Erstellung von Fragebogen

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K. Wolfgang Kallus

Erstellung von Fragebogen

2., aktualisierte und überarbeitete Auflage

facultas

K. Wolfgang Kallus, Univ.-Prof. Dr. rer. nat., Dr. phil. habil., lehrt an der Universität Graz am Institut für Psychologie. Er ist Leiter des Arbeitsbereichs für Arbeits-, Organisations- und Umweltpsychologie. Die konzeptgeleitete Entwicklung anwendungsorientierter Fragebogen und Messmethoden gehört seit vielen Jahren zu seinen Spezialbereichen in der Forschung und im von ihm geleiteten Institut für Begleitforschung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung des Autors oder des Verlages ist ausgeschlossen.

2., aktualisierte und überarbeitete Auflage 2016

Copyright © 2016 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

facultas, Stolberggasse 26, 1050 Wien, Österreich

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung

sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

Umschlagfoto: „sellingpix“ #20031421 / © Fotolia.com

Lektorat: Mag. Verena Hauser, Wien

Satz: Facultas Verlags- und Buchhandels AG

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

eBook ISBN: 978-3-8463-4465-1

Vorwort

„Wer dumm fragt“ lautete der Arbeitstitel für diesen Leitfaden. Ebenso hätte man den Arbeitstitel auch freundlicher und nahe am Alltag von Fragebogen formulieren können: „Wer fragt, ohne sich genau überlegt zu haben, was er wissen will.“ Dieser Leitfaden zur Fragebogenentwicklung stellt das Ziel der Fragen in den Vordergrund oder anders gesagt die Klärung des Messanspruchs vor der Formulierung der Fragen. Im Unterschied zu einfachen, qualitativ orientierten Sammlungen von Fragen auf einem Papierbogen (Bogen mit Fragen) haben Fragebogen das Ziel, zuverlässig Merkmalsunterschiede zwischen Personen, Situationen oder Zuständen zu erfassen. Zu diesem Zweck müssen aufeinander abgestimmte Fragen entwickelt werden. Die Schritte hierzu werden in dieser Arbeit vorgestellt. Gut entwickelte Fragebogen sind leicht beantwortbar, eindeutig auswertbar und sprechen formal positiv an, d. h., sie sehen einfach aus. Dadurch entsteht immer wieder der Eindruck, dass die Entwicklung von Fragebogen keine Expertise voraussetzt und jede und jeder einen Fragebogen „mal schnell nebenher“ entwickeln kann. Der Leitfaden versucht die grundlegende Expertise zu vermitteln und soll auch für NichtpsychologInnen verständlich sein. Eine grundlegende Expertise zur Messung von Verhaltens- und Erlebensmerkmalen wird jedoch vorausgesetzt – oder zumindest die Bereitschaft und die Grundausbildung, ein entsprechendes Lehrbuch bei der Fragenentwicklung zu Rate zu ziehen.

Bedanken möchte ich mich einerseits bei meinen akademischen Lehrerinnen und Lehrern, die nicht nur mein Interesse an den Methoden der Psychologie geweckt haben, sondern auch meine Motivation nachhaltig gefestigt haben, die Methoden der Psychologie immer möglichst optimal bei der Bearbeitung wissenschaftlicher und angewandter Fragestellungen einzusetzen. Dies hat auch dazu beigetragen, dass zwischenzeitlich die Entwicklung von Fragebogen neben anderen Methoden zu einem Standard in meinem Arbeitsbereich an der Karl-Franzens-Universität Graz werden konnte. Dank gebührt auch meinen Studierenden, die durch die „richtigen Fragen“ und wiederholte Schwächen bei der Entwicklung von Fragebogen zum Entstehen dieses Büchleins beigetragen haben.

Auch dieser Leitfaden ist ähnlich wie ein Fragebogen immer noch optimierbar. Gute, sehr gute und exzellente Passagen hätten ihre Qualität in der ersten Auflage sicher nicht ohne die Expertise, konstruktive Kritik und die Vorschläge meiner Ehe-, Lebens- und Diskussionspartnerin Dipl.-Germ. Bärbel Kallus erreicht. Bei der Erstellung und Fertigstellung des Manuskripts der Erstform haben zudem Mag. Kerstin Käfer und Mag. Kerstin Eibel mitgewirkt. Die Bearbeitung der zweiten Auflage erhielt wesentliche Impulse von Mag. Elisabeth Dörner und Mag. Dr. Kerstin Gaisbachgrabner. Auch ihnen gebührt mein herzlicher Dank. Für die zweite Auflage wurden einige neuere Entwicklungen berücksichtigt, wie die Einordnung der Klassischen Testtheorie in Messmodelle latenter Variablen, die zunehmende Bedeutung der Onlinebefragung, die wachsende Bedeutung der „Übersetzbarkeit“ von Fragebogen in mehrere Sprachen und die wachsende Rolle komplexer Auswertungen in linearen Strukturgleichungsmodellen.

Ein Buch wird auch heutzutage noch in seiner Leserfreundlichkeit und Struktur durch die LektorInnen des Verlags wesentlich mitgeprägt. Frau Mag. Dr. Sigrid Nindl und Frau Mag. Verena Hauser sei an dieser Stelle ebenfalls herzlich gedankt.

Inhaltsverzeichnis

1 Grundprobleme der Fragebogenkonstruktion

Ein Fragebogen ist ein psychometrisch entwickeltes Messverfahren, welches den Kriterien eines psychometrischen Tests so nahe wie möglich kommen soll. Ein Fragebogen liefert quantitative Informationen zur Beschreibung von aktuellen, vorübergehenden oder überdauernden Merkmalen von Personen oder Personengruppen (z. B. Teams). Fragebogen können sehr wohl aber auch zur Beschreibung von anderen Personen oder auch von Merkmalen der natürlichen, sozialen, kulturellen, erbauten und technischen Umwelt und der Arbeitswelt herangezogen werden. Ein psychometrischer Fragebogen grenzt sich ab von einer psychophysischen Skala, die eine physische Erscheinung (z. B. Schall oder Licht) im Hinblick auf eine Skalierungsdimension (z. B. Lautheit, Helligkeit) nach den Regeln der linearen oder der multidimensionalen Skalierung abbildet. Ein Fragebogen grenzt sich zudem von einfachen schriftlichen Befragungen ab, in denen mit Einzelfragen qualitative Informationen (z. B. Geschlecht) oder bereits metrisch vorliegende Informationen (z. B. Alter, Kinderzahl, Jahresbruttoeinkommen) erhoben werden wie bei soziologischen Datenerhebungen. Diese werden immer wieder unreflektiert mit Fragebogenfragen kombiniert.

1.1 Einführung

Die Grundlagen professioneller Fragebogenentwicklung werden trotz der inflationären Anwendung des Instruments „Fragebogen“ nur in den seltensten Fällen systematisch berücksichtigt. Selbst wissenschaftlich entwickelte Fragebogen beschränken sich oft allein auf statistische Verfahren, um erst im Nachhinein die gröbsten Schwachpunkte zu identifizieren. Im Gegensatz dazu stellt das vorliegende Buch die folgenden Überlegungen in den Mittelpunkt: „Was soll (eigentlich) erfragt und gemessen werden?“ und „Welche Fragen eignen sich dazu?“. Aus der systematischen Beantwortung dieser Kernfragen und mit der Umsetzung in Fragebogenfragen lässt sich in der Regel ein Messinstrument konstruieren, das auch bei einer statistischen Prüfung positive Ergebnisse erbringt.

Eine systematische Entwicklung von Fragebogen als Methode der Selbstbeschreibung oder auch der Fremdbeschreibung wird zunehmend wichtiger, da Befragungen, Interviews und die Teilnahme an statistischen Erhebungen zwischenzeitlich zu den alltäglichen Gegebenheiten unserer modernen Gesellschaft gehören. Befragungen erfreuen sich hoher Popularität und haben eine hohe Bedeutsamkeit erlangt – für gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entscheidungen, für die Ausrichtung von Strategien in Unternehmen und Organisationen bis hin zu Investitionsentscheidungen. Auch bei der Erfolgskontrolle von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen, pädagogischen, psychologischen Projekten und bei gesundheitsbezogenen Maßnahmen spielen Fragebogen eine zunehmend wichtige Rolle. Und zudem stellen Fragebogen eine wesentliche Informationsquelle im Rahmen der Personalauswahl und -entwicklung, in der Psychodiagnostik, bei psychologischen Interventionen und in der Forschung dar. Dies betrifft nicht nur die Psychologie, sondern auch eine Vielzahl von Nachbardisziplinen. Ein Hintergrund für diese Entwicklung ist die wachsende Bedeutung der BürgerInnen als KonsumentInnen und Wirtschaftsfaktoren, der MitarbeiterInnen als „Sozialkapital des Unternehmens“, der SchülerInnen, Studierenden und PatientInnen als „KundInnen“. Diese Entwicklung trägt dazu bei, dass die Meinung, die Zufriedenheit oder der „Zustand“ von Personen für EntscheidungsträgerInnen immer gewichtiger wird und damit eine Erhebung zuverlässiger Informationen notwendig scheint. In der Mehrzahl fällt die Wahl auf eine „Befragung“ mittels Fragebogen. Selbst die moderne Qualitätssicherung baut auf Befragungen, da die Qualität von Produkten durch das NutzerInnenurteil mitdefiniert wird.

 

Die herausragende Bedeutung von standardisierten Befragungen bis hin zur Qualitätssicherung von Dienstleistungen und Produkten bildet den Ausgangspunkt dieses Buches, das seinerseits der Frage nach der Qualität von Befragungsinstrumenten, insbesondere von Fragebogen, nachgeht. Die Zielsetzung lässt sich zusammenfassend so formulieren: Einsatz von Fragebogen statt Bogen mit Fragen. Im Zentrum steht dabei die Fragestellung, wie vorzugehen ist, um die benötigte Information zu erhalten. Dieser Ansatz geht weit über die bisher vorliegenden Arbeiten hinaus, die sich den Themen „Wie formuliere ich Fragen?“, „Welche Antwortformate stehen zur Verfügung?“ und „Wie vermeide ich Verzerrungen in den Antworten durch soziale Erwünschtheit?“ widmen.

Selbstverständlich ist es immer möglich, eine Befragung durchzuführen, die Aussagen enthält wie „Ich bin mit meiner Arbeit unzufrieden“ , „Ich habe Angst“, „Mein Unternehmen finde ich gut“, „Ich bin ein guter Mitarbeiter/eine gute Mitarbeiterin“ mit den Antwortskalen „trifft nicht zu“ bis „trifft völlig zu“ oder „ja/nein“. Diese Aussagen und ihre Antworten erfassen jedoch nicht systematisch ein Konzept, sondern bieten lediglich grobe Anhaltspunkte für Entscheidungen. Weder die Frage nach der Zuverlässigkeit dieser qualitativ zu interpretierenden Informationen noch die Frage, ob tatsächlich das gewünschte Merkmal gemessen wird, lassen sich ohne weitere Zusatzinformationen beantworten: Unkontrollierte Urteilsfehler, Antworttendenzen, die Tendenz zur sozialen Erwünschtheit, Suggestiveffekte, Stimmungseffekte aufgrund des aktuellen Tagesgeschehens und vieles mehr mindern die Qualität der „Bogen mit Fragen“. Diese „Bogen mit Fragen“ begegnen uns in einem breiten Spektrum von Medien und in vielen Lebensbereichen. Die Palette umfasst die sog. „Psychotests“ in den Printmedien und im Internet, Volksbefragungen, KundInnenbefragungen, MitarbeiterInnenbefragungen, standardisierte Befragungen in der Markt- und Meinungsforschung. Selbst in Forschungsarbeiten aus Psychologie, Soziologie, Pädagogik, Politikwissenschaft, Betriebswirtschaft, den Umweltwissenschaften, den Kommunikations- und Medienwissenschaften sowie modernen Teildisziplinen wie der Pflegewissenschaft und den Gesundheitswissenschaften kommen oft Bogen mit Fragen statt Fragebogen zum Einsatz.

Anstelle der oberflächlichen Abfrage von augenscheinlich wichtigen Themen bezieht sich der aussagekräftige Fragebogen auf ein klar definiertes Konzept. Eine Befragung zur PatientInnenzufriedenheit kommt deshalb nicht umhin, sich auch mit der folgenden Frage zu befassen: „Was ist Zufriedenheit und was ist Unzufriedenheit?“ Ein Blick in ein psychologisches Lehrbuch zeigt, dass Zufriedenheit die Bewertung eines oder mehrerer Ergebnisse oder Prozesse in Abhängigkeit von den Erwartungen darstellt. Die Erwartungen wiederum sind durch die Kosten für das Individuum mitbestimmt. Setzt man diese Überlegungen fort, schlüsselt sich die PatientInnenzufriedenheit in Zufriedenheit mit unterschiedlichen Facetten der Behandlung und des Genesungsprozesses auf. Gleichzeitig wird die zentrale Bedeutung von Erwartungen sichtbar und es kommt der Gedanke auf, dass Zufriedenheit, fehlende Zufriedenheit und Unzufriedenheit nicht unbedingt auf einer „Dimension“ liegen.

Kriterien zur Bewertung der Instrumente und Hinweise zur professionellen Gestaltung von Fragebogen fehlen uns jedoch in den meisten Fällen oder decken nur unvollständig und theoriefern Teilaspekte ab (Porst, 2009). Die Lektüre dieses Leitfadens soll die LeserInnen in die Lage versetzen, die Unterscheidung zwischen einem „Bogen mit Fragen“ und einem „Fragebogen“ nachzuvollziehen und eine Bewertung der „Angebote“ im Spektrum zwischen spielerischem Medienquiz, Instrument zur Sammlung qualitativer und semiquantitativer Information bis hin zum Testverfahren mit diagnostischem Potenzial vorzunehmen. Den EntwicklerInnen von Befragungsinstrumenten sollen die wichtigsten Regeln für die Konstruktion eines guten Fragebogens vermittelt werden. Außerdem erfahren sie Unterstützung bei der Entscheidung, ob für die Entwicklung oder die Gestaltung eines Instruments zur KundInnenzufriedenheit oder MitarbeiterInnenzufriedenheit ExpertInnen hinzuzuziehen sind, damit in reproduzierbarer Weise hinreichend gehaltvolle Informationen über ein definiertes Konzept erfasst werden. Für die Berufsgruppe der PsychologInnen soll dieser Leitfaden die Kenntnisse der statistischen Modelle zur Fragebogen- und Testkonstruktion inhaltlich und formal ergänzen und dazu beitragen, eine effiziente und professionelle Fertigkeit zur Fragebogenkonstruktion zu entwickeln. Die Mehrzahl der beschriebenen Vorgehensweisen lassen sich in analoger Weise auf die Konstruktion von Beobachtungssystemen übertragen.

Ein Kernpunkt in diesem Buch betrifft die Operationalisierung eines Merkmalsbereiches durch (selbst)beobachtbare Indikatoren und die Umsetzung dieser Indikatoren in Gruppen leicht beantwortbarer Frage-Antwort-Einheiten. Dieser Ansatz wird bislang im Hinblick auf die Fragebogenentwicklung gar nicht oder nur am Rande behandelt. Anhand von Beispielen wird erläutert, dass ein Fragebogen nicht aus beliebigen Fragen bestehen sollte, sondern aus Gruppen von Frage-Antwort-Einheiten (sog. Items), die einem Merkmalsbereich oder Konzept zuzuordnen sind. Dabei wird eine Reihe von Grundregeln zur Formulierung von Items vorgestellt. Diese Regeln modifizieren einige althergebrachte Prinzipien, die ursprünglich eingeführt wurden, um Antworttendenzen zu vermeiden. Im zweiten Teil werden die Zusammenstellung von Items zu einem Fragebogen und die Prüfung der Fragebogengüte behandelt. In diesem zentralen Kapitel zur Fragebogenentwicklung steht die Beziehung zwischen inhaltlichen und statistischen Konzepten im Vordergrund. Dabei werden wiederholt die Grenzen der oft verabsolutierten statistischen Kenngrößen und Analyseprinzipien thematisiert und eine inhaltlich geleitete Vorgehensweise vorgeschlagen, die die statistischen Methoden als Werkzeug in ihren Dienst stellt. Im Anschluss daran werden Regeln zur Entwicklung und Prüfung der Endform des Fragebogens an Beispielen illustriert. In den letzten Abschnitten werden Fragebogen und Interview mit ihren jeweiligen Einsatzbereichen abgegrenzt sowie die Bedingungen zur Durchführung und Rückmeldung von Fragebogenerhebungen und MitarbeiterInnenbefragungen einschließlich ethischer und juristischer Aspekte diskutiert. Beispiele und Checklisten am Ende des Buches dienen der Erläuterung und Handhabbarkeit der Prinzipien und Methoden.

Die Mehrzahl der bisher vorliegenden Arbeiten zur Testkonstruktion stellt den mathematisch-statistischen Hintergrund verschiedener testtheoretischer Modelle in den Vordergrund (Böttcher, 2007; Bühner, 2011; Eid & Schmidt, 2014; Kranz, 2001; Krauth, 1995; Kubinger, 1989; Lienert & Raatz, 1998; Moosbrugger & Kelava, 2007; Rost, 2004). Arbeiten mit einem überwiegend inhaltlichen Bezug sind von Mummendey (1987) und Osterlind (1989) publiziert worden. Mummendey geht vor allem auf den Fragebogen als Forschungswerkzeug ein und beschränkt sich dabei auf Beispiele zur einstellungsorientierten Messung mit Zustimmungsskalen. Osterlind leistet in seinem englischsprachigen Werk für die Leistungs- und Kenntnismessung Ähnliches wie die vorliegende Arbeit für die Messung von Merkmalen mittels Fragebogen, die Osterlind im Vorwort explizit ausklammert. Wertvolle Tipps und Anhaltspunkte entstammen auch Arbeiten aus der empirischen Sozialforschung. In diesen Arbeiten liegt der Schwerpunkt jedoch bei Einzelfragen (Porst, 2009), nicht jedoch bei der Entwicklung von konzeptbezogenen Frage-Antwort-Gruppen, die ein psychometrisches Verfahren kennzeichnen.

Für die Entwicklung eines Fragebogens sind folgende Schritte abzuarbeiten:

1. Abgrenzung und Klärung des zu erfassenden Merkmalsbereiches und der Zielpopulation. Bei der Festlegung der Zielpopulation ist auch an mögliche Vergleichsgruppen, „Benchmarks“ und Weiterentwicklungen zu denken. Daher gilt die Regel für die Festlegung der Zielpopulation: Eher breit definieren!

2. Spezifizierung des Merkmalsbereiches und Sammlung von Beispielen. Hier sollten möglichst umfassend Verhaltensweisen, Leistungen, Manifestationen in Gedanken, Gefühlen, Motivationen, Wünschen, Symptomen und Zuständen körperlicher und psychischer Art aufgelistet/gesammelt werden. Zur Unterstützung werden in dieser Phase häufig Interviews, Verhaltensbeobachtung, Arbeitsanalysen, Unfallanalysen und Dokumentenanalysen oder auch Workshops mit ExpertInnen eingesetzt.

3. Gruppierung der Manifestationen in Teilbereiche, die in ähnlicher Weise mit unterschiedlichen Merkmalsausprägungen variieren

4. Festlegung der charakteristischen Manifestationsvariation und Festlegung der Antwortdimensionen

5. Formulierung der Items

6. Prüfung der Items auf sprachliche Konsistenz, Einfachheit und Verständlichkeit

7. Festlegung von Instruktionen, Ankern und Vorgabemodalitäten

8. Fixierung der Itemreihenfolge

9. Durchführung einer Studie zur Prüfung der Subtests/Items

10. Kürzung/Ergänzung des Fragebogens

11. Festlegung von Varianten des Fragebogens

12. Normierung und Auswertungsrichtlinien

13. Validierung und Interpretationsrichtlinien

Mit den 13 Schritten der Fragebogenentwicklung entsteht ein psychometrisch geprüfter Fragebogen mit definierter Qualität, der auch in Normensystemen (z. B. ISO 10075 oder DIN 33430) eingeordnet werden kann. Während ein „Bogen mit Fragen“ z. T. wenig zuverlässige qualitative Informationen liefert, sind mit psychometrisch geprüften Fragebogen exakte Messungen von Veränderungen der Merkmalsausprägung oder von Unterschieden zwischen Personen, Gruppen, Teams oder Organisationseinheiten möglich.

1.2 Fragebogen als psychometrischer Test zur Erfassung eines Merkmalsbereiches

Mit der Unterscheidung zwischen Fragebogen als psychometrisch geprüftem Messinstrument für quantitative Aussagen zu einem definierten Merkmalsbereich und der Vorgabe von Fragen zur späteren qualitativen Analyse („Bogen mit Fragen“) wird ein Fragebogen als Test im Sinne der klassischen Arbeit „Testaufbau und Testanalyse“ von G. A. Lienert (1969) klassifiziert. Danach ist ein Test ein „wissenschaftliches Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer empirisch abgrenzbarer Persönlichkeitsmerkmale mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung“ (Lienert, 1969, S. 7). Die Vorgabe von Fragen zur qualitativen Analyse wird im Kapitel 7.1 „Fragebogen, Interview, Verhaltensbeobachtung“ aufgegriffen.

Ein Fragebogen versucht, den Kriterien für einen psychometrischen Test zu entsprechen und den zu erfassenden Merkmalsbereich möglichst objektiv, zuverlässig und valide abzubilden.

– Objektivität im Sinne von Intersubjektivität erlaubt, die Merkmale unabhängig von den UntersuchungsleiterInnen zu erfassen. Objektivität bezieht sich dabei auf die Durchführung der Befragung, die Auswertung der Daten und die Interpretation der Ergebnisse.

– Zuverlässigkeit lässt sich erzielen, wenn die Fragen so gestellt werden, dass die antwortenden Personen in konsistenter Weise antworten können und die Ergebnisse sich bei unterschiedlichen Fragen zu einer Merkmalsfacette in vergleichbarer Weise zeigen. Konsistente Antworten schlagen sich in hohen Kennwerten für die Zuverlässigkeit (Reliabilität) des Fragbogens nieder. Zur Reliabilitätsprüfung werden Parallelmessungen und/oder Messwiederholungen vorgenommen. Parallelmessungen erfolgen zum Beispiel, wenn jede Merkmalsfacette durch mehrere Fragen abgebildet wird. Messwiederholungen finden abhängig von der Stabilität des zu messenden Merkmals nach kurzem oder längerem Zeitintervall statt. Die unterschiedlichen Optionen der Reliabilitätsschätzung werden im Kapitel 6.2 zur Überprüfung der Güte von Fragebogen diskutiert.

 

– Schließlich soll der Merkmalsbereich valide (modellkonform) abgebildet werden. Der Fragebogen soll diejenigen Merkmale und Zustände abbilden, die er zu messen vorgibt. Validität lässt sich insbesondere durch eine möglichst präzise Festlegung des zu messenden Merkmalsbereiches im Rahmen der Fragebogenentwicklung erreichen.

Die Definition des Merkmalsbereiches und seine Operationalisierung stellen einen zentralen Schritt in der Fragebogenentwicklung dar, dem in diesem Buch besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ziel der operationalen Definition ist eine Umschreibung der Äußerungsformen von Merkmalsunterschieden. Die Frage, wie sich inter- und intraindividuelle Unterschiede in der Merkmalsausprägung aus Sicht der Befragten darstellen und optimal operationalisieren lassen, stellt den zentralen ersten Schritt bei der Erstellung der Fragebogengrundeinheiten dar: die Formulierung der Items.

Die Operationalisierung des Merkmalsbereiches aus Sicht der Befragten bildet den ersten zentralen Schritt zur Sicherung der Validität (Gültigkeit) der Messungen. Selbstverständlich ist die Validität durch ergänzende empirische Daten – wie die Korrelationen zu relevanten Kriterien oder verwandten Konzepten – zu bestätigen. Hohe Validitätskoeffizienten können aber auch durch triviale Zusammenhänge oder durch Scheinkorrelationen, bedingt durch Drittvariablen, entstehen. Auch dieses Problemfeld wird in einem eigenen Abschnitt diskutiert (Kapitel 6.3). Dabei wird insbesondere das Problem der Augenscheinvalidität kritisch beleuchtet. Augenscheinvalidität ist sowohl ein Problem bei der Itemformulierung und -auswahl als auch ein Problem bei der Interpretation von Fragebogenergebnissen. Ein verbreiteter Interpretationsfehler betrifft die absolute Interpretation der erhaltenen Skalenwerte, z. B. für Arbeitszufriedenheit. Ohne Vergleichswerte verbietet sich die absolute Interpretation der Messwerte für ein psychometrisches Testverfahren, das maximal Intervallskalenniveau aufweist.

Die statistische Überprüfung der Testgüte kann mittels Klassischer Testtheorie (Lienert & Raatz, 1998; Lord & Novick, 1968), anhand der Generalisierbarkeitstheorie von Cronbach, Gleser, Nanda und Rajaratnam (1972), anhand moderner statistischer Analysen mit linearen Strukturgleichungsmodellen (Steyer & Eid, 2001) oder auch mit einer Analyse in einem probabilistischen Testmodell (Fischer, 1974) erfolgen. Auch wenn die psychometrische Testkonstruktion im klassischen Modell erfolgt und dementsprechend die Frage der Messung im engeren Sinn außen vor bleibt, kann durch die Auseinandersetzung mit der Frage nach den zu messenden Merkmalen oder Konzepten ein wesentlicher theoretischer und praktischer Gewinn resultieren. Das Verständnis für die inhaltlich notwendigen Schritte bei der Fragebogenkonstruktion hilft, psychometrisch aussagekräftige, zuverlässige Ergebnisse zu erzielen.