Der kommende Mensch

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Der kommende Mensch
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Der kommende Mensch

Johannes Winkel

Der
kommende
Mensch

Die Wundergeschichten

des Markusevangeliums


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in

der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

© 2011 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de

Umschlag: Hain-Team Bad Zwischenahn (www.hain-team.de)

Druckvorlage: Konstantin Winkel, Osnabrück

Druck und Bindung: Druckerei Friedrich Pustet, Regensburg

ISBN 978-3-429-03437-5 (Print)

ISBN 978-3-429-04616-3 (PDF)

ISBN 978-3-429-06018-3(Epub)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Taufe Jesu und seine Versuchung

Markus 1, 9–13

I. Vollmacht

Jesu Kommen nach Kapharnaum

Markus 1, 21–31.32–34

Jesu Kommen in die Umgebung von Kapharnaum

Markus 1, 35–45

Rückkehr nach Kapharnaum

Markus 2,1–12

Die Heilung des Menschen mit der erstarrten Hand

Markus 3,1–6.7–12

Reflexion: Der Beelzebul-Vorwurf

Markus 3, 20–21.22–27

II. Glaube

Die Stillung des Sturmes

Markus 4, 35–41

Die Entgeisterung des Menschen von Gerasa

Markus 5,1–20

Die Erweckung der Tochter des Jaïrus

Markus 5,21–24.35–43

Die Heilung der an Blutfluss leidenden Frau

Markus 5, 25–34

Reflexion: Jesu Unfähigkeit, Wunder zu tun

Markus 6,1–6

III. Überreichtum

Die Speisung der Fünftausend

Markus 6, 30–44

Jesus wandelt auf dem Wasser

Markus 6, 45–52.53–56

Die Entgeisterung des syrophönizischen Mädchens

Markus 7, 24–30

Die Heilung des Taubstummen in der Dekapolis

Markus 7, 31–37

Die Speisung der Viertausend

Markus 8,1–9

Reflexion: Das Gespräch über die Speisungen

Markus 8,13–21

IV. Sehen

Die Heilung des Blinden von Bethsaida

Markus 8, 22–26

Die Verwandlung Jesu

Markus 9, 2–9

Die Entgeisterung des epileptischen Jungen

Markus 9,14–29

Die Heilung des Blinden von Jericho

Markus 10, 46–52

Zur Sicht des Menschen in den markinischen Wundergeschichten

Literaturauswahl

Meinen Freunden

Vorwort

Nicht wenige Schriften des Neuen Testaments kommen ohne Wundergeschichten aus. Das Markusevangelium, aber auch die übrige Evangelienliteratur nicht. Woran liegt das? Was hat es damit auf sich? Fast die Hälfte des Markusevangeliums (ohne die Kapitel 11–16) besteht aus Wundergeschichten – Geschichten von den Taten des Nazareners Jesus, des Gesalbten Gottes. Sie sind sorgfältig konzipiert und komponiert, bilden das Gerüst des ältesten Evangeliums und tragen es. Was wäre das Markusevangelium ohne sie?

Können wir diesen ungeliebten, in der kirchlichen Verkündigung der Gegenwart nicht selten vernachlässigten, rasch abgefertigten, manchmal auch belächelten Kindern, diesen fremden, befremdlichen Gästen unvoreingenommen begegnen und sie sagen lassen, was sie sagen wollen? Unter Berücksichtigung neuerer wissenschaftlicher Literatur zum Markusevangelium soll ein solcher Versuch hier vorgelegt werden, konzentriert auf die Schrift, exegetisch verantwortet und hoffentlich nicht noch wunderlicher als die Wundergeschichten selbst.

Die Texte des Markusevangeliums werden in eigener Übersetzung geboten und danach ausgelegt. Bezugnahmen auf andere Bibeltexte werden in den Übersetzungen kursiv hervorgehoben. Vergleichsstellen innerhalb des Evangeliums und auch sonst sind auf ein erträgliches Maß reduziert. Ein Essay über die Sicht des Menschen in den markinischen Wundergeschichten bildet den Abschluss. Das Ganze möchte für Predigt, Bibelarbeit und Unterricht nützlich sein.

Meiner Frau Eva-Maria als auch meinem Freund Andreas Staemmler sei herzlich für ihre ständige Gesprächsbereitschaft und ihre Mühe gedankt, womit sie zum Werden des Buches beitrugen. Konstantin Winkel hat dankenswerterweise die Druckvorlage besorgt. Dem Echter-Verlag gebührt Dank, sich auf die Veröffentlichung eingelassen zu haben und die hier behandelte Thematik noch nicht als erledigt zu betrachten.

Johannes Winkel

Die Taufe Jesu und seine
Versuchung
Markus 1, 9–13 – Q 3, 21f; 4, 1.10f

9 Und es geschah in jenen Tagen,

(da) kam Jesus1 (her) von Nazareth in Galiläa,

und er wurde getaucht in den Jordan von Johannes.

10 Und sogleich,

heraufkommend aus dem Wasser,

sah er (Jesus)

die Himmel sich teilen

(vgl. Dtn 28,12; Ps 72, 23; Jes 24,18; Ez 1,1; Mal 3,10; JosAs 14, 2)

und den Geist wie eine Taube herabkommen zu ihm

(Jes 42,1).

11 Und eine Stimme geschah (ertönte) aus den Himmeln

(Gen 15, 4; Dtn 4, 36)

»Du bist mein geliebter Sohn,

an dir fand ich Gefallen«

(Jes 42,1 [hebr]; Ps 2, 7; vgl. Mk 9, 7; 12, 6; 2 Petr 1,17; EbEv 3)!

12 Und sogleich treibt der Geist ihn hinaus in die Wüste.

13 Und er war in der Wüste vierzig Tage

(vgl. Ex 16, 35; Dtn 2, 7; 8,1ff; 29, 4; Ez 4, 6),

versucht werdend von dem Satan

(vgl. 1 QM 1, 2f),

und er war bei den wilden Tieren

(vgl. Apg 11, 6; 28, 4f; Tit 1,12; Jak 3, 7; Offb 6, 8; 18, 2),

und die Engel dienten ihm (wiederholt).

In den ersten drei Evangelien des Neuen Testaments ist jeweils eine Erzählung von der Taufe Jesu (Mk 1, 9–11; vgl. Mt 3,13–17; Lk 3, 21f; anders Joh 1,19ff) allen anderen Erzählungen über sein Wirken vorgeordnet. So bedeutsam erschien sie den biblischen Autoren: als erhellendes Vorwort zu allem, was über Jesus, über seinen Weg und seine Wirksamkeit zu berichten war. In der Tauferzählung geht es um das Herabkommen des Geistes auf Jesus, um seine Erwählung und Ausstattung. Die beiden Verse im Anschluss bei Markus erzählen von seiner Versuchung (vgl. Mt 4,1–11; Lk 4,1–13).

 

Und es geschah in jenen Tagen als ein gewisser Johannes – genannt der Taufende oder der Täuferin der Wüste eine Taufe der Umkehr auf den Erlass der Sünden hin ausrief (Mk 1, 4). Mit der Wüste, von der da geredet wird, ist wahrscheinlich die Araba der unteren Jordansenke gegen das Tote Meer hin gemeint.2 Am Rand jener trostlosen und lebensfeindlichen Gegend, wo sich nachts die bösen Geister ein Stelldichein geben, und in die man sich auch am Tage besser nicht hineinwagt, hielt der Täufer Johannes sich auf. Nicht um zum Weitergehen zu ermuntern, sondern um zu einer Kehrtwende um 180 Grad und ganz woandershin zu rufen – auf den Erlass der Sünden hin. Daraufhin sollten sich Menschen taufen, das heißt, untertauchen, waschen lassen. Da begannen Leute aus Judäa und Jerusalem zu Johannes hinaus zu wandern und sich von ihm in den Jordan tauchen zu lassen, wobei sie ihre Sünden bekannten (vgl. 1, 5). Und der Täufer verkündete ihnen, dass nach ihm jener käme, der mit allen ihren Sünden fertig würde, und dem er selbst nicht einmal niederste Dienste zu leisten – sich zu bücken und die Riemen seiner Sandalen zu lösen – brauchbar und geeignet sei. Er taufe sie mit Wasser und könne sie auch nicht anders taufen, jener aber wird sie mit heiligem Geist taufen (vgl. 1, 7f). Dann werden ihre Sünden hinter ihnen liegen, und sie werden in ein neues Leben gehen.

In jenen Tagen geschah es, da kam Jesus her von Nazareth in Galiläa, und er wurde getaucht in den Jordan von Johannes. Da kam er nun also, der Mensch Jesus von Nazareth zu seinem Vorboten und Wegbereiter an den Jordan. Er bückte und beugte sich und ließ sich von ihm in den Jordan tauchen wie alle anderen. Und sogleich, heraufkommend aus dem Wasser, sah Jesus die Himmel sich teilen und den Geist wie eine Taube herabkommen zu ihm. Unmittelbar beim Heraufkommen aus dem Wasser sah Jesus ein eigenartiges Geschehen. Er sah die ansonsten verschlossenen Himmel sich teilen und göttlichen Geist, göttliche Kraft sich ihm mitteilen wie eine Taube. Belebende, ihn unsichtbar treibende Gotteskraft, ihm sichtbar gemacht (und den Lesern angezeigt), nicht in Gestalt eines kraftstrotzenden Stieres oder eines schnell dahingaloppierenden Pferdes oder eines gewaltigen Kriegers, sondern eben wie eine Taube zu ihm hin. Die Taube galt in Israel als reines, makelloses Tier (vgl. Mt 10,16) und als der einzige zum Opfer geeignete Vogel (vgl. Lev 3,14). Schon in der Urzeit, in der Geschichte von der Sintflut, die sich über die Sünder ergossen hatte, spielte sie eine Rolle und kündete einigen wenigen, die damals davonkamen, neue Lebensmöglichkeit auf der Erde (vgl. Gen 8, 8–12).

Und eine Stimme ertönte aus den Himmeln: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir fand ich Gefallen!« Nachdem es für Jesus etwas zu sehen gab bei seinem Kommen aus dem Wasser, gab es für ihn auch noch etwas zu hören: eine Stimme aus den Himmeln. Von dorther, von wo Gottesgeist wie eine Taube zu ihm herabgekommen war. Die Worte – »Du bist mein geliebter Sohn, an dir fand ich Gefallen« – erinnern an die Berufung des Gottesknechts nach Jesaja 42. Sie erinnern aber auch an die Einsetzung des messianischen Königs nach Psalm 2. Daran lässt die an ihn sich wendende Stimme aus den Himmeln nicht den geringsten Zweifel, dass er, Jesus von Nazareth, der angekündigte und erwartete Heilbringer der Endzeit ist: »An dir fand ich Gefallen!« Gott bekundet Jesus nicht seine Sympathie damit. Die Anrede bedeutet: ›auf dich fiel meine Wahl, dich erwählte ich. Du bist mein geliebter Sohn, der einzige und einzig geliebte, mir nah und mir gemäß, mein Mitherrscher, neben dem kein anderer steht. Du bist erwählt, meine Absichten in die Tat umzusetzen und den Menschen meinen Frieden zu bringen, Sündenerlass und neue Lebensmöglichkeit.‹

Am Anfang des Evangeliums steht, so erfahren wir hier, Gottes Handeln. Er, der die kommende Heilszeit angekündigt und seinen Sohn, den Gesalbten zu senden versprochen hatte, setzte dieses Werk nun auch in die Tat um und in Gang. Doch er proklamierte ihn noch nicht öffentlich. Das wird er erst jenseits seines Lebens und Lebensweges tun – mit seiner Auferweckung aus den Toten! Warum Jesus von Nazareth? Gute Frage. Antwort: Weil es Gott so gefiel.

Gleich darauf geschieht folgendes. Nun handelt jener Geist, der sich Jesus mitgeteilt hat, treibt ihn an und treibt ihn hinaus. Wohin? Nicht zu einer unbeschwerten Tauffeier im Familienkreis. Nicht einmal zu den Menschen, sondern schnurstracks in die Wüste, wo der Täufer zur Umkehr gerufen hatte, hinein in jene trostlose und lebensfeindliche Welt, wo die bösen Geister hausen, und wo man sich auch bei Tage besser nicht hineinwagt, um sich nicht zu verirren, einen Stich zu bekommen und an Entbehrung und Entkräftung zu sterben. Da hinein trieb ihn der Gottesgeist, jene Kraft, die wie eine Taube auf ihn kam, die Himmelstimme im Rücken: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir fand ich Gefallen!« Nun also gefiel es Gott, seinen geliebten Sohn in die Wüste hinauszutreiben.

Vierzig Tage war er in der Wüste, versucht werdend von dem Satan. Was mag dort geschehen sein? Der Evangelist nennt – möglicherweise in Anspielung auf Israels Kommen aus dem Schilfmeer und seine vierzigjährige Wanderung durch die Wüste – Dauer und Ort des Aufenthaltes Jesu nach seiner Taufe und sagt, dass der Gegenspieler Gottes daselbst sein Spiel mit ihm trieb. Der Name Satan, ein hebräisches Wort, bedeutet anfeinden, anklagen, verklagen. Anfeindungen, Klagen und Anklagen musste Jesus in der Wüste über sich ergehen lassen, vierzig Tage lang, von früh bis spät und womöglich auch nachts. Eine biblisch lange Zeit. Wie es ihm dabei erging, und wie er selbst damit umging, davon erfahren wir nichts. Nur eben, dass er den Anschlägen des Teufels ausgesetzt war und sie sich gefallen lassen musste wie Hiob einst. Das heißt versucht werdend vom Satan.3

Aber nicht nur dem Gegenspieler Gottes war Jesus ausgesetzt. Markus schreibt, dass er ebenso lange wie dem Satan auch den Gegenspielern der Menschen, wilden Tieren ausgesetzt war: Und er war bei den wilden Tieren. Was den zweiten Evangelisten bewog, Jesu Aufenthalt gerade auch bei ihnen hervorzuheben, lässt sich nur erahnen. Sein Hinweis darauf ist im Neuen Testament einmalig. Matthäus und Lukas sind daran vorübergegangen und entschieden sich für die Versuchungserzählung der Logienquelle. Dass Tiere sich gegen den Menschen wenden, ihn anfallen, verletzen und manchmal sogar töten, war in Gottes guter Schöpfung nicht vorgesehen (vgl. Gen 1, 20–31; 2,19f). Zur Feindschaft von Geschöpfen Gottes untereinander kam es erst durch des Menschen Sündenfall. Zeitgenössische Denker und Autoren gingen der Frage nach. Die Verfluchung der Schlange, die den Menschen verführte, sowie die Setzung von Feindschaft zwischen ihr und der Frau einschließlich ihrer beider Nachkommen, die Verfluchung des Erdbodens sowie die Setzung der Mühsal des Menschen (vgl. Gen 3,13–19) wurde in der »Apokalypse Moses« zum Beispiel ausdrücklich um die Tiere ergänzt: »Die Tiere, über die du herrschst, werden sich gegen dich erheben in Aufruhr, weil du mein Gebot nicht bewahrt hast« (24,1). In derselben Schrift, Kapitel 10f (= »Das Leben Adams und Evas«, Kapitel 37f), war von einer Schlange die Rede, die Evas Sohn Seth – ein Ebenbild Gottes! – angriff und ihn verletzte. Seine Mutter war entsetzt darüber und in Sorge4, aber die Schlange erklärte ihr mit menschlicher Stimme, dass die Naturen der Tiere sich verwandelt haben, seit der Mensch sich verfehlte und als Ebenbild Gottes nicht mehr zu erkennen sei.

Jesus bei den wilden Tieren in der Wüste, bei Viechern, die mit dem Menschen alles andere als in Frieden leben! Wie sie ihm zusetzten oder ängstigten, und wie er mit ihnen umging, lässt der Erzähler auch hier mit Bedacht offen. Nur nicht, dass er eben auch bei ihnen war – Schlangen, Skorpionen, Aasfressern, Bestien, die einem Menschen schwer zu schaffen machen können. Jesus auch bei ihnen, wie er auch beim Satan war. Dass für die wilden Tiere in der Wüste mit Jesu Kommen zu ihnen messianische Zeiten anbrachen, wie sie Jes 11, 6–8 geschildert werden, wollte der Evangelist an dieser Stelle wohl nicht gesagt haben. Ihm ging es um den Messias in seiner Versuchung oder Erprobung durch sie, nicht um die Änderung der Natur der Tiere.

Vierzig Tage hält es kein Mensch unbeschadet in der Wüste aus. Auch Jesus nicht. Und so ist zum Schluss vermerkt, dass er dort dennoch nicht ums Leben kam, weil Engel ihm wiederholt dienten.5 Wohl mit Speise und Trank jeweils zur rechten Zeit. Hier etwas und dort etwas, was Engel in der Wüste so zu bieten haben. Himmlische Bankette, die ihm die Engel bereitet hätten, sind da sicher nicht gemeint. In der Bereitstellung von Lebensmitteln erschöpfte sich ihr Dienst. Weder sollten sie seine Versuchungen mit ihm teilen noch mit ihm dagegen ankämpfen.

Was auch immer in der Wüste geschah, in die Gottes Geist Jesus geführt und ihn dem Satan und den wilden Tieren ausgesetzt hatte, eines jedenfalls ist nicht geschehen: dass er von dort als Gottes- und Menschenfeind wiederkam. Weder als Klagender noch als Anklagender, weder als wildes Tier noch als verängstigter Mensch kehrte er aus der Wüste zurück. Nicht geschwächt kam er zurück, obwohl er ihnen ausgesetzt war, sondern gestärkt und gereift.

Danach aber, als Johannes ausgeliefert war, kam Jesus nach Galiläa, das Evangelium Gottes verkündigend wie folgt: »Die Zeit ist erfüllt, und die Herrschaft Gottes ist nahe. Ändert euren Sinn und glaubt an das Evangelium« (Mk 1,14f)!

1 Unterstreichungen im nachfolgenden Text markieren Berührungen mit der Logienquelle Q, die der zweite Evangelist gekannt hat. Q wird nach Lk zitiert.

2 Sie wird in Jes 40, 3 [hebr] genannt, worauf Mk 1, 3 sich bezieht, und bezeichnet ein Gebiet, in dem einstmals auch der Prophet Elia wirkte und am Ende mit feurigem Wagen und feurigen Pferden in einem Wirbelwind in den Himmel aufgenommen wurde (vgl. 1 Kön 2,1ff). Zur Bedeutung Elias im Markusevangelium vgl. 6,15; 8, 28; 9, 4f.11–13; 15, 35f.

3 Nach Q 4,1ff wurde der in der Wüste vierzig Tage nichts zu essen habende Jesus vom Teufel ermutigt, sich selbst mit einem Wunder von seinem Hunger zu befreien, allerlei fromme Werke zu tun und dabei Gott blindlings zu vertrauen.

4 »Eva weinte und sprach: ›Wehe, wehe, wenn ich komme zum Tag der Auferstehung, werden mich alle, die gesündigt haben, verfluchen und sagen: Eva hat das Gebot Gottes nicht gehalten‹« (ApkMos 10, 2). In anderer Version: »Wehe mir Armen, dass ich verflucht bin, weil ich die Gebote des Herrn nicht gehalten habe« (VitAd 37, 2).

5 Zum Dienst eines Engels für den Propheten Elia vgl. 1 Kön 19, 4–7.

Jesu Kommen nach Kapharnaum
Markus 1, 21–31.32–34

21–22 Einleitung

23–28 Die Entgeisterung eines Besessenen

29–31 Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus

32–34 Erster Bericht vom Andrang der Menschen

21 Und sie wandern hinein nach Kapharnaum.

Und gleich am Sabbat,

nachdem er in die Synagoge hineingegangen war,

begann er zu lehren.

22 Und sie gerieten außer sich wegen seiner Lehre,

denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat,

und nicht wie die Schriftgelehrten.

23 In ihrer Synagoge war da gerade

ein Mensch mit einem unreinen Geist,

und er schrie auf,

24 sagend:

»Was (ist mit) uns und dir

(Ri 11,12; 1 Kön 17,18; 2 Kön 3,13; vgl. Mk 5, 7),

Jesus, Nazarener?

Ich weiß, wer du bist,

der Heilige Gottes!«

25 Doch Jesus fuhr ihn an,

sagend:

»Verstumme

und geh heraus aus ihm!«

26 Da ging der unreine Geist heraus aus ihm,

 

wobei er ihn (hin und her) zerrte

und mit lauter Stimme rief.

27 Und sie erschraken alle zusammen,

so dass sie miteinander disputieren,

sagend:

»Was ist dies?«

»Eine neue Lehre in Vollmacht!«

»Den unreinen Geistern befiehlt er,

und sie gehorchen ihm.«

28 Und die Kunde von ihm ging aus sogleich

überallhin in das ganze Umland Galiläas.

29 Als sie aus der Synagoge hinausgegangen waren,

gleich kamen sie mit Jakobus und Johannes

in das Haus von Simon und Andreas.

30 Die Schwiegermutter Simons aber lag fiebernd,

und sogleich sagen sie ihm von ihr.

31 Nachdem er herzu getreten

und die Hand ergriffen hatte,

richtete er sie auf.

Da verließ sie das Fieber,

und sie begann ihnen zu dienen.

32 Am Abend aber, als die Sonne unterging,

brachten sie zu ihm all die Kranken und die Besessenen.

33 Die ganze Stadt war da versammelt vor der Tür.

34 Und er heilte viele Kranke mit verschiedenen Krankheiten

und trieb viele Dämonen aus.

Doch den Dämonen gestattete er nicht zu reden,

denn sie kannten ihn.

Und sie wandern hinein nach Kapharnaum. Jesus ist mit seinen Jüngern, den Brüderpaaren Simon (Beiname Petrus, vgl. 3,16) und Andreas sowie Jakobus und Johannes, mit Fischern, die er am Galiläischen See (See von Gennesaret) von ihrer Arbeit rief, unterwegs. Ein Für und Wider gab es nicht. Er rief sie, und sie folgten ihm nach (vgl. 1,16–20). Zunächst nach Kapharnaum. Simon und wohl auch Andreas wohnten dort. Das Fischerstädtchen war ein Grenzort zwischen Galiläa und der Gaulanitis und lag am Nordwestufer des Sees etwa vier Kilometer westlich der Mündung des Jordan. Vom Aufschlagen des Quartiers in Kapharnaum wird nicht erzählt, sondern von anderem.

Und gleich am Sabbat, nachdem er in die Synagoge hineingegangen war, begann er zu lehren. In der Synagoge versammelte sich die Gemeinde unter der Leitung des Synagogenvorstehers zu Schriftlesung mit anschließendem Lehrvortrag, den ein Schriftgelehrter hielt. Gebet, Gesang und Segenshandlung gehörten ebenfalls dazu. In der Synagoge wurde auch Schule abgehalten und Recht gesprochen. Jesus begann zu lehren. Was und wie er lehrte, bleibt vorerst offen. Mitgeteilt wird uns zunächst nur die Wirkung des Lehrens Jesu auf die im Lehrhaus Versammelten. Sie gerieten außer sich wegen seiner Lehre. Und zwar gerieten sie deshalb außer sich, weil er sie lehrte wie einer, der Vollmacht hat, anders als ihre Schriftgelehrten.

Gemeint ist nicht, dass Jesus eine andere Sprache sprach als jene oder sich neuer Redeformen bediente. Gemeint ist auch nicht die Wohlgeformtheit seiner Rede, nicht eine originelle Vortragsweise, nicht eine seine Hörer in Bann ziehende Redekunst oder einfach etwas Neues, das die in der Synagoge Versammelten ganz aus dem Häuschen brachte. Das alles können andere schließlich auch und vielleicht sogar besser als er. Aber nein, Jesus lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, so wie keiner der anderen, wie keiner von ihren Schriftgelehrten. Jesus redete nicht über Gott, Mensch und Welt wie jene, sondern er selbst ist das in ihre Mitte gekommene und sie lehrende Wort Gottes. Er ist der Mensch, auf den der Geist herabkam wie eine Taube (vgl. 1,10), und der die Nähe der Gottesherrschaft kündet (vgl. 1,15). Er spricht. Er agiert. Da geht es sofort zur Sache, wie uns im folgenden Abschnitt demonstriert wird.

In ihrer Synagoge war da gerade ein Mensch mit einem unreinen Geist, und er schrie auf. – Unreiner Geist war die damals geläufige Bezeichnung für finstere oder böse Kräfte, die den Menschen durchdringen und beherrschen, ihn an Leib und Seele krank machen, ihn geradezu zerstören oder für zerstörerische Werke in Besitz nehmen konnten. Man sagte dann nicht, dass ein solcher von allen guten Geistern verlassen, sondern dass er von bösen Geistern besessen sei. Aber das musste sich äußerlich gar nicht zeigen. Ein unreiner Geist kann in einem Menschen auch einfach nur schlummern. So einer also war da in ihrer Gemeindeversammlung, unauffällig und friedlich. Plötzlich aber schrie der Mensch mit dem unreinen Geist auf. In Sorge oder in Not, manchmal in Freude, in auswegloser Bedrängnis schreit einer auf.

Was wurde geschrien? »Was ist mit uns und dir, Jesus, Nazarener? Bist du gekommen, uns zu vernichten? Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes!« Mit einer abwehrenden Frage geht es los: ›Was ist mit uns, was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazareth? Wir haben doch eigentlich und noch besser nichts miteinander zu tun!‹

Wer spricht? Spricht der unreine Geist, der den Menschen hat, oder spricht der Mensch, der den unreinen Geist hat? Sprechen beide im Chor, oder versteckt sich da jemand? ‹Was haben wir mit dir zu tun?› Auf jeden Fall wissen sie, mit wem sie es zu tun haben, ohne dass Jesus sich ihnen vorgestellt hätte. Sie wissen um ihn ganz genau. »Bist du gekommen, uns zu vernichten?«, lautet ihre nächste, ihre besorgte Frage. Und dann hat das Versteckspiel unvermittelt ein Ende. Nun hat nur noch der unreine Geist das Wort und unternimmt einen Beschwörungsversuch: »Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes!«

Doch Jesus lässt sich von diesem wahren und schönen Bekenntnis nicht ins Bockshorn jagen. Unreines wird nicht rein und Böses wird nicht gut, dass es die Wahrheit weiß. Das zieht bei dem Heiligen Gottes nicht. Jesus fuhr den unreinen Geist an und sagte: »Verstumme und geh heraus aus ihm!« Verhandelt wird nicht, nicht mal ein bisschen, und schon gar kein Kompromiss geschlossen. Jesus fährt dem Unhold sofort in die Parade und befiehlt ihm, auf Deutsch gesagt: Halt die Klappe und zieh Leine!

Da half dem unreinen Geist alles nichts. Er verließ den Menschen, wobei er ihn hin und her zerrte, sich in jeder Beziehung von ihm losreißen musste und entsetzlich schrie wie einer, dem die Wohnung samt Hab und Gut genommen ist und sogar die Sprechmöglichkeit. Und das war es dann. So verfährt der Träger des heiligen Geistes mit bösen Geistern. In seiner Nähe halten sie es nicht aus. Da wird nicht diskutiert. Da wird nicht gerungen. Da wogt der Kampf nicht hin und her, sondern da wird befohlen, und da werden Befehle ausgeführt. Ein Machtwort, und der unreine Geist nimmt schreiend Reißaus.

Von dem entgeisterten Menschen wird uns nichts berichtet. Nur noch von der Reaktion der anderen. Und sie erschraken alle zusammen, so dass sie miteinander disputieren. Den Erschrockenen blieben nicht die Worte im Hals stecken wie dem bösen Geist. Sie wurden gesprächig. »Was ist dies?«, fragten sie. »Eine neue Lehre in Vollmacht!«, sagten sie. »Den unreinen Geistern befiehlt er, und sie gehorchen ihm!«, stellten sie fest. So lehrte Jesus von Nazareth in der Synagoge zu Kapharnaum in Vollmacht, anders, ganz anders als ihre Schriftgelehrten. Und die Kunde von ihm ging aus sogleich überallhin in das ganze Umland Galiläas. Das blieb nicht geheim. Die Kunde von ihm sprach sich herum. Nicht nur im Land, sondern über die Landesgrenzen hinaus.

Während die Kunde von Jesus in die Lande ausging, ging auch Jesus mit seinen Jüngern aus Kapharnaums Synagoge hinaus. Erst jetzt wird erwähnt, dass sie dabei waren. Sie waren freilich nur dabei, wortlos und tatenlos, als Jesus gelehrt hatte. Danach fand ein Ortswechsel statt – vom Gemeindehaus ins Wohnhaus, aus der Öffentlichkeit ins Private, ins Haus von Simon und Andreas. Jakobus und Johannes gingen mit. Doch auch in diesem Haus stand es nicht zum Besten. Simons Schwiegermutter lag mit Fieber im Bett. Warum und wieso? Wir erhalten keine Auskunft. Ganz nebenbei erfahren wir, dass Simon verheiratet war (vgl. 1 Kor 9, 5). Seine Frau jedoch wird nicht eigens erwähnt. Nichts wird erwähnt außer der Kranken in seinem Haus. Die Jünger haben keine Scheu. Sogleich sagen sie ihm von ihr. Sie schildern ihm kurz und knapp die Lage. Das genügt.

Nachdem er herzu getreten und die Hand ergriffen hatte, richtete er sie auf. Etwas Besonderes geschieht nicht. Jesus tritt herzu, wie man an ein Krankenbett tritt, die Hand des Kranken ergreift und ihn, wenn er will, ein wenig aufrichtet. So oder so ähnlich hat es jeder bei einem Krankenbesuch bestimmt schon einmal getan. Hier geschieht es ebenso, aber auch anders. Da er herzu trat, ihre Hand ergriff und sie aufrichtete – verließ sie das Fieber. Dabei sprach er kein Wort, keinen Zauberspruch, wie es in der Antike bei der Bekämpfung des Fiebers üblich war. Wie sein Kommen in die Synagoge zuvor des unreinen Geistes Verschwinden war, so ist hier sein Kommen, sein Reichen der Hand, sein Aufrichten der Kranken des Fiebers Gehen. Dann stand die Frau selber auf und begann – als wäre sie nicht krank gewesen und als müsste sie nicht noch ein wenig ruhen – ihnen zu dienen, das heißt, sie zu bewirten. Nicht nur ihren Wohltäter, sondern sie alle im Haus. So demonstrierte sie ihnen, dass sie genesen war. Ihr Tun am Sabbat – dankbarer Dienst.

Wie Jesus diese Frau geheilt hat oder zu heilen vermochte, wird nicht erzählt. Dass er in Vollmacht lehrte, in Vollmacht handelte, ist auch hier die einzige Erklärung, die uns gegeben wird.

Am Abend aber, als die Sonne unterging, brachten sie zu ihm all die Kranken und die Besessenen. Die ganze Stadt war da versammelt vor der Tür. – Nicht nur über die Landesgrenzen hinaus, sondern auch in Kapharnaum selbst hatte sich die Kunde des Nazareners, von seiner Art, Menschen mit Vollmacht zu lehren, wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Als der Sabbat vorüber war, am Abend, als die Sonne unterging, hob die Geschäftigkeit in der Stadt wieder an. Anders als sonst. Da brachten sie all die Kranken und die Besessenen, das heißt die mit Bosheit Geschlagenen oder mit Bösem sich Plagenden, zu ihm. Auf Tragen oder an der Hand, notdürftig gesichert oder nicht gesichert, wie auch immer. Die ganze Stadt war da auf den Beinen und versammelt vor der Tür, wo Jesus eingekehrt war.

Und er heilte viele Kranke mit verschiedenen Krankheiten und trieb viele Dämonen aus. Doch den Dämonen gestattete er nicht zu reden, denn sie kannten ihn. Jesus ließ nicht lange auf sich warten. Er kam vor die Tür und half den Menschen vor Einbruch der Dunkelheit in der Kraft des Geistes, die mit ihm war, so dass Kranke gesund und Besessene ihre Plagegeister loswurden. Wie das im Einzelnen aussah, ist der Fantasie des Lesers überlassen. Dem Evangelisten kommt es auf etwas anderes an. Darauf, dass Jesus viele Kranke heilte, nicht nur eine oder einen, und dass er mit verschiedenen Krankheiten fertig wurde, nicht nur mit einer oder einigen. Ferner, dass er viele Dämonen austrieb. Viele heißt viele, aber nicht alle. An jenem Abend heilte Jesus viele, aber nicht alle Kranken von all ihren Krankheiten und Gebrechen. Er schlug viele, aber nicht alle Dämonen samt ihren Dämonien aus dem Feld. Viele von jenen, die da erwartungsvoll Simons Haus in Kapharnaum belagerten, werden erleichtert, viele möglicherweise auch enttäuscht gewesen sein, dass Jesus, ein Mann mit diesen Fähigkeiten, nicht zu ihnen oder den Ihrigen gekommen war an diesem Abend. Noch ist nicht aller Tage Abend.

Statt dies näher zu erklären, wird noch erzählt, dass Jesus den Dämonen Redeverbot erteilte. »Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes!« Mit diesen Worten hatte der böse Geist am Morgen in der Synagoge Jesus aufzuhalten versucht, gegen ihn vorzugehen. Denn wer seinen Namen kennt, den kann er nicht vernichten, ohne sich in Selbstwidersprüche zu verwickeln. Den muss er gewähren lassen, ja ihn retten und schützen (vgl. Ps 91,14–16)! Doch da hatte der schriftgelehrte böse Geist die Rechnung ohne den Heiligen Gottes gemacht. Der verschloss ihm das Maul und trieb ihn samt seinen Flausen mit einem Machtwort aus dem Menschen hinaus.