Türkische Kaffeefahrt. Durch das Land der Derwische und Feenkamine

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Türkische Kaffeefahrt. Durch das Land der Derwische und Feenkamine
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Kai Althoetmar

Türkische Kaffeefahrt

Durch das Land der

Derwische und Feenkamine

Edition Kultour

Die Gastfreundlichkeit ist perfekt choreographiert, alles tausendmal erprobt. Adrette junge Frauen servieren mit routiniertem Lächeln Tee, Kaffee, Fladenbrot und türkischen Minzjoghurt. Die Bustouristen haben auf Bänken Platz genommen. Schwungvoll rollen Helfer einen Teppich nach dem anderen aus, bis fast vierzig Knüpfwerke über den Fußboden des Verkaufsraums verteilt sind. Die Preise gehen bei etwa 5.000 Euro los. „Sie brauchen erst bei Auslieferung in Deutschland zu zahlen!“, ruft der Geschäftsführer, schiebt aber ein Argument nach, doch lieber sofort zu zahlen: den Preisnachlaß, den es nur bei Zahlung hier und jetzt gibt.

Anfang März. Tag vier der Kaffeefahrt durch Kappadokien, das Herzland der Türkei. Besuch einer „landestypischen Teppichmanufaktur“. Im Werbeflyer hatte alles nach Folklore und Tradition geklungen: „Sie werden alle Produktionsschritte dieses Handwerks kennenlernen und haben auch die Möglichkeit, eines dieser hochwertigen Stücke zu erwerben.“

„Kommen Sie mit uns auf eine Reise ins Märchenland!“, hatte der Reiseveranstalter gekobert. Nur jetzt war die „achttägige Erlebnisreise zum Vorteilspreis“ ab 149 Euro zu haben. Ab Mitte April kostete es schon das Doppelte. Von Mai bis September finden die Busrundfahrten gar nicht statt. Dann ist Hauptsaison in der Türkei, und die Hotels sind besser ausgelastet.

Der Einstieg in die Verkaufsshow: ein Vortrag des Geschäftsführers über die Tradition des Teppichknüpfens, über Merkmale hochwertiger Teppiche: Zahl der Knoten, Stoff, Farbreichtum, Motivwahl. Im Vorraum des Teppichzentrums von Uchisar hängen Fotos vom ältesten erhaltenen Teppich der Welt, 2.500 Jahre alt, gefunden in einem Skythengrab. „Die gleiche Technik wie heute!“

Vor den Teppichhändlern in Deutschland warnt der Chef: „Die verkaufen Ihnen Wollteppiche als günstige Seidenteppiche.“ Wie zum Beweis läßt er einen schlichten Schafswollteppich und einen Seidenteppich ausrollen. „Hier, der Seidenteppich. Neun mal neun Knoten je Quadratzentimeter! Bitte fühlen Sie, bitte gucken Sie!“

Der Herr der Teppiche zeigt Fachbücher, wälzt Folianten, zeigt Fotos aus dem Berliner Pergamonmuseum. Alles kommt historisch und wissenschaftlich daher, der Verkaufsprofi beherrscht die Rolle des Orientalistik-Gelehrten perfekt, sein Deutsch ist makellos, wie ein Seminar soll alles wirken, der nolens volens herangekarrte Kunde sich am Ende als kleiner Teppichkenner fühlen. Teppiche sind Wertanlagen, doziert er und raunt, daß die Preise noch dieses Jahr zehn bis zwanzig Prozent anziehen würden. Die Botschaft: jetzt noch schnell kaufen. „Hier, unser teuerstes Werk: 25.000 Euro!“ Der handtuchgroße Seidenteppich zeigt Jesus und sein Aposteldutzend beim Letzten Abendmahl in zwölf mal zwölf Knoten pro Quadratzentimer - Leonardo da Vinci mal anders.

Im Nachbarraum arbeiten vier Knüpferinnen, alle in Tracht. „Künstlerinnen! Meine Besten!“, salbadert der Maître. Auf den Rahmen stecken kleine Seidenteppiche. Es ist nur Schau. Die echten Teppichfrauen arbeiten im anatolischen Hinterland. „Ich zahle den Knüpferinnen den Mindestlohn - 300 Euro im Monat.“ Das hört das Publikum gerne. Die Arbeit ist lohnintensiv, die Konkurrenz aus Iran, Afghanistan und Nordafrika schläft nicht. Später stellt sich heraus, daß die Vorzeigeknüpferinnen kein festes Gehalt bekommen. „Sonst werden sie faul“, weiß der Geschäftsführer. Zahlt er Akkordlohn? „Nein, dann werden die Teppiche schlecht.“ Wonach dann? „Nach Wertschätzung!“

„Teppichherstellung ist nur in Gegenden wie Anatolien möglich“, sagt er dann. „In Deutschland hergestellte Teppiche könnte niemand bezahlen.“ Fürwahr. Trotzdem will niemand aus der neunköpfigen Reisegruppe einen kappadokischen Teppich. Die zwei Biologiestudentinnen aus Göttingen sind der personifizierte Käuferstreik, andere sind eingedeckt, vorgeschädigt oder durchschauen die subtilen Tricks. „Wir haben schon mal 'was überhastet gekauft“, erzählt eine Dame aus Kaarst am Niederrhein. Eine Kölnerin ist ob der Preise mißtrauisch. „Nachher sehen wir das in Deutschland für die Hälfte!“ Den Teppichkauf bei der letzten Troja-Fahrt hat sie schon bereut. Trotzdem glaubt sie, das „Deutsche Generalkonsulat“ subventioniere die Tour.

Im Preis der Reise ins „Märchenland“ enthalten sind der Flug mit Billig-Airline nach Antalya, sieben Nächte in Hotels mit vier oder fünf türkischen Sternen, Frühstücksbuffet, Busrundreise, Eintritte, Transfers, deutschsprachige Reiseleitung. Der Einzelzimmerzuschlag kostet in der Vorsaison siebzig Euro, Pakete für Mittag- oder Abendessen jeweils um die hundert Euro.

„Reiseverlauf nicht für Kinder geeignet“, steht im Prospekt. Kinder sind unerwünscht, denn Kinder kaufen keine Teppiche. Die Kampfpreise für die Tour sind nur möglich, solange die Teilnehmer wie auf Knopfdruck in Kaufekstase geraten, erst beim Teppichbasar, später in einem Ledermoden-Outlet und einem Schmuck- und Uhrenpalast, beides in Antalya.

Die Werbung für die Kulturbilligreisen auf den Spuren von Paulus oder zu den Felsenkirchen und Feenkaminen von Göreme geht gezielt an Abonnenten von Geschichts- oder Reportagemagazinen und von Wochenzeitungen, deren Leserschaft sich in Sachen Kaufkraft und Bildung vom Stammpublikum des Bohlen- & Klum-Fernsehens abzuheben verspricht.

Nicht alle Touren gehen nach Kappadokien oder in die Westtürkei, davon manche mit Abstecher nach Nordzypern, das eine bessere Sicherheitslage verspricht. Auch Kreta, Kroatien und die Vereinigten Arabischen Emirate mischen im Geschäft der Verkaufsfahrten mit. Versuche, das Geschäftsmodell nach Nordafrika zu exportieren, um in Tunesien Teppiche und in Ägypten teure Papyri loszuschlagen, schlugen dagegen fehl. So locken in Kleinasien mal die „Höhepunkte der Ägäis-Küste - von Troja bis Ephesus“ ab 129 Euro, mal „Istanbul und weitere Glanzlichter der Westtürkei“ ab 199 Euro, anderswo allerlei Kultur- und Geschichtsgut auf Kreta oder in Dalmatien. Ein Ziel ist immer gleich: die Verkaufsshows.

Als vor Jahren der Türkei-Tourismus zu boomen begann, blühte auch der Nepp auf. Urlauber werden seither zu Ausflügen in „traditionelle Dörfer“ becirct und landen beim deutschsprachigen Teppichhändler, der seine Ware zum Doppelten und Dreifachen des fairen Marktpreises verhökert - mit Charme, Tee und hochprozentigem Orangensaft, in den Wodka gemischt ist. Vor allem ältere Ehepaare lassen sich maßlos überteuerte Durchschnittsware andrehen, die oft aus Fernost stammt oder von einer Maschine produziert wurde. Anwälte und Verbraucherzentralen sind nach Tourende mit Widerrufen und Rückforderungen gut beschäftigt.

Zwei Besonderheiten ermöglichen die Discountpreise der Rundfahrten. Die Hotels lasten mit den Kontingenten der Kulturhopper in der Vor- und Nebensaison zu Kampfpreisen ihre sonst leeren Zimmer aus. Weiter schmilzt der Buchungspreis dank der an den Reiseveranstalter gezahlten Antrittsprämien und Provisionen der türkischen Unternehmer, denen die Kunden busweise ins Geschäft gekarrt werden. Der türkische Staat ist auch behilflich: Alle Souvenirs werden ohne den üblichen Bürokratie-Parcours von der türkischen Umsatzsteuer freigestellt.

Ob der Tourist beim deutschen Zoll seine vermeintlichen Schnäppchen deklariert, schert am Bosporus niemanden. 430 Euro ist der Freibetrag für deutsche Flug- und Seereisende, die abseits der EU shoppen waren, für Reisende unter fünfzehn Jahren 175 Euro - jede Goldkette oder Schweizer Edeluhr kostet freilich mehr. Darauf werden 19 Prozent Einfuhrumsatzsteuer fällig, korrekte Verzollung vorausgesetzt. Zudem ist eine Addition der Freibeträge, d.h. ein Übertrag von einer Person auf eine andere, nicht möglich.

Die Türkei ist dank Zollunion mit der EU zwar bevorzugt, trotzdem können noch Zollgebühren dazukommen. Liegt der Warenwert über 1.200 Euro, braucht der Urlauber ein Zertifikat des türkischen Zolls, daß der Schmuck oder Teppich in der Türkei gekauft wurde. Die Händlerrechnung reicht nicht - die wenigsten Touristen wissen das.

Außerdem gilt, so der Zoll: „Ist bei nicht teilbaren Waren (z.B. eine Lederjacke oder ein Schmuckstück) die Reisefreimenge überschritten, so werden die Einfuhrabgaben auf den Gesamtwert der Ware und nicht nur auf den die Freigrenze übersteigenden Wertanteil erhoben.“

Zollsündern drohen Strafbefehl oder Anklage wegen Steuerhinterziehung. Betrüger in der Türkei wissen vom Nicht-Wissen vieler Shopping-Touristen. Schon manche bekamen daheim Bauernfänger-Anrufe aus der Türkei. „Hierbei wird ihnen vorgetäuscht, daß beim Kauf der jeweiligen Gegenstände eine Steuer nicht bezahlt worden sei, die nunmehr von den türkischen Steuerbehörden nachgefordert werde“, erklärt das Deutsche Generalkonsulat in Izmir die Masche. „Um mutmaßliche Schwierigkeiten mit den deutschen und türkischen Behörden zu vermeiden, werden die Urlauber sodann aufgefordert, den fälligen, zumeist vierstelligen Euro-Betrag über einen Western-Union-Transfer in die Türkei zu überweisen.“ Die Anrufer versprechen, das Geld werde später vom Händler erstattet. „Was dann in der Folge unterbleibt“, so das Generalkonsulat. Die Kundendaten verschaffen sich die Täter illegal über die Händler.

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