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Am Rio de la Plata

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»Sie sehen, daß Sie nichts vermögen,« sagte er. »Ergeben Sie sich also in die gegenwärtige Lage! Widerstand ist vergeblich. Sie haben es nicht mit Leuten zu thun, welche sich vor einem Freibeuter fürchten. Sie werden die Früchte Ihrer heutigen Thaten ernten, Sie und Ihre Leute, denn auch dieser werden wir uns versichern.«

Wie wollen Sie das anfangen?« fragte der Major kleinlaut-höhnisch.

»Ich will es Ihnen sagen. Sie schließen wir ein, und dann locken wir Ihre Leute herein in den Hof und lassen unsere Toros und Novillos zu ihnen, welche sich da hinter diesem zweiten Thore befinden. Ich bin überzeugt, daß Ihre tapferen Guerilleros diesen Tieren gegenüber ganz andere Gesichter machen, als heute früh, wo es sich um zwei ungefährliche Männer handelte.«

Toro ist ein alter, heimtückischer Stier, welcher leicht auf den Mann geht. Novillos werden die jungen, wilden Ochsen genannt, welche sich der Zähmung widersetzen. Beide Arten sind höchst gefährlich, denn ist ein solches Tier einmal in Wut geraten, was bei der geringsten Veranlassung geschehen kann, dann ruht es nicht eher, als bis der Feind ihm aus den Augen gekommen oder vernichtet ist. Die Drohung des Bruders verfehlte deshalb ihren Eindruck nicht, zumal er hinzufügte:

»Oder glauben Sie, daß Ihre Leute meiner Einladung nicht folgen werden? Dann giebt es ein anderes Mittel. Sie sind von den Pferden gestiegen und also nicht zu einer augenblicklichen Flucht vorbereitet. Ich brauche nur das vordere und dieses zum Ochsenplatze führende Thor zu öffnen, so stürmen die Stiere hinaus. Sie kennen das und werden zugeben, daß Ihre Leute dann sicher verloren sind. Soll ich es Ihnen etwa gleich jetzt beweisen, Herr Major?«

Er that, als ob er zum Thore gehen wolle.

»Um Gottes willen!« rief Cadera erschrocken. »Die Bestien würden sich ja zuerst auf uns werfen!«

»Allerdings. Aber den Ranchero und mich kennen sie; wir würden uns vor den deutschen Sennor stellen, und Sie würden es also allein sein, den sie auf ihre Hörner spießten. Es ist gar nicht scherzhaft gemeint, Sennor! Sie befinden sich in großer Gefahr. Sie haben nichts zu erwarten, als das Militär aus Mercedes und obendrein die wilden Stiere. Wir wissen sehr genau, wie man mit fremden Freibeutern umzugehen hat; das sehen Sie nun wohl ein.«

»Ich mag mit Ihnen nichts mehr zu thun haben und verlange, daß Sie mich hinaus lassen!«

»Hm! Dieses Verlangen ist sehr leicht erklärlich, und ich bin vielleicht bereit, Ihren Wunsch zu erfüllen, stelle aber die Bedingung, Sie gegen Ihren Gefangenen auszuwechseln.«

»Darauf lasse ich mich nicht ein! Sie müssen mich hinaus lassen. Sie haben kein Recht, mich hier zurückzuhalten!«

»Und Sie haben noch weniger Recht, sich des Sennor Monteso zu bemächtigen. Streiten wir nicht. Diese Differenz wird sofort ausgeglichen werden, wenn die Truppen aus Mercedes kommen. Sennor Bürgli, haben Sie einen sicheren Mann und ein schnelles Pferd?«

»Beides ist vorhanden,« antwortete der Ranchero, welcher sich bisher nur mit den Augen und Ohren an der Scene beteiligt hatte.

»Lassen Sie augenblicklich satteln und bringen Sie den Mann zu mir. Ich werde ihm einige Zeilen mitgeben. Die Freischärler halten vorn am Thore; er mag also hinten durch die Oeffnung der Hürde reiten. Da sehen sie ihn nicht.«

Bürgli wollte in das Haus treten. Da aber rief der Major:

»Halt! Noch ein Wort! Ich habe die Truppen aus Mercedes nicht zu fürchten, denn sie sind meine Kameraden. Aber ich wäre blamiert, mich von ihnen in der gegenwärtigen Lage finden zu lassen. Ich gehe also auf Ihre Bedingung ein und liefere Monteso aus. Lassen Sie mich hinaus, so werde ich Ihnen den Mann hereinschicken.«

Der Frater schüttelte lächelnd den Kopf und antwortete:

»In dieser Weise möchte ich die Sache nicht beilegen, Sennor. Ich öffne das Thor, so daß Sie von den Ihrigen gesehen werden und mit ihnen sprechen können. Sie geben ihnen den Befehl, den Yerbatero frei zu lassen. Sobald er zum Thore hereinkommt, dürfen Sie zu demselben hinaus. Dadurch wird jede Unehrlichkeit von Ihrer oder unsrer Seite ausgeschlossen. Ich denke, Sie gehen auf diesen Vorschlag ein?«

»Ich bin bereit dazu.«

»Gut! Aber ich verlange von Ihnen Ihr Ehrenwort, daß Sie sich dann sofort mit Ihren Leuten entfernen und jeden Versuch unterlassen, uns zu schaden. Unter diesem Wörtchen „uns“ verstehe ich die Bewohner dieses Rancho, die beiden Sennores, welche Ihre Gefangenen waren, und auch mich. Ich fordere also, daß Sie einen Eid darauf ablegen. Sind Sie bereit dazu?«

Er gab diese Zusage nur sehr widerstrebend; das war ihm anzusehen, aber er hatte keinen freien Willen mehr.

»Nun, so will ich öffnen,« erklärte der Frater.

Er ging zum Thore, schob die Riegel zurück und machte beide Flügel auf. Mitten im Eingange blieb er stehen. Die Bolamänner waren abgestiegen und hielten in kurzer Entfernung von ihm. Monteso wurde von ihnen eingeschlossen und war an den Händen gebunden. Ich stand neben dem Major und hielt ihn scharf im Auge. Er hatte nun den betreffenden Befehl zu erteilen. Sein Auge sah das Thor offen; die Freiheit lag vor ihm; es schien ihm leicht zu sein, uns zu entkommen, ohne sein Versprechen zu halten; er schnellte plötzlich vorwärts, dem Ausgange zu. Aber er kam nicht weit. Ich sprang ihm nach und faßte ihn am Arme. Er versuchte sich loszureißen, doch vergeblich.

»Herbei, herein!« schrie er seinen Leuten zu. »Zu Hilfe!«

Ich schleuderte ihn zu Boden und hielt ihn dort fest. Mehrere der Bolamänner wollten seinem Rufe folgen; aber der Frater rief ihnen zu:

»Ihr bleibt draußen! Wer wagt es, meinem Befehle entgegen zu handeln?«

Sie wichen zurück. Er allein hielt fünfzig Männer in Schranken. Es war, als ob sein Blick lähmend auf sie wirkte.

»Verräter, Lügner!« wendete er sich an den Major. »Sie wollen Offizier sein und besitzen doch so wenig Ehrgefühl, daß Sie ein gegebenes Wort nicht achten. Ich sollte Sie dafür züchtigen, will es aber nicht thun, sondern auch jetzt noch unser Uebereinkommen festhalten. Geben Sie Sennor Monteso frei, so lassen wir Sie hinaus. Entschließen Sie sich schnell! Wollen Sie?«

»Ja,« knirschte er. »Laßt mich nur auf!«

»Nein!« antwortete ich, ihm auf der Brust knieend. »Erst geben Sie den Befehl!«

»Nun denn, laßt den Kerl herein!«

Er mußte dieses Gebot wiederholen, bevor es befolgt wurde. Montesos Fessel wurde gelöst, und er kam in den Hof.

»Nun aber will ich fort!« rief der Major. »Ich habe Ihre Bedingungen erfüllt. Lassen Sie mich also frei!«

»Ich werde es thun, sobald Sie jetzt in aller Form Ihr Ehrenwort wiederholen, sich mit den Ihrigen sofort zu entfernen und allen Feindseligkeiten gegen uns zu entsagen.«

»Ich gebe es ja! Wir werden diese Gegend augenblicklich verlassen und nichts gegen Sie unternehmen.«

»Gut! Und das Pferd des Yerbatero verlange ich auch.«

»Nehmen Sie es sich! Aber schnell, damit ich endlich loskomme!«

Monteso holte es sich selbst, und nun erst ließ ich die Hände von dem Major, welcher schnell aufsprang und zum Thore hinaus rannte. Draußen stieg er, ohne ein Wort zu sagen, auf und ritt mit seinen Leuten davon. Der Frater war so vorsichtig, ihnen einen Gaucho von weitem nachzusenden, welcher aufzupassen hatte, daß sie sich auch wirklich entfernten und uns nicht etwa für unsere Rückkehr nach der Estanzia del Yerbatero einen Hinterhalt legten. Er meldete uns später, daß sie über den Fluß gegangen seien, ein sicheres Zeichen, daß sie nicht die Absicht hatten, sich weiter mit uns zu beschäftigen.

Die Ranchera hatte von der Wohnstube aus den Vorgang nicht ohne Angst betrachtet, dabei aber doch Zeit gefunden, der Dienerin zu helfen, den Tisch mit den Erzeugnissen der Küche zu schmücken. Als wir hinein kamen, wurden wir aufgefordert, tüchtig zuzulangen, was wir auch thaten. Dabei war natürlich das Ereignis der Gegenstand des Gespräches. Monteso war am meisten ergrimmt und erzählte während des Essens, auf welche Weise er entkommen war. Das ihm von mir zugeworfene Messer hatte ihn gerettet, aber die Verfolger waren zu schnell hinter ihm gewesen. Er hatte zwar das Pferd zum schnellsten Laufe angespornt, aber es war jenseits der Bergeshöhe mit dem Fuße in einen Kaninchenbau geraten und gestürzt und er selbst war dadurch aus dem Sattel geschleudert worden. Um dem Pferde aufzuhelfen und wieder aufzusteigen, hatte er so viel Zeit gebraucht, daß ihm die Verfolger gefährlich nahe gekommen waren. Sie hatten sich geteilt, um ihn von rechts und links zu nehmen. Das hatte die Krisis auf kurze Zeit verzögert, so daß er noch eine bedeutende Strecke vorwärts gekommen war. Endlich hatten sie mit Bolas nach seinem Pferde geworfen und dasselbe zu Fall gebracht. Er war zwar gesonnen gewesen, sich zu wehren, hatte aber nur das Messer gehabt, während sie mit langen Lanzen bewaffnet gewesen waren, und da war er denn doch zu dem Entschluß gekommen, sich lieber zu ergeben. Auf der Rückkehr hatten sie mich erblickt und sofort Jagd auf mich gemacht.

»Aber,« fragte ich den Frater, »warum veranlaßten Sie mich denn, hier in den Hof einzubiegen? Warum riefen Sie mir zu, daß ich ins Verderben reiten werde?«

»Weil sich Ihnen jenseits des Rancho ein Flüßchen in den Weg gelegt hätte, über welches Sie nicht gekommen wären. Es mündet dort in den Negro.«

»Nun, wenn ich über diesen letzteren gekommen bin, hätte ich wohl auch durch dieses Flüßchen reiten können.«

»O nein. Die Ufer desselben sind außerordentlich sumpfig. Sie wären stecken geblieben und Ihren Verfolgern in die Hände gefallen. Es gibt nur wenige schmale Stellen, welche passierbar sind, und diese kennen Sie ja nicht. Nun sind Sie doch gerettet.«

»Wenigstens einstweilen. Ich traue diesen Bolaleuten nicht. Ihr Anführer hat zwar sein Ehrenwort gegeben, daß er keine weitere Feindseligkeit unternehmen will, aber ich denke, er ist nicht der Mann, welchem man zutrauen kann, daß er sein Versprechen halten werde. Am liebsten möchte ich selbst einmal hinunter zum Flusse reiten, um mich zu überzeugen, daß sie in Wirklichkeit fort sind.«

 

»Das wäre nur Zeitverschwendung; bleiben Sie ruhig hier! Sie befinden sich von jetzt an in vollständiger Sicherheit. Diese Leute sehen sich verraten. Der Boden brennt ihnen unter den Füßen, und sie werden sich gewiß beeilen, schleunigst über den Uruguay zu kommen.«

»So halten Sie sie für Argentinier?«

»Ja. Sie sind herüber gekommen, um hier zu remontieren, das heißt, Pferde zu stehlen. Ich glaube nicht, daß ich mich irre. Nun müssen sie gewärtig sein, daß wir Militär aus Mercedes holen. Darum fordert die Sorge für ihre eigene Sicherheit, daß sie sich so schnell wie möglich aus dem Staube machen.«

Jetzt ließ sich in der Nebenstube ein Ruf vernehmen. Der Frater stand auf und ging hinaus. Als er nach einiger Zeit wiederkam, teilte er mir mit, daß der kranke Oheim mich zu sehen wünsche. Der Patient hatte gehört, daß Ungewöhnliches vorgegangen sei und darnach gefragt. Als er hörte, daß ein Deutscher da sei, hatte er dringend verlangt, mit demselben reden zu dürfen, da er, außer aus dem Munde seiner Verwandten, lange Zeit kein deutsches Wort gehört habe.

»Thun Sie ihm den Gefallen, Sennor!« bat der Frater. »Der Aermste befindet sich fast unausgesetzt in einem Zustande tiefster Grübelei. Er leidet an seelischer Pein, und es ist mir bisher nicht gelungen, ihn von derselben zu befreien. Vielleicht ist es Ihnen möglich, erlösenden Eindruck auf ihn zu machen.«

»Setzen Sie nicht eine solche Hoffnung auf mich! Ich bin überzeugt, daß Sie enttäuscht sein werden.«

»O, ich stelle ja gar nicht das Verlangen an Sie, in der Weise eines geistlichen Beraters zu ihm zu sprechen. Ich habe aber erfahren, welchen Eindruck das unerwartete Zusammentreffen mit einem Landsmanne, zumal auf einen Kranken, zu machen vermag. Die Mitteilung, daß ein Deutscher sich hier befinde, erweckte ihn aus seiner Versunkenheit. Er hat nur noch kurze Zeit zu leben; ich befürchte sogar seine baldige Auflösung. Wenn der Tod anklopft, so öffnet sich selbst das verschlossenste Herz. Es kam mir ganz so vor, als ob es nicht bloß die Landsmannschaft sei, deretwegen er Sie sehen will.«

Es verstand sich ganz von selbst, daß ich den Wunsch des Kranken erfüllte. Ich begab mich in die Nebenstube. Diese stellte das vor, was man in einigen Gegenden Deutschlands die „gute Stube“ zu nennen pflegt. Sie war besser möbliert als die vordere. Ich sah sogar ein Harmonium dastehen. Es hatte den ersten Gewinn bei einer zu einem mildthätigen Zwecke in Montevideo veranstalteten Lotterie gebildet. Der Ranchero war zufällig dort anwesend gewesen, hatte einige Lose genommen und das Instrument gewonnen. Nun stand es als Luxusmöbel da, denn niemand besaß hier die Fertigkeit, es zu spielen.

Der Landsmann ruhte in einem sauberen Bette. Die Augen lagen ihm tief in den Höhlen, und die Wangen waren eingefallen. Seine hohe Stirn lief in einen haarlosen, glänzenden Schädel aus, und die Lippen bogen sich tief in die zahnarme Mundöffnung ein. Dadurch erhielt das Gesicht das Aussehen eines Totenkopfes. Es war, als ob der Mann jetzt eben zum letztenmale atmen dürfe.

Als ich grüßte, antwortete er nicht sofort, und sein Blick richtete sich unruhig forschend auf mein Gesicht. Vielleicht glaubte er, zu finden, was er in demselben suchte, denn nun ich zu ihm an das Bett getreten war, streckte er mir die beiden skelettartigen Hände zum Gruße entgegen und sagte, indem sein Mund ein Lächeln versuchte:

»Willkommen, Herr! Sie kommen natürlich nur ungem zu einem Sterbenden. Aber ich möchte Sie nach etwas fragen. Wollen Sie mir genau so antworten, wie Sie denken?«

»Gewiß! Ich werde Ihnen eine wahrheitstreue Antwort erteilen. Sie dürfen sich darauf verlassen.«

»Ich bitte Sie herzlichst darum! Ihre Antwort ist für mich von der größten Wichtigkeit.«

Er sprach langsam und mehr hauchend als laut. Seine Brust ging mühsam und hoch. Ich stützte seinen Oberkörper mit den Kopfkissen, so daß er eine sitzende Stellung erhielt, was ihn zu erleichtern schien. Anstatt mir nun, der ich einen Stuhl für mich an das Bett gezogen hatte, seine Frage vorzulegen, betrachtete er mich abermals eine ganze Weile, als ob er mir ins tiefste Herz sehen wolle. Es lag wirklich der Ausdruck der Angst in seinem Blicke, so daß ich ein herzliches Mitleid für den Aermsten empfand.

»Sprechen Sie getrost,« munterte ich ihn auf. »Ich will denken, ich sei Ihr bester Freund, und werde als solcher zu Ihnen sprechen.«

»Ja, ja, denken Sie so! Sie sollen mir ja den größten Freundschaftsdienst erweisen, den es geben kann, und ich will Vertrauen zu Ihnen haben.«

Er faltete die Hände und fuhr fort:

»Ich muß sterben, ich weiß es, ich fühle es. Ich soll fort, fort, fort, und doch hängt ein Gewicht an meiner Seele, durch welches sie mit Gewalt zurückgehalten wird. Sind Sie Freigeist oder gläubig?«

»Das letztere, eigentlich auch das erstere, denn ich hege die Ueberzeugung, daß der Geist des Menschen nur durch den Glauben frei zu werden vermag.«

»So sind Sie der richtige Mann für mich. Wie denken Sie über den Eid?«

Das war eine sonderbare Frage. Sollte ein Eid es sein, der ihn beschwerte? Sollte er ein heiliges, nicht zurücknehmbares Versprechen gegeben haben, welches ihn mit Angst vor dem Tode erfüllte? Ich antwortete nicht sogleich; dar-um fügte er hinzu:

»Sie verwerfen ihn wohl überhaupt?«

»Nein. Ein Eid ist ein heiliges Versprechen, bei welchem Gott als Zeuge angerufen wird. Wer ihn bricht, macht sich der Gotteslästerung schuldig.«

»So meinen Sie, daß er unter allen Umständen gehalten werden muß?«

»Ja.«

Er ließ die Hände sinken und seufzte:

»Das war auch meine Ansicht, und so bleibt die Last auf mir liegen.«

»Aber wie schworen Sie den Eid? Freiwillig?«

»O nein!«

»Also gezwungen! Ich würde mich zur Ablegung eines solchen Eides niemals zwingen lassen.«

»Auch nicht durch Androhung des Todes?«

»Auch da nicht.«

»So würden Sie lieber sterben?«

»Hm! Das ist eine Frage, welche ich nicht so leichthin beantworten kann. Die Angst vor dem Tode kann mächtiger als der Wille sein. Es kommt auf die Verhältnisse an. Jedenfalls würde ich alles mögliche versuchen und wagen, bevor ich mich bereit erklärte, so ein Versprechen zu geben. Müßte ich es dennoch thun, so würde ich mein Wort nur dann als bindend erachten, wenn sich mein Gewissen nicht dagegen sträubte, das heißt, wenn mein Gelöbnis mich nicht mit den göttlichen Gesetzen in Konflikt brächte, welche mir natürlich über die menschlichen gehen. Wäre ich aber durch mein Versprechen zu einer Begehungs- oder Unterlassungssünde gezwungen, so würde ich es nicht für bindend erachten.«

»Das ist wirklich Ihre Ansicht?«

»Ja. Ein Eid, welcher mich zu einer Sünde zwingt, ist eben selbst auch eine Sünde, und zwar eine sehr gefährliche und große. Wer da zögern möchte, sich selbst von ihm zu entbinden, mag sich an seinen geistlichen Berater wenden, welcher ihm gewiß die Freiheit des Gewissens zurückgeben wird.«

»Herr, Sie machen mir mein Herz leicht!« sagte er, indem er tief aufatmete. »Ich war Zeuge eines Verbrechens, und ich wurde von dem Thäter überfallen und zu dem Schwur gezwungen, es nicht zu verraten, selbst auf dem Totenbette nicht.«

»So war es ein schweres Verbrechen?«

»Ja, ein Mord. Ein Führer tötete den Reisenden, welchen er über die Cordilleras bringen sollte. Dieser Reisende war ein geistlicher Herr. Beide kamen aus Peru herüber. Ich befand mich in der Nähe und war Zeuge der schrecklichen That.«

»Konnten Sie dieselbe nicht verhüten?«

»Nein. Dazu war es zu spät. Das Opfer lag im letzten Zucken, und zwischen mir und dem Orte gab es eine steile Felsenwand.«

»Konnten Sie nicht wenigstens den Mörder durch einen Zuruf abschrecken?«

»Ich rief nicht nur, sondern ich brüllte geradezu vor Schreck. Er sah zu mir empor. Er bemerkte, daß ich nicht zu ihm konnte, hohnlachte zu mir herauf und würgte das Opfer vollends ab. Es war entsetzlich anzusehen.«

»Hatten Sie kein Gewehr bei sich, den Kerl zu erschießen?«

»Ich hatte eins, aber kein Pulver mehr. Ich floh von der Höhe und nahm mir vor, dem Mörder zu folgen und ihn anzuzeigen. Er aber hatte das gedacht und kam mir entgegen. Ich war nicht vorsichtig genug. Eben als ich um ein Felsenstück bog, trat er mir entgegen, warf mich zu Boden und setzte mir die Pistole auf die Brust.«

»Haben Sie sich nicht gewehrt?«

»Ja, aber ich war zu schwach. Ich hatte mich verirrt gehabt, droben in der öden Puna, und meine letzte Kugel verschossen, um ein Vicunna zu treffen, aber einen Fehlschuß gethan. Mehrere Tage des Hungers und des mühsamen Steigens hatten mich so elend gemacht, daß ich kaum mehr die Kraft eines Kindes besaß. Der Mann hätte mich sicher auch ermordet, aber er war – ein Bekannter, sogar ein früherer Gefährte von mir.«

»Hatten Sie ihn nicht sogleich erkannt?«

»Nein. Seine Gesichtszüge zu unterscheiden, war die Entfernung doch zu groß gewesen. Erst als er mich unter sich liegen hatte, erkannten wir einander. Er scheute sich doch, den Freund zu ermorden; er war mir von früher her zu Dank verpflichtet, und darum ließ er mir das Leben unter der Bedingung, daß ich einen Eid ablege, ihn nicht zu verraten. Ich war geschwächt, und nicht nur körperlich; darum gab ich den Schwur, welcher mich wie ein peinigendes Gespenst bis zu diesem Augenblick begleitet hat.«

Er hielt erschöpft inne. Er hatte nur langsam und mit vielen Unterbrechungen gesprochen; nun mußte er ausruhen. Das, was ich gehört hatte, machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ich mußte bei dieser Erzählung an den Sendador denken, von welchem mir der Yerbatero erzählt hatte. Dieser Sendador hatte mit einem Padre den Uebergang über die Cordilleras unternommen und von ihm die Papiere geerbt, da der Padre unterwegs gestorben war. Sollte er jener Mörder sein? Ich hatte ja gegen Monteso ähnliche Gedanken ausgesprochen.

»Darf ich den Namen dieses Mannes erfahren?« fragte ich.

Der Kranke schüttelte den Kopf.

»Oder wenigstens den Ort und die Zeit der That?«

Er verneinte durch ein abermaliges Schütteln.

»Haben Sie erfahren, weshalb der Mann den Padre ermordete? War es etwa wegen gewisser Papiere, in denen von Schätzen die Rede war, welche in einen See versenkt und in einem alten Schacht versteckt sein sollten, Schätze aus der Zeit der Inkas?«

Er griff im tiefsten Schrecken mit beiden Händen nach mir.

»Um Gottes willen, still!« sagte er. »Sie wissen es, Sie wissen es?! Woher, woher?«

»Es ist mehr ein Schluß, den ich ziehe, als ein festes, bestimmtes Wissen. Der Padre wollte nach Tucuman in das Kloster der Dominikaner?«

»Er weiß es! Er weiß alles!« hauchte der Patient leise vor sich hin.

»Und der Mörder ist ein berühmter Führer?«

»Auch das, auch das ist ihm bekannt! Aber, Herr, Sie müssen zugeben, daß ich Ihnen nichts gesagt habe, gar nichts, kein Wort!«

»Ja. Ich habe alles schon vorher gewußt.«

Er dachte nicht daran, daß er zwar direkt nichts verraten, aber ein indirektes Zugeständnis gemacht hatte. Um ihn nicht zu dieser Einsicht kommen zu lassen, fuhr ich schnell fort:

»Und das ist es, was Ihnen solche Sorge und Angst gemacht hat? Lieber Freund, ich an Ihrer Stelle hätte diese Last schon längst von meiner Seele geworfen! Ihre Pflicht war es, sich einem Priester anzuvertrauen. Indem Sie das nicht thaten, haben Sie sich einer schweren Unterlassungssünde schuldig gemacht. Da wir nun keinen Priester haben, so ziehen Sie wenigstens Frater Hilario ins Vertrauen. Er kann Ihnen sicher raten. «

»Ob ich das darf, das ist es eben, was ich nicht weiß!«

»Sie dürfen es. Die Sache ist ja kein Geheimnis mehr. Sie haben gehört, daß ich sie fast genau so kenne, wie Sie selbst. Bruder Hilario ist ein sehr würdiger Mann. Er wird, wenn Sie ihn um Rat fragen, Ihr Geheimnis ebenso sicher bewahren, wie wenn Sie es gebeichtet hätten. Freilich wird er Ihnen schwerlich eine andere Antwort geben, als wie ich es gethan habe.«

Er sah still vor sich hin. Nach einer längeren Weile meinte er:

»Wenn ich Sie so sprechen höre, muß ich Ihnen recht geben. Aber Sie wissen noch nicht alles. Der Senda – — jener Mörder hat mir noch mehr mitgeteilt.«

»Das thut nichts. Es kommt hier gar nicht darauf an, wie viel Sie verschweigen sollten; die Hauptsache ist, daß Ihr Eid Sie nicht dazu verpflichtet. Die Nähe des Todes, welche Sie doppelt bedenklich zu machen scheint, muß Sie veranlassen, aufrichtig zu sein. Ich spreche nicht aus mir selbst heraus, sondern ich versenke mich in Ihre Lage und in Ihre Qual. Ich denke mich ganz an Ihre Stelle und gebe Ihnen mein Wort, daß ich mich dem Bruder Hilario anvertrauen würde.«

 

Er zupfte mit den dürren Fingern an der Bettdecke herum, legte den Kopf müde zur Seite und sagte:

»Ich will es mir bedenken.«

»Thun Sie das, lieber Freund! Aber vergessen Sie nicht, daß einem jeden Menschen der große Augenblick kommt, an welchem es keine Zeit mehr zum Nachdenken giebt!«

»Ja, der Tod, der Tod!« seufzte er. »Herr, fürchten Sie den Tod?«

»Nein.«

»Ich meine nicht, ob Sie ein beherzter Mann sind; ich meine nicht die Gefahren dieses Lebens, sondern das, was nach dem Tode kommt.«

»Ich verstehe Sie schon. Der Engel des Todes ist für den Reuigen ein Friedensbote Gottes, welcher das verlorne Kind zum Vater zurückbringt. Für den Verstockten aber ist er der Thürschließer am Thore zum ewigen Gerichte. Wer hier nach Kräften seine Pflicht gethan hat und seine Sünden aufrichtigen und gläubigen Herzens in Gottes Erbarmen legt, der kann ruhigen Herzens seine Augen schließen, denn Gott ist die Liebe!«

Er machte die Augen zu, als ob er meine letzten Worte befolgen wolle. So lag er lange, lange ruhig da; nur seine Finger zupften konvulsivisch an der Decke, und seine Brust bewegte sich. Wohl eine Viertelstunde verging. Dann öffnete er die Augen und sagte:

»Sie haben recht, Sie haben recht! Ich werde Frater Hilario fragen. Gehen Sie hinaus, und senden Sie ihn mir!«

Natürlich folgte ich dieser Aufforderung, und Bruder Hilario ging zu dem Sterbenden. Drin in der Wohnstube saßen wir wohl eine Stunde lang, doch ohne uns zu unterhalten. Dann kam der Frater zurück. Sein Gesicht war ernst; aber in seinem milden Auge leuchtete es warm. Er gab mir die Hand und sagte:

»Er verlangt nach einem Priester. Sendet sofort nach Montevideo, damit er ihn noch am Leben findet. Aber der Zweifel und die Angst sind bereits von dem Kranken gewichen.«

Natürlich ward sofort ein Gaucho nach Montevideo gesandt. Dann sagte Frater Hilario:

»Der Kranke fragte mich, wann Sie fort wollen, und läßt Sie bitten, heute noch dazubleiben.«

»Aber wir müssen nach der Estanzia del Yerbatero!« widersprach Monteso.

»Nein, Sie bleiben!« bat der Ranchero.

Seine Frau und der Bruder schlossen sich dieser Bitte an, und ich blieb gern. Aber Monteso trieb es fort. Man befand sich auf der Estanzia jedenfalls in großer Sorge um uns, und er wollte hin, die Seinen zu beruhigen. Ich versuchte, ihn zum Bleiben zu veranlassen, doch vergeblich. Er bestand darauf, sofort aufzubrechen, und versprach, später wieder hier einzukehren; wir würden nach unserem Aufbruche von der Estanzia hier vorüberkommen.

»Aber der Ritt ist gefährlich, Sennor,« warnte ich ihn. »Sie haben gehört, daß ich den Bolamännern nicht traue.«

»Pah! Die sind jetzt so weit fort von hier, daß gar nicht mehr an sie zu denken ist.«

»Das möchte ich nicht beschwören. Lassen Sie sich wenigstens von Sennor Bürgli einige Gauchos mitgeben, welche Sie eine Strecke begleiten, bis Sie sicher sind, daß Ihnen kein Hinterhalt gelegt worden ist.«

»Das wäre ganz überflüssig. Uebrigens neigt sich die Sonne nieder. Ich habe mich zu sputen und kann nicht warten, bis die Gauchos fertig sind.«

Ich ließ aber nicht nach, bis er dem Ranchero erlaubte, zwei dieser Leute herbeizurufen. Bald trabten sie von dannen, nachdem ich versprochen hatte, morgen früh nachzukommen. Doch bereits nach kaum einer Viertelstunde kehrten die Gauchos zurück. Er hatte sie fortgeschickt, da ihre Begleitung eigentlich eine Beleidigung sei.

Bei seinem Aufbruche war ich mit vor das Thor gegangen und hatte ihm nachgeschaut. Unten am Flusse war kein lebendes Wesen zu sehen. Das beruhigte mich. Besser wäre es gewesen, wenn ich selbst ihn eine Strecke begleitet hätte. Mir wären sicher gewisse Spuren aufgefallen, aus denen zu ersehen war, daß sein Heimritt doch gefährlicher sei, als er glaubte.

Als ich in die Stube zurückkehrte, war der Kranke in einen tiefen, ruhigen Schlaf gefallen. Die Bewohner des Rancho waren dann bei ihrer täglichen Beschäftigung, und mich nahm der Bruder mit hinaus ins Freie, um mir die zum Rancho gehörigen Umzäunungen zu zeigen. Dann saßen wir rauchend miteinander auf der Bank vor der Thüre. Bis jetzt war kein Wort über den Sterbenden gefallen. Auch über sich selbst machte Frater Hilario keine Bemerkung, obgleich ich neugierig war, etwas Näheres zu hören. Natürlich vermied ich es, eine Frage auszusprechen. Nur das eine bemerkte ich, daß er eine ziemlich große Bildung besaß. Die Unterhaltung spann sich anfangs eigentlich nur um mich und meine Erlebnisse und Reiseabsichten. Als er hörte, wen ich in Tucuman besuchen wollte, sagte er überrascht:

»Sennor Pena? Wie haben Sie diesen kennen gelernt?«

»Ich traf ihn vor zwei Jahren in Mexiko und hörte von ihm, daß er sich nach dieser Zeit in Tucuman befinden werde.«

»Ganz recht. Sie werden ihn dort treffen. Er wohnt gegenwärtig in Tucuman, wo er sich zu neuen Ausflügen vorbereitet. Gehen Sie direkt dorthin?«

»Nein. Wir wollen vorher nach dem Gran Chaco.«

»Ah, das ist mir interessant, Sennor. Ein solches Zusammentreffen ist ganz unerwartet. Ich will nämlich auch nach dem Chaco und dann nach Tucuman.«

»Wirklich? Dann wäre es herrlich, wenn wir zusammen reisen könnten.«

»Es ist möglich. Wann brechen Sie auf?«

»In ganz kurzer Zeit, in nur einigen Tagen.«

»Ich ebenso. Ich würde mich Ihnen sehr gern anschließen, wenn ich wüßte, daß ich Ihren Gefährten willkommen sei. Wer reitet mit?«

»Sennor Monteso mit noch fünf seiner Gefährten. Die Leute werden nicht nur nichts gegen Ihren Anschluß haben, sondern sich herzlich über denselben freuen.«

»Aber, was wollen diese Yerbateros im Gran Chaco? Sie können doch reichlich Thee in anderen Gegenden finden, welche weit weniger gefährlich sind.«

»Dieses Mal reisen sie nicht als Theesucher, sondern in anderer Eigenschaft.«

»Wohl ein Geheimnis?«

»Eigentlich, ja. Ist dieser Gran Chaco wirklich so gefährlich, wie Ihre Worte vermuten lassen, Frater Hilario?«

»Ja. Ihnen freilich wird er nicht so gefährlich erscheinen. Wer, wie Sie, sich mit den Rothäuten und wilden Tieren des Nordens herumgeschlagen hat, der wird meinen, über den Gran Chaco lächeln zu können. Er hat indessen ebensoviele und große Gefahren, wie die Savanne oder die Wüste.«

»Sie meinen die wilden Tiere?«

»Nun, der Jaguar ist freilich kein bengalischer Tiger, ebenso wie der Puma nicht mit dem afrikanischen oder asiatischen Löwen zu vergleichen ist; aber beide sind doch gefährlich genug. Am meisten sind indessen die Wilden zu fürchten, welche sich mit der Unhörbarkeit einer Schlange zu bewegen verstehen!«

»Das verstehe ich auch.«

»Das möchte ich bezweifeln, natürlich, ohne Sie beleidigen zu wollen.«

»So wette ich mit Ihnen. Es soll finster sein. Sie sitzen hier auf dieser Bank, und ich stehe draußen vor dem Thore. Es ist Nacht. Kein Lüftchen regt sich, und man möchte darauf schwören, das geringste Geräusch hören zu können. Dennoch komme ich herein und setze mich hierher neben Sie. Wenn Sie nicht gerade an mich stoßen, sollen Sie gar nicht ahnen, daß jemand neben Ihnen sitzt.«

»Sennor, Ihre Worte in Ehren, aber das glaube ich nicht!« »Sie werden es glauben lernen, da wir ja miteinander reisen. Ich denke, daß es da Gelegenheit geben wird, Ihnen zu beweisen, daß ich gar nicht zu viel gesagt habe.«

»Aber, wie wollen Sie herein? Das Thor ist ja verschlossen!«

»Ich steige über mit Hilfe des Lasso, dessen Schlinge ich nach oben werfe.«

»Dann mag es möglich sein. Aber das ist auch der einzige Punkt, an welchem Sie herein könnten.«

»Ich komme überall durch.«

»Auch durch den Kaktus?«

»Ja. Er mag noch so dicht oder voller Stacheln sein. Ich schneide mir ein Loch durch die Hecke. An die Schärfe und Festigkeit meines Bowiemessers kommt keine Ihrer Macheten.«

»Sennor, dann sind Sie ja ein ganz gefährlicher Mensch! Sie haben alles Talent zu einem Einbrecher.

Aber selbst wenn Sie hier eingestiegen wären, würde ich Ihre Annäherung hören.«