Read the book: «Ausgerechnet Astronaut!», page 2

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Schrecklich ineffektiv.

Die KI versuchte es anders.

„Durch die Erschütterung eines Notfalls an Bord des Schiffes sind empfindliche Instrumente beschädigt worden.“ Pause. Sensoren musterten den Menschen eingehend, bevor sie fortfuhr. „Es wurde versucht die Schäden zu lokalisieren, zu minimieren und zu beheben. In Folge einiger Ausfälle sind empfindliche Instrumente beschädigt worden. Die genaue Zustandsbeschreibung ist nicht zu hundert Prozent aussagekräftig. Es bedarf eines menschlichen Faktors, um die Weiterfahrt zu garantieren.“

„Was, zum Teufel...?“

„Wir befinden uns weit ab von den ausgetretenen Photonenpfaden. Meine Hauptaufgabe ist es, das menschliche Leben an Bord zu schützen und für eine Weiterfahrt zu garantieren. Dieser Kurs wurde gewählt und eingegeben. Sind Sie bereit Ihren Dienst anzutreten?“

„Scheiße.“ Der Mann stöhnte leise, er drehte den Kopf unruhig hin und her. Die KI fragte sich, ob das eine bloße physische Reaktion war oder ob die Medikamente, die er in sein System eingeschleust hatte, Nebenwirkungen zeigten. Sie hatte getreu den Vorlagen des medizinischen Protokolls gehandelt.

Desorientierung.

Langsames Begreifen.

Unwohlsein.

Schock.

Die KI stimmte den Lichtregler ab, verwandelte die klinische Atmosphäre, vom kühlen Licht der einfachen Brennstäbe, in ein warmes Ambiente. Musik von Bach ertönte dezent im Hintergrund. Der Wasserspender füllte den Becher neu.

„Wo…, zum Teufel, … ist die Crew?“

Die KI analysierte die Frage nach Gewichtigkeit und reagierte entsprechend: „Die gesamte Mannschaft wurde sofort zu den Rettungsfahrzeugen als Evakuierungsmaßnahme laut Anordnung SpaceTec nach Paragraph dreiunddreißig Absatz 3 gebracht. Ihre Hyperschlafzylinder wurden als Erste zu den Schleusen gebracht, doch der Anteil der entweichenden Gase kamen mit dem Feuer in Berührung. Als die ersten zehn schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden, sah ich es als notwendig an, mich von der Anordnung selbst zu befreien. Es befinden sich zurzeit dreihundertneunundachtzig Personen im Hyperschlaf. Eine Person ist im Wachzustand.“

Wer?“

„Sie.“

Larrys Augen klappten so plötzlich auf, als hätte er seine Benommenheit nur vorgetäuscht. Die KI war von der Reaktion beeindruckt.

„Wo ist … der Kapitän?“, fragte er geschockt. Die Infos in seinem Gehirn schienen falsch, nicht richtig gedeutet, unpassend zugeordnet. Er analysierte die Situation auf seine Weise. Als professioneller Hochstapler und Dieb klingelten seine Alarmglocken im Kopf stehts mit einer fast sanften Beständigkeit – jetzt schrillten sie um die Wette, und alle wurden Erster.

Die KI erkannte nicht seinen inneren Konflikt – wie sollte sie auch? Die Antwort kam mechanisch: „An Bord des ersten Rettungsfahrzeugs. Der Kapitän verstarb zusammen mit seinem Ersten Offizier.“

„Ich… bin hier!? Wieso?“

„Logische Schlussfolgerung. Wir brauchen einen Astronauten.“

Mich?“

„Sie sind Adrian Purvis, Passagier A324, ID-Code vierzehndreizehn.“

Warum!?“

„Sie sind Astronaut.“

„Oh“, sagte er. Jetzt wurde ihm plötzlich alles klar. Es wurden neue Regeln aufgestellt.

Die KI kontrollierte die Arminfusion und stellte fest, dass sie fast schon leer war. Offensichtlich machte sein Körper guten Gebrauch von der Aufbaulösung. Als sie seine Lebensfunktionen scannte, blieben die Anzeigen im grünen Bereich. Doch der Stresslevel war erhöht. Die KI nahm sich vor, ihn nicht aus den Augen zu lassen. Aber zum Arbeiten taugte der Mensch.

Mit großen Augen starrte Larry die Projektion an. „Wie weit …sind wir von der Erde entfernt?“

„Sechzehn Lichtjahre. Als wir starteten, legten wir erst einen kleinen Teil der Reise zurück. Der Drift katapultierte das Schiff außerhalb der Route und…“

„Wie weit sind wir von Eden-6 entfernt?“ fragte Larry panisch.

„0,3 Lichtjahre. In diesem Abschnitt des Weltraums ist der Mensch alles andere als allgegenwärtig, seine Außenposten liegen weit voneinander verstreut.“ Die KI rief eine genaue Karte auf und materialisierte sie vor dem Menschen. Das schien dem Menschen zu beruhigen.

„Das klingt nicht so schlimm. Dann ruf nach Hilfe.“ Larrys Blick klebte immer noch an der Projektion.

Hätte die KI blinzeln können, hätte sie es getan. „Hilfe?“ Die Frage schien unnötig. Die Zahlen sprachen für sich. Tief im Inneren ihrer Gigabytes betrachtete sie in Sekundenbruchteilen die Frage neu und wieder neu. Nein, das Ergebnis war nicht zu beschönigen.

„Ja, kennst du doch. Dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz“, setzte Larry hastig nach.

„Sie beziehen sich auf das Morsealphabet. Mir fehlen nötige Informationen.“

„Kumpel, du machst mich fertig!“ Leichte Ungeduld schwang in seiner Stimme mit. „Was bist du überhaupt!? Du musst dich irren...!“

„Supercomputer der Superlative erreichen eine Rechenleistung im Tera- bzw. sogar im Petaflops-Bereich. Zur Veranschaulichung sind das auf Letzteres bezogen 1015 Fließpunktoperationen pro Sekunde. Die Rechenleistung wird, standardisiert per Linpack (Linear System Package) -Benchmark gemessen: dieses Modell der Marke Simeon Corta schafft 678,67 Pflops. Das bedeutet…“

„Schon gut, schon gut“, unterbrach ihn Larry schroff. „Ich nenne dich Simon. Einfach Simon.“

„Simon“, wiederholte die KI und machte sich eine Notiz. „Inwiefern hilft uns das? Mir fehlen nötige Informationen.“

„Wie nennt man das doch gleich? Ähm… Simon, sag: Hast du einen Funkspruch abgegeben? Ähm, … gesendet, meine ich?“

„Seit zwei Stunden wird in regelmäßigen Abständen gesendet.“

„Na, bitte. Reicht doch. Befinden wir uns in unmittelbarer Gefahr?“

Die KI reagiert, als würde sie von einem Blatt ablesen. „Ausfälle auf Ebene drei bis sieben sowie Lagereinheit 12-34. In der Hyperschlafsektion Beta 12 sammeln sich explosive Gase. Sofortige Evakuierung ist vonnöten. Mehrere Systemausfälle. Der Sendebetrieb ist stark eingeschränkt.“ Passend zu den Worten flammte ein neues Hologramm auf. Das riesige Schiff in seiner ganzen Breite und Effizienz. Viele Ausrufezeichen, die bedrohlich rot leuchteten, schufen in Larry ein Gefühl für eine neue Panikwelle. „Ich rate zur manueller Überbrückung durch einen Reparaturdienst“, wiederholte die mechanische Stimme, die klang wie etwas, das nichts zu verlieren hatte.

Stille.

Larry Meldwin fühlte sich wie jemand, der gerade von einem Preisboxer einen satten Schlag in den Unterleib bekommen hatte. Er keuchte, grunzte leise, sah die Farben verschwommen und taumelte. Eden-6 schien jetzt so weit weg wie eine angenehme Erinnerung aus früheren Tagen. Selbst die Erde mit all ihren Problemen erschien ihm verlockender als das metallische Gefängnis, auf das er sich befand. Im All. Weit draußen.

„Ich fühle mich nicht gut“, keuchte er leise, humpelte zum Mülleimer und ließ der Natur seinen Lauf. Saurer Mageninhalt kam ihm hoch. Die Welt schien ihn zu verhöhnen. Das war ein Witz, ein schlechter Scherz – und zwar auf seine Kosten. Ein neuer Gedanke brach sich Bahn: „Warten wir doch auf den Rettungsdienst…“ hustete er leise.

„Rettungsdienst? Mir fehlen nötige Informationen.“ Die KI betrachtete den Menschen sorgenvoll. Untypische Muster für einen Astronauten. Nun, jeder Mensch war anders, aber dennoch. Sie handelte gemäß ihres Protokolls. „Passagier A324, ID-Code vierzehndreizehn, …“

„Nenn mich Adrian.“

„Adrian, der Rettungsdienst wird nicht kommen. Aus offensichtlichen Gründen.“

„Was? Wir brauchen Hilfe! Fast vierhundert Menschen sind an Bord. Das sollte den Anzugträgern doch eine Rakete wert sein! Wozu bezahle ich Steuern!“ giftete er laut über die Schulter, während er noch immer den Mülleimer mit seinem Erbrochenem hielt.

„Adrian, wir sind zu weit draußen.“ Die KI scannte erneut. Der Stresspegel war weiter angestiegen. Sie war intelligent genug, um zu verstehen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Alle Gleichungen führten zu demselben Ergebnis. Warum stimmte dann das Ergebnis nicht? Die Problemlösungssoftware arbeitete bei voller Leistung. Die Daten logen nicht. „Sie sind doch Passagier A324, ID-Code vierzehndreizehn, Adrian Purvis.“ Manuelle Abstimmung schien ratsam. Vielleicht wusste der Mensch Rat? „Purvis ist ein dänischer Astronaut und Geophysiker, der in der Zeit des Dritten Kalten Krieges als Kind der Generation Z zur Welt kam und mehrmals die Erde umkreiste. Er ist Vater von vier Kindern und hat viele wissenschaftliche Dissertationen über das Reisen im All verfasst.“ Die KI war sich sicher: „Sie sind Adrian Purvis.“

„Oh, scheiße.“

„Keine Scheiße. Notwendiges Prozedere. Bitte begeben Sie sich zur Ebene Drei.“

Larry Meldwin blickte weder vor noch zurück. Die Welt hatte sich als feindlich herausgestellt. Sein letzter Bluff war ein Rohrkrepierer. Ein absolutes Desaster. Liebend gerne hätte er die Zeit zurückdrehen wollen – selbst die Festnahme und Verurteilung durch die Justiz der Erde erschien ihm jetzt als verlockende Alternative.

Und das war das Problem.

Es gab keine Alternative. Er musste jetzt ein Astronaut sein. Ein Astronaut!

„Nee, lass mal.“ Er stand auf, wankte kurz und machte sich auf den Weg.

„Passagier A324, ID-Code vierzehndreizehn.“ Mit Sorge beobachtete die KI den vorgeschriebenen Weg zu dem Tatsächlichen. Der Mensch bewegte sich fort. „Adrian.“ Die KI schaltete andere Lautsprecher an, um ihn zu erreichen. Der Mensch verließ den Bereich und steuerte auf den Flur zu. „Sie gefährden das Leben der Menschen und die Erfüllung der Mission. Nennen Sie Gründe.“

„Ich fühle mich… nicht gut. Ich lege mich hin.“ Er winkte mürrisch ab. „Hör mal, Kumpel, warum weckst du nicht jemand anderen? Ich bin im Ruhestand!“

„Sie sind Astronaut im Ruhestand, nicht tot. Nach ihrer letzten Untersuchung zufolge können Sie den Dienst antreten“, echote die Stimme durch das Schiff.

Kurz vor dem Fahrstuhl blieb der Mensch stehen. Die KI versuchte es anders und materialisierte die genaue Passagierliste auf einem der Bildschirme, so dass er sie sehen konnte. Dabei hefteten sich die Augen auf die Bilder von Personen, die ausdruckslos vom Videoschirm auf ihn herunterstarrten. „An Bord sind zweihundertzehn Touristen, vierzig Feuchtfarmer, dreizehn Diplomaten, zwei Friseure, zwei Polizisten, einen IT-Spezialisten, einen Regisseur, eine Biologin, eine Mechatroniker, eine…“

Frauen.

Männer.

Kinder.

Sie alle hatten Namen, eine Geschichte und ein Ziel. Und ihr Schicksal lag noch immer in der Schwebe. Es waren so viele.

„Nimm eine von denen“, zischte er ungehalten. Seine Geduld war am Ende. „Mir egal! Ich bin raus!“

„Adrian, es bleiben nur Sie.“ Ein erneuter Versuch. „Begeben Sie sich zur Ebene drei.“

Das war der Punkt, an dem Larry anfing zu rennen.

Larry Meldwin legte die Finger aneinander und runzelte die Stirn. Seine Miene war so grau wie sein Jogginganzug. Kurzerhand schob er die Glasfront des Geschäfts auf und huschte ins dunkle Innere. Mit einem Einkaufswagen bewaffnet ging er durch die Regalreihen.

Thunfischkonservendosen, Toilettenpapier, Brot in Dosen, Aufschnitt, Süßigkeiten, Limonadendosen und Wasserflaschen. Sehr viele Wasserflaschen. Er brauchte einen zweiten Wagen. Die KI beobachtete ihn genau.

„Adrian, das Einkaufen im Beauty Free-Shop außerhalb der festgeschrieben Zeiten ist ohne die Anwesenheit des zuständigen Personals nicht gestattet.“

„Dann schau halt weg. Mach mir einen RF bereit. Soll gleich Richtung Eden-6 fliegen.“ Er hielt kurz inne, um eine besondere Flasche zu begutachten. „Chateau Lafitte-Rothschild. Vanille- und leichte Tabaknote. Das ist mein Lieblingswein.“

Magazine. Sehr viele Magazine. Haus und Boot, Garten und Haus, Video und Games, und einige anzügliche Zeitschriften mit nackten Tatsachen.

„Sie beabsichtigen das Schiff zu verlassen. Das kann ich nicht gut heißen.“ Die ruhige Stimme war emotionslos, aber voller Ausdruck bürokratischer Missbilligung. Gegen jene kühle und sachliche Logik kam Larry nicht an, und er versuchte es nicht einmal. Wozu auch?

„Mir doch egal…“ Er versuchte es mit Trotz. Wie ein kleines Kind, das nicht verstand, dass die Eltern einfach nicht die finanziellen Möglichkeiten hatten, den Weihnachtsmann zu kaufen. Nicht nur, weil auch andere Kinder ein Anrecht auf den Geschenkebringer besaßen…

Mittlerweile starrte er auf zwei vollgestopfte Einkaufswagen mit einem Gesamtwert von über eintausend Credits und fragte sich, was er hier eigentlich machte. Zuviel, um es zu tragen. Und zu wenig, um zu existieren.

Langsam leerte sich sein Inventar an haltbaren Plänen.

„Sie verstoßen gegen Paragraph…“

„Jetzt hör mal zu, du Taschenrechner. Ich sollte eigentlich jetzt auf Eden-6 sein und die Sonne auf meiner Veranda genießen. Stattdessen bin ich hier! Mit dir!“ fauchte er ungehalten und suchte die nächste Kamera an der Decke, die er anfunkeln konnte. „Wie lange braucht man mit einem RF?“

„Nach Eden-6 wären es zehn Monate, vierzehn Tage, drei Stunden.“ Die KI betrachtete das Stirnrunzeln im Gesicht des Mannes und fügte schnell hinzu: „Ohne Hyperschlafkammer.“

Larry nahm die Zahlen, analysierte sie und betrachtete sie von allen Seiten. Wie konnte er die KI überzeugen? Gar nicht. Die Maschine war daran gewöhnt sich mit der Realität zu befassen. Larry hingegen lebte von den Träumen anderer Menschen. „Dann steck mich wieder in eine Kammer ein und schick mich mit der Rohrpost dorthin“, murmelte er leise. Er starrte in die ausdruckslose Kamera über sich. Das war keine intellektuelle Runde, es war ein Leichenschmaus. Die KI war nicht hier, um Larry Hoffnung zu machen, sondern sie erwartete eine Sache von ihm. Diskutieren brachte ihm nichts ein.

„Adrian, Sie benehmen sich nicht konform. Ich brauche Ihre Hilfe.“

„Du kannst mich mal!“ Sein Wutausbruch war nicht gespielt. Das Verlangte war zu absurd, die Anforderungen zu hoch. Sicher, mit einer Woche Vorbereitung konnte er jeden beliebigen Typen an einer Witwen-und-Waisen-Veranstaltung für einige Stunden korrekt darstellen. Er hatte es schon mal getan, allerdings war er damals ein reicher Ölmagnat aus Texas gewesen um eine Milliardärin um den Finger zu wickeln. Aber richtig als Astronaut aktiv sein? Wie lange dauerte eine Ausbildung? Was mussten Astronauten können?

„Musst du nicht tun, was ich dir sage?“ schnappte er über.

„Muss ich das, Passagier A324, ID-Code vierzehndreizehn? Nur der Befehlshabende…“

„Wecke jemand anderen auf!“ begann er von Neuem und diesmal bettelte er: „Hör zu, sei eine liebe gute KI und verschaff mir ein RF mit einer Hyperschlafkammer. Programmiere sie und schicke sie mit mir los. Mehr will ich gar nicht. Und dann wecke zwei oder drei Leute auf, die sich liebend gerne für die anderen umbringen lassen.“

„Das geht nicht.“

„Ich weiß, laut Paragraph…“

„Der Sauerstoffanteil.“

Wie bitte...?“

„Sauerstoff. Das Konzept der Versorgung unterliegt gewissen Parametern. Es kann niemand mehr aufgeweckt werden.“

Larry sackte in sich zusammen. Er blickte auf eine verspiegelte Fläche und sah einen grauen, kleinen Mann mit tiefen Augen, dem Tod geweiht. „Oh.“

„Ich brauche ihre Hilfe, Adrian Purvis.“

Larry erkannte die Hoffnung. Mit ihr hatte er seinen Lebensunterhalt verdient. Man wusste, dass der Mann mit den drei Karten gewinnen würde, man wusste, dass Leute in Not kein Auto oder Grundstück im Bruchteil seines Wertes verkauften, man wusste, dass man im Leben meistens nur eine Ahnung von Glück und Reichtum erhaschen konnte und man wusste, dass bei Millionen von Lottospielern nicht derjenige sein konnte, der bei einem Spiel auf Anhieb den Hauptgewinn zog. Das war unmöglich.

Und doch… vielleicht irrte man sich. Dieses eine Mal. Vielleicht passierte es doch.

Und dies war das größte Geschenk: die Hoffnung. Sie bewirkte, dass man blieb und Larry zuhörte, wie er vom baldigen Reichtum schwärmte und ihm etwas überschrieb. Man wurde reicher durch Hoffnung…und eine Enttäuschung.

Larry hatte stets auf dieses Konzept gebaut. Jetzt war er selbst dran.

„Gut. Ebene drei, sagst du?“

Im Inneren des Schiffes war es dunkel und still wie in einem Grab. Dieser Teil des Schiffes war nicht dazu gedacht, dass Passagiere durch die Flure auf der Suche nach Zerstreuung waren, also verzichteten die Erbauer auf teures, helles Design. Larry wischte probeweise mit dem Finger über eine Kante. „Putzt hier niemand?“

Die KI würdigte dieser Frage keine Antwort. Auf der anderen Seite des Ganges leuchtete eine Lampe über einen Spint auf. „Tragen Sie den Anzug.“

„Was ist das?“ Larry tat, wie ihm geheißen und hob einen grauen Overall von einer Stange.

„Ein gasdichter Schutzanzug mit Helmmikrofon.“

„Warum?“

Die KI betrachtete die Frage von allen Seiten, als wäre sie ein jahrhundertealtes Rätsel. Nach einer Weile antwortete sie gemäß Protokoll: „Ab einer Höhe von 12.000 Meter reicht die Atmung von reinem Sauerstoff nicht mehr aus, um den für die Sauerstoffsättigung des Blutes benötigten Sauerstoff-Partialdruck zu erreichen. Sie brauchen den Anzug, in deren Inneren ein Überdruck herrscht. Dieser Überdruck ermöglicht es dem Träger, Sauerstoff in ausreichender Menge zu atmen. Dieser Anzug ist Standard, Purvis.“

Schweigend zog er den schweren Anzug an. In der letzten Bemerkung der KI schwank eine Art Verdacht mit, die Larry aufhorchen ließ. Er musste sich zusammenreißen, um keinen Verdacht zu erwecken. War es möglich, dass die KI ihm schaden konnte, sobald sie erfuhr, dass Larry nicht Purvis war? Was geschah mit blinden Passagieren hier?

„Die Anzugsdioden übertragen Lebensfunktion. Ich registriere beunruhigende Werte.“

„Tatsächlich?“

„Ja. Ich erkenne das Problem, Passagier A324, ID-Code vierzehndreizehn“, verkündete die KI.

Larry hielt kurz den Atem an. Sie sind nicht Adrian Purvis. Sie sind kein Astronaut.

„Der Hyperschlaf kann in 21,5% aller Fälle zu einer kurzzeitigen Desorientierung führen. Es wäre ratsam, Ihnen eine Woche Erholungspause zu verordnen.“ Die KI schien enttäuscht. „Unter diesen Umständen wäre es fahrlässig, Sie um Ihre Mitarbeit zu bitten.“

Larry hätte am liebsten breit gegrinst. Gott sei Dank war es vorbei.

„Ich kann Sie nicht zwingen. Leider fehlt uns die Zeit. Fahren wir also fort…“

Larry stöhnte leise auf.

„Ich bräuchte aber eine helfende Hand, Simon. Du solltest mir dabei helfen.“ Er tippte an sein Ohr. „Einfach nur als Souffleuse.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Keine große Sache.“

„Verstanden. Setzen Sie die Helmkamera auf. Wir beginnen.“

Ein Schiff besteht nicht nur aus dem glänzenden, sauberen Bereich der Touristenklasse.

Larry wanderte durch die dunklen Eingeweide des Schiffes, wo es laut und weniger schön war: tiefe, dumpfe Schläge, hallendes Knirschen, das Zischen der Luft, die durch Ventilatoren und Lüftungsklappen geleitet wurde, das gelegentliche Knarren des gewaltigen Schiffskörpers. Hin und wieder glaubte er schwere, schleppende Schritte zu hören, bis er verstand, dass es das Echo seiner eigenen waren. Das Mutterschiff war so riesig, dass er eine halbe Stunde brauchte, um von der Krankenstation zu seinem Ziel zu gelangen. Larry hatte sich noch nie für Technik oder Ingenieurskunst interessiert – und heute würde er bestimmt nicht damit anfangen. Für ihn war das alles hier nur ein dunkler Gang mit ziemlich vielen Rohren.

Der Plan war einfach. Die KI hatte berechnet, dass das Schiff in dem jetzigen Zustand nicht weiterreisen konnte, also mussten die dringlichsten Probleme von Hand gelöst werden: um ein Notsignal zu senden, brauchte es zusätzlichen Strom. Um den Strom herzustellen, musste man die manuellen Komponenten von Hand in den KJS Generator einsetzen. Im Security Checkpoint würden die Wartungsroboter sich um die Schäden kümmern, zumindest notdürftig. Dazwischen galt es die Reparaturroboter im Spire anzuschalten, einen kleinen Spaziergang im Weltall zu absolvieren, etwas Müll aus den Schächten entsorgen, Türen aufschweißen und möglichst nicht draufgehen – wie Simon explizit darauf einging, bedurfte es einen wahren Experten, um diese Tortour gefahrlos zu überstehen. Einen wahren Astronauten.

So wie Adrian Purvis.

Larry Meldwin wurde schlecht bei diesen Aussichten. Er berührte einen Schalter. Ein Schutzschild schob sich zur Seite und legte drei darunter verborgene Knöpfe frei, die er in der richtigen Reihenfolge drückte. Ein Pfeifen ertönte, und die Türe schob sich zur Seite. An den Wänden hingen sechs Vakuumanzüge. Sie waren unförmig und schwerfällig, aber für diesen Ausflug absolut notwendig. Auf Ebene Drei war die Außenwand beschädigt worden, was bedeutete, es gab weder Sauerstoff noch Schwerkraft oder eine wohltemperierte Umgebung. Das All hatte nichts übrig für Kohlenstoffeinheiten. Larry setzte den Helm auf und wartete, bis der Innendruck hergestellt wurde.

„Und wegen des Signals sind wir uns sicher?“

„Alle Kanäle sind tot“, antwortete Simon sachlich. „Seit Eintritt des Ereignisses habe ich ein Standardprüfsignal gesendet und tue es immer noch, während wir reden. Ich empfange nicht einmal eine Trägerwelle im Hintergrund.“

„Tja, das ist eben Kacke.“ Vor ihm erstreckte sich ein langer Gang, in Dunkelheit gehüllt, und hinter einer massiven Tür würde sich Ebene Drei befinden. Wie ein Körper bei kaltem Wetter hatte die KI-Energie von seinen Extremitäten zurückgezogen, um etwas ganz Wichtiges tief im Innern zu schützen. Im schweren Anzug machte sich Larry schließlich auf dem Weg. Nach fünf Minuten begann er schon zu keuchen.

Probeweise rüttelte er an der Tür. Hinter dem Sichtfenster hatten sich Eiskristalle an dem Plexiglas gebildet und dahinter wartete luftleerer Raum auf ihn. Larry trat beiseite und zeigte auf die Tür. „Versperrt.“

„Das Sensormodul ist ausgefallen“, kommentierte die KI leise. „Verschaffen Sie sich Zugang.“

„Und wie, bitte schön?“

„Benutzen Sie den Schneidbrenner an Ihrem Gürtel.“

Larry blickte nach unten und erkannte eine Miniaturausgabe eines Schneidbrenners. Probeweise nahm er sie mit seinen klobigen Händen in die Hand und drückte den Auslöser, als er damit auf das Schloss zielte. Eine bläuliche Flamme schoss hervor. Er machte kurzen Prozess.

Zischend entwich die Restluft um ihn herum und zog ihn auf das Loch zu, während der Innendruck des Ganges sich nach draußen verabschiedete. Der Sog ließ ihn stürzen, war aber zum Glück schnell vorbei. Taumelnd und stolpernd trat er ins Dunkle vor.

Ebene Drei war das Hauptlager im unteren Rumpf des Schiffes und einzig und allein für den Tech Workshop bestimmt. Es gab keine Innenbeleuchtung, kein Lebenszeichen, sondern nur einige wenige Wrackteile, die in der Schwerelosigkeit vor sich hin taumelten. Larry fühlte die Kälte in den Anzug greifend und der Temperaturregler hatte alle Hände voll zu tun, um den menschlichen Wirt nicht gefrieren zu lassen. Da der Raumanzug einige Nummern zu groß für ihn war, spürte er in seinem Nacken die Heizstellen, wie sie fast seine Nackenhaare versengten, während seine Beine merklich kühler wurden. Er wich vor dem dunklen Fußboden zurück. Weit in der Ferne sah er einige Lichter und hielt automatisch darauf zu – keuchend, schwitzend und frierend zugleich.

Das Loch im Schiffsrumpf war nicht groß, aber es zeigte die ungastliche Welt rund um das Schiff: das kalte Vakuum einer schwerelosen Welt, die kein Leben duldete. Schwärze. Wenige Sterne. Sonst nichts. Die Unendlichkeit.

Hier waren Sonnen nichts weiter als Sandkörner und ein weißer Zwerg nicht mal eine Beachtung wert. Selbst ein riesiges Schiff war fast zu winzig, um in der riesigen Leere existieren zu können. Es schwebte durch die Leere wie ein freies Elektron, das aus seiner atomaren Laufbahn ausgebrochen war. Und ein einzelner Mensch wie Larry Meldwin starrte wie gebahnt aus diesem Elektron…

Wenn er zu lange darüber nachdachte, hatte er Angst zu explodieren – Zelle für Zelle, Molekül für Molekül auseinandergerissen und im Kosmos, aus dem er einst gekommen war, verteilt zu werden.

Larry schluckte trocken und wandte sich schließlich ab. Diesmal würde es keine Diskussionen geben, kein höfliches Geben und Nehmen. Er würde hier sterben, wenn er nicht richtig arbeitete, darüber war er sich im Klaren.

Keuchend wandte er sich der anderen Dunkelheit im Schiffsinneren zu. Wenn er sich jedoch anstrengte, hatte er vielleicht eine Chance, konnte es schaffen, trotz allem, was so schrecklich danebengegangen war. Er konnte sich zurück auf die Erde schleichen, sich von unangenehmen Fragen entfernen und auf Umwegen nach Eden-6 gelangen. Wenn man ihn ließ…

„Jason“, keuchte er leise, „wenn ich dich nochmal treffen sollte, dann verpass ich dir einen Arschtritt, den du nie vergessen wirst!“ Wahrscheinlich saß der kleine Krämer gerade in seiner Bude und trank gemütlich einen Kaffee. Möge sich der Fettwanst an jedem einzelnen Schluck verschlucken!

„Um die Stromversorgung herzustellen“, begann Simon wie aus weiter Ferne zu Reden an, „müssen Sie die erforderlichen Komponente einsetzen. Die befinden sich im Büro des Sicherheitschefs.“

Dunkelheit um ihn herum. Nur die wenigen Sterne, die wie Nadelstiche im Mantel der Nacht leuchteten.

„Kumpel, ich sehe nichts“, maulte Larry.

„Gehen Sie weiter. Zehn Meter entfernt, weiter nach rechts…“

Die Tür war nicht zu übersehen. Um ihn herum bewegten sich Schrotteile wie in einem unsichtbaren Tanz um sich selbst, losgelöst von der Schwerkraft. Seine Finger griffen nach dem Türriegel und erstarrten, ohne das Metall zu berühren. Was würde er dort vorfinden?

Schließlich drehte sich der Riegel ohne Probleme. Fast gelähmt vor Angst stolperte er vorwärts.

Das Büro war nicht mal zwanzig Quadratmeter groß. Mehrere Schränke mit Schlössern versehen, dazu ein Schreibtisch mit Computer und einer Hyperschlafkammer.

„Ich schalte Ihre Helmleuchte an“, kommentierte Simon leise. „Sie brauchen Licht…“

„Hättest du das nicht eher machen können?“ zischte Larry ungehalten.

„Der Knopf befindet sich an Ihrer Armbedienung rechts.“, verteidigte sich die KI sachlich. „Das sollten Sie eigentlich wissen als…“

„…als Astronaut, schon klar“, ätzte Larry und ballte zornig die Fäuste, während sich mit einem leisen Geräusch die leistungsstarken Lampen im Helm anstrengten, das Dunkel um ihn zu vertreiben. „Weißt du, es ginge merklich schneller…Aaargh!“

Gelähmt vor Schreck stolperte er rückwärts, als das Licht die Hyperschlafkammer erreichte. Das Glas war zersplittert und in einem tödlichen Krampf für die Ewigkeit eingefroren, starrten ihn die kalte Augen eines Menschen an. Die Sehnen am Hals waren angespannt, um den Mund hatten sich Blutkristalle gebildet und die Finger griffen wie unheilvolle Klauen ins Nichts. Der Sicherheitschef hatte keine Chance gehabt.

Larry war zutiefst schockiert und starrte auf die erste Leiche seines Lebens. „Oh, Mann. Er ist tot, Simon!“

„Wir sollten uns beeilen“, bemerkte die KI ungeduldig. „Der Sauerstoff reicht für zehn Minuten aus, Adrian Purvis.“

„Halt die Klappe.“ Es war nicht Furcht, die in Larrys Stimme mitklang… um ihn herum gab es nichts zu fürchten … aber doch so etwas wie Besorgnis. „Da…da liegt ein Toter!“

„Ein toter Mensch“, verbesserte die KI und mit fast kindlicher Neugier fragte sie: „Wie lautet die ID?“

„Scheiße.“

„Warum fluchen Sie ständig“, fragte die KI. „Haben Sie Schmerzen oder leiden Sie große Not? Sollen wir abbrechen?“

„Wenn du wüsstest, Kumpel“, zischte er leise und beugte sich vor. „Ich lese seine ID auf seinem Arbeitsanzug. Boss, F. Zweiundzwanzigeins.“

„Der zuständige Sicherheitschef Franklin Boss“, meinte die KI seelenruhig. „Er wäre meine erste Wahl gewesen. Seine Kammer ist beschädigt, nehme ich an? Bitte bestätigen Sie.“

„Bestätige zurück“, ächzte Larry und schaute sich langsam im Büro um. „Sollen wir ihn hier liegen lassen? Soll ich etwas mit der Leiche machen?“

„Bitte?“

„Er ist tot, gottverdammt! Zeig mal etwas Anteilnahme“, herrschte Larry die KI an. Die Situation machte ihn fertig. Der Tod hatte den armen Mann im Schlaf ereilt. Egal, wie gesund er sich vorher vielleicht verhalten hatte – gegen einen plötzlichen Druckabfall hatte er nichts ausrichten können.

Die KI erkannte, dass sie es vorzog, wenn sein einzig aktiver Gast still war. „Purvis, dieser Mensch ist tot. Ich kann weder sehen noch erkennen, wo Sie sind. Die Kameras sind in diesem Teil des Schiffs ausgefallen. Ich schlussfolgere, dass dieser Mann Opfer eines bedauerlichen Unfalls geworden ist. Konzentrieren Sie sich.“

Larry seufzte ergeben. Es ließ sich nicht ändern. „Gut, wo sind jetzt die Komponenten?“

Er musste nicht lange suchen. Hinter einem stabil wirkenden Schrank warteten die Komponente – laut Aufdruck des Schrankes, das mit einem Sicherheitsschloss versehen war. Und mit einem Passwort entriegelt werden konnte.

„Gut, wir brauchen also ein Passwort. Simon, wie lautet das Passwort?“ Larry verschränkte die Arme, und es gelang ihm, einen Mann darzustellen, der es überhaupt nicht eilig hatte. „Nenne das Passwort!“

„Syntax Error. Daten nicht vorhanden.“

Bitte?“

„Keinerlei Aufzeichnungen.“

„Das ist ja ganz prima.“ Missmutig warf Larry die Arme in die Höhe – eine sinnlose Geste, die seine Hilflosigkeit zum Ausdruck brachte. „Und was soll ich jetzt tun? Ihn danach fragen fällt wohl weg.“

Die KI hätte wohl die Brauen gerunzelt, wenn sie welche gehabt hätte. „Natürlich nicht. Er ist tot, sagten Sie.“

„Ich weiß, dass er tot ist. Ich bin in einem Raum mit einer gefrorenen Leiche.“

„Ich weiß, dass Sie dort sind“, meinte die KI sachlich. „Schauen Sie nach Aufzeichnungen.“

Missmutig schaute sich Larry das Bedienfeld genau an. Angetrieben von einer externen Batterie war das Schloss autark und daher nicht vom Stromausfall betroffen – was ein Glück war. Larry brauchte keinen Schweißerschein, um festzustellen, dass er das Problem niemals mit seinem kleinen Schweißgerät lösen konnte. Seine Hände wischten die Eiskristalle vom Display.

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