Der Schatz im Silbersee

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»Pshaw!« unterbrach ihn der Lord. »Was ich will? Die Prairie und das Felsengebirge kennen lernen und dann nach Frisco gehen. War schon überall in der Welt, nur in den Vereinigten Staaten noch nicht. Doch, jetzt sind wir einander vorgestellt und brauchen nicht mehr fremd zu thun. Kommt also zu euren Pferden! Ich meine nämlich, daß ihr Pferde habt, obgleich ich sie noch nicht gesehen habe.«

»Freilich haben wir welche; sie stehen da hinter dem Hügel, wo wir anhielten, um auszuruhen.«

»So folgt mir hin!«

Seinem Tone nach war er jetzt derjenige, welcher ihnen, anstatt sie ihm, Vorschriften zu machen hatte. Er stieg vom Pferde und schritt ihnen voran, in dem Wellenthale weiter, bis hinter den Wellenberg, wo zwei Pferde grasten, welche zu derjenigen Sorte zu gehören schienen, welche im Vulgärdeutsch Klepper, Ziegenbock oder gar Kracke genannt zu werden pflegen. Sein Pferd war ihm dabei wie ein Hund nachgelaufen. Die beiden Pferde kamen auf dasselbe zu; es wieherte aber zornig und schlug gegen sie aus, um sie von sich zu treiben.

»Eine giftige Kröte!« meinte Humply-Bill dazu. »Scheint ungesellig zu sein.«

»O nein,« antwortete der Lord. »Es weiß bloß, daß ich noch nicht nahe verwandt mit euch bin und will also mit euren Pferden einstweilen auch fremd bleiben.«

»Wäre es wirklich so klug? Man sieht es ihm nicht an. Scheint ein Ackerpferd gewesen zu sein.«

»Oho! Es ist ein echter kurdischer Husahn, wenn ihr gütigst erlaubt.«

»So! Wo liegt denn dieses Land?«

»Zwischen Persien und der Türkei. Habe ihn selbst dort gekauft und mit nach Hause genommen.«

Er sagte das in einem so gleichgültigen Tone, als ob es ebenso leicht sei, ein Pferd aus Kurdistan nach England und von da wieder hinüber nach den Vereinigten Staaten zu transportieren, wie einen Kanarienvogel von dem Harze nach dem Thüringer Walde zu bringen. Die beiden Jäger warfen einander verstohlenen Blicke zu. Er aber setzte sich ganz ungeniert in das Gras, wo sie vorher gesessen hatten. Dort lag eine angeschnittene, gestern gebratene Rehkeule. Er zog sein Messer, schnitt ein tüchtiges Stück herunter und begann zu essen, als ob das Fleisch nicht den andern, sondern ihm gehöre.

»So ist's recht!« meinte der Buckelige. »Nur keine Umstände machen in der Prairie.«

»Mache sie auch nicht,« antwortete er. »Habt gestern ihr Fleisch geschossen, so schieße heute oder morgen ich welches, natürlich auch für euch mit.«

»So? Meint Ihr denn, Mylord, daß wir morgen noch beisammen sein werden?«

»Morgen und noch viel länger. Wollen wir wetten? Ich setze zehn Dollar und auch mehr, wenn ihr wollt.«

Er griff nach der Geldtasche.

»Laßt Eure Banknoten hinten,« antwortete Humply. »Wir wetten nicht mit.«

»So setzt euch her zu mir! Will es euch erklären.«

Sie ließen sich ihm gegenüber nieder. Er musterte sie nochmals mit einem scharfen Blicke und sagte dann: »Bin den Arkansas heraufgekommen und in Mulvane ausgestiegen. Wollte dort einen Führer engagieren oder zwei; fand aber keinen, der mir gefiel. War lauter Schund, die Kerls. Bin also fortgeritten, weil ich mir sagte, daß echte Prairiemänner wohl nur in der Prairie zu finden sind. Treffe jetzt euch, und ihr gefallt mir. Wollt ihr mit?«

»Wohin denn?«

»Nach Frisco hinüber.«

»Das sagt Ihr so ruhig, als ob es nur ein Tagesritt sei?«

»Es ist ein Ritt. Ob er einen Tag oder ein Jahr dauert, das bleibt sich gleich.«

»Hm, ja. Aber habt Ihr eine Ahnung von dem, was einem unterwegs begegnen kann?«

»Habe noch nicht daran gedacht, hoffe aber, es zu erfahren.«

»Wünscht Euch nicht zu viel. Übrigens können wir nicht mit. Wir sind nicht so reich, wie Ihr zu sein scheint; wir leben von der Jagd und können also keinen monatelangen Abstecher nach Frisco machen.«

»Ich bezahle euch!«

»So? Na, dann würde sich über die Sache sprechen lassen.«

»Könnt ihr schießen?«

Es war ein fast mitleidiger Blick, den der Buckelige auf den Lord warf, als er antwortete: »Ein Prairiejäger und schießen! Das ist fast noch schlimmer, als ob Ihr fragt, ob ein Bär fressen könne. Beides ist genau so selbstverständlich wie mein Buckel.«

»Möchte aber doch eine Probe sehen. Könnt ihr die Geier von da oben herunterholen?«

Humply maß die Höhe, in welcher sich die beiden Vögel wiegten, mit den Augen und antwortete. »Warum nicht? Ihr freilich würdet es uns mit Euren beiden Sonntagsflinten nicht nachmachen.«

Er deutete auf das Pferd des Lords. Die Gewehre hingen noch an den Bügelriemen; sie waren blank geputzt, so daß sie ganz wie neu aussahen, was dem Westmann ein Greuel ist.

»So schießt!« gebot der Lord, ohne auf die letzte Behauptung des Buckeligen zu achten.

Dieser stand auf, legte sein Gewehr an, zielte kurz und drückte ab. Man sah, daß der eine der Geier einen Stoß erhielt; er schlug flatternd die Flügel, suchte sich zu halten, doch vergebens; er mußte nieder, erst langsam, dann schneller; endlich zog er die Flügel an den Leib und fiel wie ein schwerer Klumpen senkrecht zur Erde nieder.

»Nun, Mylord, was sagt Ihr dazu?« fragte der kleine Schütze.

»Nicht übel,« lautete die kalte Antwort.

»Was? Nicht übel nur? Bedenkt diese Höhe, und daß die Kugel den Vogel gerade ins Leben traf, denn er war schon in der Luft tot! Jeder Kenner hätte das einen Meisterschuß genannt.«

»Well, der zweite!« nickte der Lord dem langen Jäger zu, ohne auf den Vorwurf des Kleinen einzugehen.

Gunstick-Uncle erhob sich steif vom Boden, stützte sich mit der Linken auf seine lange Rifle, erhob die Rechte wie ein Deklamierender, wendete das Auge gen Himmel zu dem zweiten Geier und sprach in pathetischem Tone: »Wandelt der Aar in Gefilden der Lüfte – blickt er herab auf die Grüfte und Schlüfte – denket mit Sehnsucht des Aases voll Düfte – ich aber schieße ihn tot in die Hüfte!«

Bei diesen improvisierten Reimen war seine Pose so steif und eckig wie diejenige eines Gliedermannes. Er hatte bisher noch kein einziges Wort gesprochen, desto größeren Eindruck mußte dieses herrliche Poem machen. So dachte er. Darum ließ er den erhobenen Arm sinken, wendete sich gegen den Lord und blickte diesen mit stolzer Erwartung an. Der Engländer hatte längst wieder sein dummes Gesicht angenommen; jetzt zuckte es in und auf demselben, als ob das Lachen mit dem Weinen kämpfe.

»Habt Ihr es richtig gehört, Mylord?« fragte der Buckelige. »Ja, der Gunstick-Uncle ist ein feiner Kerl. Er war Schauspieler und ist noch jetzt ein Dichter. Er spricht blutwenig, aber wenn er einmal den Mund aufthut, so redet er nur in Engelszungen, das heißt in Reimen.«

»Well!« nickte der Engländer. »Ob er in Reimen oder in Gurkensalat redet, das ist nicht meine, sondern seine Sache, aber kann er schießen?«

Der lange Dichter zog den Mund bis an das rechte Ohr und warf die Hand weit von sich, was eine Bewegung der Verachtung sein sollte. Dann erhob er seine Rifle zum Zielen, setzte sie aber wieder ab. Er hatte den rechten Augenblick versäumt, denn während seines dichterischen Ergusses hatte das Geierweibchen, erschrocken über den Tod ihres Männchens, beschlossen, sich davon zu machen. Der Vogel hatte sich schon weit entfernt.

»Er ist unmöglich zu treffen,« sagte Humply. »Meinst du nicht, Uncle?«

Der Gefragte erhob beide Hände gen Himmel nach dem Punkte, an welchem man den Geier erblickte, und antwortete in einem Tone, als ob er Tote erwecken wolle: »Es tragen ihn die Flügel – fort über Thal und Hügel – er ist mit großen Wonnen – nun leider mir entronnen – und wer ihn nun will kriegen – schnell hinterdrein mag fliegen!«

»Unsinn!« rief der Lord. »Meint ihr wirklich, daß er nicht mehr zu treffen ist?«

»Ja, Sir,« antwortete Humply. »Kein Old Firehand, kein Winnetou und kein Old Shatterhand vermöchte ihn jetzt noch herunterzuholen, und das sind doch die drei besten Schützen des fernen Westens.«

»So!«

Während der Lord dies mehr hervorstieß als deutlich aussprach, ging ein helles, blitzartiges Zucken über sein Gesicht. Er trat schnell zum Pferde, nahm eins der Gewehre vom Riemen, entfernte die Sicherung, legte an, zielte, drückte ab, alles wie in einem einzigen kurzen Augenblicke, ließ das Gewehr wieder sinken, setzte sich nieder, griff nach der Rehkeule, um sich noch ein Stück von derselben zu schneiden, und sagte: »Nun, war er zu treffen oder nicht?«

Auf den Gesichtern der beiden Jäger lag der Ausdruck des höchsten Erstaunens, ja der Bewunderung. Der Vogel war getroffen, und zwar gut, denn er fiel mit zunehmender Schnelligkeit in einer sich verengenden Schneckenlinie zur Erde nieder.

»Wonderful!« rief Humply ganz begeistert aus. »Mylord, wenn das nicht ein Zufall – – –«

Er hielt inne. Er hatte sich nach dem Engländer umgedreht und sah diesen kauend am Boden sitzen, den Rücken nach der Seite gerichtet, wohin der Meisterschuß gerichtet gewesen war. Das war doch kaum zu glauben!

»Aber, Mylord,« fuhr er fort, »dreht Euch doch um! Ihr habt den Geier nicht nur getroffen, sondern wirklich erlegt!«

»Das weiß ich,« antwortete der Englishman, indem er, ohne sich umzusehen, ein Stück Fleisch in den Mund schob.

»Aber Ihr habt es ja gar nicht beobachtet!«

»Ist nicht nötig; ich weiß es doch. Meine Kugel geht nie fehl.«

»Aber dann seid Ihr ja ein Kerl, der es, wenigstens was das Schießen betrifft, mit den drei berühmten Männern, deren Namen ich vorhin nannte, getrost aufnehmen kann! Oder nicht, Uncle?«

Der famose Ladestock-Onkel stellte sich abermals in Positur und antwortete, mit beiden Händen gestikulierend: »Getroffen ist der Geier – der Schuß war ungeheuer – ich muß auf Ruhm verzichten – – –«

 

»Und höre auf, zu dichten!« fiel der Engländer ihm in die Rede.

»Wozu diese Reime und das Geschrei! Ich wollte wissen, was für Schützen ihr seid. Nun setzt euch wieder her, und laßt uns weiter verhandeln. Also ihr geht mit mir, und ich bezahle euch die Reise. Einverstanden?«

Beide blickten einander an, nickten sich zu und antworteten mit einem beistimmenden Ja.

»Well! Und wieviel verlangt ihr?«

»Ja, Mylord, mit dieser Frage bringt Ihr mich in Verlegenheit. Wir haben noch nie im Dienste eines Mannes gestanden, und von einer sogenannten Bezahlung kann bei Scouts, die wir sein sollen, doch wohl nicht gesprochen werden.«

»All right! Ihr habt euren Stolz, und das gefällt mir. Es kann hier nur von einem Honorare die Rede sein, dem ich, wenn ich mit euch zufrieden bin, eine Extragratifikation zufüge. Ich bin hierher gekommen, um etwas zu erleben, um berühmte Jäger zu sehen, und mache euch also folgendes Anerbieten: Ich bezahle euch für jedes Abenteuer, welches wir erleben, fünfzig Dollar.«

»Sir,« lachte Humply, »da werden wir reiche Leute, denn an Abenteuern gibt's hier keinen Mangel, erleben thut man sie, ja, ob aber überleben, das ist eine andre Frage. An uns beiden soll es da nicht fehlen; aber für einen Fremden ist es geratener, die Abenteuer zu fliehen, anstatt sie aufzusuchen.«

»Ich aber will sie haben! Verstanden! Auch will ich mit berühmten Jägern zusammentreffen. Ihr nanntet vorhin drei Namen, von denen ich schon viel gehört habe. Sind diese drei Männer jetzt im Westen?«

»Da fragt Ihr mich zu viel. Diese berühmten Personen sind überall und nirgends. Man kann sie nur durch Zufall treffen, und selbst wenn man ihnen einmal begegnet, ist es die Frage, ob sich so ein König der Westmänner herbeiläßt, einen zu beachten.«

»Man soll und wird mich beachten! Ich bin Lord Castlepool, und was ich will, das will ich! Für jeden von diesen drei Jägern, dem wir begegnen, zahle ich euch hundert Dollar.«

»Alle Teufel! Habt Ihr denn gar so viel Geld bei Euch, Mylord?«

»Ich habe, was ich unterwegs brauche. Das Geld bekommt ihr erst in Frisco bei meinem Bankier. Seid ihr das zufrieden?«

»Ja, ganz gern. Hier unsre Hände darauf. Wir können ja gar nichts Besseres thun, als auf Eure Vorschläge eingehen.«

Beide reichten ihm die Hand. Dann zog er die zweite Tasche von hinten nach vorn, öffnete sie und nahm ein Buch heraus.

»Das ist mein Notizbuch, in welches alles eingetragen wird,« erklärte er. »Ich werde jedem von euch ein Conto eröffnen und seinen Kopf und Namen darübersetzen.«

»Seinen Kopf?« fragte der Buckelige verwundert.

»Ja, seinen Kopf. Bleibt einmal unbeweglich so sitzen wie jetzt!«

Er schlug das Buch auf und nahm den Stift zur Hand. Sie sahen daß er abwechselnd sie anblickte, dann wieder auf das Papier niederschaute und dabei den Stift bewegte. Nach wenigen Minuten zeigte er ihnen, was er gezeichnet hatte; sie erkannten ihre wohlgetroffenen Köpfe und die Namen darunter.

»Auf diese Blätter wird eingetragen, was ich euch nach und nach schulden werde,« erklärte er ihnen. »Verunglücke ich, so nehmt ihr das Buch mit nach Frisco und zeigt es dem Bankier, dessen Namen ich euch später nenne; er wird euch die betreffende Summe sofort und unbeanstandet auszahlen.«

»Das ist ja eine ganz prächtige Einrichtung, Mylord,« meinte Humply; »Wir wollen zwar nicht wünschen, daß – – – behold, Uncle, sieh einmal unsre Pferde an. Sie wedeln mit den Ohren und öffnen die Nüstern. Es muß etwas Fremdes in der Nähe sein. Die Rolling Prairie ist gefährlich. Steigt man auf die Hügel, so wird man gesehen, und bleibt man unten, so kann man das Nahen eines Feindes nicht bemerken und also sehr leicht überrascht werden. Will doch einmal nach oben steigen.«

»Ich steige mit,« erklärte der Lord.

»Bleibt lieber unten, Sir. Ihr könntet mir die Sache verderben.«

»Pshaw! Ich verderbe nichts.«

Die beiden stiegen aus dem Wellenthale nach der Spitze des Hügels empor. Als sie diesen beinahe erreicht hatten, legten sie sich nieder und krochen vorsichtig vollends hinauf. Das Gras verdeckte ihre Körper, und die Köpfe erhoben sie nur so weit, als nötig war, Umschau zu halten. »Hm, Ihr fangt die Sache für einen Neuling gar nicht so übel an, Sir,« lobte Humply. »Ich könnte es wirklich selbst kaum besser machen. Aber seht Ihr dort den Mann auf dem zweiten Wellenhügel, geradeaus von uns?«

»Yes! Ein Indianer, wie es scheint?«

»Ja, es ist ein Roter: Hätte ich – – ah, Sir, lauft doch einmal hinab und holt Euer Fernrohr herbei, damit ich das Gesicht des Mannes erkennen kann.«

Der Lord folgte dieser Aufforderung.

Der Indianer lag auf dem erwähnten Hügel im Grase und schaute aufmerksam nach Osten, wo aber gar nichts zu sehen war. Er richtete einigemal seinen Oberkörper weiter auf, um seinen Gesichtskreis zu vergrößern, ließ ihn aber stets schnell wieder niederfallen. Wenn er jemand erwartete, dann gewiß nur ein feindliches Wesen.

Jetzt brachte der Lord sein Rohr, stellte es und reichte es dem Buckeligen hin. Eben als derselbe den Indianer vor das Glas bekam, sah dieser für einen Augenblick nach rückwärts, so daß sein Gesicht zu erkennen war. Sofort legte Humply das Rohr weg, sprang vollständig auf, so daß seine ganze Gestalt vom Standpunkte des Roten aus zu erkennen war, hielt die Hände an den Mund und rief mit lauter Stimme: »Menaka schecha, Menaka schecha! Mein Bruder mag zu seinem weißen Freunde kommen!«

Der Indianer fuhr schnell herum, erkannte die buckelige Gestalt des Rufenden und glitt augenblicklich von der Spitze des Hügels herab, so daß er im Wellenthale verschwand.

»Jetzt, Mylord, werdet Ihr wohl sehr bald die ersten fünfzig Dollar einzahlen müssen,« sagte Humply zu dem Engländer, indem er sich wieder niederduckte.

»Wird es ein Abenteuer geben?«

»Sehr wahrscheinlich, denn der Häuptling blickte jedenfalls nach Feinden aus.«

»Ein Häuptling ist er?«

»Ja, ein tüchtiger Kerl, Osagenhäuptling.«

»Und ihr kennt ihn?«

»Wir kennen ihn nicht nur, sondern wir haben mit ihm die Pfeife des Friedens und der Bruderschaft geraucht und sind verpflichtet, ihm in jeder Lage beizustehen, so wie er uns auch.«

»Well, so wünsche ich, daß er nicht nur einen, sondern möglichst viele Gegner erwartet!«

»Malt den Teufel nicht an die Wand! Derartige Wünsche sind gefährlich, da sie nur allzuleicht in Erfüllung gehen. Kommt mit hinab! Der Uncle wird erfreut, aber auch erstaunt darüber sein, daß der Häuptling sich in dieser Gegend befindet.«

»Wie nanntet Ihr den Roten?«

»In der Osagensprache Menaka schecha; d.h. die gute Sonne oder die große Sonne. Er ist ein sehr tapferer und erfahrener Krieger und dabei kein eigentlicher Feind der Weißen, obgleich die Osagen zu den Völkerschaften der noch ungezähmten Sioux gehören.«

Unten angekommen, fanden sie den Uncle in einer steifen, theatralischen Pose. Er hatte alles gehört und diese Haltung angenommen, um seinen roten Freund möglichst würdevoll zu begrüßen.

Nach kurzer Zeit begannen die Pferde zu schnauben, und gleich darauf sah man den Indianer kommen. Er befand sich in den besten Mannesjahren und trug die gewöhnliche indianische Lederkleidung, welche an einigen Stellen zerrissen und an andern mit frischem Blute befleckt war. Waffen hatte er keine. Auf jede seiner Wangen war eine Sonne tättowiert; an seinen beiden Handgelenken war die Haut aufgeschunden. Er mußte gebunden gewesen sein und die Fesseln gesprengt haben. Jedenfalls befand er sich auf der Flucht und wurde verfolgt.

Trotz der Gefahr, die dem Indianer drohte und ihm sehr nahe sein konnte, kam er sehr langsam herbei, reichte, ohne zunächst den Engländer zu beachten, den beiden Jägern die Rechte und sagte im ruhigsten Tone und sehr geläufigem Englisch: »Ich habe die Stimme und Gestalt meines Bruders und Freundes sogleich erkannt und freue mich, euch begrüßen zu können.«

»Wir freuen uns desgleichen; das wirst du uns glauben,« antwortete Humply.

Der lange Uncle hielt beide Hände ausgestreckt über den Kopf des Roten, als ob er ihn segnen wolle, und rief aus: »Sei gegrüßt im Erdenthale – viele, viele tausendmale – großer Häuptling, edler Schatz – nimm bei deinen Freunden Platz – und verzehr in aller Eile – diesen Rest der Reheskeule!«

Bei den letzten Worten deutete er in das Gras, wo das lag, was der Lord von der Keule übrig gelassen hatte, nämlich der Knochen mit einigen harten Fleischfasern, welche dem Messer nicht hatten weichen wollen.

»Still, Uncle.« gebot Humply, »es ist jetzt wahrhaftig keine Zeit für deine Gedichte. Siehst du denn nicht, in welchem Zustande sich der Häuptling befindet?«

»Gebunden, doch entkommen – hat er zu seinem Frommen – die Flucht hierher genommen,« antwortete der Gescholtene deklamierend.

Der Buckelige wendete sich von ihm ab, deutete auf den Lord und sagte zu dem Osagen: »Dieses Bleichgesicht ist ein Meister im Schießen und ein neuer Freund von uns. Ich empfehle ihn dir und deinem Stamme.«

Da gab der Rote dem Engländer nun auch die Hand und antwortete: »Ich bin der Freund eines jeden guten und ehrlichen Weißen; die Diebe, Mörder und Leichenschänder aber sollen vom Tomahawk gefressen werden!«

»Bist du so schlimmen Leuten begegnet?« erkundigte sich Humply.

»Ja. Meine Brüder mögen ihre Gewehre bereit halten, denn diejenigen, welche mir nachjagen, können jeden Augenblick hier sein, obgleich ich sie nicht gesehen habe. Sie werden zu Pferde sitzen und ich mußte gehen; aber die Füße der »guten Sonne« sind so schnell und ausdauernd wie die Läufe des Hirsches, den kein Roß erreicht. Ich bin viele Bögen und Kreise gegangen, auch habe ich mich oft rückwärts bewegt, mit den Fersen voran, um sie aufzuhalten und irre zu führen. Sie trachten nach meinem Leben.«

»Das sollen sie bleiben lassen! Sind ihrer viele?«

»Ich weiß es nicht, denn als sie meine Flucht entdecken mußten, war ich schon fort.«

»Wer ist es denn? Welche Weißen konnten es wagen, die »gute Sonne« gefangen zu nehmen, um sie zu töten?«

»Es sind viele, viele Menschen, mehrere hundert schlechte Leute, welche von den Bleichgesichtern Tramps genannt werden.«

»Tramps? Wie kommen diese hierher, und was wollen sie in dieser abgelegenen Gegend? An welchem Orte befinden sie sich?«

»In dem Winkel des Waldes, welchen ihr Osage-nook nennt, den aber wir die Ecke des Mordes heißen, weil unser berühmtester Häuptling mit seinen tapfersten Kriegern dort hinterlistig umgebracht worden ist. Alle Jahre, wenn der Mond sich dreizehnmal gefüllt hat, besuchen einige Abgesandte unsres Stammes diesen Ort, um an den Gräbern der gefallenen Helden den Tanz des Todes aufzuführen. So verließ auch ich in diesem Jahre mit zwölf Kriegern unsre Weidegründe, um mich nach dem Osage-nook zu begeben. Wir kamen vorgestern dort an, suchten die Gegend ab und überzeugten uns, daß kein feindliches Wesen vorhanden sei. Wir fühlten uns also sicher und schlugen unser Lager bei den Gräbern auf. Gestern jagten wir, um Fleisch zur Speise zu haben, und heute nahmen wir die Feier vor. Ich war so vorsichtig gewesen, zwei Wachen auszustellen, dennoch war es weißen Männern gelungen, sich unbemerkt in unsre Nähe zu schleichen. Sie hatten die Spuren gesehen, welche während der Jagd von unsern Füßen und den Hufen unsrer Pferde zurückgelassen worden waren, und fielen während des Tanzes so plötzlich über uns her, daß wir nur wenige Augenblicke zum Widerstande fanden. Sie waren mehrere hundert Köpfe stark; wir töteten einige von ihnen; sie erschossen acht von uns; ich wurde mit den übrigen vier überwältigt und gebunden. Man hielt Gericht über uns, und wir erfuhren, daß wir heute abend am Feuer gemartert und dann verbrannt werden sollten. Sie lagerten sich bei den Gräbern und trennten mich von meinen Kriegern, damit ich nicht mit denselben sprechen könne. Man band mich an einem Baume fest und stellte einen weißen Wächter zu mir; aber der Riemen, welcher mich hielt, war zu schwach; ich zerriß ihn. Zwar schnitt er mir, wie ihr sehen könnt, tief in das Fleisch, hoch kam ich los und benutzte den Augenblick, an welchem der Wächter einmal fortging, dazu, mich heimlich davon zu schleichen.«

»Und deine vier Gefährten?« fragte Bill.

»Sie sind natürlich noch dort. Oder meinst du, daß ich hätte nach ihnen forschen sollen?«

»Nein; du wärst dadurch nur von neuem in die Gefangenschaft geraten.«

»Mein Bruder sagt die Wahrheit. Ich hätte sie nicht retten können, sondern wäre mit ihnen umgekommen. Ich beschloß, nach Butlers Farm zu eilen, deren Besitzer mein Freund ist, und von dort her Hilfe zu holen.«

 

Humply-Bill schüttelte den Kopf und meinte: »Fast unmöglich! Vom Osage-nook bis zu Butlers Farm sind gute sechs Stunden zu reiten, mit einem schlechten Pferde bringt man noch viel länger zu. Wie kannst du da bis zum Abend, an welchem deine Gefährten sterben sollen, zurückgekehrt sein?«

»O, die Füße der guten Sonne sind ebenso schnell wie diejenigen eines Pferdes,« antwortete der Häuptling selbstbewußt. »Meine Flucht wird die Folge haben, daß man die Hinrichtung aufschiebt und sich zunächst alle Mühe gibt, mich wieder einzufangen. Die Hilfe würde also wohl zur rechten Zeit eintreffen.«

»Dieses Exempel kann stimmen und auch nicht. Gut, daß du uns getroffen hast, denn nun ist es nicht nötig, nach Butlers Farm zu laufen; wir werden mit dir gehen, um deine Gefährten zu befreien.«

»Will mein weißer Bruder dies wirklich thun?« fragte der Indianer in freudigem Tone.

»Natürlich! Was denn anders? Die Osagen sind ja unsre Freunde, während die Tramps die Gegner eines jeden ehrlichen Mannes sind.«

»Aber es sind ihrer so viele, so sehr viele, und wir hier haben zusammen nur acht Arme und Hände!«

»Pshaw, du kennst mich ja! Meinst du, daß ich die Absicht habe, mich offen mitten unter sie hineinzustürzen? Vier listige Köpfe können es schon wagen, sich an eine Horde Tramps zu schleichen, um einige Gefangene herauszuholen. Was sagst du dazu, alter Uncle?«

Der Steifnackige breitete beide Arme aus, schloß entzückt die Augen und rief: »Ich reite sofort mit Vergnügen – hin, wo die weißen Schufte liegen – und hole ohne Furcht und Graus – die roten Brüder alle 'raus!«

»Schön! Und Ihr, Mylord?«

Der Engländer hatte sein Notizbuch herausgenommen, um den Namen des Häuptlings zu notieren; er schob es jetzt wieder in die Tasche und antwortete: »Natürlich reite ich mit; es ist ja ein Abenteuer!«

»Aber ein sehr gefährliches, Sir!«

»Desto besser! Da zahle ich zehn Dollar mehr, also sechzig. Aber wenn wir reiten wollen, so müssen wir ein Pferd für die »gute Sonne« besorgen!«

»Hm, ja!« antwortete der Buckelige, indem er ihn überrascht anblickte.

»Aber woher würdet denn Ihr eins nehmen, he?«

»Natürlich von seinen Verfolgern, welche wahrscheinlich nahe genug hinter ihm sind.«

»Ganz richtig, ganz richtig! Ihr seid kein unebener Kerl, Sir, und ich denke, daß wir uns so leidlich zusammenarbeiten werden. Nur ist es dabei wünschenswert, daß unser roter Freund eine Waffe besitzt.«

»Ich trete ihm eins von meinen Gewehren ab. Hier ist's ja schon; den Gebrauch desselben werde ich ihm erklären. Und nun dürfen wir keine Zeit versäumen, sondern ich schlage vor, uns so aufzustellen, daß die Verfolger, wenn sie hier ankommen, von allen Seiten eingeschlossen sind.«

Der Ausdruck des Erstaunens auf dem Gesichte des Kleinen wurde immer intensiver. Er maß den Engländer mit einem fragenden Blicke und antwortete: »Ihr sprecht da grad wie ein alter, erfahrener Jäger, Sir! Wie meint Ihr denn eigentlich, daß wir das anzufangen hätten?«

»Sehr einfach. Einer bleibt hier auf dem Hügel, auf welchem wir beide jetzt waren. Er empfängt die Kerls genau so, wie ihr beide vorher mich empfangen habt. Die andern drei gehen einen Bogen, so daß ihre Spuren nicht zu sehen sind, und besteigen die drei benachbarten Höhen. Kommen dann die Kerls, so befinden sie sich zwischen den vier besetzten Hügeln, und wir haben sie fest, denn wir sind oben gedeckt und können sie nach Belieben wegputzen, während sie von uns nur den Rauch unsrer Schüsse bemerken.«

»Ihr redet wirklich wie ein Buch, Mylord! Sagt aufrichtig, befindet Ihr Euch wirklich jetzt zum erstenmal in der Prairie?«

»Allerdings. Aber ich habe mich vorher an andern Orten befunden, wo man nicht weniger vorsichtig sein muß als hier. Wir haben ja bereits davon gesprochen.«

»Well! Ich sehe, daß wir mit Euch nicht viel Ärger haben werden, und das ist mir lieb. Ich gestehe, daß ich ganz denselben Vorschlag machen wollte. Bist du einverstanden, alter Uncle?«

Der Steife machte eine theatralische Armbewegung und antwortete: »Jawohl, sie werden eingeschlossen – und miteinander totgeschossen!«

»Gut, so bleibe ich hier, um sie, sobald sie kommen, anzureden. Der Mylord geht nach rechts; du wendest dich links, und der Häuptling postiert sich auf den vorstehenden Hügel. Auf diese Weise bekommen wir sie zwischen uns, und ob wir sie töten oder nicht, das soll ganz darauf ankommen, wie sie sich verhalten.«

»Nicht töten!« meinte der Lord.

»Ganz recht, Sir! Auch ich bin dagegen, aber diese Schurken verdienen eigentlich keine Nachsicht, und wenn wir sie schonen, was thun wir dann mit ihnen? Können wir sie mit uns schleppen? Unmöglich! Und lassen wir ihnen die Freiheit, so verraten sie uns. Ich werde so laut mit ihnen reden, daß Ihr jedes Wort hört, dann wißt Ihr, was zu thun ist. Schieße ich einen über den Haufen, so ist das ein sicheres Zeichen, daß Ihr auf die andern schießen sollt. Entkommen darf keiner. Denkt daran, daß sie acht Osagen getötet haben, ohne von diesen vorher feindlich behandelt worden zu sein! Und nun vorwärts, Mesch'schurs; ich denke, daß wir nicht länger zögern dürfen.«

Er stieg den nächsten Wellenberg empor und legte sich da, wo er vorher mit dem Engländer den Indianer beobachtet hatte, in das Gras. Die drei andern verschwanden zu beiden Seiten in den Wellenthälern. Die Pferde blieben da, wo sie gestanden hatten. Der Lord hatte sein Fernrohr mitgenommen.

Es verging wohl eine Viertelstunde, ohne daß die Annäherung eines menschlichen Wesens zu bemerken war. Der Wächter, welchem der Häuptling entkommen war, mußte sehr nachlässig gewesen sein und die Flucht desselben spät entdeckt haben. Dann war von dem Hügel, auf welchem sich der Engländer befand, der laute Ruf zu hören: »Aufgepaßt, sie kommen!«

»Still!« warnte der Buckelige etwas weniger laut.

»Pshaw! Sie können es nicht hören, sind fast noch eine Meile entfernt.«

»Wo?«

»Geradeaus nach Ost. Habe durch das Rohr zwei Kerls gesehen, welche auf einem Hügel standen und herwärts schauten, ob der Häuptling zu sehen sei. Haben jedenfalls die Pferde unten stehen gehabt.«

»So paßt doppelt scharf auf, und schont die Pferde; wir brauchen sie!«

Es verging wieder einige Zeit; dann hörte man den Hufschlag nahender Tiere. Im Wellenthal, das vor dem Buckeligen lag, wurden zwei nebeneinander reitende Männer sichtbar; sie waren sehr gut bewaffnet und beritten und hielten die Augen scharf auf die Fährte des Häuptlings, welcher sie folgten, gerichtet. Gleich hinter ihnen erschienen noch zwei und dann noch einer; es waren also fünf Verfolger. Als sie die Mitte des Wellenthales erreicht hatten, und sich also zwischen den vier Versteckten befanden, rief Bill ihnen zu: »Stop, Mesch'schurs! Keinen Schritt weiter, oder ihr hört meine Büchse reden!«

Sie hielten überrascht an und schauten nach oben, ohne aber jemand zu erblicken, da der Buckelige im tiefen Grase lag. Doch gehorchten sie seinem Befehle, und der Vorderste antwortete. »Alle Teufel! Was gibt es denn hier für einen heimlichen Wegelagerer? Zeigt Euch uns doch, und sagt, welches Recht Ihr habt, uns anzuhalten!«

»Das Recht eines jeden Jägers, welchem Fremde begegnen.«

»Wir sind auch Jäger. Seid Ihr ein ehrlicher Kerl, so laßt Euch sehen!«

Die fünf Tramps hatten ihre Gewehre zur Hand genommen, sie sahen keineswegs friedlich aus, dennoch antwortete der Kleine: »Ich bin ein ehrlicher Mann und kann mich wohl sehen lassen. Da habt ihr mich!«

Er sprang auf, so daß sie seine ganze Gestalt sehen konnten, hielt aber sein Auge so scharf auf sie gerichtet, daß ihm nicht die geringste ihrer Bewegungen entgehen konnte.

»Zounds!« rief einer von ihnen. »Irre ich mich nicht, so ist das der Humply-Bill!«

»So werde ich allerdings genannt.«

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