Ein Märchenbaum erzählt

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Ein Märchenbaum erzählt
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Manfred Sacher

Ein Märchenbaum erzählt

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Der Märchenbaum

Die Wasserfee

Der goldene Apfel

Der verzauberte Wald

Der hölzerne Fingerhut

Die verschwundene Zeit

Der verzauberte Weihnachtsmann

Molly, die kleine Nebelhexe

Die Teufelsmühle

Der Märchenbaum

Wenn du an Märchen, Mythen und Sagen glaubst und dich daran erfreuen kannst, dann wirst du ihnen auch begegnen.

Dem Märchenbaum.

Es ist eine uralte Eiche mit einer weitverzweigten Krone.

Legst du dich in ihren Schatten, schließt die Augen und hörst ganz genau hin, dann kannst du ihn erzählen hören.

Von Prinzen und Prinzessinnen.

Von guten und von bösen Feen.

Aber auch von Teufeln und machtgierigen Zauberern.

Ja, der Märchenbaum kennt sie alle.

Die Wasserfee

Es war vor langer Zeit, als es noch Zauberer und Feen gab, da lebte auf einem Schloss die Prinzessin Rosengold. Sie liebte Blumen und vor allem Rosen über alles. Allen begegnete sie mit freundlichen Worten, war hilfsbereit und immer gut gelaunt. Da ihr Geburtstag bevorstand, überlegten ihre Eltern, sie zu verheiraten. So wurden Boten in alle Königreiche entsannt und die heiratsfähigen Prinzen auf das Schloss eingeladen.

Die Königsleute wussten nicht, dass sich ihre Tochter schon seit geraumer Zeit mit einem jungen, hübschen Prinzen traf. Ihre Liebe wurde von Mal zu Mal größer. So hatten sie sich geschworen, nie mehr voneinander zu lassen und sich immer treu zu bleiben.

Eines Tages beim Frühstück sprach der König zu seiner Tochter: „Mein liebes Kind. Du bist jetzt in einem Alter, in dem wir nach einem Gemahl für dich Ausschau halten müssen. Deshalb haben wir die heiratsfähigen Prinzen der Nachbarländer aufs Schloss eingeladen.“

„Aber lieber Vater, warum habt ihr nicht vorher mit mir darüber gesprochen? Vielleicht hab ich mir ja schon längst einen Gemahl ausgesucht. Alt genug bin ich wohl, um selbst zu entscheiden.“

Die Königin schaute ihre Tochter erschrocken an. Sie hatte bis jetzt geglaubt, dass ihre Tochter nur mit ihren Zofen Umgang hat, und nun dies. „Prinzessin, was sagst du denn da. Das kann doch nur ein Scherz sein. Nein, nein, wir werden einen für dich aussuchen, der zu dir passt. Schließlich müssen wir auch darauf achten, dass er eine große Brautgabe mitbringt. Du weißt doch, dass unsere Schatzkammer leer ist. Wir müssen unser Schloss instand setzen lassen und dabei kann uns nur ein reicher Prinz helfen. Dein Vater und ich haben es so beschlossen und dabei soll es bleiben.“

„Ich werde keinen nehmen, nur weil er reich ist. Ich will doch auch glücklich sein. Nein, ich suche mir meinen zukünftigen Gemahl schon selbst aus“, entgegnete die Prinzessin.

„Das sollst du auch, mein Kind“, versuchte der König seine Tochter zu beruhigen. „Du suchst dir aus denen, die wir eingeladen haben, den aus, der dir am besten gefällt. Nur darf er eben auch reich sein. Er muss sogar reich sein.“

Die Prinzessin verstand ihre Eltern nicht mehr. So gierig kannte sie die beiden gar nicht. Nur, weil Geld gebraucht wurde, sollte sie ihre Liebe opfern. Sie dachte gar nicht daran. Mit Tränen in den Augen rannte sie, ohne noch ein Wort dazu zu sagen, aus dem Schloss. Ihre beiden Zofen folgten ihr auf dem Fuße. „Bleibt ja, wo ihr seid, und lasst mich gefälligst allein mit meinem Kummer. Wenn ich euch brauche, werde ich nach euch rufen.“

Die Prinzessin lief zu ihrem Lieblingsplatz unten am See. An dessen Ufer stand eine uralte Trauerweide, deren Äste wie ein Vorhang bis fast aufs Wasser reichten. Hierher hatte sie sich eine Bank stellen lassen. Dies war ihr Platz, wenn sie traurig, aber auch, wenn sie glücklich war. Den Fischen, die sich im glasklaren Wasser tummelten, vertraute sie ihre Sorgen und Gefühle an. Die konnten ihr nicht widersprechen und keine Ratschläge geben, wie sie sich zu verhalten hatte. Dabei hatte sie schon oft bemerkt, dass ein silberglänzender Fisch ihr besonders zuzuhören schien. Was natürlich nicht sein konnte, aber sie glaubte einfach daran.

Als sie sich mit verweinten Augen auf der Bank niedersetzte und anfing, ihr trauriges Herz auszuschütten, war auch dieses Fischlein wieder da. Es schwamm nicht herum wie die anderen, nein, es schien der Prinzessin zuzuhören.

„Ach, liebes Fischlein, du hast es gut. Du kannst schwimmen, wohin du willst. Keiner macht dir Vorschriften. Du kannst deinen Liebsten sicher selbst auswählen. Ich soll einen zum Manne nehmen, den ich nicht kenne und nicht liebe, nur weil er reich ist.“ Dicke Tränen rannen ihr über die Wangen. Wie durch einen Schleier nahm sie alles um sich herum wahr und konnte sich gar nicht beruhigen.


Da vernahm sie eine leise, zarte Stimme: „Liebe Prinzessin Goldhaar, sei nicht traurig, es wird alles gut werden. Glaub einfach fest daran.“

Erstaunt schaute sich die Prinzessin um, konnte aber niemanden sehen. „Wer hat da gesprochen? Zeige dich, wer du auch bist.“ Ich höre schon Stimmen, die es gar nicht gibt, ging es ihr durch den Kopf. „Siehst du, kleines Fischlein, wie es um mich steht? Ach, könnt ich auch schwimmen, wohin ich möchte!“

„Prinzessin Goldhaar, Prinzessin Goldhaar“, hörte sie ihre Zofen rufen. „Der König, Euer Vater, möchte Euch sehen. Ein Gast ist eingetroffen, kommt schnell!“

Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Prinzessin. Vielleicht war es ja ihr Prinz, sicherlich wurde auch er eingeladen. „Ja, ja, ich komme. Habt ihr den Gast schon zu Gesicht bekommen? Wie sieht er denn aus? Ist es ein sehr gut aussehender junger Prinz?“

„Aber Prinzessin, schaut ihn Euch selbst an. Wir haben ihn auch noch nicht gesehen.“

So schnell sie konnte, lief sie zum Schloss. Erst wollte sie sogleich in den Thronsaal stürmen, um ihrem Prinzen in die Arme zu fallen. Doch je näher sie der Tür kam, desto lauter wurde eine innere Stimme: „Schau ihn dir erst einmal heimlich an. Du wirst sonst enttäuscht sein, wenn es nicht der Erwartete sein sollte.“

Es muss doch etwas zu bedeuten haben, dachte sie und ihre Schritte wurden langsamer und langsamer. Ich werde ihn mir erst einmal von der Galerie aus anschauen, entschied sie und stürmte, gefolgt von ihren Zofen, die Stufen hinauf. Vorsichtig öffnete sie die Tür, um ja kein Geräusch zu machen. Gebückt schlichen die drei zur Brüstung.

Ihr Herz, das ihr bis jetzt vor Freude bis zum Hals gepocht hatte, wollte mit einem Schlag aufhören zu schlagen. Eine Gestalt, groß und breitschultrig, stand vor ihren Eltern. Vor ihm eine Truhe, gefüllt mit Goldmünzen und Edelsteinen. Es war nicht ihre große Liebe, die sie erwartet hatte. Wenn sie doch nur sein Gesicht sehen könnte. Als ob er es gehört hätte, schaute er sich im Saal um. Da sah sie einen Mann, der doppelt so alt war wie sie. Auf seiner rechten Wange zeichnete sich eine große Narbe ab, die sein Gesicht nicht gerade schön aussehen ließ. Man sah ihm an, dass er keinem Kampf aus dem Wege ging. Das bestätigte auch das große Schwert an seiner Hüfte.

„Wird es denn noch lange dauern, bis die gnädige Prinzessin gedenkt, zu erscheinen?“, fragte er auf einmal und seine Stimme wurde dabei immer lauter.

„Sie wird sofort erscheinen, edler Herr“, versuchte ihn der König zu beruhigen.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Was konnte sie nur tun, um nicht zu gefallen? Da fiel ihr Blick auf eine der Zofen. „Zieh schnell dein Kleid aus, ich werde es anziehen, wenn ich in den Thronsaal gehe.“

„Aber Prinzessin, das könnt Ihr doch nicht machen, es ist nicht gerade mein schönstes Kleid. Und einen Fleck hat es auch schon.“

„Red nicht so viel, zieh es aus, die Zeit drängt.“

In dem Kleid der Zofe sah sie wirklich nicht wie die Prinzessin Goldhaar aus, zumal sie auch ihre sonst so geliebten Haare zerzauste.

 

„Da bin ich. Was gibt es denn so Wichtiges, dass ich sofort kommen sollte?“

„Aber Kind, wie siehst du denn aus? Wo hast du dich herumgetrieben? Ich muss mich ja für dich schämen.“

„Aber Hoheit, das macht doch nichts“, meinte der Prinz. „Es ist mir so lieber, als wenn sie geschniegelt und gebügelt daherkäme und sich zierte wie ein verwöhntes Frauenzimmer. Mir gefällt sie so, wie sie ist, und ich möchte noch einmal um ihre Hand anhalten.“

„Da habe ich aber auch noch ein Wörtchen mitzureden. Es geht immerhin um mein Leben. Einige Tage Bedenkzeit brauche ich schon.“

„Damit bin ich einverstanden. Ich werde in einer Woche Ihre Entscheidung entgegennehmen. Bis dahin habe ich noch einen kleinen Krieg mit meinen Nachbarn zu gewinnen. Danach wird mein Reichtum noch größer und mein Ansehen noch gewaltiger sein. Prinzessin, Ihr werdet eine große und einflussreiche Königin sein. Bis zur Entscheidung nehme ich die Truhe wieder mit. Die Hoheiten haben ja gesehen, was ich an Brautgabe mitbringe.“ Er deutete eine Verbeugung an und verließ das Schloss. Er war sich sicher, mit der Truhe voller Gold Eindruck hinterlassen zu haben. „Habt ihr die volle Truhe mit den Goldstücken gesehen? Damit können wir nicht nur das Schloss renovieren“, meinte der König.

„Und die vielen Edelsteine, was man damit alles anfangen könnte …“, schwärmte die Königin.

„Und mit so einem Rohling wollt ihr mich verheiraten? Nur, weil er stinkreich ist, soll ich Ja sagen? Was aus mir wird, ist euch wohl ganz egal? Ich denke gar nicht daran, diesen aufgeblasenen Gernegroß zum Mann zu nehmen. Und wenn das ganze Schloss zusammenfällt, den nehme ich auf keinen Fall. Es gibt auch noch andere.“ Dabei dachte sie an ihren Prinzen und stürmte aus dem Thronsaal. In ihrer Kammer ließ sie sich aufs Bett fallen und konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

Der König und die Königin schauten sich überrascht an.

„Was ist denn in unsere Tochter gefahren? So ungehorsam kenne ich sie gar nicht“, entfuhr es dem König. „Sie hat doch immer gemacht, was wir von ihr verlangt haben.“

„Du hättest ihr eben nicht immer alles durchgehen lassen sollen. Etwas mehr Strenge hätte nicht geschadet“, entgegnete die Königin.

Beide dachten noch immer an die Truhe, die vor wenigen Augenblicken vor ihnen gestanden hatte. Golden glänzten des Königs Augen und die Königin sah schon die vielen Edelsteine an sich glitzern.

Die Ankunft eines weiteren Prinzen riss sie aus ihren Träumen.

„Wir lassen bitten“, meinte der König mit einer erwartungsvollen Miene. „Vielleicht kommt der Nächste mit noch mehr Schätzen und Geschenken.“

„Nein, nein“, erwiderte die Königin. „Keiner rings um unser Königreich ist so mächtig und reich wie der erste Freier.“

Die Tür ging auf und der heimliche Geliebte der Prinzessin betrat den Saal, machte vor den Hoheiten eine tiefe Verbeugung und trat auf die Königin zu. „Diese Kleinigkeit möchte ich Euch von meinen Eltern überreichen. Gleichzeitig bitte ich um die Hand der Prinzessin Goldhaar.“

„Woher kennt Ihr unsere Tochter?“, fragte der König etwas überrascht.

„Aber Hoheit, Ihr wart doch zur Hochzeit meiner Schwester, der Prinzessin Isolde, eingeladen. Es liegt zwar schon einige Jahre zurück, doch schon damals habe ich mich in Goldhaar verliebt und, wie ich glaube, sie sich auch in mich.“

„Ach ja“, versicherte der König schnell, konnte sich aber nicht mehr daran erinnern. Die Königin betrachtete den Edelstein und musste wieder an die Truhe denken, die voll davon war. Für sie stand der Bräutigam für ihre Tochter fest, denn eine bessere Partie konnte diese nicht machen. Wenn er auch kein junger Bursche mehr war und nicht die feinsten Manieren hatte. Die Liebe würde mit den Jahren schon kommen. Bei ihr war es doch auch nicht anders gewesen. Dieser hier war zwar jung und hübsch, doch reich waren seine Eltern genauso wenig wie sie selbst.

„Junger Prinz, sage er seinen Eltern die besten Grüße und einen Dank für das Geschenk. Was die Hand der Prinzessin angeht, so soll er sich die Antwort in einer Woche abholen.“

Der Prinz verstand zwar diese Zeitverzögerung nicht, fügte sich aber und verabschiedete sich.

Vor dem Schloss stieß er fast mit der Prinzessin zusammen, die auf dem Weg zu ihrem Lieblingsplatz war. Beide schauten sich verliebt in die Augen und wären sich am liebsten in die Arme gefallen. Doch hier könnte man sie sehen und das wollten sie nicht. Bevor er weiterritt, flüsterte er ihr zu: „In einer Woche werde ich dich holen. Von da an kann uns nichts mehr trennen. Vergiss mich bis dahin nicht.“

So verstrichen die Tage. Keine Minute verging, in der sie nicht an ihren Liebsten dachte. Sie hatte sogar geträumt, wie er sie hoch zu Ross zu seinen Eltern brachte. An den anderen Freier verschwendete sie keinen Gedanken mehr. Ihn hatte sie schon aus ihren Gedanken gestrichen. Doch sollte es wirklich so einfach sein?

Jeden Tag ging sie zum See und erzählte den Fischen, dass sie bald von ihrem Prinzen geholt würde. Die schienen sich darüber so zu freuen, dass sie hoch aus dem Wasser sprangen. Einige übertrieben es so sehr, dass sie auf dem Trockenen landeten. „Ihr kleinen Wilden, das dürft ihr aber nur machen, wenn ich in der Nähe bin. Wer soll euch denn sonst wieder zurück ins Wasser setzen?“, sagte sie lachend und ließ sie ins kühle Nass gleiten. Aus vielen kleinen Mäulern hörte sie einen leisen Dank. Jedes Mal ging sie froh und gut gelaunt zum Schloss zurück. Wenn ich morgen Früh aufstehe, dann ist es so weit, dachte sie, schlief selig ein und träumte wieder von ihrem Liebsten.

Trompetenklänge rissen sie aus dem Schlaf. Erschrocken fuhr sie hoch. „Was ist denn? Hab ich es verschlafen? Warum hat mich keiner geweckt?“, stammelte sie und sprang aus den Federn. Waschen und Anziehen gingen heute viel schneller als sonst. Schon war sie auf dem Weg in den Thronsaal – und blieb noch einmal stehen, um an sich hinunterzuschauen. Es sollte ja alles in Ordnung sein.

Da hörte sie die Stimme des Zeremonienmeisters: „Eure Hoheiten! Es begehrt Einlass der hochedle Prinz Haubold und sein Gefolge!“

„So lasse er ihn herein, wir freuen uns, ihn zu sehen“, erwiderte die Königin schnell und dachte an die Truhe voller Schätze.

Das Lächeln und die Freude wichen aus dem Gesicht der Prinzessin, als sie den Namen hörte. Mit diesem Freier hatte sie so zeitig in der Früh nicht gerechnet. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt und schaute in den Saal.

Mit großen festen Schritten kam Prinz Haubold herein. Hinter ihm eine finstere Gestalt, die einem schon beim Anblick eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. Ihre Augen sahen wie schwarze Löcher aus und die Lippen hatte sie zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Immer wieder schaute sie nach links und rechts, als ob sie Angst vor etwas hätte oder etwas suchte.

Der Prinz trat vor den Thron und deutete wieder eine Verbeugung an. Als der König und die Königin seinen Gruß erwiderten, drehte er sich um und klatschte in die Hände. Diesmal kamen vier Diener mit zwei großen Truhen herein, stellten sie vor dem Thron ab und zogen sich schnell zurück.

„Eure Hoheiten“, fing Haubold an. „Da ich wieder einmal gegen meine Feinde gewann, mein Königreich erweitert und eine Menge Schätze erobert habe, ist mir eure Tochter das Doppelte wert. Sie soll die reichste Königin sein, die es weit und breit gibt. Es wird ihr an nichts fehlen. Sie wird nur ihren geliebten Gemahl hin und wieder vermissen. Denn ein so mächtiger König mit einem so riesigen Reich muss darin für Ordnung sorgen. Außerdem werde ich wohl dann und wann einen Krieg gegen meine Feinde führen.“

Die Prinzessin hatte genug gehört. So schnell sie konnte, eilte sie davon. Sie hoffte, ihrem geliebten Prinzen zu begegnen, um dann mit ihm zu fliehen. Da sie ihn nirgends erblicken konnte, eilte sie zum See.

Dieser aber hatte sie schon längst erspäht und ritt ihr nach. Fast hatte er sie erreicht, als sie unter den herabhängenden Zweigen der Trauerweide verschwand. Er band sein Pferd an und schlich zum Baum, bog die Zweige vorsichtig auseinander und schaute hindurch. Seine Prinzessin saß auf der Bank und weinte. Er ging zu ihr.

Glücklich fielen sich die beiden in die Arme. Ein langer Kuss trocknete auch noch die letzten Tränen. Eng umschlungen setzten sie sich auf die Bank und die Prinzessin erzählte ihm von dem Freier, der gerade bei ihren Eltern um ihre Hand anhielt, und von den beiden Schatztruhen.

„Da kann ich wohl nicht mithalten. Ich hab nur eine kleine Truhe von meinen Eltern mitbekommen. Sie meinten, es komme nicht auf Ruhm und Geld an. Wichtig sei, dass man sich lieb hat.“

„Da haben deine Eltern wohl recht“, erwiderte die Prinzessin.

„Ich glaube aber, dass sich meine Eltern von dem Gold und den Edelsteinen blenden lassen. Sie werden darauf bestehen, dass ich diesen grässlichen Kerl nehme. Ach, Liebster, sag, was wir dagegen machen können?“ Die Prinzessin schmiegte sich an ihn und fing wieder bitterlich zu weinen an.

„Wenn ich dich nicht zu meiner Königin machen kann, dann kann ich auch gleich als Fisch hier im See weiterleben. Ohne dich hat mein Leben keinen Sinn mehr.“

Keiner von beiden bemerkte die finstere Gestalt, die schon lange alles mit anhörte. Es war der Zauberer des Prinzen Haubold. Er hatte gespürt, dass sich die Prinzessin vom Schloss entfernte, und war den beiden gefolgt. „Das trifft sich gut“, sprach er leise vor sich hin. „Wenn er ein Fisch werden will, so kann ich ihm wohl helfen. Und gleichzeitig einen Rivalen meines Herrn ausschalten.“ Er hob einen Stab und sprach unverständliche Worte vor sich hin. Ein Aufschrei unter dem Blätterdach des Baumes bestätigte ihm den Erfolg seiner Zauberei. Der Prinz hatte seiner Geliebten gerade einen Kuss geben wollen, als er sich in einen Fisch verwandelte und ins Wasser glitt. Gleichzeitig hörte die Prinzessin ein lautes, höhnisches Gelächter, das sich schnell entfernte. In ihr stieg etwas auf, was sie noch nie so gespürt hat: Wut und Trauer. Sie trat unter dem Baum hervor und sah gerade noch, wie die finstere Gestalt, die den Prinzen Haubold begleitet hatte, im Schloss verschwand.

Mit ernstem Gesicht und festen Schritten ging die Prinzessin zum Schloss. In ihr wütete ein Vulkan. Sie wollte diesen Prinzen und sein Gefolge zur Rede stellen. Was sie nicht bemerkt hatte, war die durchsichtige Gestalt, die sich aus dem Wasser erhoben hatte. Ein blendend heller Strahl schoss aus einer Kugel, die dieses zauberhafte Wesen in den Händen hielt. Der traf die Prinzessin, ohne dass sie etwas davon spürte. Sie wurde ruhiger, selbstbewusster. Sie war nicht mehr die lustige, alles verzeihende Prinzessin Goldhaar. Diesmal ging sie ohne Umwege gleich in den Thronsaal.

„Da bist du ja endlich“, stellte die Königin erleichtert fest. „Der edle Prinz wartet schon voller Ungeduld auf dich. Und schau nur, was er für wertvolle Schätze mitgebracht hat. An seiner Seite wirst du nicht nur die schönste, sondern auch die reichste und mächtigste Königin werden. Und uns machst du damit glücklich“, schwärmte sie.

„Na, dann würde ich doch vorschlagen, dass du ihn nimmst! Ich werde ihn jedenfalls nicht nehmen. Er hat meinen Prinzen von dem da in einen Fisch verwandeln lassen. Ja, so grausam ist er! Wie wird er wohl mit mir umgehen, wenn ich erst in seinen Fängen bin? Er soll seinen Kram zusammenpacken und mit seinen Gehilfen das Weite suchen. Und das so schnell wie möglich, ehe ich alles eigenhändig zum Fenster hinauswerfe!“

„Aber Prinzessin, was ist denn in dich gefahren? So behandelt man doch keinen Gast. Und einen so reichen gleich gar nicht. Sofort wirst du dich bei ihm entschuldigen! Sag, dass es dir leidtut“, herrschte sie der König an.

Die Prinzessin hörte gar nicht richtig zu. Sie schaute den Prinzen und vor allem den Zauberer zornig an. „Hat er mich nicht verstanden oder ist er begriffsstutzig? Ich sagte doch, er solle verschwinden. Oder muss ich erst die Wachen rufen?“

Prinz Haubold wollte und konnte nicht glauben, was er da eben gehört hatte. Was erlaubte sich diese Göre von einer Prinzessin? Ihn, den mächtigsten und gefürchtetsten König weit und breit, so zu beleidigen. Wut stieg in ihm auf und er hätte am liebsten gleich seine Macht demonstriert. Er konnte auch die Macht seines Zauberers nutzen, doch wer wusste, ob die hier nicht auch einen hatten, der vielleicht noch mehr konnte. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und schaute zum König. „Euch wird das alles noch einmal sehr, sehr leidtun. So einfach wirft man einen Haubold nicht hinaus! Wir werden uns wiedersehen, aber dann bestimmt nicht mehr mit Geschenken!“

 

Mit großen Schritten stürmte er aus dem Saal. Seine Diener konnten ihm mit den schweren Truhen kaum folgen. Der Zauberer hatte sich schon heimlich aus dem Staub gemacht. Er kannte seinen Herrn. Einer musste herhalten und seinen Zorn über sich ergehen lassen. Warum sollte er das sein?

Der König stand vor seinem Thron und brachte kein Wort hervor. Die Königin schaute ihre Tochter mit großen Augen an. „Was soll jetzt nur aus uns werden, was soll nur werden?“, stammelte sie.

„Wenn er uns den Krieg erklärt, ist unser Königreich für immer verloren“, sprach der König vor sich hin und ließ sich auf den Thron fallen. „Wie haben keine Armee, die wir ihm entgegenstellen können. Er wird keine Rücksicht nehmen und uns aus dem Land jagen. Alles nur, weil eine hochnäsige Prinzessin, wie unsere Tochter eine ist, nicht reich und mächtig werden will. Nein, aus Liebe will sie heiraten. Da wird man jeden Tag satt von der Liebe. Ach, Prinzessin, wo ist denn jetzt deine große Liebe? Im See als Fisch. Dann wird er ja auch bald um deine Hand anhalten kommen.“

„Hör auf, Vater, ich weiß, dass ihr nur hinter der Brautgabe her seid. Ich sah auch die gierigen Augen der Mutter, die sich von dem Inhalt der Truhen nicht lösen konnten. Nur damit ihr es wisst, ich werde überhaupt niemanden heiraten und für immer und ewig allein bleiben.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie in ihre Gemächer.

Der König und die Königin starrten vor sich hin. Sie konnten das Erlebte immer noch nicht begreifen. Ihre sonst so brave und liebe Tochter war auf einmal kühl und abweisend, hatte ihren eigenen Kopf, was noch nie der Fall war.

Der nächste Tag sah die Prinzessin schon in aller Frühe am See sitzen. Sie beobachtete die Fische und hoffte, ihren Prinzen herauszufinden. Dann würde sie ihn mit aufs Schloss nehmen, um ihn immer bei sich zu haben. Doch einer sah wie der andere aus. Sie müsste alle mitnehmen und das ging nicht.

„Ach, Liebster, wenn ich doch nur wüsste, wie es weitergehen soll, ohne dich hat das Leben keinen Sinn für mich. Am besten wird es sein, ich lasse mich auch von einem Zauberer in einen Fisch verwandeln. Dann sind wir für immer zusammen.“

Dicke Tränen tropften aus ihren Augen. Deshalb konnte sie auch nicht sehen, wie das Wasser zu brodeln anfing. Große Blasen stiegen empor, aus denen sich eine zarte, durchsichtige Gestalt formte. Erst, als sie eine zarte Stimme vernahm, drehte sie sich verwundert um, konnte aber niemanden sehen.

„Schau zum Wasser“, hörte sie die Stimme wieder.

„Wer bist denn du? Dich habe ich hier noch nie gesehen“, brachte sie nur hervor.

„Ich, liebe Prinzessin, bin die Wasserfee dieses Sees. Ich beobachte dich schon lange und weiß, dass du ein guter Mensch bist. Ich weiß natürlich auch, was deinem Prinzen zugestoßen ist, dass er jetzt in meinem Reich als Fisch herumschwimmen muss.“

„Da kannst du ihn mir sicher auch wieder herzaubern. Eine Fee kann das doch, oder?“

„Ich habe zwar magische Kräfte, doch diese Bitte kann ich dir nicht erfüllen. So mächtig bin ich nicht. Was aber in meiner Macht steht, das will ich auch tun. Damit du deinen Prinzen immer erkennst, werde ich ihm eine Krone aufsetzen und sprechen soll er auch.“ Damit versank die Fee wieder im Wasser. Es war, als wäre sie nie da gewesen.

Dann plötzlich hörte sie wieder eine Stimme: „Liebe Prinzessin Goldhaar, hier unten an dem großen Stein.“

Die Prinzessin schaute zu der angegebenen Stelle. Ein glänzendes Fischlein mit einer goldenen Krone war zu sehen. „Prinz, lieber Prinz! Ich mache mir die größten Vorwürfe, dass ich dich hierhergebracht habe. Doch jetzt, da ich dich erkennen kann, werde ich dich aufs Schloss mitnehmen. Du sollst einen kleinen See bekommen, damit du immer in meiner Nähe bist.“

„Nein, nein, Prinzessin. Das ist zwar lieb von dir, doch hier im See bei der Fee fühle ich mich gut und vor allem sicher. Ich möchte auch versuchen, von ihr zu erfahren, wie der Zauber aufgehoben werden kann. Erzähl niemandem von mir, denn jeder würde einen Fisch mit einer Krone haben wollen. Prinzessin, es nähert sich jemand. Komm, wenn du kannst, aber denke immer daran, mit keinem über mich zu sprechen.“

Eine ihrer Zofen kam und holte sie zum Essen. Mit einem tiefen Seufzer trennte sie sich von ihrem Liebsten.

Im Schloss saßen ihre Eltern schon am Tisch. Keiner von beiden sprach ein Wort. Sie schauten auch die Prinzessin nicht an, als sie sich setzte. Die spürte aber, dass ihre Eltern böse auf sie waren. Vor allem ihre Mutter machte ein mürrisches Gesicht, wie es selten vorkam. Ihr war es am schwersten gefallen, sich von den Juwelen zu trennen. Die Prinzessin hielt sich auch nicht lange auf. Die Nachspeise ließ sie einfach stehen und war schon wieder auf dem Weg zum See.

Vierzehn Tage waren seitdem vergangen und noch immer hatten sie nicht erfahren, wie man diesen Zauber rückgängig machen konnte. Sie war schon so weit, einen Zauberer zu suchen und um Hilfe zu bitten. Dies wollte sie heute ihrem Prinzen sagen. Doch so sehr sie auch nach ihm Ausschau hielt, sie konnte ihn nirgends sehen. Kein Fisch, der sich im Wasser tummelte, hatte eine Krone auf.

Wie hingezaubert erschien auf einmal die Wasserfee.

„Ist mit meinem Prinzen irgendetwas geschehen?“, fragte die Prinzessin erstaunt, als sie die Wasserfee erblickte.

„Nein, nein“, beruhigte sie die Fee. „Diesmal bin ich deinetwegen gekommen. Ich beobachte dich jeden Tag und freue mich, dass du die Liebe zu deinem Prinzen nicht aufgegeben hast, obwohl er ein Fisch ist. Dafür will ich dich belohnen. Gehe in den Moorwald und suche die uralte Mooreiche. Zwischen ihren Wurzeln wirst du eine Kröte finden. Brich einen Zweig von der Eiche ab und berühre damit die Kröte. Pass aber auf, dass dich die Kröte nicht bemerkt. Sie wird sich sonst tief ins Moor zurückziehen und du wirst nichts erreichen. Wenn du sie aber berührt hast, dann tritt schnell zurück, denn sie wird sich aufblähen und zerplatzen. Damit ist die Zauberkraft des Zauberers von diesem genommen. Denn seine Zauberkraft hat er in dieser Kröte versteckt. Dann musst du schnell aus dem Moorwald verschwinden, denn der Zauberer wird nicht lange auf sich warten lassen. Er muss die Kröte wieder zum Leben erwecken, um zaubern zu können. Ich werde es spüren, wenn du die Zauberkraft des Zauberers gebrochen hast, und werde deinem Prinzen seine frühere Gestalt wiedergeben können. Sollte etwas schiefgehen, wird der Prinz für immer ein Fisch bleiben.“

Die Prinzessin hatte gespannt zugehört. Sie versprach, alles zu tun, um ihren geliebten Prinzen wieder in die Arme schließen zu können. Sie wusste aber auch, dass es verboten war, in den Moorwald zu gehen.

„Eine Warnung will ich dir noch mit auf deinen gefahrvollen Weg geben. Nimm dich vor dem Moorgeist in Acht. Wenn seine Augen rot leuchten sollten, dann bleib ganz ruhig stehen und warte ab. Sollten sie dagegen grün leuchten, dann schreite zügig voran. Lass diesen Burschen aber nie aus den Augen, denn all zu schnell ändert er sein Verhalten.“

Die Prinzessin bedankte sich bei der Fee und versprach, darauf zu achten.

Im Laufschritt ging es zum Schloss zurück. Am Tor gab sie den Befehl, ihr Pferd zu satteln und bereitzustellen. Sie zog sich ihre Reitsachen an, um beweglicher und schneller zu sein als in einem Kleid. Schon wegen des Moorgeistes. Im Galopp ging es in Richtung des Waldes, der sich in der Ferne abzeichnete. Bald stand er ihr wie eine schwarze Wand gegenüber. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Auch ihr Mut schien mit jeder Minute, die verging, zu sinken. Nur der Gedanke an ihren Prinzen trieb sie vorwärts.

Je tiefer sie in den Wald hineinritt, desto mehr sank ihr Pferd ein. Deshalb stieg sie ab und band es fest. Auch sie sank bis zu den Knöcheln ins Moor ein. Die Prinzessin blieb stehen und schaute sich um. In dem Halbdunkel war allerdings nicht viel zu erkennen. Sie hatte gehofft, ein Anzeichen eines Weges zu erblicken. Doch nichts als Moor war zu erkennen. Immer darauf gefasst, einzusinken, setzte sie einen Fuß vor den anderen. Schon lange lief das Moor ihr in die Stiefel und jedes Mal, wenn sie einen Fuß herauszog, musste sie aufpassen, das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Plötzlich vernahm sie eine innere Stimme, die ihr sagte, wohin sie treten solle, um festen Boden unter den Füßen zu haben. Trotzdem versank sie bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln im tiefschwarzen Moor. Ihre Augen wanderten hin und her, um ja nichts zu übersehen. Vor allem den Moorgeist nicht. Doch der Bursche hatte sie schon lange bemerkt und schlich ihr hinterher. Er war neugierig, was diese zarte Frau vorhatte. Sie in seine Gewalt zu bringen, dazu hatte er immer noch Zeit.

Als sie einmal nicht aufpasste, weil ihre Gedanken bei ihrem Prinzen waren, verfehlte sie den Weg und versank bis zum Hintern im Moor. Den kurzen Angstschrei hatte sie eigentlich vermeiden wollen, er rutschte aber doch über ihre Lippen. Schnell hielt sie sich die Hand vor den Mund.

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