Im Paradies des Teufels

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Soeben war die Maschine aus Berlin mit den deutschen Monteuren gelandet und nach der Betankung und einem technischen Check sollte uns die Maschine nach Hause bringen.

Nach einer angemessenen Wartungs- und Wartezeit hob der Düsenjet endlich ab und brachte uns nach Berlin.

Während des Fluges gab es ein alkoholisches Getränk nach Wunsch gratis, ein zweites oder weiteres gab es nur bei besonderen privaten Anlässen. Wenn man nicht die überteuerten Preise für zusätzliche Getränke berappen wollte, musste man sich schon etwas Intelligentes einfallen lassen, um noch einen zweiten oder dritten Drink zu schnorren.

Ich muss gestehen, dass ich während meiner Montagetätigkeit im Irak auf mehreren Flügen hintereinander Vater geworden bin.

Leider äußerte eine Stewardess, die sich wohl mein Gesicht gemerkt hatte, bald Zweifel an meinen Behauptungen. Weil in unserem Land keine arabischen Verhältnisse herrschten, bei denen ein Mann mehrere Frauen haben durfte, kaufte sie mir die häufige Vaterschaft bald nicht mehr ab.

ZURÜCK IM IRAK

Viel zu schnell waren die vier Wochen Urlaub vorübergegangen. Der August war vier Tage alt und ich befand mich wieder auf dem Flug nach Bagdad. Über die Bordlautsprecher erfuhren wir, dass eine Woche zuvor zum ersten Mal der neue Flughafen „Saddam Hussein International Airport“ angeflogen worden war. Außerdem teilte man uns mit, dass wir während unseres Fluges mit Turbulenzen rechnen müssten. Eine Mitteilung, die mir überhaupt nicht gefiel, doch ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass so eine große Maschine durch Turbulenzen berührt werden könnte. Allerdings musste ich mich leider schon wenig später eines Besseren belehren lassen.

Eine Stewardess schenkte mir gerade eine Tasse Kaffee ein, als der Jet mit einem unbändigen Ruck viele Meter durchsackte.

Dies geschah so unglaublich schnell und unerwartet, dass sich der Kaffee für einen Moment lang fünfzig Zentimeter höher als meine Tasse befand, aber tatsächlich nur einen Augenblick lang, dann holte der Kaffee die Tasse wieder ein – allerdings nicht der gesamte Kaffee. Ein Teil landete nämlich auf dem Kragen und der Rückenlehne meines Vordermannes, einen Teil bekam ich auf Hemd und Hosen und nur ein kleiner Teil traf noch die Tasse.

Die Stewardess schrie vor Schreck auf, auch sie hatte mit so einem plötzlichen „Durchsacker“ wohl nicht gerechnet.

Wir bekamen die Anweisung, das Rauchen einzustellen, die Rückenlehnen aufzurichten und uns anzuschnallen. Auch die Stewardessen begaben sich auf ihre Plätze und schnallten sich an. Das war eine berechtigte Vorsichtsmaßnahme, denn der Jet sackte immer wieder durch.

Diese Turbulenzen hatte ich in jener Intensität bei meinen sechzehn Flügen nur dieses eine Mal erlebt.

Glücklich auf dem Flughafen Bagdad gelandet, begaben wir uns über den Skywalk zu den Abfertigungsschaltern. Ich hatte ein banges Gefühl, denn in meinen Koffern befanden sich sechs Flaschen Cognac und acht Stangen Zigaretten und in meinem Handgepäck hatte ich noch einmal drei Flaschen Whisky, die ich an Bord gekauft hatte.

Das mag nun erschreckend viel klingen, kaum jemand trinkt pro Woche eine Flasche Schnaps, aber man trank ja nie allein und bei der Einreisefeier saßen etwa zwanzig Leute am Tisch, da flossen schon gleich zwei oder drei Flaschen durch die durstigen Kehlen. Nun galt es also, meine Schätze durch den Zoll zu bekommen.

Meine Hoffnung schwand allerdings merklich, als ich sah, wie der irakische Zoll die Koffer kontrollierte und ebenso wie bei meiner ersten Einreise den überzähligen Schnaps und die Zigaretten in große Kisten warf. Das sah so nachlässig aus, als ob es die Zollbeamten nicht interessierte, was sie da wegwarfen. Ich war mir aber inzwischen ziemlich sicher, dass die eingezogenen Waren nicht vernichtet wurden, sondern in den Besitz der Zöllner übergingen.

Als nun meine Koffer an der Reihe waren und auch ich sie öffnen musste, kam mir eine verzweifelte Idee. Ich nahm aus meiner Handgepäcktasche eine Flasche Whisky und schob sie dem Zöllner heimlich mit den Worten zu: „Please, Mister, this is a present for you.“ Er nahm die Flasche und stellte sie emotionslos unter den Gepäcktisch, klappte anschließend den Deckel des ersten Koffers auf und griff hinein. Plötzlich zog er die Hand zurück, als ob er in einen Igel gegriffen hatte, schaute mich kurz an und schob den Koffer weiter. Auch im zweiten fand er einen „Igel“ und schob auch diesen Koffer anstandslos zur Seite. Nun hatte ich zwar eine Flasche Schnaps verloren, aber acht Stangen Zigaretten und acht Flaschen Schnaps gerettet. Ich war froh, dass ich so glimpflich davongekommen war und nahm mir vor, diesen Trick bei der nächsten Einreise erneut anzuwenden. Was einmal klappt, das würde vielleicht auch öfter funktionieren.

Wichtig war allerdings, dass man bei der Einreise auf dem Airport Bagdad möglichst nüchtern, zumindest aber unauffällig auftreten sollte.

Leider beherzigten das manche Monteure nicht und deren Gepäck wurde dann natürlich besonders intensiv untersucht.

Nach diesen aufregenden Minuten hatte ich nun Zeit, mir den neuen Flughafen in Ruhe anzuschauen und der erste Eindruck war überwältigend. Der zweite allerdings auch.

Die Empfangs- und Abfertigungshalle war mit einem ungeheuren Prunk ausgestattet worden. Feinster Marmor, Wasserspiele in Glaskaskaden, vergoldete Verzierungen wohin man sah, schwere Teppiche, riesige Kristallleuchter, die an langen Seilen von der Decke hingen, es war ein Prunk wie in einem von Saddam Husseins Palästen und so war es auch gedacht. Der Reisende sollte bereits bei seiner Ankunft auf dem Flughafen den Eindruck haben, in ein Land wie aus Tausend und einer Nacht gelangt zu sein. Ich war beeindruckt. Nicht allein die Pracht im Eingangsbereich war aufsehenerregend, auch die Ausstattung im Basement mit Gaststätten, Shops, Bars und Sitzgruppen war einzigartig.

Über mehrere Etagen verliefen verschieden starke senkrechte Glasrohre, in denen Wasser sprudelte und die mit raffinierten Lichteffekten alle Blicke auf sich zogen. Licht spielte im gesamten Gebäude überhaupt eine große Rolle. Dieser Flughafen konnte sich mit den Flughäfen der bedeutendsten Metropolen der Welt durchaus messen. Entgegen bei manch anderem Flughafen wurde die Bauzeit beträchtlich unterboten, zur damaligen Zeit und erst recht zur heutigen, und dabei klammere ich die Peinlichkeit um den Berliner Flughafen BER stillschweigend aus, dessen Fertigstellungstermin noch immer ein Mirakel ist.

Ein Hinauszögern des Eröffnungstermins des Saddam Hussein International Airport hätte sicherlich die Köpfe der Verantwortlichen gekostet. Fast neige ich dazu, Gefallen daran zu finden.

Wenn man bereits im Inneren des Flughafens reichlich Anlass zum Staunen hatte, setzte sich das auch im Außenbereich fort.

Dort waren Landschaftsgestalter am Werk, die ihr Handwerk ausgezeichnet verstanden. Neben vielen Bepflanzungen mit den herrlichsten Gewächsen hatten die Gärtner auf dem gesamten Arial hunderte ausgewachsener Palmen eingesetzt.

Bei der Abfahrt vom Flughafen unterfuhr man Brücken, über die riesige Jets zur Abfertigung rollten, es war ein grandioser Anblick und zum ersten Mal sah ich eine Boeing 767 aus nächster Nähe.

Vom Flughafen wäre es gar nicht weit bis zu unserem Camp gewesen, aber wir mussten ja erst zum Passtausch.

An jenem Abend wusste ich allerdings, wohin ich anschließend fahren musste und das gab mir ein beruhigendes Gefühl.

Nach dem Passtausch und der Einteilung der Leute auf die jeweiligen Baustellen fuhren wir nämlich noch in jener Nacht in unsere Unterkunft zum Zentrallager.

Ein paar Kilometer, bevor man von der Hauptstraße zum Camp abbog, fuhr man an einem kleinen Dorf vorbei. Dieses Dorf machte einen halbfertigen Eindruck, da sich die meisten Häuser noch im Rohbau befanden. Es war ein Dorf, wie man sie sehr oft im Irak vorfand, mit denen Saddam Hussein versuchte, das Nomadisieren abzuschaffen und die Beduinen zu zentralisieren. Dazu wurden außerhalb der Städte Siedlungen im Rohbau errichtet und an die Nomadenfamilien übergeben. Für den Ausbau der Häuser mussten die Familien selbst sorgen. Einige Familien machten dann auch recht ordentliche Anwesen daraus, aber bereits in Abu Ghraib hatte ich mehrfach gesehen, dass auch Familien in den Häusern wohnten, ohne dass Fenster oder Türen eingebaut waren. Sie bereiteten ihr Essen sogar am offenen Feuer im Inneren der Häuser. An den Wänden hingen Teppiche und die Bewohner hatten die Häuser wie Beduinenzelte ausgestattet.

Es war eben nicht unkompliziert, jahrhundertelange Tradition in kurzer Zeit abzuschaffen. Da diese Familien von der Schafzucht lebten und mit ihren Herden durch das Land zogen, wurde ihnen in diesen Ansiedlungen die Möglichkeit entzogen, sich auf traditionelle Weise zu ernähren. Ackerbau war ihnen fremd, außerdem war das Land zumeist so karg, dass kaum Erträge möglich waren.

Am Dorfrand standen Schafherden, doch die Tiere waren sehr mager, da es kaum Grasland für alle Tiere gab. Und so mussten die Bewohner notgedrungen andere Erwerbsmöglichkeiten finden, um ihre Familien zu ernähren. Es war deshalb nicht verwunderlich, dass in diesen Dörfern, am Rand der Gesellschaft, der Handel mit allen möglichen Waren blühte, die allerdings meist von minderer Qualität oder illegal erworben waren.

Anders als auf den Basaren in den Städten handelten die Bewohner dieser Siedlungen mit Bier, und zwar mit Dosenbier, jedoch zu unverschämten Überpreisen. Aus welchen Quellen das Bier kam, war mir ein Rätsel, wahrscheinlich war es Schmuggelware aus Syrien, Jordanien oder der Türkei. Der Preis war dabei wohl dem Risiko geschuldet, Handel mit Alkohol außerhalb von kontrollierten Gaststätten zu treiben.

 

Unter den Monteuren machte im Zusammenhang mit jenem Dorf indes ein Gerücht die Runde, das zwar bisher unbewiesen war, jedoch nie verstummte.

Man erzählte sich nämlich, dass eine weitere Einnahmequelle, und die weitaus Einträglichere für die Menschen in diesen Siedlungen, die Existenz von einer Art „Peepshow“ war, die es in fast jedem Haus geben sollte.

Mädchen und junge Frauen zeigten den Ausländern angeblich in einem separaten Raum des Hauses für ein paar Dinare ihre Körper. Dazu wurden im Halbrund Stühle aufgebaut und das jeweilige Mädchen zog sich dann vor den Männern aus, die wie gierige Wölfe vor einem Kaninchen hockten.

Das war zwar entwürdigend, aber für diese Menschen eine Möglichkeit, ein wenig Geld zu verdienen und daher nahmen sie diesen Umstand auch sehr gelassen hin. Während die Mädchen im Inneren des Hauses ihren Körper zur Schau stellten, saß der Rest der Familie vor dem Haus.

Vater, Mutter, Brüder und Schwestern warteten darauf, wie viele Dinare das Mädchen inzwischen verdient hatte.

Bevor man jedoch das Haus betrat, musste jeder Gast eine Dose Bier für einen Dinar oder gar einen Dinar und einen Quarter kaufen. Ohne Bier wurde der Zutritt verwehrt.

Im Haus wurde dann noch ein weiterer Dinar abverlangt, wenn man dem Mädchen zuschauen wollte.

Für zehn Dinare waren die Mädchen bereit, sich anschließend einem Mann hinzugeben, so jedenfalls erzählten es sich die Monteure im Camp.

Bisher hatte ich allerdings noch keinen Monteur getroffen, der aus eigener Erfahrung darüber sprechen konnte, also musste ich den Gerüchten so lange Glauben schenken, bis es zu einem Beweis kommen würde.

Inzwischen waren wir im Camp angekommen. Es war fast vier Uhr morgens und ich hatte Mühe, meine Augen offen zu halten.

Zunächst mussten wir aber noch das mitgebrachte Fleisch in der Küche abliefern. Zum Duschen war ich zu dieser Stunde allerdings zu müde und so wurde nur eine „Katzenwäsche“ abgehalten und das Gepäck verstaut.

Ich war inzwischen vierundzwanzig Stunden auf den Beinen und physisch völlig ausgelaugt. Glücklicherweise konnte ich ausschlafen, ehe ich die nächsten zehn Wochen in Angriff nahm.

Mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub bescherte mir einige neue ägyptische Arbeitskräfte, die ich einarbeiten musste. Darunter befanden sich auch ein Vater und sein Sohn. Der Vater hieß Mutawa, der Sohn Ali. Der Vater hatte eine starke Sehschwäche, trug aber trotz seines Handicaps keine Brille. Er wurde von allen Monteuren „der Blinde“ genannt. Das war nicht böse gemeint und wurde von Mutawa auch nicht übel genommen.

Mir war allerdings schleierhaft, wer den Vater eingestellt hatte, denn derjenige musste auch blind gewesen sein.

Mutawa hatte den Intelligenzgrad eines Kleinkindes, man musste ihm jede Arbeit ellenlang erklären. Meist war es dann immer noch falsch und das kostete Nerven.

Allerdings war der Mann sehr gutmütig. Ich suchte für ihn also Arbeiten aus, die niemand gern erledigen wollte und bei denen es nicht viel falsch zu machen gab, zum Beispiel Schrauben und Muttern einsammeln und sortieren, die entweder beim Montieren heruntergefallen waren oder aus defekten Collies fielen. Diese Arbeit verrichtete Mutawa mit Inbrunst, stets trug er leere Schraubensäcke mit sich herum, in die er die verschiedenen Teile hineinsortierte. Die Säcke hängte er an einen Schaufelstiel, den er dann über seiner Schulter trug.

Bevor er in unserer Firma zu arbeiten begann, war er bereits ein Jahr bei anderen Firmen im Irak tätig und trug seitdem sein gesamtes gespartes Geld in einem Brustbeutel mit sich herum. Ein paar Mal sahen wir ihn in irgendeiner Ecke stehen und sein Geld zählen. Immer wieder blickte er sich dabei um, ob er auch unbeobachtet war, doch er ahnte nicht, wie viele Augen ihn beim Geldzählen verfolgten.

Zunächst amüsierten wir uns noch über seine Marotte, aber schließlich warnten wir ihn doch eindringlich, sein Geld nicht mit sich herumzutragen, sondern es auf eine Bank in Ägypten zu überweisen, doch davon wollte er nichts hören.

Mutawa machte mit Vorliebe kleine Geschäfte mit den deutschen Monteuren. Dabei kaufte er Socken, Unterwäsche, Hemden und andere Dinge von ihnen und verscherbelte die Sachen dann an seine ägyptischen Arbeitskollegen weiter. Besonders gute Geschäfte konnte er abschließen, wenn ein Monteur in den Urlaub flog oder gar seine Endausreise machte und froh war, die ganzen Sachen, die sich im Laufe der Monate oder gar Jahre angesammelt hatten, nicht wieder mit nach Hause nehmen zu müssen. Ganz besonders wild war Mutawa nach Taschenuhren.

Die meisten Monteure trugen diese Uhren am Arbeitsplatz, weil Armbanduhren während der Arbeit unbequem waren.

Jedem Monteur ging Mutawa auf die Nerven, ihm doch seine Uhr zu überlassen, vor allem, wenn er wusste, das der Monteur in der nächsten Zeit nach Hause fuhr.

Diese Taschenuhren kosteten in Deutschland sechs oder sieben Mark, sie waren nicht wasserdicht und gingen auch nicht sehr genau. Mutawa jedoch legte Wert auf wasserdichte Taschenuhren, also versicherten wir ihm beim Verkauf, dass unsere Uhren „very waterproof“ wären oder auf Arabisch „maja maku mushkylle“ – Wasser ist kein Problem! Wir konnten das mit ruhigem Gewissen sagen, denn bis es wieder einmal regnete, würden noch Monate vergehen.

Nun ergab es sich eines Tages, dass Mutawa von einigen Monteuren ein paar Taschenuhren ergattert hatte, natürlich alle „wasserdicht“. Das wollte er nun kontrollieren und das war für uns nicht vorhersehbar gewesen. Scheinbar war er doch nicht so einfältig, wie wir geglaubt hatten. Er nahm drei oder vier seiner Uhren und hing sie in eine Wassertonne, zwei trug er noch in der Hosentasche.

Wir hatten das Schlitzohr wohl unterschätzt, haben uns vor Vergnügen allerdings fast auf die Erde geworfen, und freuten uns bereits auf das nun unausweichliche Theater.

Als er die Uhren nach einer Weile wieder aus dem Wasser holte, stand das Wasser hinter den Glasscheiben der Uhren und es rührte sich bei ihnen kein Zeiger mehr. Nun wollte er von den Monteuren sein Geld zurück haben und beschimpfte sie in unendlichen Wortkanonaden, unter anderem als „Ali Baba“, was so viel wie „Dieb“ oder „Betrüger“ bedeutete.

Jeder der Monteure versicherte allerdings, dass ausgerechnet eine der beiden intakten Uhren in Mutawas Hosentasche von ihm wäre und dass Mutawa sie ruhig in das Wasser hinein hängen könnte.

Doch soweit ging die Dummheit von ihm nun auch wieder nicht und bei allem Verlustgeschäft wollte er wenigstens die beiden letzten Uhren retten.

Tagelang versuchte er, von den Monteuren sein Geld einzutreiben, aber irgendwann merkte er, dass er damit kein Glück hatte und gab es auf. Mir tat Mutawa ein wenig leid, aber den Verlust der Uhren schlug er mit Sicherheit auf seine anderen Waren um und gab sie an seine ägyptischen Kunden weiter. Insofern war wohl auch Mutawa ein „Ali Baba“.

Ab sofort ließ er seine Finger jedoch von den Uhrengeschäften.

Eines Abends war ich von Mohammed zum Feierabendtee eingeladen worden.

Er war sichtlich erfreut, mich nach meinem Urlaub wieder auf der Baustelle zu sehen.

Zwischen uns hatte sich in den letzten Wochen eine stille Freundschaft entwickelt, die keiner dem anderen mit Worten eingestand, doch wir spürten die gegenseitige Sympathie und genossen die Stunden, in denen wir uns von unseren unterschiedlichen Kulturen erzählten und der eine vom anderen lernte. Seine väterliche ruhige Art, sein Auftreten und vor allem aber sein Aussehen, die langen weißen Haare und sein gepflegter weißer Vollbart, waren ungewöhnlich für einen einfachen Arbeiter. Immer wieder begeisterte mich sein Wissen, egal ob das tagespolitische Themen betraf oder einfach nur den nächtlichen Sternenhimmel anbelangte. Es gab kaum ein Thema, über das ich mich nicht mit ihm unterhalten konnte. Und da ich seit meiner Kinderzeit schon immer sehr wissbegierig war und mir das bis zum heutigen Tag erhalten konnte, hatten wir beide uns gesucht und gefunden. So freute ich mich auch an jenem Abend auf unsere Gespräche.

Nach dem Duschen und dem Abendessen machte ich mich auf den Weg zu Mohammed.

Im Camp der Ägypter angekommen, wurde ich von allen mit großem „Hallo“ empfangen. Es war wie immer, jeder wollte mir etwas Gutes tun. Der eine bot mir eine Zigarette an, ein anderer eine Cola, wieder ein anderer wollte mich zu einem Tee einladen, der nächste hatte sich gerade das Essen bereitet und wollte es mit mir teilen.

Endlich hatte ich mich bis zu Mohammed durchgekämpft und wir umarmten uns zur Begrüßung, obwohl wir uns noch vor Stunden auf der Arbeit gesehen hatten. Wie immer bot mir Mohammed eine Zigarette und ein Glas Schwarztee an, allerdings musste man mit diesem Tee sehr vorsichtig umgehen.

Ein Glas des Tees wirkte beruhigend und der bittersüße Geschmack machte Appetit auf mehr. Mehrere Gläschen machten das Gebräu jedoch zur Waffe. Nur die härteste Konstitution überlebte sechs bis acht, denn so viel wurden es meistens, allerdings saß ich dann die halbe Nacht aufrecht im Bett und schwor, dass ich nie mehr so viel Tee hintereinander trinken würde.

Nun konnte es allerdings auch sein, dass der eine oder andere Whisky ebenfalls ein wenig zu meiner Schlaflosigkeit beigetragen hatte. Das Herz schlug mir jedenfalls bis zum Hals und ich war am Morgen froh, dass ich die Nacht schadlos überstanden hatte.

Nach der ersten Zigarette und dem ersten Tee jenes Abends gingen wir hinaus und setzten uns auf eine Bank, um uns zu unterhalten. Allerdings wollten nun die anderen Ägypter auch an unserer Runde teilhaben und machten mir zu Ehren ein paar Kunststücke.

Ich kam mir ein wenig wie in einem Kinderzirkus vor.

Einer der Ägypter machte einen Handstand auf einem Stuhl, der Nächste balanciert einen Besen auf dem Kinn, wieder ein anderer machte auf der Straße einige Überschläge und ein besonders talentierter Ägypter jonglierte mit vier Apfelsinen, es war irgendwie unwirklich.

Nachdem ich ausreichend Beifall gespendet hatte, konnte ich mich nun endlich mit Mohammed unterhalten.

Ich holte rasch noch eine Flasche Whisky, eine Flasche Wasser und eine Schachtel meiner Lieblingszigaretten, deren Markenzeichen das Konterfei eines Kamels war.

So konnten wir den Abend besser genießen. Die Luft war lau und angenehm, entgegen der wahnsinnigen Tageshitze von jenseits der fünfzig Grad Celsius.

Wieder einmal war der Abend jedoch viel zu schnell vorüber gegangen und ihm folgte eine sehr kurze Nacht.

Der Bauleiter verriet uns eines Morgens eine Neuigkeit. In wenigen Tagen würden neue Kollegen in unserem Camp eintreffen, die die Betonplatten für unsere Hallen herstellen sollten, da wir mit der Arbeit des Subunternehmens nicht zufrieden waren.

Die Ankerlöcher für die Stützen waren bisher so ungenau, dass wir oft mit Presslufthämmern nacharbeiten mussten, um die Stahlstützen stellen zu können.

Das hielt enorm auf, da wir anschließend neue Schraubenbolzen einbetonieren mussten und der Beton natürlich eine gewisse Aushärtungszeit beanspruchte.

Ich hatte in der Vergangenheit unseren Bauleiter ein paar Mal bei unserem Subunternehmen als Dolmetscher unterstützt, um die schlechte Qualität der Betonplatten zu bemängeln, aber leider war die Qualität nicht besser geworden.

Deshalb wurde schließlich die Überlegung angestellt, die Betonplatten selbst herzustellen, jedoch hatte noch keiner der deutschen Kollegen bei diesen Extremtemperaturen plastischen Beton eingebaut und so waren da wohl auch noch einige Probleme zu erwarten.

Nun sollten für dieses Vorhaben also kurzfristig Fachkräfte aus Deutschland eingeflogen werden, doch um für diese Kollegen Unterkünfte zu schaffen, mussten schnellstens zwei Großbungalows gebaut werden.

Die Vorhut der neuen Kollegen goss bereits die Fundamente für diese Unterkünfte und erlebte nun den Umgang mit dem Beton bei hohen Temperaturen.

Da die entsprechende Technik, wie Betonfertiger oder Fahrmischer, noch mit dem Schiff unterwegs war, übernahm ein irakisches Betonunternehmen diese Transporte so lange, bis die deutsche Technik vor Ort war.

Es gab im Irak so gut wie nichts, das sich nicht irgendwie mit einem fahrbaren Untersatz transportieren ließe. Und da habe ich die abenteuerlichsten Fahrzeuge und die nicht weniger abenteuerlichsten Kraftfahrer erlebt!

Was ich jedoch am ersten Tage der Betonierarbeiten erlebt habe, war so unglaublich, dass ich es zu Hause in Deutschland gar nicht zu erzählen wagte, um nicht als Schwindler dazustehen, aber ich kann beeiden, dass ich die Wahrheit sage.

 

Wir bestellten den Beton in einem Betonwerk in Falludscha. Im Allgemeinen waren die irakischen Firmen nach Terminabsprachen recht zuverlässig.

Da ich einige Dinge in der Zentralwerkstatt zu erledigen hatte, befand ich mich noch auf dem Campgelände. Ich sah einen Fahrmischer auf die Baustelle der neuen Unterkünfte fahren, der ferngesteuert zu sein schien, denn ich konnte von weitem im Fahrerhaus keinen Fahrer erkennen.

Der Betontrommler fuhr in einem eleganten Bogen auf die Baustelle und rangierte rückwärts an die vorbereiteten Schalungen. Ich wurde neugierig und ging näher heran, um herauszufinden, wie das Fahrzeug bewegt wurde.

Plötzlich ging die Fahrertür auf und aus dem Auto sprang ein Bürschchen von vielleicht zwölf Jahren und etwa einem Meter und vierzig Zentimetern Größe.

Er schritt um das Fahrzeug herum, löste die Rutschen, die das Schütten des Betons in die Fundamente möglich machten, befestigte einige dieser Rutschen hintereinander, um so nahe wie möglich an die Fundamente zu reichen und sonnte sich sichtlich in unserem Erstaunen.

Um dem Fass jedoch den Boden auszuschlagen, langte er in seine Hosentasche, holte eine Zigarettenschachtel heraus und brannte sich eine Zigarette an. Uns verschlug es angesichts der Kaltschnäuzigkeit des Lümmels die Sprache, aber wir mussten trotzdem schallend lachen. Er schwenkte gekonnt und mit einer zur Schau gestellten Lässigkeit die Rutsche für den Beton über die Schalung, betätigte einige Hebel und ließ den Beton in die vorbereitete Fundamentbettung gleiten.

Als das Fundament gefüllt war, fuhr er ein paar Meter weiter zum nächsten Fundament und wiederholte die Arbeit so lange, bis die Trommel des Fahrmischers leer war. Mit ein wenig Wasser aus einem Behälter reinigte er die Rutschen, stieg in den Lkw und fuhr von der Baustelle. Dabei konnte ich nun sehen, dass der Junge im Auto stand, da er im Sitzen gar nicht an die Pedale gereicht hätte.

Einer der ägyptischen Hilfskräfte verriet uns, dass der Bengel der Sohn des Betonunternehmers war und im Unternehmen sogar die Radlader und Bagger bediente.

Als die Fundamente für die Großbungalows drei Wochen später ausgehärtet waren, wurden die beiden Gebäude errichtet und dann kam für uns die große Überraschung.

Unsere Kuwait-Häuser wurden verkauft und wir mussten ebenfalls in diese Großbungalows umziehen. Nun wäre ja nichts dagegen einzuwenden gewesen, wenn der Wohnkomfort unverändert geblieben wäre, aber leider war dem nicht so, wie wir bald herausfinden sollten.

Die Kuwait-Bungalows waren für maximal drei Leute vorgesehen, die Räume im Großbungalow waren jedoch für vier Personen ausgelegt. Die Holzwände waren so dünn, dass man in den Nachbarräumen jedes Wort verstehen konnte. Der Fußboden war aus Holz und knarrte bei jedem Schritt.

Da die Toiletten und die Duschräume ebenfalls in den Gebäuden untergebracht waren, herrschte auf dem Korridor bis in den späten Abend hinein ein Kommen und Gehen und während dieser Zeit war an Schlaf nicht zu denken. Die architektonische Spitzenleistung jedoch war ein großer Gemeinschafts- und Aufenthaltsraum, der genau in der Mitte des ersten Gebäudes untergebracht war.

Weil wir so schnell wie möglich unsere Kuwait Häuser räumen mussten, durften wir uns die Räume in der ersten Baracke aussuchen. Nun galt es, das kleinste Übel herauszufiltern. Nahm man ein Zimmer zu nahe an der Nasszelle, hörte man den ganzen Abend das Getrampel auf dem Korridor, wenn die Kollegen zum Duschen oder auf die Toilette gingen. War man zu nahe am Gemeinschaftsraum, konnte es passieren, dass man bis in die späte Nacht keinen Schlaf fand, da es immer ein paar Unentwegte gab, die kaum Schlaf brauchten und Skat bis zum Abwinken droschen.

Nach längerer Diskussion bezogen wir schließlich ein Zimmer, von dem wir glaubten, die richtige Wahl getroffen zu haben. Wie sich jedoch schon bald herausstellen sollte, konnten wir von diesem Zimmer sowohl prima das Getrampel zur Nasszelle, als auch den Krawall vom Gemeinschaftsraum hören. Die Isolierung der Wandelemente war so schlecht, dass die Klimaanlage im Nonstop-Betrieb lief. Das Thermostat kam gar nicht zum Abschalten und hätte eigentlich eingespart werden können.

Wir waren nun vier Mann auf dem Zimmer, aber das war kein Problem, denn es hatte sich in den letzten Monaten bereits ein Freundeskreis herausgefiltert, mit dem man abends und am Wochenende ohnehin vieles gemeinsam unternahm.

Der Vorteil an einem Viermann-Zimmer war, dass man auf dem Zimmer endlich eine Doppelkopfrunde zusammen bekam, jedenfalls immer dann, wenn nicht gerade ein Kollege im Urlaub war.

Das Kartenspiel war nämlich unter den Monteuren seit jeher eine der urtypischsten Freizeitbeschäftigungen.

Wenige Tage nach unserem Umzug, als die nächste Maschine von Berlin ankam und die Kollegen vom Flughafen im Camp anrückten, kam auch ein uns bekannter und beliebter Kollege in unser Team, der vorher im Zentrallager wohnte.

Er steckte seinen zotteligen Wuschelkopf durch die Tür, wuchtete sein Gepäck in unser Zimmer und rief lachend: „Gebt mir amol was Kaltes zu Trinken nach der Schinderei, aber zieht ok amol ään Finger, ich hab ään Bäärendurscht“.

Wir waren hoch erfreut über den Neuzugang. Es war nämlich Klaus, der ehemalige Kraftfahrer aus dem Zentrallager, genannt „der Finger“. Nun wurde unsere Runde sicher noch lustiger.