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Satan und Ischariot III

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Zweites Kapitel: Im Todesthale

Es fiel uns nicht ein, irgend einem Menschen zu melden, daß wir abzureisen beabsichtigten. Zur gegebenen Zeit – es war gerade finster geworden – saßen wir im Waggon und rollten auf der rechten Seite des Missisippi und dann des Red River Shreveport entgegen, welches wir mit Tagesanbruch erreichten. Dort gab es Anschluß von Jackson und Vicksburg über Monroe herüber, und nach unserer Berechnung mußte die Jüdin mit diesem Zuge kommen.

Wir saßen im Restaurationswagen und waren darauf gespannt, ob sie in den Zug steigen werde. Da sie mich und Winnetou kannte, setzten wir uns so, daß sie uns, wenn sie den Wagen betrat, nicht gleich sehen konnte. Emery aber brauchte sich nicht zu verbergen. Er ging, als der Zug sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, die andern Wagen durch und meldete, als er zurückkehrte, in ganz zufriedenem Tone:

»Sie ist da, sitzt in dem vorletzten Wagen.«

»Irrst du dich nicht?«

»Kann mich nicht irren. Schönes Frauenzimmer mit dem Typus von Israel; daneben eine Indianerin; Gepäck ein kleiner Koffer und eine Tasche; dabei einfacher Hut und grauer Mantel, wie du gesagt hast. Was thun wir mit Ihr?«

»Fahren lassen.«

»Well! Aber es wäre doch besser, wenn wir sie zurückhalten könnten!«

»Nein. Mit dem Weibe haben wir doch eigentlich nichts zu schaffen; wir wollen nicht sie, sondern die Meltons haben.«

»Die will sie doch warnen!«

»Das kann sie nicht, denn wir kommen ihr zuvor. Es versteht sich doch von selbst, daß wir Albuquerque viel eher erreichen, als sie.«

»Sollte man denken. Doch weiß man vorher nie, was geschehen kann. Halten wir sie lieber zurück!«

»Wie wolltest du sie denn zurückhalten?«

»Durch einen Sheriff.«

»Der würde uns mit behalten müssen und damit wäre gar nichts gebessert. Es ist klar, daß sie von Gainesville aus hinauf nach Neumexiko will. Sie hat sicher keine Ahnung, wie kühn, ja wie verwegen dies Unternehmen ist. Man möchte meinen, daß sie unterwegs zu Grunde gehen muß. Wir aber kennen uns aus. Wir werden in Gainesville uns Pferde kaufen und einen Ritt hinauf in die Berge machen.«

»Aber vielleicht haben wir uns mit den Komantschen oder Kioways herumzuschlagen!«

»Schadet nichts. Das verkürzt die Zeit.«

Da wies Winnetou mich zurecht:

»Mein Bruder mag das nicht sagen! Die Komantschen kommen oft nach Norden bis zur Straße nach Santa Fé. Winnetou aber fürchtet sie nicht, obgleich sie seine Todfeinde sind; aber wenn wir so schnell nach Albuquerque wollen, haben wir keine Zeit, uns mit ihnen herumzuschlagen.«

Ich schwieg, denn er hatte die Wahrheit gesagt. Später ging Emery wiederholt nach dem vorletzten Wagen. Er fand die Jüdin immer schlafend. Sie schien die letzte Nacht im Fahren durchwacht zu haben.

In Dallas mußte umgestiegen werden. Das war eine schwierige Sache, da wir uns vor Judith nicht sehen lassen wollten. Sie hätte leicht auf den Gedanken kommen können, uns auf der Strecke nach Sherman zu entweichen. Es gelang uns, unbemerkt zu bleiben, auch später, als wir in Denton noch einmal umsteigen mußten. Von da an war der Bahnkörper noch neu; es wurde langsam und vorsichtig gefahren, und so kamen wir erst, als es fast dunkel war, nach Gainesville, dem Endpunkte der Bahn.

Wir warteten, bis die Jüdin mit ihrer Zofe ausgestiegen war, und verließen dann auch den Wagen. Sie hatte uns bis jetzt noch nicht gesehen. Gainesville war damals ein trauriger Ort. Die Gebäude waren nicht Häuser, sondern Hütten zu nennen. Auf der Station gab es keine Unterkunft, und der Ort hatte nur zwei sogenannte Hotels, aber sie wurden eben auch nur so genannt; eine deutsche Dorfkneipe mußte dagegen ein Paradies genannt werden. Wir sahen unsern Flüchtling in dem besser aussehenden Hotel verschwinden. Das bessere Aussehen hatte seinen Grund freilich nur darin, daß es um ein Fenster breiter war als das andere Hotel; es hatte deren drei. Wir gingen auch hinein.

Im Innern war es so dunkel, daß wir nichts sahen. Es brannte kein Licht; draußen herrschte bereits tiefe Dämmerung, und ihr verschwindender Schein vermochte nicht, durch den Schmutz der winzigen Fensterscheiben zu dringen.

Von der Seite her vernahmen wir Stimmen; das mochte in der Küche sein, und dort schien auch ein Licht, wenn auch nur ein kleines Talglicht. Eine Männerstimme sagte:

»All right! Ist alles schon vorgesehen. Werde gleich Licht nach dem Salon bringen.«

Leichte Schritte kamen von dorther und wurden in unserer Nähe still. Hatte die Jüdin mit dem Wirte gesprochen? War das der Fall, so saß sie jetzt wieder in der Stube, welche von dem Wirte Salon genannt worden war. Wir tasteten uns vorwärts und kamen an eine Tafel, an welcher eine Bank stand. Beide, Tafel und Bank, waren, das fühlten wir, aus roh gehobelten Brettern zusammengezimmert. Wir setzten uns nieder.

Da kam der Wirt und brachte eine Lampe, welche er auf die Tafel stellte. Sie beleuchtete uns.

»Halloh, da sind ja noch andere Gäste!« rief er aus. »Willkommen, Gentlemen! Werdet ihr heut hier im Hotel bleiben? Delikates Essen, gute Betten und sehr niedrige Preise.«

»Werden sehen,« antwortete Emery. »Habt Ihr Bier?

»Und was für welches! Echt englisches Porter.«

»So gebt drei Flaschen! Schmeckt uns dieser Göttertrank aber nicht, so trinkt Ihr ihn selber.«

»Sollte mir lieb sein; werde aber nicht zu diesem Genusse kommen.«

Inzwischen hatte ich einen andern Genuß, der viel größer war als der seines jedenfalls schlechten Gerstenabsudes. Als er das Licht brachte, sah ich, daß an der Tafel nicht nur die Bank stand, welche wir eingenommen hatten, sondern es befand sich auf der andern Seite eine zweite, und auf dieser saß – Judith mit ihrer Indianerin!

Welche Gesichter die beiden machten, als sie mich sahen! Kein Maler hätte die Verblüffung so zu treffen gewußt, wie ich sie in solcher Vollendung in meinem Leben hier zum erstenmal sah. Als der Wirt sich jetzt entfernte, stand ich auf, verbeugte mich und sagte:

»Mrs. Silverhill, Sie sehen, unser gestriges Zusammentreffen hat mich so für Sie begeistert, daß ich mich nicht von Ihnen zu trennen vermag. Old Shatterhand hat Ihre Spur gefunden, obgleich Sie die Billets durch eine fremde Person kaufen ließen.«

»Sie – Sie hier in Gainesville!« sagte sie stammelnd.

»Vermuteten Sie, daß ich jetzt noch in Ihrem Boudoir zu suchen sei? Vielleicht wäre ich trotz aller Ihrer Schönheit in New Orleans geblieben; aber Sie hatten bei Ihrer eiligen Abreise etwas vergessen, was Sie so notwendig brauchen, daß ich mich sofort auf die Bahn setzte, um es Ihnen nachzubringen. Hier ist es, Sennora.«

Ich zog den Zettel mit dem Eheversprechen aus der Tasche, faltete ihn auseinander und hielt ihn in das Licht der Lampe. Sie las die Zeilen, riß ihn mir aus der Hand und rief.

»Der gehört mir! Wenn ich nur den Schein habe! Nun mag alles verloren sein, was ich nicht mitnehmen konnte!«

»Ja, behalten Sie ihn, Sennora. Sie können einen der größten Betrüger damit zwingen, ehrlich gegen Sie zu sein, bevor ihn der Hangman[1] an den Galgen knüpft.«

Da zischte sie mir wütend zu:

»Schweigen Sie, Sie größter aller Verleumder! Sennor Hunter ist ein ehrlicher Mann, tausendmal ehrlicher, als Sie sind. Ich habe mit Ihnen nichts zu schaffen; er aber wird sich an Ihnen rächen; darauf verlassen Sie sich!«

Und sich an den Wirt wendend, fuhr sie fort:

»Sennor, haben Sie für eine Dame, die unmöglich bei solchen Leuten bleiben kann, ein abgelegenes und verschließbares Zimmer für bis morgen früh, wo ich weiter reise?«

»Fragen Sie doch nicht erst, Ma‘am!« antwortete er. »Ich habe ein Zimmer, in welchem eine Prinzessin sich wie im Himmel fühlen würde.«

»So bringen Sie mich und meine Kammerzofe sofort hin!«

Er nahm uns die Lampe weg und führte die beiden Frauenzimmer fort. Das Haus war in zwei Räume geteilt, einen größeren, in dem wir saßen, und einen kleineren, der die Küche und den Aufenthalt des Wirtes bildete. Beide Räume hatten eine Bretterdecke. Die Decke der Küche hatte ein viereckiges Loch; dort legte der Wirt eine Leiter an und kletterte mit der Lampe hinauf. Judith und die Indianerin mußten ihm folgen. Wir blieben im Finstern, bis er nach fast einer Viertelstunde wieder herunter kam und uns ein Talglicht hinsetzte.

»Entschuldigt, Mesch‘schurs!« sagte er. »Ich habe heute nur eine Lampe. Die drei großen Kronleuchter, welche ich in Little Rock bestellt habe, kommen leider erst übermorgen an. Wünscht Ihr auch zu essen?«

»Ja,« antwortete Emery. »Was giebt es?«

»Einen feinen Lendenbraten und dazu einen Eierkuchen.«

»Wer ist der Koch?«

»Ich selbst. Meine Frau kommt erst übermorgen, und die vier Kellner, welche ich mir verschrieben habe, sollten schon gestern hier sein, werden sich aber verspätet haben, weil der Schneider ihre Fracks nicht zur rechten Zeit fertig gebracht hat.«

»Dann ist es ein wahres Glück,« fiel ich ein, »daß wenigstens Ihr selbst schon hier eingetroffen seid! Ihr habt mit der Dame da oben gesprochen. Hat sie Euch gesagt, wohin sie will?«

»Nein.«

»Oder wann sie fort will?«

»Auch nicht. Aber Ihr habt vorhin gehört, daß sie ihr Boudoir nur bis morgen früh behalten will.«

»Können wir hier übernachten?«

»Natürlich! Ihr sollt wie die Götter schlafen.«

»Wo?«

»Hier im Salon. Ihr werdet Betten zum Entzücken haben.«

»Schön! Kann man hier in diesem gesegneten Gainesville Pferde zum Kaufe bekommen?«

»Das versteht sich, Sir! Es giebt im ganzen Westen keine solchen Pferde wie hier bei uns. Echt arabisches, persisches und englisches Vollblut! Und Preise, Preise sage ich Euch, die der Rede gar nicht wert sind. Ich bin der berühmteste Pferdezüchter weit und breit.«

 

»Vielleicht auch Sättel?«

»Von allen Sorten, vom berühmtesten Sattler in St. Louis direkt und fast ganz neu bezogen.«

»So wünsche ich nur, daß die Pferde und Sättel besser sind als der echt englische Porter, den Ihr vorhin ebensosehr gelobt habt wie jetzt sie. Was für Ausgänge hat das Boudoir, in dem sich die beiden Damen befinden?«

»Nur den einen, wo sie vorhin hinaufgestiegen sind. Doch verzeiht! Ich muß mich jetzt beeilen, euer Abendessen zu bereiten.«

Dieser »Hotelier« war ein so geriebener Kerl, wie mir kaum schon einer vorgekommen war. Sein Porter war ein selbst zusammengepantschtes Small-beer[2]; dann bekamen wir die ungenießbaren Sehnen von Rinderfüßen als Lendenbraten, und der famose Eierkuchen war nichts anderes, als ein Mehl schlechtester Güte dick in warmem Wasser eingerührt. Die Betten bestanden aus Hobelspänen, und für diese fürstlichen Genüsse hatten wir drei Dollars pro Mann zu bezahlen. Der einzige Trost dabei war, daß die »Prinzessinnen« über der Küche wohl in denselben Genüssen schwelgen mußten, wie wir.

In Bezug auf diese beiden Personen trauten wir dem Manne nicht recht; da wir aber nicht wußten, in welche Richtung wir unser Mißtrauen wenden sollten, so legten wir uns schlafen, doch mit dem Vorsatze, morgen mit dem frühesten aufzustehen.

Mitten in der Nacht weckte mich Winnetou.

»Mein Bruder mag horchen!« sagte er.

Ich lauschte. Von draußen hörte man, aber fern von dem Hause, ein leises Geräusch, wie das Rollen eines Wagens; dann war es wieder still, und nichts ließ sich mehr vernehmen. Wir schliefen also wieder ein, indem wir das Bewußtsein hegten, daß die Jüdin, wenn sie wirklich nur mit Hilfe der Leiter aus ihrem »Boudoir« entweichen konnte, sich gewiß nicht entfernen konnte, ohne von uns gehört zu werden. Wir drei, besonders aber Winnetou, pflegten beim leisesten Geräusch aufzuwachen.

Der Tag graute, als wir aufstanden. Da es an der Thür kein Schloß, sondern nur einen hölzernen Riegel gab, konnten wir aus dem Hause treten, ohne den Wirt zu wecken, welcher, wie wir sahen, noch schlafend in der Küche lag. Wir bemerkten sofort, daß die Leiter dort fehlte, und als wir um die Ecke des Hauses bogen, sahen wir sie dort an der Wand lehnen. Sie reichte bis an einen offen stehenden Laden in dem obern Raume, welchen der Wirt Boudoir genannt hatte. Und nun bemerkten wir auch, daß sich dort eine Thür befand, welche aus der Küche in das Freie führte. Der Wirt wurde natürlich sofort geweckt.

»Wo sind die Damen, die oben schliefen?« fragte ich ihn.

»Fort,« antwortete er, indem sich sein Gesicht in ein schadenfrohes Grinsen zog. »Ich habe sie hinausgelassen.«

»Und heimlich, damit wir es nicht bemerken sollten!«

»Allerdings, Mesch‘schurs. Ich gönne meinen werten Gästen gern den Schlaf. Darum habe ich die Küchenthür so leise nach außen geöffnet und die Leiter so leise hinausgeschafft und draußen angelehnt, daß ihr es selbst dann nicht gehört hättet, wenn ihr wach gewesen wäret. Und ebenso leise sind die Damen dann auch durch den Laden herabgestiegen.«

Er sagte das mit einem so merkwürdigen Hohne, daß ich ihn am liebsten hätte ohrfeigen mögen. Ich fragte weiter:

»Ihr wißt nicht, wohin sie sind?«

»Nein.«

»Und doch habt Ihr sie im Wagen fortgeschafft!«

»Im Wagen?« meinte er erstaunt. »Woher wißt Ihr das?«

Ich dachte an die Worte, welche Judith zu dem Händler gesagt hatte: »Mr. Hunter hat dafür gesorgt, daß ich schnell zu ihm kommen kann.« Sollte er ihr beim Abschiede gesagt haben, er wolle hier einen Wagen für sie bereithalten lassen? Ich antwortete:

»Ich weiß, daß hier bei Euch ein Wagen für eine Mrs. Silverhill gestanden hat!«

»Wenn Ihr es so gewiß wißt, warum soll ich es da leugnen! Er stand drüben an der Station im Schuppen. Ich habe ihn aus Little Rock besorgen müssen und ein Heidengeld dafür bezahlt, obwohl es nur eine alte, ausgediente Ueberlandkutsche war.«

»Nach welcher Richtung ist die Kutsche fort?«

»Das kümmert Euch nicht.«

»Well, ganz wie Ihr wollt, Sir! Nun zeigt uns doch einmal die Pferde, die Ihr uns verkaufen wollt!«

»Ich verkaufe sie nicht. Ich will Euch offen sagen, daß Mrs. Silverhill, die eine sehr feine Dame ist, mich dafür bezahlt hat, daß ich Euch kein Pferd ablasse.«

»So wird es andere Leute geben, bei denen wir welche bekommen.«

»Hier in Gainesville? Da irrt Ihr Euch. Es giebt keinen Pferdehuf hier im Orte, der nicht mir gehört. Schöne Pferde sind‘s; das muß man sagen. Soll ich sie Euch mal zeigen? Sie stehen da draußen in der Fenz.«

Er sagte das wieder in seinem so niederträchtig schadenfrohen Tone und deutete dabei mit der Hand über die Station hinüber. Ich verstand den Blick, welchen mir Winnetou zuwarf, und antwortete:

»Ansehen kann man sie sich einmal. Zeigt sie uns also!«

Wir hatten alles, was uns gehörte, bei uns und folgten ihm ins Freie, wo, vielleicht zehn Minuten vom Orte entfernt, eine Fenz errichtet war, in welcher sich zwölf Pferde befanden. Es waren einige dabei, welche uns gefielen. Der Mann blieb aber bei seiner Weigerung. Da sagte ich:

»Sir, hat Mrs. Silverhill Euch unsere Namen genannt?«

»Nein.«

»So will ich sie Euch sagen. Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apatschen; ich bin Old Shatterhand, von dem Ihr wohl schon gehört habt, und der Dritte von uns ist auch ein Mann, der nicht mit sich spaßen läßt. Ihr verkauft Pferde, und wir brauchen augenblicklich welche; Ihr wollt uns nur aus reiner Schikane keine ablassen. Nun hört, was ich Euch sage; es ist unsere feste Absicht, die wir unbedingt ausführen werden: Wir kaufen Euch dort die zwei Braunen und hier den Schwarzen ab und zahlen Euch für das Stück sofort fünfundachtzig Dollars. Dazu gebt Ihr uns drei alte Sättel mit Zügelzeug, das Stück zu fünfzehn Dollars, macht Summa Summarum dreihundert Dollars. Wollt Ihr nicht, so gehen wir fort. Was darauf geschieht, ist auch einmal jetzt unsere Sache und nicht die Eurige!«

»Wie? Ist‘s wahr, ist‘s wahr? Ihr seid Winnetou und Old Shatterhand?« rief er aus. »Wenn das ist, welch eine Ehre! Wie stolz bin ich darauf, erzählen zu können, daß ich solche Männer in meinem Salon bewirtet habe! Ja, jetzt gehen mir die Augen auf, Mesch‘schurs. Das ist Winnetou, der Häuptling mit der Silberbüchse. Und Ihr habt zwei Gewehre, ein schweres und ein leichtes. Das ist der Bärentöter und der famose Henrystutzen. Mesch‘schurs, ihr sollt die Pferde mit den Sätteln haben. Nehmt sie; nehmt sie hin! Und nun will ich euch auch sagen, wohin die Frauen gefahren sind. Sie sind nach Henrietta, wo sie neue Pferde nehmen wollen. Dann gehen sie über die Dryfurt des Red River, um die Canadianstraße der Wagenzüge zu gewinnen, welche nach San Pedro und Albuquerque führt.«

Diese Einwilligung hatte ich nicht erwartet; ich war vielmehr auf eine erneute Weigerung gefaßt gewesen. In dem Falle hätten wir uns augenblicklich auf die drei von mir bezeichneten Pferde gesetzt, ihm für jedes fünfzig Dollars hingeworfen und wären ohne Sattel- und Zaumzeug davongeritten. So aber war es doch viel besser.

Er bat uns, mit ihm ins »Hotel« zurückzukehren, wo wir die Sättel auswählten und sie und die Pferde bezahlten. Während das erstere geschah, war er für einige Augenblicke fortgegangen; aus welchem Grunde, das sahen wir sehr bald darauf, denn kaum war er zurückgekehrt, so füllte sich der »Salon« mit sämtlichen Bewohnern des Ortes; sie kamen, groß und klein, alt und jung, um uns – nicht anzusehen, sondern förmlich anzustaunen, und wir konnten uns dies ruhig gefallen lassen, da sie uns dabei nicht im geringsten belästigten. Keiner wagte es, uns auch nur anzureden; der Wirt aber machte ein gutes Geschäft dabei, denn während der Stunde, welche wir noch blieben, wurde so viel getrunken, daß das Gesicht des Wirtes sich zu einem immer befriedigteren Schmunzeln verzog. Dies war wohl auch der Grund, daß er uns schließlich bat, einen Vorrat von Proviant als Zugabe von ihm anzunehmen. Wir weigerten uns natürlich nicht, das zu thun, und dabei zeigte es sich, daß er viel besseres Mehl und Fleisch besaß, als er gestern zu unserm Abendessen verwendet hatte. Er schenkte uns sogar eine kleine Pfanne und drei Becher, welche Gegenstände wir unterwegs bei der Zubereitung der Speisen recht gut gebrauchen konnten.

Nachdem wir uns auf diese Weise ausgerüstet hatten, ritten wir fort und schlugen selbstverständlich die Richtung nach Henrietta ein, weil die Jüdin den Weg dorthin genommen hatte. Dort angekommen, erfuhren wir, daß sie volle acht Stunden vor uns dagewesen war und nicht nur Wagen sondern auch Reservepferde bekommen hatte. Sie war natürlich überzeugt gewesen, daß wir ihr folgen würden, und hatte, wie es schien, die Anweisung erteilt, uns keine Auskunft zu geben.

Höchst wahrscheinlich hatte sie die Anweisung durch ein Trinkgeld unterstützt. Sie mußte überhaupt eine nicht unbedeutende Summe bei sich haben, da sie soviel Pferde erlangt hatte. Die Auskunft wurde uns allerdings auch verweigert; als jedoch Emery einen kleinen Pferdeboy heimlich zur Seite nahm und ihm zwei Dollars in die Hand drückte, öffnete er dem jungen den Mund und dieser teilte dem Englishman nicht nur die Zeit der Ankunft und Abfahrt der Jüdin mit, sondern verriet ihm auch, daß vor einiger Zeit ein Gentleman dagewesen sei, welcher für das schnelle Fortkommen der Dame gesorgt habe. Er beschrieb den Gentleman so genau, daß wir in demselben Jonathan Melton erkannten.

Es war leicht anzunehmen, daß Jonathan mit Judith die einzuschlagende Route verabredet und ihr dieselbe während seiner Voranreise möglichst erleichtert hatte. Geld dazu führte er ja mehr als genug bei sich.

Sie wollte also hinüber nach der San Pedro-Straße und hatte dazu allen Grund, weil es nur dort für sie Gelegenheit gab, ihre ermüdeten Pferde gegen frische umzutauschen. Da wir wußten, daß sie nach Albuquerque wollte, so hielt ich es nicht für nötig, uns auf ihrer Spur zu halten. Sie mußte, weil sie zu Wagen war und zuweilen die Pferde zu wechseln hatte, einen Umweg machen, während wir denselben abschneiden konnten. Thaten wir dies, so erreichten wir Albuquerque wahrscheinlich früher als sie und konnten nicht nur sie dort erwarten, sondern auch nach den Meltons ausschauen. Freilich ging der Weg, den wir da einzuschlagen hatten, über den nördlichen Teil des Llano estacado, welcher dort eine saharaähnliche Hochebene bildet, sodaß wir uns auf einen schlimmen Ritt und nicht geringe Entbehrungen gefaßt machen mußten; dennoch aber beantragte ich, diese Richtung einzuschlagen. Emery hatte keine Lust. Er brachte einige Gründe dagegen vor, welche ich freilich nicht als stichhaltig anerkennen konnte. Dennoch stimmte Winnetou ihm bei, indem er zu mir sagte:

»Mein Bruder kennt die Hochebene ebenso genau, wie ich. Wir müßten vielleicht mehrere Tagesritte machen, ohne Wasser zu finden; würden unsere Pferde das aushalten?«

»Wir finden doch wohl Wasser, weil jetzt nicht die trockene Jahreszeit ist,« antwortete ich.

»Auf der Hochebene nicht, denn da trocknet der Wind schnell jede Lache und Pfütze aus.«

»So treffen wir auf Kaktusfelder, deren wässerige Früchte unsere Pferde fressen können; dann wird ihr Durst gestillt.«

»Mein Bruder hat recht; diese Früchte enthalten viel Wasser; ich dachte nicht an sie. Aber es giebt noch andere Bedenken dagegen, daß wir gerade nach Albuquerque reiten. Weiß Old Shatterhand gewiß, daß Jonathan Melton sich dort befindet oder dorthin kommen wird?«

»Ja. Natürlich nehme ich dabei an, daß die Jüdin mir die Wahrheit gesagt hat.«

»Sie hat sie gesagt. Aber kann Melton nicht unterwegs aufgehalten worden sein?«

»Die Möglichkeit ist freilich vorhanden.«

»Dann stößt Judith zu ihm. Sie sagt ihm, daß wir hinter ihr her sind und daß sie dir mitgeteilt habe, daß er nach Albuquerque wolle. Dann wird er sich hüten, nach diesem Orte zu reiten.«

»Das kann aber doch nur in dem Falle geschehen, daß er durch irgend einen Zufall unterwegs aufgehalten wird!«

»Nein. Er kann auch ganz von selbst auf den Gedanken kommen, anzuhalten und auf sie zu warten.«

»Das wäre eine Zeitversäumnis!«

»Gewiß nicht. Es ist doch ganz gleich, ob er unterwegs oder in Albuquerque auf sie wartet. Ja, in Albuquerque kann er weit eher entdeckt und entlarvt werden, als in der Einsamkeit, in welcher ihn niemand sieht.«

»Hm! Ich kann freilich nichts dagegen sagen; aber es ist ein Gefühl in mir, welches mich direkt nach Albuquerque treibt.«

 

»Ich weiß, daß mein Bruder zuweilen solche unbestimmte Gefühle hat, die ihn selten täuschen; aber in diesem Falle bitte ich ihn, nicht auf eine solche Ahnung, sondern auf die Stimme der Berechnung zu hören.«

»Wenn Winnetou dies thut, so weigere ich mich nicht länger, ihm zu folgen. Reiten wir also der Jüdin nach!«

Wir kauften in Henrietta noch einige Gegenstände, welche dazu dienten, unsere Ausrüstung zu vervollständigen, und verließen den Ort, indem wir zunächst eine westliche Richtung einhielten, bis wir des Abends einen Nebenfluß des Red River erreichten, über welchen wir am andern Morgen setzten. Von da ging es nach Norden, auf den South Fork of Red River zu. An diesem langten wir am nächsten Mittag an.

Hier war die Dryfurt, von welcher wir gehört hatten. Die Furt hat den Namen erhalten, weil hier der Fluß so breit und seicht ist, daß ein Reiter, falls nicht Ueberschwemmung ist, hinüberkommen kann, ohne einen einzigen Tropfen Wasser an seinen Körper zu bekommen.

Wir hatten bisher immer genügende Weide für die Pferde gehabt und sahen auch die Spur des Wagens, welchem wir folgten. Jetzt aber wendete sich letztere so nach Nordwest, daß der nördliche Arm des Flusses und die Quelle desselben östlich liegen blieb, und wir mußten uns darauf gefaßt machen, eine Zeitlang kein Futter für unsere Pferde und kein Wasser für sie und uns zu finden. Es verstand sich daher ganz von selbst, daß wir uns satt tranken und auch die Tiere tüchtig trinken ließen. Dann ging es weiter.

Viel vorteilhafter wäre der Weg über den Camp Radzimsky und Fort Elliot gewesen; aber Jonathan Melton hatte aus naheliegenden Gründen bewohnte Orte vermieden. Je weniger er auf seiner Flucht gesehen wurde, desto besser war es für ihn.

Ich habe schon gesagt, daß die Jüdin einen Vorsprung von acht Stunden vor uns gehabt hatte, und leider war es uns bisher nicht gelungen, denselben zu verringern; es schien vielmehr, als ob er bedeutend größer geworden sei. Sie hatte zwar den schweren Wagen, genoß dafür aber den Vorteil, daß sie ihre Pferde wechseln konnte, was bei uns nicht der Fall war.

Das Grün, welches wir zwischen den Nebenflüssen des Red River gefunden hatten, verschwand; die Prairie ward zur Wüste, und zwar zur Sandwüste, durch welche wir einen ganzen Tag lang ritten, ohne einen Grashalm zu erblicken.

Am andern Morgen verwandelte sich der Sand in festen Stein, der eine solche Härte besaß, daß die Spur, welcher wir folgten, beim besten Willen und trotz allen Scharfsinns nicht mehr zu erkennen war, zumal wir jetzt annehmen mußten, daß die alte Ueberlandpostkutsche nun einen Vorsprung von einem Tage besaß. Glücklicherweise kamen wir, als wir kreuz und quer nach der Spur suchten, an eine große Lache, deren Wasser uns sehr willkommen war, obgleich es eine nicht sehr appetitliche Farbe hatte. Wir tranken, indem wir unsere Taschentücher als Seiher vor den Mund hielten, und ließen dann auch die Pferde schlürfen, bis kein Wasser mehr, sondern nur noch Schlamm vorhanden war.

Wir fanden die verlorene Spur erst dann wieder, als der Boden abermals sandig wurde, doch hatten wir mit dem Suchen einen zweiten Tag verloren. Die Fährte war also nun zwei Tage alt und infolgedessen nur stellenweise zu erkennen.

»Dumme Geschichte!« meinte Emery. »Wenn das so fortgeht, holen wir das Weibsbild im ganzen Leben nicht ein!«

»Wenigstens bis Albuquerque nicht«, antwortete ich.

»So hast du doch recht gehabt, daß es besser sei, der Spur nicht zu folgen, sondern lieber gleich direkt nach Albuquerque zu reiten.«

»Diese Einsicht kommt leider nun zu spät. Wir können nicht zurückkehren.«

»Und wenn dies möglich wäre, würde Winnetou es nicht thun,« fiel der Apatsche ein. »Es ist ja möglich, daß Jonathan Melton unterwegs angehalten hat, um auf die Jüdin zu warten. In dem Falle holen wir den Wagen sicher ein.«

»Und wo meint mein Bruder, daß er angehalten hat?«

»Da, wo Wasser ist, also oben am Canadianflusse, bis zu welchem wir noch zwei Tagesreisen haben.«

Ich schüttelte den Kopf, denn ich achtete den Scharfsinn und die Erfahrung des Apatschen zu hoch, als daß ich ihm hätte in Gegenwart Emerys scharf widersprechen mögen. Ich war anderer Ansicht gewesen, als er, hatte mich aber der seinigen gefügt, und so wären Nörgeleien oder gar Vorwürfe überflüssig gewesen. Er aber bemerkte mein Kopfschütteln und fragte:

»Ist mein Bruder anderer Meinung, als ich?«

»Ja. Ich meine, daß wir die Jüdin nicht einholen werden.«

»Auch dann nicht, wenn Jonathan Melton auf sie wartet?«

»Auch dann nicht. Er wartet doch nur so lange, bis sie kommt, und geht dann sofort mit ihr weiter.«

»Uff! Vielleicht giebt er ihr Zeit, auszuruhen!«

»Gewiß nicht, denn er wird ja von ihr erfahren, daß wir hinter ihr her sind.«

Da senkte er den Kopf und sagte kleinlaut:

»Mein Bruder hat recht. Wir hätten seiner Stimme und nicht der meinigen folgen sollen. Winnetou ist ein Thor gewesen.«

Es that mir innerlich förmlich wehe, daß dieser Mann sich einen Thor nannte; es sollte ihm später allerdings auch die Rechtfertigung werden, daß wir trotz meiner Behauptung die Kutsche doch noch einholten, leider aber unter ganz andern Umständen, als der Apatsche vorausgesetzt hatte.

Also bis zum Canadian-River hatten wir noch volle zwei Tagereisen, und die waren sehr schlimm. Wir befanden uns auf der schon erwähnten Hochebene; unsere Pferde wateten im tiefen Sande, und die Sonne brannte so heiß auf uns, daß wir uns in einem Backofen denken konnten. Dennoch brachten wir den ersten Tag glücklich zu Ende und wären dann nach kurzer Rast gern weiter geritten, um die Kühle des Abends und der Nacht zu benutzen, aber das konnten wir nicht, da wir in der Dunkelheit die Spur verloren hätten.

Glücklicherweise kamen wir am andern Morgen wieder an eine Lache, welche wir von den Pferden austrinken ließen, und gegen Mittag erreichten wir eine Stelle, welche von stacheligen Kakteen bestanden war. Die runden Früchte derselben enthalten einen wässerigen Saft, welcher zwar nicht sehr wohlschmeckend ist, aber dem Dürstenden doch das Wasser zu ersetzen vermag. Das wissen auch die Tiere.

Wir tranken also so viel solchen Saft, bis unser Durst gelöscht war, und entstachelten auch für die Pferde einen ganzen Haufen von Früchten, welche von ihnen mit Begierde verzehrt wurden. Dann ging es weiter.

Wir rechneten, daß es möglich sei, bis zum Abend irgend ein Nebenflüßchen des Canadian zu erreichen. Da gab es gewiß so viel Wasser und Gras, daß dann alle Entbehrung zu Ende war.

Bald nach Mittag wurde die Luft so schwül, daß man sie kaum zu atmen vermochte, und der Horizont im Süden nahm einen rötlichen Schimmer an. Winnetou blickte sich einigemale nach dieser Richtung um.

»Das sieht fast genau so aus, wie wenn in der Wüste ein Samum zu erwarten ist,« bemerkte Emery.

»Wird auch wohl einer werden!« antwortete ich. »Es ist ein Glück, daß wir uns nicht allzu weit vom Flusse befinden. Mit den Stürmen des Llano estacado ist nicht zu scherzen.«

»Mein Bruder Shatterhand hat recht,« stimmte Winnetou bei. »Wenn der Geist des Llano aus der Tiefe steigt, so stürmt er ergrimmt über die Wüste hin, wirft den Sand bis zum Himmel empor und stürzt, wenn er fruchtbare Gegenden erreicht, ganze Wälder um.«

»Alle Wetter! Und Ihr denkt, daß wir es wirklich mit diesem bösen Geiste zu thun haben?«

»Er kommt. Winnetou weiß es ganz genau. Meine Brüder mögen ihren Pferden die Sporen geben. Wenn wir nicht unter den Wolken und Wogen des Sandes begraben werden wollen, müssen wir uns beeilen, einen Ort zu finden, in welchem uns die Gewalt des Sturmes nicht voll zu treffen vermag.«

Wir ließen also die Pferde laufen, was sie nur laufen konnten. Sie merkten infolge ihres Instinktes selbst, welch eine große Gefahr sich hinter ihnen erhob, und strengten alle ihre Kräfte an, ohne daß wir sie sehr anzutreiben brauchten.

Der rötliche Schein am südlichen Horizonte wurde breiter und breiter; er wuchs am Himmel empor. Oben hell und nach unten immer dunkler werdend, stieg er jetzt bis zum Zenith auf und lief zugleich zu beiden Seiten im Osten und Westen zusehends dem Norden zu. Das sah höchst gefährlich aus und war in Wirklichkeit gefährlich; ich wußte das, denn ich hatte schon einigemale einen solchen Sturm in dem Llano estacado erlebt.

Es waren, seit wir die Gefahr erkannt hatten, nun fast zwei Stunden vergangen; der Sturm mußte sich nach höchstens einer Viertelstunde erheben, und doch konnten die Pferde kaum mehr vorwärts. Sporen und Schläge hätten nichts gefruchtet, da die armen Tiere sich freiwillig so sehr anstrengten, wie sie konnten; wir verschonten sie also mit diesen Qualen und sahen nur sehnsüchtig nach einem Rettungsorte aus.

1Henker.
2Dünnbier.