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Kapitel 3

Als Dylan am nächsten Morgen die Lider aufklappte, sah er unmittelbar in Thors blaue Augen. Er war nicht erschrocken darüber, vielmehr überrascht. Verschlafen rieb er sich das Gesicht und reckte sich. Merklich war der Vormittag vorangeschritten. «Bist du noch gar nicht aufgestanden?», murmelte er.

«Doch», erwiderte Fahlstrøm. «Aber ich habe mich wieder hingelegt.»

Dylan hob die Augenbrauen an. «Ach ja? Ist etwas passiert?»

«Noch nicht …» Thor beugte sich über ihn und startete einen innigen Kuss. Gefügig ließ sich Dylan auf die Matratze drücken. Thors Körper glitt über und auf ihn, seine Hand führte er geradewegs zwischen Dylans Beine.

Hingebungsvoll räkelten sie sich auf dem Laken. Dylan strich Thors muskulösen Rücken hinab und letztendlich landeten seine Finger dicht über dessen Gesäß. Fahlstrøm war nackt.

«Sieht mir nach eindeutigen Absichten aus», wisperte Dylan. Er schob die Schenkel auseinander und gewährte seinem Partner den Platz, den er brauchte. Wortlos begab sich Thor in eine bequeme Ausgangsposition. Ein Quickie am Morgen? Das war genau das, was Dylan seit langem vermisst hatte.

Thor offensichtlich auch … Ohne Umschweife tastete er nach Dylans Geschlecht. Er rieb ihn fest und fordernd, so zielgerichtet, dass keine Zweifel zurückblieben. Es sollte geschehen. Am besten sofort …

«Oh, fuck, das ist gut», raunte Dylan mit geschlossenen Augen. Thor war unter der Decke verschwunden. Saugend schob er seine Lippen über die Glans seines Partners. «Oh, yes …» Dylans Schenkel vibrierten. Gefügig bäumte er sich Thor entgegen. Dessen Zunge suchte den Weg zwischen seinen Spalt. Sie leckte ihn, bis Dylan es nicht mehr aushielt.

Er packte Thor bei den Schultern und dirigierte ihn wieder nach oben. «Nimm mich, los …», forderte er bissig. Ihre Körper prallten gegeneinander. Heiß und bebend starteten sie einen neuen Kuss.

«God morgen! Er det noen hjemme?», ertönte plötzlich eine Frauenstimme, die Dylan zusammenfahren ließ.

«Shit, das ist Emma», keuchte er.

«Hallo?»

Thor riss sich los. Augenblicklich war die Sinnlichkeit vergessen, die Dynamik zwischen ihnen zerstört. Stattdessen trieb die unerwartete Störung den Zorn in Fahlstrøms Gesicht. Dylan wusste, was das bedeutete.

«Oh, nein, mach es nicht!»

Zu spät!

Thor gelangte so schnell aus dem Bett, dass Dylans zurückhaltende Hände ihr Ziel verfehlten.

«Zieh dir wenigstens etwas an!», flehte er. Vergebens.

Thor riss die Tür auf und polterte in den Flur. Ebenso energiegeladen nahm er die Treppe hinab. Kurz darauf hörte man Emmas erschrockenen Schrei. Thors donnernde Worte drangen bis unters Dach. Dylan schloss die Augen vor Scham, doch ohne Konsequenz.

In norwegischer Sprache folgte ein Streitgespräch, das mit dem Zuknallen der Tür endete.

«Oh, damned!»

Dylan sprang auf. Obgleich es in seinem Unterleib wohlig pochte, war die Lust in ihm erloschen. Er stieg in seine Shorts, strich sich ein T-Shirt über und eilte ins Erdgeschoss. Auf der Treppe kam ihm Thor entgegen.

«Musste das sein?», schrie er ihn an.

«Das frage ich mich auch!», erwiderte Thor, bevor er im Bad verschwand.

Unten angekommen sah Dylan, dass Emma bereits im Auto saß und die Auffahrt verließ. Barfuß eilte er hinaus.

«Halt, nein!», schrie er. Sein Zuruf und seine winkenden Hände brachten nicht die gewünschte Wirkung, sodass er gezwungen war, dem Wagen hinterherzulaufen. Warum musste sie auch stören? Warum musste sie ungebeten ins Haus treten – im denkbar ungünstigsten Moment?

Auf der anderen Seite wusste er, dass Thor die Tür nach dem Aufstehen nicht mehr abschloss, damit die Hunde stets rein- und rauslaufen konnten. Die offene Tür musste wie eine Einladung auf sie gewirkt haben.

«Emma, bitte, halte an!», brüllte er mit Inbrunst. Er missachtete den steinigen Weg und folgte dem davonfahrenden Gefährt. «Warte, bitte!»

Wider Erwarten blieb das Auto schließlich stehen. Dylan atmete aus, doch den Gang verlangsamte er nicht. Hoffnungsvoll trottete er heran.

Emma saß hinter dem Lenkrad. Der Motor lief weiterhin. Ihr Blick war nach vorn gerichtet.

«Bitte, mach auf!», bat er, als er neben dem Wagen zum Stillstand kam.

Hartnäckig klopfte er ans Fenster der Fahrerseite. «Bitte, hör mir zu!»

Emmas Gesichtsausdruck blieb versteinert. Trotzdem raffte sie sich auf und bediente den Knopf für den automatischen Scheibenheber. Kaum war das Fenster geöffnet, fuhr Dylan fort:

«Lass uns reden, okay?»

«Was gibt es da zu reden?», erwiderte sie. «Das ist wirklich das Allerletzte, was er sich erlaubt. Sowas hab ich noch nie erlebt! Was glaubt er denn, wer er ist?» Ihre Stimme zitterte und ihr Gesicht glühte.

Dylan blieb konsequent. Während er eine Hand auf die Fahrertür legte, führte er die andere an ihre Schulter. «Bitte, gib uns noch eine Chance», flehte er. «Wir treffen uns in der Stadt, ja? In einer Stunde bei der Kaffebrenneriet am Rathaus, okay?»

Sie antwortete nicht sofort, starrte erst durch die Windschutzscheibe, daraufhin in sein Gesicht. Registrierte er ein klitzekleines Schmunzeln?

Sicher sah er zum Lachen aus: frisch aus dem Bett gestiegen und nur halb angezogen. Bewusst zog er eine mitleiderregende Miene auf. Vielleicht konnte die sie erweichen? «Bitte, Emma, ich flehe dich an.»

«Na schön!», meinte sie schnippisch. «Aber zieh dir etwas über.»

Er atmete auf und nickte. «Selbstverständlich!»

Sie trat auf das Gaspedal und fuhr davon. Es störte ihn nicht, dass Staub aufwirbelte und in sein Gesicht flog. Wichtig war, dass er die unleugbar unangenehme Situation retten konnte. Wieder einmal … Sie hatte recht. Thor benahm sich wie ein Sturkopf. Bei einem anderen Bewährungshelfer wäre er sicher schon mit einem üblen Bericht ausgestattet worden.

Es musste sich etwas ändern, und zwar dringend …

Dylan sah die Straße entlang. Tony kam den Weg zu den Häusern hinauf. In einer Hand hielt er eine Brötchentüte und bei der anderen seine Tochter.

«Wie siehst du denn aus?», rief er ihm schon von Weitem entgegen. Wie immer, wenn den Sänger von RACE etwas Sonderbares umgab, schwang in der Stimme seines Managers ein Funken Panik mit. «Wie läufst du hier herum?»

Susan kicherte, sodass Tony sie ermahnte. «Das ist nicht witzig!»

«Ach, Thors Bewährungshelferin war da und … wir waren noch nicht aufgestanden.» Dylan unterließ es, Details zu erklären.

Tony stoppte ihm dicht gegenüber. «Und dann rennst du in Unterhose und ohne Schuhe über den Hof?» Er schüttelte den Kopf.

«Ach, verstehst du nicht …» Dylan wandte sich um. «Muss mich auch beeilen! Bin mit ihr zum Kaffeetrinken verabredet!» Obgleich die kleinen Steine unter seinen Sohlen unangenehm pikten, hastete er zum Haus.

«Sollte es nicht Thors Aufgabe sein, sie zu treffen?», rief Tony.

Er überhörte die Frage. In der Küche war Fahlstrøm damit beschäftigt, das Frühstück zuzubereiten. Inzwischen war er angezogen.

«Hab mal wieder deinen Arsch gerettet!», gab Dylan bekannt.

«Wär nicht nötig gewesen», erwiderte Thor, ohne sich umzudrehen. Seelenruhig schnitt er das Brot.

«Selbstverständlich war es nötig!», keifte Dylan. «Wann kapierst du endlich, dass du nicht mehr machen kannst, was du willst. Du musst mit ihr reden! Du darfst dich nicht wie ein Querkopf verhalten!»

«Ich bin so, wie ich bin», entgegnete Thor.

«Ja, und das wird dir die Türen nicht länger öffnen, wenn du es nicht änderst!», giftete Dylan weiter. «Aber denk bloß nicht, dass ich dich im Knast besuchen komme!»

Eilig erklomm er die Treppe und verschanzte sich im Bad. Wollte er pünktlich am Hafen sein, musste er sich ranhalten. Irgendjemand musste ja vor Emma ein gutes Bild abgeben …

Kaum war er fertig gestylt, erklangen Stimmen aus dem Erdgeschoss. Tony und Susan standen vor der Tür. Da er nicht wollte, dass es abermals Streit gab, hechtete er nach unten. Dort wurde er Zeuge, wie Susan die Hand in Thors Richtung streckte. Zwischen ihren kleinen Fingern klemmte ein winziger Blumenstrauß.

«Danke, dass wir in Mats Haus wohnen dürfen», sagte sie mit piepsiger Stimme.

Fahlstrøm zögerte, bevor er den Strauß widerwillig entgegennahm. «Das sind Blumen aus Mats Garten», stellte er fest.

«Sie hatte sie bereits gepflückt, ehe ich eingreifen konnte», erwiderte Tony zähneknirschend. «Sorry.»

«Dein Vater hat dich offensichtlich nicht im Griff.» Thor drehte sich der Küche zu, nahm ein Glas aus einem Schrank und füllte es mit Wasser.

«Machen wir heute ein Lagerfeuer?», fragte Susan munter.

«Weiß noch nicht», brummte Thor. Er stellte das Glas samt Blumen auf den Esstisch.

«Warum guckst du immer so böse?», tönte Susan.

Thor hob die Augenbrauen an. «Tu ich das?»

«Ja!» Sie nickte so eifrig, dass ihre Zöpfe hin- und herschwangen.

«Das reicht jetzt», mischte sich Tony ein. Mit einem aufgesetzten Grinsen führte er seine Tochter hinaus. «Bis nachher!»

«Bye!», rief Dylan. Nebenbei hatte er sein Handy und die Geldbörse in einer schwarzen Tasche verstaut und sie umgehängt. «Muss los. Emma soll nicht warten.» Er griff nach den Autoschlüsseln. «Da du es ja nicht für nötig hältst, mit ihr zu reden!»

«Guck ich wirklich böse?», äußerte sich Thor, als hätte er den Vorwurf seines Partners nicht gehört.

Dylan sah sofort auf. «Ja, allerdings!», meinte er. «Ein Wunder, dass die Kleine nicht schreiend vor dir wegrennt!» Es hätte witzig klingen können, doch sein Gesicht blieb todernst. «Ich weiß, du magst Tony nicht. Aber er ist mein Freund. Er ist Eriks Freund. Du könntest dich wenigstens seiner Tochter zuliebe zusammenreißen!»

***

Aufgeregt rieb er die Hände aneinander. So ähnlich muss sich ein Date anfühlen, dachte er bei sich, indessen er unter den Passanten nach Emma Ausschau hielt. Ein richtiges Date hatte er jedoch noch nie gehabt. Früher hatte man ihn gemieden wie die Pest und als Star konnte er die Groupies mit nur einem Fingerzeig in sein Bett dirigieren. Auch mit Thor waren die geplanten Treffen eher hölzern angelaufen. Es hatte stets gedauert, bis sie warm miteinander wurden, doch dann entfachte die Glut zwischen ihnen regelmäßig zu einem Feuersturm.

Erfreut hob er eine Hand. Zu der Aufregung gesellte sich eine große Erleichterung. Emma steuerte schnellen Schrittes auf ihn zu. «Bin ich froh, dass du kommst», begrüßte er sie, nicht ohne sie ungehemmt an sich zu drücken. Konnte er damit Eindruck schinden? «Vielen Dank.» Er löste sich und sah ihr tief in die Augen. Für einen winzigen Moment schien sie wie zur Salzsäule erstarrt. Ja, seine warmherzige Begrüßung hatte gesessen. So behielt er das Lächeln bei und fasste ihr sanft an den Arm. «Wollen wir am Fenster sitzen? Die Plätze draußen sind leider schon alle belegt.»

«Ja, gern.» Sie folgte ihm. Im Inneren des Coffeeshops setzten sie sich rechts von der Tür vor die Fensterfront. Dylan blieb indes stehen und deutete zum Tresen.

«Kaffee? Cappuccino? Und was Süßes?»

«Cappuccino, bitte, und einen Kanelboller.»

«Sofort!» Überschwänglich begab er sich an die Theke, wo er nahezu fließend auf Norwegisch die Bestellung aufgab. Zumindest was lockere Dialoge anging, wurde er nicht mehr angesehen wie ein Tourist, der sich qualvoll in einer Fremdsprache übte. Er bezahlte mit Karte, was in den Geschäften ebenfalls gang und gäbe war. Anschließend ließ er es sich nicht nehmen, die Tassen und die Teller samt Zimtschnecken zu ihrem Tisch zu tragen.

«Find ich klasse, dass unser Treffen geklappt hat», sagte er und zwinkerte ihr zu. Lächelnd kippte er zwei Beutel Zucker in seinen Kaffee und rührte um. Aber Emma sorgte dafür, dass seine gute Laune nicht andauerte.

«Ich bin sicher nicht hier, um ein Kaffeekränzchen abzuhalten», zischte sie. «Das ist Arbeitszeit, die ich eigentlich mit deinem Partner verbringen sollte.»

Er seufzte tief und legte den kleinen Löffel beiseite.

«Es tut mir wirklich leid, was vorgefallen ist», entschuldigte er sich.

«Allein Thor hätte sich zu entschuldigen», erwiderte sie. Nach wie vor wirkte sie aufgebracht. «Sein Verhalten ist nicht nur skandalös, sondern absolut respektlos!»

«Sicher», antwortete er. Zaghaft nahm er einen Bissen von der Zimtschnecke und kaute gemächlich. Das Gebäck schmeckte sagenhaft, wie alle Süßwaren der norwegischen Cafés. Aber nichts war mit dem zu vergleichen, was Thor ihm zum Kaffee servierte. Seine selbstgemachten Kuchen und Kekse machten sogar Dylans heißgeliebten Donuts aus England Konkurrenz. Ob er in seinem Café auch diese phänomenale Rezeptur benutzen würde? Sorgfältig wischte er sich die klebrigen Finger an der Serviette ab. Wie sollte er Emmas Gemüt bloß besänftigen? Auf ganzer Linie musste er ihr recht geben. Thors Verhalten war nicht zu entschuldigen und trotzdem …

«Ich verstehe deine Entrüstung absolut und obwohl es vermutlich nichts an der Sache ändert, kann ich dir versichern, dass Thor die Angelegenheit garantiert nicht so wichtig nimmt wie du.»

«Wie bitte?»

Dylan hob die Schultern an. «Während du dich hier ärgerst, wird er mit Sicherheit zu Hause sitzen und keinen Gedanken mehr daran verschwenden.»

«Er hatte nichts an», erinnerte sie ihn nahezu vorwurfsvoll. «Er hat mich angebrüllt und des Hauses verwiesen.»

«Ja, das stimmt.» Dylan kratzte sich im Nacken. Das Verhalten seines Partners machte ihn verlegen, aber inzwischen konnte er auch schon darüber hinwegsehen. Thor machte niemals etwas, ohne davon überzeugt zu sein. «Nacktheit ist für ihn noch nie ein Thema gewesen», erklärte er. «Ihm wird es scheißegal sein, dass du ihn unbekleidet gesehen hast. Du hast ihn in seiner Privatsphäre gestört; das ist der Punkt, der ihm nicht passte.»

«Aber er muss doch damit rechnen, dass ich vorbeisehe», konterte Emma. «Da er sich bislang den Gesprächsterminen entzogen hat, muss ich unangekündigt vorbeikommen, um sicherzugehen, dass ich ihn erwische.»

Dylan nagte an seinem Piercingring. «Wenn es zur falschen Zeit ist, wird es immer ausarten. Das kann ich dir versichern.»

«So kommen wir ja nie weiter!», tönte sie. Trotzdem biss sie in die Zimtschnecke und schloss kurz genüsslich die Augen. Ein Moment, den Dylan ausnutzte. Mit einem schelmischen Blick beugte er sich vor und flüsterte: «Hat er sich denn wenigstens die Hand vorgehalten?»

Emma hielt inne und schluckte hastig. Ihre Wangen färbten sich rot. «Nein.» Plötzlich zuckten ihre Mundwinkel und sie sah peinlich berührt nach unten. «Nein, das hat er nicht.»

«Oh, my gosh …» Dylan stieß ein glucksendes Lachen aus. Das Eis war gebrochen. Emma grinste.

«Also, das war ….» Ihr Blick wanderte zum Fenster. «Ich wusste gar nicht, wo ich hinsehen sollte.», fuhr sie mit erhobener Stimme fort.

Nun lachte Dylan mutiger. «Das ist typisch für ihn.» Er bestätigte seine Aussage. «Glaub mir, er dachte sich nichts dabei und im Endeffekt sitzt du jetzt hier und ärgerst dich.»

«Ja, vermutlich sollte ich das nicht tun», sagte sie.

«Richtig», antwortete er. «Glaub mir, würde ich mit so etwas bei ihm ankommen, würde er sagen: ‹Ach, Perk, musst du wieder alles dramatisieren?›.»

«Thor nennt dich beim Nachnamen?», hakte sie sofort nach.

Er nickte. «Ja, eigentlich schon immer.»

«Wieso?» Ihre Wut schien verflogen. Sie tranken Kaffee und aßen den Kuchen, so wie es sich Dylan gewünscht hatte: vertraut und ohne Differenzen.

«Das frage ich mich auch und ich glaube, er macht das, um einen gewissen Abstand zu bewahren. Alles, was Gefühle fordert, lässt er nicht gern an sich heran.»

«Aber du bist sein Lebenspartner», gab sie zu denken.

«Das stimmt», meinte er. «Trotzdem war unsere Beziehung nicht von vornherein klar definiert und ich glaube, er hat nach wie vor Angst vor einer festen Bindung.» Er lehnte sich zurück und verdeutlichte. «Seine Hunde zum Beispiel, die haben keinen Namen. Sie gehorchen ihm, sehen in ihm den Anführer und ich denke auch, dass er sie mag. Aber er verhätschelt sie nicht, baut keine emotionale Ebene zu ihnen auf, spielt nicht mit ihnen und gibt ihnen auch keine Leckerli zwischendurch.»

Emma hörte ihm gebannt zu. «Das ist erstaunlich.» Nebenbei klappte sie ihre Unterlagen auf und machte sich Notizen, wie immer, wenn sie mit Dylan im Gespräch war und den Dialog führte, den sie eigentlich mit ihrem Klienten führen sollte.

«Also ist er eher gefühlskalt», rätselte sie.

Dylan schüttelte den Kopf. «Nein, das auch nicht. Er wirkt oft schroff und emotionslos, aber nur, weil er seine Gefühle nicht ausdrücken kann oder Bedenken hat, sie zu zeigen.»

Nun kniff sie die Augen zusammen und kaute nachdenklich an ihrem Kugelschreiber. «Warum? Was meinst du?»

«Ich muss annehmen, dass der Grund dafür in der Vergangenheit liegt. Alles, was ihm bislang wichtig war, im Besonderen Bindungen zu Menschen, wurde auf tragische Weise zerstört: Seine Eltern lehnten ihn ab, seine Großmutter starb zu früh und Magnus hat sich in seinen Armen erschossen.» Dylan hob die Schultern an. «Und vielleicht gibt es noch mehr, was ihn in jungen Jahren mitgenommen hat. Er erzählt ja nichts freiwillig.»

«Also gibt er sich auch dir gegenüber bedeckt?», wollte sie wissen.

«Bedeckt ist geschmeichelt», antwortete er. «Will ich Informationen haben, muss ich darum betteln, und selbst dann lässt er mich oftmals im Regen stehen. Das ist nicht leicht.»

Emma blätterte in den Unterlagen herum. «Es sind jetzt fast drei Monate, in denen er die Fußfessel trägt. Wie geht es ihm damit?»

«Es geht ihm besser», erwiderte Dylan frei raus. «Wir hatten Sex.»

«Oh!» Emma lachte. Sie hob die Schultern an. «Ist das ungewöhnlich? Ihr seid ein Paar.»

«Na ja.» Dylan druckste herum. «Ich hatte doch erzählt, dass er sich nach dem Amerikatrip zurückgezogen hat – und das auf ganzer Linie. Die letzten Wochen lief überhaupt nichts mehr zwischen uns und er schob es auf die Fußfessel.» Entspannt stieß er einen Seufzer aus. «Aber seit ein paar Tagen ist der Knoten geplatzt.» Er grinste. «Wie du mitbekommen hast.»

«Wie ist er denn als Liebhaber?», hakte Emma nach.

Dylan stutzte. «Das willst du jetzt nicht wirklich wissen oder?»

«Du musst keine Bedenken haben», erwiderte sie und deutete auf ihre Aufzeichnungen. «Das kommt nicht in den Bericht und du bist nicht verpflichtet, mir davon zu erzählen. Immerhin müsste ich eigentlich mit ihm darüber reden. Aber es gibt Fälle, bei denen sich die Angeklagten vorbildlich an ihre Auflagen halten, den Schein bewahren, dass alles korrekt läuft, und hinter unserem Rücken den Frust ablassen. Leidtragende sind oftmals Angehörige und Partner.» Sie verdeutlichte: «Je mehr du mir von seinem Alltag erzählst, desto besser bekomme ich ein Bild von ihm und desto positiver wird mein Bericht ausfallen – vorausgesetzt, du bestätigst, dass er sich unter Kontrolle hat.»

Dylan nickte. «Verstehe.» Er leerte seine Tasse, beugte sich vor und dämpfte die Stimme. Niemand außer ihr sollte erfahren, was sich aus sexueller Sicht zwischen ihm und Thor abspielte. «Ich kann dich beruhigen: Er ist weder ein Schläger noch lässt er die Wut an mir aus. Im Gegenteil – wenn er sich Sorgen oder Gedanken macht, zieht er sich zurück, dann braucht er Ruhe. Das ist es, was für mich unerträglich ist. Dass er sich mir entzieht und mich nicht teilhaben lässt an seinen Gefühlen. Ansonsten harmonieren wir recht gut im Bett.» Mit einem verlegenen Lächeln schob er sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.

«Also kein Gewaltpotential», fasste Emma zusammen und kritzelte in die Unterlagen. «Keine sexuellen Übergriffe?»

Dylan schüttelte den Kopf. Da senkte Emma den Stift und sah ihn tiefgründig an. «Was ist mit den Schlägereien, über die die Presse oftmals berichtet hatte? Du sagtest mal, es war eine Art Kräftemessen zwischen euch, etwas, das zu eurer Beziehung gehört?»

«Das ist richtig», antwortete Dylan.

«Aber mittlerweile gibt es keine Gewalt mehr zwischen euch?» Sie setzte den Stift auf das Papier, sichtlich in der Annahme, eine knappe Verneinung zu notieren, aber Dylan antwortete nicht sofort. Das machte sie stutzig. Sein Kopf war geneigt und er zupfte nervös an der Serviette herum. «Dylan? Alles okay?»

«Ja, ich …» Er sah auf und blickte aus dem Fenster. «Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber in gewisser Weise spielt Gewalt schon eine Rolle zwischen uns.» Seine Stimme wurde noch einen Tick leiser. «Vor allem beim Sex.»

«Okay …» Sie legte den Stift ab. «Möchtest du davon erzählen?»

«Wenn es von Nutzen ist?» Er sah sie an und lächelte unschlüssig. Sie nickte, sodass er den Mut fasste, weiter in die Materie einzusteigen.

«Zuerst habe ich nicht begriffen, was da vor sich geht. Eigentlich dachte ich, mein Sexualleben sei normal.» Ein schiefes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. «Soweit man es als normal bezeichnen kann, dass ich als schwuler Sänger lediglich mit männlichen Groupies verkehrt hatte.» Er machte eine Pause. «Aber dann kam Thor und alles hat sich geändert.» Da sie nicht nachfragte, fuhr er ungeniert fort. «Meine Ärztin und auch mein Psychiater sagen, dass es an meiner Kindheit liegt, dass ich diesen Hang zur Gewalt habe. Während meiner Alkoholexzesse habe ich mich ständig mit den Leuten angelegt und dabei ist einiges zu Bruch gegangen. Manchmal hab ich mich dabei auch verletzt.» Er hob die Schulter an. «Mir war das nie bewusst gewesen, aber mein Verhalten war ein Aufschrei, der Wunsch nach Liebe und Anerkennung … Von meinen Eltern habe ich Derartiges nie erfahren. Stattdessen haben sie mich verdroschen.» Kurz schloss er die Augen. Lange hatte es gedauert, bis er die Zusammenhänge verstanden hatte. Nun, nach unzähligen Gesprächen und ohne die Sauferei, war es ihm endlich möglich, sein damaliges und auch heutiges Verhalten zu deuten.

«Kinder suchen immer die Anerkennung ihrer Eltern», meinte Emma und er stimmte zu.

«Zweifellos. Als Kind hab ich gelernt, dass man mich wahrnimmt, wenn ich Schmerzen spüre, denn dann war jemand da, der mich registriert hat. Dabei ist das falsch …» Nahezu erschrocken sah er sie an. «Ohne Alkohol bin ich gelassener geworden und meine Beziehung zu Thor hat dazu beigetragen, dass ich nicht mehr in die Vollen haue. Aber ab und zu bricht es in mir durch. Und ich empfinde es als extrem lustvoll, wenn man hart mit mir umspringt, wenn ich beim Sex an meine Grenzen gerate, wenn mich jemand mit Kraft und Stärke in die Knie zwingt. Erst dann hab ich das Gefühl, vollkommen akzeptiert zu werden.» Er nickte seine Worte ab. «Ab und zu passiert es dann auch, dass ich mich nach Gewalt sehne.»

Plötzlich konnte er sie nicht mehr ansehen. Das Schweigen hatte er gebrochen und es tat gut, darüber zu reden. Aber ebenfalls hatte er das Gefühl, sie mit seinem Geständnis schockiert zu haben. Sie erwiderte seinen Blick mit geweiteten Augen. «Das ist schwere Kost», sagte sie lediglich. Dylan nickte still und rutschte vom Stuhl. «Du entschuldigst mich kurz?» Nahezu fluchtartig verließ er das Café, doch blieb er vor dem Eingang stehen. Mit zittrigen Fingern entfachte er eine Zigarette. Nach wenigen Zügen fühlte er sich geordnet, sodass er wieder an den Tisch zurückkehrte. «Sorry», entwich es ihm. «Aber du wolltest es wissen.»

«Das ist okay», sagte sie. Mit den Fingern strich sie über seinen Handrücken. Mit der freien Hand griff sie sich an die Stirn. «Meine Güte, ich bin Bewährungshelferin, soll Thor bei seiner Wiedereingliederung von Nutzen sein, aber momentan habe ich das Gefühl, dass ihr von psychischen Problemen total überlagert seid. Hat Thor jemals Hilfe ersucht?»

Dylan schüttelte den Kopf. «Nein, er macht alles mit sich aus. Und ich weiß, dass er es nicht leicht hat – auch nicht mit mir.» Er zeigte auf sich. «Ich meine, ich habe gelernt, darüber zu reden: mit Ärzten und Freunden. Aber er zeigt mir nur in Taten, dass er mich versteht – und ich kann wiederum nur erahnen, was in ihm vorgeht.»

«Thor gibt dir die Stärke, die du brauchst», schlussfolgerte sie. «Dabei kommt es mitunter zu Gewalt, aber das ist für euch beide in Ordnung, verstehe ich das richtig?»

«Er kann mich absolut dominieren und mir damit das geben, was ich will», erklärte Dylan. «Aber ich bin mir nicht immer sicher, ob es für ihn in Ordnung ist.»

Auf Emmas Stirn bildete sich eine Falte. «Was führt dich zu der Annahme?»

«Magnus, sein damaliger Freund, der sich umgebracht hat, war nekrophil», antwortete er wie aus der Pistole geschossen. Ebenso schlagartig sah er das Entsetzen in ihrem Gesicht. «Was?», zischte sie. «Er machte es … mit Leichen?»

«Nein, nein!», wehrte Dylan sofort ab. Inzwischen war ihm warm geworden. Das Gespräch wühlte ihn auf. «Hast du noch Zeit? Dann erkläre ich es dir.»

«Ja, natürlich!» Sie nickte eifrig. Daraufhin räumte er das Geschirr zusammen und brachte es an den Tresen, nachfolgend orderte er neuen Kaffee. Kaum saß er wieder, fuhr er mit seiner Erzählung fort:

«Ich wollte dich nicht ängstigen, sondern dir nur erklären, was Thor erlebt hat.»

«Okay.» Sie war blass um die Nase geworden. Dankbar nahm sie den frischen Kaffee entgegen und trank sofort einen Schluck.

«Magnus hat den Tod verehrt», berichtete Dylan. «Sein Wunsch war es nicht, mit Leichen Sex zu haben, vielmehr hatte er die Fantasien, selbst als Toter missbraucht zu werden.»

Emma schluckte, sichtlich betroffen. «Das ist ja grauenvoll», entwich es ihr.

Er nickte. «Hinzu kamen seine Depressionen. Magnus hat mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen, und hat sich deswegen nie behandeln lassen.» Gezielt faltete er die Hände auf dem Tisch, um von seiner Nervosität abzulenken. Eine lange Zeit hatte er nicht verstanden, was in Thors damaligem Freund vorgegangen war. Es hatte einige Nachforschungen und letztendlich Thors Geständnisse gefordert, um das Handeln und Fühlen von Magnus Eidsvag verstehen zu können.

«Er war ein regelrechter Freak», sprach Dylan weiter. «Menschenscheu, die Welt verachtend und lebensmüde.» Kurz zuckte er mit den Schultern. «Trotzdem hat sich Thor in ihn verliebt und sich seiner angenommen. Das Problem war, dass Magnus sich nicht helfen lassen wollte.»

«Das ist tragisch.»

«Absolut.» Dylan pflichtete ihr bei. «Sein Selbstmord war ein Ereignis, bei dem Thor hautnah dabei gewesen war und das belastet ihn noch immer.»

«Du meinst also, Thor ist im Zwiespalt mit sich und jeder Form von Dominanz, weil er Magnus nicht helfen konnte?»

«Zum einen das und zum anderen, weil Magnus es damals geschafft hatte, ihn zu dominieren.»

Sie wurde hellhörig. «Wie das?»

«Na, wenn man sich zu jemandem hingezogen fühlt, will man zwangsläufig auch Sex mit ihm haben, oder?» Er zwinkerte ihr zu und sie lächelte zustimmend. Doch schnell wurde Dylan wieder ernst.

«Magnus konnte das nicht … Also auf normalem Weg. Es ging nur, wenn er das Gefühl hatte, tot zu sein … Am besten verletzt.»

Ihre Augen weiteten sich. «Und Thor hat …?» Sie sprach es nicht aus.

Notgedrungen nickte Dylan. «Zuerst hat er es wohl abgelehnt, aber dann ist er Magnus Wunsch nachgekommen … Im Laufe der Zeit wurden ihre Spielchen bizarrer.»

Still blickte sie auf die Unterlagen, doch sie notierte nichts. Aber er bemerkte ihren kritischen Blick.

«Bitte, das ist viele Jahre her und er hat mir versichert, dass er es nicht gern getan hat, aber damals musste er es tun. Thor hat es aus Liebe getan und vermutlich hat es ihn irgendwann mitgerissen.»

«Ich glaube, ich kann dir folgen», sagte sie. «Du benötigst seine Stärke, seine Dominanz über dich und er hat das Gefühl, wie damals zu handeln.»

«Ich glaube schon», gab Dylan zerknirscht zu. «Ab und zu verlange ich schlimme Dinge von ihm.» Er winkte ab. «Keine üblichen S/M- oder Fesselspielchen, sondern dass er mir zum Beispiel die Luft abdrückt. Manchmal will ich es so hart, dass er mich verletzt.» Er schüttelte den Kopf. «Das macht mich an und er macht mit, aber ich weiß, dass es ihn an Magnus erinnert und das ist nicht fair.» Hörbar atmete er durch. Was er sagen wollte, war ausgesprochen, und er kam zum Ausgangspunkt ihres Gespräches zurück. «Das ist die Form von Gewalt, die zwischen uns herrscht und ich bezweifle, dass wir sie jemals loswerden können.»

«Meine Güte …» Sie schob ihre Unterlagen zusammen, sichtlich nicht daran interessiert, weitere Notizen zu machen. Trotzdem gab sie ihm Hoffnung darauf, dass seine Erzählung positiven Einfluss auf ihre Gutachten haben würde.

«Euer Zusammenleben klingt kompliziert, aber ich höre auch heraus, dass ihr vertraut und respektvoll miteinander umgeht.»

Dylan pflichtete ihr bei. «Das stimmt, ohne Respekt und Vertrauen würde das alles nicht funktionieren.»

«Ich danke dir, dass du mir das erzählt hast – es ist nicht alltäglich, dass man sich tief in sein Seelenleben blicken lässt; schon gar nicht von einer Anfängerin wie mir.»

«Du machst deinen Job gut», versicherte Dylan. Er nahm ihre rechte Hand in die seine, drückte und schüttelte sie gleichermaßen fest. «Ich bin dir sehr dankbar, dass du so einfühlsam und diskret mit seinem Fall umgehst, auch das ist nicht selbstverständlich.»

Sie erwiderte die Geste mit einem Lächeln, dennoch machte sie klar: «Ich gebe mir Mühe, die Umstände zu begreifen und zu berücksichtigen, aber euch muss bewusst sein, dass ich so nicht weitermachen kann. Wenn er weiterhin nicht mit mir redet, bin ich nicht die Richtige für ihn, dann muss ich den Fall abgeben.»

Ihr Statement traf ihn nicht unvorbereitet. Er hatte damit gerechnet, dass sie in Zukunft mehr Druck auf Thor ausüben würde. Das gehörte zu ihrem Job. Es blieb ihr keine andere Wahl. Mehrfach hatte er sie besänftigen können – nun war Schluss damit. Dylan lobte sich, denn für den Fall, der jetzt eingetroffen war, hatte er sich vorbereitet.

Er löste den Händedruck, griff stattdessen in eine Seitentasche seiner Bondagehose und zog eine Eintrittskarte hervor. «Demnächst steigt ein Gig in Oslo. Mehrere Metal-Bands treten auf, auch Wooden Dark, sofern Thor die Genehmigung dafür erhält.» Gezielt drückte er die Karte in ihre Hände. Eigentlich war sie für Carol vorgesehen – aber die konnte er auch auf die Gästeliste setzen lassen.