Im Paradies des Teufels

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Im Paradies des Teufels
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Klaus-Peter Enghardt

IM PARADIES DES TEUFELS

Dreißig Monate zwischen Bomben und Jasmin

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ZWEITE ÜBERARBEITETE UND ERWEITERTE AUFLAGE

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Fotografien © Klaus-Peter Enghardt

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Auf dem Weg nach Bagdad

Muthana, Abu Ghraib und Bagdad

Hermann, der feige Hund

Das Camp, die Baustelle, Bagdad und der Mittelirak

Mohammed

Zurück im Irak

Die Zeit des Ramadan

Exkursionen mit Überraschungen

Dritter Montagezyklus

Die Asphaltquellen von Hit, die Wasserräder von Ana und das Zentrallager

Auf der Baustelle und in Bagdad

Samarra

Erlebnisse im Beduinendorf und im Munitionslager

Im Tariq-Camp

Kulturausflug nach Bagdad

Adé, mein Freund

Peinlicher Zwischenfall

Babylon

Erbil, Provinzhauptstadt in Kurdistan

Das Kloster Deir Mar Matta

Der Alltag in Erbil

Aufregende Tage

Eine Einladung nach Mosul

Nette Überraschungen

Kallebusch

Im Reich der „Gotteskrieger“

Erlebnisse in Erbil und Nordirak

Ninive und Mosul

Aqra

Schwarze Tage

Kirkuk, Stadt des Öls

Meine letzte Reise

Die letzte Station – Sulaymaniyah

VORWORT

Nachdem ich in meiner Jugend einen Roman über das abenteuerliche Leben eines Auslandsmonteurs in Vorderasien gelesen hatte, reizte mich der Zauber des Orients. Deshalb war es für mich keine Frage, Jahre später das Angebot meiner Firma als Monteur in den Irak zu reisen, anzunehmen.

Obwohl der erste Golfkrieg bereits seit neunzehn Monaten tobte, ließ ich mich von niemand durch gutgemeinte Warnungen von diesem Vorhaben abbringen.

Fast hätte ich damit jedoch die falsche Entscheidung getroffen.

In meinem Buch beschreibe ich die zahlreichen Erlebnisse und zum Teil lebensgefährlichen Abenteuer als Monteur während des ersten Golfkrieges im Irak.

Durch verschiedene Umstände war es mir möglich in außergewöhnlicher Weise in eine fremde Kultur einzutauchen, ich lernte die Schönheit des Landes mit all ihren Facetten kennen und durfte bei den unterschiedlichsten Menschen zu Gast sein.

Geblieben sind allerdings auch die Erinnerungen an den Krieg zweier verfeindeter Armeen und an die Auseinandersetzungen zwischen der irakischen Armee und den gefürchteten „Gotteskriegern“, den Peschmergas.

Ich beschönige in diesem Buch nichts, überziehe jedoch auch nichts von dem, was ich erlebt habe, alle Begebenheiten entsprechen der Wahrheit.

Ich hatte einen Abstand von zwanzig Jahren gebraucht, um mich zu entschließen, meine Erinnerungen aufzuschreiben. Zum einen plagten mich immer wieder Albträume, in denen mich schreckliche Erlebnisse einholten, zum anderen hätte ich das Buch in seiner ursprünglichen Form im damaligen politischen System der DDR nicht ohne Konsequenzen veröffentlichen können.

Die jüngeren Ereignisse im Irak haben den Ausschlag zur Entscheidung gegeben, diesen Roman zu überarbeiten und noch einmal an das Land zu erinnern, von dem ich die heiligsten Stätten, die kulturhistorisch wichtigsten Kleinode, die wundervollen Städte mit ihrem pulsierenden Leben und vor allem, die unvergleichlichen Basare, noch unzerstört gesehen hatte.

Landschaften von unbarmherziger Kargheit oder von außerordentlicher Schönheit, spiegelklare Seen, mächtige Berge, saftige Wiesen, gnadenlose Wüsten oder fruchtbare Oasen und das Leben an den Flüssen Euphrat und Tigris, geben ein Bild von dem Land wieder, das als die Wiege der Menschheit galt. Der Garten Eden, Quelle des menschlichen Lebens, so sagt die Legende, befindet sich tief im Süden des Landes bei Quarna, nahe Basra, am Persischen Golf.

Ich schloss Bekanntschaften mit ganz besonderen Menschen, Mohammed, ein weiser Mann aus Ägypten etwa, der mich in der arabischen Sprache unterrichtete und mir, nach neununddreißig Jahren der Flucht, als ersten Europäer, seine bewegende Lebensgeschichte erzählte. Oder Sadir, ein Kurde, den ich mit Stolz als Freund bezeichnen darf. Durch ihn lernte ich Land und Leute in einer unvergleichlichen Weise kennen, die in dieser Komplexität, jedem Tourist verschlossen blieb und es eröffnete sich für mich eine Betrachtungsweise der politischen und humanitären Gegensätze, die ich ohne meinen Freund Sadir nicht kennengelernt hätte.

Noch immer leiden die Menschen im Irak unter der politisch unsicheren Situation, unter Terroranschlägen und Unterdrückung durch die Aggressoren des sogenannten Islamischen Staates (IS).

Meine Gedanken sind sehr oft bei diesen Menschen und ich hoffe, dass dieses Land sehr bald zur Ruhe kommt und Normalität im Irak einzieht.

AUF DEM WEG NACH BAGDAD

Ein kühler, regnerischer Frühlingstag bestätigte mir die Richtigkeit meiner Entscheidung, für ein paar Jahre als Monteur in das Land zu reisen, welches ich bisher nur als Kind aus dem Märchenbuch „Geschichten aus 1001 Nacht“ kannte. Später erfuhr ich im Geschichtsunterricht mehr, als wir über das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, dem heutigen Irak, sprachen. Ein Land voller kulturhistorischer Schätze, in dem Hitze und Sonnenschein keinesfalls als Mangelerscheinungen galten.

Ein Buch aus meinen Jugendtagen, in dem die Erlebnisse und Abenteuer eines deutschen Monteurs in einem arabischen Land beschrieben wurden, hatte damals in mir ein unstillbares Fernweh ausgelöst, das ich viele Jahre in mir trug, ohne Hoffnung, dass diese Sehnsüchte irgendwann Realität werden könnten.

Noch weniger ahnte ich, dass ich selbst einmal so aufregende Abenteuer erleben würde, die sich lohnen würden, sie in geeigneter Form wiederzugeben. Und nicht genug, dass diese Erlebnisse jetzt tatsächlich in einem Buch Platz finden, begleiten mich diese Erinnerungen an meine, zum Teil lebensgefährlichen Abenteuer, bis heute. Sie haben über drei Jahrzehnte meines Lebens geprägt.

Am Tag meiner Ausreise in den Irak hoffte ich, Abenteuer zu erleben, ähnlich, wie ich sie in meinen Büchern gelesen hatte.

Dass meine Erlebnisse diese noch übertreffen würden, hätte ich nie geahnt.

Es war Mittwoch, der achtundzwanzigste April 1982 und der Geburtstag jenes Mannes, in dessen Land ich flog – Saddam Hussein, Präsident des Irak und Herrscher über sagenhafte Schätze, Ölvorkommen und ungeahnte kulturhistorische Reichtümer.

 

Seit Wochen hatte ich dieses Ereignis geplant, hatte jede mögliche Literatur studiert und versucht, mich so gut wie möglich auf die kommende Zeit einzustellen.

Hätte ich zu diesem Zeitpunkt jedoch gewusst, wie viele Abenteuer ich erleben würde, zum Teil unter größter Lebensgefahr, ich glaube, dass ich dann meine Entscheidung, in dieses Land zu reisen, doch noch einmal reiflich überdacht hätte.

Zu jenem Zeitpunkt war ich jedoch optimistisch und freute mich auf die kommende Zeit. Zugleich war ich aber auch ein wenig aufgeregt, allein so eine weite Reise zu unternehmen, ohne einen Bekannten, Freund oder Kollegen und unsicher, ob ich die an mich gestellten Erwartungen in einem mir unbekannten Terrain auch wirklich erfüllen könnte.

Auf dem Flughafen angekommen, suchte ich erst einmal den Treffpunkt, an dem sich alle Kollegen einfinden sollten.

Das war nicht allzu schwer, denn mir fiel gleich eine größere Gruppe Männer auf, die sich lautstark unterhielten, lachten, und sich quer durch die Empfangshalle zotige Worte zuriefen. Ich gesellte mich also zu dieser Gruppe, stellte mich abwartend an die Seite und ging dann gemeinsam mit ihnen zur Abfertigung.

Dort wartete bereits der Verantwortliche, der diesen wilden Haufen ziemlich schnell zur Ruhe brachte, denn er wusste, dass die Männer mit ihrem Auftreten eigentlich nur die Situation der Abwesenheit von Familie, Frau oder Freundin überspielen wollten, von denen wir immerhin für zehn bis zwölf Wochen getrennt waren.

Nach der Abfertigung fanden sich die Kollegen im Aufenthaltsraum wieder. Dort wurden unsere Namen verlesen und jeder bekam fünfzehn US-Dollar Handgeld. Wir warteten auf den Abflug und ich stellte erstaunt fest, dass das Bier in Strömen floss und auch dem Hochprozentigen mit Eifer zugesprochen wurde.

Irgendwie hatte ich die mir gepriesene Elite unseres Landes anders vorgestellt, als mir bei meiner Bewerbung eröffnet wurde, dass nur auserwählte, verlässliche und moralisch einwandfreie Leute die Möglichkeit bekamen, unser Land im Irak zu vertreten.

Vielleicht würde ich mein Vorurteil jedoch bald revidieren können, wenn ich diese Männer besser kennengelernt hatte.

Auch ich bestellte mir ein Bier und obwohl ich mir eigentlich bereits vor Monaten das Rauchen abgewöhnt hatte, kaufte ich mir Zigaretten und zündete mir eine an, um die Nervosität zu überspielen.

Ein Kollege kam an meinen Tisch und gab mir ein paar wertvolle Tipps und Verhaltensmaßregeln, da er in mir sofort den Neuling erkannt hatte.

Eine dieser Regeln davon war, niemals ohne Schnaps anzureisen, da die Kollegen immer auf eine Einreisefeier warteten. Ich wollte natürlich unter keinen Umständen unangenehm auffallen und kaufte von meinen fünfzehn Dollar einen Liter Dujardin, den ich im Handgepäck verstaute.

Endlich wurde unser Flug aufgerufen. Es war inzwischen kurz nach siebzehn Uhr und ich erfuhr, dass die Flüge in den Irak immer erst gegen Abend stattfanden, weil die Flugzeuge die irakische Grenze nur bei Dunkelheit überfliegen durften. Eine Sicherheitsmaßnahme, seitdem am zweiundzwanzigsten September 1980 der irakisch-iranische Krieg ausgebrochen war, die verhindern sollte, dass die Maschinen von feindlichen Jägern beschossen wurden.

Außerdem mussten vor dem Überfliegen der irakischen Grenze die Fenster verdunkelt werden.

Zum ersten Mal wurde mir ein wenig mulmig, aber da die Stimmung an Bord sehr aufgekratzt war, beruhigte ich mich wieder und wartete auf den Start.

Als die Maschine auf das Flugfeld rollte, schaute ich mich verstohlen um und wurde Sekunden später durch den Schub der Turbinen in die Polster gedrückt.

Innerhalb weniger Sekunden stieg der Jet steil in den Himmel und neigte sich dann zur Seite, so dass ich auf Berlin schauen konnte. Wir durchbrachen die Wolkendecke und ich war begeistert, dass darüber der herrlichste Sonnenschein zu sehen war.

Bei diesem Anblick fiel mir ein, dass schon ein bekannter deutscher Liedermacher in einem seiner Songs zwar nicht den grandiosen Sonnenschein beschrieb, jedoch die Freiheit, die über den Wolken wohl grenzenlos sein müsse, und ich konnte dem nur beipflichten.

Ich genoss den Flug und es dauerte gar nicht lange, da wurden Speisen und Getränke serviert, ein wenig später rollten die Stewardessen gar ihre schmalen Wagen durch den Gang und boten zollfreie Waren an.

Vom Flugkapitän kam irgendwann über den Bordfunk die Aufforderung, unsere Fenster zu verdunkeln. Während des Fluges erfuhr ich von einem Monteur, dass an jenem Tag, zum Geburtstag des Präsidenten Saddam Husseins, zum ersten Mal der Airport in Bagdad angeflogen wurde, ein bejahrter Flughafen zwar, doch ein neuer befand sich bereits kurz vor seiner Vollendung.

Bisher waren die Maschinen für die Kollegen, die im Süden des Landes arbeiteten, nach Kuwait City geflogen und für die Kollegen im Mittel- oder Nordirak nach Damaskus, in Syrien.

Von dort ging es mit sogenannten Wüstenbussen zu den Sammelpunkten Basra oder Bagdad.

Diese Wüstenbusse sahen sehr spektakulär aus. Es waren PS-starke, klimatisierte, sehr farbenfrohe Sattelschlepperbusse, riesenlang und mit armdicken Chromstangen geschützt, um vorwitziges Vieh, wie Wildkamele, Esel, Schafe oder Rinder, von der Fahrbahn räumen zu können, wenn sie die Straße unvermittelt überquerten, nachdem sie scheinbar teilnahmslos am Fahrbahnrand gestanden hatten.

Die Fahrt in diesen Bussen war recht bequem, der Nachteil dieser Busfahrten allerdings lag darin, dass die Fahrer die gesamte Strecke hin und zurück alleine bewältigen mussten.

Das mag bei der Tour Kuwait-Basra-Kuwait nicht gar so schlimm gewesen sein, da dort eine einzelne Strecke nur etwa einhundertfünfundsechzig Kilometer betrug, aber bei der Tour Damaskus-Bagdad-Damaskus war eine einzelne Strecke achthundertfünfunddreißig Kilometer lang, so dass der Fahrer also 1670 Kilometer am Stück zurücklegen musste, eine Strecke davon bei Nacht. Das war mitunter sehr gefährlich, denn manchmal kam es vor, dass plötzlich Tiere die Fahrbahn querten, so dass der Fahrer dann den Bus ruckartig aus dem Gefahrenbereich bringen musste oder eine Vollbremsung machte.

Manchmal geschah es jedoch auch, dass ein Fahrer einnickte. Zum Glück waren die meisten Straßen im Irak sensationell ausgebaut und so konnte der Bus in diesen Fällen, meist gefahrlos in der Wüste ausrollen.

Für eine einzelne Strecke von Damaskus nach Bagdad benötigte der Busfahrer etwa achtzehn Stunden und jeder Kollege erhielt dafür einen Liter Trinkwasser, das allerdings schon nach kurzer Zeit ausgetrunken war, dann begann der Durst, der bis zum Ziel zur Qual wurde.

Das Abenteuer so einer Fahrt war mir glücklicherweise erspart geblieben und darüber war ich nicht traurig.

Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf. Was wusste ich eigentlich von diesem Land, in dem ich für längere Zeit leben würde und das als die Wiege der Menschheit bezeichnet wird?

Abgesehen vom Geschichtsunterricht der sechsten Klasse, als man uns Schüler versuchte, das Zweistromland näher zu bringen, hatte ich jahrelang nichts mehr vom Irak gehört, bis im September 1980 dieser schreckliche Krieg zwischen den beiden Golfstaaten Irak und Iran ausbrach und ich mich mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen hatte, in einem der beiden Länder arbeiten zu können.

Der Irak war zu jener Zeit eines der fortschrittlichsten arabischen Länder und war bereits im Altertum eine Brücke zwischen Europa und Asien. Die Lebensadern, die dieses Land durchziehen, sind vor allem der Euphrat und der Tigris, an dessen Ufern sich zahlreiche Ansiedlungen befinden, die nur durch diese Flüsse lebensfähig sind. Diese beiden Flüsse gaben dem Land den Namen Zweistromland und grenzen das eigentliche Kernland Mesopotamien ein.

Nach fünf Stunden Flug teilte uns der Flugkapitän über den Bordfunk mit, dass wir in wenigen Minuten den Airport Bagdad erreichen werden und dass wir die Verdunkelung wieder entfernen können. Die Uhr an meinem Handgelenk zeigte an, dass es kurz nach dreiundzwanzig Uhr mitteleuropäischer Zeit war, also kurz nach ein Uhr morgens irakischer Zeit.

Die augenblickliche Temperatur in Bagdad betrug fünfunddreißig Grad Celsius und ich fragte mich ernsthaft, welche Temperaturen Ende April am Tage herrschen würden und wie heiß es überhaupt werden kann.

Ich werde in meinem ganzen Leben das Gefühl nicht mehr vergessen, als ich im Landeanflug auf diese traumhafte Stadt schaute und alle Moscheen farbig angestrahlt waren. Entlang des Tigrisufers waren die zahlreichen Cafés mit bunten Lichterketten versehen und die Straßen erstrahlten als einziges Lichtermeer.

Die Stadt war so riesig groß, dass wir minutenlang über diesem Lichtermeer hinweg glitten, bis der Jet den Landeanflug fast geräuschlos bis unmittelbar vor dem Airport durchführte. Erst dort wurden die Turbinen wieder hochgefahren, um die Landung zu vollziehen.

Ein Krieg schien mir in diesem Land so absurd zu sein wie eine Blumenwiese in der Wüste.

Ich vibrierte innerlich vor Staunen und Aufregung und freute mich nun tatsächlich auf alles, was in Zukunft auf mich zukommen würde.

Wir landeten auf dem International Airport Bagdad, einem älteren unspektakulären Flughafen.

Als das Gepäck kontrolliert wurde, bemerkte ich mit Erstaunen, dass die irakischen Zollbeamten Unmengen an Schnaps und Zigaretten aus den Koffern der Kollegen „fischten“ und scheinbar uninteressiert in die hinter ihnen stehenden Behältnisse warfen. Offensichtlich hatten diese Kollegen die Einreisebestimmungen nicht eingehalten und hatten nun das Nachsehen.

Nach der Abfertigung ging es hinaus auf den riesigen Vorplatz des Airports und erneut war ich überwältigt.

Zum ersten Mal sah ich riesige Palmen in der Natur und eine Architektur, wie ich sie bisher nur aus Berichterstattungen im Fernsehen kannte. Doch besonders aufregend waren für mich die Menschen in ihrer außergewöhnlichen Kleidung. Frauen trugen entweder schwarze Gewändern oder farbenfrohe lange Kleider und Männer waren in bodenlange Dschellabas gehüllt und trugen Kopftücher, die ein doppelter schwarzer Reifen auf dem Kopf hielt.

Doch bei aller Vorfreude, allem Staunen und Schauen überlegte ich, wie es nun mit mir weitergehen würde?

Ich fragte einen deutschen Monteur, ob er mir sagen könnte, mit welchem der bereitgestellten Busse ich mitfahren müsste und er knurrte, dass es egal wäre, mit welchem Bus ich fuhr. Das verstand ich zwar nicht so recht, da es doch sicher verschiedene Baustellen im Land gab, aber ich stieg dann doch, leicht verunsichert zwar, in den nächsten Bus ein.

Die Fahrt führte mich vom Flughafen südöstlich nach Abu Ghraib, einem Stadtteil von Bagdad, der an der Straße von Bagdad nach Falludscha liegt und viele Jahre später noch traurige Berühmtheit erlangen sollte.

Dort angekommen, blockierten schon mehrere Busse die schmalen Straßen der Siedlung, in der sich unser Ziel befand, und nun begriff ich, warum es egal war, mit welchem Bus ich fuhr.

Alle Monteure versammelten sich nämlich zunächst in einem großen Haus in diesem Wohngebiet und wurden von dort aus neu verteilt.

In diesem Haus wurden unsere Pässe eingesammelt und ersatzweise mit provisorischen irakischen Pässen ausgetauscht. Das war eine Anordnung der irakischen Behörden und ich wunderte mich, dass auch ich bereits am Tag meiner ersten Ankunft so einen Pass bekam, aber schließlich fiel mir ein, dass ich ja bereits vor Monaten bei meiner Firma vierzig (!) Passbilder abgegeben hatte.

Die Formalitäten wurden von drei Leuten erledigt, zwei Männer und einer Frau. Diese Frau war von fast arabisch zu nennender Schönheit und ich musste sie zwanghaft immer wieder heimlich anschauen.

Sie trug ein farbenfrohes Kleid, wie es oft die jungen kurdischen Frauen tragen und hatte eine makellos gebräunte Haut. Ihr tadelloses Makeup unterstrich ihre aparte Erscheinung. Auffällig an ihr waren ihre mandelförmigen Augen, deren Wirkung sie jedoch zusätzlich geschickt mit Wimpernspirale sowie Kajal- und Augenbrauenstift unterstrich.

Wie ich erfuhr, nannten die Monteure sie „Mary“. Ihr richtiger Vorname war eigentlich Marina.

Sie war bei allen deutschen Monteuren äußerst beliebt, und auch ich konnte ihr meine sofortige Sympathie nicht versagen.

Zum ersten Mal hörte ich beim Passtausch von Baustellen in den Städten Bagdad, Basra, Samarra, Mosul, Hilla, Sulaymaniya, Tikrit, Nasiriya und anderen Orten, die mir jedoch völlig unbekannt waren.

 

Ich wurde der Flughafenbaustelle Muthana zugeteilt, ein Ort am Stadtrand Bagdads, was bedeutete, dass ich in jener Nacht in keinen Bus mehr steigen musste, weil ich gleich im Haus gegenüber untergebracht war.

Edgar, der Hausmeister der beiden Gebäude, der übrigens gleichzeitig auch Einkäufer und Postbote war, zeigte mir und einem weiteren, neu eingereisten Kollegen unser Zimmer und machte uns auf den dritten Mitbewohner aufmerksam, der ein etwas spezieller Mann mit ungewöhnlichen Eigenheiten sein sollte und deshalb bisher allein wohnte.

Wir gingen leise in das Zimmer hinein und ich war überrascht, was wir vorfanden.

Der Tisch war mit Gläsern, Kaffeetassen und einer kleinen Schale Gebäck gedeckt und unser Mitbewohner unterbrach seine Nachtruhe, um uns zu bewirten. Das war verwunderlich, denn immerhin war es jetzt bereits nach drei Uhr morgens. Er schaltete die vorbereitete Kaffeemaschine ein und bot uns erst einmal gekühlte Getränke an. Unser Zimmerkamerad hieß Richard und wohnte in der Heimat nur fünfundzwanzig Kilometer von mir entfernt, wie sich bei unserem Gespräch herausstellte, und zumindest wir beide waren uns auf Anhieb sympathisch. Wir tranken unseren Kaffee, aßen ein paar Plätzchen und waren dann froh, endlich schlafen zu können.

Der Tag nach unserer Ankunft war für uns frei.

Wir schliefen bis nach neun Uhr und nach der Morgentoilette, gegen zehn Uhr, bekam ich auch gleich die Antwort auf den ersten Teil meiner Frage, wie warm es im April am Tage wird. Im Zimmer lief die Klimaanlage und hielt die Temperatur konstant auf dreiundzwanzig Grad Celsius. Als ich die Tür öffnete, um forsch ins Freie zu treten, prallte ich entsetzt zurück, als ob mich eine unsichtbare Faust getroffen hatte.

Oh Gott, das hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht vermutet! Ich suchte ein Thermometer und wurde auch fündig. Da es sich im Schatten der Hauswand befand, musste ich wohl glauben, was ich auf der Scala ablas. Die Temperatur betrug achtundvierzig Grad im Schatten. Trotz der Hitze machte ich, gemeinsam mit dem neuen Kollegen, den ersten Spaziergang und allmählich gewöhnte ich mich an die Temperatur.

Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich eine Sonnenbrille vergessen hatte und diese Tatsache war mehr als ärgerlich. Erstens hatte ich noch kein irakisches Geld, um mir eine Sonnenbrille kaufen zu können und zweitens wusste ich nicht, wann ich überhaupt die Gelegenheit zu einem Einkauf bekommen würde.

Am Abend fand in unserem Haus die schon erwähnte Einreisefeier statt und ich war froh, im Flugzeug zusätzlich noch eine Flasche Whisky gekauft zu haben. Ich stellte die Flasche auf den Tisch, was von den Anwesenden wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde und mich in ihren Kreis integrierte. Bier gab es nicht, das war im Mittelirak ein Engpass, und so trank man zum Schnaps Cola oder eine weiße Limonade, Seven Up, genannt.

Am nächsten Morgen begann dann mein erster Arbeitstag.