Öffentliche Finanzwirtschaft

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Öffentliche Finanzwirtschaft
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Öffentliche Finanzwirtschaft

Eine systematische Darstellung

von

Professor Dr. Thomas Sauerland

Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung

Oberregierungsrat Kai Menzel

Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung

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der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-415-07177-3

© 2022 Richard Boorberg Verlag

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Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresden

www.boorberg.de

Inhalt

1  Cover

2  Titel

3  Impressum

4  Inhaltsverzeichnis

5  Vorwort

6  Abkürzungsverzeichnis

7  Ausgewählte Literatur

8  A. Einführung I. Bedeutung der öffentlichen Finanzwirtschaft II. Rechtliche Grundlagen der öffentlichen Finanzwirtschaft 1. Haushaltsrecht als Teilgebiet des öffentlichen Rechts 2. Verfassungsrecht 3. Parlamentsgesetze 3.1 Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft 3.2 Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder 3.3 Bundeshaushaltsordnung 3.4 Haushaltsgesetz 4. Verwaltungsvorschriften

9  B. Finanzverfassungsrechtliche Grundlagen I. Staatliche Einnahmen 1. Überblick 2. Steuern 3. Gebühren 4. Beiträge 5. Sonderabgaben 6. Einnahmen aus erwerbswirtschaftlicher Betätigung und aus Krediten 7. Zusammenfassung II. Steuerertragshoheit 1. Verteilungsmodelle 1.1 Beitragssystem 1.2 Trennsystem 1.3 Verbundsystem 2. Mischsystem unter dem Grundgesetz 2.1 Überblick 2.2 Ausschließliche Ertragshoheit des Bundes 2.3 Ausschließliche Ertragshoheit der Länder 2.4 Gemeinsame Ertragshoheit von Bund und Ländern 2.5 Ertragshoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände 3. Zusammenfassung III. Steuergesetzgebungshoheit 1. Überblick 2. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes 3. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes 4. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz der Länder 5. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder 5.1 Örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern 5.2 Grunderwerbsteuersatz 5.3 Kirchensteuer 6. Steuersatzungsrechte der Gemeinden 7. Zusammenfassung IV. Steuerverwaltungshoheit 1. Überblick 2. Gegenstände der Finanzverwaltung 2.1 Finanzverwaltung des Bundes 2.2 Finanzverwaltung der Länder 2.3 Finanzverwaltung der Gemeinden 3. Organisation der Finanzverwaltung 4. Zusammenfassung V. Ausgabenzuständigkeit 1. Konnexitätsgrundsatz 2. Zusammenfassung VI. Haushaltsautonomie von Bund und Ländern 1. Selbstständigkeit und Unabhängigkeit 2. Ausnahmen vom Grundsatz der Haushaltsautonomie 3. Zusammenfassung

10  C. Planerische Grundlagen der Haushaltswirtschaft I. Öffentliche Haushaltswirtschaft 1. Begriff 2. Funktionen 2.1 Fiskalische Bedarfsdeckungsfunktion 2.2 Staatsrechtliche Ermächtigungsfunktion 2.3 Staatsleitende Programmfunktion 2.4 Gesamtwirtschaftliche Gestaltungsfunktion 2.5 Politische Kontrollfunktion 3. Zusammenfassung II. Haushaltsgesetz 1. Rechtsnatur 1.1 Formelle Gesetze 1.2 Materielle Gesetze 2. Inhalt 2.1 Obligatorische Inhalte 2.2 Fakultative Inhalte 3. Besonderheiten 4. Zusammenfassung III. Haushaltsplan 1. Inhalt 1.1 Einnahmen 1.2 Ausgaben 1.3 Verpflichtungsermächtigungen 1.4 Stellen 1.5 Haushaltsvermerke 1.6 Erläuterungen 2. Gliederung 2.1 Überblick 2.2 Gesamtplan 2.3 Einzelpläne 2.4 Kapitel 2.5 Titel 2.6 Anlagen zum Haushaltsentwurf 3. Zusammenfassung IV. Finanzplan

 

11  D. Haushaltsgrundsätze I. Einführung II. Gesamtdeckung 1. Grundsatz 1.1 Begriffsbestimmung 1.2 Funktion 2. Ausnahme: Zweckbindung von Einnahmen 2.1 Begriffsbestimmung 2.2 Voraussetzungen 2.3 Arten 2.4 Funktion 2.5 Zusammenfassung III. Einzelveranschlagung und sachliche Bindung 1. Grundsatz 1.1 Einzelveranschlagung 1.2 Sachliche Bindung 2. Ausnahme: Deckungsfähigkeit 2.1 Begriffsbestimmung 2.2 Arten 2.3 Voraussetzungen 2.4 Deckungsfähigkeit im Haushaltsvollzug (§ 46 BHO) 2.5 Deckungsfähigkeit von Verpflichtungsermächtigungen 2.6 Abgrenzung von Deckungsfähigkeit und Zweckbindung 2.7 Zusammenfassung IV. Jährlichkeit und zeitliche Bindung 1. Grundsatz 1.1 Jährlichkeit 1.2 Zeitliche Bindung 2. Ausnahme: Übertragbarkeit 2.1 Begriffsbestimmung 2.2 Voraussetzungen 2.3 Abgrenzungsfragen 2.4 Bildung und Inanspruchnahme von Ausgaberesten 2.5 Das „Lagebild Haushalt“ der Bundespolizei 2.6 Zusammenfassung V. Bruttoprinzip 1. Grundsatz 2. Ausnahmen: Nettoveranschlagung und Nettonachweis 2.1 Nettoveranschlagung durch Dauergesetz (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BHO) 2.2 Nettonachweis durch Haushaltsgesetz 2.3 Nettonachweis durch Haushaltsvermerk VI. Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit VII. Vorherigkeit 1. Grundsatz 2. Ausnahme: vorläufige Haushaltsführung VIII. Fälligkeit IX. Vollständigkeit und Einheit 1. Grundsatz 2. Ausnahme: Bundesbetriebe und Sondervermögen X. Haushaltsausgleich XI. Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit XII. Öffentlichkeit 1. Grundsatz 2. Ausnahme: geheime Fonds

12  E. Haushaltskreislauf I. Aufstellung des Haushaltsplans II. Feststellung des Haushaltsplans III. Ausführung des Haushaltsplans 1. Beauftragter für den Haushalt 2. Bewirtschaftungs- und Anordnungsbefugnisse 3. Buchführung IV. Kontrolle der Haushaltswirtschaft 1. Rechnungslegung 2. Rechnungsprüfung

13  Abbildungsverzeichnis

14  Tabellenverzeichnis

15  Stichwortverzeichnis

Vorwort

Im Jahr 2020 leisteten die öffentlichen Haushalte in Deutschland, d. h. Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen, Ausgaben in Höhe von 1.678,6 Mrd. Euro. Allein die Ausgaben des Bundes beliefen sich 2020 auf knapp 512 Mrd. Euro. Dies entspricht einer Staatsquote (Staatsausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) von rund 51,3 Prozent. Die Zahlen veranschaulichen die kaum zu unterschätzende Bedeutung der öffent­lichen Finanzen für die deutsche Volkswirtschaft.

Kenntnisse der öffentlichen Finanzwirtschaft sind daher für die Tätigkeit von Beamtinnen und Beamten unerlässlich. Nicht ohne Grund verankern nahezu alle Studienpläne und Verordnungen über Vorbereitungsdienste für Laufbahnen des gehobenen Dienstes die finanzwirtschaftlichen Grundlagen des Verwaltungshandelns in Studium und Ausbildung. Das vorliegende Lehrbuch knüpft daran an.

In einem ersten Kapitel werden die tatsächliche Bedeutung sowie die rechtlichen Grundlagen der öffentlichen Finanzwirtschaft vorgestellt. Das finanzverfassungsrechtliche System der Einnahmen und Ausgaben im Bundesstaat steht im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Ohne ein grundlegendes Verständnis von Funktionen, Gliederung und Inhalt öffentlicher Haushalte ist eine Bewirtschaftung von Haushaltsmitteln nur schwer denkbar; das dritte Kapitel will das Fundament für dieses Verständnis legen. Ausgewählte Haushaltsgrundsätze und ihre Bedeutung für Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sind Gegenstand des vierten Kapitels. Im fünften und letzten Kapitel wird schließlich ein Überblick über den Haushaltskreislauf gegeben.

Das Lehrbuch richtet sich an Studierende von Verwaltungshochschulen. Es ist maßgeschneidert vor allem für die Studiengänge

–„Polizeivollzugsdienst in der Bundespolizei“,–„Kriminalvollzugsdienst im Bundeskriminalamt“,–„Gehobener nichttechnischer Dienst in den Nachrichtendiensten des Bundes“ mit den Fachrichtungen „Bundesnachrichtendienst“ und „Verfassungsschutz“,–„Wetterdienst“,–„Verwaltungsinformatik“ und–„Digital Administration and Cyber Security“

an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Darüber hinaus bietet das Buch eine nützliche Einführung auch für Studierende anderer verwaltungswissenschaftlicher oder juristischer Studiengänge und für Verwaltungspraktiker, die sich in haushaltsrechtliche Fragen einarbeiten möchten.

Die Autoren bedanken sich beim Richard Boorberg Verlag, insbesondere bei Frau Ass. jur. Katja Ciekanowski, für die freundliche Unterstützung.

Brühl, im Februar 2022

Thomas Sauerland/Kai Menzel

Abkürzungsverzeichnis


a p f Ausbildung – Prüfung – Fachpraxis: Zeitschrift für die ­staatliche und kommunale Verwaltung (Zeitschrift)
Abb. Abbildung
ABl. Amtsblatt
Abs. Absatz
Art. Artikel
Ass. jur. Assessor juris
Aufl. Auflage
BauGB Baugesetzbuch
BBesG Bundesbesoldungsgesetz
BBG Bundesbeamtengesetz
Begr. Begründer
BGBl. Bundesgesetzblatt
BHO Bundeshaushaltsordnung
BMF Bundesministerium der Finanzen
BRHG Gesetz über den Bundesrechnungshof
Buchst. Buchstabe
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerfGE amtliche Entscheidungssammlung des Bundes­verfassungsgerichts
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE amtliche Entscheidungssammlung des Bundes­verwaltungsgerichts
ca. circa
CO2 Kohlendioxid
d. h. das heißt
Dez. Dezember
DÖV Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)
EG Europäische Gemeinschaften
Epl. Einzelplan
Erg.-Lfg. Ergänzungslieferung
f. folgende
ff. folgende (Plural)
FVG Finanzverwaltungsgesetz
GG Grundgesetz
ggf. gegebenenfalls
GMBl. Gemeinsames Ministerialblatt
Halbs. Halbsatz
HG Haushaltsgesetz
HGrG Haushaltsgrundsätzegesetz
HRB Haushaltstechnische Richtlinien des Bundes
Hrsg. Herausgeber
HStR Handbuch des Staatsrechts
KBestB Kassenbestimmungen für die Bundesverwaltung
KraftStG Kraftfahrzeugsteuergesetz
ku künftig umzuwandeln
kw künftig wegfallend
Lfg. Lieferung
LHO Landeshaushaltsordnung
Mrd. Milliarden
Nr. Nummer
NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift)
OVG Oberverwaltungsgericht
RHO Reichshaushaltsordnung
Rn. Randnummer
RV 1871 Reichsverfassung vom 16. April 1871
Rz Randziffer
S. Seite/n
sog. sogenannte/r
StWG Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft
Tab. Tabelle
u. a. unter anderem
u. U. unter Umständen
v. von
Var. Variante
Verb. Verbindung
VV-BHO Allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Bundes­haushaltsordnung
VV-HB Verwaltungsvorschriften zur Haushaltssystematik des Bundes
WRV Weimarer Reichsverfassung vom 14. August 1919
z. B. zum Beispiel
ZBR Zeitschrift für Beamtenrecht (Zeitschrift)

Ausgewählte Literatur

Hand- und Lehrbücher

 

Heller, Robert F.: Haushaltsgrundsätze für Bund, Länder und Gemeinden; 2. Aufl., Heidelberg 2010.

Henneke, Hans-Günter: Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung: eine systematische Darstellung; 2. Aufl., Heidelberg 2000.

Leibinger, Bodo/Müller, Reinhard/Züll, Bernd: Öffentliche Finanzwirtschaft; 15. Aufl., Heidelberg 2021.

Reus, Andreas/Mühlhausen, Peter: Haushaltsrecht in Bund und Ländern; München 2014.

Westermeier, Antonius/Wiesner, Herbert: Das staatliche Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen; 9. Aufl., Heidelberg 2012.

Aufsätze

Sauerland, Thomas: „Die ‚klassischen‘ Haushaltsgrundsätze“; in: Ausbildung – Prüfung – Fachpraxis: Zeitschrift für die staatliche und kommunale Verwaltung (a p f) 2020, Seite 238–242 (Teil 1), Seite 269–273 (Teil 2).

Sauerland, Thomas: „Haushaltsrechtlicher Rahmen des Personalmanagements“; in: Ausbildung – Prüfung – Fachpraxis: Zeitschrift für die staatliche und kommunale Verwaltung (a p f) 2020, Seite 65–71.

Schiffner, Tobias/Züll, Bernd: Einführung in die Flexibilisierung des Bundeshaushalts durch § 5 Haushaltsgesetz; in: Deutsche Verwaltungspraxis (DVP) 2019, Seite 187–190.

Schwarz, Kyrill-Alexander/Reimer, Ekkehart: Einführung in das Finanz- und Haushaltsverfassungsrecht (Art. 104a bis 115 GG); in: Juristische Schulung (JuS) 2007, Seite 119–126 (Teil 1), Seite 219–225 (Teil 2).

Schwarz, Kyrill-Alexander: Das Finanz- und Haushaltsverfassungsrecht des Grundgesetzes (Art. 104a–115 GG); in Juristische Arbeitsblätter (JA) 2021, Seite 184–189 (Teil I), Seite 276–281 (Teil II).

Vorschriftensammlungen

Sauerland, Thomas/Menzel, Kai: Vorschriftensammlung Öffentliche Finanzwirtschaft: mit einer Einführung für Studium und Praxis; Stuttgart u. a. 2021.

Schuy, Johannes: Haushaltsrecht. Vorschriftensammlung; 31. Aufl., Heidelberg 2021.

Kommentare

Dittrich, Norbert: Bundeshaushaltsordnung; Loseblattausgabe, München, Stand: 61. Erg.-Lfg. (August 2021).

Gröpl, Christoph (Hrsg.): Bundeshaushaltsordnung/Landeshaushaltsordnungen; 2. Aufl., München 2019.

Piduch, Erwin Adolf (Begr.): Bundeshaushaltsrecht. Kommentar zu den Artikeln 91a, 91b, 91c, 91d, 91e, 104a, 104b, 109 bis 115, 125c, 143c, 143d des Grundgesetzes und zur Bundeshaushaltsordnung mit rechtsvergleichenden Hinweisen auf das Haushaltsrecht der Länder und ihrer Gemeinden; Loseblattausgabe, 2. Aufl., Stuttgart, Stand: 22. Lfg. (Mai 2020).

A. Einführung
I. Bedeutung der öffentlichen Finanzwirtschaft

1

Im Jahr 2019, dem Jahr vor Beginn der Corona-Pandemie, leisteten die öffentlichen Haushalte in Deutschland, d. h. Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen, Ausgaben in Höhe von knapp 1.500 Mrd. € und erzielten Einnahmen in Höhe von 1.540 Mrd. €.[1] Das entspricht einer Staatsquote (Staatsausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) von rund 45 Prozent. Diese Zahlen verdeutlichen die enorme Bedeutung der öffentlichen Finanzen für die deutsche Volkswirtschaft. Die Ausgaben des Bundes beliefen sich dabei auf knapp 400 Mrd. €.

2

Im Jahr 2020 stiegen die Ausgaben des öffentlichen Gesamthaushalts auf 1.680 Mrd. € an. Aufgrund dieses Anstiegs und einer rückläufigen Wirtschaftsleistung kletterte die Staatsquote im Jahr 2020 auf 51,3 Prozent. Nach verschiedenen Prognosen wird die Staatsquote 2021 sogar auf über 53 Prozent zunehmen, bevor sie 2022 wieder zurückgehen dürfte. Der Bund allein plant für das Jahr 2021 Ausgaben in Höhe von knapp 548 Mrd. €. Das Volumen öffentlicher Aufträge in Deutschland wird von der OECD auf 500 Mrd. € pro Jahr geschätzt. Den größeren Teil der Staatsausgaben machen jedoch Transferzahlungen aus. Dazu gehören insbesondere Sozialleistungen.

3

Nach dem Finanzwissenschaftler Richard A. Musgrave kommen dem Staat die Aufgaben Allokation, Distribution und Stabilisierung zu. Diese Aufgaben kann er zwar nicht ausschließlich, aber doch zu großen Teilen über die Finanzpolitik erreichen. Bei der Allokationspolitik sollen Produktionsfaktoren effizient und zur Herstellung von Gütern verwendet werden, die den Wünschen der Konsumenten entsprechen. In Fällen von Marktversagen kann es erforderlich werden, dass der Staat öffentliche Güter, wie z. B. die innere und die äußere Sicherheit, bereitstellt. Dafür werden Ausgabemittel in ausreichender Höhe benötigt. Bei der Distributionspolitik geht es um Verteilungsfragen, etwa die Bereitstellung einer sozialen Mindestsicherung oder Einkommensumverteilung durch eine progressive Einkommensteuer. Die Sozialausgaben sind in Deutschland von besonderer Bedeutung.

4

Stabilisierungspolitik wird definiert als Summe aller Maßnahmen zum Erreichen eines makroökonomischen Gleichgewichts. In diesem Sinne ist auch die Forderung in Art. 109 Abs. 2 GG zu verstehen, wonach Bund und Länder „den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung“ tragen sollen. Das Erreichen dieses Gleichgewichts kann gemessen werden auf Grundlage der vier in § 1 StWG genannten Ziele:

–Hoher Beschäftigungsstand,–Preisniveaustabilität–stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum sowie–außenwirtschaftliches Gleichgewicht.

5

In einer Wirtschaftskrise, wie z. B. der Finanzkrise der Jahre 2008/09, kann der Staat durch die Erhöhung seiner Ausgaben, aber auch durch die Übernahme zusätzlicher Bürgschaften für Unternehmenskredite versuchen, das Erreichen der Ziele positiv zu beeinflussen. Eine Wirtschaftskrise geht naturgemäß mit negativem Wirtschaftswachstum einher. Entfalten die zusätzlichen Staatsausgaben die gewünschten Multiplikatoreffekte, wird der Wirtschaftseinbruch abgeschwächt oder sogar ganz verhindert.

6

In einer Pandemie sind die Umstände insofern anders, als eine Zunahme wirtschaftlicher Aktivität gerade nicht erreicht werden soll. Stattdessen ­sollen durch die Ausnahmesituation in wirtschaftliche Not geratene Menschen unterstützt und an sich „gesunde“ Unternehmen und Beschäftigungsverhältnisse über das Ende der Pandemie hinaus erhalten werden. Auch für diese Rettungsmaßnahmen sind höhere Staatsausgaben und Gewährleistungen für Kredite erforderlich.

7

Als Folge einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung werden regelmäßig weniger Arbeitskräfte benötigt, sodass das Ziel eines hohen Beschäftigungsstands gefährdet würde. Durch eine Steigerung des Wirtschaftswachstums können zusätzliche Staatsausgaben den Anstieg der Arbeitslosigkeit indirekt dämpfen. Möglich sind auch unmittelbar beschäftigungssichernde Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld.

8

Die Hauptverantwortung für die Preisniveaustabilität liegt bei der Zentralbank mit ihren geldpolitischen Befugnissen. Durch eine Erhöhung der Leitzinsen und eine Verknappung des Geldangebotes kann die Zentralbank inflationäre Tendenzen bekämpfen. Kommt es in einer Wirtschaftskrise jedoch zu einem Preisverfall, wird das Ziel der Preisniveaustabilität „von unten“ verfehlt. Eine Deflation kann sich schnell verfestigen und die Ziele Wachstum und Beschäftigung in einer Art „Negativspirale“ noch weiter gefährden. In einer solchen Situation sind die Möglichkeiten der Zentralbank, die Geldmenge und damit das Preisniveau zu erhöhen, beschränkt. Denn bei ungünstig eingeschätzter Rückzahlungswahrscheinlichkeit werden die Geschäftsbanken nur wenige Kredite vergeben und die Unternehmen bei schlechten Absatzerwartungen nur wenige Kredite nachfragen. In diesem Fall könnte eine zusätzliche staatliche Nachfrage auch ein Absinken des Preisniveaus bremsen und damit möglicherweise eine Deflationsspirale verhindern.

9

Nach Auffassung vieler Ökonomen haben sich schuldenfinanzierte staatliche Ausgabensteigerungen in der Finanzkrise 2008/09 bewährt, während Sparmaßnahmen erhebliche negative Multiplikatorwirkungen entfaltet haben. Auch durch die massive staatliche Unterstützung ist die deutsche Volkswirtschaft bislang vergleichsweise glimpflich durch die Corona-Pandemie gekommen. Insolvenzen und Massenarbeitslosigkeit sind bisher ausgeblieben. Konjunkturpolitisch motivierte Ausgabenprogramme bleiben unter Volkswirten insbesondere in Deutschland jedoch höchst umstritten. Über die Notwendigkeit steigender Staatsausgaben in Katastrophensituationen besteht demgegenüber ein breiterer Konsens.

10

Die kommenden gesellschaftlichen Herausforderungen wie die Digitalisierung und die Dekarbonisierung gehen mit einem erheblichen öffentlichen Investitionsbedarf einher. Zudem wird der demografische Wandel dazu führen, dass die Ausgaben in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Pensionszahlungen an Ruhestandsbeamte stetig steigen werden. Die bereits heute große Bedeutung der öffentlichen Finanzen wird daher in Zukunft weiter zunehmen.