Inselromane

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c) Wortspiele

Das ausgewählte Textkorpus enthält in der dänischen Fassung zwei Wortspiele (ØS III: 151–152 und 198), in der deutschen dagegen nur eines (IS III: 158). Dies scheint die bei der Besprechung der metaphorischen Ausdrücke auf Seite 46 geäusserte Vermutung zu stützen, dass der dänische Text gegenüber dem deutschen lebendiger, bildhafter gestaltet werden sollte.

Im Folgenden soll jenes Wortspiel behandelt werden, das sich in beiden Versionen findet: In IS III: 158 wird eine kurze Komödienszene erwähnt, in der zwei Bauern auftreten, die plattdeutsch miteinander sprechen; ihr Dialog dreht sich um die Dänen, um ihre Sprache, ihr Aussehen und ihre Essgewohnheiten: Angeblich essen sie „Köt“ und trinken „Oelie“ dazu, was aber nicht so schlimm ist, wie es klingt, denn „Köt“ schmeckt wie Fleisch und „Oelie“ wie Bier. Es handelt sich um eines jener interlingualen Wortspiele, das auf Wörtern beruht, die trotz ihrer Herkunft aus verschiedenen Sprachen gleich oder ähnlich klingen oder im Schriftbild übereinstimmen,1 die semantisch jedoch völlig voneinander abweichen und deshalb eine Art „faux amis“ bilden.

Die kleine Szene spielt in Kopenhagen, vor einem dänischen Publikum, wobei sich der deutsche Leser unwillkürlich fragt, ob denn der Wortwitz des Dialogs von einem nichtdeutschsprachigen Publikum überhaupt verstanden werden konnte. Die Frage ist sicher berechtigt, denn Zuschauern ohne Deutschkenntnisse musste das Wortspiel unverständlich bleiben. Man ist versucht, das Einfügen dieser Szene in die IS als Indiz dafür zu halten, dass der Roman eben für ein deutsches Lesepublikum geschrieben wurde, wobei die Situation des fiktiven dänischen Publikums in den Hintergrund trat. Bedenkt man jedoch die sprachlichen Gegebenheiten Kopenhagens in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts – also jener Epoche, in der dieser Teil der Romanhandlung spielt – so wird klar, dass das Verständnis einer Szene wie der geschilderten für weite Kreise der Bevölkerung überhaupt kein Problem darstellte: Kopenhagen konnte zu jener Zeit als dreisprachige Stadt betrachtet werden (Winge, V. 1992: 184). Offenbar existierten – soweit sich dies aufgrund schriftlicher Zeugnisse eruieren lässt – Dänisch, Hochdeutsch und Niederdeutsch als gesprochene Sprachen nebeneinander, ja, es hatte sich, besonders in Handwerkskreisen, sogar eine Mischsprache aus allen dreien gebildet, die auch geschrieben wurde (Winge, V. 1992: 153). Die Szene von IS III: 158 wird als wichtiges Indiz dafür betrachtet, dass man am dänischen Hof, an dem traditionell Hochdeutsch gesprochen und geschrieben wurde, auch Plattdeutsch zumindest verstand, denn sie wurde nicht etwa von Oehlenschläger erfunden, sondern stammt aus einer authentischen Komödie, die zur Hochzeit des Sohnes von Christian IV. verfasst und 1634 am Hof aufgeführt wurde.2

Da nun deutlich geworden ist, dass das Publikum des 17. Jahrhunderts – das reale ebenso wie das fiktive des Romans – die plattdeutsche Szene bestens verstanden haben dürfte, bleibt die Frage, wie sie für die dänische Leserschaft der 1820er Jahre wiedergegeben wurde. Angesichts der auch zu jener Zeit noch immer sehr verbreiteten, ja, fast selbstverständlichen Deutschkenntnisse in Kopenhagen erstaunt es nicht, dass die Szene unverändert in der Originalversion – also auf Plattdeutsch – in ØS erscheint.3 Lediglich minimale orthographische Angleichungen ans Dänische (statt Oelie heisst es nun Ølie, statt Flesch wird Flesck geschrieben, vgl. ØS III: 151–152) unterscheiden den Dialog in der dänischen Fassung von der deutschen Version. Die geschilderte sprachliche Situation ersparte Oehlenschläger also auf elegante Weise die Übersetzung eines Wortspiels, ein Unterfangen, das in der Übersetzungswissenschaft mit gutem Grund allgemein als äusserst schwierig, wenn nicht gar unmöglich gilt (Koller 2011: 261).

3.2.3 Fazit zur zweisprachigen Gestaltung

Auf der Basis des untersuchten Textkorpus ergibt sich der Eindruck, dass Oehlenschläger sich in der dänischen Version seines Romans im Allgemeinen mit grosser Treue an die deutsche Vorlage gehalten hat. Dennoch ist deutlich geworden, dass er seinen Text an einigen Stellen im Hinblick auf das dänische Zielpublikum veränderte, und dass er stilistisch um stärkere Bildhaftigkeit bemüht war, wobei anzunehmen ist, dass er in der Muttersprache auch über eine grössere Vielfalt an metaphorischen Ausdrücken verfügte. In diesem Sinn urteilt auch Horst Nägele (im Gegensatz zu seiner erwähnten Kritik an Oehlenschlägers deutschen Werkfassungen), wenn er dem Dichter attestiert: „Seine Werke in dänischer Sprache […] zeichnen sich durch Wohlklang und lebendigen Bilderreichtum aus“ (Nägele 1971: 596). Trotzdem fand der Roman beim dänischen Lesepublikum wenig Anklang, wie in Kap. 1.4 dargestellt wurde. Ob die ablehnende Haltung auch durch sprachliche Aspekte mitbeeinflusst war, wie Billeskov Jansen, der die deutsche Version bevorzugt, anzudeuten scheint (vgl. Kap. 3.1 dieser Arbeit), lässt sich angesichts der spärlichen Stellungnahmen zu Oehlenschlägers Roman kaum eruieren.

3.3 Sprachreflexionen

Nachdem in den vorhergehenden Abschnitten die textuelle Vielfalt und die prinzipielle „Zweisprachigkeit“ des Romantextes besprochen wurden, soll nun untersucht werden, ob auf der Ebene der Figuren ähnliche Phänomene zu beobachten sind, d.h. ob sich auch die Romanpersonen in einem Feld der sprachlichen Mehrstimmigkeit bewegen, ob sie ihre sprachliche Situation reflektieren und allenfalls Schlüsse für ihre Handlungsweise daraus ziehen.

3.3.1 Sprachgedanken in den Wunderlichen Fata

Als Ausgangspunkt soll eine kurze Beschreibung der Verhältnisse bei der Inselbesiedlung in Schnabels Roman dienen:

Die Schiffbrüchigen, die in den WF mit Albert zusammen auf die Insel Felsenburg verschlagen werden, bilden sprachlich gesehen eine heterogene Gemeinschaft, denn jedes Mitglied spricht eine andere Sprache: Van Leuvens Muttersprache ist holländisch, Concordia spricht Englisch, Albert Deutsch; Lemelie schert als Franzose aus diesem Verbund germanischer Sprachen aus, was ihn, den einzigen Katholiken der Gemeinschaft, zusätzlich zum Aussenseiter stempelt, der sich denn auch als moralisch zutiefst verworfen entpuppt.

Offenbar verursachen die verschiedenen Sprachen keine Verständigungsprobleme, denn, wie Albert erzählt:

Die beyden Eheleute [van Leuven und Concordia] und ich konten uns im beten und singen gantz schön vereinigen, indem sie beyde ziemlich gut teutsch verstunden und redeten; Lemelie aber, der doch fast alle Sprachen, ausser den Gelehrten Hauptsprachen, verstehen und ziemlich wol reden konnte, hielt seinen Gottesdienst von uns abgesondert […]. (WF I: 198)

Es ist bezeichnend, dass die sprachliche Situation erst im Zusammenhang mit der Ausübung religiöser Rituale geschildert wird, während unerwähnt bleibt, wie sich die Gestrandeten zuvor bei den vielen überlebenssichernden Unternehmungen auf der unbewohnten Insel verständigt hatten. Der erste auf der Insel erlebte Sonntag bedeutet einen Einschnitt in diesen Tätigkeiten, einen Ruhepunkt, der nach biblischem Gebot für den Gottesdienst genutzt wird, aber auch die Möglichkeit zur Reflexion bietet. Albert und Concordia haben je eine Bibel und ein Gesangs- und Gebetsbuch gerettet, beides in deutscher und englischer Sprache. Der ganze Sonntag wird mit Bibellesen, Beten und Singen zugebracht, vermutlich in beiden Sprachen, denn Albert hatte für seinen Dienst bei van Leuven „binnen 6. Monaten recht gut Engell- und Holländisch reden und schreiben gelernet“ (WF I: 144). Ausdrücklich erwähnt wird aber nur das Singen und Beten auf Deutsch, was implizit auf eine Privilegierung des lutherischen Kultes weist; dies erscheint umso bedeutungsvoller, als Albert der einzige Lutheraner ist und man hätte erwarten können, dass die reformierte Konfession1 der beiden höhergestellten Personen, van Leuven und Concordia, dominieren würde. Das gerettete Gesangs- und Gebetsbuch bringt also viel mehr als nur deutsche Lieder und Gebete zur frommen Erbauung der Inselgemeinschaft: es bedeutet den ersten Keim zur Etablierung des Luthertums auf der Insel, und dieses ist bekanntlich, gemäss LuthersLuther, Martin Reformprogramm, eng an das Deutsche als Sprache seiner Verbreitung geknüpft.2 So ist es auch zu erklären, dass Eberhard, als er bei seiner Ankunft auf der Insel von einer Schar Verwandter empfangen wird, feststellt: „[sie] redeten so feines Hoch-Teutsch, als ob sie gebohrne Sachsen wären“ (WF I: 121): Damit wird angedeutet, dass Albert, der dem Leser ja schon auf dem Titelblatt des ersten Teils der Wunderlichen Fata als „gebohrne[r] Sachse[–]“ vorgestellt wurde, auf der Insel seine Sprache tradiert hat, die zugleich jene Luthers und der Reformation ist;3Luther, Martin das feine Hochdeutsch weist auf das hohe Ansehen hin, das Luther der deutschen Sprache mit der Übersetzung der Bibel und seinem gesamten energischen Eintreten für den Status des Deutschen schuf. Einbezogen in diese sprachliche Würdigung sind aber auch die Wunderlichen Fata selber, da Schnabel ebenfalls aus dem sächsischen Raum stammt. In Eberhards Bewunderung könnte zudem eine Spur der gängigen Ansicht mitschwingen, wonach ältere Sprachformen besser, schöner und vollständiger seien als die modernen Varianten:4 Immerhin lebt Albert zum Zeitpunkt von Eberhards Ankunft bereits seit 80 Jahren auf der Insel, weshalb anzunehmen ist, dass sein Deutsch, das zum Inselstandard wurde, weitgehend unberührt geblieben ist von den Sprachveränderungen, die sich im Fortgang der Zeit durch vielfache Kontakte der Sprecher mit der Aussenwelt immer bilden.

 

Alberts Nachkommen sprechen aber nicht nur Deutsch; mindestens das erste Kind auf der Insel, Alberts Stieftochter, wächst zweisprachig auf: „Die kleine Concordia fing nunmehro an, da sie vollkommen deutlich, und zwar so wohl Teutsch als Englisch reden gelernet, das angenehmste und schmeichelhaffteste Kind […] zu werden“ (WF I: 311–312). Albert lehrt seine Kinder deutsch und englisch buchstabieren und lesen, während Concordia die religiöse Unterweisung übernimmt, so dass die Eltern ihre Kinder „mit grösten Vergnügen bald Teutsch, bald Englisch, die Morgen- Abend- und Tisch-Gebeter, vor dem Tische, konten beten hören und sehen“ (WF I: 314). Die selbstverständliche Verwendung beider Sprachen scheint auf einer elterlichen Gleichberechtigung zu beruhen, die sich auch in der Aufteilung des Unterrichts spiegelt, denn Concordias Bibelunterweisung darf in der Mitte des 17. Jahrhunderts, also lange vor der Säkularisierung, wohl als gleichwertig mit Alberts Schulunterricht in den elementaren Kulturtechniken des Buchstabierens und Lesens gelten.5

Dass jedoch die englische Sprache zugunsten des Deutschen aufgegeben werden kann, zeigt die Geschichte von David Rawkin, der als Sohn verarmter Adliger in England zur Welt kam und nach einer von Schrecken und Gräueln erfüllten Jugend im Erwachsenenalter einen deutschen Freund trifft, mit dem er über ein Jahr gemeinsam in Deutschland verbringt und in dieser Zeit, wie er berichtet, „dermassen gut Teutsch lernete, dass fast meine Mutter-Sprache darüber vergass, wie ich mich denn auch in solcher Zeit zur Evangelisch-Lutherischen Religion wandte, und den verwirrten Englischen Secten gäntzlich absagte“ (WF I: 397). Auch in seinem Fall sind also Sprache und Religion gekoppelt, Deutschlernen und Bekehrung zum Luthertum erfolgen fast gleichzeitig und bewirken Rawkins Verwandlung in einen deutschsprachigen Lutheraner. Seine Abkehr von den „verwirrten Englischen Secten“ stellt die lutherische Religion in ein besonders günstiges Licht, zeigt sie im Gegensatz zu englischen religiösen Strömungen als klar und vernünftig. Im Zeichen dieser Vernunft lässt er sich, nachdem er als Schiffbrüchiger mit seinem Freund und ihren beiden jungen Verlobten die Insel Felsenburg erreicht hat, dazu überreden, seine Geliebte einem Sohn Alberts zu überlassen und selber eine von dessen Töchtern zu heiraten, wodurch sich die Inselbewohner dank Zuzug von Auswärtigen fortpflanzen können. Rawkins Transformation in einen deutschen Lutheraner erreicht auf der Insel eine weitere Stufe, indem er seinen eigenen Geschlechtsnamen mit dem seiner Frau ersetzt, d.h. seine ehemals englische Identität wird nun noch vollends durch die neue als David Julius verdrängt und ausgelöscht (WF I: 336).

3.3.2 Die Situation in den Inseln im Südmeere

Wenn wir uns nun Oehlenschlägers Roman zuwenden, so zeigt sich, dass die Figuren in den IS schon auf dem Schiff, das sie nach Ostindien bringen soll, über ihre Sprachen zu reden anfangen. Concordia betont gleich zu Beginn der Seereise das Verbindende der sprachlichen Situation, wenn sie zu Albert sagt: „Wir dürfen einander nicht fremd bleiben […]. Mein Carl Franz und ich sprechen Holländisch, Ihr Deutsch, so verstehen wir uns ohne Schwierigkeit“ (IS III: 220). Dieser aus heutiger Sicht überraschenden Feststellung1Luther, Martin war eine Auseinandersetzung zwischen dem französischen Schiffskapitän Lemelie und dem dänischen Ankerschmied Mats Hansen vorausgegangen, die ebenfalls – zumindest seitens des Kapitäns – auf Holländisch geführt wurde, denn: „Der Kapitain sprach holländisch, was der Ankerschmied verstand“ (IS III: 216). Die holländische Koine vermag aber die Differenzen zwischen dem als verschlagen, hämisch und falsch beschriebenen Franzosen und dem aufrechten, ehrlichen Dänen nicht zu überbrücken, im Gegenteil: die Unvereinbarkeit der – in bezeichnender Weise zugeteilten – Nationalcharaktere wird gerade dadurch unterstrichen, dass nicht einmal eine gemeinsame Sprache Verständigung schaffen kann.

Auf der Seereise unterrichtet Concordia Albert im Englischen, worin er so gute Fortschritte macht, dass sie mit ihm Dramen ihres Urgrossvaters ShakespeareShakespeare, William lesen kann.2 Kapitän Lemelie bietet ihr einerseits Spanischunterricht an, andrerseits möchte er mit ihr Corneilles Cid lesen, aber sie lehnt beides ab; damit bleibt, wie in den WF, das romanische Element aus der germanischen Sprachenfamilie der für die Insel Felsenburg prädestinierten Personengruppe ausgeschlossen.3Ariosto, Ludovico

Die erste explizite Erwähnung des Sprachgebrauchs auf der Insel hängt wie bei Schnabel mit dem Singen geistlicher Lieder zusammen, wird aber nicht mit sonntäglichen Gottesdienstritualen verknüpft, sondern mit Alberts Entdeckung der insularen Paradieslandschaft: Aus Freude darüber stimmt er mit seinen Gefährten ein Lied von Paul Gerhardt an, das von Errettung aus Not und Bedrohung handelt, und dessen erste Strophe im Text wiedergegeben wird.4 Wie Albert an dieser Stelle berichtet, hatten Concordia und van Leuven schon öfters deutsche geistliche Lieder mit ihm gesungen, „und die fremde Aussprache machte ihre Andacht noch rührender“ (IS III: 324). Die Dominanz des Deutschen, die sich aus dem Singen deutscher Lieder ablesen liesse, wird wenig später aufgehoben durch Alberts Wunsch, wieder Shakespeare zu lesen, jedoch sind die vom Wrack geretteten Bände verschwunden, was Albert Lemelies Bosheit zuschreibt. Auf diese Weise erscheint als Gegenzug zur abgelehnten Lektüre des Cid auch der englische Dichter eliminiert. Stattdessen liest Albert nun täglich mit Concordia die englische Bibel, was ihm keine Mühe macht, da er die deutsche Bibel beinahe auswendig kennt. Obwohl diese Lektüre also inhaltlich nichts Neues bietet, freut es ihn, „die wohlbekannten Sachen in einer fremden Sprache erzählt und ausgesprochen zu hören, wodurch sie den Reiz der Neuheit gewannen“ (IS III: 334). Die deutsche Sprache erscheint so in zweierlei Hinsicht verfremdet: einmal durch den Akzent des holländisch-englischen Ehepaares, und dann durch die „Verkleidung“ des deutschen Bibeltextes in die englische Sprache. Damit zeigt sich das „feine Hoch-Teutsch des gebohrnen Sachsen“, das in Schnabels Text über Jahrzehnte unverändert bewahrt geblieben war, von Anfang an umgeformt, vermehrt und angereichert durch Einflüsse des Fremden, in diesem Fall vor allem des Englischen, dem als der Sprache ShakespearesShakespeare, William ein ebenso hoher Status wie LuthersLuther, Martin Deutsch zugesprochen wird.

Unerwähnt bleibt, welche Sprache Concordias schwarze Dienerin Minga spricht. Nachdem Albert sie und den kleinen Hund Beautiful vom Wrack gerettet hat, erweist sie sich als unschätzbare Hilfe auf der Insel; trotzdem erscheint sie in seiner Erzählung nicht als der menschlichen Gattung selbstverständlich zugehörig, sondern gewissermassen als Grenzwesen in einem Zwischenbereich: „[…] neigte die stumpfe Negernatur in ihr sich zum Thierischen, so liess der gefühlvolle Blick des Hundes etwas Menschliches ahnen. Diese Verwandtschaft fühlend, waren sie unzertrennlich“ (IS III: 296).5 Auch van Leuven, der sie „treu“ und „gutherzig“ nennt, vergleicht sie im nächsten Satz mit einem Tier: wie ein Jagdhund würde sie Lemelie an der Kehle fassen, falls er sich ungebührlich gegen Concordia benähme (IS III: 308). Dieser verabscheut und fürchtet sie denn auch, nennt sie bald „das hässliche schwarze Thiermensch“ oder gar „das schwarze Thier“ (IS III: 313 resp. IV: 51),6Herder, Johann GottfriedSchiller, Friedrich vonShakespeare, William bald sieht er in ihr den leibhaftigen Satan. Er ist es auch, der sie ihrer Sprache beraubt, indem er ihr die Kehle zudrückt, um zu verhindern, dass sie ihn als Mörder van Leuvens verrät; durch die ihr zugefügte zeitweilige Sprachlosigkeit stösst er sie noch mehr in Tiernähe.7Herder, Johann Gottfried Ihre Sprachfähigkeit wird in dieser Episode zwar thematisiert, die Sprache, die sie spricht, jedoch nicht benannt, d.h. sie bleibt aus dem Kreis der „Kulturnationen“ ausgeschlossen, zu denen selbst Lemelie diskussionslos gehört, obwohl ihm sogar die „Thiermenschen“ in Gambia und Senegal an sittlichem Empfinden überlegen seien, wie van Leuven andeutet (IS III: 315).8

Ein paar Jahre später hat sich die kleine Inselpopulation verändert: van Leuven und Lemelie sind tot, dafür ist das Kind des ersteren geboren, wird von seiner Mutter sowie von Albert und Minga betreut und beginnt erste Worte zu sprechen. Zu Alberts Überraschung spricht Concordia mit ihrer kleinen Tochter Deutsch, nicht Englisch. Ihre Erklärung für diese Sprachverwendung stützt sich auf zwei Konzepte, die man mit den Begriffen „Muttersprache“ und „Vaterland“9 fassen kann. In ihrer Argumentation verknüpft sie die beiden Termini: Die Muttersprache berührt das Herz: „Wie der Schweizer beim blossen Klang der Kuhglocken weint,10 so rühren die Töne der Muttersprache jedes gefühlvolle Menschenherz“ (IS IV: 124), und zwar, weil es sich um die von frühester Kindheit an vertrauten Töne der unmittelbaren Umgebung handelt; daraus entsteht der „Sinn für das Heimathliche“ und zugleich das Gefühl für die Zugehörigkeit zu einer Nation, zu einem Vaterland. „Was macht das Vaterland? Nur die Sprache“, erklärt Concordia (IS IV: 123). Ihrer Meinung nach lassen sich die Nationen überhaupt nur durch die verschiedenen Sprachen unterscheiden, denn es sei die Sprache, die das Wesen und die Denkweise bildet.11Leibniz, Gottfried WilhelmHerder, Johann Gottfried Deshalb sei es so wichtig, dass die Kinder zuerst ihre Muttersprache vollkommen lernten, denn wenn sie „erst alle leicht zwei, drei fremde Sprachen plappern, wird es bald um die Nationalität der Männer und Frauen gethan seyn“ (IS IV: 124).12Herder, Johann Gottfried

Albert stimmt ihr zu, doch sieht er sich in seiner Verwunderung darüber, dass sie mit ihrem Kind Deutsch spricht, nun erst recht bestätigt: Schliesslich ist Concordias Muttersprache englisch, nicht deutsch. Daraufhin muss sie sich noch deutlicher erklären: „Wir sind jetzt eine kleine Nation aus vier Menschen bestehend auf dieser Insel. Ihr seyd der Mann, ein Deutscher, und die Weiber müssen sich nach den Männern richten“ (IS IV: 125). Diese Feststellung betont zweierlei: Einmal die nationenbildende Kraft der Sprache, denn was die heterogene Gruppe, in die Minga stillschweigend einbezogen ist, zu einer Nation fügen soll, ist eben die einheitliche Sprache; zweitens wird diese Nation implizit dem Mann unterstellt und damit zum Land des Vaters gemacht, zur Patria, d.h. Albert wird die Position eines Patriarchen auf der Insel zugesprochen.13 Die sichtliche Verlegenheit, die Concordia bei diesen Worten überwinden muss („Sie erröthete ein wenig, schlug die Augen nieder,“ IS IV: 125), entspringt nicht eigentlich dem Eingeständnis ihrer Akzeptanz männlicher Vorherrschaft;14Shakespeare, WilliamHolberg, Ludvig vielmehr verrät ihr Konzept einen Hinweis auf künftiges familiäres Zusammenleben, was Albert hoffnungsvoll als Zeichen keimender Liebe deutet. Eine weitere Begründung für Concordias Absicht, ihr Kind deutschsprachig zu erziehen, liegt zudem in ihrer Überzeugung, dass der Ursprung nicht nur des Niederländischen, sondern auch des Englischen die deutsche Sprache sei: „Wir Engländer waren vormals Sachsen. Normannische Gewalt hat unsere Sprache zerbrochen, Geist, Kraft, Gefühl und Laune haben sie aber tüchtig wieder zusammen geleimt, und mehr als eine andere über die Welt verbreitet“ (IS IV: 125).15 Ihr Plädoyer für eine einsprachige Erziehung weist auch auf einen Gegensatz zur Situation in Schnabels Roman, wo die Kinder, wie erwähnt, in fröhlicher und völlig selbstverständlicher Zweisprachigkeit aufwachsen. Die Problematisierung dieses Umstandes im Roman des 19. Jahrhunderts hängt offensichtlich mit dem Nachdenken über Sprache zusammen, das zwar schon lange vor dem 18. Jahrhundert begonnen hatte, aber mit der Aufklärung in eine entscheidende Phase trat und sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts immer mehr zu einem facettenreichen Diskurs entfaltete, der sich, verknüpft mit Überlegungen zu Parallelen zwischen Sprache und nationalem Charakter, intensiv mit der Bildung einer kollektiven, d.h. nationalen Identität als Grundlage für die Entstehung des Nationalstaates auseinandersetzte.

Genau dieselbe Thematik bewegt die Gemüter auch auf Eberhards Rheinfahrt nach Amsterdam, die dieser zusammen mit Hanna auf die geheimnisvolle Einladung des Kapitäns Wolfgang hin unternimmt. Mit dieser Episode, die in der Romanchronologie Jahrzehnte nach den oben geschilderten Felsenburger Ereignissen spielt, im Ablauf des Romans aber vorher erzählt wird, kehren wir zum ersten Teil der IS zurück.

 

Eberhard hat, von Leipzig kommend, unterwegs den Kölner Dom besucht und dabei die beiden Künstler Litzberg und Lademann kennengelernt, die nun mit ihm reisen. Die ungefähre Ortsangabe ergänzt ein zeitlicher Hinweis: Wir befinden uns in der Zeit kurz nach dem Utrechter und dem Rastatter Frieden, und diese endlich geglückten Friedensschliessungen sorgen für die heitere Grundstimmung der deutschen, holländischen und französischen Schiffspassagiere. Dennoch flammt plötzlich ein Konflikt auf: In übersteigertem Patriotismus rühmt ein Franzose seinen König Ludwig XIV., dessen Hofstaat und insbesondere Kardinal Richelieu so sehr, dass er Litzbergs Spott auf sich zieht, worauf der Franzose augenblicklich zum Degen greift; ein Duell unterbleibt nur, weil sich herausstellt, dass der patriotische Franzose einem untergeordneten Stand angehört: als Koch ist er nicht satisfaktionsfähig. Lademann singt darauf zur Versöhnung ein von Eberhard gedichtetes Lied, das die verbindenden Elemente zwischen Deutschen und Franzosen preist, die eigentlich Brüder seien, besonders, da die „Frankenschaar“ zuerst Deutsch gesprochen habe und Karl der Grosse ein Deutscher gewesen sei (IS I: 114). Dass der fränkische Kaiser im Zusammenhang mit der deutschen Sprache genannt wird, ist natürlich kein Zufall, denn sein Name steht nicht nur für Macht und Herrschertum, sondern auch für Sprachpflege und Sprachförderung des Deutschen als Volkssprache; schon für die Sprachpatrioten des 17. Jahrhunderts war seine Tätigkeit in dieser Hinsicht so wichtig, dass die Verknüpfung seiner Figur mit diesen Bestrebungen zu einem Topos wurde.16

Die Erklärung, Karl der Grosse sei ein Deutscher gewesen, entfacht neue Diskussionen, weil die Franzosen, nachdem sie das Lied dank französischer Übersetzung verstanden hatten, diese Aussage nicht hinnehmen wollen und Charlemagne für sich beanspruchen, wobei sich der Koch, der natürlich die französische Seite unterstützt, in einem komischen deutsch-französischen Kauderwelsch ausdrückt, das beide Sprachen – wenn auch parodistisch – vereint.

Mit dem Auftritt eines jungen Adligen namens Herr von Sock akzentuiert sich das Element des Standesunterschiedes, das bei der Auseinandersetzung mit dem patriotischen Koch ebenfalls eine Rolle spielte: Der Adlige mit „sechzehn unverfälschten Ahnen“ (IS I: 131) stellt seinen Rang über alles; dies wiederum macht ihn zur komischen Figur, worauf schon sein Name hinweist. Die Komik, evoziert durch die Nobilitierung des trivialen Namens, verstärkt sich noch in der Herleitung durch dessen Träger, der voller Stolz erklärt, sein Name sei eine Verkürzung von „Schock Schwerenoth“ – ein Ahnherr habe sich so genannt, weil er mit einem Schock von Reisigen einst eine Stadt besiegte. In der unbeholfenen Aussprache eines weiteren Ahnen sei „Schock“ zu „Sock“ geworden (IS I: 155–156).17 Obwohl selbst Deutscher, allerdings mit französischer Muttersprache, äussert er sich anlässlich eines von Eberhard in volksliedhaftem Stil verfassten Gedichtes vernichtend zur deutschen Sprache: „das Lied ist erbärmlich. Erstens hat es den Fehler, dass es in deutscher Sprache geschrieben ist; […] diese Sprache ist ganz unmusikalisch und unpoetisch und kann zu höheren, schöneren Dingen gar nicht gebraucht werden“ (IS I: 144). Dieses Urteil spiegelt das besonders seit dem 17. Jahrhundert zutage tretende mangelnde Ansehen der deutschen Sprache: vor allem in Frankreich, Italien und auch Spanien galt sie als rückständig und ungehobelt; auch an deutschen Höfen wurde bekanntlich vorwiegend französisch gesprochen, während die Gelehrtensprache nach wie vor lateinisch war. Dieses negative Bild trug im 17. Jahrhundert zur Entstehung intensiver sprachtheoretischer Auseinandersetzungen mit der eigenen Sprache und zu grossen Bemühungen um deren Aufwertung bei, wie zahlreiche Schriften von Opitz, Harsdörffer, Schottelius, Zesen und anderen bis hin zu LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm zeigen.

Bei dem vom Adligen von Sock geschmähten Lied handelt es sich um einen scherzhaften Sängerwettstreit, vorgetragen von zwei Knaben, einem Schweizer und einem Holländer, welche die kontrastierenden Vorzüge ihrer beider Länder besingen und diese Gegensätze in den Schlussstrophen zu einem harmonischen Ganzen vereinen. Eberhard wehrt sich für seine Sprache: der Adel als „abgesonderte Nation“ möge immerhin eine fremde Sprache sprechen; „wir Bürgerliche sind aber noch Deutsche, und sprechen deutsch“ (IS I: 145). Statt einer Antwort beginnt Herr von Sock das Lied im Einzelnen zu kritisieren, das wohl eine Ode sein solle, aber als solche überhaupt nicht bestehen könne. Ausserdem reime es „Schweizer“ mit „Kaiser“, was weder ein Reim fürs Auge noch fürs Ohr sei. Da wirft Litzberg ein, das eben sei der Witz der Sache, denn „der Kaiser und die Schweizer haben sich ja auch nie recht zusammen gereimt“ (IS I: 145).18 Der Adlige führt nun als Beispiel für eine vorbildliche Ode Jean Baptiste Rousseaus Gedicht „Aux Suisses“ an, das Litzberg nicht kennt und auch nicht zu kennen wünscht, da es wohl, wie die meisten französischen Oden, sehr hochtrabend sei.19Horaz (Quintus Horatius Flaccus) Inhaltlich unterstreicht die Ode die Botschaft der beiden auf Einigkeit und Versöhnung ausgerichteten Lieder Eberhards, denn sie verurteilt einen kriegerischen Konflikt zwischen katholischen und reformierten Orten der Alten Eidgenossenschaft. Vordergründig dienen so die drei Gedichte – im Kontrast zu ihrem versöhnungsorientierten Inhalt – als Waffen in einem Rededuell, das zur Verteidigung der jeweiligen (sprach)patriotischen Position ausgefochten wird. Auf der poetologischen Ebene jedoch geht es bei den letzten beiden Gedichten um zwei ganz unterschiedliche Ausprägungen eines Verfahrens, das man mit „Nachahmung“ oder „Nachdichtung“ umschreiben könnte: Während Eberhard den Stil eines Volksliedes nachahmt und damit in einer von HerderHerder, Johann Gottfried ausgehenden Tradition der Wiedererweckung ursprünglicher, „natürlicher“ Volksdichtung steht, schafft Rousseau mit der Adaptation einer Ode des HorazHoraz (Quintus Horatius Flaccus) die Nachbildung eines der kunstvollsten Gebilde der römischen Literatur. Volkslied und Ode, entstanden aus den hier angedeuteten Traditionen, bezeichnen in schematischem Umriss die Gegensätze zwischen den beiden Kontrahenten, indem sie Eberhard dem Bürgertum, der Natürlichkeit und der deutschen Romantik zuordnen, Herrn von Sock dagegen dem Adel, der Künstlichkeit und der französischen Klassik.

Dieses Schema wird nun aufgebrochen, als ein „alter reicher Baron“ (IS I: 149) in die Diskussion eingreift; wie später klar wird, ist es der inkognito reisende LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm, der Eberhards „Volkslied“ auch gehört hat und daraus den Schluss zieht, „es lasse sich mit der deutschen Sprache noch vieles machen. Auch lieblich und leicht kann sie sich bewegen, nicht blos leer dichterisch gravitätisch.“ (IS I: 152). Damit stellt er sich als Adliger auf Eberhards Seite und verteidigt die deutsche Sprache gegen weitere Einwände des Herrn von Sock, dem Eberhards Gedicht nicht nur als „Ode“ missfallen hat, sondern auch, „weil die deutsche Sprache mit ihren vielen Sch’s und Z’s dem Ohre unerträglich wird;20Schlegel, Friedrich weil sie sich schwerfällig und langweilig bewegt, weil kein grosser Mann in dieser Sprache geschrieben hat“ (IS I: 153). Leibniz macht den Lutheraner von Sock darauf aufmerksam, dass er mit LutherLuther, Martin immerhin einen grossen Mann kennen müsse, der deutsch geschrieben habe. Als Eberhard darauf stolz seine Verwandtschaft mit dem Reformator bekanntgibt, fügt Leibniz mit Blick auf von Socks Ahnenreihe an: „Da haben Sie einen Ahnherrn, der wohl sechzehn andere Ahnen aufwiegen kann“ (IS I: 154). Und dass Eberhard Lieder dichte, „steckt im Blute“, denn „Luther war auch ein Dichter“ (IS I: 154).

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