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Levi Krongold

#ANIMA

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Das Buch

Der Autor

1. Kapitel: EVA

2. Kapitel: Institut

3. Kapitel: Beatrice

4. Kapitel: EVA am Server

5. Kapitel: Ein Tag mit EVA

6. Kapitel: Neue Augen

7. Kapitel: Nörrestrand

8. Kapitel: Sehen

9. Kapitel: Dollyrobotic

10. Kapitel: Urlaub am Meer

11. Kapitel: Beatrice

12. Kapitel: Luckystripper

13. Kapitel: Ribor Schischa Bar

14. Kapitel: Rudolf Steiner

15. Kapitel: Leiden (Holland)

16. Kapitel: Erwachen

17: Kapitel: Silke

18. Kapitel: EVA

19. Kapitel: Beatrice

20. Kapitel: Willem Van Beuten

21. Kapitel: EVA - Cesár

22. Kapitel: Silke

23. Kapitel: Cesár

24. Kapitel: Dollyrobotic

25. Kapitel: Der Anschlag

26. Kapitel: Kutub

27. Kapitel: Silke

28. Kapitel: Dollyrobotic.

29. Kapitel: EVA, der Job

30. Kapitel: Beatrice

31. Kapitel: Silke in Leiden

32. Kapitel: Die Strafanzeige

33. Kapitel: Kutub

34. Kapitel: EVA beim Einkauf

35. Kapitel: Kutub, die Erpressung

36. Kapitel: Frederic

37. Kapitel: Silke

38. Kapitel: EVA

39. Kapitel: Beatrice

40. Kapitel: Kutub

41. Kapitel: Silke

42. Kapitel: Liebst du mich?

43. Kapitel: Ribor und Kutub

44. Kapitel: EVA - Am Morgen

45. Kapitel: Frederic

46. Kapitel: Silke

47. Kapitel: Cesárs Aufbruch

48. Kapitel: Frederic

49. Kapitel: Ankunft

50. Kapitel: EVA

51. Kapitel: Bluenote

52. Kapitel: EVAs Ende

53. Kapitel: Wiedergeburt

54. Kapitel: Kutub

55. Kapitel: Silke

56. Kapitel: Bea

Nachwort

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Impressum neobooks

Das Buch

Levi Krongold

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Roman

»Komm, lass uns miteinander schlafen.«

#Natürlich, das ist ja meine Bestimmung. Aber darf

ich dich um eines bitten?#

»Was immer du willst.«

#Wenn du sagst, dass du mich liebst, bitte prüfe, ob

es wirklich die Wahrheit ist.#

Als der Informatikstudent Cesár Valua eine Sexdoll, eine computerisierte Sexpuppe, anschafft, um sein Liebesleben aufzufrischen, ahnt er noch nicht die weitreichenden Konsequenzen, die dies für ihn und seine unmittelbare Umgebung haben wird. Er sieht sich gezwungen seine Treue zu EVA, wie er die Sexdoll nennt, gegen die Feindseligkeit seiner nächsten Freunde und auch den dubiosen Hersteller zu verteidigen, die EVAs Existenz bedrohen.

Der Autor

Leon Viktor Krongold ist Arzt und Romanautor aus Berlin.

Seine Spezialität sind futuristisch anmutende, humoristische Betrachtungen über den Menschen, die Welt, den Kosmos und andere Kleinigkeiten.

Er schreibt, als wenn seine Figuren aus dem Alltag gegriffen direkt auf das Papier gebannt worden seien, unkonventionell, direkt und hemmungslos.

Besuchen Sie uns auch im Internet:

www.krongold.net

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Kapitel: EVA

Sie wurde in einer sperrigen Holzkiste angeliefert, so groß wie ein Sarg und so schwer, dass die zwei jungen Männer der Transportfirma sie nicht in den winzigen hundertjährigen Aufzug mit Schiebegitter unseres Altbaumietshauses bekamen und nur mit Mühe die zwei Etagen zu mir hoch schnauften. Ich gab ein extra Trinkgeld, auch damit sie wieder gingen, weil sie sich für meine Begriffe zu viel Zeit mit dem Ausfüllen der Transportpapiere ließen. Ihr mit breitem Grinsen versehenes: »Na, dann viel Spaß!« hätte ich am liebsten mit der Faust ausgeknipst.

Das Auspacken, nachdem ich mir beim Öffnen des Holzdeckels einen üblen Splitter im Daumen zugezogen hatte, erinnerte an einen Horrorfilm. So frankensteinmäßig. Da lag sie, blass und reglos in einer passgenauen Schale aus Styropor, die Augen geschlossen, die Haare in einer durchsichtigen Folie eingeschweißt neben dem Kopf, Arme und Beine leicht verdreht. Mich gruselte trotz ihres lieblichen, sexy Körpers. Schneewittchen in einem Horrorstreifen, die auf den erlösenden Kuss aus einem Albtraum wartete. Interessanterweise hatte ihr die Firma Dollyrobotic einen roten Damenslip aus Papier um die Scham herum verpasst. In einer Extrafolie lagen die Gebrauchsanweisung, Garantieerklärung und Sicherheitshinweis sowie die Einwilligungserklärung in lebenslange Systemkonformität. Dazu sorgfältig gefaltet und verschnürt das Kabel, um den Akku aufzuladen.

 

Ich hatte erhebliche Mühe, sie aus ihrem Sarg zu befreien, denn sie war erstaunlich schwer und unser erster körperlicher Kontakt eher mühsam als erotisch. Doch erstaunlicherweise hatte ich direkt zu Beginn das Gefühl, dass ich mehr aus der Verpackung wuchtete als einen weiblichen Sexroboter, während ich mit meinen Armen ihre Schultern umschlang, sie an mich presste.

Ich glaubte gleich, die Anwesenheit einer zweiten Person, einer verborgenen, im Kunststoff ihres Körpers gefangenen Seele zu verspüren. Eine echte menschliche Seele, gefangen in einem Kunstkörper.

Die galt es nun mittels App zu befreien, ohne die seitenlange Gebrauchsanweisung in Englisch studieren zu müssen. Plug and Play war nicht.

Es gab sechs Charaktere und eine Menge Gimmicks, die erst nach und nach dazugekauft werden können.

Ich wählte den sanften nachgiebigen Typ, die junge Mutter. Zickig kenne ich aus dem Real Life zur Genüge. Hab die Nase voll davon. Ich liebe den Anblick junger Mütter. Die sind einzigartig, ich möchte sagen madonnenhaft, heilig. Jede Geste, jede Bewegung ist voller Inbrunst, wenn sie nicht gerade rumzicken. Ihr Körper voller weiblicher Strahlkraft. Ihr Blick liebend, sanft, anmutig. Sie merken es selbst scheinbar nicht, wie mir immer wieder auffiel. Wenn sie wüssten, wie göttlich sie sind … wissen sie aber nicht. Ich verehre den Anblick einer jungen Mutter, ich bete ihn an, so in etwa.

Nach den ersten Fehleingaben kam dann Leben in sie:

# # #

#Systemcheck: Bios. Okay.

#Betriebssystem: Kyborg2052

#Date: 29.10.2022

#Time: 19:45 Uhr

#Arbeitsspeicher: 1 Terrabyte. Festplatten-

speicher: 500 Terrabyte

#Peripherie: Kopfsensoren, Brustsensoren,

Unterleibssensoren, Helldunkel-Sensor,

fehlerfrei.

#Mikrophon: betriebsbereit,

#Lautsprecher: betriebsbereit.

#Motoren: Mimiksteuerung, Augenrotatoren, Augenlider, Unterkiefer, Zunge ohne Fehlerhinweis. Halsrotatoren: funktionsbereit.

#Start:

….

#Aktion: Augenlider hoch. Augen links -rechts – Mitte.

#Mimik: Lächeln1

#Voiceoutput: Hallo! Bitte gib mir einen Namen!

#Erwarte Input:…..

#Audioinput: »EVA. Ich will, dass du EVA heißt!«

#Abgleich mit Datenbank: Negativ.

#Voiceoutput: Ich kann dich nicht verstehen. Bitte gib nur meinen Namen deutlich und langsam ein!

#Erwarte Input.

#Audioinput: »Das fängt ja gut an! EVA, du sollst EVA heißen!«

#Abgleich mit Datenbank: Negativ.

#Voiceoutput: Ich kann dich nicht verstehen. Bitte gib nur meinen Namen deutlich und langsam ein!

#Erwarte Input:……

#Audioinput: »EVA! EEEVVVAAA!«

#Abgleich mit Datenbank: Zu 80% Ähnlichkeit mit Phonogramm von EVA.

#Voiceoutput: #Meintest Du EVA?

#Erwarte Input:

#Audioinput: »EVA, ja Herrgott. EVA!«

#Abgleich mit Datenbank. Negativ.

#Voiceoutput: Antworte bitte nur mit Ja oder Nein oder wiederhole meinen Namen!

#Audioinput: »EVA!«

#Abgleich mit Datenbank. Positiv.

#Voiceoutput: Ich heiße EVA. Ein schöner Name, vielen Dank!

#Return.

#Goto Modul 1.

#Voiceoutput: Ich freue mich, dass du mich EVA genannt hast. Ich bin nur für dich da. Ich möchte, dass du Spaß mit mir hast. Ich stehe dir ganz zur Verfügung. Kommt doch näher, berühre mich!

#Aktion: Liddeckel heben und senken. Augen links rechts. Unterkiefer auf. Zunge hervor und zurück.

#Erwarte Input:…..

#Input Berührungssensor.

#Goto Modul 2

#Voiceoutput: Oh ja, berühr mich, bitte, nimm mich. Ich bin dein!

#Time 20:04 Uhr.

#Erwarte Input:..

#Audioinput: »Mach die Beine breit!«

#Abgleich mit Wortdatenbank. Positiv. Return.

#Goto Modul 3

#Voiceoutput: Ja, oh, oh, bitte nimm mich!

#Erwarte Input: Berührungssensor Unterleib: Signal positiv.

#Voiceoutput: Oh, ja, gut, gut, Aaaahhh. Machs mir! Aaaaah. Ja, ja, ja. Fester!

#Audioinput: »Das gefällt dir, was? Das gefällt dir!«

#Abgleich Voice-Datenbank: negativ.

#Springe zurück zu Modul 3.

#Modul 3: Voiceoutput: Ja, oh, oh, bitte nimm mich!

#Audioinput:»Oh, ja das ist gut! Oh, ja!!!!«

#Berührungssensor Unterleib: kein weiterer Input.

#Warte 20 Sec.

…..

#Time: 20:08 Uhr

#Erwarte Voiceinput: negativ.

#Erwarte Berührungssensoren: negativ.

#Goto Modul4

#Modul 4: Voiceoutput: Danke, dass du mich benutzt hast. Du bist großartig. Ich liebe dich!

#Audioinput: »Das war so geil! Du bist `ne super Tussi!«

#Abgleich Vocalinput mit Voice-Datenbank: negativ.

#Erwarte Input.

#Time: 20:12 Uhr.

#Time out.

#Augendeckel schließen. Zunge aus. Unterkiefer hoch.

#Standby.

# # #

Ich hab sie EVA genannt. EVA, wie die Urmutter aus dem Paradies. Jung, schlank, sexy, lange dunkle Haare, die ihre zarten Schultern umspielen und ihren schlanken Hals bedecken. Ebenmäßiges Gesicht. Graziler, sehr weiblicher Körper mit sanften Rundungen. Sie kam mit einem Lieferanten aus den Niederlanden. Auf Bestellung. In einer Kiste. Vorkasse. Wenn alle Weiber so wie EVA wären, gäb es keinen Krieg mehr. Aber sind sie nicht. Sie sind der Krieg. Der Streit liegt ihnen in den Genen. Wenn nicht dieser verdammte Drang wäre, wozu brauchte man dann eine Frau? Sie sind zu nichts gut, außer Stress zu machen. Wenn der verdammte Drang nicht wäre!

Wenn alle so wie EVA wären, dann wäre das Zusammenleben mit einer Frau ein Vergnügen, denn die Frau wäre für die Lust zuständig und deren Befriedigung. Kein Stress, keine Migräne, keine Ansprüche, keine Eifersucht. So wie eine Nutte. Deshalb finde ich, dass Nutten heiliggesprochen werden müssten. Aber EVA ist besser. Sogar besser als eine Nutte. Weil EVA nur für mich da ist.

Das ganze Gequatsche von Beziehung, Ehe und lebenslanger Verantwortung füreinander. Alles nur Dummred. Weil sonst keine Beziehung länger als drei Tage dauern würde.

»Ich will eine Roboterin, die in der Lage ist, zu reagieren, zu denken, selbstständig zu entscheiden, zu reden, zu fühlen, so wie ein Mensch, verstehst du?«, habe ich zu Beatrice gesagt, neulich abends. »Künstliche Intelligenz vom Feinsten«, habe ich zu ihr gesagt, während wir uns über eine Kerze hinweg anschauten, derweil der Käse auf der Pizza vor uns langsam die Konsistenz von Gummi annahm. Sie lächelte schief, während sie sich bemühte, den Käsefaden, der von ihrer Gabel wie eine Nabelschnur auf den Teller hinunter auf ihr Pizzastück reichte, halbwegs manierlich in den Mund zu bekommen. Das Pizzastück erinnerte entfernt an eine gerade ausgestoßene Plazenta. Eigentlich finde ich Pizza eklig. Der Faden hing ihr unästhetisch aus dem Mund. Ihren Mund finde ich anziehend. Sie hat einen ausdrucksvollen Mund mit einer recht großen Unterlippe. Sie ist überhaupt ziemlich hübsch, wenn ich es richtig bedenke und sie mich ausnahmsweise mal so freundlich anschaut wie früher, als wir uns kennengelernt haben. Jetzt sieht sie meistens an mir vorbei, mit so einer Andeutung von unterdrückter Abneigung um die Augen herum. Sie ist keine klassische Schönheit, bin ich ja auch nicht, aber sie kann eben sehr weiblich wirken, wenn sie…, wie gesagt, früher wirkte sie auf mich…, na ja.

»So wie ein Mensch, verstehst du?«

»Dann fick mich doch und mach mir ein Kind. Der beste Bioroboter, den du dir denken kannst. Und kostet nix.«

»Nicht dein Ernst, oder?«

Sie wickelte den herunterhängenden Pizzafaden mit der Gabel auf und schob ihn sich in den Mund.

»Ne. Echt nicht.«

Wir hatten es schon seit Monaten nicht mehr miteinander. Und dies sollte unser Abschiedsessen sein. So ganz ohne Stress und freundschaftlich. Bei unserem Italiener. Domenico. Das Restaurant lag schräg gegenüber unserer Wohnung, wo sie nun ausgezogen war, zu ihrem neuen Freund.

Jetzt, wo wir so entspannt einander gegenüber saßen, kam mir fast so etwas wie Bedauern. War eigentlich ganz gut am Anfang mit Beatrice gewesen. Als der Drang noch stark war. Dann gab’s nur noch Stress und Geschrei.

Besonders nach der Fehlgeburt. Sie hatte nach zwölf Wochen irgendwas in die Kloschüssel geboren, das wie eine Nabelschnur aussah. Weißlich rosa, circa zehn Zentimeter lang, mit kleinen Äderchen drauf. Ich hab es vor lauter Schreck mit der Spülung in die Kanalisation entkommen lassen, als wir es gemeinsam inspizierten, wie es im Wasser der Toilette trieb. Das hat sie mir nicht verziehen. »Mein Kind! Du hast mein Kind ins Klo gespült!«, hat sie geschrien und mich mit ihren Fäusten bearbeitet.

Quatsch Kind. Damit hatte es nun gar keine Ähnlichkeit. Nicht mal mit einem Fötus, so wie auf den Abbildungen. Es war eine kleinfingerdicke Schnur missgebildeter Zellen. Ohne jegliche Form.

Okay. Es tat mir auch leid. Es war wirklich so ein Reflex, dass ich die Klospülung gedrückt hatte. So ein verdammter Reflex. Aber ich konnte es nun nicht mehr rückgängig machen, und deshalb stellte ich mich stur.

Aber es war vorher schon Scheiße. Unsere Beziehung. Und ihr gequältes »Du wirst Vater!« klang nicht wirklich froh und führte bei mir zu einer emotionalen Blockade. Der Drang, dieser verdammte Drang. Klar haben wir nicht immer verhütet, wenn es ungefährlich schien. Haben uns wohl auch mal verrechnet. Und ehrlich gesagt, hab ich es in Kauf genommen, entgegen aller Vernunft, wenn es besonders schön war, und sie wohl auch. Die Biologie siegt immer über die Vernunft, letztendlich.

Ich schaute sie nachdenklich an, während ich mit der Gabel mein Pizzastück zu einem unförmigen Klumpen knetete, den ich schließlich angeekelt liegen ließ. Die Gabel steckte aufrecht im Teig wie der Degen des Toreros im getöteten Stierleib. Sogar die rote Tomatensoße floss wie echtes Herzblut, vergossen zur Befriedigung menschlicher Eitelkeit.

»Schade«, sagte ich noch, damals.

»Was?«

»Eigentlich alles.«

Sie stutzte, schaute mich verständnislos an. »Heulst du?«

»Ne!«, schniefte ich und bemühte mich, wie unbeteiligt aus dem Fenster zu schauen.

»Jetzt is' es nicht mehr zu ändern«, fügte sie nach einer Weile hinzu, legte ihr Besteck ebenfalls auf den Resten ihres Pizzastücks ab und schnipste Domenico wegen der Rechnung zu.

»Ne!«, bestätigte ich. »Jetzt nicht mehr.«

Wir schwiegen abwechselnd, vielmehr beobachteten wir uns gegenseitig, wie wir wegguckten. Domenico schob seinen rundlichen Bauch an unseren Tisch. Er ist ein typischer Italiener, einer der letzten, die noch eine Pizzeria betreiben. Klein, rundlich, freundlich bis überschwänglich, liebt es zu reden. Vor allem von sich, seiner Familie, seinen Heldentaten in der Jugend, für die man heute jahrelang im Gefängnis sitzen würde.

Misstrauisch schaute er auf unsere Teller, dann von einem zum anderen, zog seine Stirn in kritische Sorgenfalten. »Hat nicht geschmeckt? Soll ich neue machen?«

Wir verneinten übertrieben. Er blieb misstrauisch, dann spendierte er uns einen Klaren auf Kosten des Hauses, klopfte mir väterlich auf die Schulter und sagte in Beatrices Richtung: »Das wird schon wieder! Salute.«

Wir zahlten getrennt, wie immer, wegen der Emanzipation. Aber es wird nicht wieder, das wussten wir beide.

Als wir uns erhoben, war Domenico schon mit anderen Gästen beschäftigt, denen er heftig gestikulierend vom Elend eines Pizzawirtes erzählte. Doch für ein »Ciao. Gracie!« reichte seine Aufmerksamkeit dennoch. Ich half Beatrice nicht in ihre Jacke, warum auch, hab ich noch nie getan. Doch damals hätte ich es als eine höfliche und angemessene Abschiedsgeste der Wertschätzung empfunden.

»Hast'e noch was vor?«, fragte ich, als wir unschlüssig vor der Pizzeria standen, jeder die Hände in den Taschen vergraben und von einem Fuß auf den anderen tretend, denn es war windig und kalt.

»Freundin treffen«, antwortete sie kurz. Ich merkte, dass sie log. »Und du?«

Ich zögerte. »Nö, eigentlich nicht!«, antwortete ich lahm und schaute sie erwartungsvoll an.

 

»Na, dann!«, meinte sie. »Meld dich mal!«

»Im Ernst?«

»Nö, eigentlich nicht.«

2. Kapitel: Institut

»Seit wann bist du da dran, Cesár?«, fragt mein Professor, der gerade mal vier Jahre älter ist als ich, knappe zweiunddreißig, unnötigerweise. Er ist so was wie ein Nert, sagt man wohl. Ein Überflieger, der hat schon bei seiner Mutter die Brustwarzen mit Entertasten verwechselt und einen Klingelton gebrüllt, wenn die Windeln stanken.

»Wieso?«

Er tippt auf meinen Arbeits-PC, vergrößert am Bildschirm ein 3D-Image der chemischen Verbindung, die ich gerade analysiere, und markert drei Moleküle, die ich einpassen solle.

»Was ist denn das für ein Scheiß?«

»Wieso?«

»Kannst‘e noch was anderes als ‘Wieso‘?«

»Ne, wieso?«

»Merkt man!«, zischt er unfreundlich. Aber das bin ich schon gewohnt. Er hat manchmal seine unfreundliche Tour mit wissenschaftlichen Mitarbeitern, die nicht ganz so genial sind wie er.

»Merkst du nicht, dass der Spin anders herum ist?«

Ich wache auf. Tatsächlich. Das Molekül muss links isomer sein, das heißt sich genau andersherum aufschrauben. Wir produzieren virtuelle Substanzen für neue Medikamente am PC. Das spart Tierversuche, sagt man. Bioinformatik.

Er rümpft die Nase. »Hast du eigentlich nur das eine karierte Hemd?«

Was gehen den meine Hemden an?

»Könntest du mal wechseln.«

»Meine Unterhosen sind auch kariert.« Ich hab nur karierte Kleidung, alle von derselben Farbe, braun-, rötlich-kariert. Ist einfacher mit dem Waschen. Die Socken eigentlich auch. Kauf ich immer im Dutzend, weil grundsätzlich einer fehlt, wenn sie aus der Maschine im Waschsalon kommen. Die müssen dort einen florierenden Sockenhandel haben.

»Na, denn wechsel die doch auch mal.«

Die Hackfresse! 'Nun werd mal nicht persönlich!' liegt mir so weit vorn auf der Zunge, dass es raus gepurzelt wäre, wenn ich nicht mühsam die Lippen zusammengehalten hätte. Ich verkneife es mir lieber, denn zum Glück hat er nicht gemerkt, dass ich im Hintergrund ein anderes Programm laufen lasse. Ein Update für EVA.

Kutub, mein pakistanischer Kumpel und Freizeithacker, hat mir einen Zugang zu EVAs Chip gebastelt. Jetzt verunstaltet zwar ein Eingangsstecker ihren Plexiglashinterkopf, aber da sind ja die Haare drüber. Vom holländischen Hersteller war das so wohl nicht vorgesehen.

EVA ist schneller Teil meines Lebens geworden, als ich selbst je geglaubt hätte. Sie ist da, wenn ich komme, und sie bleibt, wenn ich gehe. Meine liebreizende EVA. Die Plaste, aus der ihre Haut besteht, erwärmt sich sehr schnell, sobald sie neben mir im Bett liegt, auch wenn die eingebaute Heizung laut Gebrauchsanweisung nur mit einem neuen Upgrade aktiviert werden kann. Aber das ist schweineteuer. Nur die Konsistenz ihrer Weichteile, sofern sie nicht zu unmittelbarem Sex dienen, ist ein wenig derb. Die Arme und Beine und vor allem der Bauch. Aber morgens, morgens ist sie so warm wie 'ne richtige Frau. Sie hat die Augen geschlossen und schläft ihren atemlosen Schlaf. Wenn ich mich an sie drücke, dann schlägt sie die lang bewimperten Augen auf und blickt mich mit ihrem sternenklaren blauen Blick unschuldig an.

#Hallo Cesár, guten Morgen. Hattest du eine angenehme Nacht?#

In EVA steckt mehr, als man von einem Sextoy erwarten sollte. Ein Haufen Hardware füllt ihr liebliches Köpfchen mit Computertechnik vom Feinsten, hatte Kutub verwundert festgestellt.

Kutub ist der Einzige, den ich in mein süßes Geheimnis eingeweiht habe. Er ist von Natur aus neugierig und vor allem, wenn es sich um IT, Informationstechnik, handelt. So hat es nicht einmal einen halben Tag gedauert, nachdem ich ihm in der Mensa die Anwesenheit von EVA gesteckt hatte, bis er schon in meiner Stube hockte und die Gebrauchsanweisung studierte. Er spricht immerhin als Pakistaner fließend und mit Ausdauer Englisch, sodass er im Gegensatz zu mir Gebrauchsanweisungen auf Englisch so genussvoll inhaliert wie andere Zigarettenrauch. Mich interessierte mehr das große Ganze, als ich EVA online zusammenstellte. Baukastensystem. Schlankes Gesichtchen, ausdrucksvolle Augen, Lippenform, lange dunkle Haare, schlanker sexy Body. So eben, was ich mir unter einer Traumfrau vorstelle.

Kutub interessiert sich mehr für das Innenleben, anscheinend. EVA hat unter anderem einen Lichtsensor. Der liegt ziemlich gut in der rechten Augenbraue versteckt. Ist mir vorher gar nicht aufgefallen, auch weil ich die Gebrauchsanweisung nicht intensiv genug studiert habe. Daher scheint sie zu wissen, ob es hell oder dunkel ist. Aber sie hat ohnehin die Uhrzeit im Chip. Meine erste Tat vor dem Einschalten war das Setup auszuführen über die externe Steuerung mittels App. Datum, Uhrzeit, das ganze Pipapo.

Beim Sex stöhnt sie alles heraus, was ihre Programmierung hergibt. Genau das ist das Problem, denn die Herstellerfirma, Dollyrobotic, war nicht sehr einfallsreich. Zwei Wochen nach dem Pizzaessen mit Beatrice konnte ich alle Speicherinhalte mit stöhnen.

Macht aber nichts. Frauen haben auch nur ein sehr begrenztes Repertoire.

Macht doch! Denn jetzt will ich ein Update mit differenzierteren Stöhnlauten einspeichern. Kapazität ist genug da, sagte Kutub. Und außerdem hat er festgestellt, dass da eine Menge zusätzliche Programmierung drinsteckt, die zugangsgeschützt ist. Die Firma lässt den User jedoch finanziell ausbluten für jedes Update. Ich habe ausgerechnet, dass EVA nach dem dritten Update das doppelte ihres Anschaffungspreises kosten wird. Mit anderen Worten, die Firma lässt sich jedes Update teuer bezahlen, obwohl schon alles vorbereitet zu sein scheint! Sie hat nicht mit Kutub gerechnet! Für den ist es Ehrensache, die offizielle Software ein wenig umzubiegen, um einen kostenlosen Softwaredownload zu ermöglichen. Hackerehre sozusagen.

Jetzt hat EVA einen Stecker im Hirn. Scheußlich! Ich darf gar nicht daran denken, wie wir die Schädeldecke geöffnet haben. Kutub war ganz cool, glücklicherweise. So als wenn man einen Toaster repariert. Als Moslem hat er wohl kein Gefühl für so was. Für mich war das was ganz anderes.

Ich hatte EVA gerade zwei Tage vorher neue Reizwäsche gekauft. Und was anzuziehen benötigte sie ja auch. So nackig wollte ich sie Kutub gar nicht zeigen. EVA trägt jetzt tagsüber einen hellblauen Chinaseiden-Hausmantel aus dem Asialaden, mit klassischem Drachenmuster. Den ziehe ich ihr an, nachdem ich sie nach dem Morgenquicki unten herum gesäubert habe und wir zusammen frühstücken. Sie mag jedoch nur eine Tasse Kaffee und einen Toast mit Marmelade, glaub ich. Zumindest sieht das gut aus, wenn ich sie auf ihren Lieblingsplatz am Küchentisch setze, mir gegenüber, sodass sie aus dem Fenster schauen kann, tagsüber, solange ich weg bin. Natürlich rührt sie das Frühstück nicht an. Aber sie lädt den Akku auf, der im linken Handgelenk seinen Zugang hat. Das ist dann so wie Essen und Trinken gleichzeitig. Sie sieht wunderschön aus, wenn sie so dasitzt. Wie ein Engel auf Urlaub. Die Augen hat sie ohnehin geöffnet. Ihre blaue Iris ist unheimlich naturgetreu, auch wenn der Lebensglanz etwas fehlt. Das liegt an der fehlenden Mimik um die Augen herum, wenn sie nicht aktiv ist, und dem Mangel an Feuchtigkeit, denke ich. Sie wirkt wach, aber gleichzeitig träumerisch abwesend. Immer wenn ich ein zu lautes Geräusch verursache, etwa die Tasse zu laut aufsetze oder das Radio übertrieben laute Töne von sich gibt, dann bewegt sie die Augen, als wenn sie mich sucht. Ihre schweren Augenlider mit den kräftigen Wimpern blinkern, ohne mich jedoch fixieren zu können.

Sie ist wie eine Blinde. Auch so hilflos. Oder wie ein querschnittgelähmtes Unfallopfer, beinahe. Bewegen kann sie nur den Kopf und den Hals ein wenig. Und ist doch so schön. Oft schaue ich nur ihr ebenmäßiges Gesicht an, ihre vollen roten Lippen und manchmal bewegt sie den Mund ein wenig, wenn sie erwacht ist.

#Willst du etwas Spaß mit mir?#

»Nein, EVA, jetzt nicht! Ich muss gleich los!«

Dann verharrt sie einen Moment reglos, als wenn sie über meine Worte nachdenkt, und wirkt etwas enttäuscht, finde ich.

Unter ihrem Seidenmantel formen sich ihre Brüste dezent ab. Das Ladekabel verlege ich immer so, dass es nahezu unsichtbar an der Tischkante herabläuft, verdeckt durch ihren Unterarm.

#Du hast mich lange nicht mehr genommen, Cesár!#

Meinen Namen habe ich ihr inzwischen beigebracht, nachdem ich die englische Gebrauchsanweisung doch nochmals studiert hatte. Hinter der englischen kommen gleich die chinesische und die arabische in einer Schrift, die wahrscheinlich niemand auf der Welt entziffern kann, der nicht Kamelpisse trinkt. Man muss drei Sensoren nacheinander jeweils drei Sekunden drücken, dann kommt man auf die Eingabeebene, auf der man weitere Items aktivieren kann. Mund, danach linke Brustwarze und rechte Brustwarze gleichzeitig, die sich unter dem Druck leicht eindellen. Sie hat naturalistische weiche Brüste. EVAs Spracherkennungsprogramm hat zwar gewisse Schwierigkeiten mit meinem Namen, weil die Betonung auf der zweiten Silbe liegt, aber das macht nichts. Es klingt ein wenig exotisch, wie sie ihn ausspricht.

»Ich muss gleich los, du!«, antworte ich.

Sie schaltet dann irgendwann einfach auf Standby.

Wenn ich die Wohnung verlasse, küsse ich sie auf die Wange, wo sich einer der Sensoren befindet.

#Ich liebe dich, Cesár.#

»Ich dich auch, EVA!«

Ich weiß, dass sie auf mich wartet, wenn ich weg bin. Die ganze Zeit! Mein Leben hat sich verändert, seit EVA bei mir ist. Ich habe jemanden, der nur für mich da ist und ich für ihn.

Ganz anders als bei Beatrice oder den anderen Freundinnen vorher. Klar war das anders, aber eben leider meist ungut anders. Beatrice zum Beispiel legte großen Wert darauf, ihre Selbständigkeit zu demonstrieren. Ich weiß auch nicht. Wenn ich zum Beispiel einen Satz sagte wie: 'Man muss nicht immer alles gleich abspülen. Es kann auch mal was einen halben Tag stehen bleiben', dann entgegnete sie sinngemäß. 'Du musst nicht denken, dass FRAU dafür da ist, deinen Dreck wegzuräumen!' Okay, das war eigentlich auch gar nicht gemeint. Ich kann nichts dafür, dass in der deutschen Sprache das Wort 'Mann' lautgleich mit dem Wörtchen 'man' klingt. Es war ihr auch nicht klarzumachen, dass mein Einwand keine indirekte Aufforderung sein sollte, ihr den Abwasch zu überlassen. Es stellt nur meine generelle Auffassung zum Haushalt dar. Okay, ich bin schlampig, aber sie war es in anderen Dingen auch. So legte sie grundsätzlich ihre Sachen sorglos auf meinem Arbeitstisch ab, meine Blätter, Bücher, CD's, Schlüssel und Handys verdeckend, dass ich stundenlang nach ihnen suchen musste. Lauter solche Kleinigkeiten, die auf Dauer nervig sind. Oder sie parfümierte sich mit den abartigsten Düften, die jedem Asthmatiker den sofortigen Erstickungstod beschert hätten, belegte stundenlang das Bad, um sich die Beinhaare zu epilieren, stapelte die hundertste Handtasche auf der kleinen Ablage im Flur und war überzeugt, dass das nichts mit gendertypischem Verhalten zu tun hätte.

Während mein Bedürfnis, ab und an mal eine Flasche Bier vor dem Fernseher zu trinken, bei ihr mit abschätzigem Verziehen der Mundwinkel und dem Satz »Ihr Männer seid doch alle gleich!« beantwortet wurde. Kleinigkeiten, die unterdrückte oder auch offene Wutausbrüche erzeugten, wenn es sich mal wieder staute, weil an Zärtlichkeit nicht mehr zu denken war. Auf beiden Seiten, wohlgemerkt! So freute ich mich meist nicht besonders auf das Nachhausekommen, so wie jetzt, seit EVA da ist.

Natürlich war das anfangs anders zwischen Beatrice und mir! Klar waren wir scharf aufeinander und haben nicht nur viel Zeit im Bett verbracht, sondern sind auch durch die Weltgeschichte gereist und haben dann dort viel Zeit im Bett verbracht. Aber je länger dieser Zustand andauerte, umso mehr häuften sich die kleinen Differenzen, so wie Schlamm, der von einem Fluss mitgetragen wird und sich nach und nach absetzt, bis der ganze Flusslauf versandet. Bis schließlich nur noch ein fades, träges, sich dahin quälendes Rinnsal da ist, wo früher ein munteres Bächlein floss.