Die Açaí-Frucht

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Die Açaí-Frucht
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Josef Pies

Die Açaí-Frucht

Das Vitalstoffpaket

aus dem Tropenwald

Besonders reich an

Antioxidanzien, Ballaststoffen

und gesunden Fettsäuren


VAK Verlags GmbH

Kirchzarten bei Freiburg

Hinweis des Verlags

Inhalt

Einleitung

Eine traurige Geschichte

Die Açaí-Palme – ein wenig Botanik

Die Heimat der Açaí-Palme – das Amazonasbecken

Die traditionelle Verwendung von Açaí

Die aktuelle Entwicklung

Medizinische Aspekte

Mit Antioxidanzien freie Radikale bekämpfen

Die Farbstoffe machen’s – Anthocyane als Radikalfänger

Studien zur antioxidativen Wirkung von Açaí

ORAC – die antioxidative Gesamtkapazität zählt

Ernährungsphysiologische Aspekte

Köstliche und einfache Açaí-Rezepte

Zum Schluss

Literatur

Über den Autor

Einleitung

Lange musste ich nicht überlegen, ob ich über Açaí – sprich Assa-ï – schreiben sollte, denn zwei Aspekte haben mir die Entscheidung sehr leicht gemacht. Einerseits ist Açaí bei uns noch fast völlig unbekannt und da reizt es natürlich ganz besonders, sich mit dieser brasilianischen Powerfrucht zu beschäftigen. Andererseits hat sich schon der Bruder des Stammvaters aller heutigen Piese vor fast 400 Jahren sehr intensiv mit der Tier- und Pflanzenwelt Brasiliens beschäftigt. Der Arzt Dr. Willem Piso (1611–1678) war von 1638 bis 1644 im Auftrag der Westindischen Compagnie als Leibarzt des Grafen Johann Moritz von Nassau-Siegen in Brasilien. Er beschrieb unter anderem die einheimischen Heilpflanzen (Piso und Marggraf 1648 sowie Piso 1658; vgl. auch Norbert J. Pies 2010) und gilt daher als Begründer der Tropenmedizin (Eike Pies 2004).

Der enorm hohe Gehalt an antioxidativen Pflanzenfarbstoffen (Anthocyanen) und Ballaststoffen sowie die ungesättigten Fettsäuren, Vitamine und Mineralstoffe machen Açaí zu einer äußerst gesunden Energiequelle, ja, zu einem nahezu perfekten Lebensmittel. Das extrem große antioxidative Potenzial, also das Vermögen, freie Radikale abzufangen, macht die Frucht besonders unter dem Aspekt interessant, dass viele Krankheiten von freien Radikalen verursacht oder verschlimmert werden.


Açaí – Grundnahrungsmittel der brasilianischen Ureinwohner und Kult bei der Surf- und Strandemeinde – erobert derzeit Europa.

Dass er die Açaí-Palme nicht ausdrücklich erwähnt, hängt sicher damit zusammen, dass ihre gesundheitlichen Aspekte erst viel später in das Blickfeld von Verbrauchern und Wissenschaftlern rückten. Jahrhundertelang war Açaí nämlich den Südamerikanern als der Lebensmittel vorbehalten. Nachdem brasilianische Fitnessjünger und Sportler in den 1990er-Jahren die Energie und Ausdauer spendende Kraft von Açaí entdeckten, entwickelte sich diese Powerfrucht vom einstigen Grundnahrungsmittel der Indigenas zum Lifestyleprodukt. In jüngerer Zeit erobert Açaí nun ein Land nach dem anderen und ist inzwischen auch in Europa angekommen.


In den folgenden Kapiteln werden zunächst Açaí und seine traditionellen Verwendungsmöglichkeiten näher vorgestellt. Dann folgen Erläuterungen zum antioxidativen Potenzial und zur ernährungsphysiologischen Bedeutung der Frucht. Schließlich gibt Ihnen ein umfangreicher Rezeptteil viele Anregungen, wie Sie Açaí bei Ihrer Ernährung berücksichtigen und dieses hochinteressante, köstliche Vitalstoffpaket genießen können.

Eine traurige Geschichte

Wie tief die Açaí-Palme im Herzen der Brasilianer verwurzelt ist, zeigt eine rührende Legende. Ein im Amazonasdelta lebender Indianerstamm wurde einst von einer großen Hungersnot heimgesucht. Aus Angst, alle Stammesangehörigen müssten verhungern, verfügte der Häuptling Itaki daher, dem Gott Tupnã so lange alle Neugeborenen zu opfern, bis wieder ausreichend Nahrung vorhanden sei. Auch als seine Tochter Iaçã eines Tages ein Kind gebar, zeigte der Häuptling kein Erbarmen und tötete sein eigenes Enkelkind. Voller Verzweiflung verkroch sich Iaçã in ihre Hütte, um ihrer Tochter tagelang nachzutrauern. Sie flehte Tupnã inständig an, er möge dem Kindermord endlich Einhalt gebieten. Eines Nachts hörte Iaçã dann ihr Kind weinen und lief in den dunklen Regenwald hinaus. Sie glaubte, es an einer über Nacht neu gewachsenen Palme sitzen zu sehen und wollte es umarmen. Als ihr bewusst wurde, dass es sich nur um eine Halluzination handelte, weinte Iaçã bittere Tränen und am nächsten Morgen fand man sie tot, die Palme umarmend und die leblosen Augen gen Himmel gerichtet. Ihre Lippen waren purpurrot gefärbt und sie schien zu lächeln. Als ihr Vater ihrem Blick folgte, bemerkte er, dass er auf die tiefblauen Früchte der Palme gerichtet war. Er ließ sie pflücken und stellte fest, dass ihr Saft sehr nahrhaft war. Der Häuptling bedankte sich bei Tupnã für diese neue Nahrungsquelle und benannte die Palme nach seiner Tochter Iaçã, allerdings rückwärts geschrieben, nämlich Açaí. Iaçãs Wunsch ging in Erfüllung, denn fortan wurden keine Neugeborenen mehr geopfert.

Die Açaí-Frucht wird von einigen Ureinwohnern Brasiliens auch als „weinende Frucht“ bezeichnet.


Seit jener Zeit spielt die Açaí-Palme eine wichtige Rolle in der Ernährung der Urbevölkerung des Amazonasbeckens und noch heute fühlen sich viele der unglücklichen Mutter tief verbunden. So erklärt sich auch, dass manche Ureinwohner die Açaí-Frucht içá-çái nennen: Die Frucht, die weint.

Die Açaí-Palme – ein wenig Botanik

Palmen zählen zu den am intensivsten vom Menschen genutzten Pflanzen. Die Palmengewächse (Arecaceae) bilden die einzige Familie der Ordnung der Palmenartigen (Arecales) und umfassen über 1 200 Arten. Wie viele andere brasilianische Palmen auch, wurde die Açaí-Palme erstmals von dem deutschen Arzt und Botaniker Dr. Carl Friedrich Philipp von Martius (1794–1868), dem „Vater der Palmen“, wissenschaftlich beschrieben (Martius 1823/1850). Er hatte im Auftrag des Bayernkönigs Maximilian I. Joseph (1806–1825) zusammen mit Dr. Johann Baptist von Spix (1781–1826) von 1817 bis 1820 eine Forschungsreise nach Brasilien unternommen und vor allem das Amazonasgebiet erforscht. Martius gab der Açaí-Palme den wissenschaftlichen Namen Euterpe oleracea. Der Gattungsname Euterpe geht auf eine der neun griechischen Musen zurück und bedeutet „die Ergötzende“, „die Erfreuende“ oder auch „Frohsinn“. Möglicherweise hatte Martius bei der Namensgebung die grazile Erscheinung der Açaí-Palme vor Augen.


Der Artname oleracea leitet sich von olis/oleris, dem lateinischen Begriff für „Kohl“ bzw. „Gemüse“ ab, analog zu Brassica oleracea = Gemüsekohl, Tipula oleracea = Kohlschnake, Portulaca oleracea = Kohlportulak u.s.w. Und der deutsche Name lautet auch tatsächlich Kohlpalme. Nun werden Sie sich sicher fragen, was denn eine Palme mit Kohl oder Gemüse gemeinsam hat. Das lässt sich ganz einfach erklären. Der Name bezieht sich auf die an Kohl erinnernden, essbaren Palmherzen, über die später noch zu lesen sein wird.


Im mittleren und nördlichen Südamerika sowie in Zentralamerika kennt man mehrere Dutzend Euterpearten. Sie wachsen auf Meeresniveau, kommen aber auch noch in 3 000 m Höhe vor. Und das ist für Palmen recht hoch. Die Açaí-Palme wächst zwischen dem Äquator und dem 30. nördlichen Breitengrad, und zwar in Panama, Trinidad, Französisch Guayana, Guayana, Suriname, Venezuela, Brasilien, Kolumbien und Ecuador. Ihr Hauptverbreitungsgebiet ist aber das Amazonasbecken in Brasilien, in den von den Gezeiten des Atlantiks betroffenen Überschwemmungsgebieten. Hier, in den sogenannten Várzeas, gehört sie zum Alltagsbild der Waldgärten der Flussanrainer. Die verstreut liegenden Hütten der hier ansässigen Caboclos, also der Nachkommen von Indianern und Europäern, schmiegen sich idyllisch an die Palmen, was die enge Verbindung zwischen Mensch und Açaí-Palme unterstreicht. Umgeben sind die Häuser von etwa einen Meter über dem Wasserspiegel auf Açaí-Palmstümpfen gebauten Stegen. Auch die Gemüsegärten und andere Teile rund um diese Häuser sind auf Plattformen angelegt, die auf Açaí-Stümpfen ruhen.

 

Die Kohlpalme lässt sich folgendermaßen beschreiben (vgl. Strudwick und Sobel 1988, http://www.rain-tree.com/acai.htm und http://ecoport.org): Es ist eine mehrstämmige, immergrüne, fiederblättrige Palme mit acht bis vierzehn Palmwedeln und einem deutlich abgehobenen, grünen bis gelblichen, glatten Kronenschaft – das ist der Teil zwischen Stamm und Krone, der von den Blattbasen gebildet wird. Die Palmen werden je nach Lichteinfluss zwischen 4 und mehr als 30 m groß. Auf offener Fläche mit viel Lichteinfall bleiben sie klein und bei engem Bewuchs werden sie besonders groß. Die gleichförmig schlanken Stämme von nur 7–30 cm Durchmesser verleihen der Açaí-Palme ihr graziles Erscheinungsbild. Dieses wird noch durch die charakteristische Art verstärkt, in der die Fiederblätter von den Mittelrippen der Palmwedel fast senkrecht herabhängen.


Eine typische Hütte am Amazonas mit umgebender Plattform auf Açaí-Stümpfen.

Bei ausreichender Sonneneinstrahlung erfolgt die erste Blüte nach vier Jahren, bei weniger günstigen Verhältnissen erst später. Die etwa 60 cm langen Blütenstände (Infloreszenzen) können einzeln oder in bis zu sechs Blöcken pro Stamm auftreten. Sie sitzen im unteren Teil der Krone – von einer leicht aufgerichteten Hauptachse ausgehend – an weiß-grauen bis lederfarbenen Zweigen. Diese tragen vor allem zwischen September und Januar kleine, nur etwa 5 mm große, fahlpurpurfarbene bis kastanienbraune oder gelbliche Blüten, sowohl weibliche als auch männliche. Nach der Befruchtung, die hauptsächlich durch Käfer erfolgt, bilden sich im Laufe eines halben Jahres zahlreiche kleine runde Früchte mit einem Durchmesser von 1–2 cm. Sie sind zunächst grün, werden aber mit zunehmendem Reifegrad immer dunkler bis hin zu tiefpurpurfarben. Die reifen Früchte sind von einem weißen Puder überzogen. An jedem Blütenstand reifen 700 bis 900 Früchte heran, die 3–6 kg wiegen und vorwiegend in der Trockenzeit von Juli bis Dezember, aber auch unterjährig, geerntet werden. So produziert jeder Stamm jährlich durchschnittlich 24 kg Früchte.


Der Samen nimmt den größten Teil der Frucht ein und ist von einer dünnen, grobfaserigen Hülle umgeben, die wiederum von einem dünnen Mantel aus leicht öligem Fruchtfleisch, dem Mark oder der Pulpe, umhüllt ist. Die natürliche Verbreitung der Samen erfolgt durch Tukane, Papageien und andere Vögel sowie Spießhirsche und Fische. Nach 20 bis 40 Tagen keimen die Samen und bringen vier bis acht, mitunter aber auch bis zu 25 Stämme hervor.

Die älteren Baumteile sind vorwiegend grau bis gräulichbraun, die jüngeren grün und Flechtenbefall kann helle Flecken verursachen. Wegen der periodischen Überschwemmungen ihres Standortes bilden Açaí-Palmen warzige Luftwurzeln, die sogenannten Pneumatophoren, aus.

Es gibt eine Vielzahl teils ähnlich klingender, teils völlig unterschiedlicher Namen für die Açaí-Palme. Die wichtigsten dürften Kohlpalme, cabbage palm, manaca und pinau sein.

Die Heimat der Açaí-Palme – das Amazonasbecken

Açaí-Palmen wachsen vor allem in dem zweitgrößten brasilianischen Bundesland Pará. Pará ist so groß wie Westeuropa, es leben dort aber nicht einmal 5 Millionen Menschen. Bedeutende Wirtschaftsfaktoren sind dort Rinderzucht, Mais-, Reis-, Pfeffer- und Maniokanbau, aber auch Kautschuk und Paranüsse haben einen gewissen Stellenwert. Der größte Teil des abgeholzten Urwaldes musste Viehweiden und Futteranbauflächen weichen. Heute werden auch die mächtigen Mineralstoffvorkommen (Bauxit, Kupfer, Eisen, Mangan, Gold etc.) vermarktet.


Der Amazonas ist je nach Messung mit 6 800 oder 6 400 m der größte oder zweitgrößte Fluss der Welt. Er befördert pro Sekunde rund 200 000 m3 Wasser in den Atlantischen Ozean und ist damit der bei Weitem wasserreichste Strom, der ein Fünftel des weltweiten Süßwassers mit sich führt. Seine gewaltigen Wassermassen entstammen einem mehr als 6 Millionen km2 großen Einzugsgebiet und werden ihm über etwa 10 000 Nebenflüsse zugeführt. Der Amazonas selbst ist je nach Jahreszeit und Niederschlagsmenge mehrere Kilometer breit und kann auch schon einmal bis zu 100 km weit die angrenzenden Wälder überschwemmen. Diese Wälder und die Überschwemmungsgebiete, die Várzeas, beherbergen als weltweit größter Regenwald ein Drittel aller Pflanzen- und Tierarten. Sein enormes Mündungsgebiet, das Amazonasbecken, ist mehrere 100 km breit.


Noch bevor das Amazonasgebiet ab 1637 von den Portugiesen kolonialisiert wurde, hatten der Spanier Vicente Yáñez Pinzón und der Italiener Amerigo Vespucci 1499/1500 die Amazonasmündung entdeckt, und es war der Jesuitenpater Samuel Fritz, der den Amazonas 1707 erstmals kartografierte. Im 16. Jahrhundert bauten Franzosen, Briten und Holländer hier einen Handel mit den Ureinwohnern, den Indios, auf. Die Portugiesen führten dann mit wenig Erfolg den Zuckerrohranbau ein, dem viel Wald zum Opfer fiel. Viele Indios wurden versklavt und teilweise ausgerottet. Aber auch heute noch haben die indigenen Stämme Probleme mit Goldsuchern und Holzhändlern.


Die farbenprächtige koloniale Altstadt von Belém liegt unmittelbar am Hafen. Neben dem berühmten Açaí-Markt finden die Besucher hier auch Bars, in denen sie sowohl die Getränke als auch die regional-typische Küche kosten können.

Ein nordbrasiliansches Sprichwort sagt: „Ich kam nach Belém, trank Açaí und blieb!“

Schon 1616 hatten die Portugiesen Belém, die heutige Hauptstadt von Pará, gegründet. Belém, das „Tor zum Amazonas“, ist eine der schönsten südamerikanischen Städte und verfügt über einen bedeutenden Hafen. Auf dem hiesigen Markt wird auch Açaí gehandelt. Hier, etwa 150 km vom Meer entfernt und 1° südlich des Äquators, leben heute etwa 1,4 Millionen Menschen.