Read the book: «Stadt Land Russ'»
Rudolf / Sokolowsky / Bernstein
Stadt Land Russ‘
Michael Rudolf
Kay Sokolowsky
F. W. Bernstein
Stadt Land Russ‘
Geschichten aus der
Fränkischen Schweiz
Ausgewählt und mit einleitenden Worten
versehen von Gert Ockert und Holger Sudau
© Oktober Verlag, Münster 2010
Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung
des Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat OHG,
Münster
Alle Rechte vorbehalten
Satz: Monsenstein und Vannerdat
Umschlag: Linna Grage
unter Verwendung einer Zeichnung von F. W. Bernstein
Herstellung: Monsenstein und Vannerdat
ISBN: 978-3-938568-86-6
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
Inhalt
Frankenkarte
Zum Geleit
Teil I: Land und Leute
Teil II: Liebe und Leid
Teil III: Listen und Laster
Anhang
– Apokryphe=Anekdoten
– Fränkische Chronik
Zum Geleit
Die Weltgeschichte hat keinen Platz für die Namenlosen. Wir kennen den Pharao Cheops und sein ewiges Grabmal. Doch nichts wissen wir über den Steinmetz, der Granitquader brach, bis seine Hand unter afrikanischer Sonne verdorrte. Geht es ums Alte Rom, rühmt man das Feldherrengenie des Caesar. Aber den schlichten Landmann, der die Ähre Jahr um Jahr von den Legionen zertrampelt sah, den hat die Menschheit vergessen. Wenig, ohne Zweifel, wäre Karl der Große gewesen ohne Karl den Kleinen. Doch nicht nach diesem ist der Karlspreis benannt.
Dem Totschweigen des einfachen Menschen entgegenzuwirken, ist Aufgabe der Heimat- und Volkskunde. Erst sie verhilft dazu, das Fürchterliche und das Schöne, das Einzigartige und das Immergleiche im Wirken der großen Mächte auf die Ohnmächtigen zu erkennen. Zugleich enthüllt der Volkskundler, wie die Reaktionen der kleinen Leute auf das Tun der Großen sich summieren, bis die Pläne der Starken am Widerstand der Schwachen zuschanden werden. Was behutsame Forschung, was Oral history und Dachstuben-Archäologie in den Regionen und Lokalen zu Tage gefördert haben, fließt dank langer, zäher, von vielen Rückschlägen geprägter Pionierarbeit inzwischen, endlich, auch in die »große« Geschichtsschreibung ein. Epochen, die wir längst zu kennen glaubten, sprechen plötzlich mit ganz neuem Klang zu uns, Landstriche, die uns vertraut anmuteten wie das eigene Spiegelbild, leuchten auf in taufrischem Glanz – und zeigen sich gleich danach getrübt von Schatten.
So auch die Fränkische Schweiz. Im Norden vom Main, im Westen von der Regnitz, im Osten von der Pegnitz und im Süden von einer gedachten Linie zwischen Nürnberg und Plech begrenzt, rühmt sich die Gegend ihrer Ackerböden, Forellenbäche und Obsthügel, ihrer trefflichen Biere und saftigen Schnitzel. Seit die Dichter Tieck und Wackenroder im Jahre 1793 von Erlangen aus die seinerzeit noch »Muggendorfer Gebürg« genannte Provinz bereisten und coram publico als ein Muster romantischer Idylle anschwärmten, hat sie sich zu einem der populärsten Urlaubsziele Deutschlands entwickelt. Und den meisten Touristen mag es beim Wandern durch die sanften Auen und kühlen Wälder wohl gehen wie dem Dichter Jean Paul: »Hier läuft der Weg von einem Paradies durchs andere.«
Die Einwohner dieses »Paradieses« allerdings wirken oft, als seien sie sich gar nicht bewußt, wo sie zu Hause sind. Eine eigenartige Wortkargheit und Verschlossenheit haftet ihrem Charakter an. Was vielen Besuchern der Fränkischen Schweiz als Verstocktheit, wo nicht gar Misanthropie erscheint, hat jedoch tiefere und durchaus tragische Gründe. Von ihnen handelt dieses Buch.
Im Jahr 2000 fanden der vogtländische Heimatkundler Michael Rudolf und sein im hamburgischen Raum tätiger Kollege Kay Sokolowsky sich zu einem Kolloqium im Dorf Aufseß bei Ebermannstadt ein. Rudolf, Spezialist für lokale Bierphilosophie, und Sokolowsky, altgedienter Gaststättensoziograph, wählten das Örtchen nicht zufällig aus. Nirgendwo in der Welt kommen so viele Brauereien – vier an der Zahl – auf so wenige Einwohner (1.500). Wie in einem Mikrokosmos konzentrierten sich für die Forscher hier die Schwerpunkte ihrer Studien.
Schon bald allerdings bemerkten die Wissenschaftler, daß in und um Aufseß nicht einfach »die Zeit stehen geblieben« ist. Vielmehr schien die Zeit hier eingefroren, als gelte es, einen Zustand zu erhalten, der über ungezählte Jahre hinweg gefährdet gewesen ist. Die kunstvoll geschnitzten, mannshohen Kruzifixe, die fast jedes Haus und an den Wanderwegen schier jeden Baum beschirmen, künden, argwöhnten Sokolowsky und Rudolf, nicht allein von der Macht des Volksglaubens. »Wir fühlten uns«, berichtet der Vogtländer, »an Vogelscheuchen erinnert – man möge die Blasphemie vergeben. Offenbar soll hier eine Plage, ein Grauen abgeschreckt werden, das die blühenden Ländereien ständig bedroht.« Und der Hamburger ergänzt: »Daß der Frankenschweizer vornehmlich den leidenden und nicht den triumphierenden Christus darstellt, deutet auf ein tief verwurzeltes Trauma hin. Doch die Literatur redet nirgendwo von einer Katastrophe, die geeignet gewesen wäre, sich den Eingeborenen so gründlich, über viele Generationen hinweg, einzuprägen.«
Um welchen Schicksalsschlag mag es sich also gehandelt haben? Weder der Dreißigjährige noch der Zweite Weltkrieg, weder Pest noch Cholera hatten in der Fränkischen Schweiz nennenswerten Aufenthalt. »Doch nicht«, notiert Rudolf, »weil Gottes Hand schützend über dem Landstrich lag. Sondern weil ein ganz anderes Unheil die Gegend längst verheert hatte.« Und Sokolowsky fügt hinzu: »Es kann der Friede kein Dauergast gewesen sein, wo sich auf derart geringem Raum nicht weniger als 170 Zwingfesten drängen.« Warum aber schweigt sich die offizielle Historiographie aus über ein Inferno, welches solche Spuren hinterließ?
Das ursprünglich als heitere Landpartie geplante Kolloqium wuchs rasch aus zu ebenso engagierter wie mühevoller Detektivarbeit. Nicht leicht nämlich fiel es, die vom Tourismus abhängigen Einheimischen dahin zu bewegen, das trügerische Bild des »Paradieses« zu korrigieren. Mannigfache Proben ihrer Trinkfestigkeit und ihres Schnitzelappetits mußten Rudolf und Sokolowsky ablegen, ehe sie das Vertrauen der fränkischen Schweizer gewinnen konnten. Allein ihren »Roßnaturen«, wie Rudolf ironisch bemerkt, verdankten sie es, irgendwann doch mit den Dorfältesten ins gewünschte Gespräch zu kommen. Zahllose Kellerbiere, Obstler, Wurstplatten und Doppelkopfrunden waren nötig, um auch nur ein Tagebuch aus altvorderer Zeit besichtigen, bloß eine Geschichte aus dem zahnlosen Mund des Urgroßmütterleins hören zu dürfen.
Je mehr Alteingesessene jedoch den Forschern Vertrauen schenkten, desto schneller verbreitete sich deren guter Ruf – ein in der Ethnologie nicht unbekanntes Phänomen. Bald tat man überall zwischen Litzendorf und Ahorntal, Plankenfels und Bubenreuth die Rathausarchive, Taufregister, Familientruhen und zumal die Seelen auf. Was da herauskam, gilt in Fachkreisen schlicht als Sensation.
Sokolowsky und Rudolf hatten richtig vermutet: Die Leidensbilder am Straßenrand, die Burgruinen auf den Bergkuppen, die sprichwörtliche Maulfaulheit der fränkischen Schweizer sind Indizien uralter Schrecken. Doch eine zweifelhafte »Entspannungsdiplomatie« mit ihren Spielchen von Camouflage und Deckelei, die o. a. Ignoranz der »großen« Geschichtsschreibung sowie die »traumatisch bedingte« (Sokolowsky) Schweigsamkeit der Eingeborenen haben eine der dramatischsten Episoden mitteleuropäischer Historie aus den Archiven gelöscht. Nur die konsequente, auch unter persönlichen Opfern erbrachte Anwendung der Grundsätze von Oral history vermochte der Dunkelmännerei vieler Jahre den Garaus zu bereiten.
Wie wir dank Rudolf und Sokolowsky nun wissen, ist die Fränkische Schweiz seit Abschluß des Westfälischen Friedens das begehrteste Objekt russischer Großmachtpolitik gewesen. Immer und immer wieder setzten die Zaren ihre Heere in Bewegung, um das »Paradies« zu gewinnen oder wenigstens auszuplündern. Seit Peter der Große auf seiner Rundreise durchs westliche Europa auch den »Gottesgarten« (Victor v. Scheffel) erspäht hatte, richteten sich die Gelüste der Herrscher wie ihrer Leibeigenen insonderheit auf dieses friedvolle Gebiet, auf seine üppigen Feldfrüchte und Handwerksgaben.
Im Stich gelassen von feigen Landesfürsten, mußten die schweizer Franken sich ein ums andre Mal auf eigene Faust der Invasoren erwehren. Dies gelang ihnen mit derselben Beharrlichkeit und Bauernschläue, die ihnen heute dazu dient, Reisende mit »Wellness-Wanderpfaden« oder »Riesenschnitzeln« zu betören und übers Ohr zu hauen. Es seien Tücke und List ihnen verziehen.
Denn was Fabeln und Anekdoten, Märchen und Lieder erzählen, läßt schier unglaublich erscheinen, daß der fränkische Schweizer überhaupt noch »Auswärtige« in seinem Bezirk dulden mag und nicht sogleich mit Pike und Muskete vertreibt. »Vielleicht«, spekuliert Rudolf, »hat die außerordentliche Qualität des hiesigen Biers die Eingeborenen zu einer generell milden Denkungsart erzogen.« Sokolowsky hingegen führt die fehlende Feindseligkeit (von gewisser »Fremdelei« abgesehen) auf die bevorzugte Beschäftigung der Bevölkerung zurück: »Wer nichts schöneres weiß, als das Selbstgebraute zu trinken, das Selbstgeschlachtete zu verspeisen und die selbstgeschnitzte Angel auszuwerfen, der greift nun einmal nur in ungemeiner Not zur Waffe. Trotz allem.«
Inzwischen tobt in der einschlägigen Wissenschaft eine hitzige Fehde um die bahnbrechenden Erkenntnisse. Als »plumpe Augenwischerei«, »trunkenes Geschwätz« und »blanke Erfindung« denunzieren die Vertreter traditionell-bornierter Heimatkunde, was Sokolowsky und Rudolf seit 2002 in Fachorganen wie »Konkret« und »Junge Welt« ans Licht der Öffentlichkeit gefördert haben. Auch das Kultusministerium des Freistaats Bayern verweigert den beiden Pionieren bis heute jegliche Unterstützung bei der Introspektion weiterer Geheimnisse der Fränkischen Schweiz. Der Kleinkrieg um Mittel, um Worte und nicht zuletzt um den eigenen Ruf hat das Forscher-Duo jedoch bis heute nicht zermürben können. Emsig graben sie weiter nach Dokumenten, Mythen und Bräuchen, die ihre These zu stützen vermögen. Ob Heiligenstadt oder Pottenstein: Kein Ort scheint ihnen zu unbedeutend, kein Interviewpartner zu dubios, als daß sie jenem und diesem nicht ihre Zeit, ihre Kraft und ihre Nerven widmen möchten.
Da der immense Aufwand der Feldforschung Rudolf und Sokolowsky selten die Muße läßt, außerhalb wissenschaftlicher Publikationen von ihren Kenntnissen reden zu machen, baten sie uns, die Herausgeber, eine Lesefibel mit den schönsten Mären aus der Fränkischen Schweiz zu veranstalten. Denn was immer die Vertreter der Akademien an Galle zu verspritzen sich genötigt sehen: Die Weisheit und Lebenslust, die Volkes Mund äußert, sollte uns Nachgeborenen als Ansporn, als Belehrung und wohl auch als Trost dienstbar gemacht werden.
Einer der ersten, feurigsten Anhänger der Rudolf-Sokolowskyschen Lehre ist der Berliner Sittenmaler F. W. Bernstein. Gepackt von der Botschaft, die aus den »Russ‘«-Geschichten raunt, dekoriert er diese Schelmenstücke und Legenden mit aller Kraft und Pracht seiner Kunst. Wir zweifeln nicht daran, daß der eindringliche Strich des Bildners am Triumph der Wahrheit maßgeblich mitwirken wird. Wiewohl heute, leider!, noch Verstocktheit und Erbsenzählerei das große Wort führen.
Die Herausgeber:
Gert Ockert / Holger Sudau
Teil I Land und Leute
Zum ewigen Gedächtnis
Wie der Russ‘ sich mal erfrechte wider den Franken in der Adventszeit, davon erzählt man sich viel in Hirschaid und Buttenheim. Es gehört aber nit hierher.
Die Sach‘ mit dem Bach
Also kam der Russ‘ auf einer seiner vielen rünstigen Plünderungsreisen ins liebliche Tal des Aufseßbaches. Diesen lieblichen Bach mitsamt Inventar, den nehme er jetzt mit, und zwar gleich, dekretierte der vermaledeite Plünderer. Da mußten die anrainenden Franken lachen, denn sie vermeinten in ihrer Einfalt, der Russ‘ hätte gar keine Verwendung dafür. Der Russ‘ aber erfaßte den Bach an beiden Enden und nahm ihn weg und hinfort. Doch dem wilden Asiatengesell‘ brach beim huckelichten Transport eine Ecken vom Bachrand ab und eine weitere, andere dito. Da lief die liebliche Bachflüssigkeit mitsamt den lustigen Forellenfischen darinnen heraus, und am Ende ward es in den Händen des Russ‘ ein Stück wertlos‘ Erdreich. Zornig warf er den trockenen Bach wider die nächste Sandsteinfelsenwand, wo dieser unter ächzendem Gepfeiff verschied. Die armen Franken mußten nun die letzten Raiffeisenmarken zusammenlegen, einen neuen Bach aus dem Garten=Center Hersbruck herbeischaffen und ihn so sorgfältig einbauen, wie es ihnen ihre Vorstellung erlaubte. Der eigentliche Verlierer aber war wieder einmal unsere liebe Umwelt. Zweitens heißt das Sprüchwort seither auch: Die Sach‘ ist den Bach runtergegangen.
Schmalhans, der Retter
Als Zar Nikolaus noch herrschte, war mal eine große Noth im Lande des Russ‘. Alle Kühe aufgefressen, Ziegen und Pferde desgleichen, und auf den Feldern wuchs kein Hahn mehr, sondern bloß Ohnkraut, doch auch das verschlang der Russ‘ in seiner Bedrängung. Da kam Kunde ins Zarenreich von den blühenden Weiden der Franken und von einem selten schmackhaften Tier, welches dort in gewaltigen Herden durch die Fluren streift. Und gleich einem Schwarm Heuschrecken brach der Russ‘ auf gen Frankenland, den dumpffen Ruf »Schnitzelow! Schweinitsch! Wurstinski!« auf den wulstigen Lippen.
Nah Würzburg aber kam der Heerzug des Russ‘ zum Stehen. Denn der Hunger hatte die Marodeure so ausgezehrt, daß sie wie Fliegen zu Boden fielen und wimmernd wegstarben. Die Franken hörten davon, dankten dem HErrn, welcher sie so trefflich beschützt hatte, stellten IHM ein Wegkreuz auf und hielten Andacht. Dann gingen sie in die Wirtschaft, bestellten ein Schnitzel Wiener Art zum Essen und ein Kellerbier zum Trinken und gedachten schon bald des Russ‘ nit mehr, und ein frohes Lachen wehte zu den Fenstern hinaus in die milde Abendlufft.
Der Russ‘ und die Jagd
Ein rechter Jägersmann, der sein Wild liebte wie es ihn, das war der Russ‘. Auf seinen Lockruf eilte es herbei, und sein scharfes Kennerauge hatte stets das Stück unter dem Wildstand entdeckt, das zur Zucht nit wollt’ taugen. Und wenn dann der lustige Knall seiner Villeroy=&=Boch=Präzisionsbüxe die Tiefen des Frankenwaldes durchschallte, hatte die nie fehlende Kugel den Hirsch sicher auf das Blatt getroffen, und der letzte ersterbende Blick schien noch dankbar seinen Jäger zu treffen für diesen Schuß, durch den es ohne Qual durft‘ enden. Nun kam es, daß der Russ‘ fühlte, seine Wallfahrt hie auf Erden würde alsobald beendet sein, daher er sich mitten im Frankenwald eine knorke Grabeshalle ließ aufführen. Als sein End‘ nit mehr fern war, sein Nachfolger bestimmt ward und er die lustige Exaktheitsbüxe nit mehr konnt‘ führen, verließ er noch manchmal sein Schloß, um nach denen Hirschen zu sehen, damit sein Jägersinn sich ihres Anblickes möge erfreuen und auch wohl, um Abschied von ihnen zu nehmen. Nach der feierlichen Bestattung, da war es den weinichten Wachtmännern plötzlich, als ob das Innere des Trauerstudios sich verfinsterte, und als sie zur Türe sahen, erschraken sie. Denn dorten stund ein mächtiger Hirsch. Das weit geöffnete Augenpaar hatte der Achtundsechzig=Ender gerichtet auf die Gruft, und seine feuchten, treuen Augen schienen besorgt zu fragen: »Was wird nun aus uns?« Nach einer Weile wandte das königliche Tier sich langsam wie betrübt ab und trabte gemessen den Tiefen des Reviers zu. Da ging es wie ein Rauschen durch das Gezweig, als ob die Kreatur flüsterte und seufzte, und man hörte ein Klingen und Bimmeln ringsumher, das schwoll an zu einem bömmernden Klagegeläute. Das waren die fernen Kirchenglocken zu Wildschweinfurt oder Hirschaid oder Rehau, die von dem erfolgten Heimgang des Russ‘ die Trauerkunde in sein Land und über Wipffel und durch das Dickicht auch in die Stille der Waldeinsamkeit trugen.
Die verschlissene Joppe
Es lebte einst zu Eggolsheim ein Dorfschullehrer namens Friedrich Rumpel. Der war im ganzen Landkreise bekannt für seine viel zu enge Joppe, die aus nichts denn Flicken bestand. Die Schüler aber haßten ihn sehr, weil er bei jeder Gelegenheit vom Russ‘ erzählte und davon, wie er, der Rumpel, als Bub einer Brandschatzung entgangen war. Er hatte nämlich dem HErrgott geschworen, die Joppe nimmermehr zu wechseln, sollte er, der Rumpel, verschont bleiben. Drei dreisten Knaben aus der Oberprima – Karl Höllriegl, Christian Fellzauser und August Hotz geheißen – wurde es schließlich zu dumm, und sie beschlossen, dem Lehrmeisterlein selbst eine Lehr‘ zu erteilen. Also schlichen sie sich des Nachts in Rumpels Kammer, entwendeten die Joppe und verbrannten sie mitsamt mehrerer alter Schulhefte. Hei, wie da die Flammen tanzten!
Am nächsten Morgen allerdings rieben die Brandstifter sich mehr denn einmal die Augen: Stand doch ihr Lehrer in der nämlichen verschlissenen und viel zu engen Joppe vor ihnen und erzählte vom Russ‘ und davon, wie er, der Rumpel, einst seinen heiligen Eid geleistet. Was der Hotz, der Höllriegl und der Fellzauser nit wußten, war, daß ihr schlauer Lehrer ein gutes Dutzend dieser Joppen besaß, ward er doch alle paar Jahre gefoppt von Knaben wie ihnen. Die Übeltäter jedoch glaubten an ein Wunder, gehorchten ihrem Lehrmeister fortan ohne Widerspruch, und einer von ihnen, der Hotz, wäre fast zum Papst gekrönt worden, hätte ein versprengter Trupp‘ des Russ ihn nit aufgegriffen und des Hotzens Haut zum Stoff für eine Joppe genommen. Dies aber ist die Gerechtigkeit unseres HErrn, welchselber weder im Land- noch auf dem Erdenkreise etwas entgeht!
Die Region reagiert
Das Regionalstudio Unterfranken hat für die bevorstehenden Plünderungszüge des Russ‘ erstmalig eine Servicewelle eingerichtet. In Zusammenarbeit mit dem ADAC und der Raiffeisenbank werden stündlich aktuelle Plünderungsmeldungen durchgegeben. Regionen, wo der Russ‘ gerade am Wirken ist, sollen bitte weiträumig umfahren werden. Im Studio ist ein Bürgertelephon geschaltet, Gelbe Engel des ADAC sind als Plünderungsberater vor Ort. Außerdem bietet die Raiffeisenbank völlig unbürokratisch zinsgünstige Wiederaufbaudarlehen an. Die Servicewelle – eine gemeinsame Initiative von Raiffeisenbank, ADAC und Bayerischem Rundfunk.
Quo vadis, Weltgemeinschaft?
Eines Tages ward es dem UN-Sicherheitsrat zu bunt, und er verbot sowohl dem Russ‘ alswie den Franken jedwede Feindseligkeit untereinander. Da verbündeten sich der raufflustige Russ‘ und die forschen Franken, und gemeinsam fielen sie über den schoflen Schweden her.
The free excerpt has ended.