Auto. Wenn ihnen ein anderes entgegenkam, mussten beide auf den steinigen Seitenstreifen ausweichen. Aber ihnen begegnete selten ein Auto. Öfter scheuchten sie ein paar Schafe von der Straße auf.

Beinahe wäre er am Morgen wieder umgekehrt, als er seinen Vater vor dem Wohnwagen hatte sitzen sehen, den Blick auf die aufgeschütteten Sandhaufen geheftet. Doch er fuhr ab, und drehte sich nicht mehr um. Sein bisheriges Leben war zu einem einzigen großen Irrtum zusammengeschrumpft.

„Hab auch mal nach Opalen gegraben“, hört er Scotty jetzt sagen, „ist verdammt lange her. Damals in Yowah. Neben meiner Mine haben sie alle was gefunden, nur ich nicht!“ Er lachte. „Das ist nichts für mich. Brauch ´ne richtige Arbeit, bei der ich weiß, was am Ende dabei rumkommt! Und du und dein Vater, habt ihr was gefunden?“

Andy zuckte die Schultern.

„Manchmal.“ Wollte nicht erklären, dass sein Vater und er seit fünf Jahren vergeblich dem zweiten Level Opal suchten, die Schicht, die unter der ersten liegt, die der Vorbesitzer der Lease schon vor zwanzig Jahren gefunden und ausgebeutet hatte. Wollte nicht erklären, dass er nicht mehr an seinen Vater glaubte.

„Opale - das ist doch was für harte Jungs!“ Scotty sah an ihm herunter.

„Ich weiß ´ne Menge und kann mit Maschinen umgehen.“

Doch Scotty fragte weiter: „Warum bist du ausgerechnet heute abgehauen? Bin neugierig, na, komm schon, warum haut so einer wie du ab, Freundin?“ Scotty zwinkerte ihm zu. Andy schüttelte den Kopf, suchte nach einer Antwort, die Scotty zufrieden stellen und ihm die lange Geschichte ersparen würde.