Eine Theorie des selektiven Bezugs

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Eine Theorie des selektiven Bezugs
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Eine Theorie des selektiven Bezugs

Kai Pege

AutorenVerlag Matern

Die von Kai Pege vorgelegte Theorie beschäftigt sich mit sprachlichen Bezügen. Das Wort ‚selektiv‘ wird in diesem Kontext genutzt, weil die Herangehensweise deskriptiv ist, nicht normativ, weil berücksichtigt wird, dass Bezüge auf Wirklichkeiten einzuschätzen sind, nicht einfach gegeben sind. Selektiv vorzugehen, ist ohnehin Forschungspraxis, nicht einmal an der Bildung eines verbindlichen Ideals hat der Autor ein bekundetes Interesse.

Gleichwohl entwickelt Kai Pege im Kontext seiner Analysen ein sprachliches Verfahren, das in besonderer Weise nach Angemessenheit fragt, nach der Angemessenheit von sprachlichen Bedeutungen und möglichen Bezügen. Er spricht von einem ‚analytisch differentiellen‘ Vorgehen, das sogar sprachliche Synonomie verwirft, zu Gunsten von sprachlichen Unterschieden, und zwar zur Erlangung von Bezugsrelevanz und möglichen Bezügen.

Ein nicht geringes Gewicht hat in dem Essay die Auseinandersetzung mit relevanten Positionen von Tarski, Quine, Davidson, Kripke, Putnam.

1. EBook-Auflage 2015, Version 1.1

Copyright © 2015 AutorenVerlag Matern

Cover-Design: Joshua, unter Verwendung von Textures

aus dem Portal: freetextures.org

Zeichensätze: linuxlibertine.org

www.softmaker.de (Cover)

ISBN 978-3-929899-85-6 (ePub)

ISBN 978-3-929899-86-3 (Kindle)

ISBN 978-3-929899-87-0 (PDF)

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Einleitung

Der Text dieses Buches beschäftigt sich mit nur einem Thema: mit sprachlichen Bezügen. Der Kontext ist ein sprachphilosophischer, der primär analytisch ausgerichtet ist, gleichwohl entfalte ich eine umfangreiche Kritik, sowohl an analytischen Erörterungen als auch an umgangssprachlichem Verhalten. Es sind nur zwei Kapitel zu finden: Zunächst wird eine Abgrenzung der Sprache von Zeichen, Symbolen und Namen vorgenommen, denen es an einer Bezugsrelevanz fehlt, um mir überhaupt einen Zugang auf Sprache zu ermöglichen. Im zweiten, umfangreicheren Kapitel, steht eine unüberbrückbare Differenz von Sprachlichem und Nicht-Sprachlichem im Zentrum, die fraglich werden lassen kann, was denn Bezüge seien.

Analytische Erörterungen führten häufig zu Stellvertreterfunktionen von Zeichen innerhalb naturwissenschaftlicher Modelle. Was dies mit Sprache zu tun hat, diese Frage wurde leider unterschlagen. Modelle lassen sich durchaus mit der Wirklichkeit vergleichen, doch liegt dabei kein Bezug vor, sondern möglicherweise eine eineindeutige Abbildung, deren Relevanz freilich davon abhängig ist, was berücksichtigt wurde. Und eine Stellvertreterfunktion von Zeichen würde eine Austauschbarkeit bzw. Ersetzbarkeit voraussetzen, die nicht möglich ist. Kein Zeichen könnte die relevante Wirklichkeit ersetzen. Es bliebe nicht mehr als eine unangemessene Metapher, naturwissenschaftliche Prosa, die staunen lassen könnte.

Wenn Sprache eine analytische Relevanz erhalten soll, der vor Jahrzehnten beanspruchte „linguistic turn“ weist zumindest darauf hin, ist es erforderlich, sich auch mit Sprache zu beschäftigen. W.v.O. Quine hatte das Problem erkannt, hielt aber weiterhin an einer naturwissenschaftlichen Orientierung fest, auch wenn er sich nicht vereinnahmen lassen wollte. Ich gehe mit diesem Aufsatz einen Schritt weiter, stelle die Frage nach Sprache und Bezügen neu.

Mein Ausgang für die eigene Entwicklung bildet ein Über-etwas-sprechen, so vage dies in Einzelfällen auch geraten mag. Um Bezüge ermöglichen zu können, wird ein analytisch differentielles Verfahren (keine Methode) eingeschlagen, das dazu dient, aus den vielen Möglichkeiten des Über-etwas hervorgehen zu lassen, um was es gehen könnte bzw. geht. Ein möglicher Bezug ergibt sich, wenn durch einschränkende Maßnahmen etwas übrigbleibt.

Ein sprachliches Zutreffen, das bereits Aristoteles anführte, ist in diesem Zusammenhang viel relevanter als Modelle, beruht jedoch auf einem separaten Verhalten, einer gegebenen Einschätzung. Zu Beurteilendes kann nicht mehr als Bezugsrelevanz und einen möglichen Bezug haben.

Kai Pege, im April 2015

(1.1) Zeichen, Symbole und Worte

Zu voreilig wird ein allgemeiner Ansatz betrieben, zeichen-, symbol- als auch sprachtheoretisch, als ließen sich Vorkommnisse von Zeichen (de Saussure, Peirce), Symbolen (Goodman) und von Worten einer Sprache alle in gleicher Weise erfassen und behandeln. Es mag sein, dass man sich ernsthaft darum bemüht, all die fraglichen Fälle zu berücksichtigen, doch finden sich gerade deshalb erstaunliche Kuriositäten, die in das jeweilige Konzept nicht passen. Deshalb vollziehe ich zu Beginn eine Differenzierung zwischen Zeichen (bzw. Symbolen) und Worten, um mich im weiteren Verlauf der theoretischen Studie auf Worte und Sprache zu konzentieren.

Ich greife ein zeichen- bzw. symboltheoretisches Beispiel auf, das die Schwierigkeit erläutern lässt, der man sich durch ein unangemessenes allgemeines Vorgehen aussetzt: Eine ausgearbeitete Komposition, worauf könnte sie sich beziehen? Notengrafiken haben durchaus Bedeutungen, sonst wären sie nicht von Musikern und Interessierten lesbar, doch was bezeichnen, symbolisieren sie, oder worauf beziehen sie sich? Faktisch handelt es sich um Anweisungen, die zudem der Interpretation, einer Lesart bedürfen. Würde man – wie Goodman dies z.B. tat –, eine ideale Aufführung als Symbolisiertes ausgeben, ließe man die einzubringende Lesart außer Acht, Helge Bol hat darauf hingewiesen (vgl. Bol, Helge, 2014). Und Notenschriften sind keineswegs derart präzise, dass ein Ideal einbeziehbar wäre. Lediglich eine romantische Fassung von Kompositionen kann dem Wunsch nach einem Ideal, jedoch nur im Hinblick auf eine Bedeutung, nachkommen (vgl. ebd.). Sogar wenn Notenschriften so präzise wären wie z.B. Anweisungen, Algorithmen für Computer, auch dann ließe sich fragen, ob ein Bezeichnetes, Symbolisiertes oder ein Bezug auf etwas überhaupt relevant wäre. Es würde nach meinem Ermessen vollkommen ausreichen, dass die Maschine die Bedeutungen der Anweisungen interpretieren und ausführen kann, ohne einen Bezug zu berücksichtigen.

Nicht anders lassen sich mathematische und logische Zeichen fassen. Auch diese haben Bedeutungen, Bezüge sind jedoch nicht erforderlich. Erst wenn man z.B. eine vergleichsweise platonische Metaphysik generieren würde, ließen sich auch Bezüge veranschlagen, auf metaphysische Entitäten. Um jedoch verstehen zu können, um was es bei den Zeichen und ihren relationalen Zusammenhängen geht, kann auf eine Metaphysik leicht verzichtet werden. Durch eine Maßgabe, auch ein Bezeichnetes haben zu müssen, etwas, auf das Bezug genommen wird, ließe sich zwar die Motivation begreiflich machen, als Grund könnte sie jedoch nicht dienen, um die Annahme von Bezeichnetem zu rechtfertigen. Es gäbe freilich viele andere Möglichkeiten für eine Motivation, Metaphysik zu betreiben, sogar eine erwägbare Schönheit, doch dies ist nicht mein Thema.

Ebenfalls wäre es überflüssig, Straßenschildern Bezüge zukommen zu lassen, die Anweisungen geben. Ein Stoppschild weist seiner Bedeutung nach lediglich darauf hin, dass anzuhalten sei, nicht auf ein ideales Vorgehen derjenigen, denen das Schild zugewandt ist. Die Anweisung verstehen zu können, reicht aus, auch wenn man diese unberücksichtigt lässt. In diesem Zusammenhang lässt sich aber auf allgemeinverständliche Weise ein weiter Fall integrieren, durch den nicht Anweisungen gegeben, sondern Möglichkeiten offeriert werden: Ein als Parkplatz ausgewiesener Bereich bietet Abstellmöglichkeiten für Kraftfahrzeuge. Wird der fragliche Bereich eventuell durch das Schild bezeichnet, hat das Schild einen Bezug? Um diese Frage beantworten zu können, ist ein wichtiger Unterschied zu beachten: Es ist nicht das Schild, das den Bereich abgrenzt, sondern die bauliche Gestaltung des Terrains. Auf was sich das Schild beziehen könnte, ist von dieser Gestaltung abhängig, nicht von der erläuterbaren Bedeutung des Schildes. Diese Bedeutung eröffnet nicht mehr als eine Verhaltensmöglichkeit, ohne auch nur einen Hinweis auf einen Bezug zu enthalten. – Diese Komplexität lässt einen Seitenblick auf Sprache zu: Der Ausruf „Parkplatz!“ eines Beifahres sagt dem Fahrer eventuell wenig, provoziert unter Umständen die Rückfrage: „Wo?“ Auch sprachlich wäre ein Zusammenhang zu berücksichtigen; sprachlich ließe sich, dies macht den entscheidenden Unterschied aus, der Weg zum als auch die Gestalt und der Umfang des Bereichs beschreiben. Eventuell ist innerstädtisch sogar relevant, wie groß die aktuelle Freifläche für den PKW ist bzw. sein könnte. – Das Schild bezieht sich hingegen nicht, sondern bietet pauschal eine Verhaltensmöglichkeit, mehr nicht.

Ein weiterer Fall betrifft Etiketten. Solche sind in der Regel relevanten Gegenständen und Produkten direkt angeheftet, z.B. in Supermärkten. Ein Anheftungsvorgang ließe sich vielleicht am ehesten als Bezeichnung anführen, doch ob auch ein Bezug möglich sein kann, ist separat zu klären. Wenn ein Schild, das ein Parken ermöglicht, keine Informationen darüber enthält, auf was es sich beziehen könnte, ein Bezug unrelevant wird, vielleicht werden Anheftungsvorgänge lediglich vollzogen, um eine Eingrenzung des Geltungsbereichs zu ermöglichen. Etiketten enthalten zwar Angaben, vielleicht sogar in sprachlicher Form, aber keine Informationen über den Geltungsbereich, allenfalls abstrakt durch eine Information über die Füllmenge. Auf was sich die sprachliche Angabe einer Füllmenge aber bezieht, bleibt offen. Anheftungsvorgänge sind zusätzliche praktische Maßnahmen, ähnlich wie die bauliche Gestaltung eines Parkplatzes, die den Etiketten den Geltungsbereich zuweisen. Die Etiketten geben, um Bezug haben zu können, zu wenig preis.

 

Und wie sieht es mit Abbildungen aus, z.B. künstlerischen, unter der Voraussetzung, dass eine solche Relation im Einzelfall überhaupt relevant ist? Das Problem beginnt bereits mit diesem Begriff. Etwas abzubilden beschreibt bereits eine Relation, eine, die sprachlich nicht, oder, berücksichtigt man konkrete Poesie, kaum vollzogen werden kann. Es ließe sich bestenfalls eine Metapher ‚Bezug‘ einbringen. Diese wird möglich, weil Zeichnungen, Fotografien und Gemälde einen Detailreichtum enthalten können, oder durch Reduktion eine Bedeutung einbringen, wie dies mit Sprache gleichfalls möglich ist, nur auf eine andere Art und Weise.

Schließlich sei eine Metapher angeführt, die ich in einem anderen Kontext analysiert habe (vgl. Pege, Kai, 2014, S. 15 ff.) und die häufig in sprachlichen Zusammenhängen auftaucht: ‚Darstellung‘. Ein Theaterstück kann dargestellt werden, oder ein Dokumentarfilm stellt die Veränderung eines Terrains dar, z.B. die Entwicklung des Dortmunder Phoenix-Sees. Sprachlich lässt sich eine Theorie erläutern, am besten mit Bezug. ‚Darstellung‘ träfe den Sachverhalt hingegen nur indirekt. Auch ‚Darstellung‘ ist wie ‚Abbildung‘ bereits ein relationaler Begriff, der aus anderen Bereichen kommt und dort angemessener aufgehoben ist.

Die gegebenen Erläuterungen, dies war mir besonders wichtig, verzichten darauf, Symbole und Zeichen durch eine sprachliche Vorentscheidung zu interpretieren. Legt man von Beginn an Sprache hinein, lassen sich Symbole und Zeichen lediglich missverstehen. Fraglos könnten z.B. Ausrufe wie „Parkplatz!“ mit einem Schild verglichen werden, doch Sprache vermag mehr, kann einen Bezug durch Präzisierung entstehen lassen. Eventuell würde praktisch auch ein Fingerzeig genügen, ein außersprachlicher Vorgang, doch dieses Umgangsverhalten änderte an den sprachlichen Möglichkeiten nichts, die Schildern und Etiketten in dieser Weise nicht zukommen. Gleichfalls habe ich es vermieden, Sprache lediglich aus symbol- oder zeichenähnlichen Worten bestehen zu lassen. Mit einzelnen Worten kann niemand etwas anfangen, es sei denn innerhalb konkreter praktischer Zusammenhänge und dies auch nur im Kontext eines relativ umfangreichen Wortschatzes. Sprache aber kann, dies macht den zentralen Unterschied zu Zeichen und Symbolen aus, Bezüge haben, über etwas Auskunft geben, und dies ohne weitere Hilfsmaßnahmen.

(1.2) Wie voneinander abgrenzen?

Den Anreiz zu differenzieren, hoffe ich gegeben zu haben, unklar blieb bislang jedoch, ob und gegebenfalls wie Worte von Zeichen (bzw. Symbolen) systematisch abgrenzbar sind. Goodmans Symboltheorie lasse ich im Fortgang unberücksichtigt, weil sie in vielerlei Hinsicht einen Sonderfall darstellt, der eventuell in einem Kontext über Künste interessieren könnte, doch sogar in diesem Zusammenhang separat zu erörtern wäre: Einige grundsätzliche Schwierigkeiten und Fragen habe ich in einem solchen Kontext formuliert (vgl. Pege, Kai, 2014 (2)), auf eine dezidierte Erörterung jedoch verzichtet.

Als weiteres Problem kann hinzukommen, dass Zeichen, ob als Piktogramme oder abstrakte mathematisch logische Gebilde, sprachlich artikulierbare Bedeutungen haben, historisch aller Wahrscheinlichkeit nach aus einem Sprachverhalten entstanden sind, wie formalisierte Abkürzungen wirken können, als formale Zeichen jedoch der Sprache entzogen sind.

Emoticons, um noch ein Beispiel zu integrieren, werden zwar innerhalb der Umgangssprache eingesetzt, sie haben Bedeutungen, die sich als emotionale Ausdrücke spezifizieren lassen könnten, verzichtete man darauf, Ausdruck zeichentheoretisch als Extension bzw. Bezug zu fassen, aber keinen Bezug. Ein Emoticon lässt nicht erkennen, weshalb es gesetzt wurde. Ohne sprachliche Erläuterung, die eventuell für sich schon ausreichen würde, den Zustand mitzuteilen, hinge ein Emoticon gleichsam in der Luft oder fungierte lediglich als außersprachlicher Gestenersatz.

Ob und worauf sich sprachliche Äußerungen beziehen, ist abhängig von den Bedeutungen, nicht nur der Worte, sondern des jeweiligen sprachlichen Zusammenhangs. Diese Komplexität im Hinblick auf eine Ein- und Abgrenzung entfällt in der Regel bei Zeichen. Im Fall mathematisch logischer Zeichen gibt es zwar funktionale Differenzierungen und Abhängkeiten, jedoch nicht im Hinblick auf einen Bezug, lediglich auf die nutzbaren bzw. vorliegenden Zeichenfunktionen. Ähnlich, wenn auch weniger abstrakt und viel loser gebunden, geht es bei Straßenschildern zu. Die Farbgestaltung ist z.B. nach Gefahren-, Verbots- und Gebotsschildern sortiert, doch auch bei ihnen spielt Bezug keine erkennbare Rolle, im Vordergrund stehen ebenfalls Funktionen, keine mathematisch logischen, sondern solche eines Verhaltens, die durch die Bedeutungen übermittelt werden. Um den Geltungsbereich – nicht den Bezugsumfang – solcher Schilder einschätzen zu können, ist man jedoch auf zusätzliche Informationen angewiesen, die z.B. durch bauliche Gestaltungen gegeben werden.

Doch auch bei sprachlichen Äußerungen kann eine Frage nach Bezügen berechtigt, eventuell offen bleiben oder bestritten werden. Im Umgang können außersprachliche Faktoren, sowohl hinsichtlich des Verhaltens als auch der Umstände behilflich und entlastend sein.

Relativ hilflos kann man gegenüber Eigennamen bleiben, nicht nur sobald man Telefon- und Adressverzeichnisse oder das Internet einbezieht. Entwicklungen, ob landschaftlich historische, menschliche, tierische, oder Differenzierungen nach Tageszeit (Abend-, Morgenstern) erschwerten in der philosophischen Literatur einen Umgang. Kripe unternahm die Anstrengung, nach Bezügen, nach sogenannten ‚Referenten‘ Ausschau zu halten, um letztlich in einer Namensgebung (Taufe) als dem jeweiligen individuellen Beginn zu landen (vgl. z.B. Kripke, Saul, 2014, S.112), dem Beginn von Kausalketten, die sich aufgrund von Weitergaben eines Namens ergibt. Doch ließen sich Eigenschaftsänderungen bei Sachen und Individuen berücksichtigen? Wäre ein Kleinkind, das einen Namen zugesprochen bekommt, noch dasselbe Lebewesen in späteren Jahren? Wäre man darauf angewiesen, eine abstrakte Entität auszuweisen, die über die Zeit identisch bleibt? Das Modell gibt erstaunlicherweise keine Auskunft. Es ließe sich in Bezug auf Individuen aber eine Ereignisreihe (Lebenslauf) bilden, eine solche Vorgehensweise ist in der Praxis durchaus nicht unüblich, wenn z.B. auf verschiedene Schaffensphasen eines Philosophen Bezug genommen wird. Doch dann wird der Name als solcher relativ unrelevant: er reicht bei weitem nicht aus! Von einem frühen Wittgenstein ist z.B. die Rede, von einem späten.

Fragen lässt sich, was eine Namensgebung (Taufe) mit einem Bezug des Namens zu tun hat. Ein solcher Akt, der eventuell einer Anheftung ähnlich ist, sagt noch gar nichts über einen Bezug aus, auch wenn ein Name durch soziale Umfelder weitergereicht wird. Innerhalb von sozialen Umfeldern handelt es sich zunächst nicht um Eigennamen, sondern um erteilte Rufnamen, die es ermöglichen können, ein Individuum anzusprechen, bei Menschen und Haustieren übrigens in ähnlicher Weise. Dass ein Hund bei der menschlichen Äußerung „Fritz“ aufhorcht, bemerkt, dass er gemeint ist, obgleich er die menschliche Sprache nicht versteht noch spricht, sich also angesprochen fühlt, weil man ihn zuvor über einen Zeitraum auf diesen Lautkomplex konditioniert hat, kann deutlich machen, dass ein praktisch angemessenes Verhalten auch ohne relevante konkrete Sprachkenntnisse möglich ist. Ein Angesprochenwerden und ein Ansprechen von Individuen überfordert Hunde keineswegs. Es handelt sich um rudimentäres Verhalten, das noch gar nichts mit Sprache zu tun haben muss und sich auch deutlich von der menschlichen Sprache abhebt: „Hund“, solange dieser Ausdruck nicht als Rufname etabliert wird, kann, je nach Kontext, ein allgemeines oder konkretes Wort sein. Rufnamen hingegen stehen ausschließlich mit Individuen in Verbindung. Wenn in einer Spielstraße z.B. „Peter“ oder „Mohammed“ erschallt, kann dieser Vorgang zu Verwirrung führen, weil solche Namen in Deutschland nicht selten sind. Quine hat von ‚singulären Termini‘ gesprochen (vgl. Quine, Willard v. Orman, 1974, S. 262); ich bleibe bei ‚Namen‘, halte aber eine Differenzierung von Ruf- und Eigennamen für empirisch relevant. In diesem Essay bezieht sich ‚Rufnamen‘ auf Lautkomplexe oder Buchstabenfolgen, die es ermöglichen, Individuen anzusprechen und Bedingung für eine Konditionierung sind. ‚Eigennamen‘ sind hingegen das Resultat einer solchen Konditionierung, vielleicht nicht unähnlich einem Brandzeichen, sähe man davon ab, dass solche Zeichen primär massenhaft vergebene Eigentumsmarken anderer sind. Namen müssen sich erst einprägen, bevor sie Eigennamen werden können, für das jeweilige Individuum wie auch für andere, die einem Individuum einen Eigennamen zuerkennen.

Dass Namen Bezug haben, zumindest in den meisten Fällen, wird von Kripke vorausgesetzt, obgleich er etwas kokett fragt, ob überhaupt referiert wird (vgl. Kripke, Saul A., 2014., S.38/39). Kripke erhöht sogar die Namensgebung und Weiterreichung, indem der vergebene Eigenname als starrer Bezeichnungsausdruck (‚regider Designator‘) in allen möglichen Welten Geltung habe (vgl. ebd., S.59). Doch eine Namensgebung ist ein empirischer Vorgang, der durch ein Belieben der Namensgeber geprägt wird und durchaus unterschiedlichen Konventionen und Moden unterworfen sein kann. Nicht Bezug, sondern soziale Geltung scheint mir der relevante Begriff im Hinblick auf Namen zu sein, und zwar in mehrfacher Hinsicht: für diejenigen, die Namen als Rufnamen nutzen und auch als Eigennamen anderer anerkennen, ebenso für die Angesprochenen und die mit oder gar unter einem Namen Agierenden.

Eine Diskussion von Eigennamen verführt dazu, sich auf bekannte Namen zu konzentrieren und eine Gewichtung hineinzulegen, die ihnen gesellschaftlich zukommt. In der Literatur ist z.B. von Aristoteles und Gödel (wie bei Kripke) die Rede, von Beethoven und von Goethe. Wie würden jedoch Fälle zu interpretieren sein, die gesellschaftlich weniger auffällig und im Hinblick auf das Leben von Individuen relativ ereignislos geblieben sind? Möglicherweise ließen sich Weitergaben von Namen verwechseln?

Zu solchen Fällen könnten gesellschaftlich bedingte Namenswechsel gehören: Übernimmt ein Ehepartner bei der Heirat den Namen des anderen, wie dies bei Frauen lange Zeit üblich war, würde sich die Frage nach einem ‚regiden Designator‘ kaum stellen, der über Zeiten und Welten gleich bliebe, es sei denn in satirischer Weise. Vorkommnisse können sogar noch vielfältiger ausfallen, wenn nicht nur zu verschiedene Lebensabschnitten eines Menschen verschiedene Eigennamen treten, sondern auch verschiedene Funktionen einen solchen Eigennamen erhalten. Pseudonyme werden in der Regel in dieser Weise gebraucht, ob unter Schriftstellern, Musikern oder … Die umgangssprachliche Phrase ‚Pseudo-‘ deutet eine gesellschaftlich ideologische Abhängigkeit in Bezug auf Namen an, die primär eine praktisch orientierte ist, in der es um eine, umgangssprachlich formuliert, Identifizierbarkeit von Menschen geht, was immer auch amtlich oder auf der Straße darunter konkret verstanden wird.

Eine Konzentration auf bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hilft nicht weiter, wenn es darum geht, Namen und ihre Verwendung zu erläutern, weil der Bezugsrahmen viel zu klein wäre. Ohne die gesellschaftlichen Vorgänge zu berücksichtigen, die alltäglich sind, blieben die Ansätze eventuell hübsch und nett, doch vor allem unrelevant.

Ich halte es für aussichtlos, Ruf- und Eigennamen in allgemeiner Weise sprachliche Bedeutungen und Bezüge zukommen zu lassen. Man könnte über gesellschaftliche Relevanz und Bekannheit sprechen, der Namen als auch der assoziierten Personen oder Sachen, doch als Bezug würde ich diese möglichen Assoziationen und deren gesellschaftliche Vielheit nicht ausgeben wollen. Eine Frage nach Namen ist nach meinem Ermessen überhaupt keine sprachtheoretische, sondern eine soziologische und psychologische, die z.B. statistisch aufzubereiten wären.

Mir persönlich, dies sei eingestanden, bedeutet ‚Kai Pege‘ bezugsrelevant nichts. Mir kann lediglich deutlich werden, dass ich innerhalb eines konkreten Umfelds angesprochen werde, nicht ein anderer Mensch. Diese differenzierte Ansprechmöglichkeit, vergleichbar mit einem Stupser, ist jedoch primär einem Verhalten zuzuordnen, nicht Sprachlichem.

 

Mit dem Ausscheiden von Symbolen, Zeichen und Namen als bezugsrelevante Parameter gewinnt die Sprache hinzu. Der praktische Nutzen, eventuell ein poetischer, der allerdings separat zu erläutern wäre, ebenso der theoretische im Fall mathematisch logischer Zeichen, schmälert sich dadurch nicht. Im Hinblick auf sprachliche Bezüge sind Symbole, Zeichen und Namen in der Regel ohne Relevanz.

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