Windelträger - Roman einer Reise

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Windelträger - Roman einer Reise
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Kristof Lindenau

Windelträger - Roman einer Reise

Was Frauen über Männer schon immer wissen wollten und sich nie zu fragen trauten

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Windelträger

Hannover, Ende der 60ziger Jahre

Von Mann zu Mann

Fortsetzung: Donnerstag der 21. Juli

Die 70ziger Jahre

Immer noch Donnerstag, 21. Juli 2011 - Krankenhaus

Eine Woche später - Donnerstag, 28 Juli 2011

Samstag, 30. Juli 2011

Donnerstag, 4. August 2011

Donnerstag, 11 August 2011 – Der Regenbogen

Montag, 15. August 2011 - Sinfoniekonzert

Donnerstag, 18. August.2011

Privatpatienten

Intimrasur

Freitag, 19. August 2011 - Seid fruchtbar und mehret Euch!

Istanbul

Visite

Der Traum in der Nacht von Freitag 19. auf Samstag 20. August 2011

Samstag 20.08.2011 bis Donnerstag 25.08.2011

Der Mann ohne Eigenschaften

Eine schwere Geburt

Donnerstag, 25. August 2011

Der Turnwart

Tim und Struppi

Freitag, 26. August 2011 – Walter, Jahrgang 1924

Fez Noz Bretagne

Tagträume

Perestroika

Das Boot

Hinauf auf die Berge

Ausflug

Kriegsgericht

Route 559

3.760 Schuss

Marlene Dietrich

Ende der Gefangenschaft

Haus des Rundfunks

Freitag, den 26. August 2011 – Abschied von Walter

Samstag, den 27. August 2011

Sonntag, den 28. August 2011

Ein neuer Patient

Montag, den 29. August 2011 - Robert

Dienstag, den 30.August 2011

Mittwoch, den 31.August 2011

Dichtigkeitsprüfung

Robert

Donnerstag, den 01.September 2011

Entlassung

Die Frau mit den sonnengelben High Heels

ABH = Anschlussheilbehandlung

Klinik Quellental

Traumschiff

Freitag, den 02. September 2011

Am Vierertisch Im Speisesaal

Montag, den 05. September 2011 - Windeltest

Outdoor Training

Mittwoch, den 07. September 2011 - Wannenbad

Auf Wanderschaft

Mittwoch, den 07. September auf Donnerstag 08. September 2011

Donnerstag, den 08. September 2011 - Erektionshilfen

Samstag, den 10. September 2011 - Kartoffelfest

Sonntag, den 11. September 2011

Montag, den 12. September 2011 - Wachablösung

Kurt aus Masuren

Wolfram von Eschenbach

Mittwoch, den 14. September 2011 - La maja desnuda

Freitag, den 16. September 2011- Masuren 1981

Dienstag, den 14. Juli 1981 – die Domburg in Frauenburg

Solidarnosc

element antysocjalistyczny

Elbing

Freitag, den 16. September 2011 (Fortsetzung)

Freitag, den 16. September auf Samstag 17. September 2011

Mittwoch, den 15. Juli 1981 - Allenstein

Mittwoch, den 21. September 2011 – das zweite Gesicht

Mittwoch, den 21. September auf Donnerstag, den 22. September 2011

Verbote Früchte!

Le petit mort

Belle de jour

Kopfkino

Kurschatten

Die goldenen Jahre

„Schall und Rauch!“

Donnerstag, den 22. September 2011

Ein Freund, ein guter Freund…

Freitag, den 23. September 2011 - Deutschland ist Papst.

Samstag, den 24. Juli, Sonntag, den 25. Juli 1981

Wildgänse rauschen durch die Nacht

„Banditen der kommunistischen Partei Polens!“

Das Füchschen

Der Dicke

 

Wimmelbilderbücher

Geheimcode

Hydrojet

Elizabetha und das zweite Gesicht

Jerzy und das zweite Gesicht

Nachtmahre von Freitag, den 23. auf Samstag, den 24. September 2011

Samstag den 24. September 2011 – Mensch und Masse

Sonntag, den 25. September 2011

Die glorreichen Sieben

Donnerstag, den 30. Juli 1981

Montag, den 26. September 2011 - Almoprala

Donnerstag, den 29. September 2011 - Entlassung

Das Tier mit den zwei Köpfen

Freitag, den 30. September 2011

Samstag, den 05. November 2011 - Shopping

Donnerstag den 10. auf Freitag, den 11. November 2011 - Mord

Song Dong:

Hinkemann

Donnerstag, den 11. November 2011

Dienstag, den 06. Dezember 2011

Sonntag, den 06. Mai 2012

Die Löwin

Ostermontag, den 09. April 2012

Donnerstag, den 21. Juni 2012 – David ohne Eier

Impressum neobooks

Windelträger

Sein ganzes Leben lang bekam er Schweißausbrüche, Panikattacken allein nur bei der Vorstellung man würde durch seinen Penis einen Katheter einführen. Purer Horror! Schon immer hatte er eine Ahnung gehabt, genau das würde einmal auf ihn zukommen, aber doch nicht jetzt!

Krebsvorsorge, rektale Untersuchung mit dem Finger, der Arzt, Marke: netter älterer Herr, schiebt ihm seinen Kondomgeschützten Zeigefinger in den Hintern, dazu musste er sich hingebungsvoll auf die Seite mit dem Rücken zum Arzt auf die Liege legen, das Knie des oben liegenden Beines angezogen, um den Zugang zu erleichtern: Bitte entspannen! Sehr witzig! So lag er da, schaute auf die nackte Wand, harrte auf das unvermeidlich kommende. Entspannen! Locker lassen! Jetzt war es keine Bitte mehr.

Der Finger bohrt sich rein und da war es wieder, alles in ihm wehrte sich, der Schließmuskel versuchte sich als Kneifzange. Er dachte daran, dass die Prostata sich auf diesem Wege auch sexuell stimulieren lässt, davon hatte er gehört, half aber auch nicht. Die Liebesbeziehung zu einem Mann, lange her, schoss ihm durch den Kopf, der konnte sehr gut küssen, trotz Bart, auch der war schon an dieser Kneifzange gescheitert. Oh je, was für Gedanken, hier unter diesem Urologenposter, Querschnitt durch den Unterleib des Mannes, Harnblase, Harnleiter, Prostata, alles farblich einleuchtend illustriert, der Penis hing angenehm ausgeruht und entspannt im Bogen leicht herab.

Hannover, Ende der 60ziger Jahre

Er war damals noch keine zwanzig, noch nicht volljährig. Um es für den Leser zeitlich einzunorden, damals gab es noch den § 175, war gleichgeschlechtliche Liebe strafbar, wurden Homosexuelle eingesperrt und seine Zimmerwirtin in der Universitätsstadt verbot jeglichen Damenbesuch nach 19.00 Uhr um sich nicht der Kuppelei strafbar zu machen, das sorgte für tagsüber zugezogene Vorhänge und einem genauen Ausspionieren, wann und wie lange die Vermieterin außer Haus war, denn das, was für sie nur nachts in völliger Dunkelheit möglich war, ging natürlich auch tagsüber.

Von Mann zu Mann

Sein Liebhaber hat ihm später immer erzählt, er sei ganz überraschend, aus freien Stücken, zu ihm ins Bett gekommen. Er war jung, noch immer von knabenhafter Gestalt und, auf diesem Gebiet, in vollkommener Unschuld. Kann so gewesen sein. Der Mann war älter, er hätte beinahe sein Sohn sein können, Assistenzarzt. Es hatte ihn stimuliert, erregt, dass er Einfluss hatte auf diesen Mann, der sich aus der Welt des gefürchteten Vaters gerade ihm zuwandte. Dieser Mann gehörte zum Establishment, zum anständigen Bürgertum, Hüter von Sitte und Anstand, verheiratet, kleine Kinder. Er hatte ihn aus dieser Fassadenwelt entführt. Das erzieherische Leitbild: „Mehr Sein, als Schein!“ wurde mit jeder Handbewegung lustvoll zerfetzt, bis die Wahrheit sichtbar wurde, das anders Sein als Schein!

Er hatte Gewalt über diesen Mann, er war ihm zu willen. Geliebt werden, angenommen werden, Zuwendung empfangen, dass war dieser große, schier unstillbare Hunger seiner Jugend. Endlich getröstet werden, jemand, aus welchen Gründen auch immer, der ihm zuhörte, ihn zu verstehen schien. Er wurde liebevoll in den Arm genommen und hat sich mit ebensolcher, dankbarer, unschuldig, mädchenhafter Zärtlichkeit bedankt, erspürt was dieser Körper von ihm wollte. Es war dieser köstliche Schwebezustand der Sinne in der Phase des Entdeckens.

Zeiten erotischer Libertinage: Make love not war, Woodstock 1969. Überall in der westlichen Welt, stürmte die Antivietnamkriegsbewegung gegen bürgerliche Moral und Wertvorstellungen an, schleifte sie geradezu. Das Bürgertum, das verhasste Establishment schaute verschreckt, eingeschüchtert auf ein Sodom und Gomorrha und brauchte ordentlich Zeit sich aus dieser Schockstarre zu lösen, um alles wieder in geordnete Bahnen zu lenken.

Da hatte der kalte Krieg eine domestizierende Wirkung, zähmte die Umstürzler, die die Systemfrage gestellt hatten: Geht doch rüber in euren Arbeiter und Bauerstaat! Hoppla, dahin wollten nun wirklich die wenigsten. Kuba, Südamerika, ging ja noch, da schien die Sonne, Folklore, Revolutionsromantik.

Die sexuelle Revolution, Antibabypille, Kinderläden, Reformpädagogik, da konnte man sich austoben ohne Schaden zu verursachen, ohne diese lästige Systemfrage wirklich ernsthaft anzugehen, würde doch nur Unannehmlichkeiten mit sich bringen würde. Es ging damals allen gut in diesem Schweinesystem, also machten sie sich auf den Marsch durch die Institutionen.

Odenwaldschule schoss ihm durch den Kopf, heute, das war wirklich ein Schweinesystem. Jahrelang, Jahrzehnte gedeckt, von den unantastbaren Gralsrittern der Reformpädagogik.

Feigling, du hast das Theater, die Kunst vergessen, dahin bist du abgehauen, konntest wunderbar bürgerliche Bequemlichkeiten mit umstürzlerischem Elan auf der Bühne verbinden. Enfant terrible, Paradiesvogel, wohliges Gruseln bei den Damen der besseren Gesellschaft verbreiten, ein geheimnisvoller Botschafter aus gefährlichen Lebensbezirken, der Appetit auf Abenteuer machte, mit Rückfahrkarte. Heftiges Knutschen, sich aneinander drängende, reibende Körper zwischen Tür und Angel im Halbschatten. Er hatte gute Manieren, wusste sich zu Benehmen, amüsierte mit Grenzverletzungen, heißen Themen, kleinen Tabubrüchen, überschritt nie gewisse Grenzen wurde drum gerne wieder eingeladen, als Hofnarr, als Garant für immer folgenlose Kurzweil.

Fortsetzung: Donnerstag der 21. Juli

Du warst ein unerträglicher Gutmensch dachte er, bist es womöglich noch. Ihm wurde kalt, er spürte, die Kälte, die von unten herauf durch die, mit schwarzem Plastik bezogene, dünne Schaumstoffschicht der Liege, durch das dünne Papierbetttuch ungehindert in seinen Köper zog. Kein flauschig weiches, die Haut liebkosendes Papier, festes, wie diese Papierbahnen, die über die Tische von Bierzeltgarnituren gezogen und fest getackert wurden. Eine Gänsehaut zog über Beine und Arme.

Salonbolschewisten. Verzweifelt, einsam, ausgehungert nach Liebe nach Zuwendung war er damals, irgendwo gibt es noch ein Gedicht aus dieser Zeit: Muss ich mal raussuchen. Existenzialistisch, Sartre, Camus, Godard, Truffaut, la nouvelle vague, das neue französische Kino: „Außer Atem“. Immer am Rande des Limits, Rächer der Enterbten, mit zornigem Gesicht. Anfang zwanzig schon vom Lebensüberdruss gezeichnet, unter Bierdunst, Zigarettenqualm, Rot Händle, Gauloise, klar, ohne Filter, am Kneipentisch mal eben ein Gedicht hingefetzt, für die dunklen Frauenaugen gegenüber, die ihn keines Blickes würdigen. Gleich ans Feuilleton einer großen, überregionalen Zeitung geschickt, drunter ging´s nicht, kam postwendend zurück, abgelehnt, mit den üblichen Floskeln: Danke für die Zusendung, nur weiter so, gerne können sie uns wieder etwas schicken. Das übliche höflich, verbindliche bla bla von Leuten, denen es lästig ist, sich mit dem Geschreibsel irgendwelcher nobodys zu beschäftigen, die sicherheitshalber die Form wahren, man weiß ja nie, nachher übersehen wir ein verkanntes Genie kurz vor seinem kometenhaftes Aufstieg und dann ist das Genie sauer auf uns, schlecht fürs Geschäft.

Markante Züge, lockige schwarze feste Haare, mit einem metallischen Glanz, dichten Bartwuchs, einen Dreitagebart, ebenmäßigen Teint, bitte keine Pickel, schon gar nicht auf der Nase, keine hektischen Hautrötungen, kein Herpes! Leichte mediterrane Bräune, stahlblaue Augen, durchtrainiert, breite Schultern, so wollte er damals gerne aussehen. Mal eben hier den Laden aufmischen und alle hätten sie Schiss, ihm in die Quere zu kommen. Keine Chance, Kinderlähmung, nur ein gesunder Arm, da half nur eine große Klappe, Größenwahn und schnelle Beine.

Früher verlor er sich gerne in Träumen. Schneidiger französischer Gardekürassier, Offizier natürlich, russischer Husar, goldene Litzen, das Jäckchen kokett über die Schulter geworfen, 1812 in der Schlacht von Borodino, schlag nach bei Tolstoi: Krieg und Frieden, aber natürlich mit Überlebensgarantie und als Held: “Attacke!“ mit geschwungenem, vorwärts zeigendem Säbel und alle hinter ihm drein, im Schweinsgalopp, bedingungslos. Träume, die je unterbrochen, angehalten wurden; mitten im Getümmel meldete sich der Verstand: Von den 600.000 der Grande Armée sind nur 60.000 zurückgekehrt, verdammt hohe Ausfallquote, auch bei den Offizieren, ganz großes Kino, was du gerade veranstaltest. „Vier Federn“, toller Film. Schadlos durch ein Meer von Gefahren, unrasiert, von unzähligen Feinden verfolgt, mit wehenden Haaren, verschwitzt, Blut bespritzt, mit leichten Blessuren, eine gutes Bild abgeben, das wär´s!

Was nervöse Entspannungsbemühungen alles bewirken. Bilder flogen durch seinen Kopf, als hätte er sie aufgewirbelt. Er griff nach ihnen, wie nach Haltegriffen in der U-Bahn, wollte sie sich genauer anschauen, wumms, weg waren sie und er griff, halt suchend, nach den nächsten bunten Erinnerungsfetzen. „Revolutionen sind der Griff des Menschengeschlechts nach der Notbremse- ein Griff, der die Sturzfahrt der Geschichte in die Katastrophe aufhalten soll“ fiel ihm noch ein, Walter Benjamin.

Der Finger des Arztes bewirkte einen heftigen Harndrang, fast hätte er einfach so auf das Papier der Liege gepisst, wie peinlich. Da war der Weißkittel Gott sei Dank fertig, zog den Finger raus, den Gummihandschuh, war gar kein Fingerkondom, zack auf links, runter von der Hand, Fußtritt, klack, Mülleimer auf, weg damit. Er konnte sich wieder anziehen und ging mit einer Überweisung ins Krankenhaus, für eine Biopsie: „Da werden nur Proben entnommen, mit Ultraschall, zusätzlich kommen aus einer Stange dünne Nadeln geschossen und stanzen in einem am Bildschirm festgelegten Raster Proben aus der Prostata. Total harmlos, danach können sie eigentlich gleich wieder nach Hause.“ Na denn!

 

Er sammelte die Bilder auf, die ihm durch den Sinn geweht waren, versuchte sie zu ordnen. Damals, diese dauernde Dringlichkeit, dieser schier rastlose Tatendrang, diese übersteigerte, fast hysterische Sensibilität, zerstörerisch, sich gleichzeitig zerreißen und verzweifelt nach Halt suchen, im Suff, in der Suche nach körperlicher Nähe, sich austoben im Fleisch.

Dieser Mann lag nackt neben ihm, reagierte genussvoll auf seine Berührungen, wandte sich ihm zu. Er wurde in den Arm genommen, spürte, dass er akzeptiert wurde als Freund, Partner, Geliebter, ohne Bedingungen, regellos. Vielleicht hatte er sich das damals auch nur eingebildet, wollte das nur genau so empfinden und nicht anders sehen. Er hatte Einfluss auf diesen fremden Körper, Macht, wurde nicht weg gestoßen, im Gegenteil dieser Mann war wie Wachs in seinen Händen und das ganze war für ihn ein ganz unschuldig erscheinendes Liebesspiel. Es kostete ihn keine Überwindung das fremde Glied in den Mund zu nehmen. Er spürte die wachsende Begierde. Dieser gestandene Mann, an dessen Schulter er sich eigentlich nur anlehnen wollte, er war ihm ausgeliefert, gab sich in seine Hände. Erst viel später, wurden die immer selteneren Begegnungen fordernder, wuchs der Drang des Mannes in ihn einzudringen, da hatte er versagt.

Es war einfach nicht gegangen, obschon er wollte, es ihn auch erregte und jetzt sagt dir dein Arzt, dass das da hinten auch alles sehr, sehr eng sei. Gut zu wissen! Er wollte es, weil er nicht enttäuschen wollte? Auch das, nur ein Teil der Wahrheit, in ihm war eine ganz weibliche Sehnsucht, ein tiefes Bedürfnis, etwas in sich eindringen zu lassen. Es ging nicht, da halfen keine lokal betäubenden Salben, die schreckten noch mehr ab: Du hast ihn dann befriedigt und er? Er mühte sich regelrecht an dir ab. Du hattest schon einen Ständer, aber es kam dir nicht, ihm schon, dir nie. Am Ende warst du nur noch erleichtert, dass es vorbei, er müde erschöpft neben dir zur Ruhe kam. Er konnte anstellen, was er wollte, da war nix zu machen, eindeutig Hetero.

In Erinnerung behalten, hatte er diese Zärtlichkeit, dieses Kribbeln, fremde Augen, die einem nachschauten, einscannten, Blickkontakt suchten, dieses erhebende Gefühl begehrt zu werden, in das er hinein glitt, wie in eine mit angenehm warmen Duftwasser gefüllte Badewanne. Da war jemand, der ihn erobern wollte und so war es dann doch eine Niederlage und Bestätigung.

Die 70ziger Jahre

In den siebziger Jahren hatte er an allen Theatern, an denen er arbeitete, mindestens einen Verehrer, der ihm nachstellte. Er hatte sich zu Eigen gemacht, auf diese Signale zu reagieren, nicht eindeutig, immer so, dass der Werbende sich nicht zurückgestoßen fühlte, sich noch Hoffnungen machen konnte. Er ließ mit sich Anlass flirten. Es war deutlich bei welchem Geschlecht seine Präferenzen lagen, dazu hatte er viel zu viele, auch öffentlich bemerkbare Affären, aber er ließ dem anderen Ufer die Hoffung, ihn zu sich hinüber ziehen zu können. „Schwul sein ist schön, bi ist eine Gnade Gottes!“ lärmte die Rampensau der Landesbühne an der Theke und zwinkerte ihm zu. Es war maßlose Eitelkeit, noch mehr Unsicherheit. Er wollte es sich mit keinem verderben, hielt alles in der Schwebe, kokettierte, genoss es umworben zu sein, entwickelte einen sicheren Instinkt sich nicht in zu eindeutige Situationen zu begeben.

Einmal wäre es beinahe zu spät gewesen. Er stand plötzlich unvermittelt, nur mit einem Tigerslip bekleidet vor ihm, forderte ein, was er in seinen Blicken gelesen hatte. Massiv: Er solle aufhören mit dieser Ziererei! Mit diesem Tanz auf allen Hochzeiten! Du bist doch schwul! Nee, war er nicht!. Es lief die Nationalhymne der Schwulen:

Es ist ja ganz gleich,

wen wir lieben,

und wer uns das Herz einmal bricht.

Wir werden vom Schicksal getrieben

und das Ende ist immer Verzicht.

Nur nicht aus Liebe weinen,

es gibt auf Erden nicht nur den einen.

es gibt so viele auf dieser Welt

ich liebe jeden, der mir gefällt

Und darum will ich heut' Dir gehören,

Du sollst mir Treue und Liebe schwören,

wenn ich auch fühle, es muss ja Lüge sein,

ich lüg auch und bin Dein.

(Zarah Leander)

Er hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass sich alle anderen Gäste verabschiedet hatten, auch in der Küche am Büffet, kein Mensch, nur die Katze. Die schweren Vorhänge waren zugezogen. Auf dem schwarzen Flügel ein schwerer silberner, vielarmiger Leuchter mit fast herunter gebrannten Kerzen. Eine Wolke schweres Parfüm. Er konnte gerade noch aus der Tür entwischen, die Wohnungstür hinter sich zu, die Treppe hinunter hasten.

Einmal noch hatte er diese Grenze überschritten, bei dem Intendanten, der ihm seine erste Inszenierung versprochen hatte, die Einhaltung dieses Versprechens immer weiter hinaus zog, er den Eindruck bekam, dass es vielleicht hilfreich wäre, sich von diesem kleinen, charmanten, französisch sprechenden Belgier auf die Besetzungscouch ziehen zu lassen. Bei dem vom Publikum umschwärmten jugendlichen Liebhaber des Ensembles hatte das funktioniert, der hatte seine Karriere auf diesem Wege befördert und war nun die graue, eher farbenfrohe, Eminenz im Theater auf die jedes Jahr der Spielplan zugeschneidert wurde. In der kleinen Großstadt südlich von Hannover, war es damals, Mitte der siebziger Jahre, Tuschelthema Numero eins, shocking, dass Intendant und Geliebter am Morgen nach der letzten Vorstellung vor den Theaterferien, gemeinsam, sozusagen unter den Augen der Öffentlichkeit, ihre Koffer in das stadtbekannte Cabriolet des Intendanten hievten, um endlich in südliche Gefilde mit viel Sonnenschein davon zu brausen.

Seine Anstrengungen brachten ihm damals nur den drängenden Wunsch nach Wiederholungen ein, aber eben nicht die versprochene Inszenierung ein, die bekam er, wenig später, anderen Ortes, auf natürlichem Wege.