Die Hüter des Sakraments Teil 2

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Die Hüter des Sakraments Teil 2
Font:Smaller АаLarger Aa

Manfred Arlt

Die Hüter des Sakraments Teil 2

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Das geschah bisher:

Kapitel 1: Ein neuer Auftrag

Kapitel 2: Ein neuer Anfang

Kapitel 3: Das Sakrament

Kapitel 4: Das Geheime Archiv

Kapitel 5: Die Prüfung

Kapitel 6: Ein seltsames Treffen

Kapitel 7: Das Jesus-Experiment

Kapitel 8: Die Gründer

Kapitel 9: Das zweite Sakrament

Impressum neobooks

Das geschah bisher:

Durch einen Zufall ist Jack, ein gehbehinderter Computerfreak in die jahrtausende alte Auseinandersetzung zweier Geheimbünde geraten. Bei einem Überfall auf ihn wird er sogar angeschossen und ist eigentlich tot. Doch durch die wundersamen Kräfte des Sakraments, wird Jack wieder ins Leben zurückgeholt. Die Evanisten entführen ihn in ihr Kloster und sorgen für seine vollständige Genesung. Dabei zeigt sich, dass Jack eine besondere Beziehung zu dem Sakrament hat. Doch wie erträgt er als bekennender Katholik die Wahrheit des Sakraments?

Kapitel 1: Ein neuer Auftrag

Am nächsten Morgen traf sich der Abt der Evanisten mit seinen Sakramentonen. Er informierte sie über das Ergebnis seiner gestrigen Unterhaltung mit Jack. Insbe­sondere wies er noch einmal auf die ungewöhnlich starke Verbindung zwischen Jack und dem Sakrament hin. Dann bat er Schwester Sonja, sich im Anschluss an diese Besprechung mit Jack zusammenzusetzen, um Möglichkeiten zu finden, wie man sich mit seiner Freundin Sabine in Verbindung setzen könnte. Anschließend sollte Sonja Jack in die Technikräume zu Bruder Wolfgang bringen. Dort war in der Zwischenzeit Jacks Computeranlage aufgebaut worden. Die beiden sollten versuchen, den Weg zu rekonstruieren über den Jack in den Server der Evanisten eindringen konnte.

Dann folgte Bruder Andreas' Bericht. Er hatte gemeinsam mit Bruder Wolfgang über eine getarnte E-Mail-Adresse die Santen angeschrieben und ihnen ihren eige­nen Lieferwagen zum Kauf angeboten. Der Wagen schien ihnen sehr wichtig zu sein, denn sie waren sofort auf das Angebot der Brüder eingegangen und hatten das Geld auch schon überwiesen. Es wurde also beschlossen, dass Aleyn nach Braunschweig fliegen solle und den Wagen kurz vor der polnischen Grenze in einem Parkhaus oder ähnlichem abstellen würde. Man würde dann den Santen die genaue Adresse mitteilen. Zudem würde ihnen mitgeteilt, dass das Angebot für bestimmte Auftragsarbeiten zur Kenntnis genommen worden sei und man sich bei Bedarf melden würde.

Die Untersuchungsergebnisse der Teeprobe hatten sich als äußerst interessant erwiesen. Es handele sich teils um natürliche und teils um synthetische Substanzen. Das Gebräu schmecke abscheulich, hätte aber eine sehr starke aufputschende Wirkung. Und zwar körperlich wie geistig. Das Zeug vor einer Examensarbeit oder einem Wettkampf zu nehmen, wäre schon die halbe Miete. Zusätzlich sei es schmerzstillend und setze die moralische Hemmschwelle herunter. Es schien sich um eine Art Kampfdrink zu handeln. Allerdings, wenn die Wirkung nachließ, fiel man in ein tiefes Loch. Aus welcher Giftküche es kam sei unbekannt. Vielleicht war es auch eine Eigen­entwicklung.

Die Untersuchung des zweiten Computersystems liefe noch. Ein Ergebnis sei noch nicht in Sicht. Das würde noch einige Zeit dauern. Zum Schluss der Versammlung wurden noch einige allgemeine und verwaltungstechnische Angelegenheiten besprochen, dann war die tägliche Besprechung beendet.

Sonja ging wie besprochen direkt zu Jack, der sie schon ungeduldig erwartete. Er war in den Ru­heräumen der Sakramentonen untergebracht worden, die sich tief im unterirdischen Teil der Anlage befanden. Keine fünfzig Meter von dem Sakrament entfernt. Im Laufe der Zeit war eine Be- und Entlüftungsanlage eingebaut worden. Auch eine elektrische Beleuchtung hatte man installiert. In regelmäßigen Abständen gab es Kameras und Bewegungssensoren; die moderne Technik hatte auch hier Einzug gehalten. Trotzdem fühlte Sonja sich unbeobachtet. Die Wände waren unverkleidet und überall sah man noch den nackten Fels. Sie genoss die Ruhe, die in diesen Gängen herrschte. Der Weg zu Jacks Zimmer hätte ruhig doppelt so lang sein können. Als sie vor der Tür stand und gerade anklopfen wollte, öffnete Jack sie und bat Sonja einzutreten.

„Hallo, Sie müssen Sonja Gesing sein. Es freut mich, Sie endlich näher kennenzulernen.“

Er deutete auf einen der beiden Stühle und bat sie, sich zu setzen.

„War ich so laut, dass Sie mich kommen gehört haben? Mein Name ist Sonja. Den Nachnamen Gesing vergessen Sie am Besten. Eigentlich heiße ich Schwester Sonja, aber der Zusatz Schwester ist wahrscheinlich für Sie befremdlich. Nennen Sie mich einfach Sonja. Ich habe auch nichts dagegen, wenn Sie mich duzen. Das ist bei uns eben so üblich.“

Jack war begeistert. Er sah eine attraktive Frau An­fang vierzig, sehr sportlich und durchtrainiert, die ihm auf Anhieb sympathisch war.

„Dass der Name gefaked ist, hatte ich mir schon gedacht. Das mit dem Duzen nehme ich gerne an. Bevor wir weiterreden, möchte ich mich erst bei Ihnen, sorry bei dir bedanken. So wie ich deinen Boss verstanden habe, habe ich dir mein Leben zu verdanken. Obwohl ich kurzzeitig darüber nicht sehr erfreut war. Ich hätte schon gerne gesehen was mich in dem Licht erwartet. Aber irgendwann werde ich es ja noch erfahren. Jetzt hoffe ich aber, dass das noch einige Zeit dauert. Um auf deine erste Frage zurückzukommen: Nein, du warst nicht laut. Aber ich bin mit dieser Kraftwelle, ihr nennt sie die Aura des Sakraments, am Experimentieren. Dadurch wusste ich, dass da jemand kommt.“

„Über deine Reise zu dem Licht würde ich mich gerne noch ausführlicher mit dir unterhalten. Mir ist so etwas Ähnliches auch schon mal passiert. Aber im Mo­ment habe ich ganz andere Sorgen. Bei der Aktion in Berlin haben wir deine Freundin aus den Händen der Santen befreit. Damit sie den weiteren Einsatz nicht ge­fährdet, habe ich sie weggeschickt. Sie sollte sich irgend­wo verstecken und auf keinen Fall zu deiner Wohnung zurückkehren. Egal, was passieren würde. Ich wollte mich dann später mit ihr per E-Mail in Verbindung set­zen. Das habe ich dann aber, so wie die Dinge sich ent­wickelten, ganz einfach vergessen. Seitdem habe ich zig­mal versucht, sie über die Adresse, die sie mir gab, zu kontaktieren. Jetzt hoffe ich, dass du noch andere Möglichkeiten hast, deine Freundin zu erreichen. Eine Telefonnummer wäre prima. Ich habe nämlich mittlerweile ein ziemlich schlechtes Gefühl bei dieser Sache.“

„Das sollte kein Problem sein. Aber ich möchte eines klar stellen. Sabine ist meine Freundin. Wir kennen uns schon ewig. Aber meine Freundin ist sie erst, seit dem Tag, beziehungsweise der Nacht, bevor wir den Termin mit der ominösen Frau Gesing hatten. Sabine hat auch keinen Schlüssel von der Wohnung. Ihr Handy wird wohl noch in der Küche liegen. Hoffentlich habt ihr die Wohnung abgeschlossen! Um Sabine brauchst du dir wahrscheinlich keine Sorgen zu machen. Sie ist auf den Straßen von Kreuzberg groß geworden. Und jetzt ist sie gewarnt. Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Dazu müsste ich aber einen Internetzugang haben.“

„Da gibt es allerdings noch ein kleines Problem. Wir haben der Gegenseite nämlich weisgemacht, dass du tot bist. Du weißt doch, Tote leben angeblich länger.“

Das musste Jack erstmal verdauen. In den letzten Ta­gen war der Unterschied zwischen Leben und Tod für ihn ziemlich fließend gewesen. Aber das hieß noch nicht, dass Sabine ihn auch für tot hielt. Gott sei Dank.

Dann machte Sonja den Vorschlag, Bruder Wolfgang in seiner Technik-Welt zu besuchen. Damit war Jack natürlich sofort einverstanden. Nachdem sie etwa fünf Meter gegangen waren, blieb er plötzlich stehen.

Jack zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

„Das Sakrament befindet sich dort irgendwo?“

Sonja sah in überrascht an.

„Stimmt, wie kommst du darauf?“

„Weil die Kraftwelle von dort kommt.“

„Wie macht sich das bei dir bemerkbar? Ich spüre das Sakrament erst, wenn ich kurz davorstehe.“

„Diese Welle ist einfach latent da. Und wenn ich mich darauf konzentriere, kann ich sie als Verstärker für meine Sinne be­nutzen.“

„Praktisch, muss ich schon sagen.“

Sie gingen schweigend weiter. Jack hatte schon seit einiger Zeit die Orientierung verloren. Die Gänge sahen alle gleich aus. Irgendwann blieb Sonja vor einer un­scheinbaren Tür stehen. Doch nachdem sie diese geöffnet hatte, sah man dahinter noch eine zweite Tür, und die war überhaupt nicht unscheinbar, eher wie eine Tresortür. Jack hatte den Eindruck, dass er in eine andere Welt ein­getreten war. Aus dem Mittelalter in die Zukunft. Inmit­ten unzähliger Gerätschaften hantierte ein etwa fünfzig­jähriger Mann in der obligatorischen Mönchskutte. Al­lerdings hatte er statt der Kordel einen Werkzeuggürtel umgeschnallt. Nun kam er auf sie zu und reichte Jack die Hand.

 

„Hallo, du musst Jack sein. Ich bin Wolfgang. Indirekt hatten wir ja schon miteinander zu tun.“

Er lachte. Es war ein herzliches Lachen. Auch dieser Mann war Jack auf Anhieb sympathisch.

„Dann wollen wir mal sehen, wie wir deine Freundin möglichst unauffällig kontaktieren können. Denk daran, Tote können in den seltensten Fällen Telefonate führen oder E-Mails schreiben. Da müssen wir uns schon was anderes einfallen lassen.“

Sonja verabschiedete sich und bat darum, über das Ergebnis informiert zu werden.“

„Tja Jack, ich habe deinen Rechner dort aufgebaut, er ist online aber die Übertragung ist ziemlich lahm. Es sind noch einige Filter dahinter geschaltet. Wie sollen wir vorgehen? Du kannst auf keinen Fall eine normale E-Mail schicken.“

Das war Jack klar. Doch er hatte schon eine Idee. Ihr Wettkampf lief ja noch. Und er war fest davon über­zeugt, dass Sabine mehrmals täglich ihr Video aufrufen und auch jeden Kommentar darunter lesen würde, den andere Besucher dazu abgegeben hatten. Darauf baute er. In der Nacht bevor dieser ganze Schlamassel begonnen hatte, hatte Sabine ihm erzählt, dass sie eigentlich einen lila Bikini bei diesem Video anziehen wollte. Aber der hatte sich im Wasser als fast durchsichtig entpuppt. Deshalb hatte sie einen anderen gewählt. Und er kannte einige ihrer Marotten. In Texten, die sie erstellte, auch in offiziellen an Behörden oder so, benutzte sie statt des Großbuchstaben "E" das Sonderzeichen ALT-0202, das Ê mit Dach darüber. Und in einer Anwandlung von Gefühlsduselei hatte er ihr verraten, dass man ihn früher im Kinderheim immer Humpel gerufen hatte. Diese drei Hinweise konnte Sabine nicht übersehen. Er erklärte Wolfgang seine Idee. Der konnte daran nichts Negatives finden, also schrieb Jack unter Sabines Video einen entsprechenden Kommentar, indem alle drei Hinweise enthalten waren. Danach konnte man nur abwarten.

Jetzt gingen sie daran, Wolfgangs Hauptanliegen an­zufassen. Für ihn war es äußerst wichtig nachzuvollzie­hen, wie Jack es geschafft hatte, in seinen Server einzu­dringen und Dateien daraus zu kopieren. Obwohl sich die beiden überhaupt nicht kannten, arbeiteten sie wie ein perfektes Team zusammen. Sie bauten ein kleines Netzwerk auf, mit Jacks Rechner als Angreifer und dem Server der Evanisten als Zielobjekt. Ein dritter Rechner diente ausschließlich als Protokollinstanz, der alle Akti­vitäten einfach mitschrieb. Dann begann Jack seinen An­griff. Jeden Handgriff, den er ausführte, erklärte er Wolf­gang ausführlich. Der wurde immer stiller und nach­denklicher. Nach einer guten Stunde erschien in einem roten Feld auf Jacks Monitor ein Zeichen. Jack trium­phierte.

„Das ist das erste Zeichen deines Passworts.“

Wolfgang konnte nur nicken. Nach weiteren zwei Stunden standen in dem roten Feld sechs Zeichen. Und bei jedem neuen Zeichen wurde Wolfgangs Blick immer nachdenklicher.

„Wir können die Sache hier abbrechen. Es ist ja nur noch eine Frage der Zeit, bis du das Passwort geknackt hast. Dieses Programm, gehört das zur Standardausrüs­tung von Hackern?“

Jack lächelte.

„Nein, das hat eine Freundin von mir geschrieben.“

„Das heißt, sie macht nicht nur im Bikini eine gute Figur, sondern kann auch solche Sachen program­mieren?“

„Nein, das ist eine andere. Sie hat zum Beispiel das Video für die Stauprognose entwickelt, das du gerade gesehen hast.“

„Gut, du hast also das Passwort geknackt. Das heißt aber noch lange nicht, dass du dich jetzt auf meinem Server frei bewegen und nach Lust und Laune ir­gendwelche Sachen kopieren kannst. Schließlich fangen die eigentlichen Sicherheitsmaßnahmen jetzt erst richtig an. Die Firewall habe ich selbst entwickelt und darauf bin ich richtig stolz.“

Jack druckste jetzt verlegen herum.

„Diese Firewall ist die stärkste, die ich bisher gesehen habe. Das meine ich absolut ehrlich. Nur, als ich das erste Mal hier war, ist sie noch nicht ganz fertig ge­wesen. Deshalb gelang es mir noch so gerade, eine Tür einzubauen. Diesen Trojaner habe ich übrigens selbst entwickelt und auf den bin ich auch richtig stolz.“

Wolfgang sah Jack fast ungläubig an.

„In der Firewall ist ein Loch? Das würde natürlich einiges erklären. Ich mache dir einen Vorschlag, der Abt möchte, dass du dir als Vorbereitung für euer heutiges Gespräch die beiden Internetseiten www.keplerstern.de und www. wasserklangbilder.de ansiehst. Während du dich mit den Internetseiten beschäftigst, versuche ich, deinen Trojaner zu finden.“

Das fand Jack in Ordnung. Allerdings war er sehr ge­spannt, wie erfolgreich Wolfgang dabei sein würde.

Doch zunächst studierte Jack wie vereinbart die beiden Internetseiten. Die Zusammenhänge, die dort aufgeführt und erklärt wurden, faszinierten ihn. Mit dieser Thematik hatte er sich schon einmal beschäftigt, aber diese Informationen waren ihm neu.

Nach gut zwei Stunden passte Wolfgang.

„Ich finde nichts, was da nicht hingehört. Du wirst mir wohl auf die Sprünge helfen müssen.“

Als Jack gerade anfangen wollte ihm den Aufbau seines Trojaners zu erklären, meldete sich ein Telefon. Wolfgang nahm ab und bestätigte die Fragen des Anru­fers.

„Wir werden unser Vorhaben auf morgen verschieben müssen. Der Abt erwartet dich in deinem Zimmer. Ich gebe dir ein Telefon mit. Ruf mich morgen früh an, wenn du fertig bist und ich hole dich dann ab. Jetzt bringe ich dich erst einmal auf dein Zimmer.“

„Schade, wo es doch jetzt erst richtig interessant wurde. Euer Abt wollte sich doch erst heute Abend mit mir unterhalten.“

„Na ja, zwanzig Uhr könnte man schon als abends bezeichnen.“

„Was, so spät schon? Wie lange arbeitest du denn jeden Tag?“

Da sah Wolfgang ihn ernst an.

„Jack, ich arbeite hier nicht, ich lebe hier.“

Dann brachte er ihn zu seinem Zimmer. Unterwegs dachte Jack über die Bemerkung von Wolfgang nach. Seinen Job als Lebensaufgabe zu verstehen hatte schon etwas.

Der Abt erwartete die beiden schon. Er erkundigte sich bei Bruder Wolfgang, ob die Zusammenarbeit er­folgreich gewesen sei. Das wurde ihm ausdrücklich be­stätigt.

„Wir sind zwar noch nicht fertig, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit. Es hätte übrigens ein echtes Problem werden können. Mit einem kompetenten Part­ner zusammenzuarbeiten ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Und zwar keine schlechte.“

Dann verabschiedete sich Bruder Wolfgang. Der Abt und Jack setzten sich wieder an den kleinen Tisch.

„Hoffentlich war dein Tag heute nicht langweilig?“

„Im Gegenteil, mit Sonja und Wolfgang habe ich zwei sehr interessante Leute kennengelernt. Und ich habe das Gefühl, dass ich auch von den beiden einfach als Mensch ernst genommen werde. Das ist eine ganz neue Lebenserfahrung für mich. Bisher war ich für Leu­te, die ich neu kennenlernte, immer nur der mit dem ver­krüppelten Bein. Und nur, weil mein Bein nicht mehr verkrüppelt ist, bin ich doch der gleiche Mensch geblie­ben wie vorher.“

„Da kann ich dich sehr gut verstehen. Für die meisten Menschen sind Äußerlichkeiten das Wichtigste im Leben. Nicht nur die optischen. Sieh dir nur mal unsere Superstars an. Egal ob Sportler, Sänger oder Schau­spieler. Grundvoraussetzung ist Medientauglichkeit. Das Aussehen ist meistens wichtiger als das Können. Die Fans beten ihre Stars an als wären es Götter. Mit welcher Berechtigung verdient ein Fußballstar mehrere Millionen Euro im Jahr? Nur weil er von der Natur mit einem be­sonderen Talent bedacht wurde? Wie kann es bei den Einkommen so gravierende Unterschiede zwischen ei­nem Boxer und einer Krankenschwester geben? Das Jah­resgehalt, das ein Polizist oder ein Feuerwehrmann dafür bekommt, dass er laufend sein Leben und seine Ge­sundheit riskiert, kassiert ein Schauspieler für einen drei­ßig Sekunden langen Werbespot für eine Zahncreme. Das Verhältnis stimmt einfach nicht. Mitte der sechziger Jahre gab es eine britische Rockband, The Who. Sie war bekannt dafür, dass sie als Abschluss eines Live Auftrit­tes ihre Instrumente zerschlug. Die Fans erwarteten das mittlerweile. Stell dir mal vor, der Sänger wäre nach der Show vor die Fans getreten und hätte gesagt, dass heute auf dieses Ritual verzichtet würde und die Instrumente stattdessen für einen karitativen Zweck versteigert wür­den. Man hätte ihn ausgebuht und ausgepfiffen. Die Fans versuchen, ihren Idolen in Aussehen und Kleidung nach­zueifern und merken gar nicht, dass sie einfach nur zu Imitationen werden. Aber die Leute, die sich für ihre Umwelt oder andere Hilfsbedürftige und Not leidende Menschen einsetzen, werden einfach übersehen. Jeder sogenannte Star hat mindestens einen Fanclub. Hast du schon mal von einem Albert Schweitzer Fanclub gehört? Was dieser Mann in Lambarene für die dortige Bevölke­rung geleistet hat, ist mehr als bemerkenswert. Wie viele Menschen ihm ihr Leben oder ihre Gesundheit verdan­ken, kann niemand ermessen. Oder hast du schon mal gesehen, dass sich ein junges Mädchen im Mutter Teresa Look kleidet?

Wahrscheinlich wissen die meisten Mädchen gar nicht, wer Mutter Teresa war und was sie in Indien für die Kranken und Armen getan hat. Es gibt einen Aus­spruch von ihr, den man an jeder Schule lehren sollte:

DIE ARMUT WURDE NICHT VON GOTT GE­SCHAFFEN. DIE HABEN WIR HERVORGEBRACHT. ICH UND DU MIT UNSEREM EGOISMUS.

Entschuldige Jack, ich glaube ich habe mich in Rage geredet. Aber eines möchte ich noch erwähnen. Wenn man die finanziellen Mittel, die man in den letzten zehn Jahren für Kriege ausgegeben hat zusammenzählen wür­de. Und die geistigen Kapazitäten, die sich mit nichts an­derem beschäftigt haben. Wenn dieses Kapital in die Ur­barmachung von Wüsten gesteckt worden wäre, könnte die Sahara heute ein fruchtbarer Garten sein!“

Der Abt schwieg einige Sekunden.

„Ab und zu soll man seinem Frust alle Tore öffnen, das reinigt die Seele. Es wird wohl noch lange, dauern bis die Menschheit bereit ist für den nächsten Schritt, wohin auch immer der führt. Vielleicht schafft es diese Menschheit auch gar nicht.

Damit kommen wir indirekt auf unser eigentliches Thema. Bevor man sich Gedanken macht, wo einen der Weg hinführt, sollte man wissen, woher man kommt. Der erste Vers der Schöpfungsgeschichte ist dir ja nun be­kannt. Hattest du Gelegenheit, dir die Internetseite Kep­lerstern anzusehen und dich mit der Signatur der Sphä­ren zu beschäftigen?“

„Ja, und ich war ziemlich erstaunt. Man kann ja davon ausgehen, dass die dort aufgestellten Berechnun­gen korrekt sind. Dann fällt es sehr schwer zu glauben, dass diese komplexen Bewegungsabläufe zufällig ent­standen sind. Wenn ich diese Sternblume, die sich aus Venus und Erde ergibt betrachte und dann die Stelle aus dem ersten Vers der Schöpfung dazu nehme, wird mir schon ein wenig anders. Das müsste ein irrsinniger Zu­fall sein.“

„Und dieses Zeichen, die Sternblume, taucht in fast allen alten Kulturen auf. Als Zeichen der Venus oder teilweise auch als Schöpfungssymbol. Zufall?

Womit wir bei der größten aller Fragen wären: Wer waren die Erbauer beziehungsweise die Schöpfer des Universums, wenn es nicht der Zufall war?

Wir können drei klassische Erklärungskonstrukte zu Hilfe nehmen um diese Frage zu diskutieren. Die wissenschaftliche Theorie, meine Schöpfungsgeschichte und als drittes deine Bibel.“

„Warum ausgerechnet diese drei?“

„Welche würden dir noch einfallen, über die du auch diskutieren kannst?“

„Eigentlich keine, gut lassen wir es bei diesen drei.“

Der Abt trank einen Schluck Wasser.

„Ich glaube, die Wissenschaft kann uns da auch nicht besonders weiterhelfen. Es gibt die Theorie von dem Ur­knall. Aber wenn die schlauen Herren sich auf den Standpunkt von Theorien zurückziehen, heißt das doch soviel wie vielleicht und es könnte eventuell. Wobei ich der Wissenschaft beileibe keinen Vorwurf machen will. Es gibt nun mal einige Sachen die lassen sich nicht ratio­nal erklären.

Nehmen wir als nächstes die Bibel. Gott schuf in sie­ben Tagen die Welt.“

Da unterbrach Jack den Abt.

„Das mit den sieben Tagen ist wohl nicht wörtlich zu nehmen. Es ist ja auch eher uninteressant, wie lange es genau gedauert hat und wie Gott die Erde und das restliche Universum erschaffen hat. Dass das alles kein Zufall sein kann, haben wir ja eigentlich schon geklärt. Wenn es aber kein willkürliches oder zufälliges Entstehen war, muss jemand das so und nicht anders geplant und erschaffen haben. Und das war nun mal Gott. Auch wenn Sie der Meinung sind, das waren Ihre Schöpfer. Keine Rasse kann so etwas mit technischen Mitteln bewerkstelligen. Auch wenn sie über ein Wissen verfügen würde, das dem unserer Zeit um Jahrtausende voraus wäre. Sie könnten vielleicht riesige Raumschiffe bauen und zu anderen Sonnensystemen fliegen. Aber ein Sonnensystem zu erschaffen ist eine ganz andere Größenordnung. Und Leben erschaffen, egal ob es sich um einen Baum oder einen Menschen handelt, das ist keine Frage der Technik, das ist weit mehr.“

 

Bei Jacks letzter Bemerkung schmunzelte der Abt.

„Ich finde die Vorstellung amüsant, dass jemand mit einem interstellaren Bagger durchs Weltall fährt und ein Sonnensystem baut. Und als der Vorarbeiter in die Hände klatschte, um das Startzeichen zu geben, war das der Urknall, von dem unsere Wissenschaftler ausgehen. Nein Jack, da haben wir uns missverstanden. Das, was ich als Schöpfer verstehe ist nicht eine hoch technisierte außerirdische Spezies. Du solltest mich nicht in eine Schublade mit Erich von Däniken stecken. Dessen Denkweise ist interessant, aber hat nichts mit der Schöp­fung zu tun. Weder mit deiner, noch mit meiner Betrach­tungsweise. Technik und Schöpfung haben nichts ge­meinsam.“

Das musste Jack jetzt erst einmal verarbeiten. Denn dann waren seine Auffassung und die des Abtes gar nicht so unterschiedlich. Er erinnerte sich an eine Bemerkung während ihres ersten Gespräches, wonach sein Gott und die Schöpfer unter Umständen identisch waren. Außer­dem konnte er das Sakrament nicht ignorieren. Er spürte die Strahlung, die davon ausging. Sie war real. Und dass sein Bein geheilt war, konnte er auch nicht außer Akt lassen. Im Gegenteil. Das war schließlich ein Wendepunkt in seinem Leben. Aber wenn der Abt Recht hatte, konnte er sein bisheriges Weltbild ganz einfach vergessen. Und nicht nur er. Wenn das publik gemacht würde wäre die Christliche Kirche Schnee von gestern. Millionen von Menschen würden ihren inneren Halt verlieren. Nicht nur die Kirche wäre davon betroffen. Auch alle anderen Religionen würden ad absurdum geführt. Er mochte sich die Folgen lieber nicht vorstellen. Sie wären mehr als katastrophal. Langsam wurde ihm bewusst, weshalb dieser Orden sein uraltes Wissen vor der übrigen Menschheit verborgen hielt. Würde nur ein Zipfel dieses Geheimnisses bekannt, würde sich die Presse wie eine Furie darauf stürzen. Spekulationen würden Tür und Tor geöffnet. Kein Reporter oder Redakteur würde über die Folgen seines Berichts nachdenken. Nur die Schlagzei­len und die Auflagen wären interessant. Und ausgerech­net er *Jack the Hacker* hätte durch seine Unwissenheit diese Lawine ausgelöst.

Voraussetzung wäre natürlich, dass die Geschichte des Abtes stimmte. Und beweisen konnte er seine Version genauso wenig wie die Kirche ihre Auffassung. Wäre da nicht das Sakrament.

„Ihr habt mich vollkommen durcheinandergebracht. Was wäre, wenn ihr ein Gespräch mit der Kirche suchen würdet. Man könnte eventuell versuchen, die Wahrheit langfristig und in kleinen Happen zu verbreiten.“

„Das wäre dann die hundertste Version der Bibel. Außerdem ist der Kirche die Existenz des Sakraments und der Schöpfungsgeschichte nicht unbekannt.“

Der Abt merkte, dass es besser wäre, die Diskussion hier abzubrechen. Sein Gegenüber war sichtlich verwirrt. Mit diesen Informationen musste Jack sich erst einmal auseinandersetzen. Würde er ihm jetzt die Wahrheit über das Jesus-Experiment erzählen, wäre es einfach zu viel.

Jack war sichtlich geschockt.

„Seit wann weiß denn die Kirche davon?“

„Der Kirche ist die Existenz seit Ewigkeiten bekannt. Du kannst dir nicht vorstellen, was sie schon alles versucht hat um in den Besitz des Sakraments zu gelangen. Du hast keine Vorstellung davon, welches Wissen in den geheimen Archiven des Vatikans auf ewig verborgen ist. Das entzieht sich leider auch unserer Kenntnis.“

„Aber das würde doch heißen, dass die Kirche lügt, und auch die anderen Religionen wären nicht besser.“

„Lass es mich so ausdrücken, Jack. Die Kirche lügt nicht. Sie erzählt nur den Teil der Wahrheit, der am besten in ihr Gesamtkonzept passt. Der Text einer heuti­gen Bibel hat nicht mehr viel mit dem ursprünglichen Text gemeinsam. Früher wurde jede Bibel von Hand ge­schrieben. Und ausschließlich vom Klerus. Kannst du dir vorstellen, wie viele Fehlinterpretationen, egal ob ge­wollt oder nicht, es da zwangsläufig gibt? Und doch ist die Bibel für unsere Kultur überlebenswichtig. Wie vie­len Menschen hat sie schon und wird sie noch Trost spenden und neuen Lebensmut geben? Wahrscheinlich ist das der bessere Weg als die Wahrheit. Unsere Aufgabe besteht darin die Wahrheit zu bewahren, und nicht sie mit aller Gewalt zu verbreiten. Das Sakrament wird uns begreiflich machen, wann die Zeit dafür gekommen ist. Lass uns unsere Unterredung hier beenden. Es ist nicht gut, den Geist überzustrapazieren und dabei den Körper zu vernachlässigen. Wir haben hier einen kleinen Fit­nessraum. Bruder Wolfgang soll ihn dir morgen zeigen. Falls du noch aufnahmefähig bist, kannst du dir den zweiten Vers der Schöpfungsgeschichte noch ansehen. Den habe ich dir auf dein Bett gelegt. Darüber können wir uns beim nächsten Mal unterhalten. Falls du noch Lust dazu hast.“

Dann ließ der Abt Jack mit seinen Gedanken allein. Und es waren viele Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen. Ob Gott weiblich oder männlich ist, war ihm vollkommen egal. Auch ob man dieses Wesen Gott oder Die Schöpferin nennt, würde keinen Unterschied bedeu­ten. Die entscheidende Frage war einfach, ob er *Jack the Hacker* ein Zufallsprodukt war oder eine geplante Entwicklung. Doch eine Antwort würde er darauf wohl nicht bekommen. Aber auf seinen Kommentar unter Sabines Video hätte er schon gerne eine Antwort. Doch das musste bis morgen früh warten.

Obwohl er sehr müde war, musste sich Jack noch den zweiten Vers der Schöpfungsgeschichte durchlesen. Dann schlief er ein.

Doch für einen der Schöpfer endete hier die Reise denn sie liebte die Sonne, die sie geschaffen hatten und sie ging zu dem Planeten, den sie Erde nannten, richtete ihren Stab zur Sonne und sprach: Hier werde ich das Leben erschaffen. Es soll unendlich viele Formen haben. Und ihre Stimme hallte durch das neue Universum das zum ersten Mal die Stimme der Schöpfer vernahm.

So sprach sie, denn sie war Mutter Natur.

Dann nahm sie den Stab und begann ihre Wanderung über die Erde. Laut erklangen die Strophen des Schöpfungsliedes und die Erde formte sich zu Bergen und Tälern. Und das Wasser sammelte sich in großen Ozeanen. Als sie die ganze Erde durchschritten hatte waren tausend mal tausend Jahre vergangen. Dann ruhte sie auf dem Meeresgrund. Ihr Stab schaute die Sonne und bewachte sie.

Denn sie war Mutter Natur.

Doch Wasser und Erde bekämpften sich und formten die Erde jeden Tag neu. Aber Mutter Natur mischte sich nicht in ihren Kampf ein. Mal siegte das Wasser, mal siegte die Erde. und ihr Kampf währte tausend mal tausend Jahre.

Dann erschien Mutter Natur aus der Tiefe des Meeres und war mit dem Antlitz der Erde zufrieden.

Denn sie war Mutter Natur

Die Schöpfungsgeschichte Vers 2