El Sendador I. Lopez Jordan

Text
Author:
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

»Er mag es versuchen! Ich kenne seine Absichten nun so genau, daß ich sie nicht zu fürchten brauche. Prügelt ihn tüchtig durch, wenn Ihr wollt. Vielleicht macht ihn das willig, uns zu sagen, von wem er seinen Auftrag, mich zu ermorden, erhalten hat.«

»O, das zu erraten, ist kinderleicht; aber er soll es uns dennoch sagen müssen. Wie viele Hiebe soll er erhalten?«

»Ihr schlagt so lange, bis er gesteht, wer ihn gegen mich gedungen hat. Dann aber erhält er keinen einzigen Schlag weiter. Ich mag nicht dabei sein. Ich mag den Menschen überhaupt nicht mehr sehen.«

Ich ging hinaus und schritt suchend einige Male um das Haus. Es war keine Spur von den Bewohnern desselben zu sehen. Ich hörte deutlich die Hiebe fallen, welche der Bravo erhielt, doch vernahm ich keinen Schmerzenslaut. Als zehn Minuten vergangen waren, öffnete ich die Türe und sah hinein. Der Kerl lag auf dem Bauche. Seine Hose war zerschlagen und blutig gefärbt, und doch grinste er mir mit einem höhnischen Lachen in das Gesicht. Er hatte nichts gestanden, überhaupt keinen Ton, keine Silbe hören lassen, er schien die Nerven eines Nilpferdes zu besitzen.

»Sennor, was meinen Sie?« fragte Monteso. »Er gesteht nichts, und wenn wir fortfahren, so schlagen wir ihn tot.«

»Er hat genug. Laßt ihn liegen! Ich kenne ohnedies den Mann, von welchem er seinen Auftrag erhalten hat.«

»Gut, so mag er liegen bleiben. Wir schließen ihn ein, so daß man nicht sogleich zu ihm kann. Besser aber ist es, wir löschen das Licht aus und bleiben hier, um die Bewohner dieses Hauses abzufangen.«

»An ihnen liegt mir nichts. Ich mag nichts mehr von ihnen hören.«

»Gott segne Ihre Milde, Sennor, aber sie ist nicht angebracht. Wenn mich ein Ungeziefer beißt, so mache ich es tot, sonst beißt es mich wieder. Doch, ganz wie Sie wollen. Laßt uns also gehen!«

Er kam mit den andern heraus, schloß die Türe zu und warf den Schlüssel von sich. Wir gingen über die Blöße zurück und bogen dann in die Straße ein. So gelangten wir in die Stadt, ohne belästigt worden zu sein. Wir hatten unterwegs gar nicht gesprochen.

»Gehen Sie sofort in Ihr Hotel?« fragte mich Monteso. »Oder würden Sie uns die Ehre erweisen, ein Gläschen mit uns zu trinken, Sennor. Sie würden uns dadurch außerordentlich erfreuen.«

Ich hatte dem Manne mein Leben zu verdanken und mochte ihn also nicht durch die Zurückweisung dieser freundlichen Einladung betrüben oder gar beleidigen. Darum nahm ich dieselbe an.

Er führte mich von der Hauptstraße in eine der Querstraßen, wo wir in ein unscheinbares Haus traten, dessen Schild anzeigte, daß es eine gewöhnliche Schenke sei.

Zigarettenqualm und wüstes Geschrei drang uns aus der halb offenen Türe der Gaststube entgegen. Schon bereute ich, mitgegangen zu sein; aber Monteso trat nicht in diese Stube, sondern er klopfte an eine Türe, hinter welcher die Küche zu liegen schien. Ein junges, sauberes Weibchen kam heraus und machte ihm einen tiefen Knix.

»Ist oben offen?« fragte er.

»Ja. Es sind einige Sennors da, und meine Schwester ist zur Bedienung oben.«

»So gehen wir hinauf. Sorgen Sie dafür, daß wir nicht von Gesindel belästigt werden!«

Das klang in einem ganz andern Tone, so bestimmt, als ob er von Jugend an gewöhnt sei, Befehle zu erteilen. Sie verneigte sich abermals wie vor einem gebietenden Herrn, und dann stiegen wir die Treppe hinauf.

Droben kamen wir erst in ein kleineres Vorzimmer, in welchem einige Hüte hingen und Stöcke in einem eleganten Halter standen. Monteso schlug eine Plüschportiere zurück, und wir traten in einen schmalen, langen Salon, welcher reich ausgestattet war. Einige Lustres verbreiteten beinahe die Helle des Tages. Die Tische hatten Marmorplatten; Stühle und Diwans waren mit roten Plüsch überzogen. Auf jedem Tische stand eine Flaschenkollektion mit Weinen verschiedener Sorten. Kurz und gut, der Salon hätte in das feinste Hotel einer europäischen Großstadt gepaßt.

Vom Büffet erhob sich ein junges Mädchen, um uns mit tiefen Verbeugungen zu grüßen. An einem Tische saßen vier Herren, welche ihrer Kleidung nach den besten Ständen angehörten. Auch sie grüßten höflich. Einer von ihnen reichte sogar Monteso in kordialer Weise die Hand.

Und hier verkehrten die Yerbateros? Die andern fünf waren ebenso lumpig gekleidet, wie Monteso. Sie gingen barfuß. Ihre Hüte waren in Summa keine fünfzig Pfennige wert. Haare und Bärte waren ungepflegt. Keiner schien sich später als vor Monaten gewaschen zu haben. Ich war erstaunt, ließ aber natürlich nichts davon merken.

Monteso schritt zum hintersten Tische, welcher so groß war, daß wir alle Platz an demselben fanden, gab einen Wink, uns da niederzusetzen, und kehrte zum Büffet zurück, um eine Bestellung zu machen.

Das Mädchen nahm die auf dem Tische stehenden Flaschen weg und brachte andere an deren Stelle. Zu meinem Erstaunen las ich Etiketten wie »Chateau Yquem«, »Latour blanche« und »Haut-Brion«. Wenn diese Weine echt waren, so paßte der Preis derselben freilich nicht zu den nackten Füßen derer, welche die Flaschen leeren wollten.

Monteso setzte sich mir gegenüber, machte mir eine freundlich höfliche Verbeugung und sagte:

»Da ich Sie seit Mittag beobachtet habe, Sennor, so weiß ich genau, daß Sie noch nicht zur Nacht gespeist haben. Denn bei Tupido sind Sie so kurze Zeit gewesen, daß Sie ganz unmöglich an seiner Tafel gegessen haben können. Wir ersuchen Sie daher, unser Gast zu sein und ein Abendbrot mit uns einzunehmen. Freilich können wir Ihnen eben nur das bieten, was arme Yerbateros zu essen pflegen, wenn sie sich einmal in einer Stadt befinden. Es ist frugal genug.«

»Das scheint allerdings so,« lachte ich, indem ich auf die Flaschen deutete. »Wenn das Brot, welches Sie genießen, zu diesem Wasser paßt, so möchte ich wohl alles, aber nur nicht Yerbatero sein.«

»Vielleicht ist es nicht ganz so schlimm, wie es den Anschein hat. Hoffentlich werden Sie unsere Art und Weise näher kennen lernen, denn ich schmeichle mir, daß wir noch sehr oft so wie heute beisammen sitzen werden, wenn auch nicht hier an diesem Orte.«

Er entkorkte einige Flaschen, füllte die Gläser und stieß auf die Fortdauer unsrer jungen Bekanntschaft an. Dann zog er eine, wie es schien, reich gefüllte Brieftasche hervor und reichte mir aus derselben die Geldnoten zurück, welche ich ihm heute geliehen hatte.

»Erlauben Sie mir, gegen unsre heutige Vereinbarung handeln zu dürfen!« sagte er dabei. »Eigentlich müßte ich kündigen und hätte erst übers Jahr zu zahlen. Da die Sache aber meinerseits nichts als Scherz war, so bitte ich, es als solchen aufzufassen. Ich bin keineswegs der arme Mann, für den Sie mich hielten, doch freue ich mich Ihres Irrtumes, da er mir Gelegenheit gegeben hat, Sie kennen zu lernen. Leute von Ihrer Herzensgüte mag es unter den Deutschen viele geben; hier aber sind dieselben äußerst selten. Darum habe ich Sie sofort in mein Herz geschlossen und meinen Kameraden von Ihnen erzählt. Sie können in jeder Beziehung auf unsere Freundschaft rechnen.«

Ich suchte zwar mein Erstaunen möglichst zu verbergen, brachte es aber doch nicht über mich, die Frage zurückzuhalten:

»Aber, Sennor, wenn Sie so viel besser situiert sind, als es den Anschein hatte, warum ließen Sie sich da bei dem hochnasigen Tupido herab, ihm wegen lumpiger zweihundert Papiertaler so viele gute Worte zu geben?«

»Um ihn zu täuschen, Sennor. Wir sind ehrliche Leute, und derjenige, welcher uns Vertrauen schenkt, der wird sich niemals getäuscht fühlen. Wer uns ehrlich bezahlt, der erhält auch ehrliche Ware und kann sich in jeder Beziehung auf uns verlassen. Dieser Tupido aber ist ein Betrüger, ein Schwindler, und darum haben wir ihn ausgewischt. Ich weiß, daß Sie es ihm nicht wieder sagen. Die Probe, welche er von unserm Tee untersucht und auch getrunken hat, war ausgezeichnet; aber des Nachts haben wir in seinem eigenen Magazin, zu welchem wir uns Zugang geschafft hatten, die Pakete umgetauscht. Er hat unter den vielen Zentnern Tee, welche nach seiner Ansicht in seinem Vorratshause liegen, nicht so viel wirklichen Tee, wie man mit drei Fingerspitzen fassen kann.«

»Ah! Sennor, das ist aber Betrug!«

»Betrug? Sie sind ein Deutscher, und jedem andern als Ihnen würde ich dieses Wort sehr übel nehmen. Was nennen Sie Betrug? Ist es Diebstahl, wenn ich dem Diebe das, was er mir gestohlen hat, heimlich wieder abnehme?«

»Warum nicht durch das Gericht?«

»Weil dies ihm gegenüber vielleicht machtlos ist. Bleiben Sie mir mit den Gerichten fern! Werden mir hier tausend Pesos gestohlen, und ich zeige den Dieb an, so kostet es mich vielleicht zwei oder gar drei Tausend, um das eine Tausend zurück zu erhalten, und dabei geht der Dieb wahrscheinlich straflos aus. Unsere Diebe haben nämlich die Angewohnheit, nebenbei Beamte zu sein. Auch stehlen sie niemals, sondern die Sachen kommen ihnen des Nachts in die Häuser gelaufen. Da hilft man sich denn am liebsten selbst. Tupido hat uns betrogen, und wir haben ihn nun ausgezahlt, ohne uns an die Behörde zu wenden. Wir fühlen uns in unserm Rechte und denken nicht, uns darüber ein böses Gewissen machen zu müssen. Die zweihundert Taler habe ich ihm hingeschickt. Ich ließ ihm sagen, daß es mir gelungen sei, sie geborgt zu erhalten. Und nun sind wir mit ihm fertig. Sie kennen das Leben eines Yerbatero nicht. Es gehört zu den mühseligsten und gefährlichsten, welche es gibt, und wir wollen nicht täglich unsre Gesundheit und unser Leben wagen, um Sklaven zu bleiben und Betrüger zu Millionären zu machen.«

»Ich habe allerdings keine Ahnung von den Gefahren, denen ein Teesammler ausgesetzt ist. Welche Lebensgefahr könnte es dabei geben, wenn man in einer wohlangelegten Teepflanzung die Blätter der Sträucher oder Bäume sammelt?«

 

»Wären Sie nicht unser Gast, so würden wir Sie vielleicht ein wenig auslachen, Sennor. Sie sprechen von wohlangelegten Pflanzungen. Sie meinen Teeplantagen? Zur Erntezeit begeben sich dann die Arbeiter in diesen Garten und pflücken die Blätter ab?«

»So ungefähr habe ich es mir vorgestellt, ganz analog der Art und Weise, wie der chinesische Tee kultiviert wird.«

»Dachte es mir. Aber da befinden Sie sich in einem gewaltigen Irrtume, Sennor. Ich werde Ihnen das erklären, wenn wir bedient worden sind.«

Das Mädchen begann jetzt nämlich, den Tisch zu decken. Was machte ich für Augen, als diese barfüßigen Leute silberne Bestecke vorgelegt erhielten! Das Geschirr bestand aus feinstem Sévres, und was die Speisen betraf, so konnte man sie im besten Restaurant eines Pariser Boulevards oder unter den Linden nicht besser haben. Es gab außer der Suppe sechs Gänge und zuletzt feines Backwerk und die Früchte dreier Erdteile in Menge. Dabei machte der Yerbatero den Wirt in der Weise eines Schloßherrn, welcher gewohnt ist, zu repräsentieren. Und während er mit der Eleganz einer Hofdame speiste und mir immer nur das beste zuteilte, fuhr er in seiner Erklärung fort:

»Der echte Yerbatero holt den Tee aus den Urwäldern, oft aus Gegenden, welche nie eines Menschen Fuß betrat, aus Gegenden, in denen er jeden Schritt breit den Jaguars, Pumas, Krokodilen und wilden Indianern abzukämpfen hat. Haben Sie davon noch nichts gehört?«

»O doch, aber ich habe geglaubt, daß dies nur ausnahmsweise vorkomme. Ich bin gespannt, etwas Näheres über das Leben des Yerbatero zu hören.«

»Nun, was im allgemeinen darüber gesagt werden kann, das ist sehr bald mitgeteilt. Der Yerbatero geht natürlich nicht allein in die Wildnis. Ein Unternehmer engagiert zehn, zwanzig oder auch dreißig von ihnen und sorgt für ihre Ausrüstung. Er versieht sie mit Ponchos und andern Kleidungsstücken, mit Messern, Äxten, Waffen, Branntwein, Tabak und sonstigen Bedürfnissen. Sodann muß eine hinlängliche Anzahl von Stieren zusammengebracht werden, deren Fleisch während der Zeit des Sammelns als Nahrung dient und deren Felle zum Einpacken des Tees verwendet werden. Die Gesellschaft der Yerbateros wählt oder erhält einen Anführer, dem alle während der Saison unbedingt zu gehorchen haben. Dann wird aufgebrochen. Im Urwalde angekommen, bestimmt der Anführer die Stelle, an welcher das Lager errichtet werden soll. Von da aus zerstreuen sich die Yerbateros je zwei und zwei nach den verschiedenen Richtungen, um zu arbeiten. Man sammelt diejenigen kleinen Zweige, welche viele Blätter und junge Schößlinge besitzen, beschneidet sie und trägt sie in den Ponchos oder mittelst Riemen zweimal des Tages nach der Hütte, in welcher man zusammentrifft, um das Mittags- und Abendbrot zu essen. Diese Arbeit wird je nach den Umständen wochen- und auch monatelang fortgesetzt. Sind eine hinreichende Menge von Yerbazweigen vorhanden und auch genug Ochsen geschlachtet, deren Felle als Emballage dienen, so wird in der Nähe der Hütte ein hohes Gestell errichtet, unter welchem die Erde so hart und fest wie möglich geschlagen werden muß. Auf dieses Gerüst legt man die gesammelten Zweige und brennt unter demselben ein Feuer an, welches die Zweige leicht anrösten muß. Ist das geschehen, so wird die Asche entfernt und man nimmt die Yerba vom Gerüste, um sie auf dem heißen Erdboden vollends zu dörren, damit sie die nötige Sprödigkeit erhalten, um zu Pulver zerrieben werden zu können. Dieses letztere geschieht, indem man sie mit Stöcken tüchtig klopft. Indessen sind die Ochsenfelle je in zwei Teile zerschnitten, gehörig eingeweicht und dann so zusammengenäht worden, daß Säcke oder Ballen entstehen, welche fast würfelförmige Form besitzen. In diese Ballen wird das Pulver gepackt und so fest mit hölzernen Schlägeln bearbeitet, daß der Pack, wenn er oben zugenäht worden ist, die Härte eines Steines besitzt. So ein Ballen ist nicht groß, kann aber leicht bis gegen dreihundert Pfund wiegen.«

»Ich höre, daß das Teesammeln allerdings etwas anderes ist, als ich mir gedacht habe. Es gleicht dem Leben eines Fallenstellers oder eines Bienenjägers in den Vereinigten Staaten.«

»Dieser Vergleich ist sehr zutreffend, wenn auch nicht erschöpfend. Sie werden andrer Meinung sein, wenn Sie Länder und Völker durch den Augenschein kennen lernen.«

»Das ist eben mein Bestreben. Darum reise ich! Ganz besonders wollte ich die Pampas kennenlernen.«

»Den Urwald nicht?«

»Natürlich auch.«

»Und sind Sie an eine bestimmte Zeit gebunden? Gibt es einen Zeitpunkt, an welchem Ihre Reise zu Ende sein muß?«

»Nein. Ich bin vollständig Herr meiner Zeit.«

»Aber, Sennor, was hält Sie denn ab, mit uns auf einige Wochen nach dem Urwalde zu kommen?«

»Eigentlich gar nichts.«

»So kommen Sie doch mit uns! Lernen Sie das Leben eines Yerbatero kennen! Haben Sie vielleicht schon einmal vom Gran Chaco gehört? Eine hochinteressante Gegend, wie Sie erfahren werden, wenn Sie sich entschließen, mit uns zu kommen. Wir treffen dort den Sendador, welchen ich Ihnen als den besten Führer empfohlen habe. Er wartet auf uns. Ich habe da etwas Besonderes zu tun.«

»Darf ich nicht erfahren, welches dieser Grund ist?«

»Hm!« brummte er. »Es ist eigentlich ein Geheimnis; aber Ihnen können wir es anvertrauen, vorausgesetzt, daß Sie uns nicht auslachen wollen.«

»Was denken Sie von mir, Sennor! Ich, der Neuling, welcher von den hiesigen Verhältnissen so gut wie gar nichts kennt, sollte Sie auslachen, Männer, welche mir so weit überlegen sind, wie ein Professor dem Schulknaben!«

Der Yerbatero strich sich geschmeichelt den Bart, warf einen fragenden Blick auf seine Kameraden, und als sie ihm beistimmend zunickten, wendete er sich an mich:

»Sie sind jahrelang bei den nördlichen Indianern gewesen und verstehen also, mit Waffen und Pferden umzugehen. Heute habe ich bemerkt, daß Sie geistesgegenwärtig sind und mehr Kenntnisse haben, als wir sechs zusammen genommen. Ich denke also, daß Sie der Mann sind, welchen wir brauchen können. Ich werde Ihnen einen Vorschlag machen. Vorher aber muß ich eine Frage aussprechen, um deren aufrichtige Beantwortung ich Sie dringend ersuche.«

»Fragen Sie!«

»Gut! Ich werde fragen. Aber lachen Sie uns ja nicht aus. So sagen Sie uns einmal, was würden Sie tun, wenn Sie einen Ort wüßten, an welchem ein Schatz vergraben liegt?«

»Ich würde den rechtmäßigen Besitzer darauf aufmerksam machen.«

»Rechtmäßigen Besitzer! So! Hm! Aber wenn nun kein solcher rechtmäßiger und überhaupt kein Besitzer vorhanden wäre?«

»So würde ich den Schatz für mich heben.«

»Verstehen Sie sich denn auf Magie?«

»Unsinn! Magie gibt es gar nicht. Und Magie hat man nicht nötig, um einen Schatz zu heben. Weiß man, wo einer vergraben liegt, da mag man getrost nachgraben, zu jeder beliebigen Zeit des Tages oder der Nacht; man wird ihn sicher finden.«

»So! Hm!« brummte er nach seiner Gewohnheit. »Wenn das wahr wäre, so sollte es mich freuen.«

»Es ist wahr.«

»Nun, Sennor. Sie sind gelehrter als wir alle und wie Sie Ihre Überzeugungen vorbringen, haben sie einen Klang, daß man ihnen glauben muß. Ich sehe ein, daß Sie der Mann sind, den wir brauchen. Wir wissen nämlich einen Ort, an welchem ein Schatz zu heben ist, sogar zwei solche Orte.«

»So eilen Sie hin, die Schätze schleunigst zu heben.«

»Hm! Ja, wenn das so schnell ginge! Ich bin schon dort gewesen, habe aber nichts entdeckt. Den Ort kennen wir ganz genau; aber die betreffende Stelle konnten wir nicht finden, weil wir nicht gelehrt genug waren, die Schrift zu verstehen.«

»Aha! Es handelt sich also um eine Schrift?«

»Ja, leider! Sie sind ein Gelehrter, und darum – –«

»Bitte!« unterbrach ich ihn. »Muten Sie mir nicht zu viel zu. In welcher Sprache ist die Schrift verfaßt?«

»In der Inkasprache, aber mit lateinischen Buchstaben geschrieben, im sogenannten Khetschua.«

»Das ist im höchsten Grade interessant, zumal für mich!«

»Warum für Sie?«

»Ich habe während meines Aufenthaltes unter den nordamerikanischen Indianern mich sehr bemüht, ihre Sprachen zu erlernen. Ebenso habe ich, bevor ich jetzt nach Südamerika ging, mir einige Bücher gekauft, welche die Sprachen der hiesigen Indianerstämme behandeln. So habe ich mich über zwei Monate lang mit dem Khetschua beschäftigt. Also muß die Schrift, von welcher Sie sprachen, mich lebhaft interessieren. Wer ist denn im Besitze derselben?«

»Eben der Kamerad, welchen ich Ihnen als den besten Sendador empfohlen habe.«

»Er ist der Eigentümer des Dokumentes?«

»Ja. Er hat es von einem sterbenden Mönch erhalten.«

»Warum wurde gerade ihm das Geschenk gemacht?«

»Weil er den Mönch als Führer begleitete. Sie waren nur zu zweien. Kein Mensch befand sich bei ihnen. Er brachte den frommen Herrn von jenseits der Anden herüber und sollte ihn bis nach Tucuman ins Kloster der Dominikaner geleiten. Unterwegs aber wurde der Padre, welcher sehr alt war, plötzlich so krank, daß er starb. Kurz vor seinem Tode übergab er dem Sendador die Schrift. Ich habe die Schrift gesehen. Es sind zwei Zeichnungen dabei.«

»Konnten Sie sie nicht lesen?«

»Nein. Aber der Sendador ist ein halber Gelehrter. Er hat sie Jahre lang durchstudiert. Er glaubte, seiner Sache ganz sicher zu sein und nahm mich mit an die beiden Orte, aber er hatte sich doch nicht richtig informiert, denn wir fanden nichts.«

»Hat er Ihnen denn nichts über den Inhalt der Schrift mitgeteilt?«

»Alles, was er wußte.«

»Darf ich das erfahren, was Sie sich gemerkt haben?«

»Jener Padre war ein gelehrter Mann. Er hatte sich die Erlaubnis ausgewirkt, nach Peru zu gehen und gelehrte Schnuren aufbinden zu dürfen – –«

»Nicht aufknüpfen? Sie meinen entziffern.«

»Ja. Es hat da ein Volk gegeben, die Inkas genannt, welche, anstatt zu schreiben, Schnuren knüpften. Ich habe gewußt, wie diese Schnuren genannt werden, es aber wieder vergessen.«

»Khipus?«

»Ja, so war das Wort.«

»Jeder Khipus besteht aus einem Schnurenbündel, das heißt aus einer Hauptschnur, an welche dünnere Nebenschnüre von verschiedener Farbe verschiedenartig angeknoten wurden. Jede Farbe und jede Art der Knoten hatte ihre eigene Bedeutung.«

»So ist es. Grad so hat mir auch der Sendador gesagt. Solcher Khipus sollen viele vergraben und verborgen liegen. Der Padre hat nach ihnen gesucht und auch welche gefunden. Er hat sich lange, lange Jahre bemüht, ihre Bedeutung zu enträtseln, und das ist ihm endlich auch gelungen. Eine alte Indianerin, welche er von einer Krankheit geheilt hatte und die ihm deshalb wohl wollte, schenkte ihm zwei Khipus, welche sie von ihren Vorfahren überkommen hatte. Sie konnte sie nicht lesen, aber sie hatte überliefert bekommen, daß es sich um große Schätze handle. Der Padre hat auch diese beiden enträtselt. Über die anderen Khipus hat er ein Buch geschrieben, welches aber nicht gedruckt worden ist. Den Inhalt dieser beiden hat er geheim gehalten; er hat sie nach Tucuman bringen wollen und sie vorher übersetzt, oder, wie es wohl richtiger ist, die Knoten und Farben in Buchstaben verwandelt. Leider ist er, wie bereits erwähnt, unterwegs gestorben und hat die Übersetzung dem Sendador vermacht.«

»Nicht auch die Khipus?«

»Nein. Die hat er in Peru in seiner Sammlung gelassen, wohin er zurückkehren wollte.«

»Hm! Vielleicht ist er nur der Schätze wegen über die Anden gegangen. Und nach Tucuman hat er gewollt, zu den Dominikanern?«

»Ja.«

»So kommt mir Ihr Sendador verdächtig vor.«

»Warum?«

»Sagen Sie mir erst, was Sie über den Inhalt des Schreibens wissen.«

»Nun, es hat zwei berühmte Inkas gegeben, welche sich durch sehr glückliche Kriegszüge ausgezeichnet haben. Während dieser Kriege sind große Schätze versteckt worden, welche bis heute noch nicht gehoben sind. Eine Stadt hat am See gelegen. Die Bewohner derselben haben, bevor die Belagerung begann, alle ihre silbernen und goldenen Gefäße in den See gesenkt. Sie wurden besiegt und ausgerottet. Die Schätze liegen noch jetzt auf dem Grunde des Sees, und niemand, als nur der eine Khipus, weiß davon.«

»Wie aber ist dieser Khipus erhalten worden? Er hat sich doch in der betreffenden Stadt in Verwahrung befunden?«

»Es ist einigen gelungen, zu entfliehen. Die haben ihn mitgenommen. Sie haben sich nach einem höher im Gebirge gelegenen Orte geflüchtet; aber auch dorthin ist der Sieger ihnen gefolgt. Die Bewohner dieses letzteren Ortes haben ihre Schätze in einen alten Schacht versteckt und den Eingang desselben so vermauert, daß er von seiner Umgebung nicht zu unterscheiden gewesen ist. Da sie sich nicht freiwillig ergeben haben, sind auch sie getötet worden. Einer war nicht tot, sondern nur verwundet. Er ist des Nachts davongekrochen und entkommen. Später kehrte er zurück in das Haus des Kaziken des Ortes, wo die Khipus verborgen lagen. Das Haus lag in Trümmern, aber das Versteck war unversehrt. Der Mann nahm die beiden Khipus mit sich. Er fand keine Gelegenheit, sie zu benutzen; vielleicht konnte er sie nicht einmal lesen, denn der Sendador sagte mir, daß nicht alle Inkas die Knoten haben lesen können. Der Mann vererbte die Khipus weiter, bis sie an die Frau kamen, welche sie dem Padre gab.«

 

»Sennor, wenn das kein Roman ist, so gibt es überhaupt keinen Roman.«

»Sie glauben mir nicht?«

»Ihnen glaube ich gern; aber das, was man Ihnen gesagt hat, möchte ich bezweifeln.«

»Der Sendador belügt mich nicht!«

»Mag sein. Vielleicht hat er sich selbst getäuscht. Es kommen in dieser Geschichte einige bedeutende Unwahrscheinlichkeiten vor. Und dann habe ich den Sendador im Verdachte der Unterschlagung.«

»Meinen alten, ehrlichen Freund in einem solchen Verdachte! Wäre Ihnen dieser Mann so bekannt, wie mir, so würden Sie sich hüten, ein solches Wort auszusprechen.«

»Und dennoch muß ich Sie damit betrüben, daß ich Ihnen mitteile, dieser Verdacht habe einen sehr triftigen Grund. Hatte der Sendador den Padre schon früher gesehen, bevor er von diesem als Führer engagiert wurde?«

»Nein. Mein Freund hat dies einige Male erwähnt.«

»Er kannte ihn also bis dahin nicht, war auch weder ein Freund noch ein Verwandter des frommen Herrn?«

»Weder das eine noch das andere.«

»Hat der Sendador ihm während ihres Gebirgsüberganges vielleicht einen ganz besonderen Dienst erwiesen?«

»Nein. Warum fragen Sie so? Wie hängt das mit den beiden Khipus zusammen?«

»Sehr eng. Wo liegen die beiden Orte, an denen die Schätze verborgen sein sollen? In der Nähe von Tucuman?«

»Sie sind im Gegenteile sehr entfernt von dieser Stadt.«

»Nun, warum hat der Padre sich nach Tucuman begeben und nicht nach den erwähnten Orten? Sie geben doch zu, daß ein Übergang über die Anden nicht nur beschwerlich, sondern auch gefährlich ist, für einen alten Herrn sogar lebensgefährlich?«

»Das ist wahr. Für alte Leute bringt die außerordentlich dünne Luft und der dadurch verursachte Blutandrang stets eine Lebensgefahr hervor.«

»Sie haben gesagt, der Padre sei ein alter Herr gewesen. Die Reise war also lebensgefährlich für ihn. Einer solchen Gefahr setzt man sich aber nur dann aus, wenn man von wichtigen Gründen dazu gedrängt wird. Er hat gewiß die Schätze heben wollen. Ein Padre aber trachtet nicht nach irdischen Besitz. Wenn er dennoch nach dem Schatze gestrebt hat, so hat er ihn jedenfalls nicht für sich, sondern für andere erlangen wollen. Geben Sie das zu?«

»Ja, denn Ihre Gründe zwingen mich.«

»Wer könnte es nun wohl sein, für welche er die Schätze bestimmt hat? Sollte etwa der Sendador der Erbe sein?«

»Anfangs lag das wohl nicht in der Absicht des Mönches.«

»Wahrscheinlich auch später nicht. Der Sendador sollte überhaupt von der ganzen Angelegenheit nichts erfahren. Erst in der Nähe des Todes hat der Padre ihm die betreffende Mitteilung gemacht. Er gab sein Geheimnis nicht freiwillig, sondern gezwungen preis. Wo aber mag man diejenigen zu suchen haben, denen er es eigentlich offenbaren wollte?«

»Natürlich die Dominikaner in Tucuman.«

»Ich halte diese Ansicht für die richtige. Die Ordensbrüder wären wohl besser im Stande gewesen, die Schrift zu lesen oder den Inhalt der beiden Khipus zu verstehen, als der Sendador. Ein guter Grund, anzunehmen, daß die Hinterlassenschaft des Padres nicht für ihn, sondern für sie bestimmt war.«

»Aber der Padre hat die Khipus gar nicht bei sich gehabt!«

»Das glaube ich nicht.«

»Mein Freund sagte es, und ich habe keinen Grund, die Worte desselben zu bezweifeln.«

»Ich habe desto mehr Grund. Woher war der Padre?«

»Das weiß ich nicht, denn er hat es dem Sendador nicht mitgeteilt.«

»Wo befanden sich seine Sammlungen, von denen Sie sprachen? Wo lag das Buch, welches nicht gedruckt wurde, also das Manuskript eines so hochwichtigen Werkes?«

»Niemand weiß es.«

»Sollte der Padre gestorben sein, ohne gerade dies Wichtigste dem Sendador mitzuteilen? Sollte er die Übersetzung der Khipus bei sich getragen haben und nicht auch die Khipus selbst, welche doch wenigstens, ich sage wenigstens, denselben Wert hatten wie die Übersetzung?«

»Hm! Sie bringen mich mit diesen Fragen wirklich in Verlegenheit!«

»Ich bin überzeugt, daß Ihr Freund durch dieselben in eine noch viel größere Bedrängnis geraten würde. Sind meine Vermutungen richtig, so hat er nicht bloß die Schrift widerrechtlich an sich genommen, sondern auch die beiden Khipus unterschlagen.«

»Der Padre hatte sie ja gar nicht bei sich, wie ich Ihnen schon wiederholt erklärt habe!«

»Und ich behaupte, daß er sie bei sich hatte. Er vertraute beides dem Sendador an. Dieser versteht doch die Khetschuasprache?«

»Jawohl.«

»Aber Khipus kann er nicht lesen?«

»Nein.«

»Nun, so sind die beiden Khipus ihm nicht nur überflüssig, sondern sogar gefährlich gewesen. Er kannte das Geheimnis, indem er die Übersetzung las. Kamen die Khipus zufälliger Weise abhanden, und zwar in die Hände eines Mannes, der sie zu entziffern verstand, so war das Geheimnis verraten. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, sich ihrer zu entledigen, sie zu vernichten. Was gedenkt der Sendador zu tun, nachdem seine Nachforschungen vergeblich gewesen sind?«

»Er gibt sie nicht auf.«

»Er wird keinen besseren Erfolg erzielen.«

»Vielleicht doch, denn er will sich einem Manne anvertrauen, welcher sich in die beigegebenen Zeichnungen besser zu finden vermag, als er selbst. Ich habe den Auftrag erhalten, mich nach so einem Manne umzusehen, und glaube ihn gefunden zu haben.«

»Ich vermute, daß Sie mich meinen.«

»Das ist auch wirklich der Fall.«

»So befinden Sie sich in einem großen Irrtume. Ich bin für Ihre Absichten vollständig unbrauchbar und untauglich. Auch ist die Sache gefährlich. Warum sucht der Sendador nicht selbst nach einem passenden Manne? Warum bleibt er im Urwalde verborgen, und überläßt Ihnen die Aufgabe, welche er wenigstens ebenso leicht ausführen könnte. Allerdings, er würde auch so gefragt werden, wie ich Sie jetzt nach allem ausforsche. Bei verdächtigen Stellen können Sie als Mittelsperson ausweichen und sich auf ihn berufen; er aber müßte direkt antworten, und das ist nicht ungefährlich.«

»Aber wenn ich Sie zu ihm bringe, so muß er Ihre Fragen ja auch beantworten!«

»Ja, aber dann ist es zu einem Rücktritte für mich wohl bereits zu spät.«

»O nein. Sie können sich in jedem Augenblicke von unserm Unternehmen lossagen.«

»Ja, dann aber stecke ich als fremder Mann ganz einsam und verlassen in einem Urwalde oder einer Wüste des Gran Chaco und bin ein verlorenes Menschenkind. Sollte der Sendador das nicht berechnet haben?«

Monteso fuhr sich in komischer Wut mit beiden Händen in das wirre Haar.

»Sennor, Sie machen mich mit Ihrem unmotivierten Mißtrauen ganz verrückt!« erklärte er. »Aber ich hoffe, Sie noch bekehren und für das Unternehmen engagieren zu können.«

»Hoffen Sie nicht zu viel! Ich wiederhole, daß ich nicht der geeignete Mann bin. Ein Fremder muß unfähig sein, Ihren Forderungen zu entsprechen. Sie ahnen nicht, welche Kenntnisse unter Umständen dazu gehören, den betreffenden See und den vermauerten Schacht zu entdecken.«

»Den Schacht fanden wir nicht; den See aber haben wir. Nur die betreffende Stelle desselben war nicht zu entdecken.«