Grundkurs Sozialverwaltungsrecht für die Soziale Arbeit

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2 Träger der Verwaltung

So vielfältig wie die Aufgaben der Verwaltung ist auch deren Organisation. Die höchst unterschiedlichen behördlichen Handlungsfelder haben dazu geführt, dass sich in den einzelnen Verwaltungsbereichen verschiedenste Strukturen entwickelt haben.

Im Bereich der Polizei und des Ordnungsrechts ist beispielsweise eine hierarchisch arbeitende Verwaltung unverzichtbar, wenn es um die geordnete Durchführung von Großeinsätzen geht (z. B. Präsenz bei Fußballgroßveranstaltungen, Begleitung von Großdemonstrationen, Absicherung von Staatsbesuchen etc.).

Dagegen stehen in der Sozialverwaltung traditionell der gesellschaftliche Solidargedanke und die öffentliche Fürsorge im Vordergrund. Das hat zur Folge, dass die Sozialverwaltung weniger auf den Staat zentriert ist, sondern v.a. durch Solidarsysteme sowie die Verantwortlichkeit der Kommunen im Bereich der Daseinsvorsorge geprägt wird. Sowohl der Bund als auch die Länder haben deshalb die Befugnis, bestimmte öffentliche Aufgaben auf Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts zu übertragen (Art. 87 Abs. 3 GG). Für die Sozial-versicherung schreibt dies Art. 87 Abs. 2 GG sogar ausdrücklich vor.

Angesichts der unterschiedlichen gesetzlichen Aufgabenzuweisungen, Anforderungen und fachlichen Bedürfnisse in den einzelnen Verwaltungsbereichen ist über die vergangenen Jahrzehnte eine schier unüberschaubare Zersplitterung der „Behördenlandschaft“ im sozialen Bereich entstanden. Statt „Leistungen aus einer Hand“ zu erhalten, muss sich der Bürger derzeit eher in einem Labyrinth von Zuständigkeiten zurechtfinden.

2.1 Staatliche Verwaltung

Der „klassische“ Verwaltungsträger ist nach wie vor „der Staat“. Darunter versteht man den Bund und die Länder. Aus Art. 30 i. V. m. Art. 83 ff. GG ergibt sich der Grundsatz, dass sämtliche Verwaltungsaufgaben grundsätzlich durch die Länder erledigt werden. Diesen steht dabei die sog. „Verwaltungshoheit“ zu, d. h. sie bestimmen selbst, welche Behörden sie mit welchen Aufgaben betrauen, wie diese strukturiert sind und welches Personal vorgehalten wird.

Beispiel

Im Bereich der Sozialverwaltung werden vielfach die Versorgungsämter und die Integrationsämter als Landesbehörden tätig. Diese sind bspw. für das Elterngeld, die Opferentschädigung sowie für Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderung zuständig. Einige Bundesländer haben diese Aufgaben inzwischen durch Landesgesetz auf kommunale Träger übertragen. Mit Blick auf die Verwaltungshoheit der Länder ist dies zulässig.

Eigene Behörden des Bundes darf es nur dann geben, wenn das Grundgesetz in Art 83 ff. GG dem Bund die ausdrückliche Befugnis zur Einrichtung der jeweiligen Stellen gibt. Sie sind im sozialen Bereich eher selten zu finden. Allerdings darf der Bund selbstständige Bundesoberbehörden für alle Angelegenheiten einrichten, in denen er gemäß Art. 71 ff. GG die Gesetzgebungshoheit hat (Art. 87 Abs. 3 GG).

Beispiel

Beispielsweise obliegt dem Bundesversicherungsamt (BVA) u. a. die Aufsicht über die überregionalen Sozialversicherungsträger. Die Einrichtung des BVA ist deshalb zulässig, weil dem Bund gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG im Bereich der Sozialversicherung die Gesetzgebungsbefugnis zusteht.

2.1.1 Unmittelbare Staatsverwaltung

Traditionell war auf Bundes- wie auch auf Landesebene früher eine dreistufige Verwaltungsstruktur anzutreffen. Das bedeutet, dass es eine obere, eine mittlere und eine untere Behördenebene gibt. Umfängliche Verwaltungsreformen und „Verschlankungsbestrebungen“ der jüngeren Vergangenheit haben dazu geführt, dass in vielen Fachbereichen und in der überwiegenden Zahl der Bundesländer inzwischen die mittlere Verwaltungsebene weggefallen ist und der dreistufige Verwaltungsaufbau in eine zweistufige Verwaltung umstrukturiert wurde. Lediglich in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen wurde der dreistufige Verwaltungsaufbau in der allgemeinen Verwaltung beibehalten.

In jedem Fall ist die mehrstufige Staatsverwaltung streng hierarchisch strukturiert. Die unteren staatlichen Behörden haben die rechtlichen, fachlichen und organisatorischen Vorgaben der ihnen vorgesetzten höheren Behörden zu beachten und umzusetzen. Den oberen Behörden stehen Weisungsrechte sowie die Dienst-, Rechts- und Fachaufsicht über den nachgeordneten Bereich zu (Kap. 2.3).

Oberste Behörden

In der Behördenhierarchie sind die Ministerien die obersten Bundesbzw. Landesbehörden. In den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg nehmen die Senatsbehörden die Funktion des Ministeriums wahr. Der Auftrag der obersten Behörden kann allgemein mit Planungs-, Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben umschrieben und zusammengefasst werden.

Beispiel

Die Obersten Landesjugendbehörden (d. h. die Landesjugendministerien) haben den Auftrag zur fachlichen Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe. Hier werden Gesetzesvorhaben entwickelt und abgestimmt, fachliche Konzeptionen zur qualitativen Weiterentwicklung entworfen (z. B. Bildungspläne, Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Kinderrechtekonvention etc.) oder Maßnahmen zur flächendeckenden Koordinierung von Angeboten erarbeitet (z. B. Förderung von Beratungsstellen, Familienfreizeiten, offener Behindertenarbeit oder spezifischen Angeboten für Menschen mit Migrationshintergrund).

Untere Behörden

Anlaufstellen für die Bearbeitung von Einzelanliegen der Bürger sind regelmäßig die unteren Verwaltungsbehörden. In den Flächenstaaten sind dies die Landratsämter und die Verwaltungen der kreisfreien Städte (Baden-Württemberg: Landratsamt oder Stadtkreis); in den Stadtstaaten nehmen die Bezirksverwaltungen (Berlin, Hamburg) bzw. die Ortsteile (Bremen) die Aufgaben der unteren Staatsbehörde wahr.

Die unteren Staatsbehörden sind mit der Abwicklung der Einzelfälle betraut, was schon aufgrund der räumlichen Nähe zum Bürger sachgerecht ist.

Beispiele

• Die Baubehörden entscheiden über die Erteilung von Baugenehmigungen; die Ausländerbehörden bearbeiten Anträge auf Erteilung einer Aufenthalts- oder einer Niederlassungserlaubnis.

• Im Bereich des SGB reichen oftmals die Versorgungs- und Integrationsämter als untere Landesbehörden familienpolitische Leistungen (z. B. Kindergeld, Elterngeld) oder Leistungen für Menschen mit Behinderung (z. B. Zuschüsse zur Umgestaltung von Arbeitsplätzen) aus.

Mittelbehörden

Zwischen den beiden genannten Ebenen sind in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen zusätzlich Mittelbehörden vorgesehen. In Baden-Württemberg und Hessen sind dies die Regierungspräsidien, in Bayern die Regierungen und in Nordrhein-Westfalen die Bezirksregierungen. Den Mittelbehörden kommt einerseits eine Aufsichtsfunktion über die unteren Verwaltungsbehörden zu; andererseits haben sie häufig eine koordinierende Funktion auf der regionalen Ebene. In einigen Fällen nehmen sie auch Einzelfallaufgaben wahr, für welche im örtlichen Bereich nur ein geringer Bedarf besteht, sodass staatliche Anlaufstellen auf regionaler Ebene als ausreichend angesehen werden.

Beispiel

Die Regierungen in Bayern sind Aufsichtsbehörden über die unteren Staatsbehörden sowie die Kommunalverwaltung. Gleichzeitig haben sie im Bereich der Zuwanderungspolitik den Auftrag zur regionalen Koordinierung der Förderung von Einzelmaßnahmen zur Verbesserung der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund.

Die Landesdirektion Sachsen sowie die Landesverwaltungsämter in Sachsen-Anhalt und Thüringen werden teilweise in erster Instanz und teilweise als Fachaufsichts- und Widerspruchsbehörde tätig. Da diese Ämter aber nicht regional, sondern landesweit zuständig sind, werden sie als „obere“ oder „höhere“ Landesbehörden bezeichnet.

Sonderbehörden

Unabhängig von dem üblichen zwei- oder dreistufigen Verwaltungsaufbau ist auf Bundes- wie auch auf Landesebene zusätzlich die Einrichtung von Sonderbehörden möglich, die keine nachgeordneten Stellen haben.

Beispiel

Beispiele sind das Bundesamt für Justiz (das unter anderem für grenzüberschreitende Angelegenheiten im Bereich von Jugendhilfe, Sorge- und Unterhaltsrecht zuständig ist), sowie die Landesjugend- oder die Landeskriminalämter.

2.1.2 Mittelbare Staatsverwaltung

Im Bereich der Sozialverwaltung haben sowohl der Bund als auch die Länder viele Aufgaben auf die sogenannte mittelbare Staatsverwaltung verlagert. Hintergrund ist, dass hinter vielen Sozialleistungen nicht der Staat als Leistungsträger steht, sondern die Solidargemeinschaft der Beitragszahler: Der gesamte Bereich der Sozialversicherungsleistungen wird nicht vom Staat aus Steuermitteln erbracht, sondern ganz überwiegend durch Beiträge finanziert, welche die Versicherten solidarisch einbezahlen.

Gerade im Bereich der Sozialversicherung stellt sich daher die Frage, ob es zu einem solchen, solidarisch ausgestalteten System „passen“ würde, wenn der Staat die von der Solidargemeinschaft finanzierten Leistungen mithilfe seines eigenen, hierarchischen Verwaltungssystems erbringt. Den Beitragszahlern sollten nämlich, wenn sie eine soziale Leistung schon aus eigenen Mitteln bewerkstelligen, auch Mitspracherechte hinsichtlich der Kriterien für die Leistungsvergabe, der Prioritätensetzung etc. zustehen. Derartige Partizipationsmöglichkeiten sind der streng hierarchischen staatlichen Verwaltung aber völlig fremd.

Daher wurde in Art. 87 Abs. 2 und 3 GG der Weg eröffnet, dass die auf dem Solidargedanken beruhenden Sozialversicherungsleistungen nicht durch die unmittelbare Staatsverwaltung (d. h. nicht durch den Staat als solchen) ausgereicht werden. Stattdessen hat der Staat rechtlich selbstständige und unabhängige Einrichtungen geschaffen, welche die Verwaltung der betreffenden Bereiche übernommen haben (vgl. § 29 Abs. 3 SGB IV). Nachdem die Sozialversicherung aber letztlich Leistungen der öffentlichen Vorsorge erbringt, für die an sich der Staat verantwortlich ist, spricht man insoweit von einer „mittelbaren Staatsverwaltung“: Der Staat nimmt seine Verantwortung für die Leistungserbringung zwar wahr, aber er verwaltet die Leistungen nicht selbst, sondern indirekt über rechtlich von ihm unabhängige Institutionen.

 

Zur mittelbaren Staatsverwaltung gehören die in Übersicht 3 dargestellten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Diese gibt es sowohl auf der Bundes- als auch auf der Landesebene.

Übersicht 3

Unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung


Körperschaften des öffentlichen Rechts

Im Bereich des Sozialrechts kommt den Körperschaften eine besonders wichtige Rolle zu. Letztlich wird fast das gesamte Sozialversicherungsrecht durch Körperschaften des öffentlichen Rechts verwaltet. Hierzu gehören

• die gesetzlichen Krankenkassen, welche die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) erbringen (§ 21 Abs. 2 SGB I),

• die bei den Krankenkassen errichteten Pflegekassen für die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem SGB XI (§ 21a Abs. 2 SGB I),

• die Unfallkassen für die gesetzliche Unfallversicherung nach dem SGB VII (§ 22 Abs. 2 SGB I) sowie

• die Rentenversicherung Bund (und weitere Stellen, vgl. § 23 Abs. 2 SGB I) für die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI).

Körperschaften sind dadurch gekennzeichnet, dass sie mitgliedschaftlich strukturiert sind (Merksatz: „Körperschaften haben Mitglieder“). Sie sind rechtlich unabhängig vom Staat und verwalten sich selbst (z. B. haben die gesetzlichen Krankenkassen die individuelle Möglichkeit, ihren Mitgliedern Beitragsrückerstattungen, Wahltarife oder Bonusprogramme zu gewähren). Sie können eigenes Personal beschäftigen und haben das Recht zur Verbeamtung von Mitarbeitern. Den Mitgliedern (z. B. den gesetzlich Kranken- oder Rentenversicherten) stehen über die Sozialwahlen (§ 45 SGB IV) Mitbestimmungs- und Kontrollbefugnisse zu.

Beispiel

Weitere Beispiele für Körperschaften sind die Rechtsanwalts-, Ärzte-, Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammer, die Hochschulen sowie die Bundesagentur für Arbeit (§ 367 Abs. 1 SGB III).

Neben diesen sogenannten Mitgliedskörperschaften spielen gerade im sozialen Bereich auch die sogenannten Gebietskörperschaften eine wichtige Rolle. Dies ist eine andere Bezeichnung für die Kommunen, also die kreisangehörigen Gemeinden, die Landkreise und die kreisfreien Städte. Bei diesen ergibt sich die Mitgliedschaft aus dem Wohnsitz. Die Einwohner der jeweiligen Gebietskörperschaft sind demnach deren Mitglieder. Sie üben ihre Mitgestaltungsrechte durch Kommunalwahlen aus (z. B. die Gemeinderats-, die Kreistags- oder die Bürgermeisterwahlen). Auch die Kommunen sind rechtlich unabhängig vom Staat und können ihre örtlichen Angelegenheiten durch Satzungen selbstständig regeln (Art. 28 Abs. 2 GG, sog. kommunales Selbstverwaltungsrecht).

Im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit haben die Kommunen grundsätzlich den Auftrag der Daseinsvorsorge, d. h. sie sind verantwortlich für die Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Angeboten und Einrichtungen auf der lokalen Ebene. Im Einzelnen erfüllen die unterschiedlichen kommunalen Ebenen ihre sozialen Aufgaben entsprechend dem örtlichen Bedarf und ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten.

Beispiel

Beispiele für soziale Aufgaben der kreisangehörigen Gemeinden und Städte:

In Bayern sind die Versorgung mit Kindertagesstätten und die Jugendarbeit den kreisangehörigen Gemeinden zugewiesen, da insoweit auch in den kleinen Gemeinden und Städten ein großer Bedarf vor Ort besteht. Viele kreisangehörige Kommunen halten darüber hinaus Angebote der Behinderten- und Seniorenarbeit vor, die v.a. durch ehrenamtliches Engagement („Nachbarschaftshilfe“; „Ehrenamtsbörse“) geprägt sind.

Die Landkreise und kreisfreien Städte nehmen dagegen vor allem die Aufgaben des örtlichen Trägers der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Sozialhilfe wahr. Sie werden aber auch als örtliche Krankenhaus- und Schulträger tätig.

Den Landratsämtern bzw. der Verwaltung der kreisfreien Städte kommt also eine Doppelfunktion zu: Einerseits sind sie als untere Staatsbehörde Teil der unmittelbaren Landesverwaltung. Zugleich sind sie aber auch die zuständige Stelle des Landkreises bzw. der Stadt als Gebietskörperschaft für deren kommunale Aufgaben. Das Landratsamt bzw. die Verwaltung der kreisfreien Stadt vereint rechtlich gesehen somit je zwei Behörden mit völlig unterschiedlichen Aufgaben unter einem Dach. Nach außen wird dies dadurch sichtbar, dass die Landratsämter je nach Aufgabenbereich das Briefpapier mit dem Wappen des jeweiligen Bundeslandes oder eben dem Landkreiswappen verwenden. Die Staatsaufgaben werden durch vom Land bezahltes Personal erledigt, die kommunalen Aufgaben durch Beschäftigte des Landkreises bzw. der Stadt.

In Bayern gibt es mit den Bezirken eine weitere Ebene kommunaler Gebietskörperschaften. Diesen ist im sozialen Bereich vor allem die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung sowie die Versorgung mit Kliniken für psychisch kranke Menschen zugewiesen. Die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen haben eine ganze Reihe sozialer Aufgaben von der unmittelbaren Staatsverwaltung auf die kommunale Ebene delegiert. Zu diesem Zweck wurden der Kommunalverband für Jugend und Soziales (Baden-Württemberg), der Landeswohlfahrtsverband (Hessen), der Kommunale Sozialverbund (Mecklenburg-Vorpommern) und die Landschaftsverbände (Nordrhein-Westfalen) eingerichtet, die bspw. als überörtliche Jugendhilfe- und Sozialhilfeträger agieren, die Aufgaben des Integrationsamts übernehmen oder das soziale Entschädigungsrecht (z. B. nach dem Opferentschädigungsgesetz) vollziehen. Diese Option der „Kommunalisierung“ staatlicher Aufgaben ist durch die Länderhoheit im Bereich der Verwaltung gedeckt.

Anstalten des öffentlichen Rechts

Auch die Anstalten des öffentlichen Rechts sind vom Staat rechtlich unabhängige Organisationen, die öffentliche Aufgaben erledigen. Anders als bei den Körperschaften steht bei den Anstalten jedoch nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (Mitgliedschaft in der Krankenkasse; Einwohner einer Kommune) im Vordergrund. Vielmehr haben Anstalten den Auftrag, der Bevölkerung bestimmte öffentliche Leistungen zur Nutzung zur Verfügung zu stellen (Merksatz: „Anstalten haben Nutzer“). Zu denken ist hier etwa an die früher weitverbreiteten öffentlichen Badeanstalten, die früheren Bildungsanstalten (Schulen, Hochschulen), die frühere „Bundesanstalt für Arbeit“ etc. Die Bedeutung der rechtlich selbstständigen Anstalten ist in den letzten Jahren allerdings zurückgegangen.

Beispiele

Klassische Beispiele sind weiterhin die öffentlichen (!) Rundfunkanstalten, die Studentenwerke, die Kreis- und Stadtsparkassen sowie das Technische Hilfswerk. Die Hochschulen sind dagegen inzwischen mitgliedschaftlich organisiert und daher zu Körperschaften geworden; die Bundesagentur für Arbeit hat sich trotz Umbenennung ihren Charakter als Anstalt bewahrt, obwohl sie rein rechtlich eine Körperschaft ist (§ 367 Abs. 1 SGB III).

Stiftungen des öffentlichen Rechts

Schließlich kann der Staat öffentliche Leistungen auch über Stiftungen des öffentlichen Rechts ausreichen (Merksatz: „Stiftungen haben Begünstigte“). Auch die Stiftungen des öffentlichen Rechts sind rechtlich und fachlich vom Staat unabhängig.

Beispiel

Beispiele sind etwa die Bundesstiftung „Mutter und Kind“, die Bayerische Landesstiftung, welche u. a. Projekte im sozialen Bereich bezuschusst, oder die von der Bayerischen Staatsregierung aus Privatisierungserlösen gegründete Stiftung „Bündnis für Kinder“, die gewaltpräventive Projekte unterstützt.

2.2 Private Organisationen und Privatpersonen

Auch Privatpersonen oder privatrechtliche Vereinigungen können hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Auch diese gehören damit zur mittelbaren Staatsverwaltung.

2.2.1 Beliehene

Das „prominenteste“ Beispiel für hoheitliche Aufgaben in privater Hand ist der TÜV, der als juristische Person des Privatrechts (Aktiengesellschaft) hoheitlich entscheiden kann, ob ein Kraftfahrzeug die erforderliche Prüfplakette nach § 29 StVZO erhält und damit weiter am Straßenverkehr teilnehmen darf oder nicht. Wenn privaten Organisationen oder Einzelpersonen durch das Gesetz oder auf der Grundlage eines Gesetzes hoheitliche Rechte übertragen („verliehen“) werden, spricht man von einer „Beleihung“. Der TÜV ist ein sogenannter „Beliehener“.

Beispiele

Weitere „klassische“ Beispiele für hoheitlich tätige Privatpersonen sind die Notare oder die Schornsteinfeger nach § 8 Abs. 2 des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes. Im psychosozialen Bereich ist die Befugnis der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen der freien Träger zur Ausstellung oder Verweigerung der Beratungsbescheinigung nach § 7 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) als hoheitliche Beleihung anzusehen.

2.2.2 Verwaltungshelfer

Privatpersonen können auch als sogenannte Verwaltungshelfer in die hoheitliche Tätigkeit der Verwaltung einbezogen werden. Im Unterschied zum Beliehenen trifft der Verwaltungshelfer aber keine eigenen Entscheidungen, sondern er hilft lediglich ehrenamtlich bei der Umsetzung öffentlicher Aufgaben durch die Behörden. Er wirkt nach außen wie ein Teil der Verwaltung und ist quasi als deren „Werkzeug“ tätig.

Beispiele

• Die klassischen Beispiele hierfür sind die in Bayern und Sachsen zur Unterstützung der Polizei eingerichtete ehrenamtliche Sicherheitswacht oder die Schulweghelfer. Im Bereich des SGB sind die Versicherungsältesten und Vertrauensleute nach § 40 SGB IV zu nennen.

• Bringt die Mitarbeiterin einer Kinderkrippe ein vom Jugendamt in Obhut genommenes Kind auf Bitte des Jugendamts zu einer Inobhutnahmestelle, so wird sie ebenfalls als Verwaltungshelferin tätig.

In der Literatur werden auch die im Auftrag der Polizei tätigen Abschleppunternehmen oder von der Bauverwaltung zur Durchsetzung einer Abrissverfügung eingesetzte Abrissunternehmen als Beispiele für Verwaltungshelfer genannt. Dies ist allerdings nicht unumstritten, weil diese regelmäßig eigene (Verdienst-)Interessen verfolgen und nach außen nicht wie ein Teil der Verwaltung wirken.

2.2.3 Freie Träger

Häufig erbringen freie Träger die an sich von den nach §§ 18 ff. SGB I verantwortlichen Leistungsträgen geschuldeten Sozialleistungen. Der nach dem Gesetz für die entsprechenden Leistungen eigentlich zuständige Leistungsträger koordiniert, finanziert und überwacht oftmals nur die Leistung, die durch den freien Träger als Leistungserbringer gewährt wird.

Beispiel

Im Bereich der Jugendhilfe werden die Jugendarbeit, Ehe-, Familien- und Erziehungsberatung, Heimerziehung und viele weitere Leitungen fast ausschließlich durch freie Träger erbracht (vgl. insoweit auch den „Subsidiaritätsgrundsatz“ in § 4 Abs. 2 SGB VIII). Zuständiger Leistungsträger sind gemäß §§ 27 Abs. 2 SGB I und 85 Abs. 1 SGB VIII die örtlichen Jugendhilfeträger, d. h. die Landkreise und kreisfreien Städte. Diese haben aber als verantwortliche Stellen lediglich sicherzustellen, dass die Leistungen tatsächlich bedarfsgerecht vorgehalten werden und ein etwaiger Leistungsanspruch betroffener Bürger erfüllt wird. Sie müssen die Leistung aber nicht zwingend selbst und durch eigenes Personal erbringen.

Ähnlich liegt es bei den Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung: Für die entsprechenden Qualifizierungsangebote sind die Agenturen für Arbeit verantwortlich (§ 19 SGB I); oftmals erbringen aber freie Weiterbildungsträger die entsprechenden Leistungen.

In dieser Situation sind die freien Träger nicht als Beliehene anzusehen, denn sie entscheiden nicht, ob dem Einzelnen eine Leistung zusteht oder nicht. Sie haben keine entsprechenden Hoheitsrechte. Auch als Verwaltungshelfer können sie nicht bezeichnet werden, denn sie unterstützen die Verwaltung nicht bei deren Leistungserbringung, sondern sie handeln rechtlich unabhängig, selbstständig und aus einem wirtschaftlichen Eigeninteresse bzw. karitativem Selbstverständnis heraus; sie sind also nicht als reines „Werkzeug“ der Verwaltung anzusehen. In der Regel erfolgt die Leistungserbringung der freien Träger aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Vertrages mit dem zuständigen Leistungsträger (Kap. 10.2.1).

 

Werden die hoheitlichen Aufgaben der Leistungsträger auf freie Träger als Leistungserbringer übertragen, entsteht gegenüber dem Bürger das sogenannte „sozialrechtliche Leistungsdreieck“ (Übersicht 4): Der Bürger hat einen Rechtsanspruch auf Sozialleistungen nur gegenüber dem gesetzlich bestimmten Leistungsträger. Dieser tritt jedoch häufig nicht selbst als Leistungserbringer in Erscheinung. Gleichwohl hat er die Letztverantwortung, dass die jeweils geschuldete Sozialleistung ordnungsgemäß und rechtmäßig durch den „zwischengeschalteten“ Leistungserbringer erbracht wird.

Beispiel

Kinder haben gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII ab dem ersten Lebensjahr bis zum Schuleintritt einen Rechtsanspruch gegen den örtlichen Jugendhilfeträger auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung. Der nach §§ 27 Abs. 2 SGB I und 85 Abs. 1 SGB VIII zuständige Leistungsträger (Landkreis oder kreisfreie Stadt) ist rechtlich verantwortlich dafür, dass dieser Anspruch erfüllt wird. Er muss die erforderliche Zahl an Betreuungsplätzen vorhalten, diese aber nicht selbst einrichten. Er kann insoweit auf kommunale Träger (z. B. kreisangehörige Gemeinden), freie Träger (z. B. Diakonie, Caritas, Arbeiterwohlfahrt usw.) oder Privatpersonen (Tagesmütter) zurückgreifen. Diese kann er für die entsprechenden Leistungen bezahlen oder bezuschussen. Entscheidend ist lediglich, dass das erforderliche Platzangebot tatsächlich vorhanden ist.

Übersicht 4

Das Leistungsdreieck im Sozialrecht


2.3 System der Aufsicht

Um die ordnungsgemäße Erfüllung aller Verwaltungsaufgaben sicherzustellen, hat es sich bewährt, nicht nur die Gerichte über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns im Einzelfall entscheiden zu lassen. Vielmehr hat die Verwaltung eigene Mechanismen zur Steuerung und Planung von Aufgaben, zur Bereitstellung von (sachlichen und personellen) Ressourcen sowie zur internen Kontrolle von Behörden entwickelt. Diese werden mit dem Überbegriff der Aufsicht bezeichnet. Konkret lassen sich drei Bereiche der verwaltungsinternen Aufsicht unterscheiden (Übersicht 5).

Übersicht 5

Das System der Aufsicht

Dienstaufsicht (Weisungsrecht in Organisations- und Personalfragen): Nur in der unmittelbaren Staatsverwaltung

Rechtsaufsicht

(Rechtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns):

Auch gegenüber mittelbaren

Verwaltungsträgern/Kommunen

Fachaufsicht

(Fachlich-inhaltliche Kontrolle des Verwaltungshandelns):

Nur in der unmittelbaren Staatsverwaltung

2.3.1 Dienstaufsicht

Die Dienstaufsicht bezieht sich auf die Steuerung und Überwachung der Aufgabenerfüllung in struktureller und personeller Hinsicht. Sie betrifft die Frage, wie die einzelnen Behörden organisatorisch gegliedert sind und soll sicherstellen, dass in den Dienststellen eine ordnungsgemäße Sach- und Personalausstattung vorgehalten wird. Ziel ist, dass die Behörden ihre Aufgaben zeitlich sowie organisatorisch ordnungsgemäß erledigen. Zu diesem Zweck dürfen die übergeordneten Staatsbehörden in der unmittelbaren Staatsverwaltung dem nachgeordneten Bereich bspw. Weisungen erteilen, Prioritäten vorgeben und Personalmehrungen (aber auch Reduzierungen!) beschließen.

Beispiel

Wird eine neue Sozialleistung eingeführt (etwa im August 2013 das inzwischen wieder aufgegebene Betreuungsgeld), so hat die zuständige Behörde die Bearbeitung dieser Leistung sicherzustellen. Das übergeordnete Ministerium darf der zuständigen Stelle insoweit vorgeben, dass sie für die neue Aufgabe eine bestimmte Zahl von Mitarbeitern einzuteilen hat und dass diese aus weniger prioritären Bereichen abgezogen werden. Diese Vorgabe des Ministeriums betrifft die Behördenstruktur und ist daher durch die Möglichkeit der Dienstaufsicht abgedeckt.

Die mittelbare Staatsverwaltung (d. h. die Anstalten, Stiftungen und Körperschaften einschließlich der Kommunen) unterliegt nicht der staatlichen Dienstaufsicht, denn sie ist rechtlich vom Staat unabhängig und daher selbst für die Organisation ihrer Aufgaben sowie der entsprechenden Prioritäten zuständig. Die Dienstaufsicht obliegt hier deshalb der Leitung der jeweiligen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung selbst.

2.3.2 Rechtsaufsicht

Anders als die Dienstaufsicht, welche primär die Verwaltungsorganisation betrifft, dient die Rechtsaufsicht der Überwachung, dass die Verwaltung alle Aufgaben in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben erfüllt, so wie dies nach dem Rechtsstaatsprinzip (Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Kap. 5.1.1) geboten ist. Verstöße der Verwaltung gegen die Gesetze können somit einerseits vom betroffenen Bürger angegriffen werden (zu den Rechtsbehelfen: Kap. 8), andererseits aber auch ohne einen entsprechenden Antrag des Bürgers durch die Verwaltung selbst behoben werden (Kap. 9).

Da der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung von überragender Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit ist, obliegt dem Staat die Rechtsaufsicht auch dann, wenn er öffentliche Aufgaben im Wege der mittelbaren Staatsverwaltung erledigen lässt. Denn anderenfalls könnte sich der Staat jeder Verantwortung für ein rechtsstaatliches Verwaltungshandeln dadurch entziehen, dass er sämtliche öffentlichen Aufgaben auf Körperschaften, Anstalten oder Private überträgt. Dies kann nicht im Interesse des Grundgesetzes sein. Daher obliegt die Rechtsaufsicht nicht nur den übergeordneten Behörden im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung, sondern der Staat übt die Rechtsaufsicht auch über die Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus.

Beispiele

Dem Bundesversicherungsamt (Bundesbehörde) obliegt die Rechtsaufsicht über die gesetzlichen Krankenkassen, die bundesweit tätig sind; das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat die Rechtsaufsicht über die Bundesagentur für Arbeit. Die Rechtsaufsicht über die Jugendämter obliegt in den Ländern der Kommunalaufsicht, da die Landkreise und kreisfreien Städte als Kommunen die örtlichen Träger der Jugendhilfe sind.

2.3.3 Fachaufsicht

Die dritte Form verwaltungsinterner Aufsicht ist die Fachaufsicht. Diese befasst sich im Unterschied zur Rechtsaufsicht nicht mit der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns, sondern mit den dabei innerhalb des gesetzlichen Rahmens qualitativ zugrunde zu legenden Standards (d. h. mit der Frage, „wie“ fachlich vorgegangen wird). Auch hier gilt, dass im hierarchischen System der unmittelbaren Staatsverwaltung die oberen Behörden ihren nachgeordneten Stellen fachliche Anweisungen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit des Vorgehens geben dürfen.

Beispiel

Das Polizeipräsidium darf als vorgesetzte Behörde den nachgeordneten Inspektionen vorgeben, dass Vernehmungen von Frauen, die Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt geworden sind, nur durch weibliche Beschäftigte durchgeführt werden sollen.

Im Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung darf sich der Staat nicht in die fachliche Aufgabenerledigung einmischen. Er hat insoweit wiederum die rechtliche Selbstständigkeit der Körperschaften (einschließlich der Kommunen!), Anstalten und Stiftungen zu beachten.

Beispiel

Gemäß § 8a Abs. 1 SGB VIII muss sich das Jugendamt bei Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung erforderlichenfalls einen Eindruck von der Situation des Kindes in seiner Umgebung machen, z. B. durch einen Hausbesuch. Detaillierte fachliche Anforderungen an diesen stellt das Gesetz nicht. Daher könnte die Fachaufsicht bspw. vorgeben, dass ein Hausbesuch stets durch zwei Fachkräfte, in der Regel je eine männliche und eine weibliche gemeinsam, vorzunehmen ist. Nachdem die Jugendhilfe den Landkreisen und kreisfreien Städten zugewiesen ist und diese somit als Kommunen (d. h. in mittelbarer Staatsverwaltung) tätig werden, darf das zuständige Landesjugendministerium dem Jugendamt keine entsprechenden fachlichen Vorgaben machen. Dieses Recht steht nur dem Landrat oder Bürgermeister bzw. dem Jugendhilfeausschuss (§ 70 Abs. 2 SGB VIII) des Kreises oder der kreisfreien Stadt zu.