Silvia - Folge 1

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Silvia - Folge 1
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SILVIA

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Jürgen Bruno Greulich

Artcover: Giada Armani

Copyright: BERLINABLE UG

Berlinable lädt dich ein, alle deine Ängste hinter dir zu lassen und in eine Welt einzutauchen, in der Sex der Schlüssel zur Selbstbestimmung ist.

Unsere Mission: Die Welt verändern - Seele für Seele.

Akzeptieren Menschen ihre eigene Sexualität, formen sie eine tolerantere Gesellschaft.

Worte der Inspiration, des Mutes, der Veränderung.

Öffne deinen Geist und befreie deine tiefsten Begierden.

Alle Rechte vorbehalten. Es ist nicht erlaubt, die Inhalte dieses eBooks ohne die ausdrückliche Genehmigung durch den Verlag zu kopieren, weiter zu verbreiten öffentlich vorzutragen oder anderweitig zu publizieren. Änderungen, Satzfehler und Rechtschreibfehler vorbehalten. Die Handlung und die handelnden Personen dieses Buchs sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Eheleben

Wie so oft kam Wolfgang später als erwartet nach Hause. Es war schon nach neunzehn Uhr, zwei Stunden nach seinem Feierab end, und schon längst war das warm gestellte Essen halb verwelkt. Natürlich durfte sie ihm nicht gram sein, wusste sie doch sehr gut, dass für einen Manager der höheren Führungsebene eines Chemiekonzerns betriebliche Belange schwerer wogen als private Interessen. Sein fürstliches Gehalt musste hart erarbeitet werden, so lautete seine Erwiderung auf ihre Klagen, die sie sich inzwischen abgewöhnt hatte. Trotzdem könnte er jetzt allmählich kommen.

Den Nachmittag hatte sie lesend im Schaukelstuhl verbracht und es dabei wohlig gespürt, das leise Kribbeln, das sich manchmal während des Tages regte, wenn sie mit der Zeit nicht viel anzufangen wusste und ihre Fantasie anregende Bilder malte. Sie liebte diese Stunden alleine, noch schöner aber wäre es, wenn die Träume Wirklichkeit würden. Sie hatte sich für Wolfgang reizvoll zurechtgemacht, trug unter dem seidig schwarzen Morgenmantel nur einen winzigen String, einen spitzenbesetzten BH und ein durchsichtiges Hemdchen mit verspielten Rüschen, alles in kobaltblau, dazu hauchzarte schwarze Strümpfe. Dieser Anblick, so hoffte sie, würde ihn aus der sexuellen Lethargie reißen, die sich seit Wochen (oder waren es gar schon Monate?) in ihre Ehe eingeschlichen hatte.

Seit drei Jahren waren sie erst verheiratet und schon schwand der Kitzel wie Wärme aus schlecht isoliertem Mauerwerk, sie hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen könnte. Vielleicht hätte sie doch nicht so früh heiraten sollen und dann auch noch einen Mann, der fast fünfzehn Jahre älter war, in diesem Jahr noch wurde er vierzig. Doch gab es keinen Grund zur Klage. Im Frühjahr war sie mit ihrem Kunststudium fertig geworden, Kontakte waren geknüpft, die Bewerbungsunterlagen soweit gerichtet, im Herbst konnte sie damit anfangen, nach einer Anstellung zu suchen.

Der Schlüssel wurde draußen im Schloss gedreht und die Haustür geöffnet. Wolfgang! Sie trat in die Diele und begrüßte ihn mit einem verheißungsvollen Lächeln.

Abgespannt ruhte sein Blick auf ihr, müde klangen seine Worte. „Hallo, mein Schatz. Hast du schon gewartet?“ In seinem dunklen Anzug, dem weißen Hemd und der modischen Krawatte sah er so seriös und erfolgreich aus, wie er es tatsächlich auch war. Braun getönt war sein glattes, doch markantes Gesicht mit der hervorstechenden Nase, voll und kräftig war das braune Haar, energisch blickten die grünlich braunen Augen, die aber auch liebevoll schauen konnten. Wenngleich nicht jetzt, da sie eher kritisch guckten. „Ist das Essen fertig?“

„Ja, es ist fertig.“ Sie streifte den Bademantel ab. „Und der Nachtisch ist bereit.“ Sie fühlte sich komisch unter seinem verwunderten Blick, ein bisschen schäbig, hatte ihn noch nie so unmissverständlich zu verführen versucht oder sich ihm an den Hals zu werfen, wie man es auch hätte nennen können. Hatte sie das nötig? Anscheinend ja, sonst hätte sie es nicht getan.

Irritiert hauchte er ihr ein Küsschen auf die Stirn. „Du siehst ja richtig appetitlich aus. – Was gibt es denn?“

„Was immer du dir wünschst.“

„Zu essen?“

„Nein, zu essen gibt es Rinderfilet mit Salzkartoffeln und Blumenkohl.“

„Na ja, auch nicht schlecht.“ Er ging mit ihr ins Esszimmer, das Teil des riesigen Wohnzimmers war, durch ein frei stehendes Bücherregal und eine niedrige hölzerne Balustrade davon getrennt. Müde ließ er sich am gedeckten Tisch nieder und sie servierte das Mahl, ohne sich etwas überzuziehen, wovon es aber auch nicht besser wurde. Wenig begeister stocherte Wolfgang in seinem Teller herum. „Das Fleisch ist zu weich. Und der Blumenkohl verkocht.“

„Ich weiß, Liebling. Das liegt daran, dass du so spät nach Hause gekommen bist.“

„Entschuldige, aber es gab in der Firma ein kleines Problem.“

„Was war denn los?“

„Ach, ein Störfall in der Produktion.“

„Sind wieder Schadstoffe ausgetreten?“

„Unwesentlich. Aber du weißt ja, wie viel Ärger das gleich gibt. Die Medienheinis stürzen auf so etwas wie die Geier. – Hast du es in den Nachrichten nicht gesehen?“

„Nein, ich habe ein Buch gelesen.“

„Ach so.“ Welcher Art ihre Lektüre war, interessierte ihn nicht, ebenso wenig erkundigte er sich danach, wie es ihr sonst ergangen war während des Tages. Aber natürlich spielten ihre kleinen Gefühle und Gedanken keine Rolle angesichts der großen Probleme, die ihn Tag für Tag beschäftigten. Es war draußen dunkel geworden, die Frühsommersonne schon längst versunken, romantisch flackerten rote Kerzen im silbernen Kandelaber, die Rollläden waren herabgelassen. Das Glas Burgunder, das Silvia ihm einschenken wollte, lehnte Wolfgang dankend ab. „Ich habe noch einiges zu arbeiten.“

„Ach, Liebling, kannst du dir nicht hin und wieder ein bisschen Zeit für mich nehmen?“ Verheißungsvoll legte sie ihre Hand auf die seine.

„Später.“ Sanft schob er ihre Hand von sich weg und nahm einen Bissen.

„Später bist du müde und schläfst ein.“

„Du kommst schon nicht zu kurz.“ Sinnierend schaute er sie an, schien sie zum ersten Mal an diesem Abend wahrzunehmen, ihre Rundungen unter den Dessous, ihr ebenmäßiges Gesicht, umrahmt von schulterlangem, lockig braunem Haar. „Du kannst mir ja schnell einen blasen.“

„Ich kann was?“

„Mir einen blasen! Du weißt doch, was das ist?“

Ja, sie wusste es. Und sie wusste auch, dass er diesen Ausdruck noch nie gebraucht hatte, jedenfalls nicht ihr gegenüber, und sie wusste weiterhin, dass noch kein Mann so herablassend zu ihr gesprochen hatte. „Du bist unverschämt!“

„Wieso? Erst läufst du mir wie ein rolliges Kätzchen hinterher, und dann, wenn du dürftest, bist du beleidigt. Wer soll das verstehen?“

„Du verstehst nicht, dass ich etwas anderes von dir will?“

„Ach ja, du willst Zärtlichkeit.“ Er sprach das Wort wie einen Spottnamen aus. „Du bist hoffnungslos romantisch. Aber ehrlich gesagt reizt mich dein Blümchensex nicht. – Schon dein Versuch, mich anzumachen! Warum ziehst du dir nicht etwas wirklich Reizvolles an, zum Beispiel Strapse?“

„Ich wollte dir eine Freude bereiten, einen schönen Abend mit dir verbringen, und du … du willst eine Hure aus mir machen.“ Silvia war den Tränen nahe. Noch nie war Wolfgang so gemein zu ihr gewesen, was war nur in ihn gefahren?

„Aus dir eine Hure zu machen, wäre ein hartes Stück Arbeit.“ Er legte Messer und Gabel auf den halb geleerten Teller, tupfte den Mund mit der bordeauxroten Serviette ab, erhob sich achselzuckend und ging in sein Arbeitszimmer, ohne sie noch einmal anzublicken.

Sie verbrachte den Abend alleine vor dem Fernseher, in einen baumwollenen Pyjama gehüllt, trank roten Wein und nahm kaum zur Kenntnis, was da über den Bildschirm flimmerte. Welch ein Fehlschlag, welch eine Blamage, welch eine Demütigung. Wie um alles in der Welt kam sie nur dazu, sich Wolfgang auf so entwürdigende Art anzubiedern? Aber woher hätte sie auch wissen sollen, dass er sie so rücksichtslos niedermachte? Ihm schnell einen blasen. Wie kam er nur zu einem solchen Jargon, der doch gar nicht seiner Art entsprach, ob er mit Prostituierten verkehrte? Konnte sie ihm etwa das Begehrte nicht geben, seinen Wünschen nicht gerecht werden? Dabei küsste sie doch gerne seinen Penis, allerdings nicht schnell mal nebenbei und nicht so, als werde einem rolligen Kätzchen ein Leckerli gegönnt, es war Vorspiel, diente der Einstimmung, war kein Selbstzweck und geschah nicht auf Befehl. „Blümchensex“ nannte er so etwas also! Musste er sich das, was ihm gefiel, woanders holen? Ach, sollte er doch! Mit Huren konnte sie natürlich nicht konkurrieren, wie käme sie dazu. Aber so etwas wie heute würde ihr nicht noch einmal passieren, nie wieder sollte er sie so schmählich behandeln können!

Als er spät in der Nacht ins Schlafzimmer kam, lag sie schon im Bett und tat so, als würde sie schlafen. Er rührte sie nicht an, kehrte ihr den Rücken zu, es war, als läge ein Fremder neben ihr, obgleich ein Fremder sie vermutlich begehrt hätte, nein, nur ein Ehemann konnte so schwer wie ein Stein ins Bett sacken. Fast wünschte sich Silvia, dass der Mann neben ihr ein Unbekannter sei, dann könnte sie seine Hände und seine Lippen fühlen, müsste nicht einsam und verstoßen unter der Decke liegen …

Am folgenden Abend empfing sie ihren Gatten bekleidet mit einer Jeans und einem weiten, unförmigen Pullover. Auf dem Herd köchelten Ravioli aus der Dose, ein Gericht, das auch nach längerer Garzeit und zweimaligem Aufwärmen ebenso wenig schmackhaft war wie zuvor. Zu ihrer Überraschung erschien Wolfgang pünktlich und zu ihrer noch größeren Verwunderung schleppte er einen riesigen Strauß roter Rosen herein, dazu blühte in seiner Miene das lange vermisste einnehmende Lächeln. „Silvia, Liebstes, es tut mir leid, wenn ich ein bisschen grob war gestern Abend.“

 

„Ja, du warst grob.“ Erfreut nahm sie die Blumen entgegen.

„Ich bin untröstlich. Ich hätte mich nicht so ungalant ausdrücken dürfen.“

„Das Problem war weniger die Wahl der Worte als das, was du mit ihnen sagen wolltest.“

„Nun ja. Genau darüber, was ich sagen wollte, sollten wir vielleicht mal reden.“

Misstrauisch schaute sie ihn an. „Was meinst du damit?“

„Gleich. Die Rosen brauchen Wasser und ich habe einen Bärenhunger.“

Silvia setzte sie in die Bodenvase beim Klavier und servierte ihrem Gatten das kärgliche Mahl. Er verlor kein Wort der Kritik, löffelte es schweigend hinunter und beschaute Silvia mit liebevollem Blick. „Na, wie war dein Tag?“

„Wie immer. Es gab nichts Besonderes.“

„Ja, ja, dein Leben ist doch recht eintönig, nicht wahr? Ein bisschen Abwechslung wäre vermutlich ganz gut.“

Irgendetwas war hier faul, das wusste Silvia genau. „Ich finde nicht, dass mein Leben eintönig ist. Und im Herbst suche ich mir sowieso einen Job. Bis dahin weiß ich die freie Zeit durchaus zu genießen.“

Ein Hauch von Missmut erschien in seiner Miene. Sie wusste genau, dass ihm ihre Pläne der Arbeitssuche nicht geheuer waren und er sie lieber als Heimchen am Herd gehabt hätte. Doch verzichtete er heute auf eine solche Diskussion und versuchte sich lieber zuvorkommend zu geben. „Bis zum Herbst ist es noch lange hin, Liebes. Hättest du nicht Lust, vorher noch Urlaub zu machen? Ich wüsste da eine geeignete Adresse.“

„Was für eine Adresse?“

Er legte die Gabel zur Seite, erhob sich und stellte sich hinter sie, legte seine Hände auf ihre Achseln, streichelte zärtlich ihren Hals. „Weißt du, es gibt da Wünsche in mir, Vorstellungen, Träume, die sehr aufregend sind. – Du hättest doch auch gerne, dass unser Leben noch viel reicher wird als bisher, dass wir zusammen glücklich sind, nicht wahr?“

„Natürlich. Nur fürchte ich, dass es im Augenblick nicht um mich geht, sondern um dich.“

„Es geht auch um dich, glaube mir.“

Sie genoss sein zärtliches Streicheln, spürte seine Hand zu ihrem Busen gleiten, schloss wohlig gurrend halb die Augen. „Was für ein Urlaub soll das sein?“

„Es gibt ein Haus, ein sehr edles, ein Schloss, um genau zu sein. Dort könntest du einige Wochen verbringen.“

„Und was sollte ich dort tun, in diesem Schloss?“

„Lernen.“

„Was denn lernen?“

Kräftig fasste seine Hand zu, entlockte ihr ein leises Seufzen. Sanft klang seine Stimme: „Wünsche erfüllen.“

„Ich soll lernen, Wünsche zu erfüllen? Wessen Wünsche?“

„Meine.“

„Was? Ich verstehe nicht, was du meinst.“

„Na ja, es gibt dort in diesem Haus irgendwelche Regeln, die es zu beachten gilt, und es befinden sich immer einige Mädchen dort, das heißt, Frauen natürlich, die einige Zeit bleiben, um eben zu lernen unter Leitung der Her…, der Madame von Sinnenhof.“

So angenehm Wolfgangs Hand auch war, so konnte sie doch das blinkende Warnlämpchen in Silvias Kopf nicht ausknipsen. „Unter wessen Leitung?“

„Die Madame von Sinnenhof, die Besitzerin des Schlosses.“

„Wolltest du sie nicht Herrin nennen?“

Wolfgang schwieg.

Mädchen und Herrin. Wie seltsam das klang, wie einer längst vergangenen Zeit entstammend oder einer bizarren, verborgenen, dunklen derzeitigen Welt, von der Silvia kaum etwas wusste. Doch gab es dieses Buch, die „Geschichte der O“, die sie neulich von einer Freundin erhalten hatte, von Claudia, mit der wortkargen Empfehlung, es doch mal zu lesen. Was Wolfgang da erzählte, erinnerte ein bisschen daran. „Kann man diese Mädchen dort vielleicht auch Sklavinnen nennen?“

Wolfgang beugte sich zu ihr herab und knabberte zärtlich an ihrem Ohr, tiefer glitt die Hand bis hin zu ihrem Bauch. „Weißt du, es ist nur ein Spiel. Sieh mal: Du könntest eine reizvolle Zeit verbringen, würdest eine außergewöhnlich interessante Frau werden und wir beide wären nach deiner Rückkehr ein ausgesprochen glückliches Paar.“

„Bis an unser Lebensende. – Wie kommst du nur auf eine solche Idee? Und wie kommst du zu einer solchen Adresse?“

„Wie ich zu dieser Adresse komme?“ Ein Lächeln erschien in seiner Miene, als hätte sie ihm einen unüberbietbaren Trumpf in die Hand gespielt: „Sie stammt vom Herrn Wohlgemach. Seine Frau befindet sich seit zwei Wochen dort.“

„Claudia? Ach komm, die ist doch in Urlaub gefahren.“

„Natürlich. Und rate mal, wohin!“

„Das muss ich nicht raten. Ich weiß es doch: Sie ist in der Mongolei.“

„Und das glaubst du?“

Hm. Eigentlich nicht. Mongolei und Claudia passten nicht wirklich zusammen. – Aber klang es plausibler, dass sie sich in einem Schloss befand, in dem sie unter Leitung einer sogenannten Herrin zur Sklavin erzogen wurde? Nein, das war unmöglich. So etwas gab es doch nicht. – Aber das seltsame Buch, das Claudia ihr gegeben hatte, sprach das nicht ein bisschen dafür, dass es doch so sein könnte? Nein, das war Fantasie, keine Wirklichkeit. Eine solche Wirklichkeit gab es nicht. Ratlos zuckte sie mit den Achseln.

Wolfgang lächelte wissend. „Sie ist im Schloss. Du wirst ihr dort begegnen.“

„Nein, ich werde ihr dort nicht begegnen! Denn sie ist nicht dort, und wenn sie es doch wäre … mich bringt niemand dorthin. Aber vermutlich gibt es dieses Schloss nicht einmal. Man hat dir einen Bären aufgebunden.“

Wolfgang richtete sich auf, die Hand ließ von ihr ab. Vorbei war es mit der Zärtlichkeit. „Es gibt das Schloss und Claudia befindet sich dort, ob du das glauben willst oder nicht. – Weißt du, Silvia, es gibt genügend Frauen, mit denen ich meine Wünsche ausleben kann. Aber am liebsten würde ich trotzdem mit dir zusammen sein.“

„Ist das als Drohung zu verstehen?“

„Aber nein, Liebste. Nur als kleiner Hinweis …“

„Um Himmels willen, was ist nur mit dir los?“

„Ich versuche unserer Ehe ein paar neue Impulse zu geben, mehr nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass du so störrisch bist.“ Er ging in sein Arbeitszimmer und schloss sanft die Tür hinter sich.

Auch in dieser Nacht läuteten nicht die Glocken der Liebe, woran auch nichts änderte, dass Wolfgang sich nur für kurze Zeit an den Computer setzte und den Rest des Abends mit ihr auf dem blauen Ledersofa verbrachte, whiskeytrinkend, aber in Maßen, wie es sich gehörte für einen Mann in seiner Position. Wieder trug sie beim Zubettgehen einen dicken Pyjama und wieder schliefen sie Rücken an Rücken. Als sein Fuß aber nach Nähe suchend ihre Wade berührte, zog sie das Bein nicht weg. Gar so schrecklich war Wolfgang nun doch nicht, kein Ungeheuer, das es zu meiden galt, nur ein typischer Mann eben. Ob seine Drohung, sich mit anderen Frauen einzulassen, ernst gemeint war? Für ausgeschlossen hielt sie es nicht. Vielleicht sollte sie ihm doch ein bisschen entgegenkommen, soweit ihr möglich eben …

Überredungskünste

Als sie am Morgen erwachte, hatte Wolfgang das Haus bereits verlassen, der Frühaufsteher, der es sich nicht nehmen ließ, einer der Ersten in der Firma zu sein. Sie setzte einen Kaffee auf und ging mit der Tasse in der Hand ins Wohnzimmer zu ihrem antiken Sekretär. Sie saß gerne an ihm, schrieb ihre Briefe hier und ihr Tagebuch, genoss den Blick durch das große Fenster hinaus in ihren gepflegten, weitläufigen Garten. Ein Blatt Papier begrüßte sie, ein sorgfältig entworfener Computerausdruck mit fein geschwungener Schrift, darauf lag ein „Mon Chéri“. Verwundert las sie den Text:

Allerliebste Silvia, warum machst du es mir so schwer? Ist mein Wunsch so schrecklich? Warum können wir uns nicht an Dingen erfreuen, vor denen andere nicht zurückscheuen? (Ich denke an Herrn Wohlgemach und Claudia, wie du ja weißt.) Nichts Unmögliches verlange ich von dir, nur ein kleines kribbelndes Spiel, an dem du nicht weniger deine Freude finden wirst als ich. Das Leben hat so viel Reizvolles zu bieten, lass es uns auskosten, ehe es zu spät ist. Wenn du mich glücklich sehen willst, dann mache ein Kreuz an der vorgegebenen Stelle und schreibe deinen Namen darunter. Du wirst eine neue Welt entdecken und deine Zusage nicht bereuen. Dein dich liebender Wolfgang.

Darunter war ein Kreis gedruckt mit den groß geschriebenen Worten daneben: Ja, ich will! Und eine Linie von Punkten mit ihrem Namen darunter war der Platz für ihre Unterschrift. Sie las den Brief ein zweites Mal, schüttelte ungläubig den Kopf, zerriss ihn sorgfältig in viele kleine Schnipsel und warf ihn in den Papierkorb.

Am Abend, als Wolfgang nach Hause kam, schielte er verstohlen zum Sekretär hinüber, sah die Praline unberührt darauf liegen und den Brief verschwunden, sagte kein Wort dazu. Am folgenden Morgen lag ein neues Schreiben auf dem Sekretär, dieses Mal garniert mit einem goldenen Ring, den ein herzförmiger Rubin schmückte.

Liebste Silvia, ich überlege und überlege und weiß nicht, wie ich dich überzeugen kann. Fällt es dir so schwer, Ja zu sagen? Kannst du dich nicht einfach mal fallenlassen und die Dinge nehmen, wie sie kommen? Hast du denn kein Vertrauen zu mir? Glaubst du wirklich, ich würde etwas von dir verlangen, das deine Ehre verletzt? Traust du mir so etwas zu? Soll ich dich auf den Knien darum bitten, meinen Wunsch zu erfüllen? Wenn dem so ist, dann sage es mir. Ich würde es tun. In Liebe, Wolfgang.

Diese Zeilen las sie nicht ein zweites Mal, diese zerriss sie sogleich. Und mochte der Ring ihr auch ausnehmend gut gefallen, so rührte sie ihn doch nicht an. Sie war nicht käuflich und dachte nicht daran, sich weichkochen zu lassen!

Ein schwerer Seufzer entrang sich Wolfgangs Lippen beim abendlichen Blick auf den Sekretär und wieder lagen sie Rücken an Rücken im Bett. Der Brief, den sie am Morgen vorfand, entstammte nicht dem Computer, sondern war mit der Hand geschrieben:

Liebe Silvia, wie sehr würde ich mich freuen, wenn du mir vertrauen und Ja sagen würdest. Dein Wolfgang.

Diesen Brief zerriss sie nicht, war ja doch sinnlos. Wie es aussah, ließ er nicht locker, auch wenn ihm allmählich die Worte auszugehen schienen, ihrem armen Gatten. Und die einzige rote Rose, die in einer schlanken hohen Vase daneben stand, betrachtete sie mit einem fast wehmütigen Gefühl. Eigentlich war er rührend, ihr Wolfgang, fast wie ein Kind. Wie sehr er sich ihr „Ja“ doch wünschte, wie glücklich sie ihn offenbar machen würde … Aber sie selbst, würde sie damit auch glücklich werden? Das war nicht anzunehmen.

Ihr Blick fiel aufs Regal und dort auf Claudias Buch. Bis ungefähr zur Hälfte war Silvia gekommen. Diese O wurde gepeitscht, vergewaltigt, prostituiert, und je schrecklicher man sie behandelte, desto tiefer wurde ihre Liebe zu dem Mann, der sie all den Torturen aussetzte. – Silvia nahm es zur Hand, schlug es weiter hinten auf, wo sie noch nicht gelesen hatte, überflog einige Zeilen. Es war von einem jungen Mädchen die Rede, das die O bewunderte und wie sie sein wollte, das zuschaute, wie sich die O, an ein Holzgeländer gebunden, unter der Reitpeitsche wand und wie sie, auf den Knien liegend, das „mächtige aufgerichtete“ Glied ihres Herrn im Mund empfing.

Silvia klappte das Buch wieder zu. Unmöglich, das alles! Ihr Blick schweifte in den Garten, der trostlos unter dem grauen Himmel lag. Welch eine ungeheuerliche Vorstellung, irgendwo angebunden zu werden wie die O, hilflos der Peitsche dargeboten oder einen Penis in den Mund gesteckt zu bekommen, ob man das wollte oder nicht. Das ließ doch keine Frau mit sich machen! Es sei denn, sie fand ihren Reiz daran … Schon in Jugendzeiten hatte es in Silvia Unterwerfungsfantasien gegeben, stets gleich wieder verdrängt, da sie nicht passten zum Bild der emanzipierten Frau, die sie doch sein wollte. Nur reizvoll waren solche Vorstellungen halt doch …

Verstört stellte sie das Buch aufs Regal zurück und machte sich an die Hausarbeit, um auf andere Gedanken zu kommen. Dieses Bild der Fantasie begleitete sie durch den ganzen Tag, tauchte immer wieder vor ihrem Auge auf und mit ihm das warme Gefühl, das anscheinend mit dazugehörte.

Am Abend erwartete sie Wolfgang nicht im unförmigsten Pullover, sondern in einem, der ein bisschen knapper saß, und in einer engen Jeans. Er kam nur eine halbe Stunde zu spät und begrüßte sie mit einem flüchtigen Küsschen. Bevor er sich an den Tisch setzte, lugte er ins Wohnzimmer zum Sekretär und ein Fünkchen Hoffnung glomm in seinen Augen, da er seinen Brief dort liegen sah, zwar ohne Kreuzchen und Unterschrift, aber immerhin unversehrt. Doch sagte er nichts dazu. Dafür lobte er gebührend die gut gelungene Lasagne, bei deren Zubereitung sie sich viel Mühe gegeben hatte.

 

Nach dem Essen zog er sich nicht in sein Arbeitszimmer zurück wie sonst üblich, sondern lud sie zum roten Wein in ihr Lieblingsbistro ein, das sich in der größeren Stadt befand, zehn Kilometer von ihrer Kleinstadt entfernt. Das hatte er schon lange nicht mehr getan und natürlich war sie gerne damit einverstanden. Sie packte das Geschirr in die Spülmaschine, legte ein dezentes Make-up auf, verzichtete darauf, sich etwas Eleganteres anzuziehen, und sie fuhren los. Einer der kleinen runden Tische beim großen Fenster war noch frei, man konnte auf die Fußgängerzone schauen, auf die Schaufenster einer Kunstgalerie, einer exklusiven Boutique mit horrenden Preisen und einer Buchhandlung. Fröstelnd gingen die Passanten draußen vorbei, es war ein kühler Abend, nichts zu merken von lauer Frühsommerluft.

Silvia bestellte beim südländischen Kellner mit dem schwarzen, dichten, ölglänzenden Haar einen trockenen französischen Rotwein, Wolfgang nahm einen Riesling wie immer. Sie prosteten sich zu und er erzählte kleine Geschichten aus der Firma, berichtete von den Aktienkursen, die endlich mal wieder stiegen, und von einer Urlaubsreise, die sie unternehmen sollten, sobald er mal Zeit dafür fände. Sie plauderten so unbeschwert wie schon lange nicht mehr, oder er plauderte jedenfalls, während sie nur wenig sprach, da mit den Gedanken ganz woanders. Warum nur schnitt er nicht das Thema an, das ihm die letzten Tage so wichtig gewesen war?

Seine Hand legte sich auf die ihre und liebevoll lächelte er sie an. „Es ist gut, dass wir wieder mal zusammen ausgehen.“

„Ja, das ist es. – Aber sag mal, Wolfgang, gibt es dieses merkwürdige Schloss tatsächlich?“

„Natürlich gibt es das.“

„Wieso natürlich? Weshalb bist du dir so sicher? Hast du es gesehen?“

„Wie sollte ich? Aber der Herr Wohlgemach hat mich eingeweiht. Du kennst ihn und du weißt, dass man ihm hundertprozentig glauben kann.“

Ja, sie kannte ihn. Er war in der Tat ein höchst seriöser und sehr bodenständiger Mensch, alles andere als ein Aufschneider und auch kein Träumer, der die Fantasie mit der Wirklichkeit verwechselte. Sie hob das Glas und stieß mit Wolfgang an. „Claudia ist wirklich dort in diesem Schloss?“

„Ja. Du kannst es ruhig glauben.“

„Hm. Was geschieht in diesem Schloss mit den Frauen, die man dort Mädchen nennt?“

„Genaues weiß ich nicht. Darüber schweigt sich Wohlgemach aus. Ich glaube, er weiß es selbst nicht so ganz genau.“

„Er weiß es nicht?“

„Nicht im Detail. Aber jedenfalls geschieht ihnen nichts wirklich Schlimmes. Sie kommen alle wohlbehalten zurück.“

Klang das beruhigend, nichts wirklich Schlimmes? Was war wirklich schlimm und was nicht, wer setzte die Maßstäbe? Auch der Herr der O hätte behauptet, dass ihr nichts Schlimmes geschehe, und auch sie war wohlbehalten, jedenfalls dann, wenn man den Schmerz und die Demütigung ausklammerte, die sie jeden Tag erlebte. Doch litt sie nicht wirklich, diese O, wurde als zufrieden und ausgeglichen geschildert, glücklicher denn je zuvor. Silvias Blick schweifte hinüber zur Kunsthandlung, in deren Schaufenster ein großes Gemälde hing, eine etwas kitschige südliche Landschaft mit Lavendelfeldern und Olivenbäumen, im Hintergrund sanfte Hügel mit einer Burg aus hellem Stein, vielleicht ein Schloss.

„Wollen wir nach Hause fahren?“ Samten sprach Wolfgang die Worte aus, sein Blick war ein Versprechen.

Zu Hause angekommen, nahmen sie beide noch eine schnelle Dusche und Silvia ging zu Bett. Lange musste sie nicht auf Wolfgang warten. Wohlduftend kroch er unter die Decke und streifte ihr den Pyjama ab, den sie vorsichtshalber angezogen hatte, um nicht wieder in den Verdacht zu geraten, ihm hinterherzulaufen wie ein rolliges Kätzchen. Aber nein, heute gab es keine Missstimmung, heute gab es Harmonie, Zärtlichkeit, feurige Leidenschaft, heute war es so schön in Wolfgangs Armen wie schon lange nicht mehr. Selig erschöpft lagen sie danach eng aneinandergeschmiegt unter der Decke und er schlief nicht gleich ein, wie sonst üblich, sondern streichelte ihr Haar.

„Es war schön, Silvia.“

„Und ich dachte, dass dich Blümchensex nicht mehr reizt?“

„Ach Silvia, ich liebe dich, und das ist wichtiger als Sex.“ Ach, das waren ja ganz unbekannte Worte. Sollte Wolfgang etwa das Interesse an seinem Plan mit ihr verloren haben und würde sie das vielleicht sogar ein ganz klein bisschen enttäuschen? Der Schmelz eines besorgten Therapeuten lag plötzlich in seiner Stimme. „Doch ist es so, dass die Liebe leidet ohne Sex und dass es Vorstellungen gibt, die dem Sex und damit der Liebe neue Kraft geben können.“ Das war nun wieder der Wolfgang, den sie kannte, der von einem Ziel nicht so leicht abrückte und es notfalls auf verschiedenen Wegen zu erreichen versuchte.

Zärtlich glitten ihre Lippen über seinen Hals. „Ist dir dieses Schloss denn wirklich so wichtig?“

„Es wäre für uns beide gut. Fällt es dir denn wirklich so schwer, Ja zu sagen?“

„Ja!“

Wie elektrisiert wandte er ihr das Gesicht zu. „Was bedeutet dieses Ja? Bedeutet es, dass es dir so schwerfällt, oder bedeutet es Ja?“

„Beides.“

„Du bist einverstanden?“

„Ja. Ich bin einverstanden.“

„Abgemacht? Ohne Widerruf?“

„Abgemacht. Oder willst du einen Vertrag aufsetzen?“

„Keine Juristen. Dein Wort genügt.“ Er drückte sie glücklich an sich und seine Hand schob sich zwischen ihre Beine.

Ohne Widerruf! Silvia wurde bang zumute. War sie denn verrückt, sich auf so etwas einzulassen? Die Bedenken schwanden unter seiner zärtlichen Hand und seinen Lippen, die ihre erwartungsvoll festen Brüste liebkosten. Schon lange war es her, dass er sie ein zweites Mal genommen hatte, vielleicht war es ja wirklich gut, dem Sex und damit der Liebe neue Kraft zu geben durch etwas Außergewöhnliches, auch wenn sie davon so gut wie nichts wusste. Glücklich stöhnte sie auf, da er in sie kam und sie schmelzen ließ in wonnigen Gefühlen …

***

Kaum konnte sie Wolfgang entdecken, als er am Montagabend von der Arbeit kam, so groß war der Blumenstrauß vor seinem Gesicht. Es war ein Strauß fröhlich leuchtender Sommerblumen, von frischem Grün umkränzt und mit roten Rosen durchsetzt.

„Vielleicht müssen wir bald einige neue Vasen kaufen“, sagte sie erfreut.

Wolfgangs Lächeln reichte von einem Ohr bis zum andern. „Ja, aber wirklich bald. Viel Zeit ist nämlich nicht mehr dafür.“

„Was soll das bedeuten?“

„Ich habe angerufen. Am Sonntag ist es so weit.“

„Am Sonntag?“ Beklommen trug sie die Blumen in die Küche, von Wolfgang gefolgt. Dahin war die Hoffnung, erst am Sankt-Nimmerleinstag-Tag wieder an ihre Zusage erinnert zu werden. Es herrschte ein atemberaubendes Tempo. „Da kann ich ja bald mit Packen anfangen.“

„Du musst nicht packen.“

„Wieso nicht? Mein Aufenthalt dauert doch vermutlich länger als einen Tag, wie ich fürchte.“

„Allerdings.“

„Wie lange denn?“

Er hob den Blick unschuldig zur Decke. „Drei Monate.“

„Wie bitte?“

„Drei Monate sind schnell vorbei, du wirst sehen.“

„Drei Monate sind eine Ewigkeit. Du wirst verhungern und die ganze Zeit wie ein Heiliger leben müssen …“ Sie unterbrach sich, schaute in seine glitzernd braunen Augen. „Also gut, du wirst dir zu helfen wissen und nicht verhungern und vermutlich auch nicht wie ein Heiliger leben. – Drei Monate, hoffentlich werde ich dich danach noch erkennen.“

„Ich besuche dich hin und wieder.“

„Aber ich kann doch nicht einfach für drei Monate verschwinden! Wie soll ich meinen Eltern meinen Verbleib erklären und deinen Eltern, den Verwandten, meinen Freundinnen?“