Seewölfe - Piraten der Weltmeere 254

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 254
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-590-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

1.

Der Kutscher und Feldscher der „Isabella VIII.“ stand mit großen leuchtenden Augen am Schanzkleid der Backbordseite und sah verlangend zur östlichen Nilseite hinüber. Die Hände hatte er vor dem Bauch gefaltet, sein Mund war vor Staunen leicht geöffnet, denn das, was da in der felsigen Landschaft auftauchte, nötigte ihm wieder einmal großen Respekt ab.

Er hatte die Karte mit den Wundern Ägyptens im Kopf. Er kannte sie auswendig und hatte sich den Namen jedes Bauwerkes und Tempels genau gemerkt. Auch über die Geschichte hatte er alles zusammengekratzt, was er nur in Erfahrung bringen konnte.

Jetzt brach es fast leidenschaftlich aus ihm heraus.

„Der Tempel Amenophis’ des Dritten! Phantastisch, kolossal beeindrukkend!“

Er sprach ins Blaue hinein, und merkte nicht, daß er in seiner unmittelbaren Nähe wieder Zuhörer hatte, die seine Begeisterung nicht unbedingt teilten.

Einer von ihnen war der Profos und Zuchtmeister Edwin Carberry.

Er gähnte zu des Kutschers Worten laut und ungeniert. Dabei riß er sein Maul so weit auf, daß ein ausgewachsener Stint darin Platz gehabt hätte.

„Scheißhitze, ganz verdammte“, brummte er ungehalten.

Der Kutscher hörte das nicht, er schwärmte weiter, unberührt von Carberrys eingeflochtenen Bemerkungen.

„Ein bemerkenswerter Pharao. Was der alles geleistet hat!“

„Ein Faß eiskaltes Dünnbier würde ich jetzt aussaufen“, brummte der Profos genießerisch.

„Er hatte eine Hauptfrau, sie hieß Teje. Und als Nebenfrauen zuerst die Schwester und später auch die Tochter des Königs von Babylon. Ah, wie hieß er doch gleich?“

„Affenarsch, verdammt nochmal“, brummte Ed. „Hau ab“, sagte er zu dem Affen, der auf seine Schulter gesprungen war und jetzt keckernd davonstob.

Der Kutscher zuckte peinlich berührt zusammen und sah direkt in Eds mürrisch verzogenes Gesicht.

„Ein wenig Respekt solltest du vor diesen Königen schon haben“, sagte er vorwurfsvoll und tadelnd. „Und erst recht vor ihren einmaligen Bauwerken.“

Carberry gähnte wieder laut und ungeniert. Seine Antwort jagte dem Kutscher einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken.

„Tempel, Bauwerke“, sagte Ed. „Was ist das schon, was, wie? Ein Haufen aufeinandergetürmter Steine. Eine Rattenburg, in der verlauste Wüstenfüchse hausen! Wenn ich einen Stein auf den anderen schmeiße, kriege ich auch so ein Ding zusammen, und wenn ich das jahrelang tue, dann wird es immer größer, und eines Tages steht so ein abgelaichter Flögel wie du davor, glotzt die Steine an und schreit vor Begeisterung die Welt voll. Mann, ich möchte jetzt lieber einen Orkan unter dem Achtersteven haben, als mir ständig diesen Karpfenteich ansehen zu müssen.“

Immer wenn der Kutscher und der Profos sich am Haken hatten, versammelte sich wie rein zufällig die halbe Mannschaft auf der Kuhl, um den Wortgefechten erfreut zu lauschen.

Mitunter wurde dann auch der Kutscher ausgesprochen biestig, wenn Ed nicht das geringste Verständnis für die Bauwerke aufbrachte.

Aber aus Carberrys Sicht sah das wieder anders aus.

Gut, er hatte jetzt jede Menge Tempel und Gräber und Pyramiden gesehen, und jetzt langte es ihm. Er gehörte hinaus auf die See, wo die Wogen gegen das Schiff anrannten, wo man sich immer wieder aufs neue täglich behaupten mußte. Und deshalb stank ihm dieser Fluß mit seinen tückischen Untiefen, seinen vielen Windungen und der brüllenden Hitze. Ganz abgesehen von dem heißen Wind, der nur unregelmäßig wehte, und den kahlen Felsen oder den Wüstenstrichen, die sich endlos am Ufer entlangzogen.

Der Kutscher hatte seinen Schreck überwunden und dozierte weiter: „Ach ja, Kadaschman-Enlil hieß der babylonische König.“

„Komisch“, knurrte Ed, „daß du das weißt. Bloß dein eigener Name ist dir bis heute noch nicht eingefallen.“

Die Anspielung, daß der Koch und Feldscher sich bisher immer nur als „Kutscher“ vorgestellt hatte, ließ den Kutscher kalt.

„Eines Tages wirst du ihn vielleicht noch erfahren“, sagte er gönnerhaft. „Aber stell dir vor: Dieser König heiratete außerdem noch die Schwester des Mitanni-Königs Tuschratta, und die zog mit mehr als dreihundert Mitanni-Mädchen in seinen Harem ein.“

„Na, dann war der Knabe ja wenigstens beschäftigt. Und jetzt soll ich mich für den Vortrag wohl noch überschwenglich bedanken, was?“

„Mein Gott, Ed“, sagte der Kutscher kopfschüttelnd. „Was bist du nur für ein grober Klotz! Ich will dir ja wirklich nicht zu nahetreten, aber ich glaube, dich hat die Hebamme damals mit dem Vorschlaghammer zur Welt gebracht.“

Die Umstehenden hieben sich auf die Schenkel und brüllten voller Begeisterung.

„Richtig“, sagte der Profos grinsend. „Und zwar auf einem riesengroßen Amboß. Aber dich haben sie wahrscheinlich im Hühnerstall gefunden und aus lauter Mitleid ausgebrütet. Und was kam dabei heraus? Ein kleines, mickriges, hühnerbrüstiges Rübenschwein, das heute groß am Nil herumtönt und angibt, was es alles weiß.“

Gary Andrews lachte dröhnend. Smoky fiel mit ein, Matt Davies, und schließlich lachte der ganze Chor, bis der Kutscher biestige Augen kriegte.

Zum Erstaunen aller hatte er keine geharnischte Antwort bereit, und da blieb sogar Carberry die Spucke weg, denn der Kutscher drehte ihnen den Rücken zu und starrte wieder auf den Tempel Amenophis’ des Dritten, der jetzt immer deutlicher zu erkennen war.

Die „Isabella“ quälte sich den Nil hinauf, der heiße, schwach wehende Wind brachte sie schlecht voran. Dabei war es erst morgens in aller Frühe, und es versprach wieder einmal, ein unangenehm heißer Tag zu werden.

Aus der Vorpiek drang urplötzlich lautes Gebrüll. Es wurde an das Schott gehämmert und geklopft, und arabische Stimmen brüllten wüst durcheinander.

Hasard stieß tief die Luft aus, dann nickte er Carberry zu.

„Laß die Gefangenen an Deck, Ed“, sagte er. „Aber vergeßt die erforderliche Vorsicht nicht.“

Dieses Dutzend Männer, die sie an Bord hatten, waren Grabräuber der übelsten Sorte, und sie hatten sie nicht freiwillig an Bord.

An der Pier in Theben hatte ein türkischer Offizier unter sanftem Druck den Seewolf dazu „überredet“, die Grabräuber bis zum ersten Katarakt mitzunehmen. Dort sollten sie abgeholt und weiter nach Nubien gebracht werden. Was den Kerlen dort bevorstand, wußte an Bord mittlerweile jeder.

Sie wurden in die oberägyptischen Gold- und Kupferminen verfrachtet, und damit waren ihre Tage gezählt. Von dort kehrte nur ganz selten jemand wieder zurück. Einen davon gab es an Bord, das war der Nubier Halef, ein Kerl wie aus gehämmerter Bronze, mit wildem verwegenen Gesicht, in der Gestalt dem Gambianeger Batuti ähnlich – was das Aussehen betraf –, im Charakter genau das Gegenteil.

Er war einer von denen, die sich am tollsten gebärdeten, denn der Nubier Halef hatte gute Gründe, die Reise nicht fortzusetzen. Er kannte die Gold- und Kupferminen, die unglaublichen Strapazen, die brutalen Gaffire, die pausenlos ihre Peitschen schwangen, und er kannte auch die Knochenarbeit, die kein Mensch lange durchhielt.

Ihm war die Flucht gelungen, und er hatte sich wieder auf die einträgliche Grabräuberei verlegt.

Dann, im Tal der Könige, hatten sie ihn erwischt, und seitdem befand er sich mit elf anderen Kerlen auf der „Isabella“.

Hasard lagen diese renitenten, ständig brüllenden und tobenden Kerle schwer im Magen. Er wünschte nichts sehnlicher, als sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden.

Doch noch war der erste Katarakt nicht erreicht. So schwach, wie der Wind blies, würde es wohl auch noch eine geraume Weile dauern, überlegte er.

Der Profos ging nach vorn, in Begleitung von Smoky, Shane und Ferris Tukker, denn den Burschen war nicht zu trauen, das hatten sie schon bewiesen.

Der Kutscher riß sich seufzend vom Anblick des Tempels los und brachte den Kessel voll Hirsebrei an Deck, der für die Gefangenen bestimmt war. Das Essen, das die Seewölfe morgens kriegten, verschmähten die Burschen und sahen es verächtlich an.

Carberry öffnete das verriegelte Schott zur Vorpiek. Hinter dem Niedergang stand Smoky, einen Radschloßdrehling in der Hand. Big Old Shane hielt in seinen mächtigen Fäusten eine Spillspake und schien nur darauf zu warten, daß einer der Kerle frech wurde.

Der Profos selbst hielt das Entermesser in der Faust, und sein narbiges Gesicht sah so grimmig aus, daß es nicht ratsam schien, sich mit ihm anzulegen.

 

Der breitschultrige, muskelbepackte und schweißtriefende Nubier Halef trat als erster aus der Vorpiek. Er maß Carberry mit einem schnellen Blick, in dem unbändiger Haß lag, und entblößte seine Zähne zu einem schaurigen Grinsen.

„Benimm dich anständig, Freundchen“, sagte der Profos ganz sanft, und dieser sanfte Klang in der Stimme verhieß absolut nichts Gutes.

„Sei ganz friedlich, sonst klopf ich dich zu Dattelmus.“

Natürlich verstand der Nubier kein Wort, aber er begriff ungefähr, was dieser narbige Riese damit ausdrücken wollte.

Schleichend wie eine schwarze Raubkatze bewegte er sich zum Niedergang, gefolgt von den anderen.

Nur einer verhielt sich nicht ruhig, ein Kerl in einem abgerissenen, löcherigen und schmutzigen Nachthemd, wie der Profos die Kaftans, Burnusse und Djelabas zu bezeichnen pflegte. Er brüllte und schrie Schimpfworte in seiner Sprache, drohte dem Profos mit der Faust und fluchte wild.

Als das Fluchen kein Ende nahm, griff Carberry zu. Er erwischte den Kerl an seinem langen schwarzen Spitzbart und drehte ihn zu einem Knebel zusammen, bis dem Grabräuber das Wasser in die Augen schoß. Ed zog ihn am Bart noch weiter herunter, dann schlug er ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. Es war nur das, was der Profos als Fliegentatscher bezeichnete, aber es langte auch für eine fünf Fuß große Fliege.

Ed hörte Zähne aufeinanderklappern, dann ein winselndes Geheul, und im nächsten Augenblick lag der Kerl fast ohnmächtig auf den Planken.

„So, du verwanzter Nilpanscher“, sagte er. „Hier wird nicht geflucht, dafür bin ich zuständig und sonst niemand. Merk dir das, du wandelndes Nachthemd.“

Er riß den Kerl wieder hoch und beförderte ihn weiter zum Niedergang hinauf.

Dort blinzelten die Burschen mit zusammengekniffenen Augen in das grelle Sonnenlicht. Der Nubier sah sich langsam nach allen Seiten um, entdeckte dann aber, daß einer der Giaurs eine Drehbasse auf die Meute gerichtet hielt und die anderen ebenfalls bewaffnet waren. Noch war also seine Zeit nicht reif, überlegte er. Zuerst mußten sie diese Kerle in Sicherheit wiegen.

Einem anderen Mann warf er einen warnenden Blick zu und sagte etwas zu ihm. Daraufhin schüttelte er schnell den Kopf.

„Hast du verstanden, was er sagte?“ fragte der Seewolf seinen Sohn Hasard.

„So ungefähr, Dad, Sir. Er sagte, der andere solle sich benehmen, sie könnten jetzt keinen Ärger brauchen. Die letzten Worte habe ich nicht mehr ganz mitgekriegt.“

„Das wundert mich eigentlich bei den Kerlen“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Merkwürdig, daß sie plötzlich so friedlich sind.“

„Oder sich nur so friedlich geben“, sagte Dan O’Flynn. „Damit wollen sie uns in Sicherheit wiegen.“

„Sehr wahrscheinlich“, räumte Hasard ein. „Nun, wir werden schon auf diese Burschen aufpassen.“

Er sah wieder zum Profos hin. Der Kerl mit dem schwarzen Spitzbart gab immer noch keine Ruhe. Sein Gesicht war von Haß, Wut und Schmerz verzerrt, und er legte sich tatsächlich noch einmal mit dem Profos Edwin Carberry an. Wahrscheinlich hatte er seine Lektion noch nicht richtig gelernt.

„Jetzt reicht’s mir aber“, hörte er Ed sagen. „Wenn du fusselbärtiger Flohträger jetzt nicht ruhig bist, dann setzt es was mit der Neunschwänzigen. Das ist dieses liebliche Mädchen hier.“

Er zog die Neunschwänzige von der Nagelbank und hielt sie dem Fusselbärtigen unter die Nase.

Der Nubier Halef sagte wieder etwas, diesmal in etwas schärferem Tonfall. Daraufhin schwieg der Kerl für eine Weile.

Der Kutscher brachte den Kessel mit Hirsebrei an Deck, hatte auch etwas Hammelfleisch darunter gemengt und das Ganze nach arabischer Art scharf gewürzt.

Carberry zog den dampfenden Kessel weiter bis zur Kuhlgräting. Sein großer Daumen zeigte abwärts, was so viel heißen sollte, daß die Kerle sich gefälligst hinsetzen sollten.

Die hölzernen Löffel, die der Kutscher ihnen reichte, beachteten sie nicht. Sie langten mit den Fingern in den heißen Hirsebrei, drückten ihn zu Kugeln zusammen und schoben sich die Klumpen dann gierig in den Mund.

„Jedem das Seine“, meinte der Kutscher und blickte zu Smoky hinüber, der die Grabräuber aus schmalen Augen musterte und keinen einzigen Blick von ihnen ließ.

Schon nach den ersten Bissen sahen die Planken der Kuhl aus, als hätte hier eine Hammelherde gewütet. Carberry und Smoky sahen es mit immer größerem Mißfallen.

Die kohlschwarzen Augen des Nubiers musterten unter halbgeschlossenen Lidern jeden einzelnen Mann der „Isabella“, huschten weiter über die Decks und registrierten jede Bewegung.

Der Mann war äußerst gefährlich, das wußten sie alle. Er verfügte über ähnliche Bärenkräfte wie Batuti, denn die harte Arbeit in den Bergwerken hatte ihn zu einem Kerl aus Eisen werden lassen und seine Kondition überhaupt nicht geschwächt.

Die Kerle ließen absichtlich Hirsebrei auf die Planken fallen, damit es schön klebte und sie die Seewölfe ein wenig provozieren konnten. Und wie unabsichtlich verwischten sie das klebrige Zeug dann zu einem feuchten Papp.

Ben Brighton verließ das Achterdeck. Der gedrungen wirkende Erste Offizier und Stellvertreter Hasards wirkte freundlich und nett, und in seinem Mundwinkel stand sogar ein Lächeln. Jedenfalls sah das für diejenigen so aus, die ihn nicht kannten. Die Grabräuber kannten Ben noch nicht näher, aber sie schlossen seine Bekanntschaft recht überraschend schnell, und da erst begannen sie zu ahnen, was es mit diesem schiefen Grinsen auf sich hatte.

„Immer wenn diese Kerle fressen“, sagte Ben zum Profos, „ich sage ganz bewußt fressen, denn sie essen nicht, dann sieht das Deck hinterher so aus wie ein lange nicht mehr ausgemisteter Saustall. Und dieser Kerl mit dem Rattenbart setzt sich jetzt auch noch genau mit dem Achtersteven in den Brei und drückt ihn platt. Du wirst es diesen Kerlen nachher beibiegen, Mister Profos, wie die Planken hinterher auszusehen haben.“

„Darauf kannst du dich verlassen, Mister Brighton“, knurrte der Profos grimmig. „Ich kann sie auch einzeln mit der Visage in den Trog stecken, bis sie satt sind.“

Der Fusselbärtige, der den Stunk angefangen hatte, sah Ben aus tückischen Augen an. Dann griff er mit einer Hand in den Hirsebrei, stopfte sich etwas davon in den Mund und ließ den Rest achtlos auf die Planken fallen. Wie unabsichtlich stützte er sich dann mit der Hand darauf.

Der Profos griff zur Neunschwänzigen, aber Ben war näher an dem Fusselbärtigen dran, und so packte er mit der Hand dessen mageres Genick. Aus seiner Hockstellung drückte er den Grabräuber nieder, bis sich dessen Rückgrat wie ein Papyrusrohr durchbog und seine Zähne die Planken berührten.

„Friß ruhig weiter“, sagte er trokken und griff mit der anderen Hand nach einem Tampen. „Ich habe es satt, mich von euch provozieren zu lassen. Damit du es dir besser merkst, werden wir jetzt mal das nubische Tampentänzchen spielen.“

Diesmal staunte sogar der Profos, und er konnte es Ben nicht verübeln, daß der jetzt in Rage geriet. Ihn selbst juckte es auch schon lange in den Fäusten, und er bedauerte lebhaft, daß Ben ihm die Arbeit abnahm.

Ben Brighton zog dem gehässigen Burschen blitzschnell hintereinander fünf Schläge mit dem Tampen über. Der Kerl schrie und winselte, und nach der Prozedur sah er nicht viel anders aus, als hätte ihn der Profos mit der Neunschwänzigen behandelt. Das nubische Tänzchen begann er anschließend, als Ben ihn losließ. Er hüpfte durch die Kuhl, rutschte in dem verschmierten Brei aus und landete mit dem Achtersteven in dem Hirsebreikessel.

„Guten Appetit“, wünschte der Profos trocken. „Nachher werdet ihr oberägyptischen Kanalratten das Deck schrubben, das verspreche ich euch, und die Planken werden so weiß wie Mehl sein, ihr Rübenschweine, das verspreche ich euch ebenfalls.“

„Laß die Kerle jetzt trinken, Ed“, sagte Ben, „und anschließend können sie auf den Abtritt gehen. Du achtest mir darauf, daß er sauber bleibt, Smoky, und daß die Burschen ihn nachher auch wieder reinigen.“

Der Decksälteste fluchte leise und schickte drohende Blicke zu den geduckt dastehenden Grabräubern.

„Mann“, sagte er entrüstet, „ich bin doch nicht der oberägyptische Fäkalien-Verwalter von diesen Halunken.“

„Die Kerle reinigen alles selbst“, sagte Ben. „Du kannst ihnen ja die Ohren langziehen, wenn sie aufsässig werden.“

Es war ein Kreuz mit diesen Kerlen, und sie hofften nur, sie so schnell wie möglich loszuwerden, doch das würde sicher noch eine Weile auf sich warten lassen.

Trotz der Prügel ging der Ärger weiter, als Carberry die Kerle zum Wasserfaß dirigierte. Zwar hielt sich der Fusselbärtige jetzt etwas zurück, dafür wurde ein anderer aufsässig, ein Kerl, der so dreckig aussah wie die Gräber, in denen er nachts heimlich herumgebuddelt hatte.

Carberry schöpfte das Trinkwasser mit der Kelle in einen Krug, der reihum gereicht werden sollte, denn an die Kelle sollte keine dieser „verlausten Grabräuberschnauzen“ gelangen, wie er verkündete.

Der Dreckige verweigerte das Wasser, sah Ed tückisch an, beugte dann den Kopf vor und spie verächtlich in den Krug. Er hatte den Mund noch nicht richtig geschlossen, da sorgte Carberry dafür, daß er ihn schloß, und er tat es auf seine Weise. Er holte aus und verpaßte dem Drekkigen ein mächtiges Ding auf die Ohren.

Für den aufsässigen Grabräuber wurde die Welt in Watte gepackt. Das Rauschen der Bugwelle hörte schlagartig auf, jedes noch so laute oder leise Geräusch erstarb, und die anderen bewegten nur noch die Lippen, ohne daß er einen Ton hörte. Gleichzeitig wurde es auch dunkel um ihn, denn die Maulschelle setzte seinen Körper blitzschnell in Bewegung, und er segelte schneller als die „Isabella“ unter vollem Preß. Am Schanzkleid blieb er benommen liegen.

„Dieses Rübenschwein“, sagte Ed zu Smoky, „wird nachher den Abtritt säubern. Nimm ihn dir ganz besonders gut vor, Smoky.“

„Dafür wird bestens gesorgt, Ed.“

Da die meisten der Kerle Nilwasser verlangten, gab es keine weiteren Probleme mehr, denn davon hatten sie genug.

Carberry warf immer wieder dem hünenhaften Nubier einen Blick zu, doch der verhielt sich ausgesprochen still und fast sittsam.

Und er scheuerte auch mit einem Fleiß zusammen mit den anderen die Planken, daß Ed nicht mehr so richtig wußte, wie er mit dem Kerl dran war.

Das war jedoch nur die Ruhe vor dem Sturm, denn mit den Kerlen sollte es noch viel mehr Ärger geben.

2.

Am nächsten Morgen schob eine ganz sanfte lauwarme Brise die „Isabella“ ein klein wenig schneller den Strom hinauf. Alle nahmen es erleichtert zur Kenntnis, denn mitunter quälten sie sich nur noch mühsam nilaufwärts.

Die Freude über das etwas schnellere Fortbewegen wurde jedoch gleich darauf wieder durch die Grabräuber getrübt. Sie veranstalteten ihren morgendlichen Höllenlärm, und der Krach aus der Vorpiek war bis aufs Achterdeck zu hören.

„Ich weiß nicht“, sagte Hasard zu Ed, „ob wir die Kerle nicht einfach in der Piek lassen sollen, bis wir den Katarakt erreicht haben. Zum Teufel mit aller Humanitätsduselei, aber diese Burschen legen es nur darauf an, uns ständig zu provozieren, das Deck zu versauen und uns Ärger zu bereiten. Jetzt geht der verdammte Krach schon wieder los.“

Der Profos nickte. Sein Gesicht sah düster aus, und er stemmte die mächtigen Fäuste in die Hüften.

„Ich habe schon mit Ben gestern darüber gesprochen, aber die Hitze da unten ist eine Zumutung. Da erstickt man fast. Ich schlage vor, wir sollten ein Exempel stationieren und …“

„Statuieren“, sagte der Seewolf lächelnd.

„Wie? Ach so. Jedenfalls meine ich, daß wir uns zwei oder drei dieser Buschklepper herauspicken, die ganz besonders aufsässig sind, sie an den Mast binden und so lange durchpeitschen, bis selbst den anderen das Wasser in die Augen tritt. Vielleicht merken sie es sich dann leichter, daß an Bord Disziplin und Sauberkeit herrschen.“

„Ja, ich weiß“, sagte Hasard. „In der Piek ist es kaum zum Aushalten, da erstickt man wirklich noch, und ich möchte da unten keinesfalls übernachten. Dein Vorschlag geht in Ordnung, Ed. Wenn die Kerle sich heute wieder so benehmen wie gestern, dann suchst du dir die Stänkerer heraus und ziehst jedem zehn Hiebe über. Du brauchst dabei nicht zimperlich zu sein. Nimm dir vor allem diesen Halef vor, denn er ist der Anführer der Bande.“

 

„Gestern hat er sich sehr gesittet benommen“, sagte Ed, „wenn man das so ausdrücken will. Aber er ist trotzdem die treibende Kraft. Ich werde ihn im Auge behalten.“

Carberry beugte den Oberkörper leicht vor und lauschte.

„Himmel, ist das ein Krach“, meinte er dann, „das hört sich ja an, als hätten sie das ganze Vorschiff zertrümmert. Vielleicht lasse ich doch noch ein paar der Halunken in Eisen legen.“

Ohne ein weiteres Wort verließ er das Achterdeck, durchquerte die Kuhl und war entsetzt über den Radau, der aus dem Vorschiff drang. Big Old Shane folgte dem Profos, der Gambianeger Batuti schloß sich an, und vorn lauerte Smoky mit einer Spake in der Hand und einem wütend verzogenen Gesicht.

„Die sind nicht mehr normal, diese lausigen Hurenböcke“, sagte er. „Denen hat die Hitze das Gehirn eingetrocknet.“

„Die werden gleich ihr blaues Wunder erleben“, versprach der Profos grimmig. Die Neunschwänzige hatte er bereits in den Pranken, hielt den Hartholzstiel fest und zog die Lederriemen durch die linke Hand.

Ohrenbetäubendes Poltern, Bersten und Krachen waren zu hören. Dazwischen erklang Gebrüll, das sie fast taub werden ließ. Dann herrschte ganz plötzlich Ruhe. Ein paar Sekunden später schrien wieder Stimmen durcheinander.

Hasard und Philip waren den Männern nach vorn gefolgt. Die Zwillinge glaubten, eine Horde wilder Teufel befände sich da unten oder Dämonen der Hölle, wie der alte O’Flynn behauptet hatte. Alle beide blieben lauschend stehen.

Das Geschrei verstummte wieder, dann sprach eine Stimme, die zweifellos dem Nubier gehörte. Ein wenig panische Angst sprach aus der Stimme, aber auch verhaltene Wut.

Die Zwillinge sahen sich entsetzt an.

„Hast du auch verstanden, was ich verstanden habe?“ fragte Hasard seinen Bruder.

„Ja, genau“, sagte Philip stotternd.

Carberry sah die beiden drohend an.

„Wollt ihr Würstchen uns vielleicht freundlicherweise an euren Erkenntnissen teilhaben lassen?“ fragte er. „Was, zum Teufel, habt ihr also verstanden, was, wie?“

„Sie haben einen Toten“, sagte Hasard junior ächzend. „Und deshalb wollen sie raus.“

„Ja, das stimmt, so hat sich der Nubier ausgedrückt“, sagte Philip leicht beklommen.

„Verdammt, dann ist der Mann erstickt“, murmelte der Profos. „Wie ich schon fast vermutet habe. Das hat uns gerade noch gefehlt.“

„Deshalb dieser nervtötende Krach“, sagte Matt Davies. „Die sind alle zusammen auf die Gräting gesprungen, und das hörte sich so an, als sei das ganze …“

Carberry hörte nicht mehr zu. Gefolgt von Shane, Batuti und Smoky lief er zum Schott der Piek und fummelte an der schweren schmiedeeisernen Verriegelung.

Dabei drehte er sich um und rief dem Deckältesten über die Schulter zu: „Gut aufpassen, Smoky, und ihr anderen auch!“

Dann schob er den Riegel zurück und blickte in die Finsternis. Eine Sekunde lang drang ihm erbärmlicher Gestank in die Nase, und er hielt unwillkürlich die Luft an.

Er hielt sie auch gleich weiterhin an, denn kaum hatte sich das Schott geöffnet, erhielt auch der gewiefte Profos seine Lehre. Es ging alles so blitzschnell, daß er nicht mehr denken konnte.

Auf seinem Schädel landete krachend und splitternd ein grober Holzprügel, der in Bruchstücken nach allen Seiten davonflog.

Bevor er noch die Hand schützend hochheben konnte, knallte ein zweiter, ebenso harter Prügel auf seinen Schädel. Eine brüllende, tobende, um sich schlagende und drängende Masse begrub ihn unter sich und trampelte auf ihm herum.

Innerhalb einer Sekunde hatten sich ein Dutzend Kerle durch das Schott gequetscht und hieben voller Wut auf alles ein, was in ihrer unmittelbaren Nähe stand.

Big Old Shane stand zwar noch wie ein Fels in der Brandung, aber auch er war dem Ansturm von zwölf um sich schlagenden und verzweifelt kämpfenden Männern nicht gewachsen. Er wurde überrollt, niedergetrampelt, und damit war das Chaos auch schon fast perfekt.

Smoky schlug einmal in einer sensenden Bewegung mit der Spillspake zu und traf einen Wollschädel. Dann droschen ihm Fäuste ins Gesicht, ein harter Schlag lähmte seine Schulter, und in seinem Kopf explodierte ein Fäßchen Schießpulver.

Überganslos befand sich eine brüllende tobende, kreischende und bis zum Äußersten entschlossene Horde Grabräuber an Deck.

Ben Brighton hielt den Radschloßdrehling in der Faust, konnte aber nicht schießen, ohne Gefahr zu laufen, einen der eigenen Leute zu treffen.

Die Grabräuber kämpften, allen voran der riesige Nubier, mit einer beängstigend fanatischen Besessenheit, denn jetzt hatten sie absolut nichts mehr zu verlieren. Was ihnen in den Minen und Bergwerken bevorstand, das hatte Halef ihnen in aller Deutlichkeit und sehr drastisch geschildert. Hier dagegen erwartete sie ein kurzer, aber harter Kampf, so glaubten sie, und dann hatten sie ihre Freiheit wieder.

Selbst Hasard hatte nicht mit dieser fanatischen Entschlossenheit gerechnet, und er wunderte sich sekundenlang, daß die Kerle alle mit Holzprügeln bewaffnet waren.

Dann sah er es und fand auch eine Erklärung für den unglaublichen Krach in der Vorpiek. Die Kerle hatten mindestens zwei der großen Wasserfässer zertrümmert und benutzten die langen Faßdauben jetzt als Waffen, wie die Seewölfe meist auch nach Spaken oder Belegnägeln griffen, wenn eine Holzerei begann.

Hasard konnte das Achterdeck nicht verlassen. Es war auch nicht nötig, denn seine Männer hatten das Überraschungsmoment verdaut, und jetzt begann an Deck wieder mal ein Tänzchen, das für beide Seiten an Härte nichts zu wünschen übrigließ.

Carberry erschien wie ein Rachegott. Sein Zorn war mindestens so groß wie die Beule, die auf seinem Schädel prangte. Er sah so wild und grimmig aus, daß einer der Grabräuber bei seinem bloßen Anblick mit einem Schrei des Entsetzens flüchtete.

Seine Stimme klang so laut vor Wut, daß auch der Nubier Halef zusammenzuckte und erschreckt herumfuhr.

„Ihr lausigen Mumienklauer!“ röhrte er. „Jetzt wird euch der alte Carberry zu den Pharaonen fiedeln, ihr Hundemusikanten!“

Ein Kerl sprang ihn an, aber Carberry konnte es nicht unterlassen, selbst in extremen Situationen weiter seine Sprüche abzulassen, um sich Luft zu verschaffen.

Er schlang dem Kerl die Peitsche um den Hals, drückte zu, hob ihn an und ließ ihn schlaff auf die Planken zurückfallen.

Stenmark, der blonde Schwede, räumte unter den Kerlen auf. Matt Davies zog einen an der Hakenprothese heran, Dan O’Flynn unterlief einen Gegner, drückte ihm den Schädel in den Magen und setzte ihn gegen den Fockmast, daß Gary Andrews im Mars glaubte, der Fockmast würde jetzt nach vorn auf das Deck stürzten.

Der Kutscher, ein schmalbrüstiger, aber von See, Wind und Wetter hart gewordener Knochen, scheute sich keinesfalls, hin und wieder seine bei Sir Freemont genossene Bildung wie ein altes Hemd über Bord zu werfen.

Als der Kampf an ihm vorbeitobte – Bob Grey war gerade mit einem Grabräuber im Zweikampf –, schob der Kutscher mit dem Hintern Bob Grey einfach zur Seite. Dann ergriff er den Kübel mit dem heißen Hirsebrei und stülpte ihn dem Grabräuber über den Schädel. Damit aber nicht genug. Damit es auch schön dröhnte, schlug er mit einem Belegnagel noch einmal auf den Kübel. Es hörte sich an, als hätten zehn Kriegsschiffe der Royal Navy gleichzeitig geglast.

„Ho, der Wikinger ist wieder da!“ schrie der Hitzkopf Luke Morgan begeistert, weil der Grabräuber einen ähnlichen, nur etwas größeren Helm trug, aus dem der Brei nach allen Seiten tropfte. Auch er bolzte mit der Faust noch einmal kräftig drauf, dann drehte er sich um und nahm einen neuen Gegner an.

Für die Grabräuber war nichts zu gewinnen, das erkannte als erster der Nubier Halef. Diese Giaurs kämpften nicht nur wie Allahs wilde Heerscharen, sie schienen an der Prügelei auch noch eine satanische Freude zu haben. Keiner dieser elenden Christenhunde hatte eine Waffe abgefeuert oder ein Messer in der Hand, sie kämpften mit den Fäusten oder mit Holzprügeln und mähten einen nach dem anderen auf die Planken. Ja, sie machten sich auch noch über sie lustig, so wie dieser unheimliche Kerl mit den Narben im Gesicht, dem er die Faßdaube über den Schädel gehauen hatte.

Der hatte eine total entnervende Art an sich, immer Tänzchen aufzuführen, und er kannte sich in der oberägyptischen Folklore auch hervorragend aus. Nur blieben seine Tanzpartner anschließend immer auf der Strecke vor Erschöpfung.

Jetzt sah der Nubier entsetzt, wie er seinen Kumpan Habu am Kragen hatte, ihm die Djelaba im Genick zusammendrehte und ihn ein paarmal um seine Achse drehte, bis Habu nicht mehr wußte, ob der Nil unten oder oben war.

Er sah ihn wie eine Kanonenkugel durch die Luft fliegen und seinen Körper im Geiste am Mast zersplittern. Aber dicht vor dem Mast stand noch eine Wand mit roten Haaren, und aus dieser Wand zuckte eine mächtige schwielige Faust heraus, um Habus Sturz zu bremsen.

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