Old Surehand I

Text
Author:
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Der Alte antwortete:

»Die Würde eines Häuptlings wird am meisten dann gekränkt, wenn er gegen dieselbe handelt. Wir alle glauben, daß Old Shatterhand sein Wort hält; nur du allein bist von dem Gegenteile überzeugt!«

»Weil ich diesen weißen Hund kenne.«

»Wir kennen ihn auch. Auf seiner Zunge hat noch niemals eine Lüge gewohnt.«

»Ja; aber diese Zunge weiß so klug zu sprechen wie keine andre. Er ist das ehrlichste der Bleichgesichter; doch wenn er überlistet werden soll, so ist er auch der listigste aller Füchse, und seine Zunge gleicht dem Morgengrauen, auf welches Sonnenschein, aber auch böses Wetter folgen kann. Er lügt nicht, das ist wahr; was er verspricht, das hält er; aber genau so, wie er es meint, nicht, wie man es wünscht. Die Worte, die er zum Feinde redet, sind wie die Pulverkörner, welche scharf abgewogen werden müssen, bevor man sie in den Lauf des Gewehres schüttet.«

»So meint Vupa-Umugi, daß sein Versprechen, unsern beiden Kriegern nicht nachzuspüren, wohin sie reiten, auch anders ausgelegt werden könne?«

»Nein. Er hat nicht nachspüren wollen und wird also nicht spüren; aber er hätte dieses Versprechen ganz gewiß nicht gegeben, wenn er nicht einen andern Weg wüßte, es zu erfahren.«

»Es giebt keinen andern!«

»Das denkt mein alter Bruder; ich aber denke es nicht, obgleich ich selbst auch keinen weiß. Wie oft hat man von Old Shatterhand erzählt, daß er alles weiß, was er wissen will. Ob er mit dem guten oder mit dem bösen Manitou im Bunde steht, der ihm alles sagt? Ich behaupte, er weiß ganz genau, daß wir hier am Saskuan-kui lagern.«

»Das ist nicht möglich, denn niemand hat es ihm mitgeteilt. Aber selbst wenn er es wüßte, ist das noch kein Grund, anzunehmen, daß er hierher kommen werde.«

»Er will den Gefangenen befreien.«

»Kennt er ihn?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und wenn er ihn kennt, liebt er ihn so, daß er sich in die Gefahr begiebt, für ihn von uns getötet zu werden?«

»Er nimmt sich jedes Bleichgesichtes an!«

»Auch dann, wenn er nur elf Mann gegen hundertfünfzig Krieger zu setzen hat?«

»Er zählt die Feinde nicht, und braucht sie nicht zu zählen, denn er hat eine Zauberflinte, mit welcher er ohne Aufhören schießen kann. Und weiß mein alter Bruder nicht, daß er trotzdem gern den Kampf vermeidet, nicht aus Furcht, sondern weil er nicht gern das Blut eines Menschen vergießt? Dann greift er zur List, und seine Verschlagenheit ist fast noch mehr zu fürchten, als sein Zaubergewehr. Er wird kommen, nicht um mit uns zu kämpfen, sondern um uns den Gefangenen mit List zu entreißen.«

Der Alte wurde nachdenklich. Er wiegte den grauen Kopf ernst und bedächtig hin und her und sagte nach einer Weile:

»Die Worte Vupa-Umugis können meine Gedanken nicht anders machen; aber wenn das Beil des Krieges ausgegraben ist, soll man alles, was sonst nur einmal überlegt wird, zehnmal überlegen und darf nicht das Gute, sondern nur das Böse erwarten. Ich sage, Old Shatterhand kommt nicht; du sagst, er komme. Nehmen wir also an, daß wir ihn zu erwarten haben; um so besser ist es dann, wenn er wegbleibt.«

»Besser? Fürchtet sich mein alter Bruder vor ihm? Ich wünsche sehr, daß er kommt. Wir würden ihn ergreifen und ihm den Marterpfahl errichten, an welchem er mit Old Wabble sterben müßte.«

»Willst du den Wind ergreifen, der dir zwischen den Fingern hindurchweht?«

»Ist Old Shatterhand Luft? Ist er nicht schon mehrmals Gefangener der Comantschen gewesen?«

»Das weiß ich wohl; aber wurde er uns nicht immer wieder aus der Hand geweht?«

»Wenn ich ihn einmal habe, so werde ich ihn festhalten!«

»So mach die Hände auf, wenn er kommt, und sieh zu, wie er dir hineinläuft!«

»Er läuft hinein! Ich weiß sogar die Zeit.«

»Wann?«

»Morgen. Unsre beiden Krieger sind des Nachts von ihm fortgeritten, und er ist gewiß erst am Morgen dort aufgebrochen. Sie haben also einen Vorsprung vor ihm. Da sie heut abend eingetroffen sind, wird er morgen kommen.«

»Hierher?«

»Nein, denn ich werde ihn gar nicht so weit kommen lassen, sondern ihn am Rio Pecos fangen.«

»Kennst du die Stelle, an welcher er dort über das Wasser gehen wird?«

»Ja; es ist die Furt, die er wahrscheinlich kennt. Kennt er sie nicht, so wird er nach einer suchen und sie finden.«

»Old Shatterhand braucht keine Furt; er ist ein unübertrefflicher Schwimmer.«

»Daran denke ich auch. Ich lasse eine lange Strecke des Ufers besetzen; dann kann er mir nicht entgehen. Wäre Nale-Masiuv, schon da mit seinen hundert Kriegern, so könnten wir sie auf eine noch längere Strecke verteilen, er kommt aber erst in drei Tagen.«

In diesem Augenblick erschallte der Ruf »Yakha!« und alles eilte zu den Feuern, an denen gebraten worden war. Auch der Häuptling stand, seiner Würde angemessen, langsam auf und ging fort, um sich das, was er essen wollte, selbst auszusuchen. Das war für mich die beste Gelegenheit, mich zu entfernen. Ich warf noch einen forschenden Blick über den Lagerplatz; kein Mensch sah nach dem Ufer und nach der Stelle, an der ich lag; die Aufmerksamkeit war nur auf das Fleisch gerichtet. Ich schob mich in das tiefere Wasser zurück und schwamm dann schnell fort, mir gar keine Mühe gebend, unentdeckt zu bleiben. An dem Orte, wo ich mich entkleidet hatte, glücklich angekommen, stieg ich an das Land, legte meinen Anzug wieder an und kroch dorthin, wo Old Wabble mich erwartete; den Schilfbusch nahm ich mit.

Meine Annäherung geschah so leise, daß der Alte mich gar nicht hörte und sehr erschrocken zusammenfuhr, als ich ihn berührte. »Alle Donner! Seid Ihr es, Sir, oder ist's ein Roter?« fragte er.

»Ich bin es,« antwortete ich.

»Well! Wäret Ihr es nicht, so würde ich dem Kerl mein Messer in den Leib geben!«

»Das würdet Ihr nicht, Mr. Cutter.«

»Nicht? Warum sollte ich nicht?«

»Weil Ihr nicht könntet, denn Ihr hättet das seinige schon längst in Euerm Leibe.«

»Oho!«

»Jawohl! Was habt Ihr denn für Ohren?«

»Patentohren; th'is clear

»Dann schade um das schöne Patent, denn die Ohren taugen nichts! Ihr lagt so still; es war keine Bewegung rings umher, und doch habt Ihr nichts gehört, als ich kam. Wenn es nun ein Comantsche statt meiner gewesen wäre?«

»So hätte ich ihn gehört, denn es ist ganz unmöglich, daß ein anderer so geräuschlos sein kann wie Ihr. Habt Ihr gute Geschäfte gemacht, Sir?«

»Ich bin zufrieden.«

»Ich auch.«

»Was habt Ihr erlauscht?«

»Scheinbar wenig, eigentlich aber ist es sehr viel. Old Surehand wird nämlich nur von zwei Roten bewacht.«

»Wo?«

»Ah, das möchtet Ihr wohl sehr gern wissen?«

»Natürlich!«

»Ja, das glaube ich wohl. Aber wenn ich nicht wäre, so würdet Ihr es nicht erfahren.«

»Bildet Euch das nicht ein, Mr. Cutter! Ich brauche Euch nicht dazu; ich weiß es ebenso gut wie Ihr.«

»Nun, wo ist er?«

»Drüben auf der Insel.«

»Das habt Ihr schon vorher vermutet; aber es ist eben nur Vermutung.«

»Es ist Gewißheit; ich habe es von dem Häuptling Vupa-Umugi erlauscht.«

»Der sprach davon?«

»Ja.«

»Dieser Esel! Ich gedachte, Euch eine große Freude zu machen, indem ich Euch sagen wollte, daß Eure Vermutung richtig gewesen ist.«

»Grämt Euch nicht darüber, Sir! Was habt Ihr außerdem noch erfahren?«

»Nichts. Ich glaubte, Euch wunder was Wichtiges sagen zu können; da Ihr es aber selbst auch erlauscht habt, ist es grad so gut, als ob ich gar nichts erfahren hätte. Das ist ärgerlich! Wahrscheinlich hätte ich noch mehr gehört, da kamen aber die beiden Comantschen von gestern, und alles lief vom Feuer fort, an welchem ich lag. Ihr habt mehr erlauscht als ich?«

»Ja.«

»Was?«

»Davon später. Hier ist nicht der geeignete Ort zu einer Unterhaltung. Wollen machen, daß wir fortkommen.«

»Wohin?«

»Zunächst hinaus ins Freie, und zwar genau auf demselben Wege, auf dem wir hereingeschlichen sind.«

»Also durch dick und dünn. Und das nennt dieser Old Shatterhand einen Weg!«

Wir mußten bei unserm Rückzuge ebenso vorsichtig sein wie bei unserm Kommen, gelangten aber auch ebenso glücklich aus dem Bereiche der Indianer. Die Sterne schienen jetzt leidlich hell, und als wir die früher erwähnte, vorgeschobene Buschzunge hinter uns hatten, konnten wir uns aufrichten und so sorglos weitergehen, als ob kein einziger Comantsche in der Nähe sei.

»Es scheint, Ihr wollt nach unserm Lagerplatz?« erkundigte sich Old Wabble.

»Wohin sonst?«

»Hm! Ihr werdet mich wahrscheinlich auslachen, aber ich hatte mir im stillen eingebildet, daß wir Old Surehand gleich mitbringen würden.«

»Das ist allerdings eine kühne Einbildung gewesen.«

»Weil die Verhältnisse anders liegen, als ich dachte. Läge der Gefangene nicht auf der Insel, sondern am Ufer, so wäre seine Befreiung ganz wie eins – – zwei – – drei vor sich gegangen.«

»Das verstehe ich nicht.«

»So will ich mich anders ausdrücken: Hinschleichen – –Fesseln zerschneiden – – aufspringen – – fortlaufen – – Indianer hinterher – – wir nach unserm Lagerplatz rennen – – auf die Pferde springen – – weggaloppieren – – fertig!«

»Das klingt ja, als ob so etwas unendlich leicht auszuführen sei. Habt Ihr vielleicht schon irgend einen Gefangenen auf diese Weise befreit?«

»Nein, aber doch Ihr! Ihr habt sogar schon mehrere solche Streiche ausgeführt.«

»Das ist kein Grund, daß es immer so gehen und stets so gelingen muß. Man hat sich nach den Umständen zu richten, welche selten ganz dieselben sind.«

 

»Thut mir leid! Ich will Euch offen und ehrlich gestehen, daß ich gern vor unsre Kameraden, die alle keine richtigen Westmänner sind, mit einer vollendeten Thatsache treten wollte.«

»Das heißt, Ihr wolltet gern ein wenig dicke thun?«

»Nennt es, wie Ihr wollt. Es ist doch wohl keine Schande, mit Euch einen Gefangenen, welcher dem Martertode geweiht ist, mitten aus anderthalbhundert Indianern herauszuholen.«

»Eine Schande nicht!«

»Also! Diese Freude fällt mir nun in den Brunnen.«

»Wieso?«

»Weil nun wahrscheinlich dieser Sam Parker, Jos Hawley und die andern mithelfen sollen.«

»Nicht, was man eigentlich helfen nennt. Sie werden unsre Rückzugslinie bilden; das ist alles.«

»Wirklich?«

»Ja. Befreit wird Old Surehand nur von uns beiden, von Euch und mir.«

»Das ist mir lieb, ungeheuer lieb!«

»Ich setze dabei aber voraus, daß Ihr wirklich ein so guter Schwimmer seid, wie Ihr gesagt habt!«

»Wie ein Fisch, sage ich Euch, wie ein Fisch; th'is clear. Es soll also bei diesem Streiche geschwommen werden?«

»Ja, da wir auf die Insel müssen.«

»Richtig; Kähne giebt es nicht!«

»Ein Kahn oder Boot wäre gar nicht zu brauchen; man würde uns sehen. Also, Ihr getraut Euch, vom jenseitigen Ufer aus quer über den See nach der Insel zu schwimmen, und auch wieder zurück?«

»Welche Frage! Ich sage Euch, ich schwimme von hier nach dem Monde, wenn genug Wasser dazwischen ist!«

»Well! Dann ist die Sache sehr einfach! Wir schwimmen nach der Insel, machen die zwei Wächter unschädlich, befreien Old Surehand von seinen Fesseln und schwimmen mit ihm zurück.«

»Wie – – – was – – – wie – – –?«

Er blieb stehen, faßte mich am Arme und fuhr fort:

»Das geht ja bei Euch so schnell wie das Semmelbacken, Mr. Shatterhand!«

»Bei Euch ging es vorhin ja auch nur so eins – – – zwei – – drei – – – fertig!«

»Ja, das war etwas ganz andres! Ich wollte ihn zu Lande befreien, nicht aber zu Wasser. Hier müssen wir vor allen Dingen wissen: Kann Old Surehand auch schwimmen?«

»Das wißt Ihr doch wohl am besten; Ihr kennt ihn ja!«

»Habe ihn aber noch nicht im Wasser gesehen.«

»So? Ist auch nicht nötig, denn ein Westmann wie Old Surehand ist ganz gewiß ein guter Schwimmer.«

»Aber er ist gefesselt; das giebt Blutstockungen. Wird er seiner Arme und Beine so mächtig sein, daß er sogleich mit uns über den See schwimmen kann?«

»Ich denke es, denn man sagt ja, daß er ein überaus kräftiger Mann sei.«

»Das ist er; ja, das ist er. Also, abgemacht: er kann sofort mit uns schwimmen. Aber die Sterne, die Sterne!«

»Was ist's mit denen?«

»Bemerkt Ihr denn nicht, daß sie immer heller werden?«

»Freilich.«

»Nun, die spiegeln sich mit dem ganzen Himmel im Wasser wieder; das ist schlimm!«

»Ihr wolltet ja soeben noch nach dem Monde schwimmen. Der irritiert Euch wohl nicht so sehr wie die Sterne?«

»Ich glaube gar, Ihr wollt Witze machen! jedenfalls aber wißt Ihr recht gut, was ich meine. Die Sternbilder im Wasser werden uns verraten.«

»Wem?«

»Den Wächtern auf der Insel.«

»Das glaube ich nicht.«

»Doch! Überlegt Euch nur: Das Wasser des Sees mit den Sternen liegt ruhig vor ihnen; bei jeder Bewegung entstehen Wellen, und die Sterne wabbeln hin und her, auf und nieder. Wenn wir angeschwommen kommen, giebt das eine solche Erschütterung und Revolution des ganzen im Wasser strahlenden Firmamentes, daß die Wächter unbedingt aufmerksam auf uns werden müssen.«

»Was schadet das?«

Wir waren weiter gegangen; jetzt blieb er wieder stehen, hielt mich an und fragte:

»Wa – – – wie – – – was? Was das schadet? Und das fragt ein Old Shatterhand? Eine solche Frage könnte mich nur von einem Greenhorn' nicht wundern. Was das schadet! Die Kerls werden natürlich sofort um Hilfe brüllen; dann werfen sich sämtliche Comantschen in das Wasser, und es giebt eine Jagd, bei der wir verloren sind. Wenn wir noch so fein schwimmen, viele Hunde sind doch des Hasen Tod.«

»Sie werden wohl nicht um Hilfe rufen,« antwortete ich, indem ich ihn zum Weitergehen nötigte.

»Natürlich werden sie es! Sie sehen doch, daß zwei Menschen, zwei Weiße, kommen! Und wenn sie wirklich nicht schreien sollten, so schicken sie uns doch gewiß einige Kugeln in die Köpfe!«

»Auch das thun sie nicht!«

»Aber, Sir, ich begreife Euch nicht!«

»Sie werden uns gar nicht sehen.«

»Nicht – – – wie – – – was? Nicht sehen, wenn das ganze Firmament im Wasser krabbelt und wabbelt?«

»Nein, denn wir werden uns maskieren.«

»Maskieren? Das wird ja immer toller! Wie wollen wir uns maskieren? Etwa Ihr als Domino und ich als Harlekin? Ich danke für solchen Karneval!«

»Versteht mich doch richtig, Mr. Cutter! Unter maskieren verstehe ich so viel wie verstecken.«

»Auch gut! Wohin wollt Ihr Euch denn im Wasser stecken?«

»Hinter Schilf.«

»Das giebts auf dem See nicht, sondern nur am Ufer.«

»Wir nehmen welches mit.«

»Unsinn! Kein Roter wird sich dadurch irre machen lassen.«

»Ich kann Euch das Gegenteil beweisen.«

»Wieso?«

»Ich habe vorhin so eine Maskerade getrieben, weil ich meinen Zweck auf keine andre Weise erreichen konnte.«

»Wirklich?«

»Ja.«

Ich erzählte es ihm; als ich fertig war, meinte er:

»Hm, es ist doch nicht ganz so dumm, wie ich dachte! Aber ein einzelner Schilfbusch, das mag gehen, aber zwei? Wir bringen es doch wohl kaum fertig, ganz gleich zu schwimmen; die beiden Büsche würden also bald zusammen, und bald auseinander geraten. Das muß auffallen und Verdacht erwecken.«

»Allerdings; aber wir werden eben nicht zwei Büsche oder Bündel nehmen, sondern uns eine Schilfinsel herstellen, unter der wir stecken.«

»Nicht übel!«

»Erst schwimmen wir schnell, sobald wir aber in Sicht gelangen, kommt unsre Schilfinsel langsam, sehr langsam angetrieben.«

»Aber unsre hellen Körper! Um neben einander schwimmen zu können, brauchen wir wenigstens sieben Ellen Platz; dürfen wir das Schilffloß so groß machen? Die Wächter werden uns sehen, weil unsre Haut hell ist.«

»Wir behalten die Kleider an.«

»Hm!« brummte er.

»Meint Ihr, daß Euch dies das Schwimmen erschweren wird, Mr. Cutter?«

»Gar nicht, ganz und gar nicht! Es fragt sich nur, wenn sonst auch alles glückt, ob die Wächter unser Schilf an ihrer Insel landen lassen werden.«

»Es soll nicht landen.«

»Es soll nicht? Wir also auch nicht? Und doch müssen wir auf die Insel! Gradezu unbegreiflich!«

»Ganz leicht erklärlich! Könnt Ihr tauchen?«

»Wie ein Frosch, sage ich, wie ein Frosch; th'is clear; so tief hinab und hinunter, wie Ihr wollt!«

»Das ist gut, denn das Tauchen gehört dazu. Wenn wir uns der Insel nähern und die Wächter das Schilffloß bemerken, werden sie auf die Seite der Insel gehen, an der es vorüberschwimmen will.«

»Das läßt sich denken; landen werden sie es aber wohl nicht lassen.«

»Nein. Nun kommt die Hauptsache: In dem Augenblicke, an welchem es der Insel am nächsten ist, verlassen wir unsren Schutz, tauchen nieder und schwimmen unter dem Wasser um sie herum, um an der andern Seite wieder aufzutauchen. Während die Wächter dem Schilfe nachblicken, besteigen wir hinter ihrem Rücken die Insel, und ich springe auf sie zu, um sie mit zwei guten Fausthieben unschädlich zu machen.«

»Brillant, Mr. Shatterhand! Und ich?«

»Für Euch ist es das erste, die Fesseln des Gefangenen zu durchschneiden, damit er schnell frei wird, denn es kann, wenn ich es auch nicht für wahrscheinlich halte, doch der Fall eintreten, daß wir gleich wieder fort müssen. Es ist ja möglich, daß ich einen der Kerls nicht richtig treffe und er Zeit gewinnt, um Hilfe zu rufen.«

»Das wäre faul, sehr faul!«

»Ja. Ihr seht wohl ein, daß wir viel zu leisten haben und daß alles gut klappen muß, wenn der Streich gelingen soll. Ich denke also, daß Ihr es mir nicht übel nehmen werdet, wenn ich Euch bitte, Euch noch einmal zu prüfen, ob Ihr das, was ich von Euch verlangen muß, auch wirklich ausführen könnt.«

»Mit Leichtigkeit, Sir, mit größter Leichtigkeit!«

»Bitte, nicht so schnell antworten! Wir dürfen nicht leichtsinnig sein. Ich sage Euch aufrichtig, daß ich es mir nicht leicht vorstelle. Ich kenne mich genau und weiß, daß ich es ausführen kann, wenn nichts dazwischen kommt und -alles so glatt verläuft, wie ich vermute; aber dennoch halte ich die Sache für schwer, hier sogar für sehr schwer.«

»Redet nicht von Leichtsinn, Sir! Habt Ihr diesen Old Wabble hier einmal schwimmen sehen?«

»Nein.«

»Oder gar tauchen?«

»Noch viel weniger.«

»So seid still, und wartet es ruhig ab! Und wenn es vorüber ist, dann werdet Ihr sagen, daß Ihr keinen bessern und geschicktern Helfer als mich finden konntet; th'is clear

»Das soll mich freuen, denn es handelt sich hier mehr um unser Leben als bei jeder andern Gelegenheit.«

Ich war mir wirklich darüber unklar, ob ich ihm trauen könne oder nicht. Seine Knochengestalt ließ keinen guten Schwimmer vermuten, und seine Versicherungen hatten etwas Prahlerisches; aber er war bekanntermaßen ein mutiger und erfahrener Mann und sprach in einem solchen Brusttone der Überzeugung, daß es schwer war, ihm keinen Glauben zu schenken. Übrigens gab es keine Zeit mehr für weitere Auseinandersetzungen, weil wir jetzt unsern Lagerplatz erreichten.

Die Gefährten waren wegen unsrer langen Abwesenheit in Sorge um uns gewesen. Wir erzählten ihnen, was wir gesehen und erfahren hatten und erklärten ihnen den Rettungsplan, den wir ausführen wollten.

Parker und Hawley bedauerten, daß sie keine direkte Rolle dabei spielen sollten; die andern sagten nichts; sie waren wohl ganz zufrieden damit, daß ich ihnen nicht zumutete, ihr Leben auf das Spiel zu setzen. Wir bestiegen unsre Pferde und brachen von hier auf, um nach der andern Seite des Sees zu reiten.

Dort angekommen, mußten wir im Dunkel durch das Gebüsch, um von der offenen Grasprairie an das Wasser zu gelangen, wo wir wieder abstiegen und die Pferde anbanden. Drüben brannten die Lagerfeuer.

Es gab hier auch Schilf. Wir schnitten davon so viel, wie wir brauchten; einige starke Äste bildeten die Unterlage, den Rahmen des Floßes. Als wir mit der Herstellung desselben fertig waren, war es für unsern Zweck ein kleines Meisterwerk. Es hatte unten Öffnungen für unsre Köpfe und vier lederne Schlingen, in die wir die Arme zu stecken hatten; natürlich war dafür gesorgt, daß wir, wenn wir darunter steckten, oben einen freien Ausblick hatten.

Jetzt sollte das Wagnis beginnen. Wir leerten unsre Taschen und legten überhaupt alles von uns, was durch das Wasser leiden mußte oder nicht ganz nötig mitzunehmen war. Von Waffen konnten wir nur die Messer behalten. Als wir so weit fertig waren, fragte Parker:

»Also, wir haben wirklich ganz und gar nichts dabei zu thun, Mr. Shatterhand?«

»Nein; aber für überflüssig braucht ihr euch trotzdem nicht zu halten; es giebt einen Fall, in welchem wir euch sehr notwendig brauchen.«

»Welcher ist das?«

»Wenn wir entdeckt und verfolgt werden, was nur zu Wasser geschehen kann. Wir kommen in gerader Linie zurückgeschwommen. Haben wir Verfolger hinter uns, so ist es eure Aufgabe, sie von uns abzuhalten.«

»Durch Schüsse?«

»Ja.«

»In dieser Dunkelheit! Vom Schwimmer kann man nicht viel mehr als den Kopf sehen; wer kann da einen Weißen von einem Indianer unterscheiden. Wie leicht könnten wir auf euch schießen!«

»Ihr dürft eben nicht eher schießen, als bis ihr genau wißt, auf wen ihr zielt. Übrigens werden wir uns euch durch laute Zurufe kenntlich machen. Kommt einer von uns im Wasser mit einem Roten in Kampf, so schießt ihr auf keinen Fall, selbst wenn es so nahe von hier wäre, daß ihr die Gesichter unterscheiden könnt. Wir sind Manns genug, es mit einem Roten aufzunehmen.«

»Jawohl, das sind wir; th'is clear!« stimmte mir Old Wabble lebhaft bei.

»Von mir weiß ich es, und von Euch glaube ich es,« antwortete ich ihm. »Dennoch frage ich Euch noch einmal: Ist das, was Ihr leisten sollt, wirklich nicht zu viel für Euch? Sonst führe ich es lieber allein aus.«

»Sir, was denkt Ihr von mir! Ich soll doch nicht annehmen, daß Ihr mich für einen Faselhans haltet!«

 

»Nein. Also vorwärts! Und gut Glück dabei!«

»Yes, go on! In einer halben Stunde sind wir glücklich und siegreich wieder da!«

Mit dieser kühnen Versicherung wabbelte der Alte in das Wasser, und ich folgte ihm etwas weniger zuversichtlich.

Unter das Floß brauchten wir erst dann zu kriechen, wenn wir so nahe an der Insel waren, daß es von den Wachen gesehen werden konnte; jetzt schwammen wir frei und schoben es vor uns her.

Ich beobachtete zunächst Old Wabble, um zu sehen, ob er wirklich so gut schwamm, wie er versichert hatte; es mochte gehen. Aber nach einiger Zeit bemerkte ich, daß das Floß sich auf seiner Seite tiefer in das Wasser senkte als auf der meinigen.

»Ihr legt Euch zu sehr auf,« sagte ich. »Ihr seid doch nicht etwa schon müde, Mr. Cutter?«

»Müde? Was fällt Euch ein!« antwortete er. »Da sind nur die verteufelten Braces schuld, die mich drücken.«

»Wer wird auch außer dem Gurt noch Träger haben!«

»Das versteht Ihr nicht. Den Gürtel kann man im Westen nicht entbehren, und die Braces brauche ich, weil ich keine Hüften habe; sie müssen auch den Gürtel halten. Bei meiner Gestalt! Wo sollen da Hüften sitzen!«

Ich konnte mir nicht recht erklären, warum seine Hosenträger die impertinente Absicht verfolgten, ihn im Schwimmen zu hindern, und war still, doch nicht lange, denn er stützte sich immer mehr auf das Floß, so daß es auf meiner Seite aus dem Wasser ragte. Da bat ich ihn:

»Kehrt lieber um, Mr. Cutter; jetzt ist's noch Zeit! Es scheint Euch schwer zu werden.«

»Unsinn! Seht Ihr denn nicht, daß ich wie ein Fisch vorwärts schieße?«

»Weil ich das Floß schiebe, an dem Ihr hängt!«

»Das sieht bloß so aus! Diese Braces! Ich werde sie herunternehmen; dann geht es besser.«

Indem er sich mit der einen Hand am Floße festhielt, knüpfte er mit der andern die Hosenträger ab und schob sie in die Tasche. Sie schienen ihn doch gedrückt und gehindert zu haben, denn es ging jetzt besser. Freilich hörte ich, daß er schnaufte; er schien sich anzustrengen. Als ich eine Bemerkung darüber machte, versicherte er:

»Das ist nur die eine Lungenseite; die wird manchmal so laut; die andre ist gut.«

Nun schwammen wir wohl fünf Minuten lang, ohne ein Wort zu sagen; dann bemerkte ich, daß er tiefer im Wasser lag als vorher.

»Ihr scheint schwerer zu werden, Sir?« fragte ich.

»Ist das denn ein Wunder? Die Kleidung zieht ja Wasser, und da hinten – – – all devils, was ist das!«

Er hielt das Floß an und langte mit einer Hand hinter sich.

»Was sucht Ihr dort, Sir?«

»Ich suche – – – na! – – – Hört, Mr. Shatterhand, ich muß meine Braces unbedingt wieder anknöpfen.«

»Warum?«

»Weil ich die Leggins verliere; sie schwimmen schon halb hinter mir her. Wollt Ihr mir helfen?«

Ich war ihm behilflich, die schon halb entwichenen Beinkleider zu Raison zu bringen; dann ging es weiter. Aber ich mußte zu meiner großen Besorgnis von Minute zu Minute immer mehr einsehen, daß er doch der Schwimmer nicht war, für den er sich hielt. Ich hatte nicht nur das Floß, sondern auch ihn vorwärts zu treiben.

»Ich denke, wir kehren um, Mr. Cutter,« sagte ich. »Ihr seid wirklich müde, und unser Vorhaben erfordert volle Kraft. Denkt der Gefahr, der wir entgegengehen!«

»Ich denke daran, und ebendeshalb strenge ich mich jetzt nicht an, um später bei guter Force zu sein. Umkehren! Welcher Gedanke! Werde mich blamiren!«

Ja, blamiren wollte ich ihn freilich nicht gern; aber durfte ich es weiter mit ihm riskieren? Es war ja möglich, daß er sich jetzt schonte, um später ganz au fait zu sein; auf weitere, dringende Fragen versicherte er, daß dies wirklich der Fall sei. Übrigens hatten wir jetzt schon die Hälfte des Weges zurückgelegt; also vorwärts, mochte es nun gehen, wie es wolle! Meine Sorge wurde trotz dieses Entschlusses keineswegs geringer, und schon nach weiteren fünf Minuten erkundigte ich mich:

»Wollt Ihr Euch nicht mit dem Oberkörper auf das Floß legen? Da ruht Ihr aus und habt dann frische Kraft.«

»Das ist richtig. Aber wird es Euch nicht zu schwer?«

»Nein; thut es nur.«

Er folgte meinem Rat und sagte, als ich unser Wasser-Vehikel weiter trieb:

»Mir ist ein Gedanke gekommen, Sir. Die Wächter werden Verdacht schöpfen, auch wenn sie uns nicht sehen.«

»Warum?«

»Weil sie sich fragen werden, woher unser Schilf die Bewegung bekommt. Der See steht ja still.«

»Da irrt Ihr Euch. Er schickt sein Wasser da unten dem Rio Pecos zu, und infolgedessen hat es eine, wenn auch nicht sehr wahrnehmbare Bewegung nach dem Abflusse hin. Ein losgerissenes Schilf wird also langsam da hinunter schwimmen. Das werden sich die Roten wohl auch sagen. In dieser Beziehung habe ich keine Sorge.«

»Aber wohl in andrer?«

»Ja.«

»Weshalb?«

»Wegen Euch.«

»Pshaw! Ich will mich jetzt nicht anstrengen. Wenn es losgeht, werdet Ihr mich ganz bei der Sache finden.«

»Hm! Vom Schwimmen will ich jetzt nichts mehr sagen; dazu komme ich noch, ehe ich den Rückweg antrete. Es handelt sich jetzt vielmehr um das Tauchen. Wenn Euch das nicht gelingt, können wir verloren sein.«

»Redet nicht, Sir! Ich habe ja weiter nichts zu thun, als im richtigen Augenblicke das Floß loszulassen, unterzutauchen und an der andern Inselseite wieder heraufzukommen. Das ist kinderleicht, zumal bei meinem Körperbau. Wer so wenig Fleisch und so viel Knochen hat, dem wird es leicht, im Tauchen Meister zu sein.«

Da hatte er freilich recht, und das Selbstvertrauen, welches er zeigte, beruhigte mich einigermaßen, obgleich ich einsah, daß es besser gewesen wäre, ihn zurückzulassen und das Vorhaben allein auszuführen.

Wir näherten uns der Insel mehr und mehr, und ich lenkte jetzt das Floß von der bisherigen geraden Richtung nach aufwärts, weil wir uns später abwärts treiben lassen mußten. Die Lagerfeuer der Comantschen leuchteten hell, doch nicht zu uns herüber; das auf der Insel war klein; es brannte hinter dem Gebüsch; darum konnten wir die Flamme nicht sehen. Die wenigen sichtbaren Sterne des heutigen Himmels blickten von dem Firmamente herab in die Flut und aus derselben wieder herauf. Ich schwamm so stät und ruhig wie möglich, um keine Wellen zu verursachen, in denen der Rückstrahl der Sterne schwankte, weil dies ziemlich weit zu sehen ist. So kam ich ohne Hast bis in solche Nähe der Insel, daß wir nun das Floß treiben lassen konnten. Ich machte Old Wabble darauf aufmerksam:

»Jetzt ist die Zeit gekommen, Mr. Cutter. Wir müssen nun unter das Schilf kriechen.«

»Well, soll gleich geschehen,« antwortete er.

»Noch einen Augenblick! Wenn wir mit den Köpfen in den Löchern stecken und uns eine Mitteilung zu machen haben, so darf das nur flüsternd geschehen.«

»Versteht sich ganz von selbst!«

»Obgleich wir das Floß treiben lassen, muß es doch leise gelenkt werden; das überlaßt Ihr mir allein!«

»Ist mir lieb. Sagt mir nur, wann das Tauchen losgehen soll! Bin dann gleich dabei.«

»Werdet Ihr es wirklich fertig bringen?«

»Ich sage Euch allen Ernstes, habt keine Angst um mich. Ich gebe Euch mein Wort, daß ich Euch gar nicht, aber auch gar nicht beschwerlich fallen werde!«

Das war ein ganz andrer Ton als vorher. Hatte er sich nur verstellt? War er wirklich ein guter Taucher?

Wir schlüpften unter das Floß und steckten die Köpfe in die dazu bestimmten Löcher; dann schoben wir die Arme in die Lederschlingen und hingen nun in aufrechter Haltung ungefähr so unten an dem Floße, wie ein Turner an den Schwingen hängt. Das Schilf trug uns; wir brauchten nicht zu schwimmen, und eine kleine Hand- oder Fußbewegung genügte zum Lenken. Es ging sehr, sehr langsam, und in der Erwartung, die uns ergriffen hatte, wurde uns die Zeit doppelt lang.

»Verwünschte Eilschiffahrt!« raunte mir der Alte zu. »Könnt Ihr gut sehen, Sir?«

»Ja.«

»Ich auch. Jetzt müßte ein Haifisch kommen und uns in die Beine beißen! Thunder, würde da unser Steamer in Bewegung kommen! Wie gut, daß es hier keine solchen Bestien oder gar Krokodile giebt! Da, schaut!«

»Ich sehe ihn.«

»Und er sieht uns. Was wird er thun?«

Wir waren jetzt vielleicht sechzig Schritte von der Insel entfernt. Im Gebüsch derselben gab es eine breite Lücke, durch welche das Feuer zu sehen war. Im Scheine desselben erblickten wir einen Indianer, welcher am Ufer Wasser schöpfte und dabei unser ›Dampfschiff‹ bemerkte. Er sah kurze Zeit zu uns herauf und kehrte dann zum Feuer zurück.